Generalaudienzen 2005-2013 9111

Mittwoch, 9. November 2011: Psalm 119 (118)

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Ps 119



Liebe Brüder und Schwestern!

In den vergangenen Katechesen haben wir einige Psalmen betrachtet, die Beispiele sind für die Gattungen, die das Gebet kennzeichnen: Klage, Vertrauen, Lobpreis. In der heutigen Katechese möchte ich über Psalm 119 nach der hebräischen – 118 nach der griechisch-lateinischen – Überlieferung sprechen: Es ist ein ganz besonderer, einzigartiger Psalm. Das ist er zunächst schon wegen seiner Länge, denn er besteht aus 176 Versen, die in 22 Strophen mit jeweils acht Versen unterteilt sind. Außerdem hat er die Besonderheit, ein »alphabetisches Akrostichon« zu sein: Er ist also nach dem hebräischen Alphabet aufgebaut, das aus 22 Buchstaben besteht. Jede Strophe entspricht einem Buchstaben dieses Alphabets, und mit diesem Buchstaben beginnt das erste Wort der acht Verse der Strophe. Es handelt sich um ein originelles und sehr anspruchsvolles literarisches Werk, in dem der Autor des Psalms sein ganzes Können aufbieten mußte.

Das Wichtigste für uns ist jedoch das zentrale Thema dieses Psalms: Es handelt sich um ein eindrucksvolles und feierliches Gebet über die Tora des Herrn, also über sein Gesetz. Dieser Begriff muß in seinem weitesten und vollendeten Sinn als Lehre, Anweisung, Lebensunterweisung verstanden werden; die Tora ist Offenbarung, ist Wort Gottes, das Fragen an den Menschen richtet und als Antwort vertrauensvollen Gehorsam und großherzige Liebe hervorruft. Und von Liebe zum Wort Gottes ist dieser Psalm ganz durchdrungen; er feiert seine Schönheit, seine rettende Kraft, seine Fähigkeit, Freude und Leben zu schenken. Denn das göttliche Gesetz ist kein schweres Joch der Knechtschaft, sondern eine Gnadengabe, die frei macht und zur Glückseligkeit führt. »Ich habe meine Freude an deinen Gesetzen, / dein Wort will ich nicht vergessen«, sagt der Psalmist (V. 16); und dann: »Führe mich auf dem Pfad deiner Gebote! / Ich habe an ihm Gefallen « (V. 35); und mehr noch: »Wie lieb ist mir deine Weisung; / ich sinne über sie nach den ganzen Tag« (V. 97). Das Gesetz des Herrn, sein Wort ist der Mittelpunkt des Lebens des Beters; in ihm findet er Trost, er macht es zum Gegenstand der Betrachtung, er bewahrt es in seinem Herzen: »Ich berge deinen Spruch im Herzen, / damit ich gegen dich nicht sündige« (V. 11), und das ist das Geheimnis des Glücks des Psalmisten; und dann noch: »Stolze verbreiten über mich Lügen, / aber ich halte mich von ganzem Herzen an deine Befehle« (V. 69).

Die Treue des Psalmisten entspringt dem Hören auf das Wort, das er im Innersten bewahren muß, indem er darüber nachdenkt und es liebt, genau wie Maria. Sie »bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach«: die Worte, die an sie gerichtet waren und die wunderbaren Ereignisse, in denen Gott sich offenbarte und um ihre gläubige Zustimmung bat (vgl. Lc 2,19 Lc 2,51). Und wenn unser Psalm in den ersten Versen damit beginnt, daß er jene selig preist, »die leben nach der Weisung des Herrn« (V. 1b) und »die seine Vorschriften befolgen « (V. 2a), so ist es wiederum die Jungfrau Maria, die die vollkommene Gestalt des Gläubigen, die der Psalmist beschreibt, zur Vollendung bringt. Denn sie ist wahrhaft »selig«, wie Elisabet verkündigt, weil sie »geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ« (Lc 1,45). Und von ihr und ihrem Glauben legt Jesus selbst Zeugnis ab, als er der Frau, die gerufen hatte: »Selig die Frau, deren Leib dich getragen«, antwortet: »Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen« (). Gewiß, Maria ist selig, weil ihr Leib den Erlöser getragen hat, vor allem aber, weil sie die Verkündigung Gottes angenommen, weil sie sein Wort fürsorglich und liebevoll bewahrt hat.

Der Psalm 119 ist also von diesem Wort des Lebens und der Glückseligkeit ganz durchwoben. Wenn sein zentrales Thema das »Wort« und das »Gesetz« des Herrn ist, so tauchen neben diesen Begriffen in fast allen Versen Synonyme auf, wie »Weisungen«, »Vorschriften«, »Befehle«, »Lehren«, »Verheißung«, »Urteile«, und außerdem viele mit ihnen in Beziehung stehende Verben wie befolgen, bewahren, verstehen, erkennen, lieben, überdenken, leben. Das ganze Alphabet zieht sich durch die 22 Strophen dieses Psalms hin und ebenso das ganze Vokabular der vertrauensvollen Beziehung des Gläubigen zu Gott; wir finden dort den Lobpreis, den Dank, das Vertrauen, aber auch die Bitte und die Klage, jedoch stets durchdrungen von der Gewißheit um die göttliche Gnade und die Kraft des Wortes Gottes. Auch die Verse, die mehr vom Schmerz und vom Gefühl der Finsternis geprägt sind, bleiben offen für die Hoffnung und sind vom Glauben durchdrungen. »Meine Seele klebt am Boden. / Durch dein Wort belebe mich!« (V. 25), betet der Psalmist vertrauensvoll; »ich bin wie ein Schlauch voller Risse, / doch deine Gesetze habe ich nicht vergessen« (V. 83), lautet der Schrei des Gläubigen. Seine Treue, auch wenn sie auf die Probe gestellt wird, findet Kraft im Wort des Herrn: »Dann kann ich dem, der mich schmäht, erwidern; / denn ich vertraue auf dein Wort« (V. 42), sagt er mit Bestimmtheit; und auch angesichts des Todes, der Angst einflößt, sind die Befehle des Herrn sein Bezugspunkt und seine Hoffnung auf den Sieg: »Fast hätte man mich von der Erde ausgetilgt; / dennoch halte ich fest an deinen Befehlen« (V. 87).

