Kommentar zum Evangelium Mt 10

Zehnte Homilie. Kap. III, V.1-6.

10 Mt 3,1-6
1.

V.1: "In jenen Tagen erschien Johannes der Täufer, predigte in der Wüste Judäa's 

   V.2: und sagte: Tuet Buße, denn das Himmelreich ist nahe." 

   Welches sind jene Tage? Johannes trat ja nicht schon damals auf, als der Heiland noch ein Kind war und nach Nazareth kam, sondern erst nach dreißig Jahren, wie auch Lukas bezeugt. Warum sagt also Matthäus:" In jenen Tagen"? Die Hl. Schrift pflegt diesen Ausdruck regelmäßig zu gebrauchen. Nicht bloß wenn sie von Dingen redet, die bald auf ein vorher erzähltes Ereignis folgen, sondern auch bei solchen, die erst viele Jahre später geschehen sollten. So z.B. auch da, wo sie berichtet, wie die Jünger zum Herrn kamen, der auf dem Ölberg saß, und ihn über seine Wiederkunft befragten und über die Zerstörung Jerusalems. Ihr wißt aber doch, wie weit diese beiden Dinge zeitlich auseinander liegen. Nachdem er nämlich über den Untergang der Hauptstadt gesprochen und seine Rede beendet hatte, fuhr er, um auf das Weltende überzugehen, fort mit den Worten: "dann wird auch das geschehen" (Mt 24,9). Doch wollte er mit diesem "dann" nicht beide Zeitereignisse verbinden, sondern nur jene Zeit angeben, in der dieses geschehen sollte. So macht es der Evangelist auch jetzt mit den Worten: "In jenen Tagen". Denn nicht um die[152] zeitliche Aufeinanderfolge zu bezeichnen, gebraucht er diesen Ausdruck, sondern um jene Zeit zu nennen in der das geschehen soll, wovon er zu erzählen sich anschickte. Aber, fragst du, weshalb kam Jesus nach dreißig Jahren zur Taufe? Um nach dieser Taufe das ganze Gesetz aufzuheben. Deshalb blieb er bis zu dem Alter, in dem man jene Sünde begangen haben kann, unter dem Gesetz und beobachtete alle seine Satzungen, damit niemand sagen könne, er habe es nur deshalb aufgehoben, weil er es nicht habe halten können. Unsere Leidenschaften befallen uns ja nicht immer alle zu gleicher Zeit, vielmehr tun wir in der ersten Jugend, was unverständig und kindisch ist; später tritt die böse Lust in den Vordergrund und ihr folgt die Begierde nach Gab und Gut. Deshalb wollte der Herr all diese Jahre durchleben und dabei in allem das Gesetz beobachten, und dann erst zur Taufe kommen, damit sie den Abschluß aller anderen Vorschriften bildete, denen er sich unterworfen hatte. Denn dass sie der letzte Akt seines Gehorsams gegen das Gesetz sein sollte, kannst du aus seinen eigenen Worten entnehmen, da er sagte: "Denn so geziemt es sich, dass wir alle Gerechtigkeit erfüllen" (Mt 3,15). Der Sinn dieser Worte ist der: Alles, was das Gesetz vorschreibt, hab ich erfüllt; nicht eine Vorschrift hab ich übertreten. Da also nur noch dieses eine Gebot übrig bleibt, muß ich auch diesem noch genügen, und so werde ich alle Gerechtigkeit erfüllen. Gerechtigkeit nennt er nämlich hier die Erfüllung sämtlicher Gesetzesvorschriften. 

   Dass also Christus gerade aus diesem Grunde zur Taufe kam, ergibt sich klar aus dem Gesagten. Warum kam ihm aber gerade diese Taufe in den Sinn? Dass der Sohn des Zacharias nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf die Eingebung Gottes hin zu dieser Taufe kam, ergibt sich auch ganz klar aus den Worten des Lukas: "Es erging an ihn das Wort des Herrn" (Lc 3,2), das heißt der Befehl. Und Johannes selbst sagt: "Derjenige, der mich gesandt hat zu taufen in Wasser, der hat zu mir gesprochen: Über wen du den Geist in Gestalt einer Taube wirst herabsteigen und über ihm schweben sehen, der ist es, der im Heiligen Geiste tauft" (Jn 1,33). Weshalb erhielt also Johannes den Auftrag zu taufen? Auch das offenbart uns der Täufer mit den Worten: "Ich habe ihn nicht gekannt; nur damit er Israel geoffenbart würde, kam ich und taufte in Wasser" (Jn 1,31). Wenn aber dies der einzige Grund war, weshalb heißt es dann bei Lukas: "Er kam in die Gegend des Jordan, und predigte die Taufe der Buße zur Nachlassung der Sünden"? (Lc 3,3). Diese Taufe vermittelte ja doch keine Sündenvergebung; vielmehr war dies ein Geschenk der späterhin gespendeten Taufe. Denn nur "in dieser sind wir alle zusammen begraben worden, durch sie ward der alte Mensch in uns gekreuzigt (Rm 6,4 Rm 6,6), und vor dem Kreuzestode Christi ist nichts von Sündenvergebung für irgend jemand bekannt; denn überall wird diese Wirkung seinem Blute zugeschrieben. Auch Paulus schreibt: "Aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt worden, nicht durch die Taufe des Johannes, sondern im Namen unseres Herrn Jesus Christus, und im Geiste unseres Gottes" (1Co 6,11). Und anderswo sagt er: "Johannes predigte die Taufe der Buße", nicht: die der Sündenvergebung, "damit sie an den glaubten, der nach ihm kommen sollte" (Ac 19,4). Oder wie hätte es eine Sündenvergebung geben sollen, solange das Kreuzesopfer noch nicht dargebracht und der Hl. Geist nicht herabgestiegen war, solange die Sünde nicht gelöst, die Feindschaft nicht aufgehoben und der Fluch nicht beseitigt war?



2.

Was bedeuten also die Worte: "Zur Vergebung der Sünden?" (Mc 1,4). Die Juden waren blind und wollten ihre eigenen Sünden niemals einsehen; im Gegenteil, während sie die größten Strafen verdient hatten, suchten sie sich auf jede Weise zu rechtfertigen. Das führte sie auch hauptsächlich ins Verderben und machte sie dem Glauben abtrünnig. Das wirft ihnen denn auch der hl. Paulus vor, wenn er sagte: "Sie verkennen die Gerechtigkeit Gottes, und suchen derselben ihre eigene gegenüber zu stellen; deshalb sind sie der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan" (Rm 10,3). Und ein anderes Mal schreibt er: "Was sollen wir also sagen? Völker, die die Gerechtigkeit nicht suchen, haben die Gerechtigkeit gefunden. Israel hingegen, das der Gerechtigkeit Gesetz gesucht, ist nicht zum Gesetz der Gerechtigkeit gelangt. Warum? Weil sie dieselben nicht im Glauben suchten, sondern in ihren eigenen Werken" (Rm 9,30-32). Da also hierin die Wurzel des Übels lag, kam Johannes und tat nichts anderes, als sie zur Einsicht ihrer eigenen Sünden führen. Darauf wies schon seine Kleidung hin, welche Buße und Bekenntnis der Sünden predigte. Das kündete auch seine Predigt, denn er sagte nur immer: "Bringet würdige Früchte der Buße" (Lc 3,8). Die Unbußfertigkeit war also auch nach dem Zeugnisse des Paulus die Ursache, dass die Juden Christus verwarfen; Bußfertigkeit hingegen bewirkt, dass man Verlangen hegt nach dem Erlöser und sich sehnt nach Vergebung der Sünden. Dazu wollte Johannes sie vorbereiten, und sie zur Buße bewegen, nicht auf dass sie gestraft würden, sondern damit sie durch die Buße demütiger würden, ihre eigene Schuld eingeständen und auf diese Weise schnelle Verzeihung erlangten. Beachte also, wie genau sich der Evangelist ausgedrückt hat. Den Worten: "Er kam und predigte die Taufe der Buße in der Wüste von Judäa" fügte er bei: "Zur Vergebung" (Mc 1,4), als wollte er sagen: deshalb hat er sie bewogen, ihre Sünden zu bekennen und zu bereuen, nicht damit sie Strafe empfingen, sondern damit sie daraufhin um so leichter Verzeihung erlangten, Denn hätten sie nicht sich selbst verurteilt, so hätten sie auch nicht nach der Gnade verlangt; und hätten sich nicht nach der Gnade verlangt, so wäre ihnen auch keine Verzeihung zuteil geworden. Jene Taufe ist also die Vorläuferin von dieser; deshalb sagte er auch: "damit sie an den glaubten, der nach ihm kommen soll" (Ac 19,4), und stellte damit außer dem Grund, den er schon erwähnte, auch diesen zweiten als Motiv zur Taufe hin. 

