Kraków, Dienstag 16. April 2013 –  14.00 Uhr

Vorstellung

der Neuausgabe des “Direktoriums für Dienst und Leben der Priester”

und des Buches „Priester in der Moderne“

vor den Verantwortlichen für die Ständige Weiterbildung des Klerus in Polen

Ansprache

von Kard. Mauro Piacenza

Präfekt der Kongregation für den Klerus

 

 

Liebe Mitbrüder und Freunde,

 

die Aufmerksamkeit gegenüber der Ausbildung und dem Leben unseres Klerus muss in unseren Gedanken immer an erster Stelle stehen, im Bewusstsein, dass wir dadurch eine wahre cura animarum für das gesamte Gottesvolk erfüllen können.

Gerade durch einen gut ausgebildeten Priester, der unerschütterlich im Glauben, unbeirrbar in Spiritualität und Nächstenliebe ist, der eine gute kulturelle Basis hat, moralisch treu und seelsorgerisch bemüht ist, können wir, als Hirten der Kirche, die Gemeinschaft und alle Menschen pflegen, die der Herr uns anvertraut.

Gerade aus dieser Perspektive, die wir als klassische Perspektive der „Ausbildung der Ausbilder“ definieren können, hat die Kongregation für den Klerus eine Neuausgabe des Direktoriums für Dienst und Leben der Priester veröffentlicht; im Vergleich zur Ausgabe von 1994 ist es erweitert und aktualisiert worden. Besonders berücksichtigt wurden der lehramtliche Beitrag des seligen Johannes Paul II und jener des emeritierten Heiligen Vaters Benedikt XVI, insbesondere der zum Jahr der Priester verfasste, durch den ein bedeutender Beitrag zur eingehenden Untersuchung der Identität der Priester formuliert wurde.

Meinen vorliegenden Beitrag werde ich in drei grundlegende Punkte gliedern, die den drei Teilen des Direktoriums entsprechen, wobei ich die Identität des Priesters, die priesterliche Spiritualität und die lebenslange Weiterbildung ansprechen werde. Eine abschließende Schlussbemerkung wird der Schrift gelten, die ebenfalls heute vorgestellt wird: „Priester in der Moderne“. Diese Veröffentlichung soll den Mitbrüdern bei der kulturellen und sozialen Analyse unserer Zeit behilflich sein, um eine bestmögliche, vor allem auf dem Glauben, eher als auf menschlichen Strategien, aufbauende Antwort geben zu können.

Warum ein Direktorium? Könnte das Direktorium nicht den Eindruck vermitteln ein überholtes Instrument zu sein, in einer Zeit der Bewusstseinsbildung und der Freiheit, die jeder Form von „Führung“ gegenüber allergisch ist?

Eigentlich sollte der Geist mit dem das Direktorium aufgenommen wird, zweifach geartet sein: einerseits will das Direktorium einen weitgreifenden, umfassenden Horizont bieten, auf den man stets seinen Blick richten kann um die Ausrichtung des eigenen Werdegangs als Priester zu erkennen oder wiederzuerkennen, und um zu vermeiden, sich in tausend, von der zeitgenössischen Kultur gebotenen, Kleinigkeiten zu verzetteln. Andererseits, vorbehaltlich angemessener und gebührender Unterscheidungen, sollte das Direktorium fast als Lebensregel gesehen werden, als Hilfe bei der komplexen, schrittweisen Reifung der persönlichen Freiheit und Treue, in etwa so wie dies für Satzung und Regeln der verschiedenen Orden gilt, die einen Lebenssinn und dadurch den konkreten Lebensweg aufzeigen, durch die man zum Ziel gelangt. So könnten wir also auch sagen, dass sich hinter einem „alten Namen“ eine ständig sich erneuernde Realität verbirgt, wie sich ja auch, in jeder Generation, das Herz der Menschen erneuert (vgl. Benedikt XVI, Spe salvi, 24), das nach der Begegnung mit dem Mysterium strebt und von der übernatürlichen Begleiterin, der Kirche, geformt werden möchte.