Das göttliche Gesetz, Gegenstand der leidenschaftlichen Liebe des Psalmisten und eines jeden Gläubigen, ist Quell des Lebens. Der Wunsch, es zu verstehen, es zu befolgen, das ganze Sein darauf auszurichten, ist das Merkmal des gerechten und dem Herrn treuen Mannes, der über es »nachsinnt bei Tag und Nacht«, wie es in Psalm 1 heißt (V. 2); Gottes Gesetz ist ein Gesetz, das man »auf dem Herzen« haben muß, wie es im wohlbekannten Text des Shema im Deuteronomium heißt: »Höre, Israel! … Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst« (6,4.6–7).

Als Mittelpunkt der Existenz verlangt Gottes Gesetz das Hören des Herzens, ein Hören nicht aus knechtischem, sondern aus kindlichem, vertrauensvollem, bewußtem Gehorsam heraus. Das Hören des Wortes ist eine persönliche Begegnung mit dem Herrn des Lebens, eine Begegnung, die in konkreten Entscheidungen Ausdruck finden und zu Weg und Nachfolge werden muß. Als er gefragt wird, was man tun muß, um das ewige Leben zu gewinnen, weist Jesus den Weg der Befolgung des Gesetzes, sagt aber gleichzeitig, wie man es zur Vollendung bringt: »Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!« (Mc 10,21 und Par.). Die Erfüllung des Gesetzes ist es, Jesus nachzufolgen, auf dem Weg Jesu zu gehen, in Begleitung Jesu.

Der Psalm 119 bringt uns also zur Begegnung mit dem Herrn und richtet uns auf das Evangelium aus. In ihm gibt es einen Vers, über den ich jetzt sprechen möchte. Es ist der V. 57: »Mein Anteil ist der Herr; / ich habe versprochen, dein Wort zu beachten.« Auch in anderen Psalmen sagt der Beter, daß der Herr sein »Anteil«, sein Erbe ist: »Du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher«, heißt es in Psalm 16 (V. 5a), »Gott ist der Fels meines Herzens / und mein Anteil auf ewig«, verkündigt der Gläubige im Psalm 73 (V. 26b). Und auch im Psalm 142 ruft der Psalmist zum Herrn: »Meine Zuflucht bist du, / mein Anteil im Land der Lebenden« (V. 6b). Dieser Begriff »Anteil« läßt an das Ereignis der Aufteilung des Gelobten Landes unter den Stämmen Israels denken, als den Leviten kein Teil des Landes zugeteilt wurde, weil ihr »Anteil« der Herr selbst war. Zwei Texte des Pentateuch sind in dieser Hinsicht sehr deutlich und gebrauchen den Begriff, um den es hier geht: »Der Herr sprach zu Aaron: Du sollst in ihrem Land keinen erblichen Besitz haben. Dir gehört unter ihnen kein Besitzanteil; ich bin dein Besitz und dein Erbteil mitten unter den Israeliten«, so heißt es im Buch Numeri (18,20), und das Deuteronomium bekräftigt: »Deshalb erhielt Levi nicht wie seine Brüder Land anteil und Erbbesitz. Der Herr ist sein Erbbesitz, wie es der Herr, dein Gott, ihm zugesagt hat« (Dt 10,9 vgl. Dtn Dt 18,2 Jos 13,33 Ez 44,28).

Die Priester, die dem Stamm Levi angehören, können keine Landeigentümer sein in dem Land, das Gott seinem Volk zum Erbe gab, indem er die an Abraham ergangene Verheißung zur Erfüllung brachte (vgl. Gen 12,1–7). Der Landbesitz, grundlegendes Element für die Stabilität und die Möglichkeit zum Überleben, war Zeichen des Segens, weil er die Möglichkeit gab, ein Haus zu bauen, dort Kinder aufzuziehen, die Felder zu bestellen und von den Früchten der Erde zu leben. Dennoch können die Leviten, Mittler des Heiligen und des göttlichen Segens, nicht wie die anderen Israeliten dieses äußere Zeichen des Segens und diesen Quell des Lebensunterhalts besitzen. Sie sind ganz dem Herrn hingegeben und müssen von ihm allein leben, sich auf seine fürsorgliche Liebe und auf die Großherzigkeit der Brüder verlassen, ohne ein Erbe zu haben, denn Gott ist ihr Erbteil, Gott ist ihr Land, das sie in Fülle leben läßt.