   Es wäre ja doch nicht wohl möglich gewesen alle Häuser abzugehen, Christus an der Hand herumzuführen und zu sagen: An diesen müßt ihr glauben! und dann in Gegenwart und im Angesichte aller seine hl. Stimme zu erheben, und all das übrige zu tun, was er getan. Auch deshalb also kam der Herr zur Taufe. Denn das Ansehen des Täufers sowohl als auch der Wert der Sache selbst zog die ganze Stadt an, und rief sie hinaus zum Jordan, so dass es ein großes Schauspiel abgab. Darum tadelte auch Johannes die, welche zu ihm kamen, und heißt sie, nicht groß von sich selber zu denken; er weist sie darauf hin, dass sie eigentlich die schwersten Strafen verdienten, wenn sie keine Buße täten, und wenn sie nicht von ihrem hochmütigen Pochen auf ihre Vorfahren abließen, anstatt auf den zu hören, der zu ihnen gekommen war. Was sich nämlich bei Christi Geburt zugetragen hatte, war schnell in den Hintergrund getreten, und schien bei vielen ganz in Vergessenheit geraten zu sein wegen des Kindermordes in Bethlehem. Und wenn er sich auch im Alter von zwölf Jahren offenbarte, so trat er doch schnell wieder ins Dunkel zurück. Deshalb war also jetzt eine glänzende Einführung und ein hervorragender Anfang nötig. Darum hat auch Johannes damals zum erstenmal mit lauter Stimme Dinge gepredigt, wie die Juden sie noch nie zu hören bekommen hatten, weder von ihren Propheten noch von sonst jemand. Er erinnerte sie an den Himmel und das himmlische Reich, und ließ die irdischen Dinge ganz außeracht. Unter Himmelreich versteht er aber hier die erste und letzte Ankunft des Herrn. Aber wie paßt dies zu den Juden? fragst du. Sie verstehen ja doch nicht, was du meinst. Gerade deshalb, so wird Johannes erwidern, rede ich also, damit der dunkle Sinn der Rede sie anrege und sie veranlasse, denjenigen zu suchen, den ich gepredigt. Diejenigen also, die zu ihm kamen, hat er mit so großen Hoffnungen erfüllt, dass sogar Zöllner und Soldaten fragten, was sie tun und wie sie ihr Leben einrichten müßten? Ein Zeichen, dass sie sich von ihrem weltlichen Treiben losgesagt und den Blick auf anderes, Höheres richteten und an das Jenseits dachten. Es hatte eben alles, was sie gesehen und gehört hatten, ihre Gedanken himmelwärts gerichtet.



3.

Bedenke also, welch ein Schauspiel es gewesen sein muß, einen Mann aus der Wüste kommen zu sehen, in der er dreißig Jahre gelebt, den Sohn eines Hohenpriesters[153] , der niemals menschliche Bedürfnisse gezeigt, der in jeder Hinsicht Verehrung und Achtung verdiente, und für den sogar Isaias Zeugnis ablegte. Denn auch er kam gleichsam und kündigte den Täufer an mit den Worten: Der ist's, von dem ich prophezeite, er werde kommen als Rufender, und werde in der Wüste mit lauter Stimme alles künden. So wichtig waren den Propheten diese Dinge, dass sie nicht bloß ihren eigenen Herrn, sondern auch seinen zukünftigen Dienern lange vorher ankündigten, und zwar nicht bloß ihn selbst, sondern sogar den Ort, an dem er wohnen sollte, und die Art und Weise, wie er predigen würde, um nach seiner Ankunft die Menschen zu belehren, endlich das ganze Heilswerk, das durch ihn seinen Anfang nehmen sollte. Beachte nun auch, wie sie beide, der Prophet und der Täufer, in den gleichen Gedanken, wenn auch nicht in den gleichen Worten zusammentreffen. Der Prophet verkündet, dass der Täufer bei seiner Ankunft sagen werde; 

   V.3: "Bereitet den Weg des Herrn, machet gerade seine Pfade" (Is 40,3). 

   Als aber der Täufer selber kam, sagte er: "Bringet würdige Früchte der Buße" (Mt 3,18). Das ist gleichbedeutend mit den Worten: "Bereitet den Weg des Herrn." Siehst du, wie sowohl die Worte des Propheten als auch die Predigt des Täufers nur dieses eine offenbaren, dass Johannes der Vorläufer wurde und der Wegbereiter, dass er nicht die Gabe selber austeilen sollte, die da ist die Vergebung der Sünden, sondern nur die Seelen derer vorbereiten, die da willig wären, den Herrn des Weltalls aufzunehmen. Lukas fügt noch etwas weiteres hinzu; er begnügt sich nicht bloß mit dem Anfang, sondern gibt gleich die ganze Prophetie mit den Worten: "Jedes Tal wird ausgefüllt, jeder Berg und jeder Hügel abgetragen; das Krumme wird gerade sein, und die unebenen Wege werden glatt, und alles Fleisch wird schauen Gottes Heil"  (Lc 3,56 Is 40,45) Siehst du, wie der Prophet zum voraus alles verkündet, das Zusammenströmen des Volkes, den Umschwung der Dinge zum Besseren, die Freiheit der Predigt und die Ursache alles dessen, was vorgefallen, wenngleich er freilich all dies stark bildlich ausgedrückt hat. Seine Worte waren eben eine Prophetie. Wenn er also sagt: "Jedes Tal wird ausgefüllt, jeder Berg und jeder Hügel abgetragen, und die unebenen Wege werden eben", so ist dies nur ein Hinweis darauf, wie die Demütigen erhöht werden, die Anmaßenden Demütigung erfahren, wie die Last des Gesetzes der Freiheit des Glaubens weichen mußte. Fürderhin, will er sagen, gibt es keine Mühen und Anstrengungen mehr, sondern nur noch Gnade und Vergebung der Sünden, die uns die Erlangung des Heiles überaus leicht machen. Dann gibt er den Grund dafür an in den Worten: "Alles Fleisch wird schauen Gottes Heil"; nicht mehr bloß die Juden und Proselyten, nein, die ganze Erde und das Meer, das gesamte Menschengeschlecht. Durch den Ausdruck "das Verkehrte" will er nämlich alle diejenigen bezeichnen, die ein verkehrtes Leben führten, die Zöllner, Huren, Räuber, Zauberer, alle jene, die früher auf Abwege geraten waren und dann erst den rechten Weg betraten. Das also meint er mit den Worten: "Die Zöllner und Huren kommen noch vor euch in das Reich Gottes, weil sie geglaubt haben" (Mt 21,31). Ganz denselben Gedanken kleidet der Prophet auch noch in andere Worte, wo er sagt: "Dann werden die Wölfe und die Lämmer miteinander weiden" (Is 65,25). Dort hat er durch Hügel und Täler das sittenlose Leben bezeichnet, das sich zum Bunde mit der einen Lebensweisheit einen werde; hier deutet er durch die Natur der Tiere die verschiedenen Sitten der Menschen an, und will damit sagen, dass sie alle wieder zu einer Harmonie der Gottseligkeit vereinigt werden. Auch gibt er dort den Grund dafür an; und der lautet: "Es wird die Zeit kommen, da sich einer erheben wird, um über die Völker zu herrschen; auf ihn werden die Nationen ihre Hoffnung setzen" (Is 11,10). Dasselbe sagt er auch hier: "Alles Fleisch wird schauen das Heil des Herrn." An all diesen Stellen zeigt er uns an, dass die Kraft und die Kenntnis des Evangeliums bis an die Grenzen der Erde sich ausbreiten und das Menschengeschlecht vom tierischen Leben und roher Gesittung zu großer Güte und Milde erziehen werde. 

   V.4: "Johannes selbst aber trug ein Kleid von Kamelhaaren und einen Ledergürtel um seine Lenden." 

   Siehst du, wie die Propheten nur einen Teil der Offenbarung vorherverkündeten, das andere den Evangelisten überließen? Darum erwähnt auch Matthäus nicht bloß die Prophetien, sondern fügt auch noch von seinem Eigenen hinzu, und hielt es nicht für überflüssig, von der Bekleidung des Heiligen zu reden.



4.

Es war ja doch eine merkwürdige Seltenheit, einen Menschen von so großer körperlicher Abhärtung zu sehen. Das zog denn auch die Juden besonders an, die in ihm den großen Elias erblickten, weil sie durch das, was sie hier sahen, an jenen großen Heiligen erinnert wurden. Ja ihre Verwunderung[154] war noch viel größer. Elias war in Städten und Häusern aufgewachsen, dieser wohnte von seiner Geburt an in der Wüste. Der Vorläufer desjenigen, der alles Alte auflösen sollte, als da sind die Leiden, der Fluch, Trauer und Mühsal, der mußte doch ein Symbol dieses Geschenkes an sich tragen, und über jenen alten Fluch sich erhaben zeigen. Darum pflügte er die Erde nicht, zog keine Furchen, aß nicht sein Brot im Schweiße seines Angesichts; nein, sein Tisch stand immer bereit,[155] , und noch einfacher als sein Tisch war seine Gewandung, und noch einfacher als sein Kleid war seine Behausung. Er brauchte ja weder Haus noch Bett, noch Tisch, noch sonst etwas, sondern führte in diesem unserem Fleische das Leben eines Engels. Deshalb hatte er auch ein härenes Gewand, damit er uns durch sein Kleid belehre, den menschlichen Bedürfnissen zu entsagen, und nichts mit den irdischen Dingen gemein zu haben; vielmehr sollten wir zu dem alten Adel zurückkehren, der Adam eigen war, bevor er nötig hatte, mit Kleidern sich zu verhüllen. So war also jene Gewandung[156] ein Zeichen der königlichen Würde zugleich und der Buße. Da wende mir nun nicht ein: Woher hatte er denn das härene Gewand und den Gürtel, wenn er in der Wüste wohnte? Denn wenn du solche Dinge wissen willst, dann mußt du dir auch über manches andere den Kopf zerbrechen. Z.B. wie er es in der Wüste im Winter und wie im Sommer aushalten konnte, zumal, da er körperlich noch zart und schwach war, und im jugendlichem Alter stand. Wie konnte sein jugendlicher Leib so verschiedener Witterung standhalten, so armseliger Ernährung, und allen anderen Entbehrungen des Wüstenlebend? Wo sind da die heidnischen Philosophen, die ohne allen Nutzen zynischen Frivolitäten huldigten? Denn was nützte es da einem, sich in ein Faß einzuschließen[157] , und dafür sonst den größten Ausschweifungen sich hinzugeben? Sie haben dabei Ringe, Schalen, Diener und Dienerinnen und viele andere eitle Dinge besessen und nach beiden Seiten hin das rechte Maß überschritten. Nicht so der Täufer; er bewohnte die Wüste als wäre sie der Himmel, und zeigte sich in jeder Tugend vollendet; und aus der Wüste kam er in die Städte, wie ein Engel vom Himmel, ein Held der Tugend, der Sieger über die Welt, der Vertreter einer Weisheit, die des Himmels würdig ist. Und dies alles zu einer Zeit, da der Bann der Sünde noch nicht gelöst, das Gesetz noch nicht außer Kraft getreten, der Tod noch nicht in Fesseln geschlagen, die ehernen Tore noch nicht zerbrochen waren, da noch der Alte Bund in Geltung stand. Soviel vermag eben eine hochgesinnte und eifrige Seele; überall geht sie voran und schreitet über alle Hindernisse hinweg, die ihr im Wege liegen, gerade so, wie es auch Paulus im Neuen Bunde gemacht hat. 

