Brief von Kardinal Mauro Piacenza
an die Mütter
von Priestern und alle Frauen,
die geistige Mutterschaft ausüben
Zum Hochfest der
Gottesmutter Maria am ersten Januar richtete Kardinal Mauro Piacenza, Präfekt
der Kongregation für den Klerus, einen Brief „an die Mütter der Priester und
Seminaristen und an alle Frauen, die für sie eine geistige Mutterschaft
ausüben“. Wir veröffentlichen den Text dieses Briefs in einer eigenen
Übersetzung.
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„Causa nostrae
laetitiae – Ursache unserer Freude“!
Die Christgläubigen haben seit jeher in tiefer Dankbarkeit die selige
Jungfrau Maria verehrt und in ihr den Ursprung jeder wahren Freude gesehen.
Denn indem sie das ewige Wort in ihrem unbefleckten Schoß aufnahm, schenkte
Maria der Welt den obersten, ewigen Priester, Jesus Christus, den einzigen
Erlöser der Welt. In ihm ist Gott selbst auf den Menschen zugekommen, hat ihn
von der Sünde befreit und ihm das ewige Leben geschenkt, das heißt, er hat ihn
an seinem eigenen Leben teilhaben lassen. Indem sie dem Willen Gottes
gehorchte, wurde Maria auf einzigartige und unwiederholbare Weise zur
Mitwirkerin im Mysterium unserer Erlösung; sie wurde die Mutter Gottes, die
Pforte des Himmels und die Ursache unserer Freude. Die Analogie erkennend,
blickt die gesamte Kirche voll Bewunderung und tiefer Dankbarkeit auf die
Mütter aller Priester sowie auf die Mütter derer, an die diese hohe Berufung
ergangen ist und die sich noch in Ausbildung befinden. Mit tiefer Freude wende
ich mich an diese Mütter.
Die Söhne, die sie zur Welt gebracht und erzogen haben, sind von Christus
schon vor aller Ewigkeit auserwählt worden, um seine „geliebten Freunde“ zu
werden und lebendige Werkzeuge seiner Gegenwart in der Welt zu sein. Durch das
Sakrament der Weihe wird das Leben der Priester endgültig von Jesus übernommen
und in ihn getaucht, so dass durch sie von diesem Augenblick an Jesus selbst
unter den Menschen wirkt. Dieses Mysterium ist so tief, dass der Priester auch
als „alter Christus“ bezeichnet wird, was im Lateinischen „ein zweiter Christus“
bedeutet. Seine armselige menschliche Natur wird nämlich durch die Macht des
Heiligen Geistes erhoben, bis hin zu einer neuen und höheren Verschmelzung mit
der Person Jesu Christi, und wird damit zum Ort der Begegnung mit dem Sohn
Gottes, der für uns Mensch geworden, gestorben und auferstanden ist. Immer wenn
ein Priester den Glauben der Kirche lehrt, ist es Christus selbst, der durch
ihn zum Volk spricht; immer wenn er behutsam die Gläubigen leitet, die ihm
anvertraut sind, ist es Christus selbst, der seine Schäflein hütet; immer wenn
er die Sakramente feiert, besonders das allerheiligste Sakrament der
Eucharistie, ist es Christus selbst, der durch seine Diener die Erlösung der
Menschen wirkt und in der Welt real zugegen ist.
Die Priesterberufung findet meistens in der Familie, in der Liebe der
Eltern und in der ersten Erziehung zum Glauben jenen fruchtbaren Boden, in dem
die Empfänglichkeit für den göttlichen Willen Wurzeln schlagen und ihre nötige
Nahrung finden kann. Zugleich stellt jede Berufung auch für die Familie des
Betroffenen eine unerhörte Neuigkeit dar, die sich den Maßstäben der
menschlichen Beurteilung entzieht und für alle Familienangehörigen immer auch
eine Einladung zur Bekehrung ist. Von dieser Neuigkeit, die Christus im Leben
derer wirkt, die er auserwählt und berufen hat, sind alle Familienangehörigen
und engeren Freunde betroffen, aber einzigartig und besonders ist ganz sicher
die Art, wie die Mutter des Priesters dieses Ereignis erlebt. Einzigartig und
besonders ist nämlich der geistige Trost, der ihr daher entsteht, dass sie ein
Kind ausgetragen hat, das später ein Priester Christi werden sollte. Denn für
jede Mutter kann es nur eine Freude sein, zu sehen, wie das Leben ihres Sohns
sich nicht nur erfüllt, sondern von einer ganz besonderen göttlichen Vorliebe
erleuchtet wird, die ihr Kind auf ewig umarmt und verwandelt.