Und jetzt bezieht der Beter des Psalms 119 diese Wirklichkeit auf sich selbst: »Mein Anteil ist der Herr.« Seine Liebe zu Gott und zu seinem Wort bringt ihn zu der radikalen Entscheidung, den Herrn als einziges Gut zu haben und auch seine Worte als kostbares Geschenk zu wahren, das wertvoller ist als jedes Erbteil und als jeder Landbesitz. Unser Vers kann nämlich in zweifacher Weise übersetzt werden. Man könnte ihn auch folgendermaßen wiedergeben: »Ich habe versprochen: Mein Anteil, Herr, ist es, dein Wort zu beachten.« Die beiden Übersetzungen widersprechen einander nicht, sondern ergänzen einander sogar: Der Psalmist sagt, daß sein Anteil der Herr ist, aber daß es auch sein Erbteil ist, die göttlichen Worte zu beachten, wie er später in V. 111 sagen wird: »Deine Vorschriften sind auf ewig mein Erbteil; / denn sie sind die Freude meines Herzens.« Das ist das Glück des Psalmisten: Ihm wurde wie den Leviten das Wort Gottes zum Erbteil gegeben.

Liebe Brüder und Schwestern, diese Verse sind auch heute für uns alle von großer Bedeutung: vor allem für die Priester, die berufen sind, nur vom Herrn und von seinem Wort zu leben, ohne andere Sicherheiten, und ihn als einziges Gut und einzigen Quell des wahren Lebens zu haben. In diesem Licht versteht man die freie Entscheidung für den Zölibat für das Himmelreich, der in seiner Schönheit und Kraft wiederentdeckt werden muß. Aber diese Verse sind auch wichtig für alle Gläubigen, für das Gottesvolk, das nur ihm gehört, »eine königliche Priesterschaft « für den Herrn (vgl. 1P 2,9 Ap 1,6 Ap 5,10), zur Radikalität des Evangeliums berufen, Zeugen des Lebens, das Christus gebracht hat, der neue und endgültige »Hohepriester«, der sich zum Opfer dargebracht hat für das Heil der Welt (vgl. Hebr He 2,17 4,14–16; 5,5–10; 9,11ff. ). Der Herr und sein Wort: Sie sind unser »Land«, in dem wir in Gemeinschaft und Freude leben können. Lassen wir uns also vom Herrn diese Liebe zu seinem Wort ins Herz legen. Er gewähre, daß sein heiliger Wille stets im Mittelpunkt unseres Lebens stehe. Bitten wir, daß unser Gebet und unser ganzes Leben vom Wort Gottes erleuchtet sein mögen, meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade, wie es in Psalm 119 heißt (vgl. V. 105), damit wir sicher wandeln im Land der Menschen. Und Maria, die das Wort empfangen und hervorgebracht hat, möge uns Führung und Trost sein, Leitstern, der den Weg der Glückseligkeit weist. Dann werden auch wir, wie der Beter von Psalm 16, uns freuen können über die unerwarteten Gaben des Herrn und das unverdiente Erbe, das uns zugefallen ist:

Du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher… Auf schönem Land fiel mir mein Anteil zu. / Ja, mein Erbe gefällt mir gut (Ps 16,5 Ps 16,6).

* * *

Mit Freude grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Besonders heiße ich natürlich heute die Gäste aus der Gemeinde Natz-Schabs in Südtirol willkommen. Ich freue mich. Vergelt’s Gott! Laßt uns wie die heilige Jungfrau Maria das Wort Gottes hören, aufnehmen und befolgen (vgl. Lc 11,28), mit ihm inwendig eins werden und so glückselig werden, weil sich dann an uns der Plan Gottes erfüllt. Dazu stärke uns der Heilige Geist mit seiner Liebe und seiner Freude.





Petersplatz

Mittwoch, 16. November 2011: Psalm 110 (109)

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Ps 110)


Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich meine Katechesen über das Gebet des Psalters beenden und einen der berühmtesten »Königspsalmen« betrachten, einen Psalm, den Jesus selbst zitiert hat und den die Autoren des Neuen Testaments oft wieder aufgegriffen und mit Bezug auf den Messias, auf Christus, ausgelegt haben. Es handelt sich um Psalm 110 nach der jüdischen, 109 nach der griechisch-lateinischen Überlieferung, einen in der Alten Kirche und bei den Gläubigen aller Zeiten sehr beliebten Psalm. Anfangs war dieses Gebet vielleicht mit der Inthronisierung eines davidischen Königs verbunden; seine Bedeutung geht jedoch über den einfachen historischen Bezug hinaus, öffnet sich zu größeren Dimensionen und wird so zum Lobpreis des siegreichen Messias, der zur Rechten Gottes verherrlicht ist. Der Psalm beginnt mit einer feierlichen Erklärung:

»So spricht der Herr zu meinem Herrn:
Setze dich mir zur Rechten,
und ich lege dir deine Feinde als Schemel
unter die Füße« (V. 1).