   Weshalb hat er aber außer seinem Gewande noch einen Gürtel getragen? Das war bei den Alten so Brauch, bevor man die modernen weichlichen, verzärtelnden Kleider einführte. So sehen wir auch Petrus mit dem Gürtel angetan und Paulus. "Den Mann", heißt es, dem dieser Gürtel gehört" (Ac 21,11). Auch Elias war damit gegürtet, und alle anderen Heiligen; sie waren eben immer beschäftigt, sei es, dass sie sich auf Reisen befanden, oder wegen eines sonstigen Bedürfnisses sich eifrig der Arbeit widmeten. Und nicht nur aus diesem Grunde taten sie so, sondern auch, weil sie alle Eitelkeit verachteten, und nur auf Strenge und Abhärtung bedacht waren. Darum erklärte auch Christus gerade dies als das höchste Tugendlob, indem er sagte: "Was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Einen Menschen mit weichlichen Kleidern angetan? Sehet, die, die weichliche Kleider tragen, die wohnen in den Palästen der Könige" (Lc 7,25).



5.

Wenn aber Johannes so rein war, und herrlicher erstrahlte, als der Himmel, wenn er alle Propheten übertraf, und größer war als irgendein anderer Mensch, wenn er, der überdies solchen Freimut besaß, sich dermaßen abhärtete, mit größter Standhaftigkeit alle Weichlichkeit und Schwelgerei verschmähte, und ein so hartes Leben führte, welche Entschuldigung werden wir da haben, die wir nach so vielen empfangenen Wohltaten und trotz tausendfacher Sündenlast auch nicht das geringste Maß seiner Bußgesinnung zeigen, wenn wir im, Gegenteil dem Trunk und Völlerei ergeben sind, von Salben duften, um nichts besser sind als die Schauspielerinnen, die auf dem Theater schamlose Rollen aufführen, uns jeder erdenklichen Weichlichkeit hingeben, und selber alles tun, um eine leichte Beute des Teufels zu werden! 

   V.5: "Da wanderten ganz Judäa und Jerusalem zu ihm hinaus und die Umwohner des Jordan, 

   V.6: und sie wurden von ihm getauft, nachdem sie ihre Sünden bekannt hatten." 

   Siehst du, wieviel der Prophet durch sein bloßes Erscheinen vermochte? Wie er das ganze Volk erschütterte; wie er ihnen ihre eigenen Sünden zum Bewußtsein brachte? Ja, es war wohl des Staunens wert, zu sehen, wie er, der in menschlicher Gestalt einherging, solches zustande brachte; wie er so freimütig auftrat, alle tadelte wie Kinder, und wie dennoch sein Antlitz von soviel Anmut strahlte. Das Staunen ward aber noch um so größer, weil schon so lange kein Prophet mehr erschienen war. Es hatte ihnen eben das Charisma gefehlt, und erst nach langer Zeit kehrte es zu ihnen zurück. Auch die Art seiner Predigt war befremdend und neu. Da hörten sie nichts von den gewöhnlichen Dingen, wie z.B. von Kriegen und Schlachten und irdischen Siegen, von Hunger und Pest, von Babyloniern und Persern, von der Einnahme von Städten und den anderen gewöhnlichen Dingen; dafür bekamen sie vom Himmel zu hören und seinem Reich, und von der Strafe der Hölle. Obgleich also nicht lange zuvor die Aufrührer, die mit Judas und Theudas gehalten, alle in der Wüste niedergemacht worden waren, scheuten sie sich dennoch nicht, zu Johannes hinaus zu ziehen. Er rief sie ja nicht zum gleichen Zwecke, zu Gewalttätigkeit, Aufruhr und Neuerungen, sondern nur, um sie ins Himmelreich zu führen. Darum hielt er sie auch nicht in der Wüste zurück, und führte sie nicht mit sich herum, sondern taufte sie, unterrichtete sie in den Lehren der Religion und entließ sie dann. So leitete er sie an, auf jede Weise die irdischen Dinge zu verachten, nach dem Zukünftigen zu streben und jeden Tag den Eifer neu zu beleben. Ihn wollen also auch wir nachahmen, wollen von Schwelgerei und Trunkenheit lassen und einfach und bescheiden leben. Jetzt ist ja die Zeit der Buße für die Uneingeweihten, wie für die Getauften; für jene, damit sie nach vollbrachter Buße in die hl. Geheimnisse eingeweiht werden[158] , für diese, damit sie die Makel der Sünde, die sie nach er Taufe begangen haben, abwaschen und so mit reinem Gewissen dem Tische des Herrn sich nahen. Lassen wir also ab von diesem weichlichen, ausgelassenen Leben. Es ist in der Tat nicht möglich, Buße zu tun und zu gleicher Zeit ein schwelgerisches Leben zu führen. Das möge Johannes uns lehren mit seiner Bekleidung, seiner Nahrung und seiner Behausung. 

   Aber wie? fragst du; du verlangst von uns, dass auch wir ein solches Bußleben führen? Nein, ich verlange es nicht, aber ich rate es euch und ermahne euch dazu. Wenn uns dies aber nicht möglich ist, so zeigen wir doch wenigstens Bußgesinnung, auch wenn wir in den Städten wohnen; denn das Gericht steht vor der Türe. Wenn er aber auch noch nicht sobald käme, so wäre dies doch kein Grund zur Vermessenheit; denn das Lebensende eines jeden einzelnen ist für den, der abberufen wird, soviel als das Ende der Welt. Dass aber auch dieses selbst vor der Türe steht, kannst du den Worten des hl. Paulus entnehmen: "Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe" (Rm 13,12). Und ein andermal sagt er: "Es wird kommen, der da kommen soll, und nicht wird er zögern" (He 10,37). Auch sind ja schon die Zeichen erfüllt, die jenen Tag herbeiführen werden; denn, so heißt es: "Es wird verkündet werden dieses Evangelium vom Reiche Gottes auf der ganzen Erde, allen Völkern zum Zeugnis; und dann wird das Ende nahen" (Mt 24,14).



6.

Gebt sorgfältig acht auf das, was ihr gehört habt. Der Herr sagte nicht: Wenn das Evangelium von allen Menschen angenommen sein wird, sondern: Wenn es bei allen wird verkündet worden sein. Deshalb fügte er auch hinzu: Zum Zeugnis für die Völker. Er zeigt damit an, dass er mit seiner Wiederkunft nicht warten will, bis alle glauben. Die Worte: "Zum Zeugnis" bedeuten nämlich: zum Gericht, zur Anklage, zur Verdammung derer, die nicht glauben. Aber sehet, wir, die wir dies alles hören und sehen, wir schlummern und träumen und sind schlaftrunken, wie in tiefster Nacht. Die Dinge dieser Welt, die guten wie die schlechten, sind ja nicht besser als Träume. Deshalb ermahne ich euch, hinfort wachsam zu sein, und aufzublicken zur Sonne der Gerechtigkeit. Wer schläft kann ja unmöglich die Sonne schauen, noch seine Augen an der Schönheit ihres Lichtes erfreuen; was immer er sieht, schaut er, wie im Traume. Deshalb haben wir strenge Buße nötig und viel Reuetränen, weil wir einerseits keinen Schmerz empfinden über unsere Sünden, und doch anderseits unsere Sünden schwer sind und zu groß, als dass sie Verzeihung verdienten. Dass ich aber nur die Wahrheit sage, das kann mir die Mehrzahl meiner Zuhörer bestätigen. Doch wenn auch unsere Sünden keine Verzeihung verdienen, tun wir trotzdem Buße und wir werden den Siegeskranz erringen. Zur Buße gehört aber nicht bloß, dass wir von den früheren Sünden ablassen, sondern dass wir auch durch gute Werke sie noch übertreffen. Denn es sagt der Täufer: "Bringt würdige Früchte der Buße" (V.8). Aber wie sollen wir dies machen? Dadurch, dass wir das Gegenteil von früher tun. Zum Beispiel: Hast du fremdes Gut gestohlen? Gib in Zukunft auch von deinem Eigenen! Hast du lange in Unzucht gelebt? Enthalte dich an den festgesetzten Tagen selbst deiner eigenen Frau; übe dich in der Enthaltsamkeit! Hast du Leute, die an dir vorübergingen, beschimpft und geschlagen? Nun, so lobe in Zukunft diejenigen, die dich beschimpfen, und tu Gutes denen, die dich schlagen. Um gesund zu werden, ist es ja auch nicht genug, bloß den Pfeil herauszuziehen, wir müssen auch Heilmittel auf die Wunde legen. Hast du bisher in Fraß und Völlerei gelebt? Faste hinfort und trinke Wasser, damit du das Unheil, das du früher angerichtet, beseitigst. 

