Sollicitudo rei socialis


Enzyklika

SOLLICITUDO REI SOCIALIS

von Papst Johannes Paul II.

an die Bischöfe und Priester,

an die Ordensgemeinschaften,

an alle Söhne und Töchter der Kirche,

an alle Menschen guten Willens

Zwanzig Jahre nach der Enzyklika Populorum Progressio

30. Dezember 1987


Verehrte Mitbrüder,
liebe Söhne und Töchter,
Gruß und Apostolischen Segen!

I. Einleitung


1 Die soziale Sorge der Kirche mit dem Ziel einer wahren Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft, welche die menschliche Person in allen ihren Dimensionen achten und fördern soll, hat sich stets in verschiedenster Weise bekundet. Eine der bevorzugten Formen, hierzu beizutragen, war in letzter Zeit das Lehramt der römischen Päpste. Ausgehend von der Enzyklika Rerum Novarum von Leo XIII. als bleibendem Bezugspunkt1 hat es diesen Problemkreis immer wieder behandelt, wobei es einige Male die Veröffentlichungen der verschiedenen sozialen Dokumente mit dem Jahresgedenken dieses ersten Dokumentes zusammenfallen ließ.2

Dabei haben es die Päpste nicht versäumt, in solchen Stellungnahmen auch neue Aspekte der Soziallehre der Kirche zu behandeln. So hat sich, angefangen mit dem hervorragenden Beitrag Leos XIII. und durch die folgenden Beiträge des Lehramtes bereichert, nunmehr ein zeitgemäßes Lehrgebäude gebildet, das sich in dem Maße entwickelt, wie die Kirche aus der Fülle der von Jesus Christus offenbarten Wahrheit3 und mit dem Beistand des Heiligen Geistes (vgl.
Jn 14,16 Jn 14,26 Jn 16,13-15) die Ereignisse deutet, die sich im Verlauf der Geschichte zutragen. Sie sucht auf diese Weise die Menschen dahinzuführen, daß sie auch mit Hilfe rationaler Reflexion und wissenschaftlicher Erkenntnis, ihrer Berufung als verantwortliche Gestalter des gesellschaftlichen Lebens auf dieser Erde entsprechen.


2 In diesem bedeutenden Gebäude der Soziallehre nimmt die Enzyklika Populorum Progressio4, die mein verehrter Vorgänger Paul VI. am 26. März 1967 veröffentlichte, einen besonderen Platz ein.

Die bleibende Aktualität dieser Enzyklika erkennt man leicht an der Vielfalt der Gedenkfeiern, die im Verlauf dieses Jahres in vielfältigen Formen und an zahlreichen Orten des kirchlichen wie zivilen Lebens stattgefunden haben. Aus demselben Anlaß hat die Päpstliche Kommission Justitia et Pax im vergangenen Jahr einen Rundbrief an die Synoden der katholischen Ostkirchen und an die Bischofskonferenzen gesandt, mit dem sie Meinungen und Vorschläge dazu erbat, wie das Jubiläum der Enzyklika am besten gefeiert, wie ihre Lehren vertieft und gegebenenfalls fortgeschrieben werden könnten. Dieselbe Kommission veranstaltete zum 20. Jahrestag eine Gedenkfeier, an der ich selbst teilgenommen und die Schlußansprache gehalten habe.5 Und nun erachte ich es, auch in Anbetracht der Antworten auf den erwähnten Rundbrief, für angebracht, zum Abschluß des Jahres 1987 der Thematik von Populorum Progressio eine eigene Enzyklika zu widmen.


3 Ich möchte damit hauptsächlich zwei Ziele von nicht geringer Bedeutung verfolgen: Einerseits will ich diesem historischen Dokument von Paul VI. und seinen Lehraussagen meine Wertschätzung bekunden; andererseits möchte ich in der Linie meiner verehrten Vorgänger auf dem Stuhl Petri die Kontinuität, aber zugleich die ständige Erneuerung der Soziallehre bekräftigen. Inder Tat, Kontinuität und Erneuerung bestätigen den bleibenden Wen der Lehre der Kirche.

