Kolloquium in Ars
»DER PRIESTERZÖLIBAT, GRUNDLAGEN, FREUDEN, HERAUSFORDERUNGEN…«
Priesterforum Johannes Paul II.
24.- 26. Januar 2011
»Die Lehre der Päpste zu
diesem Thema: Von Pius XI. bis Benedikt XVI.«
Beitrag von Kardinal Mauro Piacenza
Präfekt der
Kleruskongregation
Montag, 24. Januar- 16:15
Uhr
Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
Liebe Priester und Freunde,
zunächst möchte ich in diesem Beitrag –
auch vonseiten der Kleruskongregation – den Organisatoren des Kolloquiums meine
tiefe Wertschätzung und meinen ermutigenden Zuspruch zum Ausdruck bringen. Es
wurde nämlich ein sehr passendes Thema gewählt und noch dazu befinden wir uns
an jenem Ort, der das Wirken des hl. Jean-Marie Vianney sah. Dieser hat das Weihepriestertum
auf vollendete Weise verkörpert – ja, sein Vorbild ist auch für die Priester
unserer Zeit von bleibendem Wert.
Das mir anvertraute Thema ist sehr genau umgrenzt und betrifft die von Pius
XI. bis Benedikt XVI. dargelegte Lehre der Päpste über den priesterlichen Zölibat.
Ich werde also in diesem Vortrag die bedeutendsten Dokumente dieser Päpste
näher untersuchen, die Aktualität ihrer Lehren aufzeigen und zusammenfassend
einige Grundlinien umreißen, die – wie ich hoffe – nützlich sein werden, um in
der kirchlichen Ausbildung eine wirksame Aufnahme zu finden.
Die Lehre der Päpste von Pius XI.
bis Benedikt XVI.
Um die mir zugebilligte Redezeit nicht zu überschreiten, werden in dieser
Untersuchung nur die herausragendsten Dokumente der genannten Päpste näher beleuchtet,
vor allem einige Lehrschreiben, die diesbezüglich von besonderer Relevanz sind.
1.
Pius XI. und das Lehrschreiben Ad
Catholici Sacerdotii
Historisch gut belegt ist das geradezu leidenschaftliche Eintreten des hl.
Papstes Pius XI. für Priesterberufe und sein auf die ganze katholische Welt ausstrahlendes
unermüdliches Wirken für die Errichtung von Priesterseminaren, in denen junge
Männer sich auf das Priesteramt vorbereiteten und eine entsprechende Ausbildung
erhalten konnten.
Das Lehrschreiben Ad Catholici Sacerdotii,
das am 20. Dezember 1935, dem 56. Jahrestag der Priesterweihe jenes Papstes,
veröffentlicht wurde, fügt sich in diesen Rahmen ein und muss dementsprechend verstanden
werden. Es besteht aus vier Teilen; die beiden ersten gehen sehr detailliert auf
die Grundlagen ein und tragen die Titel: 1. „Die erhabene Würde: Alter Christus“, 2. „Leuchtende Zierde“,
während der dritte und vierte Teil eher normativ-disziplinären Charakter haben
und die Aufmerksamkeit auf die Vorbereitung der jungen Männer zum Priestertum
und auf einige Merkmale der Spiritualität lenken.
Für unser Thema von besonderem Interesse ist der zweite Teil des Lehrschreibens,
da hier der Keuschheit ein ganzer Abschnitt gewidmet ist. Er schließt sich dem
Absatz an, der vom Priester als „Nachahmer Christi“ spricht sowie jenem, der
der “priesterlichen Frömmigkeit” gewidmet ist. Auf diese Weise wird deutlich,
dass Pius XI. das Priestertum ausgehend von seinem ontologisch-sakramentalen
Charakter verstand – wie dies übrigens in der Kirche immer der Fall war und ist.
Von dieser Auffassung her leitet sich, vor allem im Hinblick auf die Heiligkeit,
die Forderung nach einer Nachahmung Christi und nach der Vortrefflichkeit des
priesterlichen Lebens ab. Das Lehrschreiben bekräftigt nämlich: »Das eucharistische
Opfer, in dem das unbefleckte Opferlamm, das die Sünden der Welt hinweg nimmt,
dargebracht wird, erfordert in besonderer Weise, dass der Priester durch ein
heiligmäßiges und untadeliges Leben Gottes so wenig unwürdig wie möglich wird, denn
er bringt ihm jeden Tag jenes anbetungswürdige Opferlamm dar, welches das Wort
Gottes selbst ist, das aus Liebe zu uns Fleisch angenommen hat«, und weiter:
»Da der Priester „Gesandter an Christi Statt“ ist (vgl. 2 Kor 5,20), muss er so leben, dass er sich die Worte des Apostels
wahrhaftig zueigen machen kann: „Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum
Vorbild nehme“ (vgl. 1 Kor 4,16;
11.1); er muss leben wie ein zweiter Christus – alter Christus –, der mit dem Glanz seiner Tugenden die Welt
erleuchtet hat und erleuchtet«.
Um gleichsam die untrennbare Verbindung zwischen Keuschheit und
priesterlicher Frömmigkeit hervorzuheben, stellt Pius XI., unmittelbar bevor er
von der Keuschheit spricht, die Bedeutung der Frömmigkeit heraus, wenn er
schreibt: »Wir beziehen uns auf jene solide Frömmigkeit, die nicht von den
unaufhörlichen Gefühlsschwankungen beherrscht wird und auf den Grundsätzen der
sichersten Lehre basiert, welche daher aus jenen festen Überzeugungen besteht,
die den Angriffen und Lockungen der Versuchung widerstehen«. Solche Aussagen lassen
deutlich erkennen, dass das Verständnis des heiligen Zölibats selbst in enger
und tiefer Beziehung zu einer guten lehrmäßigen Ausbildung steht, die treu an
der Heiligen Schrift, an der Tradition und am ununterbrochenen kirchlichen
Lehramt sowie an einer echten Übung der Frömmigkeit festhält, was wir heute „intensives
geistliches Leben“ nennen, sodass man also weder in Sentimentalitäten abdriftet,
die oft in Subjektivismus ausarten, noch jenen ebenso verbreiteten rationalistischen
Auswüchsen verfällt, die einen skeptischen Kritizismus erzeugen, der mit einem klugen
und konstruktiv kritischen Bewusstsein wenig zu tun hat.
Die Keuschheit wird in dem Lehrschreiben Ad Catholici Sacerdotii als »aufs engste mit der Frömmigkeit verbunden«
definiert, »von der sie Festigkeit und Glanz erhalten soll«. Einen Versuch
ihrer rationalen Rechtfertigung nach dem Naturrecht enthält die Aussage: »Ein
gewisser Zusammenhang zwischen dieser Tugend [der Keuschheit] und dem
Priesteramt ist auch mit dem bloßen Licht der Vernunft wahrzunehmen: da Gott
Geist ist, erscheint es angemessen, dass derjenige, der sich dem Dienst an ihm
widmet und weiht, „sich, in gewisser Weise, des Leibes entäußert“«. Auf diese
erste Aussage, die heutzutage nach unserem Dafürhalten eher schwach ist und
jedenfalls die Keuschheit mit der rituellen Reinheit verbindet und ihr Andauern
ausschließen würde, da sie diese an die Gottesdienstzeiten bindet, folgt die
Anerkennung der Überlegenheit des christlichen Priestertums sowohl gegenüber
dem Priestertum des Alten Testaments als auch gegenüber den Erscheinungsformen
von Priestertum, wie sie sich von Natur aus in jeder religiösen Tradition
ergeben.
Im weiteren Verlauf stellt das Lehrschreiben die für jeden Priester als mustergültig
zu wertende Erfahrung von unserem Herrn Jesus selbst in den Mittelpunkt der
Überlegungen und führt dazu aus: »Die große Hochachtung, die der göttliche
Meister für das Geschenk der Keuschheit bewies, indem er sie als etwas pries,
das die allgemeine Fähigkeit übersteigt […], musste gleichsam notwendigerweise
bewirken, dass die Diener des Neuen Bundes den himmlischen Zauber dieser
erlesenen Tugend als Aufforderung wahrnahmen und trachteten, zu denjenigen zu
gehören, „denen es gegeben ist, dieses Wort zu erfassen“ (vgl. Mt 19,11)«.