   Hast du fremde Personen ob ihrer Schönheit mit unkeuschen Augen angesehen? Blicke in Zukunft überhaupt auf keine Frau mehr, damit du um so sicherer gehest."Laß ab vom Bösen und tu das Gute" (Ps 36,27), sagt der Psalmist, und an einer anderen Stelle: "Bewahre deine Zunge vom Bösen, und deine Lippen sollen keinen Trug reden" (Ps 33,14). Noch mehr, du sollst auch Gutes sagen. "Suche den Frieden und jage ihm nach" (Ps 33,15); ich meine nicht bloß den Frieden mit den Menschen, sondern auch den mit Gott. Ganz treffend sagte der Psalmist: "Jage ihm nach"; der Friede wurde ja von uns verjagt und vertrieben, und verließ die Erde, um sich in den Himmel zurückzuziehen. Indes, wenn wir nur wollen, können wir ihn wieder erlangen; wir brauchen nur den Unverstand und Hochmut und alles andere, das ihm hinderlich ist, zu entfernen, und dieses reine und einfache Leben zu führen. Nichts ist ja schlimmer als Stolz und Anmaßung. Diese macht uns zugleich aufgeblasen und knechtisch, macht uns durch jenes lächerlich, durch dieses verhaßt, und stürzt uns zugleich in ganz entgegengesetzte Fehler: den Hochmut und die Kriecherei. Wenn wir hingegen die Übermacht der Leidenschaft brechen, dann werden wir demütig sein und doch zuversichtlich, werden groß sein und doch fest stehen. Auch mit unserem Leibe ist es ja so; jegliches Übermaß erzeugt Unwohlsein; und wenn die einzelnen Teile ihre eigenen Grenzen überschreiten und ins Maßlose ausarten, dann entstehen daraus die tausenderlei Krankheiten und bösartige Todeskeime. Das gleiche kann man auch an der Seele beobachten.



7.

Fliehen wir also alles Übermaß, greifen wir zum rettenden Heilmittel der Maßhaltung, bleiben wir auf dem rechten Mittelweg und geben wir uns eifrigem Gebete hin. Und wenn wir auch nicht gleich erhört werden, verharren wir darin, damit wir erhört werden; und wenn wir erhört wurden, seien wir beharrlich, weil wir erhört wurden. Der Herr will uns ja seine Gabe nicht vorenthalten; er will nur durch den Aufschub unseren Eifer um so mehr entflammen. Deshalb zögert er, unsere Bitte zu erhören, und läßt uns oft in Versuchung fallen, damit wir recht oft unsere Zuflucht zu ihm nehmen, und dann auch bei ihm verharren. So machen es ja auch die Väter und Mütter, die ihre Kinder lieben. Wenn sie sehen, dass ihre Kinder nicht mehr bei ihnen bleiben, sondern mit ihren Altersgenossen spielen wollen, dann lassen sie ihre Diener sich in allerhand Schreckgestalten kleiden, damit die Furcht sie zwinge, sich in die Arme ihrer Mutter zu flüchten. So schreckt uns auch Gott gar oft mit einer Drohung, nicht um dieselbe auszuführen, sondern um uns zu sich hinzuziehen. Wenn wir dann zu ihm kommen, befreit er uns alsbald von unserer Furcht. Wenn wir also gerade so wären zur Zeit der Prüfung, so hätten wir gar keine Prüfungen nötig. Und was rede ich nur von uns? Auch die Heiligen haben ja große Vorteile daraus geschöpft. Darum sagt ja auch der Prophet: "Es ist gut für mich, dass Du mich gedemütigt hast" (Ps 118,71). Und der Herr selber sagte zu den Aposteln: "In dieser Welt werdet ihr Bedrängnis leiden" (Jn 16,33). Auch der hl. Paulus deutet das gleiche an mit den Worten: "Mir wurde ein Stachel gegeben für mein Fleisch, ein Engel des Satan, auf dass er mich peinige" (2Co 12,7). Obgleich er also bat, von dieser Versuchung frei zu werden, wurde er doch nicht erhört, weil sie ihm eben zu großem Vorteil gereichte. Und wenn wir das ganze Leben Davids durchgehen, so werden wir finden, dass er stets in den Gefahren am größten war, er selber und alle die anderen, die nach ihm lebten. Auch Job glänzte ja herrlicher im Leiden, und Joseph fand durch sie größeren Ruhm, so wie auch Jakob und dein Vater und Großvater; und wenn immer sonst noch jemand eine besonders glänzende Krone empfing, so waren es Trübsale und Heimsuchungen, um derentwillen er gekrönt und ausgezeichnet wurde. 

   In dieser Überzeugung laßt uns das weise Wort befolgen: "Eilen wir nicht zur Zeit der Prüfung" (Si 2,2), sondern machen wir uns nur zu dem einen bereit, alles männlich zu ertragen, über nichts zu grübeln und uns nicht um das zu sorgen, was mit uns geschieht. Zu wissen, wie unsere Trübsale enden sollen, ist Sache Gottes, der sie über uns kommen ließ; und die auferlegten Leiden in dankbarer Zufriedenheit zu tragen, das ist unsere Sache, wenn anders wir klug und einsichtig sind. Wenn wir so handeln, wird dies unendlich viel Gutes im Gefolge haben. Damit dies also auch wirklich so geschehe, damit wir hienieden erprobter werden und drüben um so glorreicher dastehen, nehmen wir alles an, was immer über uns kommen mag, und danken wir für alles dem, der besser weiß als wir, was uns zuträglich ist, und der uns inniger liebt als unsere eigenen Eltern. Erinnern wir uns an diese beiden Gedanken in allen unseren Leiden, werfen wir alle Traurigkeit ab, und preisen wir in allem Gott, der alles für uns tut und vorsorgt. So werden wir auch mit Leichtigkeit über die Anfechtungen Herr werden, und die unverwelklichen Kronen empfangen, durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ehre, Macht und Ruhm sei mit dem Vater und dem Hl. Geist jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!





Elfte Homilie. Kap. III, V.7-12.

11 Mt 3,7-12
1.

V.7: Da er aber viele Sadduzäer und Pharisäer zu sich zur Taufe kommen sah, sprach er zu ihnen: Vipernbrut, wer hat euch gelehrt, dem zukünftigen Zorne zu entrinnen?" 

   Warum sagt denn da Christus, sie hätten dem Johannes nicht geglaubt? Weil das wirklich kein Glaube war, dass sie den, der von ihm gepredigt wurde, nicht aufnahmen. Auch den Propheten und ihrem Gesetzgeber Moses gehorchten sie ja dem Anscheine nach; und doch sagte der Herr, sie hätten ihm nicht gehorcht, da sie ja denjenigen, den jene vorherverkündeten, nicht aufnahmen. "Hättet ihr dem Moses geglaubt, so hättet ihr wohl auch mir geglaubt" (Jn 5,46). Und als später die Pharisäer von Christus gefragt wurden:"Von woher ist die Taufe des Johannes?", da sprachen sie: Wenn wir sagen: Von dieser Welt, so haben wir das Volk zu fürchten; sagen wir: Vom Himmel, so wird er uns fragen: Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt?" (Mt 21,25-26). Aus all dem also geht klar hervor, dass sie zwar kamen und sich taufen ließen, dass sie aber nicht im Glauben an seine Predigt verharrten. Johannes deckt ja ihre Schlechtigkeit auf, da sie zum Täufer sandten und fragten: "Bist du vielleicht der Elias? Bist du Christus? (Jn 1,21). Deshalb fügte er hinzu: "Die Abgesandten waren aber Pharisäer" (Jn 1,24). Indes, fragst du, haben denn nicht die meisten Leute ebenso gedacht? Ja, aber das gewöhnliche Volk glaubte eben so aus Einfalt und Unwissenheit. Die Pharisäer hingegen wollten ihn nur fangen. Da man nämlich allgemein überzeugt war, Christus werde aus der Heimat Davids kommen, Johannes dagegen dem Stamme Levi angehörte, so legten sie ihm mit ihrer Frage eine Schlinge, um alsbald über ihn herzufallen, wenn er etwas Derartiges behaupten sollte. Dies ergibt sich auch ganz klar aus dem Folgenden: Da nämlich Johannes sich zu nichts von dem bekannte, was sie ihn gefragt hatten, setzten sie ihm dennoch zu und sagten: "Was taufst du also, wenn du nicht Christus bist?" 

   Damit du aber siehst, dass die Absicht, mit der die Pharisäer kamen, verschieden war von derjenigen der einfachen Leute, so höre, wie auch dies der Evangelist uns kundgibt. Von den gewöhnlichen Leuten sagt er: Sie kamen und wurden von ihm getauft, nachdem sie ihre Sünden bekannt hatten. Von den Pharisäern nichts dergleichen; da heißt es nur:"Als er sah, dass viele Pharisäer und Sadduzäer kamen, rief er: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch gelehrt, dem künftigen Zorne zu entfliehen!" Seht, welche Unerschrockenheit! Mit welchem Mute spricht er zu Menschen, die jederzeit dürsteten nach dem Blute der Propheten, die um nichts besser waren als Schlangen! Mit welchem Freimut klagt er sie an samt ihren Vätern!" Ja, sagst du, sein Freimut ist wohl groß; es fragt sich aber, ob seine freimütige Rede auch berechtigt war? Er sah ja doch nicht, wie die Pharisäer sündigten, sondern wie sie Buße taten; deshalb hätte er sie auch nicht tadeln sollen, sondern loben und gütig aufnehmen, nachdem sie doch die Stadt und ihr Heim verlassen und herbeigeeilt waren, um seine Predigt zu hören. Was soll ich darauf erwidern? Johannes achtete eben nicht auf das, was äußerlich geschah, sondern durchschaute ihre verborgenen Gedanken, da Gott sie ihm offenbarte. Weil sie sich also auf ihre Vorfahren viel zugute taten, und dies die Ursache ihres Verderbens wurde, da es sie sorglos machte, so schneidet er die Wurzel ihrer Vermessenheit ab. Deshalb nennt sie auch Isaias "Fürsten von Sodoma" und "Volk von Gomorrha" (Is 1,10); und ein anderer Prophet sagt: "Seid ihr nicht wie Söhne von Äthiopiern?" (Am 9,7). Auch alle anderen[159] suchen sie von dieser Selbstüberhebung abzuziehen, indem sie ihnen die Ursache ihrer Aufgeblasenheit nehmen, die unzählig viel Böses im Gefolge hatte. 