Diese doppelte Eigenart ist ein charakteristisches Zeichen ihrer Lehre im sozialen Bereich. Sie ist einerseits konstant, weil sie sich gleichbleibt in ihrer Grundidee, in ihren "Leitprinzipien", in ihren "Urteilskriterien", in ihren wesentlichen "Richtlinien für das konkrete Handein"6 und vor allem in ihrer lebendigen Verbindung mit der Botschaft des Herrn; sie ist andererseits immer neu, weil sie die notwendigen und ratsamen Anpassungen erfährt, die vom Wandel der geschichtlichen Bedingungen und vom unaufhörlichen Fluß der Ereignisse nahegelegt werden, in dem das tägliche Leben der Menschen und Gesellschaften verläuft.



4 Ich bin der Überzeugung, daß die Lehraussagen der Enzyklika Populorum Progressio, die sich an die Menschen und die Gesellschaft der sechziger Jahre richteten, auch heute, am Ende der achtziger Jahre, ihre ganze Kraft eines Appells an das Gewissen beibehalten. Darum möchte ich im Bemühen, die wesentlichen Züge der heutigen Welt aufzuzeigen, und immer unter dem Leitgedanken der "Entwicklung der Völker", die ja bei weitem noch nicht abgeschlossen ist, jenen Ruf weitertragen mit der Absicht, ihn mit jenen Verwirklichenden zu verbinden, die in der geschichtlichen Stunde von heute möglich sind, einer Stunde, die ja ebenso dramatisch ist wie jene vor zwanzig Jahren.

Die Zeit verläuft zwar, wie wir wissen, immer nach demselben Rhythmus; heute jedoch hat man den Eindruck, als unterliege sie einer stetigen Beschleunigung, vor allem wegen der Vielzahl und Verflochtenheit der Ereignisse, in deren Mitte wir leben. Infolgedessen hat die Gestalt der Welt im Laufe der letzten zwanzig Jahre, trotz einiger grundlegender Konstanten, bedeutsame Veränderungen erfahren und weist darum völlig neue Aspekte auf.

Die heutige Zeit, die kurz vor dem Beginn des dritten christlichen Jahrtausends von einer verbreiteten Erwartung, fast eines neuen "Advents"7, geprägt ist, die in irgendeiner Weise alle Menschen berührt, bietet die Gelegenheit, die Lehre jener Enzyklika zu vertiefen, um auch die Auswirkungen für die Zukunft zu erkennen.

Die vorliegenden Überlegungen verfolgen das Ziel, mit Hilfe einer theologischen Analyse der heutigen Wirklichkeit die Notwendigkeit eines umfassenderen und differenzierteren Begriffes von Entwicklung hervorzuheben, wie er von der Enzyklika vorgeschlagen wurde. Außerdem sollen einige Formen der Verwirklichung aufgezeigt werden.

II. DAS NEUE AN DER ENZYKLIKA POPULORUM PROGRESSIO

5 Schon bei seinem ersten Erscheinen erweckte das Dokument von Papst Paul VI. die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung gerade wegen seiner Neuheit Man konnte darin mit großer Klarheit die genannten Merkmale von Kontinuität und Erneuerung innerhalb der Soziallehre der Kirche konkret feststellen. Die Absicht, die zahlreichen Aspekte dieser Unterweisung durch ein aufmerksames erneutes Lesen der Enzyklika zu entdecken, soll darum die vorliegenden Überlegungen durchgebend bestimmen.