Diese Aussagen des Lehrschreibens lassen erkennen, dass der Ansatz, die
priesterliche Keuschheit auf das Erfordernis kultischer Reinheit zu gründen,
und die viel umfassendere und heute besser verstandene Forderung, die
Keuschheit als imitatio Christi vorzustellen,
sich gegenseitig ergänzen, wobei Letztere sich als der bevorzugte Weg darstellt,
um dem Meister, der in vorbildlicher Weise arm, keusch und gehorsam lebte,
nachzufolgen.
Ebenso versäumt es Pius XI. nicht, die dogmatischen Erklärungen
hinsichtlich der Keuschheitspflicht zu zitieren, insbesondere das Konzil von
Elvira und das Zweite Konzil von Karthago, die zwar im IV. Jahrhundert
stattgefunden haben, welche aber offensichtlich von einer wesentlich früher gefestigten
Praxis zeugen, die deswegen in Gesetzesform gefasst werden konnte.
Mit einem außerordentlich modernen – das heißt, unserem Denken unmittelbar
zugänglichen – Akzent ist in dem Lehrschreiben die Rede von der Freiheit, mit
der die Gabe der Keuschheit angenommen wird: »Wir sagen “frei”, denn auch wenn es
ihnen nach der Priesterweihe nicht mehr freigestellt und gegeben ist, eine
weltliche Ehe einzugehen, treten sie dennoch zur Priesterweihe an, ohne von
irgendeinem Gesetz oder einer Person gezwungen zu sein, sondern aus eigenem
freien und spontanem Willen heraus«. Gegenüber manchen heute vorgebrachten
Einwänden hinsichtlich eines angeblich hartnäckigen Beharrens der Kirche darauf, den jungen Männern den Zölibat
aufzuerlegen, könnten wir also den Schluss ziehen, dass das maßgebliche Lehramt
Pius XI. den Zölibat dem Ergebnis nach als freie Annahme eines übernatürlichen
Charismas charakterisierte, das niemand auferlegt, geschweige denn auferlegen
könnte. Vielmehr muss die Vorschrift der Kirche als ihre Entscheidung verstanden
werden, nur diejenigen zum Priesteramt zuzulassen, die das Charisma des
Zölibats empfangen und ihn aus freien Stücken angenommen haben.
Auch wenn man berechtigter Weise behaupten kann, dass im Lehrschreiben Ad Catholici Sacerdotii von Pius XI. der
kirchliche Zölibat der Denkweise der Epoche entsprechend eher als auf – freilich
gültige – Argumente der rituellen Reinheit gegründet erscheint, ist es dennoch
möglich, in dem Text den bedeutenden und vorbildhaften Charakter zu erkennen,
der sowohl dem Zölibat als auch der Freiheit Christi beigemessen wird, insofern
als die Priester zu eben dieser berufen sind.
2. Pius XII. und das Lehrschreiben Sacra Virginitas
Ein unter lehramtlichem Gesichtspunkt maßgeblicher Beitrag wurde mit dem am
25. März 1954 veröffentlichten Lehrschreiben Sacra Virginitas des Dieners Gottes Pius XII. erbracht. Wie alle Lehrschreiben
jenes Papstes glänzt sie durch ihren klaren und profunden lehrmäßigen Ansatz,
ihre Gliederung, die reiche Fülle an biblischen, historischen, theologisch-spirituellen
Verweisen und Zitaten und stellt noch heute einen Bezugspunkt von beachtlicher
Bedeutung dar.
Obwohl das Lehrschreiben streng genommen nicht den kirchlichen Zölibat,
sondern die Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen zum formalen Gegenstand
hat, finden sich in ihr dennoch sehr viele Denkanstöße und explizite
Bezugnahmen auf den zölibatären Stand, gerade auch im Hinblick auf das
Priestertum.
Das Dokument besteht aus vier Teilen: der erste Teil umreißt die “wahre Vorstellung
vom jungfräulichen Stande”; im zweiten Teil werden einige Fehleinschätzungen
der Zeit, die auch heute an Brisanz nicht verloren haben, beim Namen genannt
und beantwortet; der dritte Teil behandelt die Beziehung zwischen
Jungfräulichkeit und Opfer; während der letzte Teil einige mit der
Jungfräulichkeit verbundene Hoffnungen und Ängste anspricht.
Im ersten Teil wird die Jungfräulichkeit als eine vortreffliche Weise vorgestellt,
die Nachfolge Christi zu leben. »Denn was heißt “folgen”, wenn nicht
nachahmen?«, so die Fragestellung des Papstes. Und die Antwort: »All diese
Jünger haben sich um der Gleichgestaltung mit Christus, dem Bräutigam, willen
dem Stand der Jungfräulichkeit angeschlossen […]. Ihre glühende Liebe zu
Christus gab sich nämlich nicht damit zufrieden, lediglich aufgrund von
gefühlsmäßigen Banden mit ihm verbunden zu sein: Sie hatte das unbedingte Bedürfnis,
sich durch die Nachahmung seiner Tugenden als solche zu erweisen, insbesondere
durch die Gleichgestaltung mit seinem Leben, welches ganz und gar dem Wohl und
der Erlösung des Menschengeschlechts geweiht war. Wenn die Priester […] die
vollkommene Keuschheit einhalten, geschieht das sicherlich, weil ihr göttlicher
Meister selbst auch bis zu seinem Tod im jungfräulichen Stand verblieben ist«.
Tatsächlich behandelt der Papst den jungfräulichen Stand des Priesters in
Analogie zu dem der Ordensmänner und Ordensfrauen, was sicher nicht zufällig geschieht.
Auf diese Weise zeigt er, dass der Zölibat, der vom juridischen Standpunkt her
zwar seine Eigenheit besitzt, theologisch und geistig letztlich die gleiche
Grundlage hat.
Einen weiteren Grund für den Zölibat sieht der Papst in dem mit dem göttlichen
Mysterium verbundenen Anspruch nach einer tiefen geistigen Freiheit. In dem Lehrschreiben
heißt es dazu: »Damit die heiligen Amtsträger eben diese geistige Freiheit von
Leib und Seele genießen können und um zu vermeiden, dass sie sich in irdische
Angelegenheiten verstricken, verlangt die katholische Kirche lateinischen Ritus
von ihnen, dass sie aus freien Stücken die Verpflichtung zur vollkommenen
Keuschheit auf sich nehmen»; und er fügt hinzu: »Die heiligen Amtsträger
verzichten jedoch nicht einzig und allein deshalb auf die Ehe, weil sie sich
dem Apostolat widmen, sondern auch, weil sie dem Altar dienen«. Das zeigt, wie
sich gerade im Lehramt Pius’ XII. die auf den Kult bezogene Begründung des
Priesterzölibats mit der apostolischen und missionarischen Begründung zu einer
Synthese verbindet, sodass jenseits aller Polarisierungen die reale und
vollständige Einheit der für den Priesterzölibat sprechenden Gründe erscheint.
Im Übrigen bekräftigte Pius XII. bereits in dem Apostolischen Schreiben Menti Nostrae: »Weit davon entfernt,
durch das Gesetz des Zölibats die Vaterschaft zu verlieren, erhebt der Priester
sie ins Unermessliche, weil er nicht für dieses irdische und vergängliche
Leben, sondern für das himmlische und ewige Leben Kinder zeugt«.
Den unverzichtbaren Bezugshorizont des Priesterzölibats stellen also eine Bereitschaft
zur Sendung, die Heiligkeit des Dienstes, eine realistische Nachfolge Christi
und eine fruchtbare, geistige Vaterschaft dar, wobei einige immer latent
vorhandene Fehleinschätzungen korrigiert werden müssen: die Verkennung der
objektiven Vortrefflichkeit des jungfräulichen Standes gegenüber der Ehe (selbstverständlich
nicht aufgrund der Heiligkeit der jeweiligen Person); die Behauptung, es sei
dem Menschen unmöglich, in Jungfräulichkeit zu leben, oder die Absonderung der
Geweihten vom gesellschaftlichen Leben und deren angebliche Weltfremdheit. Dazu
der Papst: »All jene, die die vollkommenen Keuschheit gewählt haben, […] lassen
aufgrund dieses Verzichts die eigene menschliche Persönlichkeit nicht verarmen,
da sie von Gott selber eine geistliche Hilfe empfangen, welche die „gegenseitige
Hilfe“, die die Eheleute einander schenken, unendlich übertrifft. Da sie sich nämlich
ganz Dem weihen, der ihre Grundlage schlechthin ist und der mit ihnen sein
göttliches Leben teilt, verarmen sie nicht, sondern werden über die Maßen reich«.
