Familiaris consortio DE 28
28 Mit der Erschaffung von Mann und Frau nach seinem Bild und Gleichnis krönt und vollendet Gott das Werk seiner Hände: Er beruft sie zu einer besonderen Teilhabe an seiner Liebe und zugleich an seiner Macht als Schöpfer und Vater durch ihre freie und verantwortliche Mitwirkung bei der Weitergabe des Geschenkes des menschlichen Lebens: "Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde und unterwerft sie euch" (Gn 1,28)
So ist es die grundlegende Aufgabe der Familie, dem Leben zu dienen, im Laufe der Geschichte den Ursegen des Schöpfers zu verwirklichen, in der Zeugung das Gottebenbild von Mensch zu Mensch weiterzugeben (Vgl. Gen Gn 5,1-3).
Die Fruchtbarkeit ist Ausfluß und Zeichen der ehelichen Liebe, das lebendige Zeugnis der gegenseitigen Ganzhingabe der Ehegatten: "Ohne Hintansetzung der übrigen Eheziele sind deshalb die echte Gestaltung der ehelichen Liebe und die ganze sich daraus ergebende Natur des Familienlebens dahin ausgerichtet, daß die Gatten von sich aus entschlossen bereit sind zur Mitwirkung mit der Liebe des Schöpfers und Erlösers, der durch sie seine eigene Familie immer mehr vergrößert und bereichert" (Gaudium et Spes GS 50).
Die Fruchtbarkeit der ehelichen Liebe beschränkt sich aber nicht allein auf die Zeugung, auch wenn diese in ihrer spezifisch menschlichen Dimension verstanden und angezielt wird. Sie wird noch weiter und reicher durch all die Früchte sittlichen, geistigen und übernatürlichen Lebens, die Vater und Mutter ihren Kindern und durch ihre Kinder der Kirche und der Welt zu schenken berufen sind.
29 Gerade weil die Liebe der Ehegatten eine einzigartige Teilhabe am Geheimnis des Lebens und der Liebe Gottes selbst ist, weiß die Kirche, daß sie die besondere Sendung empfangen hat, die so hohe Würde der Ehe und die so schwere Verantwortung der Weitergabe des menschlichen Lebens zu wahren und zu schützen.
In Kontinuität mit der lebendigen Tradition der kirchlichen Gemeinschaft durch die Geschichte hin haben so das II. Vatikanische Konzil und das Lehramt meines Vorgängers Pauls VI., vor allem in der Enzyklika Humanae vitae, unserer Zeit eine wahrhaft prophetische Botschaft verkündet, welche die stets alte und zugleich neue Lehre und Norm der Kirche über die Ehe und die Weitergabe menschlichen Lebens deutlich bekräftigt und erneuert.
Deshalb haben die Väter der Synode in ihrer letzten Versammlung wörtlich erklärt: "Diese Heilige Synode, versammelt in der Einheit des Glaubens mit dem Nachfolger Petri, hält fest an dem, was im II. Vatikanischen Konzil (Vgl. Gaudium et Spes GS 50) und dann in der Enzyklika Humanae vitae dargelegt wird, daß nämlich die eheliche Liebe voll menschlich, ausschließlich und offen für das neue Leben sein muß (Humanae vitae HV 11, vgl. 9 und 12)" (Propositio 21. Im Schlußsatz von Nr. 11 der Enzyklika Humanae vitae wird folgendes festgestellt: "Indem die Kirche den Menschen die Beobachtung der Normen des Naturgesetzes einschärft, das sie durch ihre stets gleichbleibende Lehre auslegt, lehrt sie, daß jeder eheliche Akt offen bleiben muß für die Weitergabe des Lebens" ("ut quilibet matrimonii usus ad vitam humanam procreandam per se destinatus permaneat"): AAS 60 (1968) 488).
30 Die Lehre der Kirche trifft heute auf eine gesellschaftliche und kulturelle Situation, die sie schwerer verständlich und gleichzeitig dringender und unersetzlicher macht für die Förderung des wahren Wohls von Mann und Frau.
Denn der dauernde technisch-wissenschaftliche Fortschritt des heutigen Menschen in der Beherrschung der Natur führt nicht nur zur Hoffnung auf eine neue und bessere Menschheit, sondern auch zu einer immer größeren Angst vor der Zukunft. Manche fragen sich, ob es überhaupt gut sei zu leben oder ob es nicht besser wäre, gar nicht geboren zu werden; sie zweifeln, ob es überhaupt erlaubt sei, anderen das Leben zu schenken, die vielleicht einmal ihr Dasein in einer grausamen Welt verfluchen werden, deren Schrecken kaum vorhersehbar sind. Andere beanspruchen die Vorteile des technischen Fortschritts für sich allein und schließen die anderen davon aus, denen sie statt dessen empfängnisverhütende Mittel oder noch ärgere Methoden aufnötigen. Wieder andere sind Opfer der Konsummentalität und der ausschließlichen Sorge um ständige Zunahme der materiellen Güter und können den geistigen Wert eines neuen menschlichen Lebens nicht mehr begreifen und bejahen. Letzte Ursache dieser Haltungen ist die Abwesenheit Gottes im Herzen der Menschen, dessen Liebe allein alle Ängste der Welt überwiegt und überwindet.