Zuvor aber möchte ich mich mit dem Datum jener Veröffentlichung befassen: dem Jahr 1967. Die Tatsache selbst, daß Papst Paul VI. in jenem Jahr den Entschluß faßte, eine eigene Sozialenzyklika herauszugeben, lädt dazu ein, das Dokument in seiner Beziehung zum II. Vatikanischen Konzil zu betrachten, das ja am 8. Dezember 1965 abgeschlossen worden war.


6 In dieser Folge müssen wir mehr als eine bloß zeitliche Nähe sehen. Die Enzyklika Populorum Progressio stellt sich in gewissem Sinne als ein Dokument dar; in dem die Lehren des Konzils Anwendung finden. Und das nicht so sehr, weil sie sich fortwährend auf die Konzilstexte bezieht,8 als vielmehr deshalb, weil sie der Sorge der Kirche entspringt, die die gesamte Konzilsarbeit - und in besonderer Weise die Pastoralkonstitution Gaudium er Spes - beseelt hat, als sie nicht wenige Themen der kirchlichen Soziallehre zusammenhängend behandelte.

Wir können darum sagen, daß die Enzyklika Populorum Progressio als Antwort auf den Konzilsappell gelten kann, mit dem die Konstitution Gaudium et Spes beginnt: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände".9 Diese Worte geben das Grundmotiv an, das jenes bedeutende Dokument des Konzils beseelt, wenn es zu Beginn die Situation des Elends und der Unterentwicklung feststellt, in der Millionen und Millionen von Menschen leben.

Elend und Unterentwicklung sind, mit anderen Worten, die "Trauer und Angst" von heute, "besonders der Armen"; vor diesem breiten Hintergrund von Leiden und Schmerz will das Konzil Horizonte von "Freude und Hoffnung" eröffnen. In dieselbe Richtung zielt die Enzyklika von Faul VI. in voller Treue zum Geist des Konzils.



7 Aber auch in der Themenfolge nimmt die Enzyklika im Anschluß an die große Tradition der Soziallehre der Kirche in direkter Weise jene neue Darstellung und reiche Synthese wieder auf, die das Konzil vor allem in der Konstitution Gaudium er Spes erarbeitet hat.

Was die Inhalte und Themen betrifft, welche die Enzyklika erneut aufgreift, sind vor allem folgende zu nennen: das Bewußtsein von der Pflicht, die die Kirche als "Expertin in Menschlichkeit" hat, "die Zeichen der Zeit zu erforschen und im Licht des Evangeliums zu deuten"; 10 das ebenso tiefe Bewußtsein ihrer Sendung zum "Dienen", die sich von der Aufgabe des Staates unterscheidet, auch wo sie sich um konkrete Anliegen der Menschen kümmert;11 der Hinweis auf die schreienden Unterschiede in den Lebensbedingungen dieser Personen; 12 die Bestätigung der Lehre des Konzils, die in Treue zur jahrhundertealten Tradition der Kirche die "Bestimmung der irdischen Güter für alle" vertritt; 13 die Würdigung von Kultur und technischer Zivilisation, die zur Befreiung des Menschen beitragen, 14 ohne ihre Grenzen zu übersehen; 15 schließlich, im Rahmen des Themas der Entwicklung, das der Enzyklika eigen ist, die Betonung der "schweren Verpflichtung" der stärker entwickelten Nationen, "den Ländern auf dem Wegeder Entwicklung beizustehen.16 Der Begriff von Entwicklung selbst, wie ihn die Enzyklika vorlegt, entstammt unmittelbar der Sichtweise, unter der die Pastoralkonstitution dieses Problem angeht.17

Aus diesen und weiteren ausdrücklichen Bezügen zur Pastoralkonstitution folgt, daß sich die Enzyklika als Anwendung der Soziallehre des Konzils auf die spezifische Frage von Entwicklung und Unterentwicklung der Völker darstellt.



