Kommentar zum Evangelium Mt 18

Achtzehnte Homilie. Kap. V, V.38-48.

18 Mt 5,38-48
1.

V.38: "Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auf um Aug, und Zahn um Zahn.

   V.39: Ich aber sage euch, ihr sollt dem Böswilligen keinen Widerstand leisten, sondern wenn immer dich einer auf die rechte Wange schlägt, biete ihm auch die linke dar.

   V.40: Und wenn dich jemand vor Gericht ziehen und dir dein Gewand nahmen will, gib ihm auch noch deinen Mantel." 

   Siehst du jetzt, dass der Herr an der obigen Stelle nicht das leibliche Auge gemeint hat, da er befahl, das Auge, das uns ärgert, auszureißen, sondern den Menschen, dessen Freundschaft uns zum Schaden gereicht, der uns in den Abgrund des Verderbens stürzt? Hier geht er ja im Gegenteil so weit, dass er nicht einmal erlaubt, dem ein Auge auszureißen, der uns eines ausgerissen hat! Wie hätte er da jemand vorschreiben können, sich sein eigenes Auge auszureißen? Wollte aber jemand deswegen gegen das Alte Testament einen Vorwurf erheben, weil es befahl, in der genannten Weise Vergeltung zu üben, so glaube ich, dass ihm die einem Gesetzgeber geziemende Weisheit stark abgeht, da er die Macht der Zeitverhältnisse sowie den Nutzen eines nachsichtigen Entgegenkommens verkennt. Wenn er bedenken wollte, was das für Leute waren, denen man diese Vorschriften gab welche Gesinnungen sie hatten, und zu welcher Zeit sie dieses Gesetz empfingen, so würde er die Weisheit des Gesetzgebers bereitwilligst aberkennen und würde einsehen, dass es ein und derselbe Gesetzgeber ist, der das eine wie das andere vorgeschrieben hat, und zwar beides zu größtem Vorteil, sowie zur rechten Zeit. Hätte er gleich zu Anfang diese hohen, erhabenen Satzungen eingeführt, so hätte er weder das eine, noch das andere erreicht; so aber hat er für beiderlei Vorschriften die rechte Zeit gewählt, und hat so durch beide die ganze Welt in die rechte Bahn gelenkt. Übrigens hat Christus dies auch deswegen befohlen, nicht damit wir uns gegenseitig die Augen ausreißen, sondern damit wir unsere eigenen Hände beherrschen lernen. Durch die Androhung von Strafe hat er nämlich unsere Lust zu Gewalttätigkeiten etwas gedämpft. Auf diese Weise also streut er langsam den Samen seiner großen Weisheit aus, indem er nicht will, dass der, dem ein Unrecht geschehen, in gleicher Weise Vergeltung übe. An sich hätte ja der Urheber dieses Unrechts eine größere Strafe verdient. Das verlangt der Begriff von Gerechtigkeit. Da er aber wollte, dass mit der Gerechtigkeit sich auch die Liebe paare, so verurteilt er den, der eigentlich mehr gefehlt hat, zu einer geringeren Strafe, als er verdient hätte. Damit gibt er uns die Lehre, dass wir auch dann, wenn wir Unrecht erfahren, große Milde und Nachsicht üben sollen. Nachdem er also das alte Gesetz erwähnt und es im Wortlaut angeführt hatte, zeigt er auch hier wieder, dass es nicht der Bruder ist, der solches tut, sondern der Böse. Deshalb setzt er auch bei: "Ich aber sage euch, widersetzt euch dem Bösen nicht."Er sagte nicht: Widersetzt euch nicht eurem Bruder, sondern: "dem Bösen". Er deutet damit an, dass er es ist, der zu solchen Missetaten verleitet. Dadurch zügelt und beseitigt er schon den größten Teil des Zornes, den man gegen den empfindet, der uns Böses tut, indem er nämlich die Schuld daran auf einen anderen schiebt. 

   Aber wie! Sollen wir wirklich dem Bösen keinen Widerstand leisten? Ja, gewiß; aber nur nicht in dieser Weise, vielmehr so, wie er es uns befohlen; du sollst nämlich das Unrecht willig ertragen; denn gerade so wirst du Herr über dasselbe werden. Man löscht ja auch Feuer nicht mit Feuer, sondern mit Wasser. Damit du aber siehst, dass auch schon im Alten Bunde derjenige Sieger blieb und den Siegespreis erhielt, der geduldig litt, so prüfe nur, was damals geschah, und du wirst bemerken, dass der leidende Teil bei weitem den Vorrang erhält. Derjenige nämlich, der zuerst anfing, Unrecht zu tun, wird da so betrachtet, als hätte er zwei Augen ausgerissen, das des Nächsten und sein eigenes. Darum wird er auch mit Recht von allen gehaßt und angeklagt. Derjenige hingegen, der Unrecht erfuhr, wird auch dann, wenn er Gleiches mit Gleichem vergolten, für schuldlos angesehen. Darum haben auch viele Mitleid mit ihm, wie mit einem, der unschuldig ist an der bösen Tat, auch wenn er sie schon vergolten hat. Und während das Unglück auf beiden Seiten das gleiche ist, werden sie doch ungleich beurteilt, bei Gott wie bei den Menschen. Darum ist im Grunde auch ihr Mißgeschick nicht das gleiche. Im Alten Bunde sagte also der Herr: "Wer seinem Bruder mit Unrecht zürnt, wer ihn einen Narren schilt, der wird des höllischen Feuers schuldig sein"; hier verlangt er aber schon größere Tugend, da er demjenigen, der Unrecht leidet, nicht bloß befiehlt, die Ruhe zu bewahren, sondern seinem Gegner sogar zuvorzukommen und ihm die andere Wange darzubieten. Diese Weisung bezieht sich aber nicht bloß auf solche Faustschläge, sondern er will uns damit anleiten, auch in allen anderen Dingen Unrecht geduldig zu ertragen.