Diese Aussagen könnten genügen, um mit der gebotenen Klarheit vielen
Einwänden zu begegnen, die noch heute im Bereich der Psychologie und Anthropologie
gegen den Priesterzölibat vorgebracht werden.
Ein letztes grundlegendes, im wahrsten Sinne des Wortes priesterliches
Thema, mit dem sich das Lehrschreiben Sacra
Virginitas auseinandersetzt, ist die Beziehung zwischen Jungfräulichkeit
und Opfer. Mit Bezug auf ein Zitat des hl. Ambrosius bemerkt der Papst: »Zur Annahme
der vollkommenen Keuschheit geben wir nur einen Rat, der jenen Seelen, „denen
es gegeben ist“ (Mt 19,11), dazu
verhilft, sicherer und leichter zur Vollkommenheit gemäß dem Evangelium zu
gelangen […]; weswegen diese […] „nicht auferlegt, sondern angeboten wird“«. In
diesem Sinne und in Weiterführung der Argumentationslinie der großen
Kirchenväter ergeht von Pius XII. ein doppelter Aufruf: Einerseits weist er auf
die Pflicht hin, »die Kräfte richtig abzuschätzen«, um gut zu erkennen, ob man in
der Lage ist, das Gnadengeschenk des Zölibats anzunehmen. Auf diese Weise gibt
man gerade in unseren Tagen der ganzen Kirche ein sicheres Kriterium für eine
aufrichtige Berufungsklärung an die Hand. Andererseits weist er auf den inneren
Zusammenhang zwischen Keuschheit und Martyrium hin, wenn er mit dem hl. Gregor
dem Großen lehrt, dass die Keuschheit das Martyrium ersetzt und zu allen Zeiten
die erhabenste und wirksamste Form des Zeugnisses darstellt.
Allen ist klar, dass gerade in unserer verweltlichten Gesellschaft die
vollkommene Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen eines der wirksamsten und
stärksten Zeugnisse darstellt, um den Geist und das Herz unserer Zeitgenossen
heilsam zu ”provozieren”. In einer stets
in zunehmendem Maße und sozusagen gewaltsam erotisierten Umwelt stellt die
Keuschheit gerade derjenigen, die in der Kirche zum Priestertum des Dienstes bestellt
sind, die vorherrschende Kultur auf immer beredtere Weise infrage, ja, sie wirft
letztendlich die Frage nach der Existenz Gottes selbst auf, nach der
Möglichkeit, ihn kennenzulernen und mit ihm in Beziehung zu treten.
Mir scheint es eine gebotene Pflicht zu sein, noch eine letzte Betrachtung
über das Lehrschreiben Pius’ XII. anzustellen, da es im Vergleich zu anderen
Dokumenten ausgesprochen gegen den heutigen „Mainstream“ gerichtet erscheint, –
dies im Bezug auf viele, bisweilen auch unter Mitgliedern des Klerus und in
einigen Ausbildungshäusern verbreitete Gewohnheiten. Indem er den hl. Hieronymus
zitiert, stellt der Papst nämlich fest, dass »der Bewahrung der Keuschheit mehr
die Flucht als der offene Kampf dient […], und diese Flucht besteht nicht nur im
sorgfältigen Vermeiden der Gelegenheit zur Sünde, sondern vor allem darin,
während dieser inneren Kämpfe den Geist zu demjenigen zu erheben, dem wir
unsere Jungfräulichkeit geweiht haben. „Lenkt euren Blick wieder auf die
Schönheit dessen, der euch liebt“, empfiehlt der hl. Augustinus«.
Heutzutage muss es einem Ausbilder nahezu unmöglich erscheinen, den jungen
Seminaristen den Wert des Zölibats und der Reinheit in einem Umfeld zu
vermitteln, in dem es in der Tat unmöglich ist, das, was angesehen und gelesen
wird, die Verwendung von Internet und Bekanntschaften zu überwachen. Auch wenn eine
wohl durchdachte Einbeziehung der Verantwortung der Kandidaten, was durch ein
freiwilliges und bewusstes Mitwirken an der Ausbildungsarbeit geschieht, immer
offenkundiger und notwendiger geboten erscheint, hält es das Lehrschreiben
dennoch für einen Fehler – und damit stimmen wir voll und ganz überein –,
denjenigen, die sich auf das Priestertum vorbereiten, ohne die notwendige Prüfung
und ohne den erforderlichen Abstand von der Welt, jede Erfahrung zu gestatten. Wer
so vorgeht, versteht vom Menschen, von seiner Psychologie, von der uns
umgebenden Gesellschaft und Kultur herzlich wenig. Es weist darauf hin, dass
man von einer Art vorgefassten, der Wirklichkeit widersprechenden Ideologie befangen
ist. Man braucht sich nur umzusehen. Welch ein Realismus kommt doch in dem
Psalmvers: „Sie haben Augen und sehen nicht…“ zum Ausdruck!
Am Ende dieses kurzen Abrisses über das Lehrschreiben Pius’ XII. muss ich
ehrlich zugeben, dass ich immer wieder von dessen Modernität und Aktualität
überrascht bin (Gleiches gilt für die Enzyklika Pius’ XI.). Auch wenn es dabei
bleibt, dass der sakrale Aspekt des Zölibats sowie der Zusammenhang zwischen der
Feier des Gottesdienstes und der Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen vorherrschend
im Mittelpunkt stehen, legt das Lehramt dieser beiden Päpste dennoch einen
christologisch fundierten Zölibat vor, und zwar sowohl in Richtung einer
ontologischen Gleichgestaltung mit Christus, dem jungfräulichen Priester, als
auch in Richtung einer imitatio Christi.
Es erscheint zum Teil gerechtfertigt, wenn man im päpstlichen Lehramt über
den Zölibat vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein Bestehen auf Argumenten
sakral-ritueller Natur sowie im Lehramt nach dem Konzil eine Öffnung für
Begründungen, die eher christologisch-pastoraler Art sind, auszumachen
vermeint. Dennoch muss man zugeben – und das ist für eine korrekte Hermeneutik
der Kontinuität, also für die “katholische” Hermeneutik, von fundamentaler
Bedeutung -, dass sowohl Pius XI. als auch Pius XII. die Begründungen
theologischen Charakters ausführlich hervorheben. Aus den genannten
Lehräußerungen ergibt sich, dass der Zölibat für den priesterlichen Stand nicht
nur besonders angemessen und zweckdienlich ist, sondern in engem Zusammenhang
mit dem eigentlichen Wesen des Priestertums steht, das als Teilhabe am Leben
Christi, an seiner Identität und somit an seiner Sendung verstanden wird. Es ist
sicher kein Zufall, dass jene Kirchen orientalischen Ritus, die auch viri probati zu Priestern weihen, sich
strikt weigern, verheiratete Priester zur Bischofsweihe zuzulassen!
3. Johannes XXIII. und das Lehrschreiben
Sacerdotii nostri primordia
Wie Sie sicher wissen, hat der selige Johannes XXIII. dem heiligen Pfarrer
von Ars anlässlich des hundertsten Jahrestages seiner Heiligsprechung ein ganzes
Lehrschreiben gewidmet. Darin greift Johannes XXIII. die grundlegenden Themen,
die von Papst Pius XI. und vor allem von Papst Pius XII. ausführlich behandelt
worden waren, d.h. die Jungfräulichkeit und den Zölibat um des Himmelreiches
willen, auf und bringt diese gleichsam stufenweise in die vorbildliche Gestalt
des hl. Jean-Marie Vianney ein, die als Inbegriff des katholischen Priestertums
bezeichnet werden kann.
Der Papst zeigt, wie alle Tugenden, die ein Priester braucht und diesen
auszeichnen sollten, vom hl. Jean-Marie Vianney sich zueigen gemacht und geübt
worden sind, wobei er im Lehrschreiben den Akzent auf die priesterliche Askese,
auf die Rolle des Gebets, die Feier der Eucharistie und auf den daraus
folgenden pastoralen Eifer legt.
In einem wenngleich indirekten Zitat Pius’ XI. anerkennt das Lehrschreiben,
dass für die Erfüllung der priesterlichen Aufgaben eine größere Heiligkeit als
jene, die vom Ordensstand verlangt wird, erforderlich ist und bekräftigt, dass
die Größe des Priesters in der Nachahmung Jesu Christi besteht. Johannes XXIII. schreibt: »Es hieß vom
Pfarrer von Ars, dass die Keuschheit ihm ins Gesicht geschrieben stand. Und tatsächlich
macht jeden, der sich in seine Schule begibt, nicht nur der Heroismus
betroffen, mit dem dieser Priester seinen Leib unterwarf (vgl. 1 Kor 9,27), sondern auch die tiefe
Überzeugung, mit der es ihm gelang, die Schar seiner Beichtkinder einfach mitzureißen«.