So ist eine lebensfeindliche Haltung (antilife mentalitv) entstanden, die sich bei vielen aktuellen Fragen bemerkbar macht. Man denke zum Beispiel an eine gewisse Panik, die von demographischen Studien der Ökologen und Futurologen ausgelöst wird, die manchmal die Gefährdung der Lebensqualität durch das Bevölkerungswachstum übertreiben.
Aber die Kirche ist fest überzeugt, daß das menschliche Leben, auch das schwache und leidende, immer ein herrliches Geschenk der göttlichen Güte ist. Gegen Pessimismus und Egoismus, die die Welt verdunkeln, steht die Kirche auf der Seite des Lebens; in jedem menschlichen Leben weiß sie den Glanz jenes "Ja", jenes "Amen" zu entdecken, das Christus selbst ist (Vgl. 2Co 1,19 Ap 3,14). Dem "Nein", das in die Welt einbricht und einwirkt, setzt sie dieses lebendige "Ja" entgegen und verteidigt so den Menschen und die Welt vor denen, die das Leben bekämpfen und ersticken.
Die Kirche ist berufen, aufs neue und mit klarerer und festerer Überzeugung allen ihre Entschlossenheit zu zeigen, das menschliche Leben, ganz gleich, in welcher Lage und in welchem Stadium der Entwicklung es sich befindet, mit allen Mitteln zu fördern und gegen alle Angriffe zu verteidigen.
Deshalb verurteilt die Kirche als schwere Beleidigung der menschlichen Würde und der Gerechtigkeit alle Aktivitäten von Regierungen oder anderen öffentlichen Autoritäten, die in irgendeiner Weise die Freiheit der Ehegatten, über Nachkommenschaft zu entscheiden, zu beschränken versuchen. Dementsprechend ist jede gewaltsame Maßnahme dieser Autoritäten zugunsten der Empfängnisverhütung oder gar der Sterilisation und der Abtreibung völlig zu verurteilen und mit aller Kraft zurückzuweisen. Auf die gleiche Weise ist die Tatsache als schweres Unrecht zu bezeichnen, daß in den internationalen Beziehungen die Wirtschaftshilfe zur Förderung der unterentwickelten Völker von Programmen zur Empfängnisverhütung, Sterilisation und Abtreibung abhängig gemacht wird (Vgl. Botschaft der VI. Bischofssynode an die christlichen Familien der heutigen Welt (24.10.1980), 5).
31 Gewiß ist sich die Kirche der zahlreichen und vielschichtigen Probleme bewußt, vor denen heute in vielen Ländern die Eheleute bei ihrem Auftrag, das Leben verantwortlich weiterzugeben, stehen. Sie erkennt durchaus das schwere Problem der Bevölkerungszunahme, wie es sich in verschiedenen Teilen der Welt stellt, und die damit gegebenen sittlichen Fragen an.
Sie ist jedoch der Meinung, daß eine vertiefte und allseitige Sicht dieser Probleme die Wichtigkeit der authentischen Lehre über die Geburtenregelung, wie sie vom II. Vatikanischen Konzil und von der Enzyklika Humanae vitae wieder vorgelegt wurde, in neuer und stärkerer Weise bestätigen kann.
Deshalb fühle ich mich zusammen mit den Vätern der Synode verpflichtet, einen dringenden Aufruf an die Theologen zu richten, dem kirchlichen Lehramt mit gemeinsamer Kraft zur Seite zu stehen und dahin zu wirken, daß die biblischen Grundlagen, die ethische Motivation und die personalistische Begründung dieser Lehre immer deutlicher werden. So wird es möglich, im Rahmen einer zusammenhängenden Darstellung die Lehre der Kirche zu diesem wichtigen Thema für alle Menschen guten Willens wirklich zugänglich zu machen und ihr immer klareres und tieferes Verständnis zu fördern: Auf diese Weise kann der Plan Gottes für die Ehe immer vollständiger verwirklicht werden zum Wohl des Menschen und zur Ehre des Schöpfers.