Gott selbst inthronisiert den König in Herrlichkeit, läßt ihn zu seiner Rechten sitzen, ein Zeichen größter Ehre und eines absoluten Privilegs. Auf diese Weise darf der König an der göttlichen Herrschaft teilhaben, deren Mittler beim Volk er ist. Diese Herrschaft des Königs wird auch im Sieg über die Gegner verdeutlicht; sie werden ihm von Gott selbst zu Füßen gelegt; der Sieg über die Feinde gehört dem Herrn, aber er läßt den König daran teilhaben, und sein Triumph wird zum Zeugnis und Zeichen der göttlichen Macht. Die königliche Verherrlichung, die hier am Anfang des Psalms zum Ausdruck gebracht wird, wurde vom Neuen Testament als messianische Prophetie aufgenommen; der Vers gehört daher zu denen, die von den neutestamentlichen Autoren am häufigsten verwendet werden, entweder als ausdrückliches Zitat oder als Anspielung. Jesus selbst hat diesen Vers im Zusammenhang mit dem Messias verwendet, um zu zeigen, daß der Messias mehr ist als David, daß er der Herr Davids ist (vgl. ). Und Petrus greift ihn in seiner Pfingstpredigt wieder auf und verkündet, daß die Inthronisierung des Königs in der Auferstehung Christi verwirklicht wird und Christus von nun an zur Rechten des Vaters sitzt, an der Herrschaft Gottes über die Welt teilhat (vgl. ). Denn Christus ist der erhöhte Herr, der Menschensohn, der zur Rechten Gottes sitzt und auf den Wolken des Himmels kommt, wie Jesus im Verhör vor dem Hohen Rat über sich selbst sagt (vgl. ; vgl. auch ). Er ist der wahre König, der durch die Auferstehung in die Herrlichkeit eingegangen ist und zur Rechten des Vaters sitzt (vgl. Röm Rm 8,34 Ep 2,5 Col 3,1 He 8,1 He 12,2), erhabener als die Engel, der im Himmel über allen Mächten sitzt und dem alle Feinde zu Füßen liegen, bis auch der letzte Feind, der Tod, endgültig entmachtet ist (vgl. ).

Und man versteht sofort, daß dieser König, der zur Rechten Gottes sitzt und an seiner Herrschaft teilhat, keiner der menschlichen Nachfolger Davids ist, sondern allein der neue David, der Sohn Gottes, der den Tod überwunden und wirklich an der Herrlichkeit Gottes teilhat. Er ist unser König, der uns auch das ewige Leben schenkt. Zwischen dem König, der von unserem Psalm gepriesen wird, und Gott besteht also eine unlösliche Beziehung; beide regieren gemeinsam in einer einzigen Herrschaft, so daß der Psalmist sogar sagen kann, daß Gott selbst das Zepter des Herrschers ausstreckt und ihm die Aufgabe erteilt, über seine Feinde zu herrschen, wie es in Vers 2 heißt:

Vom Zion strecke der Herr
das Zepter deiner Macht aus:
»Herrsche inmitten deiner Feinde!«

Die Ausübung der Macht ist ein Auftrag, den der König unmittelbar vom Herrn erhält, eine Verantwortung, die er in Abhängigkeit und Gehorsam leben muß. So wird er im Volk zum Zeichen der mächtigen und vorsehenden Gegenwart Gottes. Die Herrschaft über die Feinde, die Herrlichkeit und der Sieg sind empfangene Gaben, die den Herrscher zum Mittler des göttlichen Triumphs über das Böse machen. Er herrscht über die Feinde und verwandelt sie, er überwindet sie mit seiner Liebe.

Im folgenden Vers wird daher die Größe des Königs gepriesen. Die Auslegung von Vers 3 ist in Wirklichkeit mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Der hebräische Originaltext nimmt Bezug auf die Einberufung des Heeres, auf die das Volk großherzig antwortet, indem es sich am Tag seiner Krönung um den Herrscher schart. Die griechische Übersetzung der Septuaginta, die auf das dritte bis zweite Jahrhundert vor Christus zurückgeht, nimmt dagegen Bezug auf die göttliche Sohnschaft des Königs, auf seine Geburt oder Zeugung von seiten des Herrn, und dieser Interpretation folgt die ganze Überlieferung der Kirche. Der Vers lautet daher folgendermaßen:

Dein ist die Herrschaft am Tage deiner Macht,
(wenn du erscheinst) in heiligem Schmuck;
ich habe dich gezeugt noch vor dem
Morgenstern, wie den Tau in der Frühe.

Dieser göttliche Spruch über den König würde also von einer göttlichen Zeugung sprechen, die mit Glanz und Geheimnis bedeckt ist, von einem geheimen und unergründlichen Ursprung, verbunden mit der mysteriösen Schönheit des Morgensterns und dem Wunder des Taus, der im frühen Morgenlicht auf den Feldern glänzt und sie fruchtbar macht. So wird, unlöslich verbunden mit der himmlischen Wirklichkeit, die Gestalt des Königs beschrieben, der wirklich von Gott kommt, des Messias, der dem Volk das göttliche Leben bringt und der Mittler der Heiligkeit und des Heils ist. Auch hier sehen wir, daß all dies nicht von der Gestalt eines davidischen Königs verwirklicht wird, sondern vom Herrn Jesus Christus, der wirklich von Gott kommt; er ist das Licht, das das göttliche Leben in die Welt bringt. Mit diesem eindrucksvollen und rätselhaften Bild endet die erste Strophe des Psalms, auf die ein weiterer Spruch folgt, der eine neue Perspektive öffnet, auf der Linie einer priesterlichen Dimension, die mit dem Königtum verbunden ist. Vers 4 lautet:

Der Herr hat geschworen,
und nie wird’s ihn reuen:
»Du bist Priester auf ewig nach
der Ordnung Melchisedeks.«