Das lässt klar erkennen, dass es für Johannes XXIII. eine Verbindung zwischen der
Treue zur vollkommenen Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen und einem wirksamen
Dienst gab, dass diese Verbindung im Pfarrer von Ars deutlich zutage tritt und
dass diese nicht in den Anforderungen des Amtes ihren Ursprung hat, dass
vielmehr ganz im Gegensatz zu Engführungen auf dienstliche Funktionen des
Priestertums die Treue zum Zölibat überhaupt erst den Dienst in umfassendster Weise
zum Blühen bringt, ja dass sie diese Blüte gleichsam verursacht. Der Papst
fährt fort: »Diese für die Keuschheit notwendige Askese verschließt den
Priester keineswegs in einem sterilen Egoismus, sondern macht sein Herz offener
für die Nöte seiner Mitmenschen und hilfsbereiter: “Wenn das Herz rein ist –
sagte der Pfarrer von Ars treffend –, muss es einfach lieben, denn es hat die
Quelle der Liebe wiedergefunden: Gott«.
Diese theologisch einwandfreie Argumentation gibt recht gut zu verstehen, wie
es sein kann, dass der Geist Gottes und der Geist der Welt in völligem
Gegensatz zueinander stehen. Wir besitzen also die Eckdaten, um verstehen und
aufbauen zu können.
Das Lehrschreiben hebt den grundlegenden Zusammenhang zwischen Zölibat,
priesterlicher Identität und Feier der göttlichen Geheimnisse hervor. Besonders
betont es die Verbindung zwischen der gerade im heiligen Zölibat vollzogenen
täglichen Selbsthingabe und der Darbringung des göttlichen Opfers in der
Eucharistie. Bereits 1959 erkannte also das Päpstliche Lehramt, dass die Desorientierung
in Bezug auf die Treue und die Notwendigkeit des kirchlichen Zölibats in
Vergangenheit und Gegenwart daher rührt, dass dessen Beziehung zur Feier der
Eucharistie nicht angemessen verstanden wird. Denn in ihr nimmt der Priester
nicht nur der Funktion nach, sondern auf wirkliche Weise an dem einzigen und
unwiederholbaren Opfer Christi teil, das sakramental vergegenwärtigt und in der
Kirche für die Rettung der Welt erneut dargebracht wird. Eine solche Teilnahme
beinhaltet Selbsthingabe, die Ganzhingabe sein muss und daher auch das eigene
Fleisch im Stand der Jungfräulichkeit einschließt.
Wer könnte also verkennen, dass zwischen Weihepriestertum und Eucharistie
bzw. Gottesdienst ein lebendiger Zusammenhang besteht? Gottesdienst und
Priestertum sind schicksalhaft miteinander verknüpft. Unmöglich, für den einen
Bereich zu sorgen, ohne gleichzeitig dem anderen Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das
gilt es reiflich zu bedenken, wenn man Hand an die Priesterausbildung legt; ebenso
muss man dies in Bezug auf die Zukunft der Klerikerreform beherzigen, von
welcher der Erfolg der ganz unverzichtbaren Neuevangelisierung abhängt.
Noch heute gilt die Weisung des seligen Papstes – vielleicht noch mit
dramatischeren Akzenten: »Wir bitten unsere geliebten Priester, sich regelmäßig
prüfend zu fragen, mit welcher inneren Haltung sie die heiligen Geheimnisse
feiern, in welcher geistigen Verfassung sie an den Altar herantreten und welche
Früchte sie sich bemühen, dabei zu ernten«. Die Eucharistie ist also zugleich
Quelle und „Gewissensspiegel“ des heiligen Zölibats und der Treue zu ihm –
konkreter Prüfstand für die echte Selbsthingabe an den Herrn.
4. Paul VI. und das Lehrschreiben Sacerdotalis caelibatus
Sacerdotalis caelibatus, veröffentlicht am 24. Juni 1967, ist das
bisher letzte Lehrschreiben eines Papstes, das thematisch ganz dem Zölibat
gewidmet ist. Als sich Paul VI. in der Zeit unmittelbar nach dem Konzil mit der
Gesamtrezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils befasste, spürte er die
Notwendigkeit, mit einem maßgeblichen lehramtlichen Akt die immerwährende
Gültigkeit des kirchlichen Zölibats zu betonen, der damals vielleicht noch
heftiger als heute absichtlich und gezielt sowohl in historisch-biblischer als
auch in theologisch-pastoraler Hinsicht zu delegitimieren versucht und angegriffen wurde
Das Konzilsdekret Presbyterorum
ordinis unterscheidet bekanntlich zwischen Zölibat an sich und
Zölibatsgesetz, wenn es in Abschnitt Nr. 16 feststellt: »Die Kirche hat die
vollkommene und ständige Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen, die von
Christus dem Herrn empfohlen, in allen Jahrhunderten bis heute von nicht
wenigen Gläubigen gern angenommen und lobenswert geübt worden ist, besonders im
Hinblick auf das priesterliche Leben immer hoch eingeschätzt… Der Zölibat ist
in vielfacher Hinsicht dem Priestertum angemessen… Der so im Geheimnis Christi
und seiner Sendung begründete Zölibat wurde zunächst den Priestern empfohlen
und schließlich in der lateinischen Kirche allen, die die heilige Weihe
empfangen sollten, als Gesetz auferlegt«. Diese Unterscheidung findet sich
sowohl im 3. Kapitel des Lehrschreibens Ad
catholici Sacerdotii Pius’ XI. als auch in Abschnitt Nr. 21 des Lehrschreibens
Pauls VI. Beide Dokumente führen das Gesetz des Zölibats immer auf seinen
wahren Ausgangspunkt zurück, den wir in den Aposteln – und über sie – in
Christus selbst finden.
In Abschnitt Nr. 14 des Lehrschreibens sagt der Diener Gottes Paul VI.:
»Wir glauben daher, dass das derzeit gültige Gesetz des heiligen Zölibats auch
heute noch mit dem priesterlichen Amt verbunden sein muss; es muss den Priester
stützen, weil es ihm dabei hilft, sich ganz, lebenslang sowie einzig und allein
der höchsten Liebe Christi zu widmen und sich unbeschwert für den Dienst an
Gott und der Kirche werktätig einzusetzen. Außerdem ist es notwendig, dass der
Zölibat den Lebensstand des Priesters sowohl in der Gemeinschaft der Gläubigen
als auch in der weltlichen Gesellschaft auszeichnet«. Wie unmittelbar
erkennbar, übernimmt der Papst die dem vorangegangenen Lehramt eigenen, auf den
Gottesdienst bezogenen Begründungen und ergänzt sie durch die hauptsächlich vom
Zweiten Vatikanischen Konzil hervorgehobenen Begründungen
theologisch-spiritueller und pastoraler Art, wobei er klarstellt, dass die zwei
Begründungsweisen niemals als gegensätzlich verstanden, sondern vielmehr als in
wechselseitiger Beziehung und in fruchtbarer Synthese zueinander stehend
gesehen werden sollten.
Einen ähnlichen Ansatz findet man in Abschnitt Nr. 19 des Dokuments, wo auf
die Aufgabe des Priesters als Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse
Gottes hingewiesen wird. Der zitierte Ansatz wird entwickelt und gipfelt in Abschnitt
Nr. 21, wo es heißt: »Christus verharrte sein ganzes Leben hindurch im Stand
der Jungfräulichkeit; diese Tatsache kennzeichnet seine Ganzhingabe an den
Dienst für Gott und die Menschen. Diese so enge Verbindung von Jungfräulichkeit
und Priestertum, die in Christus besteht, geht auch auf die über, denen es
gegeben ist, an der Würde und dem Auftrag des Mittlers und ewigen Priesters
teilzuhaben. Diese Teilhabe ist umso vollkommener, je freier der Diener des
Heiligtums von den Bindungen an Fleisch und Blut ist«. Wenn also der Wert des
heiligen Zölibats nur zögerlich verstanden wird, wenn man ihm nur unschlüssig die
angemessene Hochschätzung entgegenbringt und bei Bedarf nur zaudernd für seine
Verteidigung einsteht, könnte das darauf hindeuten, dass die tatsächliche
Bedeutung des Weiheamts in der Kirche und seine unübertreffliche ontologisch-sakramentale
und somit reale Beziehung zu Christus, dem Hohenpriester, unzureichend verstanden
werden.
