Generalaudienz 2004


1                                                                               

                                                                                Januar 2004


Mittwoch, 7. Januar 2004



Erhabne Mutter des Erlösers,
du allezeit offne Pforte des Himmels
und Stern des Meeres,
komm, hilf deinem Volke,
das sich müht, vom Falle aufzustehn.
Du hast geboren, der Natur zum Staunen,
deinen heiligen Schöpfer.
Unversehrte Jungfrau,
2 die du aus Gabriels Munde
ahmst das selige Ave,
o erbarme dich der Sünder.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. »Alma Redemptoris Mater… - Erhabene Mutter des Erlösers…« So rufen wir in der Weihnachtszeit zu Maria mit einer alten und eindrucksvollen marianischen Antiphon, in der es dann an anderer Stelle heißt: »Tu quae genuisti natura mirante, tuum sanctum Genitorem — Du hast geboren, der Natur zum Staunen, deinen heiligen Schöpfer.«

Maria, Mutter Gottes! Diese mit dem Weihnachtsfest eng verbundene Glaubenswahrheit wird in der Liturgie des ersten Tages im Jahr, des Hochfestes der Gottesmutter Maria, besonders herausgestellt. Maria ist die Mutter des Erlösers; sie ist die Frau, die Gott erwählt hat, um den Heilsplan zu verwirklichen, in dessen Mittelpunkt das Geheimnis der Menschwerdung des göttlichen Wortes steht.

2. Ein einfaches Geschöpf hat den Schöpfer der Welt geboren! Die Weihnachtszeit erneuert in uns das Bewußtsein dieses Geheimnisses, indem sie uns die Mutter des Sohnes Gottes als Mitbeteiligte der bedeutendsten Ereignisse der Heilsgeschichte vorstellt. Die jahrhundertealte Tradition der Kirche hat die Geburt Jesu und die göttliche Mutterschaft Mariens immer als zwei Aspekte der Menschwerdung des göttlichen Wortes gedeutet. In der Tat betont der Katechismus der Katholischen Kirche, indem er das Konzil von Ephesus zitiert: »Der, den sie durch den Heiligen Geist als Menschen empfangen hat und der dem Fleische nach wirklich ihr Sohn geworden ist, ist ja kein anderer als der ewige Sohn des Vaters, die zweite Person der heiligsten Dreifaltigkeit. Die Kirche bekennt, daß Maria wirklich Mutter Gottes (Theotokos, Gottesgebärerin)ist« (
CEC 495).

3. Aus der Tatsache, daß Maria die »Mutter Gottes« ist, ergeben sich alle anderen Aspekte ihrer Sendung; Aspekte, die durch die Titel verdeutlicht werden, unter denen die Gemeinschaft der Jünger Christi sie in allen Teilen der Welt verehrt; so vor allem als »Immakulata« und »Assunta«, weil sie, die den Erlöser gebären sollte, nicht der Verwesung unterworfen sein konnte, die von der Erbsünde herkommt.

Die Jungfrau Maria wird auch als Mutter des mystischen Leibes, das heißt der Kirche, angerufen. Der Katechismus der Katholischen Kirche beruft sich auf die von Augustinus vertretene patristische Tradition, wenn er bekräftigt: »Sie ist ausdrücklich Mutter der Glieder (Christi), … weil sie in Liebe mitgewirkt hat, daß die Gläubigen in der Kirche geboren werden, die jenes Hauptes Glieder sind« (CEC 963).

4. Marias ganzes Dasein ist aufs engste mit dem Leben Jesu verbunden. An Weihnachten bringt sie der Menschheit Jesus dar. Am Kreuz, im erhabensten Augenblick der Vollendung der Heilssendung, schenkt Jesus jedem Menschen seine Mutter als kostbares Erbe der Erlösung.

Die Worte des gekreuzigten Herrn an den treuen Jünger Johannes stellen sein Testament dar. Er vertraut Johannes seine Mutter an und empfiehlt der Liebe Marias den Apostel und jeden Gläubigen.

3 5. In den letzten Tagen der Weihnachtszeit verweilen wir, um in der Krippe die schweigende Gegenwart der Jungfrau neben dem Jesuskind zu betrachten. Dieselbe Liebe, dieselbe Sorge, die sie für ihren göttlichen Sohn hegte, bezeigt sie uns. Lassen wir es zu, daß sie unsere Schritte im neuen Jahr lenkt, das die Vorsehung uns zu erleben gewährt.

Diesen Wunsch für euch spreche ich in dieser ersten Generalaudienz 2004 aus. Von ihrem mütterlichen Schutz gestärkt und ermutigt, werden wir mit neuen Augen das Antlitz Christi betrachten und noch eifriger auf den Wegen des Guten voranschreiten.

Euch hier Anwesenden und euren Lieben von neuem ein gutes neues Jahr.