Melchisedek war der Priesterkönig von Salem, der Abraham gesegnet und Brot und Wein dargeboten hatte nach dem siegreichen Feldzug, den der Erzvater führte, um seinen Neffen Lot aus den Händen der Feinde zu befreien, die ihn gefangengenommen hatten (vgl. Gen Gn 14). In der Gestalt Melchisedeks laufen die königliche und die priesterliche Macht zusammen und werden jetzt vom Herrn verkündigt in einer Erklärung, die Ewigkeit verspricht: Der im Psalm gepriesene König ist Priester auf ewig, Mittler der göttlichen Gegenwart in seinem Volk, durch den Segen, der von Gott kommt und der im liturgischen Handeln auf die segnende Antwort des Menschen trifft. Der Brief an die Hebräer nimmt ausdrücklichen Bezug auf diesen Vers (vgl. 5,5–6.10; 6,19–20) und richtet das ganze Kapitel 7 darauf aus, in der Darlegung seiner Reflexion über das Priestertum Christi. Jesus, so sagt uns der Brief an die Hebräer im Licht von Psalm 110 (109), Jesus ist der wahre und endgültige Priester, der die Eigenschaften des Priestertums des Melchisedek erfüllt und zur Vollendung bringt. Melchisedek war, wie es im Brief an die Hebräer heißt, »ohne Vater, ohne Mutter und ohne Stammbaum« (7,3a), ein Priester also, der nicht den dynastischen Regeln des levitischen Priestertums entsprach. Daher bleibt er »Priester für immer « (7,3c), Vorausbild Christi, des vollkommenen Hohenpriesters, »der nicht, wie das Gesetz es fordert, aufgrund leiblicher Abstammung Priester geworden ist, sondern durch die Kraft unzerstörbaren Lebens« (7,16). Im Herrn Jesus, der auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist, wo er zur Rechten des Vaters sitzt, erfüllt sich die Prophetie unseres Psalms und wird das Priestertum des Melchisedek zur Erfüllung gebracht, weil es absolut und ewig und zu einer unvergänglichen Wirklichkeit geworden ist (vgl. 7,24). Und die Darbietung von Brot und Wein durch Melchisedek zur Zeit Abrahams findet ihre Erfüllung im eucharistischen Handeln Jesu, der in Brot und Wein sich selbst darbringt und, nachdem er den Tod überwunden hat, alle Gläubigen zum Leben führt. Ein ewiger Priester, »der heilig ist, unschuldig, makellos« (7,26). Er kann, wie es im Brief an die Hebräer weiter heißt, »auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten« (7,25).

Nach diesem göttlichen Spruch in Vers 4 mit seinem feierlichen Schwur ändert sich die Szene des Psalms, und der Dichter wendet sich direkt an den König und verkündet: »Der Herr steht dir zur Seite« (V. 5a). Während in Vers 1 der König sich zur Rechten Gottes setzte als Zeichen des höchsten Ansehens und der Ehre, so steht der Herr jetzt dem Herrscher zur Seite, um ihn mit dem Schild in der Schlacht zu schützen und ihn aus jeder Gefahr zu retten. Der König ist in Sicherheit, Gott ist sein Verteidiger, und gemeinsam bekämpfen und besiegen sie alles Übel. So werden die letzten Verse des Psalm mit dem Anblick des triumphierenden Herrschers eröffnet, der mit Unterstützung des Herrn und nachdem er von ihm Macht und Herrlichkeit empfangen hat (vgl. V. 2), den Feinden entgegentritt, die Gegner niederwirft und über die Nationen urteilt. Die Szene ist in kräftigen Farben gemalt, um die Dramatik des Kampfes und die Vollkommenheit des königlichen Sieges zum Ausdruck zu bringen. Der Herrscher, der unter dem Schutz des Herrn steht, reißt jedes Hindernis nieder und geht sicher dem Sieg entgegen. Er sagt uns: Ja, in der Welt gibt es viel Böses, es gibt einen ständigen Kampf zwischen Gut und Böse, und das Böse scheint stärker zu sein. Nein, der Herr ist stärker, unser wahrer König und Priester Christus, denn er kämpft mit der ganzen Kraft Gottes, und trotz aller Dinge, die uns am positiven Ausgang der Geschichte zweifeln lassen, siegt Christus und siegt das Gute, siegt die Liebe und nicht der Haß. Hier fügt sich das eindrucksvolle Bild ein, mit dem unser Psalm endet und das auch ein rätselhaftes Wort ist:

Er trinkt aus dem Bach am Weg;
so kann er (von neuem) das Haupt
erheben (V. 7).

Mitten in der Beschreibung des Kampfes erscheint die Gestalt des Königs, der in einem Augenblick des Waffenstillstands und der Ruhe aus einem Bach trinkt und in ihm Erquickung und neue Kraft findet, um so seinen siegreichen Weg wieder aufzunehmen, mit erhobenem Haupt, als Zeichen des endgültigen Sieges. Natürlich war dieses äußerst rätselhafte Wort eine Herausforderung für die Kirchenväter, da es sich unterschiedlich auslegen ließ. So sagt zum Beispiel der hl. Augustinus: Dieser Bach ist der Mensch, die Menschheit, und Christus hat aus diesem Bach getrunken, indem er Mensch geworden ist. So hat er, indem er die Menschennatur des Menschen angenommen hat, sein Haupt erhoben und ist jetzt das Haupt des mystischen Leibes, ist unser Haupt, ist der endgültige Sieger (vgl. Enarratio in Psalmum CIX, 20: PL 36, 1462).