Auf diese unersetzlichen, den Gottesdienst und die Christologie
betreffenden Bezugnahmen lässt das Lehrschreiben einen klaren ekklesiologischen
Hinweis folgen, der gleichfalls für ein angemessenes Verständnis des Zölibats
und dessen Wertes von wesentlicher Bedeutung ist: »Ergriffen von Jesus Christus und von ihm dazu veranlasst, alles für
ihn aufzugeben, wird der Priester durch jene Liebe, mit welcher der ewige
Priester seinen Leib, die Kirche, geliebt und sich für sie hingegeben hat, um
sie herrlich, als heilige und makellose Braut, vor sich erscheinen zu lassen, Christus
immer mehr angeglichen. Die Gott dargebrachte jungfräuliche Weihe der Amtsträger
bringt nämlich die jungfräuliche Liebe Christi zur Kirche sowie die
jungfräuliche und übernatürliche Fruchtbarkeit dieses Ehebundes zum Ausdruck, aus
dem Kinder Gottes hervorgehen, die nicht aus dem Willen des Fleisches und Blutes
geboren sind« (N. 26). Wie könnte Christus
seine Kirche mit einer Liebe lieben, die nicht jungfräulich wäre? Wie könnte
der Priester, alter Christus,
Bräutigam der Kirche sein, ohne jungfräulich zu sein?
Im ganzen Lehrschreiben tritt so auf klare Weise eine tiefe gegenseitige Verknüpfung
sämtlicher Argumente für den heiligen Zölibat zutage, dergestalt, dass – von
welcher Seite auch immer man es betrachten will – dessen Verbindung mit dem
Priestertum auf je ursprünglichere und innere Weise erscheint.
Im
weiteren Verlauf der Argumentation, bei der ekklesiologische Gründe für die
Unterstützung des Zölibats zur Sprache kommen, stellt das Lehrschreiben in den Abschnitten
Nr. 29, 30 und 31 die unübertreffliche Beziehung zwischen Zölibat und
eucharistischem Geheimnis heraus. In diesem Zusammenhang wird festgestellt,
dass sich durch den Zölibat »der Priester tiefer mit der Gabe verbindet, wenn
er auf dem Altar sein ganzes Leben gleich einem Brandopfer darbringt. […] Wenn also der Priester sich täglich selbst
stirbt und aus Liebe zu Christus und seinem Reich auf die rechtmäßige Liebe von
Braut und Kindern verzichtet, so erwirbt er damit in Christus die Herrlichkeit
eines erfüllten und fruchtbaren Lebens, weil er wie dieser und in ihm alle
Kinder Gottes liebt und sich ihnen in gewisser Weise weiht«.
Die letzte Gruppe von Argumenten, die zur Unterstützung des Zölibats
angeführt werden, betreffen dessen endzeitliche (eschatologische) Bedeutung. Angesichts
der Tatsache, dass das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist (vgl. Joh 18,30), dass nach der Auferstehung
die Menschen nicht mehr heiraten werden (vgl. Mt 22,30) und dass die vollkommene Enthaltsamkeit um des
Himmelreiches willen eine kostbare göttliche Gabe […], ein besonderes Zeichen
himmlischer Gnade ist (vgl. 1 Kor 7,
29-31), wird der Zölibat auch als »ein Zeugnis für das notwendige Streben des
Gottesvolkes nach dem letzten Ziel der irdischen Pilgerschaft und als Ansporn
für alle bezeichnet, ihren Blick auf die höheren Dinge zu lenken« (Nr. 34). Wer
dazu ermächtigt ist, die Brüder zur Erkenntnis Christi, zur Annahme der Offenbarungswahrheiten,
zu einer immer untadeligeren Lebensführung, mit einem Wort, zur Heiligkeit
hinzuführen, leistet also im heiligen Zölibat einen höchst angemessenen und
außerordentlich starken Prophetendienst, der seinem Amt einzigartiges Ansehen
und seinem Handeln sowohl beispielhafte wie apostolische Fruchtbarkeit zu
verleihen vermag.
Außergewöhnlich zeitgemäß antwortet das Lehrschreiben auch auf jene
Einwände, die im Zölibat ein Unterdrücken der Menschlichkeit sehen möchten, insofern
als man um einen der schönsten Aspekte des Lebens gebracht würde. In Abschnitt Nr.
56 schreibt der Papst: »Im Herzen des Priesters ist die Liebe nicht zum Erlöschen
gekommen. Die Liebe wird nämlich aus der reinsten Quelle geschöpft und in der
Nachahmung Gottes und Christi bewahrt. So stellt sie an den Priester keine
geringeren Anforderungen und drängt ihn nicht weniger als jede andere wahre
Liebe zum Handeln; sie erweitert unendlich den Horizont des Priesters, vertieft
und vergrößert sein Verantwortungsgefühl – Zeichen einer reifen Persönlichkeit –,
bringt in ihm erzieherisch eine Fülle von Gefühlen und eine Sensibilität hervor,
die Ausdruck einer höheren und weiter reichenden Vaterschaft sind und ihn in
hohem Maße bereichern«. Mit einem Wort: »Der Zölibat trägt dadurch, dass er den
Menschen insgesamt erhebt, wirksam zu seiner Vervollkommnung bei« (Nr. 55).
Mit der Veröffentlichung des Lehrschreibens Sacerdotalis caelibatus hat Papst Paul VI. 1967 einen lehramtlichen
Akt gesetzt, der vielleicht einer der mutigsten und auf beispielhafte Weise klärendsten
Akte seines ganzen Pontifikats gewesen ist. Dieses Lehrschreiben sollte von
jedem Priesteramtskandidaten gleich zu Beginn seines Ausbildungsweges, in jedem
Falle aber vor der Bitte um Zulassung zur Diakonweihe, aufmerksam studiert und
danach in der akademischen Fortbildungsphase regelmäßig wieder aufgegriffen werden.
Es sollte nicht nur zum Gegenstand des aufmerksamen Bibelstudiums sowie des
sorgfältigen historischen, theologischen, spirituellen und pastoralen Studiums
gemacht werden, sondern auch der vertieften persönlichen Meditation dienen.
5. Johannes Paul II. und das
Apostolische Schreiben Pastores dabo
vobis
Von Beginn seines Pontifikats ab hat sich der Diener Gottes Johannes Paul
II. mit großer Aufmerksamkeit dem Thema des Zölibats gewidmet, indem er dessen fortwährende
Gültigkeit und lebendigen Zusammenhang mit dem Geheimnis der Eucharistie herausstellte.
Am 9. November 1978, also wenige Wochen nach seiner Wahl auf den Päpstlichen Stuhl,
sagte er in seiner ersten Ansprache an den Klerus von Rom: »Das Zweite
Vatikanische Konzil hat uns diese prächtige Wahrheit über das „allgemeine
Priestertum“ des ganzen Gottesvolkes in Erinnerung gerufen, welches sich aus
der Teilnahme an dem einen Priestertum Jesu Christi herleitet. Unser „Priestertum
des Dienstes“, das im Weihesakrament seinen Ursprung hat, unterscheidet sich wesentlich
vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen. […] Unser Priestertum muss rein und
ausdrucksstark sein […], eng an den Zölibat gebunden, […] aufgrund der dem
Evangelium entspringenden Ausdruckskraft und Klarheit, auf die sich die Worte
unseres Herrn Jesus Christus über den Zölibat „um des Himmelreiches willen“
beziehen (vgl. Mt 19,12)« (Abschnitt Nr.
3).
Gewiss kommt dem Apostolischen Schreiben Pastores dabo vobis in Bezug auf alle Themen, die das Priestertum
und die Priesterausbildung betreffen, eine ganz besondere Bedeutung zu. In
diesem Dokument wird das Geschenk des Zölibats als Bindung verstanden, die sich
zwischen Jesus und dem Priester ergibt. Erstmals wird darin auch die
psychologische Bedeutung dieses Bandes erwähnt, ohne dass dies getrennt von der
ontologischen Bedeutung geschieht. So heißt es in Abschnitt Nr. 72: »In dieser
Verbindung zwischen dem Herrn Jesus und dem Priester, einer ontologischen und
psychologischen, einer sakramentalen und sittlichen Verbindung, besteht das
Fundament und zugleich die Kraft für jenes „Leben aus dem Geist“ und jene „Radikalität
des Evangeliums“, zu der jeder Priester gerufen ist und die von der
Weiterbildung in ihrem geistlichen Aspekt begünstigt wird«.