2.

Da der Herr sagt: "Wer seinen Bruder einen Narren schilt, ist der Hölle verfallen", dachte er auch nicht bloß an diesen Ausdruck, sondern an jede Art von Beleidigung. Ebenso bestimmt er hier nicht, dass wir bloß Faustschläge mannhaft ertragen, sondern dass wir uns überhaupt durch kein Unrecht aus der Fassung bringen lassen sollen. Darum wählte er auch dort gerade die schwerste Beschimpfung[232] , hier einen Schlag, der unter allen als der beschämendste und entehrendste gilt, den ins Gesicht. Seine Weisung bezieht sich aber sowohl auf den, der schlägt, als auch auf den, der geschlagen wird. Der Mißhandelte, der eine solche Höhe der Tugend erreicht hat, wird gar nicht denken, dass ihm ein Unrecht widerfahren. Er wird ja schon gar nicht das Gefühl einer Beschimpfung empfinden, da er eigentlich viel eher kämpft, als geschlagen wird. Der Angreifer hingegen wird beschämt werden und keinen zweiten Schlag mehr führen, und wäre er auch schlimmer als das wildeste Tier. Ja, er wird sogar seinen ersten Schlag selbst gar sehr mißbilligen. Nichts hält ja die Bösen so sehr zurück, als wenn man das geschehene Unrecht sanftmütig erträgt; und zwar hält es sie nicht bloß von weiterer Gewalttätigkeit zurück, sondern es bewirkt auch, dass sie das frühere eher bereuen, die Sanftmut des Beleidigten bewundern und[233] abstehen. Ja, es macht sie aus Feinden und Gegnern nicht bloß zu Freunden, sondern zur Hausgenossen und gegenseitigen Dienern. Übt man dagegen Widervergeltung, so erreicht man in allem das Gegenteil. Es bringt beiden Schaden, macht die schlechter, als sie waren, und entfacht die Zornesflamme nur um so mehr: ja, wenn das Unheil noch weiter geht, hat es oft sogar den Tod im Gefolge. Aus diesem Grunde befahl der Herr, nicht bloß keinen Zorn aufkommen zu lassen, wenn jemand dich schlägt, du sollst sogar dieses Verlangen[234] , befriedigen, damit es nicht den Anschein habe, als hättest du den ersten Schlag nur wider Willen ertragen. Auf diese Weise kannst du auch dem Beleidiger einen viel passenderen Schlag versetzen, als wenn du ihn mit der Hand schlügest, und dazu wirst du aus einem gewalttätigen Menschen ein sanftmütiges Lamm machen. 

   "Will dich jemand vor Gericht ziehen und dir dein Gewand nehmen, so gib ihm auch noch deinen Mantel."Christus will eben, dass wir diese Geduld im Ertragen von Unbilden nicht bloß bei Mißhandlungen zeigen, sondern auch dann, wenn es sich um unser Eigentum handelt. Deshalb bringt er auch hier wieder einen sehr starken Fall als Beispiel. Wie er uns dort durch geduldiges Leiden zu siegen befahl, so hier, indem wir dem Räuber noch mehr geben sollen, als er wollte. Doch hat er dies nicht so ohne weiteres befohlen, sondern mit einem Zusatz. So sagt er nicht einfach: Gib deinen Mantel dem, der darum, bittet, sondern:"dem, der mit dir einen Prozeß führen will",d.h. der dich vor Gericht ziehen und dort keine Sache anheischig machen will. Nachdem er oben gesagt hatte, man soll niemand einen Narren schelten und nicht grundlos zürnen, verlangt er im weiteren noch mehr, indem er befahl, auch die rechte Wange hinzuhalten. In gleicher Weise verschärft er hier sein Gebot, nachdem er vorher nur verlangt hatte, man solle Wohlwollen gegen seinen Widersacher hegen. Er befiehlt nämlich hier, nicht bloß freiwillig zu geben, was ein anderer nehmen will, sondern noch weitgehendere Großmut zu zeigen. Wie aber, fragst du da, soll ich selber also nackt umhergehen? Wir brauchten niemals nackt zu sein, wenn wir dieses Gebot aufs Wort befolgen. Im Gegenteil, wir wären dann besser gekleidet, als irgend jemand. Fürs erste möchte wohl niemand einem Gewalt antun, der solche Gesinnungen hegte; zweitens, selbst wenn einer so roh und unmenschlich wäre, es fände sich doch noch eine viel größere Anzahl solcher, die einen so hochgesinnten Mann nicht bloß mit Gewändern, sondern, wenn es möglich wäre, selbst mit ihrem eigenen Fleische bekleideten.