 

1. Die Identität des Priesters

Ich möchte hier nun nicht die gesamte Theologie des Priestertums aufrollen, die Sie ja sicher alle gut kennen. Vielmehr möchte ich meine Aufmerksamkeit auf zwei Elemente fokussieren, die meiner bescheidenen Ansicht nach, vor allem in heutiger Zeit, große Aufmerksamkeit erfordern: die ekklesiologische Dimension und jene der priesterlichen Communio.

 

1.1 Ekklesiologische Dimension

«Christus, der dauernde und immer neue Quell des Heils, ist das ursprüngliche Geheimnis, aus dem das Geheimnis der Kirche hervorgeht. Sie ist sein Leib und seine Braut, die er als Bräutigam berufen hat, Zeichen und Werkzeug der Erlösung zu sein. Durch das den Aposteln und ihren Nachfolgern anvertraute Werk fährt Christus fort, seiner Kirche Leben zu schenken. In ihr findet der Dienst der Priester seinen natürlichen „Ort“ und erfüllt er seine Sendung.» (Direktorium, 13).

Aus dem Kontext eines solchen, natürlichen „Ortes“ herausgerissen, ist der Priester undenkbar. Er wird innerhalb und für die Kirche geboren; genauer gesagt, wird der Priester, durch die Kirche, aus Gott geboren, um den der Kirche geweihten Menschen zu dienen, und durch sie der Kommunion mit Gott.

Die kirchliche Dimension kann nicht einfach nur auf Formen der Selbstbezogenheit oder des Horizontalismus zurückgeführt werden, vielmehr beschreibt sie die tiefgehende Verbindung des Priesteramtes mit Christi heilbringendem Handeln durch alle Zeiten. Erneuert die Kirche Christi Gegenwart in der Geschichte, bis hin zu ihrer Auflösung, so sind die Priester das Instrument, das eine solche Erneuerung ermöglicht, auf dass das Reich Gottes fortbestehe und weiter verkündet werde, Barmherzigkeit geübt und das Brot des Lebens geteilt werde.

Grundlegend in dieser ekklesiologischen Dimension des Priesteramtes ist die Teilnahme eines jeden Priesters an Christi Bräutigam-Sein, wie wir es in Pastores dabo vobis finden: «Christus, dem Diener und Bräutigam der Kirche» (PDV, 3). Gleich Christus, der die Kirche so sehr liebt, dass er sich ganz ihr hingibt, so ist jeder Priester berufen - durch die Teilnahme an eben derselben Priesterschaft Christi, und diese Haltung in der Beziehung zu ihm verankernd - seine Braut, die Kirche, zu lieben, täglich sein Leben für sie hingebend.

Das eigene Leben für die Kirche hinzugeben könnte jedoch als Abstraktion erachtet werden, sofern der Leib der Kirche nicht die konkrete Gestalt des uns anvertrauten Gottesvolkes annehmen würde. Nach nunmehr 50 Jahren sollten wir die Polarisierung zwischen Leib Christi und Gottesvolk, in der Definition der Kirche, als absolut veraltet betrachten. Diese beiden Dimensionen müssen ständig miteinander verwoben werden, da es gegenüber dem Volk Gottes keinen „anderen“ Leib gibt, den Gott beruft und zu sich ruft. Gerade die übernatürliche Berufung durch den Allerhöchsten lässt dieses Volk zu einem Leib werden, einem Stamm sui generis - wie der Diener des Herrn Paul VI zu sagen pflegte - der gerade Kraft seiner übernatürlichen Beziehung zu dem ihn immerfort berufenden Gott, lebt und besteht.