„Alma Redemptoris Mater..." Maria ist die „erhabene Mutter des Erlösers". In unversehrter Jungfräulichkeit hat sie, der Natur zum Staunen, den Schöpfer geboren. Besonders in der Weihnachtszeit betrachtet die Kirche das Geheimnis der Gottesmutterschaft Mariens. Die Geburt Jesu Christi und ihre göttliche Mutterschaft sind zwei Aspekte der Menschwerdung des ewigen Wortes. Die Kirche bekennt, daß Maria wirklich Theotokos, Mutter Gottes, ist (vgl.
CEC 495).

Das ganze Leben Marias steht in enger Beziehung zu ihrem göttlichen Sohn und seiner Heilssendung. Ihre Mutter-Liebe gilt allen, die Jesus Christus nachfolgen und ihm in seiner Kirche dienen.
***


Sehr herzlich begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Maria, die Mutter Jesu, ist auch unsere Mutter. Laßt euch von ihrer Liebe leiten und betrachtet wie sie das Antlitz Christi, des Erlösers! Die göttliche Vorsehung schenkt uns ein neues Jahr. Euch allen und eueren Lieben daheim eine gesegnete Zeit!




Mittwoch, 14. Januar 2004

Lesung: 1 Petr 2,21-24

4 1P 2,21-24

21 Dazu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt.
22 Er hat keine Sünde begangen, und in seinem Mund war kein trügerisches Wort.
23 Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter.
24 Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Nach der Unterbrechung durch die Weihnachtsfeiertage setzen wir heute unsere Betrachtungen über die Liturgie der Vesper fort. Das soeben gesungene Canticum ist dem Ersten Petrusbrief entnommen. Es handelt vom heilbringenden Leiden Christi, das schon im Augenblick der Taufe am Jordan angekündigt worden war.

Wie wir am vergangenen Sonntag, dem Fest der Taufe des Herrn, gehört haben, offenbarte sich Jesus vom Beginn seines öffentlichen Wirkens an als der »geliebte Sohn«, an dem der Vater Gefallen gefunden hatte (vgl. Lc 3,22), und als »Gottesknecht« (vgl. Is 42,1), der den Menschen durch sein Leiden und den Tod am Kreuz von der Sünde befreit.

In dem genannten Petrusbrief, in dem der Fischer aus Galiläa sich als »Zeuge der Leiden Christi« bezeichnet (1P 5,1), wird häufig an das Leiden erinnert. Jesus ist das makellose Opferlamm, dessen kostbares Blut vergossen wurde, um uns loszukaufen (vgl. 1,18-19). Er ist der lebendige Stein, der von den Menschen verworfen, aber von Gott als »Eckstein« auserwählt wurde, der dem »geistlichen Haus«, das heißt der Kirche (vgl. 2,6-8), Zusammenhalt verleiht. Er ist der Gerechte, der sich für die Ungerechten opfert, um sie wieder zu Gott zu führen (vgl. 3,18-22).

2. Unsere Aufmerksamkeit richtet sich jetzt auf das Profil Christi, das in dem soeben gehörten Abschnitt gezeichnet wird (vgl. 2,21-24). Er erscheint uns als das Modell, das es zu betrachten und nachzuahmen gilt, als das »Programm«, wie es im griechischen Original heißt (vgl. 2,21), das zu verwirklichen ist, als das Beispiel, dem ohne Zögern zu folgen ist, indem wir uns seinen Entscheidungen anpassen.

Man verwendet das griechische Wort für Nachfolge, für Jüngerschaft, das heißt den Spuren Jesu folgen. Und die Schritte des göttlichen Meisters schlagen eine steile und mühevolle Straße ein, wie im Evangelium zu lesen ist: »Wer mein Jünger sein will, … nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach« (Mc 8,34).

An dieser Stelle zeichnet der petrinische Hymnus eine wunderbare Zusammenfassung des Leidens Christi, die abgestimmt ist auf die Worte und Bilder, die Jesaja für die Gestalt des leidenden Gottesknechtes verwendet hat (vgl. Is 53); die frühe christliche Tradition hat sie nach messianischem Schlüssel gelesen.

3. Diese Geschichte des Leidens wird in vier negativen (vgl. 1P 2,22-23a) und drei positiven Aussagen (vgl. 1P 2,23b-24) erzählt, um die Haltung Jesu in diesem schrecklichen und doch so großartigen Geschehen zu beschreiben.