3.

Indes, müßte man auch aus solch religiösen Gründen unbekleidet dahergehen, es wäre dies doch keine Schande. Auch Adam war ja nackt im Paradiese und empfand doch keine Scham (Gn 2,25); desgleichen war Isaias nackt und unbeschuht, und war doch vor allen Juden ausgezeichnet (Is 20,3); auch Joseph glänzte dann am meisten, als er sein Kleid im Stiche ließ (Gn 39,12). Nicht das ist ja Sünde, unter solchen Umständen entblößt zu werden, sondern so bekleidet zu sein, wie z.B. wir jetzt mit kostspieligen Kleidern behangen sind. Ja, das ist schimpflich und verachtenswert! Darum hat Gott jene gelobt und diese getadelt, durch seine Propheten so gut wie durch seine Apostel. Halten wir also diese Vorschriften nicht für unausführbar. Wenn wir nur vernünftig sind, so sind sie für uns nicht bloß nützlich, sondern auch sehr leicht. Ja, so groß ist der Vorteil, den wir daraus ziehen können, dass sie nicht nur uns, sondern auch denen, die uns Böses tun, den größten Nutzen bringen. Gerade darin liegt ja ihr größter Vorzug, dass sie uns dazu vermögen, Böses willig zu ertragen, und eben dadurch auch diejenigen zur Besinnung bringen, die das Böse tun. Wenn nämlich ein solcher es für etwas Großes hält, anderen das Ihrige zu nehmen, du ihm hingegen zeigst, dass es dir ein Leichtes ist, ihm auch das zu geben, was er nicht verlangte, so wirst du seinen Geiz ins Gegenteil, in Freigebigkeit verwandeln und seine Habsucht in Tugendhaftigkeit. Bedenke also, welche Lehre ein solcher empfängt, indem er nicht durch Worte, sondern durch Taten angeleitet wird, das Laster zu verachten, und der Tugend nachzustreben! Gott will eben, dass wir nicht bloß uns selber, sondern auch allen anderen nützen. Wenn du also das Deine hergibst, um nicht vor Gericht zu so hast du nur deinen eigenen Vorteil gesucht; fügst du aber deiner Gabe noch das andere hinzu, so scheidest du von einem, den du zuvor besser gemacht hast. 

   Gerade so wirkt das Salz, und der Herr will ja, dass die Seinigen Salz seien. Dieses enthält nämlich nicht nur sich selbst, sondern gibt auch allen anderen Dingen, mit denen es etwa in Berührung kommt, größere Dauerhaftigkeit. Die gleiche Eigenschaft hat auch das Licht, es leuchtet nicht bloß sich selbst, sondern auch den anderen. Da also Gott dir die gleiche Aufgabe zugewiesen hat, so nütze auch dem, der in Finsternis sitzt. Gib ihm zu verstehen, dass er dir früher dein Eigentum, mit Gewalt genommen; sage ihm, dass er es dir nicht geraubt habe. Auf diese Weise wirst auch du selbst viel lobenswerter und ehrenvoller dastehen, wenn du zeigst, dass du ein Geschenk gemacht hast, nicht aber beraubt worden bist. Verwandle also seine Sünde durch deine Sanftmut in deine eigene Freigebigkeit. Solltest du aber dies für etwas besonders Großes halten, so gedulde dich nur ein wenig, und du wirst sehr deutlich erkennen, dass du noch nicht am Ende der Vollkommenheit angelangt bist. Er, der diese Weisungen über die Geduld und Leiden gegeben, bleibt auch hier nicht stehen, sondern geht noch weiter und sagt:

   V.41: "Wenn jemand dich zu einer Meile Weges zwingt, geh zwei mit ihm." 