Der Kirche dienen bedeutet also, mit dem Herrn zusammenzuarbeiten bei der Erbauung ihres Leibes, bei der Berufung seines Volkes, welchem das immerwährende Recht zusteht, die Verkündung der Frohbotschaft zu hören, die göttliche Barmherzigkeit zu erleben und sich mit dem Brot der Eucharistie zu nähren. Keinesfalls steht der Gehorsam den Gesetzen und Regeln der Kirche im Widerspruch zur Fürsorge gegenüber dem Gottesvolk. Ganz im Gegenteil stellt es dessen Konkretisierung dar, im demutsvollen Bewusstsein, das jedem Priester eigen sein sollte, dass nicht er als Individuum der Urheber der Berufung ist, sondern dass er ein einfaches Instrument im Rahmen eines großen Leibes ist, der seine Kreativität, die nur in der Treue wahrlich zu fruchten vermag, aufnimmt und hervorhebt.

Mit großem Nachdruck hat uns daran auch Papst Franziskus erinnert: „Unsere Salbung haben wir erhalten um das Volk zu salben“ (Homelie Chrisam-Messe,28. März 2013). Dieses Bild hat mich persönlich sehr berührt, vor allem in der Passage, in der der Heilige Vater die Prüfung dieser Salbung mit der Freude verglichen hat, die aus den Gesichtern der Menschen strahlt, wenn sie aus unseren Gottesdiensten kommen. Waren diese wahre Salbung, also wahre Verkündung der Frohbotschaft, dann erstrahlt im Herzen und im Antlitz unserer Gläubigen wahre Freude.

Sehr wohl wissen wir, liebe Mitbrüder, dass nur das Bewusstsein die Salbung erhalten zu haben, auch täglich und beständig ihre Weitergabe ermöglicht. Wenn einem auch manchmal etwas „vertrocknete“ Priester begegnen mögen, die der Salbung unfähig geworden sind, so ist dies höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass sie selbst das Bewusstsein ihrer eigenen Salbung verloren haben. So ist die erste Aufgabe der Hirten und der Verantwortlichen der Grundausbildung und der Weiterbildung des Klerus, gerade diese: das Bewusstsein, die Erinnerung der Salbung ständig zu erneuern, in der Überzeugung, dass aus ihr alle missionarische Fruchtbarkeit und Fähigkeit entsteht.

Des Weiteren wissen wir, dass jede ekklesiologische Dimension des Priesteramtes in sich die „Universalität der Priesterschaft“ birgt. Alle Priester sind selbstverständlich Teil der Kirche, doch auch im Angesicht der Kirche „dienen sie gemäß ihrer Berufung und Gnade dem Wohl der ganzen Kirche Daher darf die durch die Inkardination gegebene Zugehörigkeit den Priester nicht in einer engen und partikularistischen Mentalität einschließen. Vielmehr muss er zum Dienst auch an anderen Kirchen offen sein, weil jede Kirche die Verwirklichung eines Teiles der einzigen Kirche Jesu Christi ist.“ (Direktorium, 15).

Sehr deutlich zeigt sich, dass die richtige Auffassung der ekklesiologischen Dimension des Priesteramtes auch ein sich Zuwenden zur Evangelisierung mit sich bringt, das - in seinen unterschiedlichsten Dimensionen interpretiert - heute notwendiger denn je erscheint, wollen wir erwirken, dass die Neuevangelisierung nicht nur ein demagogisch ständig wiederholter Slogan bleibt, sondern konkrete Realität von Männern und Frauen wird, die durch unsere Verkündung und unser Zeugnis angeregt, sich zu Christus bekehren, ihr Leben ändern und damit die Gesellschaft neu gestalten und die Geschichte neu schreiben.

Jeder Priester muss diese missionarische Realität seiner Priesterschaft voll im Bewusstsein haben und sie im Einklang mit der Kirche leben, die als Leib die Fürsorge für alle Menschen empfindet; mit den Worten des seligen Johannes Paul II soll er bedenken, dass die Neuevangelisierung „neu in ihrem Eifer, in ihren Methoden und in ihrer Ausdrucksweise“ wird sein müssen (Johannes Paul II., Ansprache an die Vollversammlung des CELAM, 9. März 1983, in Direktorium, 21).