   Nun, wendest du ein, die Propheten waren da wohl im Recht, sie sahen die Juden sündigen; mit was für Grund und Ursache tut aber in unserem Falle Johannes dasselbe, da er doch sah, wie sie willfährig waren? Um sie noch mehr zu erweichen. Wer aber genau auf den Wortlaut acht gibt, wird bemerken, dass er auch Lob unter den Tadel gemischt hat. Er sprach nämlich so, weil er sie bewunderte, dass sie zwar spät, aber zuletzt doch über sich gebracht hatten, was ihnen fast unmöglich erschienen war. Sein Tadel entsprang also mehr der Absicht, sie an sich zu ziehen, und ihre Sinnesänderung anzubahnen. Wenn er sie also zu erschrecken scheint, so zeigt er damit nicht bloß, dass ihre frühere Schlechtigkeit groß war, sondern auch, dass ihre Bekehrung bewundernswert und etwas Außerordentliches sei. Wie kommt es, sagt er, dass ihr, die ihr die Söhne jener Väter seid, und in solcher Schlechtigkeit aufgewachsen seid, dass ihr euch bekehret? Woher diese große Änderung? Wer hat eure steinharten Herzen erweicht? Wer die unheilbare Wunde geheilt? Beachte auch, wie er sie gleich im Anfang erschreckt, indem er zuerst von der Hölle zu reden anfängt. Er sagte nicht, was sie sonst gewohnt waren zu hören: "Wer hat euch gelehrt, euren Feinden zu entfliehen, den Einfällen der Barbaren, der Kriegsgefangenschaft, Hunger und Pest?", nein, er hält ihnen eine andere Strafe vor, von der sie noch nie hatten reden hören; er sagt: "Wer hat euch gelehrt, dem zukünftigen Zorne zu entrinnen?"



2.

Ganz treffend hat er ihnen auch den Namen "Vipernbrut" gegeben. Von diesem Tiere sagt man nämlich, es komme auf die Welt, nachdem es der Mutter dadurch den Tod gebracht, dass es sich durch ihren Leib durchfrißt. So machten es ja auch die Pharisäer, die Väterund Muttermörder geworden, und ihre Lehrer mit eigener Hand getötet haben. Indes bleibt Johannes bei seinem Tadel nicht stehen; er fügt noch einen guten Rat hinzu, indem er sagt: 

   V.8: "Bringt würdige Früchte der Buße." 

   Es genügt nämlich nicht, nur das Böse zu fliehen, ihr müßt auch viel Gutes tun. Macht es ihr also nicht umgekehrt wie sonst immer, und wendet euch nicht nach kurzer Besserung zu eurer früher gewohnten Schlechtigkeit zurück. Ich bin nicht zum gleichen Zweck gekommen, wie die früheren Propheten. Jetzt handelt es sich um Anderes und Höheres; denn der Richter selbst wird jetzt kommen, der Herr des Himmelreiches in eigener Person, um uns zu einer höheren Weisheit zu führen, uns zum Himmel zu rufen, und zu den himmlischen Wohnungen zu ziehen. Darum beginne ich meine Rede mit der Hölle: denn das Gute wie das Böse dauert ewig. Verharret also nicht immer in den gleichen Sünden, und kommt nicht immer mit dem alten Gerede von Abraham und Isaak und Jakob, und der hohen Geburt eurer Stammväter. So sprach aber Johannes, nicht weil er sie hindern wollte, zu sagen, dass sie von jenen Heiligen abstammen, sondern um sie von ihrem vermessenen Vertrauen auf ihre Abstammung abzubringen, da sie ihretwegen die geistigen Tugenden vernachlässigten; zugleich wollte er aber auch offenbaren, wie sie in ihrem Inneren dachten, und wollte auch die Zukunft vorherverkünden. Denn auch später kommen sie wieder daher und sagen:"Wir haben Abraham zum Vater, und sind niemals irgend jemandens Knechte gewesen" (Jn 8,33). Da also dieser Punkt es war, der sie am meisten zum Hochmut veranlaßte und ins Verderben führte, so greift er diesen zuerst an. Beachte aber, wie er unter Wahrung des Ansehens des Patriarchen die Pharisäer zurückweist. Nach den Worten: 

   V.9: "Rühmet euch nicht und saget nicht: Wir haben Abraham zu unserem Stammvater", 

   fährt er nicht weiter: denn dieser Patriarch wird euch ja doch nichts nützen können; nein, er kleidet den gleichen Gedanken in die viel milderen und höflicheren Worte: 

   "Denn Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken." 

   Da behaupten nun einige, Johannes rede hier von den Heiden, die er im bildlichen Sinne Steine nenne. Ich glaube aber, seine Worte haben auch noch einen anderen Sinn. Und welchen? Glaubet nicht, will er sagen, dass ihr den Patriarchen kinderlos machen werdet, wenn ihr zugrunde geht. Nein, ganz und gar nicht. Gott kann ihm auch aus Steinen Menschen schaffen, und sie zu seinen Stammesgenossen machen, wie es auch im Anfang so geschah. Wenn nämlich aus Steinen Menschen würden, so wäre dies ungefähr so, wie damals, da jene unfruchtbare Mutter ein Kind gebar. Darauf spielt auch der Prophet an, wenn er sagt: "Sehet an den starren Felsen, aus dem ihr gemeißelt worden, und die hohle Grube, aus der ihr gestiegen: blicket hin auf Abraham, euren Vater, und auf Sarah, eure Mutter" (Is 51,12). An diese Prophetie erinnert sie also Johannes, und zeigt ihnen, dass, wenn Gott im Anfange den Abraham auf so wunderbare Weise zum Vater machte, als hätte er ihm den Sohn aus Steinen gemeißelt, das gleiche auch jetzt noch geschehen könne. Und siehe, wie Johannes die Pharisäer erschreckt und zugleich die Wurzel ihres Hochmutes ausreißt. Er sagt nämlich nicht: Gott hat schon erweckt, damit sie nicht an sich selbst verzweifelten, sondern nur: "Er kann erwecken." Auch sagt er nicht: Er kann aus Steinen Menschen machen, sondern, was viel mehr ist, auch Stammverwandte und Kinder Abrahams". Siehst du, wie sehr er sie von ihren fleischlichen Vorstellungen abzieht, und von ihrer Sucht, sich auf ihre Vorfahren zu berufen? Er will eben, dass sie in ihre persönliche Bußgesinnung und Rechtschaffenheit ihre Heilshoffnung setzten. Siehst du also, wie er die Verwandtschaft dem Fleische nach verwirft, und jene an ihre Stelle setzt, die aus dem Glauben entspringt?



3.

Beachte nun, wie er auch im folgenden die Furcht dieser Leute vermehrt, und ihre Angst noch länger dauern läßt. Nachdem er gesagt hatte:"Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken", fuhr er fort: 

   V.10: "Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt." 

   Er wollte eben auf jede Weise den erschreckenden Ernst seiner Rede erhöhen. Große Freimütigkeit erlaubte ihm allein seine bloße Lebensweise; überdies hatten jene auch noch einen besonderen, starken Anstoß vonnöten, da sie schon so lange Zeit verhärtet waren. Was sage ich da, so spricht gleichsam Johannes, dass ihr der Stammesgemeinschaft mit Abraham verlustig gehen und sehen werdet, wie andere, aus Steinen erweckt, die Stelle einnehmen werden, die euch vorbehalten? Damit wird ja eure Strafe noch keineswegs zu Ende sein; vielmehr werdet ihr noch weitere Züchtigungen zu erfahren haben. "Denn schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt." Nichts ist schrecklicher, als dieser Vergleich. Da ist nicht mehr bloß von einer schnellen Sichel  (Jr 50,16 vgl. Ap 14,14) die Rede, von einem zerstörten Wall  (Jr 30,8)und einem zertretenen Weinberg (Jr 12,10), sondern von einer ganz scharf geschliffenen Axt, und was noch schlimmer ist, wir sehen sie bereits an die Wurzel gelegt. Die Juden hatten nämlich den Propheten hartnäckigen Unglauben entgegengesetzt und gesagt: "Wo ist der Tag des Herrn?" und: "Es möge nur kommen der Ratschluß des Heiligen von Israel, damit wir ihn kennen" (Is 5,19). Weil eben die Prophetien oft erst nach vielen Jahren sich erfüllen, so will er ihnen dieses falsche Vertrauen nehmen, und stellt ihnen darum das Unheil als recht nahe bevorstehend hin. Das zeigt er auch durch das Wort: Schon, und dadurch, dass er sagt, sie werden bereits an die Wurzel gelegt. Es ist kein Ausweg mehr gelassen, will er sagen, sie ist schon an die Wurzel selber angelegt. Er sagte nicht: an die Zweige, oder an die Früchte, nein: An die Wurzel. Er deutet damit an, dass, im Falle sie sich seine Worte nicht zu Herzen nähmen, sie unerbittliche Strafen zu gewärtigen hätten, ohne Hoffnung auf ein Entrinnen. Denn der, der da kommen soll, ist kein Knecht mehr, wie die Propheten, die früher gekommen; er ist der Herr des Weltalls in eigener Person, der gewaltig und machtvoll strafen wird. 