Es beginnt mit der zweifachen Bekräftigung seiner vollkommenen Schuldlosigkeit, die in den Worten von Jesaja Is 53,9 zum Ausdruck kommt: »Er hat keine Sünde begangen, und in seinem Mund war kein trügerisches Wort« (1P 2,22). Es folgen zwei weitere Überlegungen über sein beispielhaftes, von Milde und Sanftheit geprägtes Verhalten: »Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht« (2,23). Das geduldige Schweigen des Herrn ist nicht nur ein Akt des Mutes und der Hochherzigkeit. Es ist auch eine Geste des Vertrauens gegenüber dem Vater, wie die erste positive Bekräftigung lautet: »Er überließ seine Sache dem gerechten Richter« (ebd.). Er hat absolutes und volles Vertrauen in die göttliche Gerechtigkeit, die die Geschichte zum Sieg des Unschuldigen führt.

5 4. So kommen wir zum Höhepunkt der Erzählung des Leidens, die den Heilswert des äußersten Aktes der Hingabe Christi herausstellt: »Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben« (2,24).

Diese zweite positive Aussage, bei der die Worte der Prophetie des Jesaja verwendet werden (vgl. 53,12), stellt klar, daß Christus »mit seinem Leib unsere Sünden auf das Holz des Kreuzes getragen hat«, um sie zu tilgen.

Auf diesem Weg können auch wir, vom alten Menschen, seinem Bösen und seinem Elend befreit, »für die Gerechtigkeit leben«, das heißt in Heiligkeit. Der Gedanke entspricht, wenn auch meist auf andere Weise, der paulinischen Lehre über die Taufe, die uns zu neuen Menschen macht, indem sie uns in das Geheimnis des Leidens, des Todes und der Verherrlichung Christi eintaucht (vgl.
Rm 6,3-11).

Der letzte Satz - »Durch seine Wunden sind wir geheilt« (1P 2,24) - zielt auf den Heilswert des Leidens Christi, der mit den Worten ausgedrückt wird, die Jesaja verwendet hat, als er von der heilbringenden Fruchtbarkeit des vom Gottesknecht erlittenen Leidens sprach (vgl. Is 53,5).

5. Die Wunden Christi betrachtend, durch die wir geheilt wurden, schrieb Ambrosius folgendes: »Ich kann mich keiner meiner Werke rühmen, ich kann mit nichts prahlen, und darum rühme ich mich in Christus. Ich rühme mich nicht, weil ich gerecht bin, sondern ich rühme mich, weil ich erlöst wurde. Ich will mich nicht rühmen, ohne Sünde zu sein, aber ich will mich rühmen, weil mir die Sünden vergeben wurden. Ich will mich nicht rühmen, weil ich Hilfe geleistet habe oder weil jemand mir geholfen hat, sondern weil Christus beim Vater für mich eintritt, weil das Blut Christi für mich vergossen wurde. Meine Schuld ist für mich der Preis der Erlösung geworden, um den Christus zu mir gekommen ist. Für mich hat Christus den Tod erlitten. Die Schuld bringt mehr Nutzen als die Unschuld. Die Unschuld hat mich hochmütig, die Schuld demütig gemacht« (De Iacob et vita beata I,6,21).

In der Taufe Jesu im Jordan deutet sich das Panorama des göttlichen Heilsplans an. Der Sohn des Höchsten übt Solidarität mit den Menschen, die der Reinigung bedürfen. Als Opferlamm läßt er sich schließlich für unsere Sünden ans Kreuz schlagen: „Durch seine Wunden sind wir geheilt" (1P 2,24).

Das Vorbild des Meisters ist das Lebensprogramm für seine Jünger. Befreit von Schuld leben sie fortan für Gottes Gerechtigkeit. Durch die Taufe stehen wir mit ihnen in der Gemeinschaft der Nachfolge: eingetaucht in das Geheimnis des Leidens Christi und seiner Verherrlichung.
***


Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Christus ist der Erlöser des Menschen. In seiner Nachfolge sind wir zur Heiligkeit berufen. Er stärke euren Glauben in seine Erlöserliebe. Der Herr schenke euch allen in diesem Jahr inneren und äußeren Frieden.




Mittwoch, 21. Januar 2004

Lesung: Joh 14,23-27


6 23 Jesus antwortete ihm: Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.
24 Wer mich nicht liebt, hält an meinen Worten nicht fest. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.
25 Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin.
26 Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
27 Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. »Meinen Frieden gebe ich euch« (
Jn 14,27). Die diesjährige Woche der Reflexion und des Gebets für die Einheit der Christen hat als Leitspruch die von Jesus beim Letzten Abendmahl gesprochenen Worte. Es handelt sich in gewissem Sinn um sein geistliches Testament. Die Verheißung, die den Jüngern gegeben wurde, findet ihre volle Verwirklichung in der Auferstehung Christi. Als Er im Abendmahlssaal den elf Jüngern erscheint, wiederholt Er dreimal den Gruß: »Friede sei mit euch!« (Jn 20,19).

Das Geschenk an die Apostel ist also nicht irgendein »Friede«, sondern der Friede Christi selbst, »mein Friede«, wie Er selbst sagt. Und um dies besser verständlich zu machen, erklärt er noch eingehender: Meinen Frieden gebe ich euch, »nicht wie die Welt ihn gibt« (Jn 14,27).