Es ist sicher kein Zufall, wenn unser seliger Papst erst von Eifer und dann von Methoden und Ausdrucksweise der Evangelisierung gesprochen hat. Es wäre vollkommen überflüssig neue Methoden und neue Ausdrucksweisen zu suchen, wenn dies ohne Eifer geschähe, ohne jene Kraft, die aus dem Heiligen Geist und der Salbung entsteht, jene Energie, die sich beständig und auf übernatürliche Weise erneuert, in der Priesteridentität wurzelnd.

Unmissverständlich wurde dies auch von Paul VI in Evangelii nuntiandi gesagt und von Benedikt XVI im Motu proprio “Porta fidei”: „Der Glaube wird durch das Schenken desselben gestärkt“ (vgl. Dirktorium, 21). Wir alle, liebe Priester-Mitbrüder, wissen, dass die innigste Freude des Dienstes gerade mit der Weitergabe des Glaubens an die Brüder verbunden ist, mit der authentischen Begegnung der Seele mit Gott und mit ihrer Rückkehr zu Gott. Die Priester, die so zum Bräutigam der Kirche werden, erleben auch die wahre spirituelle Vaterschaft, nicht nur indem sie die Brüder auf dem Weg des Glaubens begleiten, sondern auch indem sie - möge Gott uns gewähren, dass dies immer so sei - Glauben entstehen lassen, durch ihr Zeugnis, durch die Katechese, die Predigten und die Sakramente.

Eifer in der Evangelisierung und die kirchliche Dimension unseres Dienstes sollen die Gründe sein, die uns dazu führen, immer aufmerksamer an unserer Humanität zu arbeiten, an unseren Grenzen, an unseren manchmal fortbestehenden Mängeln. Wir sollen nicht aus einem narzisstischen Wahn asketischer Perfektion heraus an uns arbeiten, sondern aus Liebe zu Gott und zu den Menschen! Denn kein Element unseres Menschsein soll die Begegnung der Menschen mit Gott behindern, die Barmherzigkeit und die liebevolle Aufnahme einschränken, die der Herr seinen Kindern durch unsere Humanität erweisen möchte.

In diesem Sinne lassen „die Priester in ihrem Leben die ergreifenden Worte des Apostels wahr werden: „meine Kinder, für die ich von neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt annimmt“ (Gal 4,19). (Direktorium, 24).

Aus dieser ekklesiologischen Sicht muss die Übung des munus regendi von den Bischöfen beständig aufgenommen und interpretiert werden. Christi Vorbild folgend, ist dies eine Kraft, die zum Dienst wird, eine übernatürliche Kraft im Dienste der übernatürlichen Begegnung der Seelen mit Gott. Es ist ein wahrer amoris officium, eine selbstlose Hingabe zu Gunsten des Gottesvolkes, konsequent und in Demut gelebt, beständig der zweifachen, widersprüchlichen Versuchung widerstehend: über die Herde herrschen, oder die eigene Hingabe an Christus, Herr und Hirte, zu verlieren; beide Interpretationen sind subjektiver Prägung und nicht kirchlich.

In diesem Rahmen ist die lehramtliche Klarheit, hinsichtlich der wesentlichen Unterscheidung zwischen allgemeiner Priesterschaft und Priesteramt, erforderlich, im Bewusstsein, dass einerseits Letzteres auf die Ausübung Ersterer ausgerichtet ist, und andererseits, dass - wie Presbyterorum ordinis lehrt - nur durch die Aufopferung der Priester die gläubigen Laien die Hingabe ihrer selbst an Gott, eucharistisch gesehen, zu erfüllen vermögen.

 

1.2  Die Kommunions-Dimension

Wollten wir einen, vom Zweiten Vatikanischen Konzil bezüglich des Priesteramtes eingehend betrachteten, Aspekt authentischer „lehramtlicher Neuheit“ ausmachen, so könnten wir ihn im Begriff „priesterliche Kommunion“ finden, die den Priester mit Gott und dem Priesteramt verbindet. So wird er Teil eines Leibes, dem auch der Bischof innig und zutiefst verbunden ist und der Priester ist nicht dessen bloßer Handlanger, sondern sein persönlicher Mitarbeiter.