   Nachdem er sie also auch damit wieder in Schrecken gesetzt, läßt er sie gleichwohl nicht in Verzweiflung geraten. Schon das erste Mal hatte er nicht gesagt: "Gott hat erweckt", sondern: "er kann dem Abraham Kinder erwecken", und hat sie so zu gleicher Zeit erschreckt und getröstet; ebenso sagte er auch hier nicht:[160] hat die Wurzel schon durchschnitten, sondern nur: sie ist an die Wurzel angelegt, sie berührt sie; und von keinem Aufschub ist die Rede. Indes, obgleich der Herr sie schon so nahe angelegt, überläßt er es doch eurer Wahl, ob die Wurzel durchschnitten werden soll oder nicht. Wenn ihr euch nämlich bekehrt und bessert, so wird diese Axt entfernt werden. ohne dass sie in Wirkung tritt; bleibt ihr aber hartnäckig, so wird er den Baum mitsamt den Wurzeln aus rotten. Darum hat er[161] weder von der Wurzel entfernt, noch durchschneidet er diese, nachdem er sie angelegt; das erste, damit ihr nicht rückfällig werdet, das zweite, damit ihr sehet, dass er auch diejenigen zu retten vermag, die sich erst kurz zuvor bekehrten. Darum sucht er ihnen auf jede Weise eine möglichst starke Furcht einzuflößen, rüttelt sie auf und treibt sie zur Buße an. Denn dass sie des Vorrechtes ihrer Abstammung verlustig gehen, und dass andere an ihre Stelle treten sollten, dass die Strafe vor der Türe stehe, und dass sie unerträglich schwer sein werde, das hat er beides durch die Worte: Wurzel und Axt angezeigt, und das alles war sehr geeignet, auch noch so tief Gefallene wieder aufzurichten und kampffähig zu machen. Das gleiche lehrt auch Paulus, wenn er sagt: "Kurzen Prozeß wird der Herr mit dem gesamten Erdkreis machen" (Rm 9,28). Indes fürchte dich nicht, oder vielmehr fürchte dich, aber verliere den Mut nicht. Noch hast du Hoffnung auf Bekehrung. Der Ausspruch wird nicht ohne weiteres in Erfüllung gehen, die Axt wird nicht zum Schneiden kommen; oder was hätte sie sonst hindern können zu schneiden, da sie schon an der Wurzel lag? Er will dich nur durch deine Angst besser machen, und dich veranlassen, gute Früchte zu bringen. 

   Deshalb fährt er weiter: "Jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird ungehauen und ins Feuer geworfen." Wenn er aber sagt: "Jeder", so schließt er auch jetzt wieder jedes Vorrecht aus, das auf bloßer Abstammung beruhte. Denn, will er sagen, wärest du auch ein direkter Nachkomme Abrahams, und könntest du tausend Patriarchen unter deinen Ahnen zählen, du wirst doch doppelt gestraft werden, wenn du ohne gute Früchte bleibst. Mit solchen Worten setzt Johannes die Zöllner in Furcht, erschüttert er Soldatenherzen, und, ohne sie in Verzweiflung zu stürzen, benahm er ihnen vollständig ihre Gleichgültigkeit. Seine Worte enthalten eben nicht bloß Drohungen, sondern auch vielen Trost. Wenn er nämlich sagt: "der Baum, der keine gute Früchte bringt", so zeigt er dadurch, dass von aller Furcht frei sein darf, wenn man gute Früchte bringt.



4.

Aber, fragst du, wie können wir gute Früchte bringen, wenn schon der tödliche Streich uns droht, die Zeit so kurz bemessen, und die bestimmte Frist so nahe angesetzt ist? Du kannst es dennoch, antwortet der Täufer; es handelt sich ja hier nicht um Früchte, wie sie auf den Bäumen wachsen, auf die man lange warten muß, die sich nach den Jahrszeiten richten müssen, und auf die man auch sonst noch viel Arbeit verwenden muß. Hier genügt es zu wollen, und gar schnell wird der Baum in Blüte stehen. Nicht bloß die natürliche Kraft der Wurzel, sondern auch die Geschicklichkeit des Landmannes trägt eben sehr viel zur Erziehung solcher Früchte bei. Aus diesem Grunde also machte er diesen Zusatz, damit sie nicht etwa sagen: du erschreckst uns, du bedrängst und ängstigst uns, wenn du die Axt an den Baum anlegst und drohst, ihm umzuhauen; wenn du Früchte verlangst zu einer Zeit, wo du zu strafen beginnst. Johannes wollte damit zeigen, wie leicht es sei, gute Früchte zu bringen. 

   V.11: "Ich taufe euch nur mit Wasser; derjenige hingegen, der nach mir kommen wird, vermag mehr als ich, der ich nicht würdig bin, seinen Schuhriemen zu lösen. Er wird euch im Hl. Geiste und im Feuer taufen." 

   Mit diesen Worten zeigte Johannes, dass nur gute Absicht und Glaube vonnöten sind, nicht Mühe und Schweiß. So leicht es ist, sich taufen zu lassen, so leicht ist es auch, sich zu bekehren und zu bessern. Zuerst also schreckt er ihre Gemüter auf durch die Furcht vor dem Gericht und die bevorstehende Strafe, redet von einer Axt und dem Verluste des Vorrechtes ihrer Abstammung, und dass andere Kinder ihre Stelle einnehmen werden, ja er droht mit der doppelten Strafe, sie würden umgehauen und ins Feuer geworfen werden. Erst nachdem er so mit allen Mitteln ihre harten Herzen erweicht, und das Verlangen in ihnen erweckt hat, so großem Unheil zu entgehen, erst dann beginnt er von Christus zu reden, und zwar nicht bloß so nebenbei, sondern mit aller Ausführlichkeit. Dann legt er den Unterschied dar, der zwischen ihm und Christus besteht, und damit man nicht etwa glaube, er rede nur so, um dessen Gunst zu erlangen, beweist er es durch den Vergleich der Gaben, die beide zu bieten hatten. Deshalb sagt er nicht gleich zu Anfang:"Ich bin nicht würdig, seinen Schuhriemen zu lösen"; nein, er spricht zuerst von dem Werte seiner eigenen Taufe, zeigt ihnen, dass sie nichts anderes vermag, als sie zur Buße zu bringen[162] , und geht dann erst zur Taufe Christi über, die voll ist der unaussprechlichen Gnade. Wenn du also hörst, will er sagen, dass Christus nach mir kommt, so verachte ihn deshalb nicht wie einen, der erst an zweiter Stelle kommt, sondern lerne die Kraft seiner Gabe kennen, und wisse wohl, dass ich nichts Besonderes und nichts Großes gesprochen, wenn ich sagte: "Ich bin nicht würdig, seinen Schuhriemen zu lösen." Wenn du darum hörst, dass er mächtiger ist, als ich", so denke nicht, dass ich so geredet, als wollte ich mich mit ihm vergleichen. Ich bin ja nicht einmal würdig, unter seine Diener gerechnet zu werden, selbst unter die letzten nicht, und unwürdig, ihm auch nur den geringsten Dienst leisten zu dürfen. Darum sagt er nicht bloß "die Schuhe", sondern "nicht einmal den Riemen", was offenbar das Allergeringste war. Damit du sodann nicht glaubst, er habe nur aus Demut so geredet, bringt er auch noch den tatsächlichen Beweis: "Jener wird nämlich im Hl. Geiste und in Feuer taufen." 

   Siehst du da, wie groß die Weisheit des Täufers war? Wenn er selber gepredigt, bringt er alles vor, was Furcht und Schrecken einflößen kann; wenn er aber auf Christus hinweist, sagt er nur solche Dinge, die man gerne hört und die geeignet sind, die Herzen zu gewinnen. Da redet er nicht mehr von der Axt, noch vom Baume, der ungehauen und zum Verbrennen ins Feuer geworfen wird, auch nicht mehr vom kommenden Tage des Zornes, nein, er spricht von Sündenvergebung, Nachlaß der Strafe, von Rechtfertigung, Heiligung, Taufe, Gotteskindschaft, Brüderlichkeit, gemeinsamem Erbe, und reichlicher Ausspendung des Hl. Geistes. Dies alles hat er angedeutet mit den Worten: "Er wird euch taufen im Hl. Geiste"; auch weist er durch das gleiche Sprachbild hin auf die Fülle dieser Gnade. Er sagte nämlich nicht: Er wird euch den Hl. Geist geben, sondern: "Er wird euch eintauchen[163] im Hl. Geist." Zudem drückt er durch den beigefügten Ausdruck "Feuer" das Machtvolle und Unwiderstehliche der Gnade aus.



5.

Erwäge nun, wie es den Zuhörern zumute werden mußte, wenn sie bedachten, dass es ihnen gehen sollte, wie einst den Propheten und jenen großen Männern. Eben deshalb hat Johannes auch das Feuer erwähnt, um ihnen die Erinnerung an sie ins Gedächtnis zu rufen. So oft nämlich die Propheten Gesichte schauten, erschienen sie ihnen fast immer in Gestalt von Feuer. So sprach z.B. Gott zu Moses im brennenden Dornbusch; so dem ganzen Volke auf dem Berge Sinai; so zu Ezechiel durch die[164] Cherubim. Beachte aber, wie er den Zuhörer auch dadurch aufrüttelt, dass er zuerst das erwähnt, was erst zuletzt geschehen sollte. Es mußte nämlich zuerst das Lamm geschlachtet, die Sünde vernichtet, die Feindschaft beseitigt werden, es mußte die Grablegung und Auferstehung stattfinden, und dann erst der Hl. Geist herabkommen. Von allem dem sagte er aber noch nichts, sondern spricht zuerst von dem Endzweck, um dessentwillen alles andere geschehen sollte, und der auch am ehesten geeignet war, seine hohe Würde zu offenbaren. Wenn nämlich der Zuhörer vernahm, er werde einen so erhabenen Geist empfangen, so mußte er sich selber fragen, wie und auf welche Weise dies geschehen könne, da doch die Sünde so allgemein herrsche? Wenn er ihn dann nachdenklich fände und bereit zu hören, dann würde er anfangen vom Leiden zu reden, da fortan keiner mehr daran Ärgernis nehmen konnte, ob der Erwartung einer so großen Gabe. Deshalb rief er von neuem: "Siehe, das Lamm Gottes, das auf sich nimmt die Sünden der Welt" (Jn 1,29). Er sagt nicht: das nachläßt, sondern, was eine viel größere Fürsorge verrät: "das auf sich nimmt". Denn es ist nicht das gleiche, etwas einfach nachlassen, und: es selber auf sich nehmen. Das eine konnte ohne Gefahr geschehen, das andere nur durch den Tod. Auch sagte er wieder, er sei der Sohn Gottes (Jn 1,34). Aber auch das brachte seinen Zuhörern dessen Würde noch nicht ganz klar zum Bewußtsein. Sie konnten sich ihn immer noch nicht als wirklichen Sohn[165] vorstellen. Auch das sollte erst eine Wirkung der so erhabenen Gabe des Geistes sein. Als daher der Vater den Johannes sandte, gab er ihm zuerst dies als Erkennungszeichen der Würde dessen an, der da kommen sollte: "Über wen du den Geist herabsteigen und bei ihm verweilen sehen wirst, der ist es, der im Hl. Geiste taufen soll" (Jn 1,33). Darum sagt er auch selber: "Ich habe es gesehen, und habe Zeugnis abgelegt, dass dieser der Sohn Gottes ist" (Jn 1,34); aus diesem mußte ja auch jenes sich ganz klar ergeben. Nachdem er also das Tröstliche vorgebracht, und den Zuhörer etwas erleichtert und beruhigt hat, versetzt er ihn wieder von neuem in Spannung, damit er nicht sorglos werde. Denn so waren einmal die Juden: das Glück machte sie leicht zügellos und schlecht. Deshalb bringt er wieder etwas, was Schrecken erregte und sagt: 

   V.12: "Der die Wurfschaufel in seiner Hand hält." 