Die Welt sehnt sich nach Frieden, sie braucht Frieden - heute ebenso wie gestern -, aber oft sucht sie ihn mit ungeeigneten Mitteln, manchmal sogar unter Zuhilfenahme der Gewalt oder des Gleichgewichts entgegengesetzter Kräfte. In solchen Situationen wird der Mensch im Innersten erschüttert und lebt in Angst und Unsicherheit. Der Friede Christi hingegen versöhnt die Gesinnungen, reinigt die Herzen, bekehrt den Geist aller.

2. Das Thema der »Gebetswoche für die Einheit der Christen« wurde in diesem Jahr von einer ökumenischen Gruppe aus Aleppo in Syrien vorgeschlagen. Das ruft mir die Pilgerfahrt nach Damaskus ins Gedächtnis, die ich zu meiner großen Freude unternehmen konnte. Ich erinnere mich dankbar an den herzlichen Empfang, der mir von den beiden orthodoxen und dem griechischkatholischen Patriarchen bereitet wurde. Diese Begegnung ist noch immer ein Zeichen der Hoffnung für den ökumenischen Weg. Aber, wie das II. Vatikanische Konzil betont, »es gibt keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit« (Dekret über den Ökumenismus, Unitatis redintegratio UR 7).

Die Sehnsucht nach einer tiefen Spiritualität des Friedens und der Befriedung wird immer spürbarer, nicht nur unter denen, die sich unmittelbar der ökumenischen Arbeit widmen, sondern bei allen Christen. Die Sache der Einheit betrifft jeden Glaubenden, der berufen ist, zu dem einen Volk derer zu gehören, die durch das Blut Christi am Kreuz erlöst worden sind.

7 3. Es ist ermutigend festzustellen, daß die Suche nach der Einheit unter den Christen sich immer weiter ausbreitet dank angemessener Initiativen, die die verschiedenen Bereiche des ökumenischen Einsatzes betreffen. Unter diese Zeichen der Hoffnung reihe ich gerne die wachsende brüderliche Liebe und den Fortschritt ein, der in den theologischen Dialogen mit den einzelnen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu verzeichnen ist. In ihnen war es möglich, in unterschiedlichem Maße und mit jeweiligen Besonderheiten wichtige Übereinstimmungen über Thematiken zu erzielen, die in der Vergangenheit sehr umstritten waren.

Im Hinblick auf diese positiven Zeichen dürfen wir nicht den Mut verlieren angesichts der alten und neuen Schwierigkeiten, auf die wir stoßen. Sie sind mit Geduld und Verständnis anzugehen, wobei wir immer auf die göttliche Hilfe zählen können.

4. »Wo die Güte und die Liebe ist, dort ist Gott, der Herr.« So betet und singt die Liturgie in dieser Woche, während sie wieder die Atmosphäre des Letzten Abendmahls erlebt. Aus der gegenseitigen Güte und Liebe entspringen der Friede und die Einheit aller Christen, die einen entscheidenden Beitrag leisten können, damit die Menschheit die Gründe der Trennungen und Konflikte überwindet.

Neben dem Gebet, liebe Brüder und Schwestern, fühlen wir uns auch angespornt, wahre »Friedensstifter« (vgl.
Mt 5,9) in unseren jeweiligen Lebensbereichen zu sein.

Auf diesem Weg der Versöhnung und des Friedens unterstütze und begleite uns die Jungfrau Maria, die auf Golgota Zeugin des Erlösungsopfers Christi war.

„Meinen Frieden gebe ich euch" (Jn 14,27). Christus hinterläßt den Jüngern seinen Frieden, der Versöhnung, Läuterung der Herzen und Umkehr schenkt. Um diesen Frieden bitten wir in der Gebetswoche für die Einheit der Christen. Wir tun dies im Bewußtsein, daß jede echte Ökumene auf der Liebe zur Wahrheit und der Bereitschaft zur inneren Bekehrung beruht.

Die Einheit der Christen muß allen Gläubigen ein Anliegen sein. Wir bedürfen einer Spiritualität des Friedens und der Versöhnung. Der Kraft der Wahrheit und einer tiefen gegenseitigen Liebe entspringen der Friede und die Einheit aller Getauften. Geeint können die Christen wirksam zur Überwindung der Ursachen von Spaltungen und Konflikten unter den Menschen beitragen.
***


Herzlich begrüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher. Christus schenkt uns seinen Frieden, die Gabe der Erlösung. Er will, daß wir mit ihm und untereinander eins sind. In Geduld und Liebe wollen wir auf dem Weg der Einheit voranschreiten. Dazu helfe und segne euch der Herr!