Wollte man von der innigen und reellen Kommunion mit der Heiligen Dreifaltigkeit absehen - insbesondere mit Christus als Priester - und von der Kommunion mit der Kirche, bezeugt durch die hierarchische Kommunion und die Eucharistiefeier, wäre es nicht nur schwierig das Priesteramt auszuüben, es wäre schlichtweg unmöglich!

Abgesehen von den legitimen, gleichzeitig bereichernden persönlichen, charakterbedingten und spirituellen Unterschieden, ist - zur Erwirkung einer Erneuerung der priesterlichen Identität und des missionarischen Eifers - die Kommunion mit der Kirche absolut unabdingbar. Diese offenbart sich entstehungsgemäß in der konkreten Kommunion mit den rechtmäßigen Vorgesetzten, mit der Pfarrei, der man angehört und mit all jenen Brüdern und Schwestern, die der Herr dem Priester auf seinen Weg schickt.

Hinsichtlich dieses eindeutig mit der ekklesiologischen Priesteridentität verbundenen Aspekts der Kommunion, möchte ich hervorheben, was unter Nr. 40 im Direktorium gesagt wird: „Das gemeinschaftliche Leben ist Abbild jener apostolica vivendi forma Jesu und seiner Jünger. Mit dem Geschenk des heiligen Zölibats um des Himmelreiches willen hat der Herr uns in besonderer Weise zu Mitgliedern seiner Familie gemacht.“ In einer immer stärker säkularisierten Welt, in der das Gottesvolk, auch der Nächststehende, nicht immer die „Familie“ des Priesters darstellt, ist die apostolica vivendi forma eine wahre Möglichkeit freudigen und lebendigen Zeugnisses, das die Treue zu den, durch die Priesterweihe übernommenen, Verpflichtungen stärkt, einschließlich des Zölibats, und eine wirksamere Evangelisierung ermöglicht.

 

2. Die priesterliche Spiritualität

In der vom Direktorium gegebenen Beschreibung priesterlicher Spiritualität, ist das Binomium „Bekehrung-Evangelisierung“ grundlegend. Es wird darauf verwiesen, dass grundlegende Voraussetzung einer wirksamen Evangelisierung gerade die wahrhafte Beteiligung des Priesters am großen Werk der beständigen Bekehrung ist, zu der alle Christen berufen sind. In diesem Sinne ist „die Berufung zur Neuevangelisierung vor allem eine Berufung zur Bekehrung“ (Johannes Paul II, Santo Domingo, 12 Oktober 1992).

Aus dieser Voraussetzung ergibt sich das Primat des spirituellen Lebens, im Sinne von „mit Christus im Gebet sein“, weisheitsvoll alle von der kirchlichen Tradition dem Priester gebotenen Möglichkeiten nutzend, die er jedoch nie als selbstverständlich erachten darf. Daran erinnerte mit unglaublicher Klarheit der emeritierte Papst Benedikt XVI, während der Predigt zur Chrisam-Messe 2008: „Zum Dienen gehören schließlich noch zwei weitere Aspekte. Niemand ist seinem Herrn so nahe wie der Diener, der ins Privateste seines Lebens Zugang hat. Insofern bedeutet Dienen Nähe, fordert Vertrautheit. Diese Vertrautheit birgt auch eine Gefahr: Das Heilige, dem wir immerfort begegnen, wird uns gewöhnlich. Die Ehrfurcht erlischt. Wir spüren durch alle Gewohnheiten hindurch das Große, Neue, Überraschende nicht mehr, dass ER selber da ist, zu uns redet, sich uns schenkt. Dieser Gewöhnung ans Große, der Gleichgültigkeit des Herzens müssen wir immer wieder entgegentreten, immer neu unsere Armseligkeit erkennen und die Gnade, die es ist, dass ER sich so in unsere Hände gibt.“ So ist das Gebet für den Priester also nicht eine Pflicht, der er nachkommen muss, sondern eine wahre imitatio Christi: ein Nachahmen des betenden Christus, wobei das Gebet als unabdingbare Voraussetzung der Kommunion erlebt wird.