   Weiter oben hat er von der Strafe geredet; hier zeigt er auch noch den Richter, und spricht von der ewigen Pein. "Denn", sagt er, "er wird die Spreu verbrennen in unauslöschlichem Feuer." Siehst du da, wie er der Herr aller Dinge ist, und einem Landmann gleicht, obwohl Christus dies an einer anderen Stelle auch vom Vater sagt: "Denn mein Vater ist es, der die Erde bebaut"? (Jn 15,1). Früher hatte er von einer "Axt" geredet, damit du nicht glaubest, es handle sich um eine mühevolle Arbeit, die schwer auszuführen sei; hier deutet er durch ein neues Beispiel an, wie leicht sie sei, und zeigt, dass ihm die ganze Welt gehöre; sonst könnte er ja doch nicht Menschen bestrafen, wenn er kein Verfügungsrecht über die hätte. In dieser Welt ist nun zwar alles durcheinander gemischt; denn, wenn man auch das Getreide durchscheinen sieht, so liegt es doch zusammen mit der Spreu, so wie in der Scheune, nicht wie im Speicher; drüben aber wird die große Scheidung vorgenommen werden. Wo sind jetzt die, so an keine Hölle glauben wollen? Hat doch der Täufer zwei Dinge festgestellt: erstens, dass der Herr im Hl. Geiste taufen werde, zweitens, dass er die Ungläubigen verbrennen werde. Muß man also das erste glauben, dann sicher auch das zweite. Gerade deshalb hat er ja beides zugleich vorhergesagt, damit man nach der Erfüllung des einen auch an das glaube, was noch nicht eingetroffen ist. So macht es Christus überall, oft bei gleichen Dingen, oft bei entgegengesetzten; er prophezeit zwei Dinge, und erfüllt das eine hienieden, das andere verspricht er für die zukünftige Welt; er will eben diejenigen, die mehr zum Zweifel neigen, durch das, was schon eingetroffen ist, auch zum Glauben an das führen, was noch nicht geschehen ist. So versprach er auch denen, er werde ihnen das Hundertfache dafür in diesem Leben geben, und das ewige Leben in der zukünftigen Welt; aber erst, nachdem er durch die bereits erteilten Gaben auch die versprochenen als glaubwürdig erwiesen. Dasselbe hat hier auch Johannes getan, und zwei Dinge verheißen, erstens, der Herr werde im Hl. Geiste taufen, und zweitens, er werde die Ungläubigen dem unauslöschlichen Feuer zum Brennen übergeben.



6.

Hätte also der Herr die Apostel und Tag für Tag alle jene, die es wünschen, nicht im Geiste getauft, so dürftest du wohl auch am Übrigen zweifeln; wenn aber das, was offenbar größer und schwieriger ist und allen Begriff übersteigt, wirklich geschehen ist, und noch jeden Tag geschieht, wie könntest du da behaupten, das, was ganz leicht und mit der Vernunft zu begreifen ist, sei nicht wahr? Zuerst hat Johannes gesagt: der Herr wird im Hl. Geist und im Feuer taufen, und hat viele Gaben verheißen, damit du den Mut nicht verlierest und von allem Früheren ab lassest; erst dann kam er auf die Wurfschaufel zu sprechen, und auf die Scheidung, die durch sie versinnbildet werden soll. Er will damit sagen: Glaubet ja nicht, die Taufe allein sei genügend, wenn ihr nachher schlecht werden solltet; ihr müßt auch Tugend besitzen, und große Frömmigkeit. Deshalb lenkt er ihre Gedanken von der Axt hinweg auf die Gnade und die Taufe; und nachdem er von der Gnade geredet, schreckt er sie mit der Wurfschaufel und dem unauslöschlichen Feuer. Auch macht er unter denen, die die Taufe noch nicht empfangen, keinen Unterschied, sondern sagt einfach: "Jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird umgehauen", womit er alle Ungläubigen derselben Strafe überantwortet. Unter den Getauften hingegen macht er einen Unterschied, weil er eben wußte, dass viele von denen, die den Glauben angenommen hatten, ein Leben führen würden, das ihres Glaubens unwürdig ist. 

   Es habe also ein jeder acht, dass er nicht unter die Spreu komme, keiner sei schwach und bösen Begierden ergeben, und lasse sich von ihnen nicht spielend nach allen Richtungen hin bewegen. Bleibst du nämlich unter dem[166] Getreide, so mag immerhin die Versuchung dir zusetzen, du wirst keinen Schaden leiden; denn auch die sägeartigen Räder der Dreschmaschine in der Scheune schneiden das Getreide nicht durch. Gerätst du aber unter die wertlose Spreu, dann wird es dir schon hienieden gar schlimm ergehen, da du von allen Seiten Schläge erhalten wirst; und drüben wirst du nimmer endender Strafe unterworfen sein. Ja alle, die so sind, werden schon in diesem Leben, noch bevor das höllische Feuer sie aufnimmt, von ihren unvernünftigen Leidenschaften verzehrt, so wie die Spreu von den vernunftlosen Tieren; und im Jenseits werden sie ebenfalls wieder dem Feuer zum Stoff und zur Nahrung dienen. Hätte also Johannes gleich zu Anfang gesagt: Er wird euch richten nach euren Taten, so hätte man seine Worte nicht so gut aufgenommen; dadurch aber, dass er das Gleichnis einfügte und so das Ganze vorbereitete, konnte er viel leichter überzeugen und den Zuhörer mit viel mehr Sicherheit auf seine Seite ziehen. Deshalb verkehrte auch der Herr selber meistens durch solche Gleichnisse mit ihnen, sprach von Scheunen, Ernte, Weinstock, Kelter, Acker, Netz und Fischfang, und mischte alle die anderen Bilder unter seine Rede, an die sie von Jugend auf gewöhnt waren. So hat es denn auch Johannes hier gemacht, und wies, als größten Beweis für die Wahrheit seiner Worte, hin auf die Gabe des Hl. Geistes. Denn, will er sagen, wer so große Macht besitzt, dass er sogar Sünden nachläßt, und den Hl. Geist spendet, der wird noch viel eher dies zustande bringen. Bemerkst du, wie zweckmäßig er schon zum voraus hinweist auf das Geheimnis der Auferstehung und des Gerichts? 

   Weshalb aber, fragst du, hat er nicht die Zeichen und Wunder vorausgesagt, die bald durch den Herrn geschehen sollten? Weil dies das größte von allen war, und alle anderen nur seinetwegen gewirkt wurden. Nachdem er nämlich die Hauptsache gesagt, so hatte er auch alles andere dabei mit inbegriffen: den Sieg über den Tod, den Nachlaß der Sünden, die Aufhebung des Fluches, Befreiung von den unaufhörlichen Kämpfen, den Eintritt ins Paradies, den Flug zum Himmel, den Verkehr mit den Engeln, die Gemeinschaft der himmlischen Güter; denn diese Gabe des Hl. Geistes ist ja das Unterpfand für jene. Da er also diese genannt, nannte er damit auch die Auferstehung der Leiber, die Zeichen, die dabei geschehen sollten. die Gemeinschaft des Himmelreiches, und die Güter, "die kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, und die in keines Menschen Herz gedrungen sind" (1Co 2,9). All dies ward uns nämlich durch jenes Charisma gewährleistet. Es war darum überflüssig, auch von den Wundern zu reden, die bald geschehen sollten, und mit den eigenen Augen beurteilt werden konnten. Dagegen mußte er über die Dinge reden, über die sie Zweifel hegten, wie z.B. dass Christus der Sohn Gottes sei, dass er unvergleichlich höher stehe als Johannes, dass er die Sünde der Welt auf sich nehme, dass er für unsere Taten Rechenschaft fordern werde, dass unser Lebenszweck nicht auf diese Welt beschränkt sei, dass vielmehr drüben ein jeder die gebührende Strafe erhalten werde. Das alles konnte man eben vorläufig nicht mit eigenen Augen sehen.



7.