Mittwoch, 28. Januar 2004

Lesung: Psalm 11


8 1 Gottes Blick auf den Menschen [Für den Chormeister. Von David.] Beim Herrn finde ich Zuflucht. Wie könnt ihr mir sagen: »In die Berge flieh wie ein Vogel?«
2 Schon spannen die Frevler den Bogen, sie legen den Pfeil auf die Sehne, um aus dem Dunkel zu treffen die Menschen mit redlichem Herzen.
3 Gerät alles ins Wanken, was kann da der Gerechte noch tun?
4 Der Herr weilt in seinem heiligen Tempel, der Thron des Herrn ist im Himmel. Seine Augen schauen herab, seine Blicke prüfen die Menschen.
5 Der Herr prüft Gerechte und Frevler; wer Gewalttat liebt, den haßt er aus tiefster Seele.
6 Auf die Frevler lasse er Feuer und Schwefel regnen; sengender Wind sei ihr Anteil.
7 Denn der Herr ist gerecht, er liebt gerechte Taten; wer rechtschaffen ist, darf sein Angesicht schauen.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Wir wollen unsere Reflexion über die Psalmtexte, die den wesentlichen Bestandteil der Liturgie der Vesper bilden, nun fortsetzen. Was soeben in unseren Herzen Widerhall gefunden hat, ist der Psalm 11, ein kurzes, vertrauensvolles Gebet, dessen hebräisches Original vom heiligen Namen Gottes, ’Adonaj, der Herr, bestimmt wird. Dieser Name erklingt zu Beginn (vgl. V. 1), findet sich dreimal in der Mitte des Psalms (vgl. V. 4-5) und kehrt zum Schluß wieder (vgl. V. 7).

Die spirituelle Tonart des ganzen Liedes kommt im letzten Vers gut zum Ausdruck: »… der Herr ist gerecht, er liebt gerechte Taten.« Das ist die Wurzel allen Vertrauens und die Quelle aller Hoffnung am Tag der Finsternis und der Prüfung. Gott steht dem Guten und dem Bösen nicht gleichgültig gegenüber, er ist ein gütiger Gott und kein dunkles, unergründliches und geheimnisvolles Schicksal.

2. Der Psalm läuft im Grunde in zwei Szenen ab. In der ersten (vgl. V. 1-3) wird der Frevler in seinem scheinbaren Triumph beschrieben. Er wird in Kriegs- und Jagdbildern geschildert: Er ist der Niederträchtige, der seinen Pfeil und Bogen für den Krieg oder die Jagd spannt, um sein Opfer, das heißt den Gläubigen, zu treffen (vgl. V. 2). Letzterer jedoch will entweichen und sich von dem eisernen Griff befreien, er möchte fliehen »wie ein Vogel« (V. 1), weg von der Spirale des Bösen, vom Hinterhalt der Frevler, von den Pfeilen der Verleumdungen, die von den Sündern verräterisch geworfen werden.

9 Eine gewisse Entmutigung hat den Gläubigen erfaßt, er fühlt sich verlassen und machtlos gegenüber den Angriffen des Bösen. Ihm scheint, daß die Fundamente der gerechten Gesellschaftsordnung ins Wanken geraten und die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens untergraben sind (vgl. V. 3).

3. Doch da kommt die Wende, die in der zweiten Szene beschrieben wird (vgl. V. 4-7). Der Herr auf seinem himmlischen Thron umfängt mit prüfendem Blick den ganzen menschlichen Horizont. Von diesem transzendenten Standort aus, dem Zeichen der göttlichen Allwissenheit und Allmacht, kann Gott jede Person prüfen und abwägen, indem er das Gute vom Bösen unterscheidet und die Ungerechtigkeit hart bestraft (vgl. V. 4-5).

Das Bild vom Auge Gottes, dessen Pupille fest und aufmerksam auf unsere Taten gerichtet ist, ist sehr eindrucksvoll und tröstlich. Der Herr ist kein ferner, in seine vergoldete Welt eingeschlossener Herrscher, sondern eine wachsame Gegenwart, die auf der Seite des Guten und der Gerechtigkeit steht. Er sieht und trifft Vorkehrungen, indem er durch sein Wort und sein Handeln eingreift.

Der Gerechte sieht voraus, daß der Herr, wie es in Sodom geschehen ist (vgl.
Gn 19,24), »Feuer und Schwefel regnen lassen wird« (Ps 11,6), die Zeichen für das Gericht Gottes sind, der die Geschichte reinigt, indem er das Böse bestraft. Der Frevler wird von diesem Feuerregen, der sein endgültiges Schicksal ankündigt, getroffen und erfährt endlich, daß »es einen Gott gibt, der auf Erden Gericht hält« (Ps 58,12). Horizont voll Licht und Frieden

4. Aber der Psalm endet nicht mit diesem tragischen Bild der Bestrafung und Verdammnis. Im letzten Vers erscheint ein Horizont voll Licht und Frieden, die für den Gerechten bestimmt sind, der seinen Herrn, den gerechten Richter, aber vor allem barmherzigen Befreier, schauen wird: »Wer rechtschaffen ist, darf sein Angesicht schauen« (Ps 11,7). Das ist eine Erfahrung froher Gemeinschaft und festen Vertrauens auf Gott, der vom Bösen befreit.

