08. Dezember
HOCHFEST DER OHNE ERBSÜNDE
EMPFANGENEN Jungfrau und Gottesmutter
Maria
»Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnaden«. Seit
Jahrhunderten grüßen die Gläubigen täglich tausende und abertausende Male die
Jungfrau Maria mit den Worten des Erzengels, die auch heute wieder im
Evangelium vom Tag erklingen. An dem Gruß des Erzengels Gabriel erkennen die Söhne
und Töchter der Kirche, dass sich das Geheimnis der Gnade Gottes in Maria in
ganzer Fülle verwirklicht hat. Der Apostel Paulus lehrt uns, dass der Vater in
seinem menschgewordenen Sohn in seiner ganzen Fülle hat wohnen wollen (vgl. Kol
1,12-20). Diese Fülle breitet sich von Christus, dem Haupt, auf dessen
Mystischen Leib, die Kirche, aus. Ehe aber die Fülle Christi auf seinen Leib
übergeht, ergießt sie sich auf einzigartige und unwiederholbare Weise über
Maria, die von Ewigkeit her dazu ausersehen war, Mutter Gottes zu werden.
Bezeichnenderweise erinnert uns die erste Lesung
an die Gestalt Evas, die Mutter aller Lebendigen. Die Kirchenväter haben in
Maria die Neue Eva erkannt, die den Knoten löste, den die erste Frau gewunden
hatte. Der von Eva gewundene Knoten des Ungehorsams wird durch Mariens Gehorsam
aufgelöst. Und genauso wie Eva in Reinheit und Unversehrtheit geschaffen worden
war, so wurde auch die Neue Eva auf wunderbare Weise vor jeder Ansteckung mit
der Erbsünde bewahrt, denn sie sollte der Menschheit das Wort schenken, das als
Lösegeld für uns Fleisch annehmen würde. Der
hl. Irenäus
vergleicht die jungfräulich reine Erde, von der Adam genommen worden war, mit
der Jungfräulichkeit der unbefleckten Menschheit Mariens, von der der Zweite Adam
stammte: »Wie der Mensch Adam, der zuallererst geformt worden war, seine Substanz
von einer unberührten und noch jungfräulichen Erde erhielt – Gott hatte nämlich
noch keinen Regen fallen lassen und der Mensch hatte die Erde noch nicht
bestellt (vgl. Gen 2,5) – […] so, hat Er, der das Wort ist, indem Er in sich
Adam eine neue Gestalt gab, passender Weise von Maria, die noch Jungfrau war,
geboren werden wollen, Er, der die Neufassung Adams ist« (Adversus haereses, III, 21, 10).
Der selige Papst Pius IX. hat am 08. Dezember
1854 erklärt, dass es eine von Gott offenbarte Glaubenswahrheit ist, dass »die
allerseligste Jungfrau Maria vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch die
einzigartige Gnade und Bevorzugung des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die
Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jeglichem
Makel der Urschuld unversehrt bewahrt wurde« (Denz. – Schönm., 2803). Wenn auch
diese feierliche Verkündigung des Dogmas vor relativ kurzer Zeit stattfand, so
haben sich dennoch die Gläubigen und die Liturgie der Kirche schon in frühester
Zeit zu dieser Glaubenswahrheit bekannt. Außerdem hat die allerseligste Jungfrau
Maria selbst bei ihrer Erscheinung in Lourdes der hl. Bernadette vier Jahre
später aufs Neue die Wahrheit dieser Lehre bestätigt, indem sie sich ihr mit
folgenden Worten vorstellte: »Ich bin die Unbefleckte Empfängnis«.