Das Leben aus dem Geist und die radikalen Anforderungen des Evangeliums bilden
also die
beiden unverzichtbaren Leitlinien,
in deren Fortführung sich die bleibende Gültigkeit des priesterlichen Zölibats
auf dokumentierte und motivierte Weise ergibt. Die Tatsache, dass Johannes Paul
II. die Gültigkeit des Zölibats sofort unterstreicht, ihn von seiner ontologisch-sakramentalen
Grundlage her versteht und sogar so weit geht, sich Sachverhalte zueigen zu
machen, die sich durch das Charisma des Zölibats in der Psyche einer reifen
christlichen Priesterpersönlichkeit ergeben, rechtfertigt und ermutigt dazu, diesen
unersetzlichen Schatz der Kirche als Zeichen größter und ununterbrochener
Kontinuität und zugleich als kühnste Art von Prophetendienst auszulegen.
In der Tat könnte man behaupten, dass mit der Infragestellung bzw. Relativierung
des heiligen Zölibats eine Gesinnung verbunden ist, die dem Wehen des Geistes
entgegengesetzt ist, während umgekehrt seine volle Aufwertung, seine angemessene
Annahme, sein leuchtendes und unübertreffliches Zeugnis Offenheit und Prophetie
erkennen lassen. Es handelt sich um wahre Prophetie und das auch in der Kirche
von heute, da sie unter der Last des Eindrucks der jüngsten dramatischen
Vorkommnisse, die ihr weißes Gewand schrecklich besudelt haben, steht; und noch
mehr trifft das zu, insofern als sie sich in einer übererotisierten Gesellschaft
befindet, in der uneingeschränkt eine Banalisierung der Sexualität und der Körperlichkeit
vorherrscht.
Die zölibatäre Lebensweise ruft der Welt laut zu, dass Gott existiert, dass
er die Liebe ist und dass es zu allen Zeiten möglich ist, ganz von ihm her und
für ihn zu leben. Es ist ganz natürlich, dass die Kirche ihre Priester unter
denjenigen auswählt, die auf einer so vollendeten und daher prophetischen Stufe
die Pro-Existenz – das heißt, das Fürsein für einen Anderen, für Christus –
angenommen und zur Reife gebracht haben!
In seinem Lehramt, das der Wertschätzung der Familie und der Rolle der Frau
in Kirche und Gesellschaft eine solch große Aufmerksamkeit schenkt, scheut sich
Johannes Paul II. ganz und gar nicht, die fortwährende Gültigkeit des Zölibats
zu bekräftigen. Mittlerweile hat man übrigens schon zahlreiche Studien zu dem
interessanten und bedeutenden Thema der Körperlichkeit und der „Theologie des
Leibes“ im Lehramt des Dieners Gottes angestellt.
Gerade der Papst, der in jüngster Vergangenheit vielleicht in
umfangreicherem Maß als jeder andere eine Theologie des Leibes ausgearbeitet
und nach ihr gelebt hat, trägt uns durch seine Erklärungen zur
ontologisch-sakramentalen und theologisch-spirituellen Dimension eine radikale
Liebe zum Zölibat auf und lädt uns dazu ein, alle engführenden Ansätze
funktionalistischer Ausprägung zu überwinden.
Ein weiteres Element, das im Lehramt Johannes Pauls II. nicht so sehr als
etwas Neues erscheint (bereits in Presbyterorum
ordinis erwähnt), als einfach hervorragend zur Geltung gebracht wird, ist
die priesterliche Brüderlichkeit. Sie wird dort nicht nach bloß psychisch-emotionalen
Mustern ausgelegt, sondern von ihrer sakramentalen Wurzel her gesehen und zwar sowohl
in Beziehung zur Weihe selbst als auch in Beziehung zum Presbyterium, das
seinen Platz in der Versammlung um den eigenen Bischof hat. Die Brüderlichkeit ist
ein fester Bestandteil des Weiheamtes, dessen „leibliche Dimension“ sie
herausstellt. Sie ist der natürliche Entstehungsort von gesunden brüderlichen
Beziehungen, konkreten materiellen und geistlichen Hilfen. Gerade das uns
aufgetragene Dienstamt wird uns so auf dem gemeinsamen Weg der persönlichen
Heiligung zum Anlass für Kameradschaft und Unterstützung.
Eine letzte Anmerkung möchte ich noch zum Katechismus der Katholischen Kirche machen, der während des
Pontifikats Johannes Pauls II. veröffentlicht wurde (1992). Wie von mehrfacher
Seite unterstrichen, ist er das Arbeitsmittel schlechthin, das uns für eine
korrekte Auslegung der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Verfügung
steht. Auf immer spürbarere Weise sollte er sowohl in der Katechese als auch generell
bei jedem apostolischen Wirken unverzichtbarer Bezugspunkt sein. Der
Katechismus betont auf maßgebliche Weise die fortwährende Gültigkeit des
Priesterzölibats, wenn er in Abschnitt Nr. 1579 ausführt: »Mit Ausnahme der
ständigen Diakone werden alle geweihten Amtsträger der lateinischen Kirche
normalerweise aus den gläubigen Männern gewählt, die zölibatär leben und den
Willen haben, den Zölibat „um des
Himmelreiches willen“ (Mt 19,12)
beizubehalten. Dazu berufen, sich ungeteilt dem Herrn und seiner „Sache“ zu
widmen, geben sie sich ganz Gott und den Menschen hin. Der Zölibat ist ein
Zeichen des neuen Lebens, zu dessen Dienst der Diener der Kirche geweiht wird;
mit freudigem Herzen auf sich genommen, kündigt er strahlend das Reich Gottes
an«.
In diesem Abschnitt des Katechismus finden sich in wunderbar verdichteter
Form alle Themen wieder, die vom Lehramt der Päpste berührt und bisher von uns
untersucht worden sind: Sowohl die kultischen Begründungen als auch jene der imitatio Christi in der Verkündigung des
Reiches Gottes, die vom apostolischen Dienst hergeleiteten, aber auch die
ekklesiologischen und eschatologischen Begründungen. Die Tatsache, dass der
Zölibat in den Katechismus der Katholischen Kirche Eingang gefunden hat, zeigt,
wie sehr dieser mit der Herzmitte des christlichen Glaubens verbunden ist und ein
Zeugnis für jene strahlende Verkündigung darstellt, von welcher im Text die
Rede ist.
6. Benedikt XVI. und Sacramentum Caritatis
Zuletzt widmen wir uns nun dem gegenwärtigen Pontifikat unter Papst
Benedikt XVI., dessen bisheriges Lehramt keinerlei Zweifel darüber aufkommen
lässt, dass der priesterliche Zölibat als disziplinäre Norm fortwährende Gültigkeit
besitzt; vorher und darüber hinaus finden wir aber auch dessen theologische,
besonders aber seine christologisch-eucharistische Grundlage bestätigt.
Dem Thema Zölibat hat der Heilige Vater einen ganzen Abschnitt des Nachsynodalen
Apostolischen Schreibens Sacramentum
Caritatis gewidmet. Darin lesen wir: » Die Synodenväter haben
hervorgehoben, dass das Amtspriestertum durch die Weihe eine vollkommene
Gleichgestaltung mit Christus erfordert. Bei aller Achtung gegenüber der
abweichenden ostkirchlichen Praxis und Tradition ist es doch notwendig, den
tiefen Sinn des priesterlichen Zölibats zu bekräftigen. Dieser wird zu Recht
als ein unschätzbarer Reichtum betrachtet und auch durch die ostkirchliche
Praxis bestätigt, gemäß der die Bischöfe nur unter zölibatär lebenden Männern
ausgewählt werden und die Entscheidung vieler Priester für den Zölibat in hohen
Ehren gehalten wird. In dieser Wahl des Priesters kommen nämlich in ganz
eigener Weise seine Hingabe, die ihn Christus gleichgestaltet, und seine
Selbstaufopferung ausschließlich für das Reich Gottes zum Ausdruck. Die
Tatsache, dass Christus, der ewige Hohepriester, selber seine Sendung bis zum
Kreuzesopfer im Stand der Jungfräulichkeit gelebt hat, bietet einen sicheren
Anhaltspunkt, um den Sinn der Tradition der lateinischen Kirche in dieser Sache
zu erfassen. Deshalb reicht es nicht aus, den priesterlichen Zölibat unter rein
funktionalen Gesichtspunkten zu verstehen. In Wirklichkeit stellt er eine
besondere Angleichung an den Lebensstil Christi selbst dar. Eine solche Wahl
hat vor allem hochzeitlichen Charakter; sie ist ein Sicheinfühlen in das Herz
Christi als des Bräutigams, der sein Leben für die Braut hingibt. In Einheit
mit der großen kirchlichen Tradition, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und
meinen Vorgängern im Petrusamt bekräftige ich die Schönheit und die Bedeutung
eines im Zölibat gelebten Priesterlebens als ausdrucksvolles Zeichen der
völligen und ausschließlichen Hingabe an Christus, an die Kirche und an das Reich
Gottes und bestätige folglich seinen obligatorischen Charakter für die
lateinische Tradition. Der in Reife, Freude und Hingabe gelebte priesterliche
Zölibat ist ein sehr großer Segen für die Kirche und für die Gesellschaft
selbst.« (Nr. 24).