Nachdem wir also dies alles jetzt wissen, so haben wir doch ja recht acht, während wir noch in der Tenne sind; denn solange wir darin sind, können wir aus der Spreu in Weizen verwandelt werden, wie auch umgekehrt schon viele aus Weizen zu Spreu wurden. Sehen wir also zu, dass wir nicht fallen, lassen wir uns nicht von jedem Winde umhertreiben, und trennen wir uns nicht von unseren Brüdern, wenn sie auch scheinbar gering an Zahl und armselig sind. Auch das Getreide ist ja der Menge nach geringer als die Spreu, dem Gehalt nach aber besser. Sieh also nicht auf das, was äußerlich in die Augen fällt; es ist dem[167] Feuer geweiht; blicke vielmehr hin auf die Demut in Gott, diese starke unzerstörbare Tugend, die nicht abgeschnitten und nicht im Feuer verbrannt werden kann. Um solchen Getreides willen ist Gott auch langmütig gegen die Spreu, damit sie im Umgang mit jenem besser werde. Deshalb wird nicht jetzt schon das Gericht gehalten, damit wir alle gemeinsam die Krone empfangen, und viele noch von der Sünde zur Tugend bekehrt würden. Zittern wir also, wenn wir dieses Gleichnis hören. Denn jenes Feuer ist unauslöschlich. Aber wie unauslöschlich? fragst du. Ja, siehst du denn nicht, dass diese unsere Sonne immerfort brennt und doch nie erlischt? Hast du nicht gesehen, dass der Dornbusch zwar brannte, aber nicht verbrannte? Wenn also auch du selbst dem Feuer entrinnen willst, dann fort mit deiner Hartherzigkeit und du wirst jenes Feuer auch nicht zu spüren bekommen. Wenn du jetzt meine Worte gläubig aufnimmst, dann wirst du bei deinem Hinscheiden diesen Höllenbrand nicht einmal zu sehen brauchen. Glaubst du aber jetzt nicht an ihn, dann wirst du im anderen Leben durch eigene Erfahrung gar gründlich belehrt werden, dass es daraus kein Entrinnen gibt. Diese Strafe ist eben unwiderruflich für diejenigen, die kein gutes Leben geführt haben. Auch das bloße Glauben genügt nämlich nicht; denn auch die Dämonen zittern vor Gott, aber trotzdem bleiben sie verdammt. Deshalb müssen wir auch selber acht haben auf unser Leben. Und gerade darum versammeln wir euch regelmäßig hier, nicht damit ihr bloß in die Kirche hereinkommt, sondern damit ihr aus dem Aufenthalt dahier auch einigen Nutzen schöpfet. Denn würdet ihr zwar jedesmal kommen, aber auch ohne Nutzen wieder gehen, so würde dieses Kommen und Dasitzen euch gar nichts weiter helfen. 

   Wenn wir Kinder in die Schule schicken und sehen, dass sie nichts darin lernen, so ziehen wir recht kräftig gegen die Lehrer los, und senden oft die Kinder in andere Schulen; womit werden wir aber da uns selbst entschuldigen, wenn wir im Tugendstreben nicht ebensoviel Eifer zeigen wie in diesen zeitlichen Dingen, und unsere eigene Schreibtafel immer leer nach Hause bringen? Und doch sind die Lehrer in dieser Schule[168] zahlreicher und besser. Da lassen wir euch bei jedem Gottesdienste durch Propheten, Apostel, Patriarchen und alle Heiligen unterrichten. Aber trotzdem macht ihr keinen Fortschritt, sondern wenn ihr zwei oder drei Psalmen gesungen und die gewohnten Gebete oberflächlich und gedankenlos verrichtet habt, dann geht ihr nach Hause und glaubet, das genüge für euer Seelenheil. Habt ihr denn nie den Propheten, oder vielmehr Gott durch den Propheten sagen hören: "Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit von mir"? (Is 29,13). 

   Damit also dies nicht auch bei uns der Fall sei, so lösche doch die Buchstaben, oder vielmehr die Inschriften, die der Teufel in deine Seele eingemeißelt hat, aus, und bewahre ein Herz, das frei ist von irdischen Sorgen, damit ich ohne Bangen hineinschreiben kann, was ich will. Bis jetzt freilich kann ich darin nichts anderes sehen, als was der Teufel geschrieben, Raub, Habsucht, Neid, Verleumdung. Wenn ich daher eure Tafeln in die Hand nehme, so kann ich sie nicht einmal lesen. Ich finde eben nicht die Schriftzüge, die ich am Sonntag darauf geschrieben und euch übergeben habe, sondern ganz andere, unbekannte und verdorbene. Wenn ich dann dies wieder auswische und hineinschreibe, was des Hl. Geistes ist, dann gehet ihr fort, überlaßt eure Herzen dem Einfluß des Teufels und erlaubet ihm, wieder das hineinzuschreiben, was ihm gefällt. Wohin also dies führen muß, das brauche ich euch nicht zu sagen, es sagt's einem jeden das eigene Gewissen. Ich werde ja nicht aufhören, meine Pflicht zu tun, und das Rechte[169] zu schreiben. Wenn aber auch ihr unseren Eifer vereitelt, so bleibt doch unser Lohn uns unbenommen, euch aber wird keine geringe Strafe treffen. Doch will ich damit nicht eure Herzen beschweren.



8.

Gleichwohl bitte und ermahne ich euch nochmals: Lasset euch doch in dieser Hinsicht wenigstens den Eifer der Kleinen als Beispiel dienen. Die lernen zuerst die einfacheren Buchstaben; dann suchen sie auch die schwierigeren zu verstehen, und zuletzt erst gehen sie an das eigentliche Lesen. So wollen es auch wir machen; und, um die Tugend in ihre einzelnen Teile zu zerlegen, lernen wir zuerst, nicht zu fluchen, nicht meineidig zu werden, keine üble Nachrede zu führen; dann gehen wir über zu einer anderen Klasse, und hüten wir uns vor Neid, vor Fleischesliebe, vor Wohlleben und Trunksucht, und seien wir nicht gefühllos und der Trägheit ergeben. Um dann von da wieder zu geistigen Tugenden überzugehen, seien wir bedacht auf Enthaltsamkeit und Abtötung, auf Keuschheit und Gerechtigkeit, suchen wir besser zu sein als zu scheinen, seien wir bescheiden und zerknirschten Sinnes; und dann vereinigen wir all dies miteinander, und schreiben wir es in unsere Seelen ein. Und das alles sollen wir dann auch üben zu Hause an unseren Freunden, bei unserer Frau und unseren Kindern. Und zunächst wollen wir den Anfang mit dem Ersten und Leichteren machen, z.B. damit, dass wir nicht mehr fluchen, und wollen dann zu Hause fortwährend an diesen Anfang der Tugendübung denken. Denn es sind ja viele, die einen zu Hause in diesen Gedanken stören; da ärgert dich z.B. ein Diener, da kommt dir die Frau in die Quere und bringt dich in Zorn: dein Junge ist faul und hält keine Ordnung und reizt dich zum Schimpfen und Fluchen. Wenn du also zu Hause beständig von deinen Angehörigen gereizt wirst und es doch zustande bringst, dich nicht zum Fluchen hinreißen zu lassen, dann wird es dir leicht fallen, auch in der Öffentlichkeit die Selbstbeherrschung zu wahren. Ja, du wirst es sogar fertig bringen, niemand mehr zu beleidigen, weder deine Frau, noch deinen Diener, noch sonst jemand in deiner Familie. Da lobt z.B. deine Frau alle Augenblicke einen anderen Mann und bejammert sich selbst, und reizt dich dadurch, schlecht über jenen anderen zu reden. Aber du, laß dich nicht zwingen, auf den zu schimpfen, den sie lobt, trage alles gelassen. Und wenn du deine Dienstboten andere Herrschaften loben hörst, laß dich nicht aus der Fassung bringen, bleibe ruhig. Dein Haus soll ein Kampfplatz sein und ein Feld der Tugendübung, damit du dann, tüchtig geschult und mit großer Erfahrung ausgerüstet, dich auch in der Öffentlichkeit zeigen kannst. Ebenso verfahre gegen die Untugend eitler Ruhmsucht. Wenn du dich bemühst, gegenüber deiner Frau und deinem Gesinde von Ruhmsucht frei zu bleiben, dann wirst du auch im Verkehr mit anderen nicht leicht von dieser Leidenschaft erfaßt werden. Dieser Fehler ist zwar überall schwer und hartnäckig, am meisten aber, wenn die Frau zugegen ist. Wenn wir also ihr gegenüber seine Macht brechen, dann werden wir ihn leicht auch im Verkehr mit anderen beherrschen. Dann gehen wir in gleicher Weise gegen die anderen Leidenschaften vor; üben wir uns zu Hause gegen sie, und rüsten wir uns jeden Tag von neuem dafür. Damit uns aber diese Übung leichter werde, müssen wir uns selbst eine Buße auferlegen, wenn wir einen unserer Vorsätze übertreten haben. Aber auch diese Buße soll so sein, dass die keine Strafe, sondern einen Lohn bedeutet und uns recht großen Nutzen bringt. Das wird der Fall sein, wenn wir uns z.B. zu angestrengtem Fasten verurteilen, zu hartem Lager und anderen ähnlichen Abtötungen. Auf diese Weise werden wir in jeder Beziehung großen Nutzen daraus ziehen, werden hienieden das süße Leben der Tugend führen, und dann auch noch der zukünftigen Güter teilhaftig werden, und ewig Gottes Freunde sein. 

   Damit es aber jetzt nicht wieder gehe wie früher, und ihr nicht hier meine Worte bewundert, dann fortgeht, die Tafel eurer Seele aufs Geratewohl irgendwo hinwerft, und den Teufel alles wieder auslöschen laßt, so gehe jetzt ein jeder nach Hause, rufe seine Frau, teile ihr dies alles mit, nehme sie zur Gehilfin, und trete vom heutigen Tage an auf diesen herrlichen Kampfplatz, mit dem Öle des Hl. Geistes zum Wettspiel gesalbt. Und wenn du bei dieser Übung einmal, zweimal, ja oftmals strauchelst, laß den Mut nicht sinken, stehe wieder auf und kämpfe weiter, und laß nicht früher ab, bevor du nicht einen glänzenden Sieg über den Teufel errungen, und deine Beute in der diebessicheren Schatzkammer der Tugend niedergelegt hast. Wenn du einmal in der Gewohnheit dieser herrlichen Lebensweise gefestigt bist, dann kannst du selbst aus Unachtsamkeit diese Gebote nicht mehr übertreten, weil eben die Gewohnheit dasselbe wirkt wie natürliche Standhaftigkeit. Denn wie uns das Schlafen, Essen, Trinken und Atmen leicht fällt. so wird uns auch die Tugendübung leicht werden, und wir werden deren reine Freude genießen, werden[170] im sicheren Hafen liegen, ungestörter Windstille uns freuen, und unser Fahrzeug mit Schätzen beladen an jenem Tage in jene Stadt führen, in der wir die unverwelklichen Siegeskränze erlangen, deren wir alle teilhaft werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem Ruhm und Macht gebührt, jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 10