   Siehst du da den Heroismus der Tugend? Nachdem du bereits dein Kleid und deinen Mantel gegeben, sollst du deinem Feind auch noch erlauben, selbst deinen nackten Leib zu mühsamer Arbeit zu gebrauchen! Der Herr will eben, dass wir alles gemeinsam haben, unsere Leiber und unseren Besitz, ob es sich nun um Bedürftige handelt oder um solche, die uns míßbrauchen wollen. Das eine ist wahre Männlichkeit, das andere wahre Nächstenliebe. Deswegen sagt er: "Wenn jemand dich zu einer Meile nötigt, geh zwei mit ihm." Damit führt er dich nochmals auf eine höhere Stufe der Vollkommenheit, und heißt dich dieselbe Hochherzigkeit betätigen. Wenn er aber schon für die anfangs erwähnten Dinge, die doch viel geringer waren als diese, so außerordentliche Seligpreisungen bereit hatte, so bedenke, welches Los erst derer harrt, die solche Tugend üben, und was auch schon vor Empfang des endgültigen Siegespreises denen zuteil werden wird, die trotz ihres menschlichen leidensfähigen Körpers doch so leben, als hätten sie gar kein Empfinden mehr. Wenn ihnen weder Beschimpfungen und Schläge noch Beraubung Schmerz verursacht, wenn sie vor keiner anderen ähnlichen Unbill zurückschrecken, sondern im Gegenteil durch das Leiden nur um so hochherziger werden, so erwäge, mit welchen Gnaden ihre Seele wird ausgerüstet werden! Das ist also der Grund, weshalb der Herr auch hier dasselbe Verhalten vorschrieb, wie bei Mißhandlungen und bei Wegnahme unseres Eigentums. Was rede ich doch da gleichsam von Beschimpfungen und Eigentum? Selbst wenn man deinen eigenen Leib zu Mühsal und Arbeit gebrauchen will, und wenn diese auch unverdient sind, auch da sei wieder siegreich und überwinde das ungerechte Verlangen deines Gegners. Das "Nötigen" bedeutet hier nämlich das ungerechte, das widerrechtliche Bedrohen. Aber auch da sollst du bereit sein, noch mehr zu ertragen, als der andere dir zumutet.

   V.42: "Gib dem, der dich um eine Gabe anspricht, und wende dich nicht ab von dem, der von dir ein Darlehen erbittet." 

   Dies ist leichter zu beobachten als das andere. Doch wundere dich darüber nicht. Der Herr macht es immer so, dass er abwechselnd Schweres und Leichtes bringt. Wenn aber dies im Vergleich zum Früheren leicht ist, so sollen jetzt diejenigen sich in achtnehmen, die fremdes Eigentum wegnehmen und ihr Geld mit Dirnen teilen. Die bereiten sich eine zweifache Hölle, ob ihres unrechtmäßigen Erwerbes und ob dessen schändlicher Verwendung. Unter Darlehen versteht er aber hier nicht eine Zinsverschreibung, sondern die unentgeltliche Nutznießung. An einer anderen Stelle dehnt er dieses Gebot sogar noch weiter aus und sagt, man soll auch denen geben, von denen man nichts wieder zurück erwartet.

   V.43: "Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.

   V.44: Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und betet für die, die euch mißhandeln; segnet diejenigen, die euch fluchen, tut Gutes denen, die euch hassen,

   V.45: auf dass ihr ähnlich werdet eurem Vater, der im Himmel ist; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und die Guten, läßt regnen über die Gerechten wie über die Ungerechten." 

   Siehe, wie Christus uns hier den höchsten Inbegriff der Tugend vor Augen stellt! Um ihretwillen lehrte er uns, den, der uns schlägt, nicht bloß zu ertragen, sondern ihm sogar noch die rechte Wange darzubieten, außer dem Kleide nicht bloß den Mantel dazuzugeben, sondern auch zwei Meilen mit dem zu gehen, der uns zu einer zwingen will, eben damit wir mit aller Leichtigkeit das auf uns nehmen, was noch viel schwerer ist als dies. Und was ist denn noch schwerer als dies, fragst du? Dass wir dem, der uns solches antut, nicht einmal Feind seien! Ja, noch mehr als das! Der Herr sagte nicht: Du sollst nicht hassen, sondern: "Du sollst lieben"; er sagte nicht: Tu deinem Feind nichts Böses, sondern: Tu ihm Gutes.



4.

Wenn aber jemand genau zusehen will, so kann er noch eine ganz andere Steigerung finden, die noch viel mehr besagt als dies. Der Herr befahl nämlich, den Feind nicht einfach bloß zu lieben, sondern auch für ihn zu beten. Siehst du jetzt, wie viele Stufen der Herr uns emporführt, und wie er uns damit auf die höchste Höhe der Tugend gestellt hat? Betrachte aber die Stufenleiter so, dass du von unten an zählst. Die erste Stufe ich die, kein Unrecht entstehen zu lassen; die zweite, wenn doch schon ein Unrecht geschehen ist, Gleiches mit Gleichem zu vergelten; die dritte, dem, der uns mißhandelt hat, nicht dasselbe zuzufügen, sondern uns in Geduld zu fassen; die vierte, sich zum Empfang von Unbilden sogar selber anzubieten; die fünfte, noch mehr zu tun, als jener will, der uns Böses tat; die sechste, den nicht zu hassen, der uns solches angetan; die siebte, ihn sogar noch zu lieben; die achte, ihm auch noch Gutes zu tun, die neunte, selbst noch bei Gott für ihn zu beten. Siehst du da den Gipfel der Tugend! Dafür empfängt ein solcher aber auch einen herrlichen Lohn. Da nämlich das Gebot schwer war, und[235] eine jungendfrische Seele erheischte, sowie auch großen Eifer, so setzt der Herr auch einen solchen Lohn darauf wie auf kein anderes der vorausgehenden Gebote. Hier erwähnt er nicht die Erde, wie bei den Sanftmütigen, nicht Trost und Erbarmen, wie bei den Trauernden und Barmherzigen, auch nicht das Himmelreich, nein, etwas, das viel größer und schauererregender ist: das Ähnlichwerden mit Gott, soweit dies für Menschen möglich ist. "Auf dass ihr", sagt er,"ähnlich werdet eurem Vater, der im Himmel ist." 