Die Tatsache, dass für Maria diese einzigartige
Gnade vorherbestimmt war – welche darin bestand, dass der allgemeine Beschluss,
wonach jeder Menschen vom Augenblick der Empfängnis an die Ursünde ererbt –,
führt uns in die entlegendsten Winkel des geheimnisvollen Erlösungsplans der
Heiligsten Dreifaltigkeit. Gott, einer und dreifaltig zugleich, hat von jeher
die künftige Menschwerdung des Wortes gefügt, wodurch die Erlösung des
Menschengeschlechts, das der Sünde verfallen war, bewirkt werden sollte und so
die reinste Mutter vorherbestimmt, deren makellose Menschheit der Sohn sich
zueigen machen sollte, um in seiner Person die ursprüngliche Reinheit des
Geschöpfs aufs neue herzustellen und dieses wieder auf die ewige Herrlichkeit
auszurichten.
Daher erinnert uns der heiligen Paulus in der
zweiten Lesung an Gottes Vorhaben, das darin besteht, dass wir eines Tages heilig
und untadelig vor seinem Angesicht zu stehen kommen. Die ursprüngliche Reinheit
war scheinbar unwiederbringlich verloren gegangen. Aber Gott fand einen
passenden Ausweg, um der Katastrophe, in die wir aufgrund des schlechten
Gebrauchs unserer Freiheit geraten waren, eine glückliche Wendung zu geben. In
Maria, der Unbefleckten, strahlt die Menschheit wieder in jener ursprünglichen
Reinheit, die scheinbar unwiederbringlich verloren gegangen war.
Die unbefleckte Empfängnis Mariens ist eine unmittelbare
Folge ihrer göttlichen Mutterschaft. So
schreibt der hl. Anselm von Canterbury: »Es war angemessen, dass diese Jungfrau, der Gott
Vater seinen Sohn auf so besondere Art und Weise schenken sollte, indem nämlich
jener Sohn der gemeinsame und einzige Sohn Gottes und der Jungfrau sein würde, eine
Reinheit zieren sollte, die man sich größer nicht hätte vorstellen können, mit
Ausnahme der Reinheit Gottes selbst« (De
conceptu virginali et originali peccato, XVIII). Diese Verbindung zwischen
dem Privileg der göttlichen Mutterschaft und der Unbefleckten Empfängnis Mariens
weist auch darauf hin, dass sie weit über uns steht. Sie ist nämlich das
vollkommene Abbild der himmlischen Kirche, des neuen und siegreichen Jerusalems,
ohne Fehl und Makel, unerreichbar für Leid und Tod. Deshalb heißt es heute in
der Präfation: »Sie ist Urbild und Anfang der Kirche, der makellosen Braut
deines Sohnes«. Im Himmel ist Maria demnach nicht nur, wenn auch die erhabenste,
Jüngerin ihres Sohnes. Sie ist dort auf immer Muttergottes, Mutter der Kirche, Königin
der Engel und der Heiligen. Daher heißt es weiterhin in der Präfation: »Vor
allen Heiligen ist sie ein Vorbild der Heiligkeit, ihre Fürsprache erfleht uns
deine Gnade durch unseren Herrn Jesus Christus«. Maria war die Unbefleckte,
weil sie die Mutter Gottes sein sollte. Sie hat in sich nicht nur den
Widerschein der ursprünglichen Gnade der Reinheit getragen, sondern trägt in
sich auch den des endgültigen Stands des glückseligen Lebens, den auch wir,
wenn wir im Schulterschluss mit der Gnade Gottes arbeiten, hoffen dürfen eines
Tages zu erlangen. Maria, die
Unbefleckte, ist voll der Gnaden. Nicht nur eine Jüngerin Christi, die mithilfe der Gnade
jedes Band der Sünde abgeschüttelt hat, sondern das totius Trinitatis nobile triclinium, der edle Ruheort der
Dreieinigkeit (hl. Thomas von Aquin, Expositio salutationis angelicae, I). Jenem auserwählten
Teil der Kirche, dem auch wir eines Tages anzugehören hoffen, um freudig vor
dem Thron des Allmächtigen zu singen, wird stets die Unbefleckte und Gnadenvolle
Mutter und Königin sein.