8 Die soeben vorgenommene kurze Analyse hilft uns, das Neue an der Enzyklika besser zu ermessen. Man kann es in drei Punkten zusammenfassen. Der erste Punkt besteht in der Tatsache selbst, daß von der höchsten Autorität der katholischen Kirche ein Dokument herausgegeben wird, das sich an die Kirche selbst und zugleich "an alle Menschen guten Willens" richtet18 und das eine Frage behandelt, die auf den ersten Blick rein ökonomischer und sozialer Natur ist: die Entwicklung der Völker. Der Begriff "Entwicklung" ist dem Wortschatz der 5ozial- und Wirtschaftswissenschaften entnommen. In dieser Hinsicht folgt die Enzyklika Populorum Progressio direkt der Enzyklika Rerum Novarum, die von der "Lage der Arbeiter" handelt.19 Oberflächlich betrachtet, könnten beide Themen als außerhalb der berechtigten Anliegen der Kirche als religiöser Institution erscheinen; dies gilt sogar noch mehr für den Begriff "Entwicklung" als für jenen der "Lage der Arbeiter".

Charakter der mit der Entwicklung verbundenen Problematik unterstrichen hat und ebenso die Berechtigung und Notwendigkeit eines Beitrages der Kirche auf diesem Gebiet.

Hiermit hat die Soziallehre der Kirche ein weiteres Mal bewiesen, daß es zu ihrem Wesen gehört, das Wort Gottes auf das Leben der Menschen und der Gesellschaft sowie auf die damit verbundenen irdischen Wirklichkeiten anzuwenden, indem sie "Leitprinzipien"' "Urteilskriterien" und "Richtlinien für das konkrete Handeln" vorlegt.20 Im Dokument Pauls VI. finden sich alle diese drei vorwiegend auf die Praxis, das heißt, auf das sittliche Verhalten, bezogenen Elemente. Wenn sich also die Kirche mit der "Entwicklung der Völker"4 befaßt, darf sie nicht angeklagt werden, den besonderen Bereich ihrer Kompetenz und erst recht ihre vom Herrn empfangene Sendung überschritten zu haben.



9 Das zweite Neue an Populorum Progressio ist die Weite des Horizontes. mit dem sie an das herangeht, was man gemeinhin als die "Soziale Frage" bezeichnet.

Die Enzyklika Mater et Magistra von Papst Johannes XXIII. war zwar schon in diesen erweiterten Horizont eingetreten,21 und das Konzil hat es ihr mit seiner Pastoralkonstitution Gaudium et Spes gleichgetan;22 trotzdem war die soziale Verkündigung der Kirche noch nicht dahin gelangt, mit voller Klarheit auszusagen, daß die Soziale Frage ein weltweites Ausmaß erlangt hat,23 noch hatte sie aus dieser Aussage und per zugehörigen Analyse eine "Richtlinie für das konkrete Handeln" geformt, wie es Papst Faul VI. in seiner Enzyklika tut.

Eine solche ausdrückliche Stellungnahme bietet einen großen Reichtum an Inhalten, die nun aufgezeigt werden sollen.

Zunächst muß ein mögliches Mißverständnis ausgeräumt werden. Die Feststellung, daß die "Soziale Frage" eine weltweite Dimension angenommen hat, bedeutet in keiner Weise, daß ihre Wirkkraft erloschen sei oder sie ihre Bedeutung auf nationaler oder örtlicher Ebene eingebüßt habe. Es bedeutet im Gegenteil, daß die Probleme an den Arbeitsstätten oder in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung eines bestimmten Landes oder einer Region nicht als verstreute Inseln ohne Verbindung untereinander gesehen werden dürfen, sondern daß sie in wachsendem Maße von Faktoren abhängen, die jenseits der regionalen oder nationalen Grenzen liegen. Leider sind in wirtschaftlicher Hinsicht die Entwicklungsländer viel zahlreicher als die Industrieländer. Die Menschenmengen, die an den vom

Fortschritt bereitgestellten Gütern und Dienstleistungen nicht teilhaben können, sind sehr viel zahlreicher als jene, die darüber verfügen.