   Du aber beachte, wie Christus weder hier noch im vorausgehenden Gott seinen eigenen Vater nennt, sondern das eine Mal, wo er vom Schwören redet, nennt er ihn "Gott" und "großer König", hier dagegen "ihren Vater". Das tut er aber deswegen weil er seine Mitteilungen hierüber für die richtige Zeit vorbehält. Sodann erklärt er aber auch noch des weiteren diese Gottähnlichkeit und sagt: "Er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute, läßt regnen über Gerechte und Ungerechte." Gott, will er sagen, hegt nicht nur keinen Haß, er spendet sogar Wohltaten denen, die ihn beleidigen. Freilich ist das beiderseitige Tun durchaus nicht gleich, nicht nur hinsichtlich der Größe der Wohltat, sondern auch, weil Gott an Würde unendlich erhabener ist. Du wirst ja nur von einem Mitsklaven beleidigt, er aber von seinem Diener, dem er tausendfach Gutes getan; du spendest nur Worte, wenn du für deinen Feind betest, er hingegen gar große, wunderbare Gaben, er gibt uns die gemeinsame Sonne und den zu bestimmten Zeiten wiederkehrenden Regen. Aber trotzdem,[236] verleihe ich euch die Gottähnlichkeit, soweit ein Mensch sie besitzen kann. Hasse also nicht den, der dir Böses zufügt, da er dir ja solche Vorteile einbringt und dich zu so hoher Ehre emporführt; fluche nicht dem, der dich schlägt, sonst bleibt dir zwar die Beschwerde, des Lohnes aber gehst du verlustig; ihm wirst du zwar Schaden verursachen, damit aber dein Verdienst zerstören. Es wäre aber doch höchst töricht, wenn wir das nicht ertragen wollten, was leichter ist, nachdem wir das schwerere über uns hatten ergehen lassen. 

   Aber, fragst du, wie soll ich das zustande bringen? Nun, wenn du siehst, wie Gott Mensch geworden, so tief herabgestiegen ist und so viel für dich gelitten hat, da fragst du noch und zweifelst, wie es möglich sein sollte, unseren Mitsklaven ihr Unrecht zu verzeihen? Hörst du nicht, wie Christus am Kreuze spricht: "Verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lc 23,34). Hörst du nicht Paulus sagen:"Derjenige, der hin aufgestiegen ist, und zur Rechten Gottes sitzt, legt Fürbitte ein für uns"?  (Rm 8,34) Siehst du nicht, dass er auch nach seinem Tod am Kreuze und nach seiner Himmelfahrt den Juden, die ihn getötet hatten, die Apostel sandte, die ihnen unendlich viele Wohltaten bringen sollten, während sie selber tausendfaches Böse von ihnen zu erfahren hatten? Aber dir hat man ein großes Unrecht angetan? Aber wann hattest du etwas Ähnliches zu leiden, wie dein Herr, den man gefesselt, gegeißelt, ins Gesicht geschlagen hat, der von den Dienern angespuckt wurde, der den Tot erlitt, und zwar von allen Todesarten die schimpflichste, und dies alles, nachdem er unendlich viel Gutes getan hatte? Allein, selbst wenn dir großes Unrecht geschehen ist, vergilt es gerade deshalb mit Gutem, damit so dein einstiger Siegeskranz nur um so herrlicher glänze und du deinen Bruder von seiner äußerst gefährlichen Krankheit befreiest. Auch die Ärzte haben ja gerade dann, wenn sie von ihren Kranken im Fieberwahn geschlagen und beschimpft werden, am meisten Mitleid mit ihnen und geben sich Mühe, dieselben zu heilen, da sie wohl wissen, dass die Schimpfworte nur eine Folge des übermäßigen Fiebers sind. Denke also auch du so von denen, die es auf dich abgesehen haben und verhalte dich ebenso gegen die, die dir Unrecht tun. Gerade diese sind es ja, die eigentlich krank sind und unter der Herrschaft eines unwiderstehlichen Zwanges stehen. Befreie ihn also von diesem bösen Frevelmut, hilf ihm seinen Zorn abzulegen, und errette ihn von dem bösen Dämon des Hasses. Wir sind ja auch zu Tränen gerührt, wenn wir einen Besessenen sehen, und hüten uns wohl, auch selbst vom Dämon erfaßt zu werden. Machen wir es auch hier so bei denen, die uns zürnen. Die Zornmütigen sind ja den Besessenen ganz ähnlich, oder besser gesagt, sie sind noch schlimmer daran als sie, da sie trotz ihres Verstandes sich rasend gebärden. Darum verdient auch ihr Irrsinn keine Nachsicht.