Eine ähnliche Erfahrung haben unzählige Gerechte im Lauf der Geschichte gemacht. Viele Erzählungen beschreiben das Vertrauen der christlichen Märtyrer angesichts der Folterungen und ihre Standhaftigkeit, die angesichts der Prüfungen nicht geschwunden ist.

In den Akten des Euplus, eines Diakons aus Catania, der unter Diokletian um das Jahr 304 gestorben ist, stimmt der Märtyrer spontan folgende Sequenz von Gebeten an: »Christus, ich danke dir! Hilf mir, denn ich leide für dich … Ich bete dich an, Vater und Sohn und Heiliger Geist. Ich bete dich an, Heilige Dreifaltigkeit … Christus, ich danke dir. Christus, komm mir zu Hilfe. Christus, ich leide für dich … Herr, groß ist dein Ruhm in den Dienern, die du zu dir rufen wolltest! … Herr Jesus Christus, ich danke dir, denn deine Kraft hat mich gestärkt. Du hast es nicht zugelassen, daß meine Seele mit den Frevlern untergeht; du hast mir die Gnade deines Namens gewährt. Jetzt bekräftige, was du in mir gewirkt hast, damit die Schändlichkeit des Gegners zerstreut wird« (A. Hamman, Preghiere dei primi cristiani, Milano 1955, Ss. 72-73).

Psalm 11 ist ein Gebet der Zuversicht zum gerechten Gott, dem Ursprung allen Vertrauens und Quell der Hoffnung. Der Höchste kennt keine Gleichgültigkeit gegenüber Gut und Böse: Gott ist nicht eine ferne schicksalbestimmende Macht, sondern ein guter Vater, der die Gerechtigkeit liebt.

Die scheinbaren Siege der Rücksichtslosen lassen den Gläubigen nicht verzagen, denn seine Zuflucht ist der Herr. Der allwissende und allmächtige Gott prüft jeden Menschen. Als Lenker und Richter greift er in die Geschichte ein und verwirft das Böse. Die Rechtschaffenen und Gottesfürchtigen dürfen „sein Angesicht schauen" (Ps 11,7). Ihr Vertrauen in Gott wird schließlich zur freudigen Gemeinschaft mit ihm und in ihm.
***


Gerne heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Der Herr ist allezeit bei uns. Seine Vorsehung führt uns sicher auch durch die finsteren Schluchten der Zeit. Setzt alle auf Gott euer Vertrauen, dann hat das Böse keine Macht über Euch. Gott schenke euch seine Freude und seinen Frieden!



10

Februar 2004


Mittwoch, 4. Februar 2004

Lesung: Psalm 15


1 Die Bedingungen für den Eintritt ins Heiligtum [Ein Psalm Davids.] Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg?
2 Der makellos lebt und das Rechte tut; / der von Herzen die Wahrheit sagt
3 und mit seiner Zunge nicht verleumdet; der seinem Freund nichts Böses antut und seinen Nächsten nicht schmäht;
4 der den Verworfenen verachtet, doch alle, die den Herrn fürchten, in Ehren hält; der sein Versprechen nicht ändert, das er seinem Nächsten geschworen hat;
5 der sein Geld nicht auf Wucher ausleiht und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annimmt. Wer sich danach richtet, der wird niemals wanken.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Psalm 15, über den wir nun nachdenken wollen, wird von den Bibelwissenschaftlern oft als Teil einer »Eröffnungsliturgie« eingestuft. Wie es in manchen anderen Texten des Psalters geschieht (vgl. zum Beispiel die Psalmen 23, 25 und 94), kann man sich eine Art Prozession von Gläubigen vorstellen, die sich an den Toren des Tempels auf Zion zusammendrängen, um zum Gottesdienst zu gehen. In einem gedanklichen Dialog zwischen Gläubigen und Leviten werden die unerläßlichen Bedingungen aufgezeigt, die nötig sind, um zum Gottesdienst und damit zum göttlichen Heiligtum zugelassen zu werden.

Einerseits wird die Frage erhoben: »Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg?« (Ps 15,1). Andererseits ist da die Aufzählung der erforderlichen Eigenschaften, um die Schwelle überschreiten zu können, die zum »Zelt«, das heißt zum Tempel auf dem »heiligen Berg« Zion, führt. Aufgezählt werden elf Eigenschaften, die eine ideale Zusammenfassung der moralischen Grundverpflichtungen darstellen, die im biblischen Gesetz enthalten sind (vgl. V. 2-5).