Wir stehen also vor dem schweren Problem ungleicher Verteilung der lebensnotwendigen Mittel, die ursprünglich für alle Menschen bestimmt waren, sowie auch der Vorteile, die sich daraus ergeben. Und das geschieht nicht etwa aufgrund der Verantwortung der benachteiligten Völker und schon gar nicht durch eine Art von Schicksalsergebenheit als Folge von Naturbedingungen oder der gesamten Umstände.

Wenn die Enzyklika Pauls VI. erklärt, daß die Soziale Frage eine weltweite Dimension erlangt habe, will sie damit vor allem auf ein moralisches Faktum hinweisen, das sein Fundament in der objektiven Analyse der Wirklichkeit hat. Nach den eigenen Worten der Enzyklika muß sich ein jeder dieses Faktums bewußt werden,24 weil es direkt das Gewissen, die Quelle der sittlichen Entscheidungen, berührt.

In diesem Zusammenhang besteht das Neue an der Enzyklika nicht sosehr in der historisch gesehenen Aussage von der weltweiten Bedeutung der Sozialen Frage als vielmehr in der moralischen Bewertung dieser Tatsache. So haben die politisch Verantwortlichen und auch die Bürger der reichen Länder ganz persönlich, vor allem wenn sie Christen sind, nach dem Grad ihrer jeweiligen Verantwortung die sittliche Verpflichtung, bei ihren persönlichen wie öffentlichen Entscheidungen diese weltweite Beziehung, diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen ihrem Verhalten und dem Elend und der Unterentwicklung so vieler Millionen von Männern und Frauen, in Betracht zu ziehen. Mit noch größerer Genauigkeit gibt die Enzyklika Pauls VI. diese moralische Verpflichtung "als Pflicht zur Solidarität" wieder;25 auch wenn sich in der Welt inzwischen vieles geändert hat, behält diese Aussage heute dieselbe Kraft und Gültigkeit wie damals, als sie niedergeschrieben wurde.

Ohne diesen moralischen Gesichtspunkt zu verlassen, besteht das Neue der Enzyklika andererseits auch in der grundsätzlichen Aussage, daß sich der Begriff der Entwicklung selbst deutlich ändert, wenn man sie im Hinblick auf die weltweite gegenseitige Abhängigkeit betrachtet. Wahre Entwicklung darf nicht in der bloßen Anhäufung von Reichtum und einem wachsenden Angebot von Gütern und Dienstleistungen bestehen, wenn dies nur auf Kosten der Unterentwicklung der Massen und ohne die geschuldete Rücksicht für die soziale, kulturelle und geistige Dimension des Menschen erreicht wird.26



10 Als dritter Punkt bereichert die Enzyklika die kirchliche Soziallehre im allgemeinen und den Begriff der Entwicklung im besonderen durch beachtliche neue Elemente, Diese Neuheit wird in einem Satz sichtbar, der im Schlußabschnitt des Dokumentes steht und als Zusammenfassung seines Inhaltes wie auch als sein geschichtliches Kennzeichen angesehen werden kann Entwicklung ist der neue Name für Friede".27

In der Tat, wenn die soziale Frage eine weltweite Dimension erlangt hat, dann darum, weil die Forderung nach Gerechtigkeit nur auf dieser Ebene erfüllt werden kann. Sich um eine solche Forderung nicht zu kümmern, könnte bewirken, daß auf seiten der Opfer der Ungerechtigkeit die Versuchung zu einer gewalttätigen Antwort aufbricht, wie es am Beginn vieler Kriege geschieht. Die Bevölkerungen, die von der gerechten Verteilung der Güter, welche ursprünglich für alle bestimmt sind, ausgeschlossen werden, könnten sich fragen: Warum sollten wir nicht all denen mit Gewalt antworten, die uns zuerst mit Gewalt begegnen? Und wenn man die Lage im Licht der Aufteilung der Welt in ideologische Blöcke betrachtet - wie sie bereits im Jahre 1967 bestand - und die daraus folgenden Auswirkungen und wirtschaftlichen wie politischen Abhängigkeiten bedenkt, wird diese Gefahr noch viel größer.