5.

Stürze dich also nicht auf einen, der am Boden liegt, habe vielmehr Mitleid mit ihm. Wenn wir einen sehen, der das Gallenfieber hat, von Schwindel befallen ist und diese schlechten Säfte ausspeien muß, so reichen wir ihm ja auch die Hand und stützen ihn in seinem Fieberschauer, und wenn wir auch das Kleid dabei beschmutzen, wir achten es nicht, sondern sind nur darauf bedacht, wie wir denselben aus seiner schweren Not erretten können. Machen wir es also auch bei den Zornmütigen so. Stützen wir sie, wenn sie ihre Zornesgalle ausspeien und wie von Fieberhitze geschüttelt werden, und lassen wir sie nicht eher los, als bis sie all die schlechten Stoffe von sich gegeben haben! Dann wird dir ein solcher auch den größten Dank wissen. Wenn er es einmal überstanden hat, dann wird er klar erkennen, aus welch schlimmer Lage du ihn befreit hast. Und was rede ich von seinem Dank? Gott selbst wird dich unverzüglich belohnen und dir mit tausendfachen Gnaden vergelten dafür, dass du deinen Bruder aus schwerer Krankheit errettet hast; auch wird jener dich ehren wie seinen Herrn und die größte Achtung hegen vor deiner Güte. Weißt du nicht, wie die Frauen, die in Wehen liegen, diejenigen beißen, die ihnen beistehen, und doch empfinden diese keinen Schmerz; oder vielmehr sie empfinden ihn, aber tragen ihn mutig und haben Mitleid mit den anderen, die in Geburtswehen liegen und sich winden. Dieses Beispiel ahme auch du nach, und sei nicht weichlicher als Frauen. Wenn nämlich diese Frauen[237] geboren haben,[238] dann werden sie deine Mannhaftigkeit anerkennen. 

   Wenn aber diese Gebote hart sind, so bedenke, dass Christus deshalb in die Welt gekommen ist, um sie in unsere Herzen einzupflanzen, und uns für Feind und Freund nützlich zu machen. Darum befiehlt er ja auch beide zu vergessen; die Brüder, wo er sagt: "Wenn du deine Gabe darbringst"; die Feinde, wenn er befiehlt, sie zu lieben und für sie zu beten. Doch leitet er uns nicht bloß durch das Beispiel Gottes hierzu an, sondern auch durch das Gegenteil. Denn, sagt er:

   V.46: "Wenn ihr diejenigen liebet, die euch lieben, welchen Lohn werdet ihr haben; tun nicht auch die Zöllner desgleichen?" 

   Dasselbe sagt auch der hl. Paulus: "Ihr habt im Kampfe gegen die Sünde noch nicht bis auf Blut widerstanden" (He 12,4).Wenn du also so handelst, dann stehst du auf Seiten Gottes; tust du es nicht, so stehst du auf Seiten der Zöllner. Siehst du, wie der Unterschied unter den Geboten nicht so groß ist, wie der unter den Personen? Achte also nicht auf die Schwierigkeit des Gebotes; denke vielmehr auch an den Siegespreis, und erwägen wir, wem wir bei richtigem Verhalten ähnlich werden, und wem gleichgestellt, wenn wir sündigen? Christus befiehl uns also, mit unserem Bruder uns zu versöhnen, und nicht eher von ihm abzustehen, als bis wir der Feindschaft ein Ende gemacht haben. Wenn er aber von allen ohne Ausnahme redet, so unterwirft er uns deshalb keinem Zwang, sondern verlangt nur so viel, als an uns liegt, und erleichtert uns auch dadurch die Haltung des Gesetzes. Zuvor hatte er nämlich gesagt: "Sie haben die Propheten verfolgt, die vor euch waren"; doch wollte er nicht, dass die Seinen sich deshalb feindlich gegen die Juden benähmen; deshalb schreibt er vor, diejenigen, die solches tun, nicht nur zu ertragen, sondern sie sogar zu lieben. 