In dieser Hinsicht ist das einmütige Zusammenwirken der Theologen in überzeugter Anlehnung an das Lehramt, der einzigen authentischen Führungsinstanz des Volkes Gottes, auch deshalb dringend gefordert, weil eine innere Verbindung zwischen der katholischen Lehre zu diesem Punkt und der Auffassung vom Menschen, wie die Kirche sie vorträgt, besteht: Zweifel und Irrtümer auf dem Gebiet der Ehe oder Familie führen dazu, daß die ganzheitliche Wahrheit vom Menschen verdunkelt wird, und dies in einer kulturellen Situation, die ohnehin oft genug verworren und widersprüchlich ist. Der Beitrag an Erhellung und Vertiefung, zu dem die Theologen in Erfüllung ihres besonderen Auftrages berufen sind, hat einen unvergleichlichen Wert und stellt eine einzigartige und sehr verdienstvolle Hilfe für die Familie und die gesamte Menschheit dar.
32 Angesichts einer Kultur, welche die wahre Bedeutung der menschlichen Sexualität schwer entstellt oder sogar völlig verliert, weil sie diese aus ihrem wesentlichen Bezug auf die Person löst, empfindet die Kirche ihren Auftrag, die Sexualität als Wert und Aufgabe der ganzen Person, die als Mann und Frau nach dem Bild Gottes geschaffen wurde, darzustellen, immer dringender und unersetzlicher.
In dieser Hinsicht hat das II. Vatikanische Konzil deutlich festgestellt, daß "wo es sich um den Ausgleich zwischen ehelicher Liebe und verantwortlicher Weitergabe des Lebens handelt, die sittliche Qualität der Handlungsweise nicht allein von der guten Absicht und der Bewertung der Motive abhängt, sondern auch von objektiven Kriterien, die sich aus dem Wesen der menschlichen Person und ihrer Akte ergeben und die sowohl den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe wahren. Das ist nicht möglich ohne aufrichtigen Willen zur Übung der Tugend ehelicher Keuschheit" (Gaudium et Spes GS 51).
Ausgehend von dieser "ganzheitlichen Sicht des Menschen und seiner Berufung, seiner natürlichen und irdischen wie auch seiner übernatürlichen und ewigen Berufung" (Enzyklika Humanae vitae HV 7, AAS 60 (1968) 485), hat Paul VI. betont, daß die Lehre der Kirche "beruht auf der untrennbaren Verbindung der zweifachen Bedeutung des ehelichen Aktes, die von Gott gewollt ist und die der Mensch nicht eigenmächtig aufheben kann, nämlich die liebende Vereinigung und die Fortpflanzung" (ebd., 12: a.a.O., 488 f.) und er stellt schlußfolgernd fest, daß jede Handlung als in sich unerlaubt auszuschließen ist, "die sich entweder in Voraussicht oder während des Vollzuges des ehelichen Aktes oder beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen die Verhinderung der Fortpflanzung zum Ziel oder Mittel zum Ziel setzt" (ebd., 14: a.a.O., 490).
Wenn die Ehegatten durch Empfängnisverhütung diese beiden Sinngehalte, die der Schöpfergott dem Wesen von Mann und Frau und der Dynamik ihrer sexuellen Vereinigung eingeschrieben hat, auseinanderreißen, liefern sie den Plan Gottes ihrer Willkür aus; sie "manipulieren" und erniedrigen die menschliche Sexualität - und damit sich und den Ehepartner -, weil sie ihr den Charakter der Ganzhingabe nehmen. Während die geschlechtliche Vereinigung ihrer ganzen Natur nach ein vorbehaltloses gegenseitiges Sichschenken der Gatten zum Ausdruck bringt, wird sie durch die Empfängnisverhütung zu einer objektiv widersprüchlichen Gebärde, zu einem Sich-nicht-ganz-Schenken. So kommt zur aktiven Zurückweisung der Offenheit für das Leben auch eine Verfälschung der inneren Wahrheit ehelicher Liebe, die ja zur Hingabe in personaler Ganzheit berufen ist.
Wenn dagegen die Ehegatten durch die Zeitwahl den untrennbaren Zusammenhang von Begegnung und Zeugung in der menschlichen Sexualität respektieren, stellen sie sich unter Gottes Plan und vollziehen die Sexualität in ihrer ursprünglichen Dynamik der Ganzhingabe, ohne Manipulationen und Verfälschungen (Vgl. ebd., 13: a.a.O., 489).