11 2. Auf den Fassaden der ägyptischen und babylonischen Tempel waren manchmal die erforderlichen Bedingungen für den Eintritt ins Heiligtum eingemeißelt. Zu beachten ist aber ein bedeutsamer Unterschied im Vergleich zu den Bedingungen, die von unserem Psalm empfohlen werden. In vielen religiösen Kulturen ist für den Zugang zur Gottheit vor allem die äußere rituelle Reinheit notwendig, die Waschungen, Gesten und besondere Bekleidung mit sich bringt.

Psalm 15 hingegen verlangt die Reinigung des Gewissens, damit sich seine Entscheidungen an der Liebe zur Gerechtigkeit und zum Nächsten inspirieren. In diesen Versen spürt man deshalb den Geist der Propheten schwingen, die wiederholt dazu einladen, Glauben und Leben, Gebet und existenziellen Einsatz, Anbetung und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden (vgl.
Is 1,10-20 Is 33,14-16; Os 6,6 Mi 6,6-8; Jr 6,20).

Hören wir zum Beispiel die heftige Anklagerede des Propheten Amos, der im Namen Gottes einen vom täglichen Leben getrennten Kult bemängelt: »Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben, und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen … sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach« (Am 5,21-22 Am 5,24).

3. Jetzt kommen wir zu den elf vom Psalmisten aufgezählten Verpflichtungen, die als Grundlage für eine persönliche Gewissenserforschung dienen können, wenn wir uns darauf vorbereiten, unsere Sünden zu bekennen, um zur Gemeinschaft mit dem Herrn in der Liturgiefeier zugelassen zu werden.

Die ersten drei Verpflichtungen sind allgemeiner Art und drücken eine ethische Entscheidung aus: den Weg der moralischen Integrität, der praktizierten Gerechtigkeit und der vollkommenen Aufrichtigkeit der Rede (vgl. Ps 15,2). Es folgen drei Pflichten, die wir als Beziehung zum Nächsten bezeichnen könnten: die Verleumdung aus dem Sprachgebrauch verbannen; jede Handlung vermeiden, die dem Bruder schaden könnte; die Schmähungen gegen unseren alltäglichen Nachbarn zügeln (vgl. V. 3).

Dann kommt die Forderung nach einer klaren, entschlossenen Stellungnahme im sozialen Bereich: den Frevler mißachten, den Gottesfürchtigen ehren. Am Ende werden die letzten drei Gebote aufgezählt, hinsichtlich derer das Gewissen zu prüfen ist: das gegebene Wort und den Schwur halten, auch wenn für uns Schaden daraus entsteht; nicht Wucher treiben, eine Plage, die auch in unseren Tagen eine infame Wirklichkeit ist und das Leben vieler Personen niederdrücken kann; und schließlich jede Korruption im öffentlichen Leben vermeiden, eine weitere Aufgabe, die auch in unserer Zeit streng zu erfüllen ist (vgl. V. 5).

4. Diesen Weg wahrer moralischer Entscheidungen gehen bedeutet, bereit zu sein für die Begegnung mit dem Herrn. Auch Jesus hat in der Bergpredigt eine grundlegende »Eröffnungsliturgie« angeboten: »Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe« (Mt 5,23-24).

Wer nach der Weisung des Psalmisten handelt - so heißt es am Schluß unseres Gebets -, »der wird niemals wanken« (Ps 15,5). Der hl. Hilarius von Poitiers, Vater und Lehrer der Kirche des 4. Jahrhunderts, kommentiert in seinem Tractatus super Psalmos diesen Schlußsatz, indem er an das anfängliche Bild des Tempelzeltes von Zion anknüpft: »Wer gemäß diesen Geboten handelt, wohnt im Zelt, ruht auf dem Berg. Unverrückbar steht also die Beachtung der Vorschriften und das Werk der Gebote. Dieser Psalm soll im Innersten gründen, er soll ins Herz eingeschrieben und ins Gedächtnis eingeprägt sein. Der reiche, knappe Schatz soll uns Tag und Nacht vorgestellt werden. Wenn wir dann diesen Reichtum auf dem Weg in die Ewigkeit erlangt und in der Kirche unsere Wohnstatt gefunden haben, werden wir schließlich in der Herrlichkeit des Leibes Christi ruhen« (PL 9,308).

„Herr, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg?" (Ps 15,1). Mit dem Aufblick zum Höchsten prüft der Beter sich selbst. Er unterstellt sich der Gnade des Höchsten. Der Eintritt ins Heiligtum setzt das Bemühen um Heiligkeit voraus. Jeder Gottesdienst beginnt daher mit der Reinigung der Herzen.