   Siehst du also, wie er den Zorn und die Gier nach Fleischeslust, nach Geld, nach Ruhm und den Dingen des irdischen Lebens mitsamt der Wurzel ausrottet? Er hat dies zwar schon von Anfang an getan, weit nachdrücklicher aber jetzt. Denn, wer arm ist, sanftmütig und bußfertig, der vermeidet eben den Zorn; wer gerecht ist und barmherzig, der macht die Habsucht unmöglich; wer ein reines Herz hat, ist frei von böser Lust; wer Verfolgung, Beschimpfung und Verleumdung erfährt, der übt ohnehin die vollständige Verachtung aller zeitlichen Dinge und hält sich rein von Hochmut und Ehrgeiz. Nachdem also der göttliche Heiland den Zuhörer von diesen Fesseln befreit und gleichsam zum Kampfe gesalbt hat, geht er nochmals von einer anderen Seite und mit noch größerer Entschiedenheit an die Ausrottung dieser Laster. Den Anfang hat er mit dem Zorne gemacht, hat sämtliche Wurzeln dieser Leidenschaft abgeschnitten und gesagt: Wer seinem Bruder zürnt, wer ihn einen Toren schilt und ihn Rakka nennt, der soll bestraft werden; und wer eine Gabe darbringen will, soll nicht vorher zum Opfertisch hinzutreten, als bis er der Feindschaft ein Ende gemacht; wer einen Widersacher hat, soll sich den Feind zum Freunde machen, bevor er das Gerichtsgebäude betritt. Daraufhin geht er wieder zur bösen Lust über und sagt: Wer jemand unkeuschen Blickes betrachtet, soll wie ein Ehebrecher angesehen werden; wer Ärgernis erfährt von einem unzüchtigen Weibe oder einem Manne, oder sonst von einem, der ihm nahesteht, der soll sie alle entfernen: wer durch rechtmäßige Ehe eine Frau besitzt, der soll sie nie fortschicken, um sich nach einer anderen umzusehen. Eben hierdurch hat er die Wurzeln der bösen Begierlichkeit ausgerissen. Von hier aus geht er dann gegen die Habsucht vor, indem er befiehlt, nicht zu schwören, nicht zu lügen, das eigene Kleid nicht zurückzuhalten, das man eben anhat; vielmehr dem, der es haben will, auch noch den Mantel dazuzugeben und ihm selbst mit seinem Leib zu dienen. Durch solch äußerst entschiedene Mittel ertötet er die Liebe zum Besitz.



6.

Nach all dem kommt er auch auf den herrlichen Glanzpunkt all seiner Gebote zu sprechen und sagt: "Betet für jene, die euch fluchen!" Damit führt er uns direkt auf die höchste Höhe der Vollkommenheit. Sanftmütig sein ist leichter, als sich schlagen lassen; barmherzig sein leichter, als sein Kleid mitsamt dem Mantel hingeben; gerecht sein leichter, als Unrecht dulden; friedfertig sein leichter, als Mißhandlungen tragen und gezwungen einem anderen folgen; ebenso ist es leichter, Verfolgungen zu erdulden, als den Verfolger auch noch zu segnen. Siehst du, wie er uns langsam bis in die Hallen des Himmels hineinführt? Welche Strafe möchten wir also wohl verdienen, wenn wir Gott nachahmen sollten und vielleicht nicht einmal den Zöllnern gleichkommen? Denn wenn sogar Zöllner, Sünder und Heiden es fertig bringen, diejenigen zu lieben, von denen sie geliebt werden, wir hingegen nicht einmal das tun[239] , welche Strafe wird uns da nicht treffen, wenn wir, anstatt die Schriftgelehrten zu übertreffen, selbst hinter den Heiden zurückbleiben? Sag mir, wie sollen wir da ins Himmelreich eingehen? Wie sollen wir jene heiligen Hallen betreten, wenn wir nicht besser geworden sind als Zöllner? Das hat Christus angedeutet mit den Worten: "Tun nicht auch die Zöllner dasselbe?" Darum müssen wir auch seine Lehrweisheit am meisten bewundern, weil er überall für unser Tugendstreben gar reichlichen Lohn verheißt, so z.B. dass wir Gott schauen sollen, dass uns das Himmelreich zuteil werden soll, dass wir Kinder Gottes und Gott ähnlich werden, dass wir Barmherzigkeit finden werden und Trost und reiche Belohnung. Wo er aber auch die Bösen erwähnen muß, tut er dies in schonender Weise; denn in all diesen langen Reden erwähnt er die Hölle nur einmal. Auch an anderen Stellen belehrt er den Zuhörer mit milden, demütigen Worten, mehr mahnend als drohend, indem er sagt: "Tun nicht auch die Zöllner das gleiche?", und:"Wenn das Salz schal geworden ist" (Mt 6,13), oder: "Er wird der geringste genannt werden im Himmelreich" (Mt 5,19). Zuweilen will er auch da, wo er die Sünden an Stelle der Sündenstrafe erwähnt, dem Zuhörer die Schwere der Strafe zu verstehen geben. So, wenn er sagt: "Er hat mit ihr im Herzen einen Ehebruch begangen",und: "Wer sie entläßt, ist schuld daran, wenn jemand mit ihr Ehebruch treibt"; ebenso: "Was darüber ist, ist vom Bösen." Für die Einsichtigen genügt es eben zur Besserung, wenn man ihnen statt der Strafe die Größe der Sünde vor Augen hält. Deshalb erwähnt Christus auch hier die Heiden und die Zöllner und beschämt seine Jünger durch die persönlichen Eigenschaften dieser Leute. Dasselbe tat auch Paulus, wenn er sagt: "Trauert nicht wie die anderen, die keine Hoffnung haben" (1Th 4,12), und: "wie die Heiden, die Gott nicht kennen" (2Th 1,8). Auch will der Herr zeigen, dass er nichts Übermäßiges verlangt, sondern kaum mehr als das, was alle tun; darum sagt er: "Tun nicht auch die Heiden dasselbe?" 