Im Licht der Erfahrung so vieler Ehepaare und der Ergebnisse der verschiedenen Humanwissenschaften kann und muß die Theologie den anthropologischen und gleichzeitig moralischen Unterschied erarbeiten und vertiefen, der zwischen der Empfängnisverhütung und dem Rückgriff auf die Zeitwahl besteht. Es handelt sich um einen Unterschied, der größer und tiefer ist, als man gewöhnlich meint, und der letzten Endes mit zwei sich gegenseitig ausschließenden Vorstellungen von Person und menschlicher Sexualität verknüpft ist. Die Entscheidung für die natürlichen Rhythmen beinhaltet ein Annehmen der Zeiten der Person, der Frau, und damit auch ein Annehmen des Dialoges, der gegenseitigen Achtung, der gemeinsamen Verantwortung, der Selbstbeherrschung. Die Zeiten und den Dialog annehmen heißt, den zugleich geistigen und körperlichen Charakter der ehelichen Vereinigung anerkennen und die personale Liebe in ihrem Treueanspruch leben. In diesem Zusammenhang macht das Ehepaar die Erfahrung, daß die eheliche Vereinigung um jene Werte der Zärtlichkeit und Affektivität bereichert wird, die die Seele der menschlichen Geschlechtlichkeit bilden, auch in ihrer leiblichen Dimension. Auf diese Weise wird die Sexualität in ihrer echt- und vollmenschlichen Dimension geachtet und gefördert, sie wird nicht "benutzt" wie ein Gegenstand, was die personale Einheit von Seele und Leib auflösen und so die Schöpfung Gottes in ihrer intimsten Verflechtung von Natur und Person verletzen würde.
33 Auch auf dem Gebiet der Ehemoral handelt die Kirche als Lehrerin und Mutter.
Als Lehrerin wird sie nicht müde, die sittliche Norm zu verkünden, welche die verantwortliche Weitergabe des Lebens bestimmen muß. Diese Norm ist nicht von der Kirche geschaffen und nicht ihrem Gutdünken überlassen. In Gehorsam gegen die Wahrheit, die Christus ist, dessen Bild sich in der Natur und der Würde der menschlichen Person spiegelt, interpretiert die Kirche die sittliche Norm und legt sie allen Menschen guten Willens vor, ohne ihren Anspruch auf Radikalität und Vollkommenheit zu verbergen.
Als Mutter steht die Kirche den vielen Ehepaaren zur Seite, die in diesem wichtigen Punkt sittlichen Lebens Schwierigkeiten haben. Sie kennt sehr wohl ihre Lage, die oft belastend und manchmal wirklich quälend ist wegen vielfältiger Schwierigkeiten persönlicher und sozialer Art. Sie weiß, daß viele Ehepaare hier nicht nur im Tun Schwierigkeiten haben, sondern schon im Verstehen der Werte, um die es in der sittlichen Norm geht.
Aber es ist die eine Kirche, die zugleich Lehrerin und Mutter ist. Deswegen hört die Kirche niemals auf, aufzurufen und zu ermutigen, die eventuellen ehelichen Schwierigkeiten zu lösen, ohne je die Wahrheit zu verfälschen oder zu beeinträchtigen. Sie ist nämlich davon überzeugt, daß es zwischen dem göttlichen Gesetz, das Leben weiterzugeben, und jenem, die echte eheliche Liebe zu fördern, keinen wirklichen Widerspruch geben kann (Vgl. Gaudium et Spes GS 51). Darum muß die konkrete pastorale Führung der Kirche stets mit ihrer Lehre verbunden sein und darf niemals von ihr getrennt werden. Ich wiederhole deshalb mit derselben Überzeugung die Worte meines Vorgängers: "In keinem Punkte Abstriche an der Heilslehre Christi zu machen, ist hohe Form seelsorglicher Liebe" (Enzyklika Humanae vitae HV 29, AAS 60 (1968) 501).
Andererseits zeigt die richtige pastorale Führung der Kirche nur dann ihren Realismus und ihre Weisheit, wenn sie sich beharrlich und mutig für die Schaffung und Erhaltung all jener menschlichen - psychologischen, moralischen und geistlichen - Bedingungen einsetzt, die unerläßlich sind, um den sittlichen Wert und die sittliche Norm verstehen und leben zu können.
Es besteht kein Zweifel, daß zu diesen Vorbedingungen auch zu zählen sind: Beharrlichkeit und Geduld, Demut und Starkmut, das kindliche Vertrauen in Gott und seine Gnade, das regelmäßige Gebet sowie der häufige Empfang der Eucharistie und des Bußsakramentes (Vgl. ebd., 25: a.a.O., 498 f.). Dadurch gestärkt, werden die christlichen Eheleute sich der einzigartigen Wirkung lebendig bewußt bleiben, die die Gnade des Ehesakramentes auf alle Bereiche des ehelichen Lebens und somit auch auf ihre Geschlechtlichkeit ausübt: Die Gabe des Heiligen Geistes, von den Eheleuten angenommen und fruchtbar gemacht, hilft ihnen, die menschliche Geschlechtlichkeit nach dem Plan Gottes und als Zeichen der einigenden und fruchtbaren Liebe Christi zu seiner Kirche zu leben.