Liebe Freunde, die Kirche ist der Auslegungslinie des Neuen Testaments gefolgt und hat diesem Psalm als einem der bedeutendsten messianischen Texte große Beachtung geschenkt. Und insbesondere haben die Kirchenväter sich immer wieder darauf bezogen und ihn christologisch ausgelegt: Der vom Psalmisten gepriesene König ist letztendlich Christus, der Messias, der das Reich Gottes errichtet und die Mächte der Welt überwindet, er ist das Wort, das der Vater vor aller Schöpfung, vor dem Morgenstern gezeugt hat, der menschgewordene, gestorbene und auferstandene Sohn Gottes, der im Himmel sitzt, der ewige Priester, der im Geheimnis von Brot und Wein die Vergebung der Sünden und die Versöhnung mit Gott schenkt, der König, der das Haupt erhebt und durch die Auferstehung über den Todtriumphiert. Es genügt, noch einmal einen Abschnitt aus dem Kommentar des hl. Augustinus zu diesem Psalm zu zitieren, der schreibt: »Es war notwendig, den einzigen Sohn Gottes kennenzulernen, der zu den Menschen kommen sollte, um den Menschen anzunehmen und um durch die angenommene Natur Mensch zu werden: Er ist gestorben, auferstanden, aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten des Vaters und hat unter den Völkern vollbracht, was er verheißen hat … All dies mußte daher prophezeit, mußte angekündigt werden. Sein Kommen mußte angezeigt werden, damit es nicht plötzlich kommen und Schrecken verursachen würde, sondern vielmehr angekündigt sei und mit Glauben, Freude angenommen und erwartet werde. In den Bereich dieser Verheißungen gehört dieser Psalm, der mit so sicheren und deutlichen Worten unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus vorhersagt, daß wir nicht im Geringsten daran zweifeln können, daß in ihm wirklich Christus verkündigt wird« (vgl. Enarratio in Psalmum CIX, 3: PL 36, 1447).

Das Osterereignis Christi wird so zur Wirklichkeit, die der Psalm uns einlädt zu betrachten: Christus zu betrachten, um die Bedeutung des wahren Königtums zu verstehen, das im Dienst und in der Selbsthingabe gelebt werden muß, in einem Weg des Gehorsams und der »bis zur Vollendung« erwiesenen Liebe (vgl. Jn 13,1 und 19,30). Wenn wir diesen Psalm beten, wollen wir also den Herrn bitten, daß auch wir auf seinen Wegen fortschreiten mögen, in der Nachfolge Christi, des Königs und Messias, bereit, mit ihm den Berg des Kreuzes zu besteigen, um mit ihm zur Herrlichkeit zu gelangen und ihn zu betrachten, der zur Rechten des Vaters sitzt, als siegreicher König und barmherziger Priester, der allen Menschen Vergebung und Heil schenkt. Und auch wir, die wir durch die Gnade Gottes »ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm« geworden sind (1P 2,9), können voll Freude aus den Quellen des Heils schöpfen (vgl. Is 12,3) und der ganzen Welt die Wunder dessen verkünden, der uns »aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat« (vgl. 1P 2,9).

Liebe Freunde, in diesen letzten Katechesen wollte ich euch einige Psalmen vorstellen, wertvolle Gebete, die wir in der Bibel finden und die die verschiedenen Situationen des Lebens widerspiegeln sowie die verschiedenen inneren Haltungen, die wir Gott gegenüber einnehmen können. Ich möchte daher alle erneut einladen, die Psalmen zu beten und sich das Stundengebet der Kirche wenn möglich zur Gewohnheit zu machen: die Laudes am Morgen, die Vesper am Abend, die Komplet vor dem Einschlafen. Unsere Beziehung zu Gott kann auf dem täglichen Weg zu ihm nur bereichert und mit größerer Freude und größerem Vertrauen umgesetzt werden. Danke!



* * *

Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Gäste, die zur heutigen Audienz gekommen sind. In den Katechesen der vergangenen Wochen hatte ich einige Psalmen als Beispiele biblischen Betens ausgelegt, und mit der heutigen Katechese schließe ich diese Reihe ab. Ich wollte damit einladen, und es heute noch einmal tun, selber sich mit den Psalmen vertraut zu machen, von ihnen beten zu lernen und durch sie mit der ganzen Kirche, mit Christus selbst zu beten, und so in die innere Beziehung zum lebendigen Gott hineinzuwachsen, der uns die Worte vorgibt und der uns zugleich darin alle menschlichen Dinge ins Göttliche hinüberzieht. Wir wollen den Herrn bitten, daß er uns hilft, immer mehr diese Worte zu verstehen und von ihm selbst, von seinem inspirierten Wort beten zu lernen. Der Herr schenke euch allen seinen Segen.





Audienzhalle

Mittwoch, 23. November 2011: Apostolische Reise nach Benin

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Liebe Brüder und Schwestern!

Noch immer sind in mir die Eindrücke lebendig, die von der Apostolischen Reise nach Benin erweckt wurden, die ich kürzlich unternommen habe und über die ich heute sprechen möchte. In meinem Herzen steigt unvermittelt der Dank gegenüber dem Herrn auf: In seiner Vorsehung wollte er, daß ich als Nachfolger Petri ein zweites Mal nach Afrika zurückkehre, anläßlich des 150. Jahrestages der Anfänge der Evangelisierung von Benin und um das Nachsynodale Apostolische Schreiben Africae munus zu unterzeichnen und es den kirchlichen Gemeinschaften in Afrika offiziell zu überreichen. Nachdem ich über die Analysen und Vorschläge nachgedacht hatte, die aus der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Afrika hervorgegangen sind, die im Oktober 2009 im Vatikan abgehalten wurde, wollte ich einige Leitlinien für die pastorale Tätigkeit auf dem großen afrikanischen Kontinent aufzeigen. Gleichzeitig wollte ich dem unvergeßlichen Kardinal Bernardin Gantin, einem edlen Sohn von Benin und Afrika und großen Mann der Kirche, die Ehre erweisen und an seinem Grab beten; sein seliges Angedenken ist in seinem Land, das ihn als Vater des Vaterlandes betrachtet, und auf dem ganzen Kontinent lebendiger als je zuvor.