Wenn auch scheinbar aufgrund der Berufung und der Priesterweihe eine
„Distanz“ entsteht, mit der niemand gerechnet hatte, ein Abstand zum Leben des
eigenen Sohns, die auf geheimnisvolle Weise größer ist, als jede räumliche
Entfernung es jemals sein könnte, so lehrt die zweitausendjährige Erfahrung der
Kirche doch, dass die Mutter eines Priesters ihren Sohn auf eine gänzlich neue
und unerwartete Weise „zurückerhält“: Sie wird lernen, in der Frucht ihres
Leibes durch Gottes Willen einen „Vater“ zu erkennen, der berufen ist, eine
Vielzahl von Brüdern und Schwestern zum ewigen Leben zu begleiten. Jede Mutter
eines Priesters ist auf geheimnisvolle Weise „Tochter ihres Sohnes“. Deshalb
kann sie ihm gegenüber auch eine neue Art der „Mütterlichkeit“ ausüben, in der
stillen, aber wirkungsvollen und unschätzbar kostbaren Nähe des Gebets und im
Opfer des eigenen Daseins für das Amt des Sohns.
Diese neue „Vaterschaft“, auf die jeder Seminarist sich vorbereitet, die
jedem Priester geschenkt ist und von der das gesamte Volk Gottes profitiert,
braucht die Begleitung eines beständigen Gebets und des persönlichen Opfers,
damit die freie Wahl, dem göttlichen Willen Folge zu leisten, immer aufs Neue
gestärkt werde, auf dass die Priester im alltäglichen Kampf um den Glauben
nicht den Mut verlieren und auf immer vollkommenere Weise ihr Leben mit dem
Opfer unseres Herrn Jesus Christus verbinden mögen.
Dieses Werk echter Unterstützung, das im Leben der Kirche immer schon
notwendig war, erscheint heute unabkömmlicher denn je, besonders in unserer
säkularisierten westlichen Kultur, die eine neue, kraftvolle Verkündigung
Christi erwartet. Die Mütter der Priester und Seminaristen sind eine wahre „Heeresschaar“,
die von der Erde Gebete und Opfer zum Himmel erhebt und, zahlreicher noch, vom
Himmel herab als Fürsprecher darum bemüht ist, das Leben der heiligen Hirten
mit jeder Art von Gnaden anzufüllen.
Aus diesem Grund möchte ich von ganzem Herzen meine Ermutigung und meinen
ganz besonderen Dank an die Mütter aller Priester und Seminaristen richten und
mit ihnen auch an alle Ordens- und Laienfrauen, die das Geschenk der geistigen
Mutterschaft für die zum Priesterleben Berufenen angenommen haben und ihr Leben,
ihre Gebete, ihr Leiden und ihre Mühen, aber auch ihre Freuden, für die Treue
und die Heiligung der Priester aufopfern. Durch dieses Opfer nehmen sie auf
besondere Weise teil an der Mutterschaft der Kirche, die ihr höchstes Vorbild
und ihre Vollendung in der allerheiligsten Muttergottes Maria hat.
Ein besonderer Dank möge schließlich bis in den Himmel dringen und zu jenen
Müttern gelangen, die bereits aus diesem Leben abberufen wurden und nun die
Herrlichkeit des Priestertums Christi schauen, an dem ihre Söhne auf Erden
teilhaben. Ihnen sei Dank für ihre wertvolle und auf geheimnisvolle Weise so
wirkungsvolle Fürbitte zugunsten der Priester.
Zusammen mit meinen aufrichtigsten Glückwünschen für ein neues
gnadenreiches Jahr, erteile ich allen diesen Müttern und jeder einzeln meinen
wohlwollenden Segen und bitte für sie die selige Jungfrau Maria, Mutter Gottes
und aller Priester, um die Gabe einer immer tieferen Angleichung mit ihr, der
vollkommenen Schülerin und Tochter ihres Sohnes.
VATIKANSTADT, 01.
Januar 2013 (ZENIT.org).