Das Primat der spirituellen Dimension im Leben des Priesters erfordert beständige Wachsamkeit gegenüber dem so genannten Funktionalismus. «Tatsächlich nimmt man nicht selten, auch seitens einiger Priester, den Einfluss einer Mentalität wahr, die irrigerweise dazu neigt, das Amtspriestertum lediglich auf die funktionalen Aspekte zu reduzieren. Von Beruf Priester sein, dabei einzelne Serviceleistungen anbieten und manche Dienste garantieren, wäre demnach die ganze priesterliche Existenz» (Direktorium, 55).

Wer so lebt, läuft wirklich die Gefahr, wie Papst Franziskus gesagt hat, dass sein Öl ranzig und sein Herz bitter wird. Aus diesem Grund ist nur die innige Beziehung zu Christus der Bereich, in dem jedwede Form pastoraler Kreativität erkannt und gelebt werden soll, und jede löbliche Initiative sollte ausschließlich auf jene persönliche und gemeinschaftliche Begegnung mit dem Auferstandenen, die den wesentlichen Kern der Neuevangelisierung bildet, ausgerichtet sein.

Aus diesem Kern entsteht - dies ist das zweite grundlegende Thema der authentischen spirituellen Dimension des Dienstes - das Erleben jedes Dienstes als wahre, persönliche Gelegenheit der Heiligung und der Stärkung der eigenen Identität.

Im Gegensatz zu dem was manchmal behauptet wird, gibt es im Priesteramt keine vorhergehende Identität, die man ablegt wenn man sich pastoralen Aufgaben zuwendet, oder eine subjektiven Heiligkeit, von der man absehen kann. Ganz im Gegenteil, gerade im demütigen, getreuen und täglichen Ausüben des Dienstes erlebt der Priester das Sich-Erneuern und Gestalten seiner Identität, und dadurch die Kräftigung seines Werdeganges in Askese und Heiligung. Mit jeder Messe, die er zelebriert, wird der Priester immer mehr zum Priester! Mit jedem Schäfchen, das er zur Herde zurückführt, wird der Hirte zum besseren Hirten! Er festigt seine Identität als Hirte und stärkt in sich den Duft der Heiligkeit, der dem guten Duft Christi entspricht, der auch die Schafe umhüllt.

Einen letzten Hinweis möchte ich noch zur spezifischen methodologischen Vorgangsweise des Direktoriums geben, nämlich zur Betrachtung über das Zölibat (Nr. 79- 82) im Rahmen der Spiritualität. Die Pflicht des Zölibats soll alles andere als eine willkürliche oder subjektive oder gar eine rein kanonische Dimension erhalten; diese Entscheidung soll hervorheben, dass das Zölibat herausragendes Zeichen der Salbung durch den Heiligen Geist ist und der wirksamste Weg der Heiligung, sei es auf persönlicher Ebene wie auf der des Volkes.

 

3. Die ständige Weiterbildung

Zwei Aspekte rechtfertigen und bestimmen die Notwendigkeit ständiger Weiterbildung: der anthropologische und der historisch-kulturelle.

Der erste, anthropologische, Aspekt erinnert uns beständig daran, dass wir alle Sünder sind und unsere Grenzen haben, dass der Mensch, von Gott geschaffen -und siehe da, er war sehr gut - von Sünde befallen ist und deshalb der immerwährenden Gnade bedarf und jener natürlichen Hilfe, die die Aufnahme der übernatürlichen Gnade ermöglicht.