Ich möchte all jenen, die zur Verwirklichung meiner Pilgerreise beigetragen haben, erneut meinen aufrichtigen Dank zum Ausdruck bringen. Zunächst bin ich dem Herrn Staatspräsidenten sehr dankbar, der mir mit großer Freundlichkeit seinen Gruß und den des ganzen Landes entboten hat, sowie dem Erzbischof von Cotonou und den anderen verehrten Brüdern im Bischofsamt, die mich herzlich empfangen haben. Darüber hinaus danke ich den Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen, den Diakonen, den Katecheten sowie den zahllosen Brüdern und Schwestern, die mich mit so viel Glauben und Herzlichkeit in jenen Tagen der Gnade begleitet haben. Gemeinsam haben wir eine bewegende Erfahrung des Glaubens und der erneuerten Begegnung mit dem lebendigen Jesus Christus gemacht, im Rahmen des 150. Jahrestages der Evangelisierung von Benin.

Ich habe die Früchte der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Afrika zu Füßen der allerseligsten Jungfrau Maria niedergelegt, die in Benin besonders in der Basilika »Mariä Empfängnis« in Ouidah verehrt wird. Nach dem Vorbild Marias hat die Kirche in Afrika die Frohbotschaft des Evangeliums angenommen und viele Völker zum Glauben geführt. Jetzt sind die christlichen Gemeinden in Afrika aufgerufen – wie sowohl durch das Thema der Synode als auch vom Motto meiner Apostolischen Reise hervorgehoben wurde –, sich im Glauben zu erneuern, um immer mehr im Dienst der Versöhnung, der Gerechtigkeit und des Friedens zu stehen. Sie sind eingeladen, sich in ihrem Innern zu versöhnen, um zu freudigen Werkzeugen der göttlichen Barmherzigkeit zu werden. Dabei soll eine jede den eigenen geistlichen und materiellen Reichtum zum gemeinsamen Einsatz aller beitragen.

Dieser Geist der Versöhnung ist natürlich auch auf ziviler Ebene unverzichtbar und bedarf einer Öffnung zur Hoffnung hin, die auch das soziale, politische und wirtschaftliche Leben des Kontinents beseelen muß, wie ich bei der Begegnung mit den Mitgliedern der Regierung, Vertretern der staatlichen Institutionen, mit dem Diplomatischen Korps und mit Vertretern der wichtigsten Religionen hervorheben konnte. Bei dieser Gelegenheit habe ich die Betonung auf die Hoffnung gelegt, die den Weg des Kontinents beseelen muß, und habe das brennende Verlangen nach Freiheit und Gerechtigkeit hervorgehoben, das besonders in den letzten Monaten die Herzen zahlreicher afrikanischer Völker beseelt. Außerdem habe ich die Notwendigkeit betont, eine Gesellschaft aufzubauen, in der die Beziehungen zwischen verschiedenen Ethnien und Religionen vom Dialog und von der Eintracht geprägt sind. Ich habe alle eingeladen, in jeder Wirklichkeit und in jedem Umfeld wahre Sämänner der Hoffnung zu sein.

Die Christen sind von ihrem Wesen her Menschen der Hoffnung, die ihren eigenen Brüdern und Schwestern gegenüber nicht gleichgültig sein dürfen: Diese Wahrheit habe ich auch der riesigen Menschenmenge in Erinnerung gerufen, die zur sonntäglichen Eucharistiefeier im »Stade de l’amitié« in Cotonou zusammengekommen ist. Diese Sonntagsmesse war ein wunderbarer Augenblick des Gebets, ein Fest, an dem Tausende von Gläubigen aus Benin und anderen afrikanischen Ländern teilgenommen haben, von den Ältesten bis hin zu den Jüngsten: ein wunderbares Zeugnis dafür, wie der Glaube die Generationen vereinen und auf die Herausforderungen eines jeden Lebensabschnitts antworten kann.

Während dieser bewegenden Feier habe ich den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen von Afrika das Nachsynodale Apostolische Schreiben Africae munus überreicht – das ich am Tag zuvor in Ouidah unterzeichnet hatte –, das für die Bischöfe, die Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen, die Katecheten und die Laien des gesamten afrikanischen Kontinents bestimmt ist. Indem ich ihnen die Früchte der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Afrika anvertraut habe, habe ich sie gebeten, sorgfältig darüber nachzudenken und sie in Fülle zu leben, um wirkkräftig auf die anspruchsvolle Evangelisierungssendung der pilgernden Kirche im Afrika des dritten Jahrtausends zu antworten. In diesem wichtigen Text findet jeder Gläubige die Grundlinien, die den Weg der Kirche in Afrika, die berufen ist, immer mehr »Salz der Erde« und »Licht der Welt« zu sein (), leiten und ermutigen sollen.