Dieser ersten Überlegung zum dramatischen Inhalt jener Formulierung der Enzyklika schließt sich eine weitere an, auf die das Dokument selbst bereits hinweist:28 Wie soll man die Tatsache rechtfertigen, daß ungeheure Geldsummen, die dazu bestimmt sein könnten und müßten, die Entwicklung der Völker voranzubringen, statt dessen für die Bereicherung von einzelnen und Gruppen oder für die Erweiterung der Waffenarsenale sowohl in den Industrieländern wie in den Entwicklungsländern verwendet werden und so die wahren Prioritäten auf den Kopf stellen? Das wiegt noch schwerer, wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt die nicht selten den direkten Weg der Gelder behindern, die dafür bestimmt sind, den not leidenden Ländern Hilfe zu bringen. Wenn Entwicklung der neue Name für Friede" ist, dann sind der Krieg und die militärischen Vorbereitungen dazu der größte Feind einer allseitigen Entwicklung der Völker.

Darum sind wir im Licht jenes Wortes von Papst Paul VI. aufgefordert, den Begriff der Entwicklung zu überprüfen, der gewiß nicht mit jenem übereinstimmt, der sich darauf beschränkt, die materiellen Bedürfnisse durch ein wachsendes Angebot von Gütern zu befriedigen, ohne auf die Leiden der Mehrheit der Menschen zu achten, und den Egoismus von einzelnen oder ganzer Nationen zum Hauptmotiv macht. Daran erinnert in scharfer Weise der Jakobusbrief: "Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten? Doch nur vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern. Ihr begehrt und erhaltet doch nichts" (
Jc 4,1 f.).

Demgegenüber wäre in einer anderen Welt, die von der Sorge Gemeinwohl der ganzen Menschheit geleitet ist, das heißt, von der Sorge um die "geistige und menschliche Entwicklung aller" statt von der Sorge um den persönlichen Vorteil, der Friede möglich als Frucht einer "vollkommeneren Gerechtigkeit unter den Menschen".29

Auch dieses neue Element der Enzyklika hat einen bleibenden und aktuellen Wert, wenn man die heutige Mentalität bedenkt, die so sensibel ist für die enge Verbindung zwischen der Beachtung von Gerechtigkeit und der Errichtung eines wahren Friedens.



III. Das Bild der heutigen Welt

11 Die grundlegende Lehraussage der Enzyklika Populorum Progressio hatte wegen ihres neuartigen Charakters ein starkes Echo gefunden. Der soziale Kontext, in dem wir heute leben, ist freilich nicht mehr völlig identisch mit dem vor zwanzig Jahren. Darum möchte ich mich nun in einem kurzen Überblick mit einigen Merkmalen der heutigen Welt beschäftigen, um die Lehre der Enzyklika Pauls VI. zu vertiefen, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt der "Entwicklung der Völker".


12 Die erste Tatsache, die hervorgehoben werden muß, besteht darin, daß die damals so lebhaften Hoffnungen auf Entwicklung heute weit entfernt von ihrer Verwirklichung erscheinen.

Die Enzyklika machte sich hierin keine Illusionen. Ihre starke und bisweilen dramatische Sprache beschränkte sich darauf, den Ernst der Lage zu betonen und die Gewissen aller dringend zu verpflichten, zu einer Lösung beizutragen. In jenen Jahren bestand ein gewisser Optimismus hinsichtlich der Möglichkeit, den wirtschaftlichen Rückstand der armen Völker ohne allzu große Anstrengungen aufzuholen, sie mit Infrastrukturen zu versehen und ihnen beim Prozeß der Industrialisierung zu helfen.