Zu den notwendigen Voraussetzungen zählt aber auch die Kenntnis des Körpers und der Zyklen seiner Fruchtbarkeit. In diesem Sinn muß alles getan werden, daß alle Eheleute und vorher schon die Jugendlichen mit Hilfe einer klaren, rechtzeitigen und soliden Information durch Ehepaare, Ärzte und sonstige Fachleute zu einer solchen Kenntnis gelangen können. Diese Kenntnis muß dann in eine Erziehung zur Selbstbeherrschung einmünden: Von hier aus ergibt sich die absolute Notwendigkeit der Tugend der Keuschheit und der ständigen Erziehung zu ihr. In christlicher Sicht besagt Keuschheit keineswegs eine Verdrängung oder Mißachtung der menschlichen Geschlechtlichkeit; sie bedeutet vielmehr eine geistige Kraft, die die Liebe gegen die Gefahren von Egoismus und Aggressivität zu schützen und zu ihrer vollen Entfaltung zu führen versteht.
Paul VI. hat mit tiefer intuitiver Weisheit und Liebe nichts anderes getan, als der Erfahrung von vielen Ehepaaren Ausdruck verliehen, als er in seiner Enzyklika schrieb: "Die Beherrschung des Trieblebens durch die Vernunft und den freien Willen verlangt zweifelsohne eine gewisse Askese, damit sich die Bekundung ehelicher Liebe bei den Gatten in der rechten Ordnung vollzieht, besonders bei Einhaltung der periodischen Enthaltsamkeit. Diese zur ehelichen Keuschheit gehörende Zucht und Ordnung tut der ehelichen Liebe in keiner Weise Abbruch, sondern verleiht ihr vielmehr einen höheren menschlichen Wert. Sie verlangt zwar eine ständige Anstrengung, aber dank ihres segensreichen Einflusses entfalten die Eheleute ihre Persönlichkeit voll und ganz, indem sie an geistigen Werten reicher werden. Als Früchte bringt sie in das Leben der Familie Frieden und Glück und erleichtert die Lösung der übrigen Probleme. Sie fördert die Aufmerksamkeit gegenüber dem Ehepartner, hilft den Eheleuten, die Selbstsucht, die Feindin wahrer Liebe, zu überwinden, und vertieft das Gefühl der Verantwortung. Die Eltern werden durch sie fähig, einen noch tieferen und wirksameren Einfluß auf die Erziehung der Kinder zu nehmen" (ebd., 21: a.a.O., 496).
34 Es ist stets von großer Bedeutung, einen richtigen Begriff von der sittlichen Ordnung, von ihren Werten und Normen zu haben. Diese Bedeutung wächst, je zahlreicher und größer die Schwierigkeiten werden, sie zu beachten.
Gerade weil die sittliche Ordnung den Plan Gottes, des Schöpfers, offenbart und zum Auftrag macht, kann sie nicht etwas den Menschen Demütigendes und Unpersönliches sein. Im Gegenteil, sie entspricht den tiefsten Bedürfnissen des von Gott geschaffenen Menschen und dient somit der vollen Entfaltung seines Menschseins, in jener einfühlenden und bindenden Liebe, mit der Gott selbst jedes Geschöpf beseelt, hält und zu seiner Seligkeit führt.
Doch ist der Mensch, der berufen ist, dem weisen und liebenden Plan Gottes in freier Verantwortung mit seinem Leben zu entsprechen, ein geschichtliches Wesen, das sich Tag für Tag durch seine zahlreichen freien Entscheidungen selbst formt; deswegen kennt, liebt und vollbringt er das sittlich Gute auch in einem stufenweisen Wachsen.
Auch die Eheleute sind im Bereich ihres sittlichen Lebens auf einen solchen Weg gerufen, getragen vom aufrichtig suchenden Verlangen, die Werte, die das göttliche Gesetz schützt und fördert, immer besser zu erkennen, sowie vom ehrlichen und bereiten Willen, diese in ihren konkreten Entscheidungen zu verwirklichen. Jedoch können sie das Gesetz nicht als ein reines Ideal auffassen, das es in Zukunft einmal zu erreichen gelte, sondern sie müssen es betrachten als ein Gebot Christi, die Schwierigkeiten mit aller Kraft zu überwinden. "Daher kann das sogenannte ‚Gesetz der Gradualität‘ oder des stufenweisen Weges nicht mit einer ‚Gradualität des Gesetzes‘ selbst gleichgesetzt werden, als ob es verschiedene Grade und Arten von Gebot im göttlichen Gesetz gäbe, je nach Menschen und Situationen verschieden. Alle Eheleute sind nach dem göttlichen Plan in der Ehe zur Heiligkeit berufen, und diese hehre Berufung verwirklicht sich in dem Maße, wie die menschliche Person fähig ist, auf das göttliche Gebot ruhigen Sinnes im Vertrauen auf die Gnade Gottes und auf den eigenen Willen zu antworten" (Johannes Paul II.,Homilie zum Abschluß der VI. Bischofssynode (25.10.1980), 8: AAS 72 (1980) 1083). Dementsprechend gehört es zur pastoralen Führung der Kirche, daß die Eheleute vor allem die Lehre der Enzyklika Humanae vitae als normativ für die Ausübung ihrer Geschlechtlichkeit klar anerkennen und sich aufrichtig darum bemühen, die für die Beobachtung dieser Norm notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.