Die schnellen Veränderungen, die wir um uns herum erleben, die kulturellen Veränderungen, sowie das, was Presbyterorum ordinis bereits vor 50 Jahren eine „radikal neue Situation“ nannte, erfordern - historisch-kulturell gesehen - das demütige Bewusstsein, dass Wissen nicht ein für alle Mal aufgenommen wird, sondern ständig weiter aufgebaut werden muss; dies offenbart sich vorwiegend durch jenes „offene Herz“, das all die kennzeichnet, die der Stimme des Herrn folgen.

Auch in der Dimension der ständigen Weiterbildung ist das Primat des Übernatürlichen und der Gnade grundlegend. Mit außerordentlicher Kraft hat uns Papst Franziskus daran erinnert, als er sagte: «Es ist eben gerade nicht in den Selbsterfahrungen oder in den wiederholten Introspektionen, dass wir dem Herrn begegnen: Selbsthilfekurse können im Leben nützlich sein, doch unser Priesterleben zu verbringen, indem wir von einem Kurs zum anderen, von einer Methode zur anderen übergehen, das führt dazu, Pelagianer zu werden, die Macht der Gnade herunterzuspielen, die in dem Maß aktiv wird und wächst, in dem wir gläubig hinausgehen, um uns selbst zu verschenken und den anderen das Evangelium zu geben, das bisschen Salbung, das wir besitzen, denen zu schenken, die absolut gar nichts haben.» (Chrisam-Messe, 28 März 2013).

Die ständige Weiterbildung ist also ein wahres Instrument der Heiligung, das die Kirche ihren Priestern bietet; Letztere sollten sie aufnehmen als notwendige und beständige Vervollkommnung ihrer organischen Bildung und Ausbildung. Ebenso wie die Grundausbildung, gliedert sich auch die ständige Weiterbildung in die vier, nunmehr klassischen, Dimensionen: die menschliche, die spirituelle, die intellektuelle und die pastorale Dimension, wobei in unserer Zeit dem Primat der spirituellen Ausbildung besondere Aufmerksamkeit zukommt; jeder, durchaus möglichen, Einschränkung der Ausbildung auf rein intellektualistische Inhalte muss widerstanden werden; die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Ausbildung muss jeder Prüfung standhalten können, sei es hinsichtlich der konkreten pastoralen Umsetzung wie auch bezüglich deren Auswirkung auf den Menschen. Damit soll jedoch die ständige Weiterbildung nicht einfach nur als aus „Techniken“ oder „pastoralen Strategien“ bestehend gesehen werden, sondern soll statt dessen zum Streben nach immer größerer Qualifikation führen, auf dass sie, gerade durch die Klarheit hinsichtlich der Identität und des Sendungsauftrags des Priesters, reichlich Früchte bringen möge.

Liebe Mitbrüder, und vor allem ihr, die ihr für die ständige Weiterbildung verantwortlich seid, ihr wisst durchaus, dass Papst Franziskus das Primat der spirituellen Dimension besonders am Herzen liegt; er weiß sehr wohl, dass eine wahre Erneuerung der Kirche und der Wirksamkeit der Verkündung der Frohbotschaft, nur aus der Erneuerung der spirituellen Dimension entstehen kann und aus dem Primat, das ihr konkret zukommt.

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Dies ist der umfassende Horizont, der mich angeregt hat, einige meiner bedeutendsten Vorträge der vergangenen zwei Jahre im Buch „Priester in der Moderne“ zusammenzufassen und dadurch den Priestern ein Instrument der Analyse, Synthese und eben der ständigen Weiterbildung zur Verfügung zu stellen.

Im Rahmen der veröffentlichen Sammlung scheint mir die lectio magistralis von besonderer Nützlichkeit zu sein, die ich vergangenen November in Venedig gehalten habe, über die Beziehung zwischen Kirche und Moderne, sowie die in Ars vorgetragene, umfassende historische Untersuchung über das Priesterzölibat in den lehramtlichen Schriften der Päpste der vergangenen zwei Jahrhunderte.

In Ersterer wird eines der grundlegenden Themen angesprochen, das auch der Einberufung und Zelebration des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils zugrunde lag.