In jenem geschichtlichen Kontext proklamierte die Organisation der Vereinten Nationen über die Anstrengungen jedes einzelnen Landes hinaus zwei aufeinanderfolgende Entwicklungsdekaden.30 So wurden einige bilaterale und multilaterale Maßnahmen ergriffen, um zahlreichen Nationen beizustehen, von denen einige seit längerer Zeit unabhängig waren, andere aber - der größere Teil - eben erst als Staaten aus dem Prozeß der Entkolonisierung geboren waren. Die Kirche fühlte sich ihrerseits verpflichtet, die Probleme dieser neuen Situation tiefer zu bedenken, um diese Bemühungen mit ihrem religiösen und humanen Geist zu unterstützen und ihnen so eine "Seele" und einen wirksamen Impuls zu geben.


13 Man kann nicht sagen, daß diese verschiedenen religiösen, humanitären, wirtschaftlichen und technischen Initiativen vergebens gewesen seien; denn sie haben doch einige Ergebnisse erzielen können. Aber aufs Ganze gesehen und in Anbetracht der verschiedenen Faktoren kann man nicht leugnen, daß die gegenwärtige Weltsituation unter diesem Gesichtspunkt der Entwicklung eher einen negativen Eindruck bietet.

Hierfür möchte ich die Aufmerksamkeit zunächst auf einige allgemeine Indikatoren lenken, ohne einige andere mehr spezifischer Art zu übergehen. Ohne mich in eine Analyse von Zahlen oder Statistiken einzulassen, genügt es, die Wirklichkeit einer unzähligen Menge von Männern und Frauen, Kindern, Erwachsenen und alten Menschen, von konkreten und einmaligen menschlichen Personen also, zu sehen, die unter der unerträglichen Last des Elends leiden. Viele Millionen sind ohne Hoffnung, weil sich ihre Lage in vielen Teilen der Welt fühlbar verschlechtert hat. Angesichts dieser Dramen von völligem Elend und größter Not, in denen so viele unserer Brüder und Schwestern leben, ist es der Herr Jesus Christus selbst, der an uns appelliert (vgl.
Mt 25,31-46).


14 Die erste negative Feststellung, die es zu machen gilt, ist das Fortbestehen und oft sogar die Verbreiterung des Grabens zwischen dem sogenannten entwickelten Norden und dem unterentwickelten Süden. Diese geographische Sprechweise ist nur eine erste Orientierung; denn man darf nicht übersehen, daß die Grenzen zwischen Reichtum und Armut durch die verschiedenen Gesellschaften selber verlaufen. und dies sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern. Wie es nämlich soziale Ungleichheiten bis zu den Stufen des Elends auch in reichen Ländern gibt, so beobachtet man entsprechend in den weniger entwickelten Ländern nicht selten Zeichen von Egoismus und Zurschaustellung von Reichtum, die ebenso empörend wie skandalös sind.

Dem Überfluß an Gütern und Dienstleistungen, die in einigen Teilen der Welt, vor allem im entwickelten Norden, zur Verfügung stehen, entspricht im Süden ein unannehmbarer Rückstand. Und gerade in dieser geopolitischen Zone lebt der größere Teil der Menschheit.

Wenn man die ganze Reihe der verschiedenen Sektoren - Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln, Hygiene, Gesundheitswesen und Wohnung, Trinkwasserversorgung, Arbeitsbedingungen, vor allem jene für Frauen, Lebenserwartung sowie andere wirtschaftliche und soziale Indikatoren - ins Auge faßt, ergibt sich ein enttäuschendes Gesamtbild, sei es in sich selbst betrachtet oder in bezug auf die entsprechenden Daten der stärker entwickelten Länder. Das Wort "Graben" kommt einem dabei spontan wieder auf die Lippen.