Um Christus in der heiligen Liturgie würdig zu begegnen, bedarf es der inneren Vorbereitung. Psalm 15 hält uns gewissermaßen einen Spiegel vor: Wer in Reinheit lebt und gerecht ist, wer die Zunge hütet, die Wahrheit sagt und rechten Umgang pflegt, der darf darauf vertrauen, seinen Platz im Reich Gottes zu finden.
***


12 Von Herzen grüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Gott ist heilig und gerecht. Wer sich am Gesetz des Ewigen ausrichtet, „wird niemals wanken" (Ps 15,5). Der Herr des Lebens begleite all euer Tun und schenke euch den Frieden.




Mittwoch, 11. Februar 2004

Liebe Brüder und Schwestern!


1. Heute gehen unsere Gedanken zu dem bekannten Marienwallfahrtsort Lourdes in den Pyrenäen, der nach wie vor Scharen von Pilgern, darunter so viele Kranke, anzieht. In diesem Jahr finden dort die Hauptveranstaltungen des Welttags der Kranken statt, eine Feierlichkeit, die nach festem Brauch am liturgischen Gedenktag Unserer Lieben Frau in Lourdes begangen wird.

Dieser Wallfahrtsort wurde nicht nur wegen der engen Beziehung gewählt, die er zu den Kranken und zu den im Bereich der Krankenseelsorge Tätigen hat. Man hat an Lourdes vor allem deswegen gedacht, weil wir im Jahr 2004 des 150. Jahrestages der Verkündigung des Dogmas der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria vom 8. Dezember 1854 gedenken. Vier Jahre später, 1858, stellte sich die Jungfrau Maria in Lourdes als »die Unbefleckte Empfängnis« vor, als sie Bernadette Soubirous in der Grotte von Massabielle erschien.

2. Wir pilgern jetzt in geistiger Weise zur Unbefleckten Jungfrau von Lourdes, um am Gebet des Klerus und der Gläubigen und besonders der anwesenden Kranken teilzunehmen, die dort versammelt sind. Der Welttag der Kranken ist ein deutlicher Anruf, die bedeutsame Präsenz der Leidenden in der christlichen Gemeinschaft zu entdecken und ihren wertvollen Beitrag noch mehr zu schätzen. Schmerz und Krankheit mögen in den Augen der Menschen als sinnlose Wirklichkeiten erscheinen. Aber wenn man sich vom Licht des Evangeliums erleuchten läßt, kann man ihren tiefen, heilbringenden Sinn erfassen.

»Vom Paradoxon des Kreuzes« - so sagte ich in der Botschaft zum heutigen Welttag des Kranken - »leitet sich die Antwort auf unsere bedrängendsten Fragen ab. Christus leidet für uns: Er nimmt das Leid aller auf sich und befreit uns von ihm. Christus leidet mit uns, wodurch er uns ermöglicht, mit ihm unsere Schmerzen zu teilen. In Verbindung mit dem Leiden Christi wird das menschliche Leid zum Heilswerk« (Nr. 4).

3. Jetzt wende ich mich an alle, die an Leib und Seele die Last des Leidens erfahren. Jedem von ihnen erneuere ich den Ausdruck meiner Liebe und meiner geistlichen Nähe. Zugleich möchte ich daran erinnern, daß das menschliche Dasein immer ein Geschenk Gottes ist, auch wenn es von physischen Leiden aller Art gezeichnet ist; ein »Geschenk«, das es zu ergründen gilt für die Kirche und für die Welt.

Gewiß, wer leidet, darf nie allein gelassen werden. Diesbezüglich richte ich gerne ein Wort aufrichtiger Hochschätzung an all jene, die mit Einfachheit und Dienstbereitschaft sich auf die Seite der Kranken stellen, indem sie versuchen, ihre Leiden zu lindern und, soweit möglich, sie dank der fortgeschrittenen medizinischen Kunst von den Krankheiten zu befreien. Ich denke besonders an die im Gesundheitswesen Tätigen, an die Ärzte, die Krankenpfleger, die Wissenschaftler und die Forscher sowie an die Seelsorger in den Krankenhäusern und die freiwilligen Helfer. Es ist eine große Liebestat, sich der Leidenden anzunehmen!

4. »Sub tuum praesidium …«, so haben wir am Anfang unserer Begegnung gebetet. »Unter deinen Schutz … fliehen wir«, Unbefleckte Jungfrau von Lourdes, die du dich uns als vollkommenes Modell der Schöpfung vorstellst, das dem ursprünglichen Plan Gottes entspricht. Dir vertrauen wir die Kranken an sowie die alten und einsamen Menschen: Lindere ihren Schmerz, trockne ihre Tränen und erwirke jedem die notwendige Kraft, den göttlichen Willen zu erfüllen.

Sei die Stütze derer, die jeden Tag die Leiden der Brüder und Schwestern erleichtern. Und hilf allen, in der Erkenntnis Christi zu wachsen, der durch seinen Tod und seine Auferstehung die Macht des Bösen und des Todes besiegt hat.


Generalaudienz 2004