Wie leicht festzustellen ist, wird im Apostolischen Schreiben der Priester wiederholt
eingeladen, die Darbringung seiner selbst bis zum Kreuzesopfer zu leben, um
sich auf diese Weise gänzlich und ausschließlich Christus hinzugeben. Von
besonderer Wichtigkeit ist, dass das Apostolische Schreiben die Verbindung
zwischen Zölibat und Eucharistie betont; sofern diese lehramtlichen theologischen
Grundlinien in der Kirche unverfälscht aufgenommen und in die Tat umgesetzt
werden, kann man dem Zölibat eine vielversprechende und segensreiche Zukunft voraussagen,
denn dann wird es eine Zukunft sein, in der priesterliche Freiheit und
Heiligkeit vorherrschen. Wir könnten also nicht nur vom „hochzeitlichen Charakter“
des Zölibats sprechen, sondern auch von dessen „eucharistischem Charakter“, der
von Christus herstammt, der sich unablässig selbst der Kirche als Opfergabe
darbietet, was sich offensichtlich im Leben der Priester widerspiegelt. Letztere
sind dazu berufen, in ihrem Leben das Opfer Christi, dem sie kraft der
Priesterweihe ähnlich gestaltet worden sind, nachzuvollziehen.
Vom eucharistischen Charakter des Zölibats leiten sich alle möglichen theologischen
Perspektiven ab, die den Priester mit seinem eigentlichen und grundlegenden Amt
konfrontieren: die Feier des heiligen Messopfers, bei der die Worte: „Das ist
mein Leib“ und „Das ist mein Blut“ nicht nur die ihnen innewohnende
sakramentale Wirkung hervorrufen, sondern tatsächlich und immer mehr dazu
führen sollen, dass der Priester sein eigenes Leben als Opfergabe darbringt.
Der zölibatär lebende Priester wird auf diese Weise persönlich und vor der
Öffentlichkeit mit Christus vereinigt; er macht ihn wirklich gegenwärtig und
wird selbst zum Opfer, was im Zusammenhang mit der »eucharistischen Logik der
christlichen Existenz«, von der Benedikt XVI. spricht, steht.
Je mehr im Leben der Kirche die zentrale Stellung einer würdig gefeierten Eucharistie
sowie deren ständige Verehrung in der Anbetung zurück gewonnen wird, um so
größer wird die Treue zum Zölibat und das Verständnis für seinen unschätzbaren
Wert sein und – mir sei diese Bemerkung erlaubt – umso mehr werden wir eine
Blüte der Berufungen zum geweihten Dienst erleben.
Beim Weihnachtsempfang vom 22. Dezember 2006 sagte Benedikt XVI. in seiner
Ansprache an die Mitglieder der Römischen Kurie: »Der wirkliche Grund für den
Zölibat kann nur in dem Satz liegen: Dominus
pars – Du bist mein Land. Er kann nur theozentrisch sein. Er kann nicht bedeuten, der Liebe leer zu
bleiben, sondern muss bedeuten, sich von der Leidenschaft für Gott ergreifen zu
lassen und im innersten Sein mit ihm dann zugleich den Menschen dienen zu
lernen. Zölibat muss ein Zeugnis des Glaubens sein: Glaube an Gott wird konkret
in der Lebensform, die nur von Gott her Sinn hat. Das Leben auf ihn setzen,
unter Verzicht auf Ehe und Familie, das sagt aus, dass ich Gott als Wirklichkeit
annehme und erfahre und ihn deshalb zu den Menschen bringen kann«.
Erst wenn jeder Priester in seinem eigenen Leben die Erfahrung davon macht,
dass der Herr selbst der ihm gegebene „Anteil“ ist, gewinnt der priesterliche
Zölibat als Glaubenszeugnis Wirksamkeit. Wie es der Heilige Vater selbst am 16.
März 2009 bei seiner Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Kongregation
für den Klerus zum Ausdruck gebracht hat, ist der Zölibat eine: »apostolica vivendi forma [...], Teilhabe
an einem „neuen Leben“ im geistlichen Sinne, an jenem „neuen Lebensstil“, den
Jesus, der Herr, eingeführt hat und den die Apostel sich zu eigen gemacht haben«.
Im Verlauf des jüngst vergangenen Priester-Jahres hat sich der Heilige
Vater mehrfach zum Thema Priestertum geäußert. Er tat dies besonders im Rahmen jener
Mittwochsaudienzen, die der Katechese über die tria munera gewidmet waren, in den Ansprachen und Predigten anlässlich
der Eröffnung und des Abschlusses des Priester-Jahres und an den Gedenktagen,
die auf den hl. Jean-Marie Vianney Bezug nehmen. Von besonderer Bedeutung war
der Dialog, den der Heilige Vater mit den Priestern während der großen Abschlussvigil
des Priester-Jahres führte: In seiner Antwort auf die Frage nach der Bedeutung
des Zölibats und nach den Mühen, die man auf sich nehmen muss, um ihn in der gegenwärtigen
Kultur zu leben, antwortete der Papst, indem er von der zentralen Bedeutung der
täglichen Eucharistiefeier im Leben des Priesters ausging. Indem dieser nämlich
in Persona Christi handelnd im „Ich“
Christi spricht, macht er die bleibende Verwirklichung des einen Priestertum
Christi in der Zeit möglich. Der Papst fügte hinzu: »Diese Vereinigung seines „Ichs“
mit dem unseren beinhaltet, dass wir auch in seine Wirklichkeit als
Auferstandener hineingezogen werden, dass wir vorangehen auf das volle Leben
der Auferstehung zu […]. In dieser Hinsicht ist der Zölibat eine Vorwegnahme.
Wir übersteigen diese Zeit und gehen weiter, und so „ziehen“ wir uns selbst und
unsere Zeit auf die Welt der Auferstehung hin, auf […], das neue und wahre
Leben zu«. Und damit bestätigt das Lehramt Benedikts XVI. die innere Beziehung
zwischen der ursprünglich-eucharistischen Dimension und der endzeitlichen
Dimension, welche im Priesterzölibat vorweggenommenen und verwirklicht wird. Mit
einem Streich lässt also der Heilige Vater jede engführende funktionale
Auslegung des Amtes beiseite, schreitet über diese hinaus und stellt das Amt
wieder in seinen weiten und erhabenen theologischen Rahmen hinein. Dann erläutert
er es, indem er dessen wesentliche Beziehung zur Kirche herausstellt und nachdrücklich
all seine missionarische Kraft würdigt, die eben aus jenem „Mehr“ hervorgeht,
das der Zölibat im Hinblick auf das Himmelreich verwirklicht.
Bei dem gleichen Anlass sagte der Heilige Vater auf prophetisch kühne Weise:
» Es ist wahr, dass für die agnostische Welt, die Welt, in der Gott keine Rolle
spielt, der Zölibat etwas ist, das großen Anstoß erregt, weil gerade er zeigt,
dass Gott als Wirklichkeit betrachtet und erlebt wird. Mit dem eschatologischen
Leben des Zölibats tritt die zukünftige Welt Gottes in die Wirklichkeiten
unserer Zeit.«
Wie könnte die Kirche ohne die Provokation des Zölibats überhaupt leben? Ohne
Männer, die bereit sind, heutzutage für Gottes Wirklichkeit auch und vor allem im
eigenen Fleisch Zeugnis abzulegen? Ihren Abschluss und gewissermaßen ihre
Krönung haben diese Aussagen in der außergewöhnlichen Predigt gefunden, die der
Heilige Vater bei der Eucharistiefeier zum Abschluss des Priesterjahres
gehalten hat. In dieser Predigt, deren erneute Lektüre ich empfehle, bat er
darum, dass die Kirche von den kleineren Ärgernissen befreit werden möge, auf
dass das wahre Ärgernis der Geschichte, unser Herr Jesus Christus, sichtbar werde.