Diese pastorale Führung betrifft, wie die Synode betont, das ganze eheliche Leben. Deshalb muß die Aufgabe der Weitergabe des Lebens in die umfassende Sendung des ganzen christlichen Lebens integriert sein, das ohne das Kreuz nicht zur Auferstehung gelangen kann. In solchem Zusammenhang begreift man, warum man das Opfer nicht aus dem Familienleben verbannen kann, sondern vielmehr mit bereitem Herzen annehmen muß, soll die eheliche Liebe sich vertiefen und Quelle inniger Freude werden.
Dieser gemeinsame Weg erfordert Besinnung, Information, geeignete Erziehung der Priester, Ordensleute und Laien, die in der Familienpastoral tätig sind. Sie alle können den Eheleuten auf ihrem menschlichen und geistigen Weg helfen, der das Wissen um die Sünde, das ehrliche Bemühen um die Beobachtung des Sittengesetzes und den Dienst der Versöhnung einschließt. Es ist ferner zu bedenken, daß im Bereich ehelicher Intimität die Willensentscheidungen zweier Personen beteiligt sind, die jedoch zum Einklang in ihrer Denkweise und ihrem Verhalten berufen sind; das erfordert nicht wenig Geduld, Einfühlung und Zeit. Von größter Bedeutung ist in diesem Bereich die einheitliche sittliche und pastorale Beurteilung von seiten der Priester: Diese Einheit muß sorgfältig gesucht und sichergestellt werden, damit die Gläubigen nicht unter Gewissensnöten zu leiden haben (Vgl. Paul VI., Enzyklika Humanae vitae HV 28, AAS 60 (1968) 501).
Der Weg der Eheleute wird also erleichtert, wenn sie in Hochschätzung der Lehre der Kirche und im Vertrauen auf die Gnade Christi, unterstützt und begleitet von den Seelsorgern und der ganzen kirchlichen Gemeinschaft, den befreienden und fördernden Wert echter Liebe entdecken und erleben, die das Geschenk und der Auftrag von Christi Botschaft ist.
35 Im Hinblick auf das Problem einer sittlich richtigen Geburtenregelung muß die kirchliche Gemeinschaft zur gegenwärtigen Zeit die Aufgabe übernehmen, Überzeugungen zu wecken und denen konkrete Hilfen anzubieten, die ihre Vater- und Mutterschaft in einer wirklich verantwortlichen Weise leben wollen.
Während die Kirche die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung für eine genauere Kenntnis der Zyklen der weiblichen Fruchtbarkeit begrüßt und eine entschlossene Ausweitung dieser Studien anregt, kann sie nicht umhin, erneut mit Nachdruck an die Verantwortung all derer zu appellieren - Ärzte, Experten, Eheberater, Erzieher, Ehepaare -, die den Eheleuten wirksam helfen können, ihre Liebe in der Beachtung der Struktur und der Ziele des ehelichen Aktes zu verwirklichen, der diese Liebe zum Ausdruck bringt. Das bedeutet einen umfassenderen, entschlosseneren und systematischeren Einsatz dafür, daß die natürlichen Methoden der Geburtenregelung bekannt, geschätzt und angewandt werden (Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Delegierten des "Centre de Liaison des Equipes de Recherche" (3.11.1979), 9:Insegnamenti di Giovanni Paolo II II, 2 (1979) 1035; vgl. auch Ansprache an die Teilnehmer am Ersten Kongreß für die Familie in Afrika und Europa (15.2.1981): "L‘Osservatore Romano", 16.2.1981).
Ein wertvolles Zeugnis kann und muß von jenen Eheleuten gegeben werden, die durch ihr gemeinsames Bemühen um die periodische Enthaltsamkeit eine reifere persönliche Verantwortlichkeit gegenüber der Liebe und dem Leben gewonnen haben. Wie Paul VI. schreibt, "übergibt ihnen der Herr die Aufgabe, die Heiligkeit und Milde jenes Gesetzes den Menschen sichtbar zu machen, das die gegenseitige Liebe der Eheleute und ihr Zusammenwirken mit der Liebe Gottes, des Urhebers des menschlichen Lebens, vereint" (Enzyklika Humanae vitae HV 25, AAS 60 (1968) 499).
