Brief an die Priester zum Beginn
der Fastenzeit
13. Februar 2013
Aschermittwoch
Liebe Priester,
die heilige Fastenzeit ist eine Zeit der Gnade, in der die Kirche ihre
Kinder aufruft sich vorzubereiten, um die Bedeutung und die Früchte des Mysteriums
von Passion, Tod und Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus besser verstehen
und empfangen zu können: «Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr
hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft
bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die
Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr
des Herrn ausrufe» (Jes 61,
1-2). Die “Zeit der Gnade” ist jene Zeit, in der Gottvater in seiner
unendlichen Barmherzigkeit und durch den Heiligen Geist über alle Menschen, die
guten Willens sind, all jene geistlichen und materiellen Gaben ausgießt, die erforderlich
sind zum Voranschreiten auf dem Weg der christlichen Vollkommenheit, der das
Streben nach einer vollkommenen Ebenbildlichkeit mit dem Sohn ist: «Wir wissen,
dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt, bei denen, die nach
seinem ewigen Plan berufen sind; denn alle, die er im voraus erkannt hat, hat
er auch im voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes
teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei» (Röm 8,
28-29). Damit dies möglich ist, will Er selbst Teil unseres Lebens werden, und Er
wünscht darüber hinaus ein Aufleuchten unserer Person, damit der, der uns
sieht, in unserem Denken und Handeln die Züge Christi zu erkennen vermag: «Ich aber bin durch
das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus
gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe,
sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe,
lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich
hingegeben hat. Ich missachte die Gnade Gottes in keiner Weise» (Gal 2, 19-21).
Die Episode der Taufe im Jordan (Mt 3,
13-17; Mk 1, 9-11; Lk 3, 21-22; Joh 1, 29-32), auf die die Erfahrung der vierzig
Tage in der Wüste folgt, «damit er vom Teufel versucht werde» (Mt 4, 1), fordert
uns zur Erkenntnis auf, dass wir, um den Weg der Heiligkeit sicher beschreiten und
um die Gnadengaben des Heiligen Geistes erhalten zu können, eine
Aufnahmefähigkeit und Fülle erlangen müssen, die uns nicht selbstverständlich
gegeben ist. Vielmehr wird sie ständig durch die Sünde bedroht und muss Tag für
Tag erobert werden. Die Übung der Busse macht uns daher nicht von sich aus der
Errettung teilhaftig. Sie ist aber auf jeden Fall unverzichtbare Bedingung für
das Heil: «Du bedarfst nicht unseres Lobes, es ist ein Geschenk deiner Gnade,
dass wir Dir danken. Unser Lobpreis kann Deine Größe nicht mehren, doch uns
bringt er Segen und Heil durch unseren Herrn Jesus Christus» (Römisches
Messbuch, Präfation für Wochentage IV). Durch die Last des menschlichen Lebens,
(die er seinem geliebten Sohn bewusst nicht vorenthalten hat), trägt Gott zur
notwendigen Läuterung unseres Denkens, Wollens und Handelns bei. Er tut dies um
unseres größeren Wohles willen: «Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater
ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab, und
jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt» (Joh
15, 1).
All dies sollte für einen Diener Gottes von
größter Bedeutung sein. Nicht nur weil der Priester einfach „das gute Beispiel“
zu geben hat – «Darum laufe ich nicht wie einer, der ziellos läuft, und kämpfe
mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt; vielmehr züchtige und
unterwerfe ich meinen Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst
verworfen werde» (1 Kor 9, 26-27) –, sondern auch aus einem sehr viel tieferen
theologischen und übernatürlichen Grund heraus. Der Priester ist nämlich
aufgerufen, nicht einfach nur die göttliche Gnade zu verwalten und Christi
Sendung – in Erwartung seiner Wiederkehr – durch die Zeitenläufe hindurch
weiterzutragen. Er ist nicht einfach nur ein Beamter des Heiligen. Wie aus der
berühmten und zitierten Passage des Galaterbriefes hervorgeht, ist der Priester
vielmehr aufgerufen, trotz eigener Schwächen in seinem Sein, in seinem Fleische
und in seinem Blute, das Sein Christi, der sich zum geopferten Lamm, zum
Liebesopfer gemacht hat, lebendig werden zu lassen.
Für einige mag es eine falsche
Einschränkung sein zu sagen, dass das, was den Priester vor allem ausmacht, die
Feier der heiligen Messe ist. Sicherlich ist dies nicht seine einzige Aktivität,
doch können wir sagen, dass es die einzige ist, durch die das Geheimnis des
Priesters als alter Christus, der
zugleich opfert und sich darbringt, aufleuchtet und sich in höchster und
wirksamster Weise erfüllt. Die Kraft des Sakramentes der Eucharistie verwandelt
die Kirche zum Ebenbild ihres Bräutigams, und verwandelt vor allem jene, die Sinnbild
und Mysterium, Zeichen und Realität dieses Bräutigams sind. Deshalb können wir
sehr wohl sagen, dass die Größe des Priesters gerade hierin liegt. Und nicht in
der Tragweite seines Wissens, nicht in der seelsorgerischen Fähigkeit, nicht im
Geist des Erbarmens, obwohl dies alles notwendige Dinge sind, die eine
Vorbereitung erfordern und einen Einsatz, der keinerlei Mittelmaß zulässt. Doch
nichts von alledem ist vergleichbar mit der geheimnisvollen Teilnahme am Opfer Christi. Diese Teilnahme lebt eher im
Sein des Priesters als in seinem Handeln. Daraus ergibt sich, dass die
Feier der heiligen Messe für einen Priester nicht einfach nur Lobpreisung,
Danksagung, Fürbitte und Sühne sein kann, wie jeglicher andere Moment des
Gebets oder irgendeiner Buße. Sie ist, voll und ganz, Leben und Daseinsgrund
des christlichen Priesteramtes, wahrer „Atem“ all jener, die durch das
Sakrament der heiligen Weihe unlösbar und auf ewig mit Ihm verbunden sind, der
bis zur Erschöpfung seiner Kräfte Gabe der Liebe geworden ist: «Christus hat
für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt»
(1 Petr 2, 21).
Möge also diese Fastenzeit für jeden
Priester eine Zeit der Buße und der Läuterung sein, der gegebenen und
empfangenen Barmherzigkeit, doch mehr noch eine Chance, in der täglichen Zelebration
den Wert der Eucharistie, die geheimnisvolle Anwesenheit des Gottes der Liebe,
Quell des Lebens für den Priester und die Mitbrüder ist, und der eigenen
Beziehung zu ihr wieder zu entdecken. Maria, die eucharistische Frau, weil sie
vollkommene Jüngerin jener Liebe ist, die Opfergabe wird, möge uns helfen, die
unermessliche, uns zuteil gewordene Gnade zu erfassen und sie, ihrem Beispiel
folgend und ihrem Schutz anbefohlen, in Demut, Innigkeit und Treue zu leben.
Mauro Card. Piacenza