Wenn wir uns der Tatsache bewusst sind, dass ein Konzil immer auch ein übernatürliches, durch die Einwirkung des Heiligen Geistes geleitetes Ereignis ist, können wir nicht umhin, auch eine der Instanzen zu berücksichtigen, die dessen Einberufung bestimmte, nämlich der Wunsch die „Moderne“ besser zu verstehen, und der Versuch, das mit ihr im Verlauf der Jahrhunderte entstandene Hiatus zu erfassen. Sehr passend erinnerte uns der emeritierte Papst Benedikt XVI in seiner letzten Konversation mit dem römischen Klerus daran, als er sagte: «Und wir wussten, dass in der Beziehung zwischen Kirche und Moderne von Anfang an ein gewisser Gegensatz vorhanden war, begonnen beim Irrtum der Kirche im Fall von Galileo Galilei. Man wollte diesen verfehlten Anfang korrigieren und wieder eine Einigung zwischen der Kirche und den besten Kräften der Welt finden, um die Zukunft der Menschheit zu öffnen, um den wahren Fortschritt zu öffnen» (Begegnung mit dem Klerus der Diozöse Rom, 14. Februar 2013).

Natürlich werden in diesen Schriften keine endgültigen und vollkommenen Lösungen geboten, doch nach einer historischen, philosophischen und gnoseologisch-erfahrungsbasierten Untersuchung darüber, was „Moderne“ sei, wird versucht - von einem hermeneutischen Prinzip der Inkarnation des Wortes ausgehend - eine korrekte Beziehung der Kirche und des Priesters zu ihr zu umreißen, in deren Licht der Christ aufgerufen ist, jede Realität wahrzunehmen.

Extrem zusammengefasst - Sie werden es in der Schrift finden - wird der edelmütige Weg der zwischenmenschlichen Begegnung als wahrer Weg der Überwindung aller ideologischen Auseinandersetzungen erkannt; eigentlich ist es das Wiederfinden des konkreten christlichen Realismus gegen jeden, immer wieder auch innerhalb des Kirchen- und Priesterleben möglichen, ideologischen Reduktionismus.

Der weitere Beitrag, den ich nur kurz ansprechen möchte und den zu lesen  ich Sie freundlich auffordere, ist eine historische, aber auch - so glaube ich - eine tiefgehende, aufmerksame Auseinandersetzung mit der Schönheit der pastoralen Wirksamkeit und der Unverzichtbarkeit des kirchlichen Zölibats im Leben des Priesters. Das Zölibat wird vor allem als imitatio Christi gesehen und interpretiert, als reelle Konkretisierung dessen, was ich zuvor, der großen kirchlichen Tradition folgend, apostolica vivendi forma genannt habe. Es handelt sich nicht um eine strenge Vorgabe, sondern um eine Notwendigkeit, die aus einer über alles hinausgehenden Liebe heraus entsteht; so „möge der, der zu verstehen vermag, verstehen“.

 Liebe Mitbrüder, von immer größerer Bedeutung ist es, allen uns anvertrauten Priestern die Dimension der jungfräulichen Armut zurückzugeben oder zu verleihen; Jungfräulichkeit in der Annahme des Willens Gottes und nicht des eigenen; Jungfräulichkeit im Dienst an den Brüdern, wie Gott und die Kirche es erwarten, statt dem eigenen, subjektiven Standpunkt zu folgen; Jungfräulichkeit in der Aufnahme der offenbarten Wahrheit und im Theologe-Sein gemäß der unabdingbaren kirchlichen Dimension dieses Dienstes, und schließlich, jedoch vor allem Anderen, Jungfräulichkeit als radikale und absolute Hingabe an Gott, als Dienst zu dem wir, zu unserer und unserer Brüder Heiligung, berufen sind.

Möge die gnadenreiche Jungfrau, die ihr “Ja“ gesprochen hat, den Weg des mit so viel liebevoller Sorgfalt von der Kongregation für den Klerus aktualisierten Direktoriums begleiten und, in bescheidenerer Weise, auch den Weg der Schrift „Priester in der Moderne“.