2) Die Erziehung
36 Die Aufgabe der Erziehung hat ihre Wurzeln in der Urberufung der Eheleute zur Teilnahme am schöpferischen Wirken Gottes. Wenn die Eltern in Liebe und aus Liebe eine neue Person zeugen, die in sich die Berufung zu Wachstum und Entwicklung hat, übernehmen sie eben dadurch die Aufgabe, ihr auch wirksam zu helfen, ein vollmenschliches Leben zu führen. Daran hat das II. Vatikanische Konzil erinnert: "Da die Eltern ihren Kindern das Leben schenkten, haben sie die überaus schwere Verpflichtung zur Kindererziehung. Daher müssen sie als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden. Ihr Erziehungswirken ist so entscheidend, daß es dort, wo es fehlt, kaum zu ersetzen ist. Den Eltern obliegt es, die Familie derart zu einer Heimstätte der Frömmigkeit und Liebe zu Gott und den Menschen zu machen, daß die gesamte Erziehung der Kinder nach der persönlichen wie der gesellschaftlichen Seite hin davon getragen wird. So ist die Familie die erste Schule der sozialen Tugenden, deren kein gesellschaftliches Gebilde entraten kann" (Erklärung über die christliche Erziehung Gravissimum educationis GE 3).
Das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung sind als wesentlich zu bezeichnen, da sie mit der Weitergabe des menschlichen Lebens verbunden sind; als unabgeleitet und ursprünglich, verglichen mit der Erziehungsaufgabe anderer, aufgrund der Einzigartigkeit der Beziehung, die zwischen Eltern und Kindern besteht; als unersetzlich und unveräußerlich, weshalb sie anderen nicht völlig übertragen noch von anderen in Beschlag genommen werden können.
Außer diesen grundlegenden Merkmalen darf nicht vergessen werden, daß das entscheidendste Element, welches die Erziehungsaufgabe der Eltern schlechthin prägt, die väterliche und mütterliche Liebe ist, die im Werk der Erziehung ihre Vollendung zum vollen und vollkommenen Dienst am Leben findet. Die Liebe der Eltern bleibt nicht nur Quelle, sie wird die Seele und somit die Norm, die das gesamte konkrete erzieherische Wirken prägt und leitet und mit jenen Werten wie Verständnis, Beständigkeit, Güte, Dienen, Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft bereichert, die die kostbarsten Früchte der Liebe sind.
37 Trotz der Schwierigkeiten in der Erziehung, die heute oft noch drückender geworden sind, müssen die Eltern mit Vertrauen und Mut die Kinder zu den Grundwerten des menschlichen Lebens heranbilden. Die Kinder müssen aufwachsen in angemessener Freiheit gegenüber den materiellen Gütern, indem sie sich einen einfachen und anspruchslosen Lebensstil aneignen in der Überzeugung, daß "der Wert des Menschen mehr in dem liegt, was er ist, als in dem, was er hat" (Gaudium et Spes GS 35).
In einer Gesellschaft, die aufgrund gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Individualismen und Egoismen von Spannungen und Konflikten erschüttert und zerstritten ist, müssen die Kinder sich nicht nur ein Gespür für wahre Gerechtigkeit aneignen, die allein die Achtung der personalen Würde eines jeden Menschen gewährleistet, sondern auch und vor allem das Gespür für wahre Liebe als aufrichtige Sorge und selbstlosen Dienst für die anderen, besonders für die Ärmsten und Bedürftigsten. Die Familie ist die erste und grundlegende Schule sozialen Verhaltens: Als Liebesgemeinschaft findet sie im Sichverschenken das Gesetz, das sie leitet und wachsen läßt. Die Selbsthingabe, welche die Liebe der Ehegatten zueinander prägt, bietet sich auch als Modell und Norm für jene selbstlose Hingabe an, die sich in den Beziehungen zwischen den Geschwistern und zwischen den verschiedenen Generationen verwirklichen soll, die in der Familie zusammenleben. Die täglich zu Hause erlebte und gelebte Gemeinschaft und Anteilnahme in Freud und Leid bildet die konkreteste und wirksamste Schule für die aktive, verantwortliche und erfolgreiche Eingliederung der Kinder in den größeren Raum der Gesellschaft.