   Doch bleibt er hierbei mit seiner Rede nicht stehen, sondern beendet sie mit dem Hinweis auf den Lohn und auf die gute Hoffnung und sagt:

   V.48: "Werdet also vollkommen, wie euer Vater, der im Himmel ist." 

   Den Himmel erwähnt der Herr bei jeder Gelegenheit, um durch ihn die Gemüter der Jünger anzuregen. Bis dahin waren sie eben noch zu schwach und zu irdisch gesinnt gewesen. So wollen denn auch wir all das Gesagte in Erwägung ziehen und auch gegen unsere Feinde große Liebe an den Tag legen! Wir wollen von jener lächerlichen Gewohnheit lassen, an der noch viele unverständige Leute festhalten, nämlich zu warten, bis diejenigen, die uns begegnen, zuerst grüßen, und nicht nach dem zu streben, was uns zufrieden und glücklich macht, dagegen das zu suchen, was lächerlich ist. Warum willst denn nicht du den anderen zuerst grüßen? Weil er darauf wartet, sagst du. Nun, dann solltest du dich gerade deshalb am meisten beeilen, um den Siegeskranz zu erringen. Nein, sagst du; denn gerade das wollte er ja. Aber gibt es wohl etwas Törichteres, als ein solches Benehmen? Gerade weil er die Absicht hatte, sagst du, mir einen Gewinn zu vermitteln, will ich die Gelegenheit nicht benützen! Wenn also der andere dich zuerst grüßt, so hast du kein weiteres Verdienst, wenn du ihn auch wieder grüßest; beeilst du dich aber, zuerst zu grüßen, so hast du aus dem Stolz des anderen Kapital geschlagen, und ob seines Unverstandes großen Gewinn erzielt. Wie wäre es also nicht überaus töricht, wo wir aus bloßen Worten so großen Nutzen ziehen können, den Gewinn preiszugeben und in den gleichen Fehler zu fallen, den wir an anderen tadeln? Denn wenn du ihm deshalb einen Vorwurf machst, weil er erwartet, dass die anderen ihn zuerst grüßen, warum tust du dann eben das, was du selber tadelst, und trachtest, als ob es etwas Gutes wäre, das nachzuahmen. wovon du selber sagtest, es sei böse? Siehst du, wie es nichts Törichteres gibt als einen Menschen, der dem Bösen Herberge leiht? Darum bitte ich euch, fliehen wir diese schlechte und unvernünftige Gewohnheit! Dieses Übel hat schon unzählige Freundschaften zerstört und viele Feindschaften verursacht. Suchen wir gerade deshalb den anderen zuvorzukommen. Nachdem der Herr uns befohlen, von unseren Feinden Schläge, Zwang und Entblößung geduldig zu ertragen welche Nachsicht verdienen wir da wohl, wenn wir bei einem bloßen Gruße solchen Ehrgeiz zeigen? Du sagst, wir werden verachtet und verhöhnt, wenn wir ihm hierin zu Gefallen sind, Also, um nicht von einem Menschen verachtet zu werden, beleidigst du Gott? Damit ein unvernünftiger Mitknecht dich nicht verachte, mißachtest du den Herrn, der dir soviel Gutes getan hat? Wenn es töricht ist für einen, der dir gleichgestellt ist, dich zu verachten, so ist es noch viel törichter, wenn du Gott mißachtest, der dich erschaffen hat! 

   Außerdem bedenke aber auch dies: Wenn der andere dich verspottet, so verschafft er dir dadurch nur um so größeren Lohn. Es widerfährt dir ja dies um Gottes willen, weil du seinen Geboten gehorcht hast. Welche Ehre wird dir aber nicht dafür zuteil werden, welche Kronen! Ich möchte lieber um Gottes willen beschimpft und verachtet, als von allen Königen zusammen geehrt werden[240] . Diesem Ruhm kommt nichts, gar nichts gleich. Nach diesem Ruhme also wollen wir trachten, so wie Christus selbst es befohlen; wollen die Ehre der Menschen für nichts erachten, uns vielmehr in allem genau an seine Tugendvorschriften halten und darnach unser eigenes Leben einrichten. Dann werden wir die Freuden des Himmels und die überirdischen Ruhmeskränze schon hienieden erlangen, wenn wir wie Engel unter den Menschen leben,[241] wie die englischen Mächte auf Erden wandeln und uns frei halten von aller Begierlichkeit, frei von jeder Erregung des Gemütes. Und zu all dem werden wir auch noch die unaussprechlichen Güter empfangen, deren wir alle teilhaft werden mögen durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, den Ehre, Macht und Anbetung gebührt zugleich mit dem ewigen Vater und dem Heiligen und guten Geist, jetzt und immer und in alle Ewigkeit. Amen!






Kommentar zum Evangelium Mt 18