An alle habe ich den Aufruf gerichtet, unermüdliche Baumeister der Gemeinschaft, des Friedens und der Solidarität zu sein, um so an der Verwirklichung des Heilsplans Gottes für die Menschheit teilzuhaben. Die Afrikaner haben mit ihrer Begeisterung auf die Einladung des Papstes geantwortet, und in ihren Gesichtern, in ihrem innigen Glauben, in ihrer überzeugten Zustimmung zum Evangelium des Lebens habe ich noch einmal die tröstlichen Zeichen der Hoffnung für den großen afrikanischen Kontinent erkannt. Auch bei der Begegnung mit den Kindern und mit der Welt des Leidens habe ich diese Zeichen konkret wahrgenommen. In der Pfarrkirche der hl. Rita habe ich wirklich die Freude am Leben, den Frohsinn und die Begeisterung der neuen Generationen gespürt, die die Zukunft Afrikas darstellen. Die fröhliche Schar der Kinder, eine der vielen Ressourcen und Reichtümer des Kontinents, habe ich auf die Gestalt des hl. Kizito hingewiesen, eines ugandischen Jungen, der getötet wurde, weil er nach dem Evangelium leben wollte, und habe jeden ermahnt, den eigenen Altersgenossen Jesus zu verkündigen. Der Besuch im Foyer »Peace and Joy«, das von den Missionarinnen der Nächstenliebe von Mutter Teresa geführt wird, war für mich ein Augenblick großer Ergriffenheit, als ich den verlassenen und kranken Kindern begegnet bin. Dort konnte ich konkret sehen, wie Liebe und Solidarität in der Schwachheit die Kraft und die Liebe des auferstandenen Christus vergegenwärtigen können.

Die Freude und der apostolische Eifer, die ich unter den Priestern, Ordensmännern, Ordensfrauen, Seminaristen und Laien entdeckt habe, die zahlreich erschienen waren, stellt ein Zeichen sicherer Hoffnung für die Zukunft der Kirche in Benin dar. Ich habe alle ermahnt zu einem echten und lebendigen Glauben und zu einem christlichen Leben, das von der Übung der Tugend gekennzeichnet ist, und habe jeden ermutigt, seine jeweilige Sendung in der Kirche in Treue zu den Weisungen des Lehramts zu leben, in Gemeinschaft miteinander und mit den Hirten. Besonders den Priestern habe ich den Weg der Heiligkeit gewiesen, im Bewußtsein, daß ihr Dienst nicht einfach nur eine gesellschaftliche Funktion ist, sondern daß er bedeutet, Gott zum Menschen und den Menschen zu Gott zu bringen.

Ein tiefer Augenblick der Gemeinschaft war die Begegnung mit den Bischöfen Benins, um insbesondere über die Anfänge der Verkündigung des Evangeliums in ihrem Land nachzudenken. Sie fand durch Missionare statt, die großherzig ihr Leben hingegeben haben, manchmal auf heroische Weise, damit die Liebe Gottes allen verkündigt werde. Ich habe die Bischöfe eingeladen, geeignete pastorale Initiativen ins Leben zu rufen, um in den Familien, in den Pfarreien, in den Gemeinschaften und in den kirchlichen Bewegungen die ständige Wiederentdeckung der Heiligen Schrift zu fördern, als Quelle geistlicher Erneuerung und Gelegenheit zur Vertiefung des Glaubens. Aus diesem erneuerten Zugang zum Wort Gottes und aus der Wiederentdeckung ihrer Taufe heraus werden die Laiengläubigen die Kraft finden, ihren Glauben an Christus und sein Evangelium in ihrem täglichen Leben zu bezeugen. In dieser für den ganzen Kontinent entscheidenden Phase kann die Kirche in Afrika mit ihrem Einsatz im Dienst des Evangeliums, mit dem mutigen Zeugnis tätiger Solidarität Protagonistin einer neuen Zeit der Hoffnung sein. In Afrika habe ich eine Frische des »Ja« zum Leben gesehen, eine Frische des religiösen Bewußtseins und der Hoffnung, eine Wahrnehmung der Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit und mit Gott – und nicht verkürzt auf einen Positivismus, der am Ende die Hoffnung auslöscht. All das bedeutet, daß in jenem Kontinent ein Vorrat an Leben und an Lebenskraft für die Zukunft vorhanden ist, auf den wir zählen können, auf den die Kirche zählen kann. Diese meine Reise war ein großer Aufruf an Afrika, all seine Bemühungen darauf auszurichten, jenen das Evangelium zu verkünden, die es noch nicht kennen. Es geht um einen erneuerten Einsatz für die Evangelisierung, zu der jeder Getaufte aufgerufen ist durch die Förderung von Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden.

Maria, Mutter der Kirche und Unsere Liebe Frau von Afrika, vertraue ich all jene an, denen ich auf dieser unvergeßlichen Apostolischen Reise begegnen durfte. Ihr anempfehle ich die Kirche in Afrika. Die mütterliche Fürsprache Marias, »deren Herz immer auf den Willen Gottes ausgerichtet ist, unterstütze jede Bemühung zur Umkehr, festige jede Initiative der Versöhnung und stärke jede Anstrengung zugunsten des Friedens in einer Welt, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit« (Africae munus, 175). Danke.
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Ganz herzlich grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Zeigen doch auch wir unsere Solidarität mit den Christen in der Welt: in unserem Einsatz für das Evangelium und mit unserem Zeugnis gelebter Hoffnung. Gott schenke euch gesegnete Tage hier in Rom.





Audienzhalle

Mittwoch, 30. November 2011


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