Die Erziehung zur Liebe als Hingabe seiner selbst ist auch die unerläßliche Voraussetzung für die Eltern in ihrer Aufgabe, den Kindern eine klare und taktvolle Geschlechtserziehung zu vermitteln. Angesichts einer Kultur, die in weiten Kreisen die menschliche Geschlechtlichkeit "banalisiert", weil sie diese in verkürzter und verarmter Weise interpretiert und lebt, indem sie sie einzig mit dem Leib und dem egoistisch verstandenen Vergnügen in Verbindung setzt, muß der erzieherische Dienst der Eltern entschieden auf eine Kultur der Geschlechtlichkeit hinzielen, die wahrhaft und vollmenschlich ist; die Geschlechtlichkeit ist ja ein Reichtum der ganzen Person - Leib, Gemüt und Seele - und zeigt ihre tiefste Bedeutung darin, daß sie die Person zur Hingabe ihrer selbst in der Liebe führt.
Die Geschlechtserziehung, Grundrecht und -pflicht der Eltern, muß immer unter ihrer sorgsamen Leitung erfolgen, sei es zu Hause, sei es in den von ihnen für ihre Kinder gewählten Bildungsstätten, deren Kontrolle ihnen zusteht. In diesem Sinn betont die Kirche das Prinzip der Subsidiarität, das die Schule beobachten muß, wenn sie sich an der Geschlechtserziehung beteiligt; sie hat sich dabei vom gleichen Geist leiten zu lassen wie die Eltern.
In diesem Zusammenhang ist die Erziehung zur Keuschheit völlig unverzichtbar als einer Tugend, die die wahre Reifung der Person fördert und sie befähigt, die "bräutliche Bedeutung" des Leibes zu achten und zu entfalten. Die christlichen Eltern werden sogar - sollten sie die Zeichen einer göttlichen Berufung erkennen - der Erziehung zur Jungfräulichkeit eine besondere Aufmerksamkeit und Sorge widmen und in ihr die höchste Form jener Selbsthingabe sehen, welche den Sinn der menschlichen Geschlechtlichkeit bildet.
Aufgrund der engen Verbindungen zwischen der geschlechtlichen Dimension der Person und ihren ethischen Werten muß die Erziehung die Kinder dazu führen, die sittlichen Normen als notwendige und wertvolle Garantie für ein verantwortliches persönliches Wachsen in der menschlichen Geschlechtlichkeit zu erkennen und zu schätzen.
Deshalb wendet sich die Kirche entschieden gegen eine gewisse, vielfach verbreitete Art sexueller Information; losgelöst von sittlichen Grundsätzen, ist sie nichts anderes als eine Einführung in die Erfahrung des Vergnügens und ein Anreiz, der den Kindern - schon in den Jahren der Unschuld - ihre Unbefangenheit nimmt und den Weg des Lasters öffnet.
38 Für die christlichen Eltern hat der Erziehungsauftrag, der, wie schon gesagt, in ihrer Teilnahme am Schöpfungswerk Gottes gründet, eine neue und spezifische Quelle im Ehesakrament, das sie für eine wahrhaft christliche Erziehung der Kinder weiht, das heißt dazu beruft, an der Autorität und der Liebe Gottes, des Vaters, und Christi, des Göttlichen Hirten, wie auch an der mütterlichen Liebe der Kirche teilzunehmen, und sie mit der Gabe der Weisheit, des Rates, der Stärke und jeder anderen Gabe des Heiligen Geistes ausstattet, damit sie den Kindern in ihrem menschlichen und christlichen Reifungsprozeß beistehen können.
Die Erziehungsaufgabe empfängt vom Ehesakrament die Würde und Berufung, ein echtes und wirkliches "Amt" der Kirche zur Auferbauung ihrer Glieder zu sein. Der erzieherische Dienst der christlichen Eltern ist von solcher Größe und Würde, daß der heilige Thomas nicht zögert, ihn mit dem Amt der Priester zu vergleichen: "Einige vermitteln und schützen das geistige Leben durch ein Amt, das rein geistiger Natur ist: Es ist dies die Aufgabe des Weihesakraments; andere tun dies hinsichtlich des leiblichen und geistigen Lebens zugleich: und das geschieht durch das Ehesakrament, in welchem Mann und Frau sich verbinden, um Kinder zu zeugen und zur Gottesverehrung zu erziehen" (Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles, IV, 58).
Das lebendige und wache Bewußtsein von dem im Ehesakrament empfangenen Auftrag wird den christlichen Eltern helfen, sich mit froher Zuversicht und starkem Vertrauen der Erziehungsaufgabe zu widmen, eingedenk zugleich ihrer großen Verantwortung vor Gott, der sie zur Auferbauung der Kirche in ihren Kindern ruft und sendet. So wird die Familie der Getauften, die vom göttlichen Wort und Sakrament als Hauskirche zusammengeführt ist, wie die große Kirche zugleich zur Mutter und Lehrerin.
Familiaris consortio DE 28