Schlussfolgerungen (in 7
Punkten)
Am Ende dieses Beitrags, in dem einige bedeutendere Passagen lehramtlicher
Äußerungen zum Zölibat zur Sprache gekommen sind, die von Pius XI. bis Benedikt
XVI. stammen, versuchen wir nun, vorläufig Bilanz zu ziehen und so eine erste Arbeitsgrundlage
für die Ausbildung der Priester anzubieten, damit sie sich diese Gabe des Herrn
ganz zueigen machen und sie leben können.
1. Zunächst fällt die außerordentlich
tiefe Kontinuität auf, die zwischen
dem Lehramt vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil und jenem nach dem Konzil
besteht. Trotz der spürbar unterschiedlichen Akzente, die einmal eher
liturgisch-sakral, ein andermal eher christologisch-pastoral ausfallen, stimmt
das ununterbrochene Lehramt der genannten Päpste darin überein, dass es den
Zölibat in theologischer Hinsicht auf das Weihepriestertum und auf die
ontologisch-sakramentale Gleichgestaltung mit Christus gründet, auf die
Teilhabe an dem einen Priestertum Christi und auf die sich hiermit ergebende imitatio Christi. Nur eine verfehlte
Auslegung der Konzilstexte könnte dazu verleiten, im Zölibat ein Relikt der
Vergangenheit zu sehen, dessen man sich möglichst schnell entledigen sollte.
Eine solche Einstellung ist nicht nur aus historischer, doktrinärer und
theologischer Sicht falsch, sie ist darüber hinaus vom spirituellen, pastoralen
und missionarischen Gesichtspunkt her sowie im Hinblick auf die Berufungen
äußerst schädlich.
2. Vor dem Hintergrund des in Augenschein genommenen päpstlichen Lehramtes
gilt es, die in manchen Kreisen recht verbreitete Reduzierung des Zölibats auf
ein bloßes kirchliches Gesetz zu überwinden. Der Zölibat ist nur deshalb gesetzlich verankert, weil er mit dem
Priestertum wesenhaft verbunden ist, zumal die Gleichgestaltung mit Christus,
die durch das Sakrament herbeigeführt wurde, ihn erforderlich macht.
In diesem Sinne muss die Erziehung zum Zölibat über jeden anderen
menschlichen und geistlichen Aspekt hinaus eine solide didaktische Dimension
einschließen, denn wenn man den Grund für etwas nicht begreift, kann man sich auch
nicht im Leben daran halten!
3. Die “Debatte” um den Zölibat, die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder
neu entfacht wurde, schafft kein Klima,
das es den jungen Generationen erlauben würde, einen für das priesterliche
Leben so entscheidenden Faktor in Ruhe anzugehen und zu verstehen. Alle sollen das
beherzigen, was das Apostolische Schreiben Pastores
dabo vobis in Abschnitt Nr. 29 maßgeblich zum Ausdruck bringt, indem es das
Votum der ganzen Synodenversammlung ungekürzt wiedergibt: »Die Synode will bei niemandem den geringsten Zweifel an der
festen Entschlossenheit der Kirche aufkommen lassen, an dem Gesetz
festzuhalten, das den zur Priesterweihe nach dem lateinischen Ritus
ausersehenen Kandidaten den frei gewählten ständigen Zölibat auferlegt. Die
Synode drängt darauf, dass der Zölibat in seinem vollen biblischen,
theologischen und spirituellen Reichtum dargestellt und erläutert wird, nämlich
als kostbares Geschenk Gottes an seine Kirche und als Zeichen des Reiches, das
nicht von dieser Welt ist, Zeichen der Liebe Gottes zu dieser Welt sowie der
ungeteilten Liebe des Priesters zu Gott und zum Volk Gottes«.
4. Das Problem, das der Zölibat aufwirft, ist das eines radikal gelebten
Evangeliums! Die evangelischen Räte der Armut, der Keuschheit und des Gehorsam
sind nicht ausschließlich den Ordensleuten vorbehalten; es sind Tugenden, die
mit intensiver missionarischer Leidenschaft gelebt werden sollen. Wir können
unsere jungen Männer nicht verraten! Wir können das Ausbildungsniveau und damit
die Vorgaben des Glaubens nicht senken! Wir können das heilige Gottesvolk, das
auf heiligmäßige Hirten wie den Pfarrer von Ars wartet, nicht enttäuschen! Wir müssen in der Nachfolge Christi radikal sein! Und fürchten wir uns nicht vor
dem zahlenmäßigen Rückgang der Kleriker! Die Zahl geht zurück, wenn das Glaubensthermometer
sinkt, denn Priesterberufe sind eine göttliche „Angelegenheit“, keine menschliche,
und sie folgen der göttlichen Logik, welche in den Augen der Menschen Torheit
ist! Man muss Glauben!
5. In einer in bedenklichem Ausmaß aufs Diesseits gerichteten Welt fällt es
immer schwerer, die Gründe für den Zölibat zu begreifen. Als Kirche müssen wir jedoch
Mut haben und uns fragen, ob wir uns mit dieser Situation abfinden wollen, indem
wir die fortschreitende Verweltlichung von Gesellschaften und Kulturen als
unvermeidliches Faktum hinnehmen, oder ob
wir bereit sind, Hand ans Werk zu legen und eine tiefgreifende und authentische
Neuevangelisierung im Dienst des Evangeliums und damit im Dienst der
Wahrheit über den Menschen in Angriff zu nehmen.
In diesem Sinne glaube ich, dass eine wohlbegründete Unterstützung des
Zölibats und dessen angemessene Aufwertung im Leben der Kirche und der Welt einer
der wirksamsten Wege zur Überwindung der Verweltlichung sein kann. Was sollte Papst
Benedikt XVI. sonst damit bezwecken, wenn er sagt, dass der Zölibat eben »gerade
[…] zeigt, dass Gott als Wirklichkeit betrachtet und erlebt wird.«?
6. In theologischer Hinsicht kann die Wurzel des Zölibats in der neuen Identität
ausgemacht werden, die demjenigen zuteil wird, der die Priesterweihe empfängt. Die
zentrale Stellung der ontologisch-sakramentalen Dimension und die daraus sich
ergebende strukturell eucharistische Dimension des Priestertums stellen den
Rahmen dar, innerhalb dessen sich das Verständnis für den Zölibat auf
natürliche Weise ergibt, sich entwickelt und in existentieller Treue gelebt
werden kann. Die wesentliche Frage kommt
also nicht so sehr in der Debatte über den Zölibat zum Tragen als vielmehr
dort, wo über das Maß an Glaubensstärke gesprochen wird, das unsere Gemeinden
besitzen. In welcher Erwartung des Reiches Gottes oder mit welchem
Verlangen nach der Eucharistie kann eine Gemeinde leben, bei der der Zölibat
nicht in hohem Ansehen steht?
7. Der Untertitel dieses Kolloquiums lautet: „Grundlagen, Freuden,
Herausforderungen“. Ich bin davon überzeugt, dass die beiden ersten Elemente –
die Kenntnis der Grundlagen und die freudige Erfahrung eines im Vollsinn
gelebten und daher zutiefst humanisierenden Zölibats – es erlauben, nicht nur
auf alle Herausforderungen, die die Welt von jeher an den Zölibat stellt, zu
antworten, sondern auch den Zölibat zu einer Herausforderung für die Welt zu
machen. Wie im ersten Abschnitt dieser Schlussbemerkungen angedeutet, dürfen
wir uns nicht von einer Welt ohne Gott, die den Zölibat nicht versteht und ihn
am liebsten abschaffen würde, die Bedingungen vorschreiben oder uns
einschüchtern lassen. Im Gegenteil müssen wir das wohlbegründete Bewusstsein wiedergewinnen,
dass unser Zölibat für die Welt eine Herausforderung ist, die ihre Ausrichtung
auf eine bloße Diesseitigkeit und ihren Agnostizismus in eine tiefe Krise
stürzt und über die Jahrhunderte hinweg laut verkündet, dass Gott existiert und
dass er schlechthin anwesend ist!