Vielleicht ist dies nicht der angemessene Ausdruck, um die wahre Realität wiederzugeben, insofern er den Eindruck eines statischen Phänomens vermitteln könnte. Dies aber ist nicht so. Im Fortschritt der Industrieländer und der Entwicklungsländer hat es in diesen Jahren eine unterschiedliche Beschleunigung gegeben, die zu noch breiteren Abständen führt. So gelangen die Entwicklungsländer, vor allem die ärmsten unter ihnen, allmählich in die Lage eines sehr schweren Rückstandes.

Hinzufügen muß man noch die Unterschiede in Kultur und Wertsystemen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die nicht immer mit dem jeweiligen Grad wirtschaftlicher Entwicklung übereinstimmen, aber dazu beitragen, weitere Abstände zu schaffen. Es sind diese Elemente und Aspekte, welche die Soziale Frage noch viel komplexer machen, eben weil sie eine weltweite Dimension erlangt hat.

Wenn man die verschiedenen Teile der Welt beobachtet, wie sie durch die wachsende Breite eines solchen Grabens voneinander getrennt sind, und dabei feststellt, daß jeder von ihnen einer eigenen Richtung mit eigenen Initiativen zu folgen scheint, versteht man, warum man im allgemeinen Sprachgebrauch von verschiedenen Welten innerhalb unserer einen Welt spricht: Erste Welt, Zweite Welt, Dritte Welt und manchmal sogar Vierte Welt.31 Solche Ausdrücke, die gewiß nicht beanspruchen, alle Länder erschöpfend zu klassifizieren, erscheinen doch bezeichnend: Sie sind Zeichen eines verbreiteten Gefühls, daß die Einheit der Welt, mit anderen Worten, die Einheit des Menschengeschlechtes, ernstlich bedroht ist. Jenseits seiner mehr oder weniger objektiven Bedeutung verbirgt dieser Wortgebrauch zweifellos einen moralischen Inhalt, dem gegenüber die Kirche als "Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug... für die Einheit der ganzen Menschheit", 32 nicht gleichgültig bleiben kann.



15 Das hier beschriebene Bild wäre allerdings unvollständig, fügte man den wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren der Unterentwicklung nicht weitere ebenso negative und sogar noch besorgniserregendere Faktoren, angefangen im kulturellen Bereich, hinzu. Es sind folgende: der Analphabetismus, die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, zu höheren Ausbildungsstufen zu gelangen, die Unfähigkeit, am Aufbau der eigenen Nation teilzunehmen, die verschiedenen Formen von Ausbeutung oder wirtschaftlicher, sozialer, politischer und auch religiöser Unterdrückung der menschlichen Person und ihrer Rechte, die Diskriminierungen jeder Art, insbesondere jene überaus bösartige, die sich auf den Rassenunterschied gründet. Wenn man manche dieser Mißstände auch in Gebieten des entwickelteren Nordens beklagt, so sind sie doch in den Entwicklungsländern ohne Zweifel häufiger, langfristiger und schwerer zu beseitigen.

Man muß außerdem hervorheben, daß in der heutigen Welt unter den anderen Rechten oft auch das Recht auf unternehmerische Initiative unterdrückt wird. Und doch handelt es sich um ein wichtiges Recht nicht nur für den einzelnen, sondern auch für das Gemeinwohl. Die Erfahrung lehrt uns, daß die Leugnung eines solchen Rechtes oder seine Einschränkung im Namen einer angeblichen "Gleichheit" aller in der Gesellschaft tatsächlich den Unternehmungsgeist, das heißt, die Kreativität des Bürgers als eines aktiven Subjektes, lähmt oder sogar zerstört. Als Folge entsteht auf diese Weise nicht so sehr eine echte Gleichheit als vielmehr eine "Nivellierung nach unten". Anstelle von schöpferischer Eigeninitiative kommt es zu Passivität, Abhängigkeit und Unterwerfung unter den bürokratischen Apparat, der als einziges "verfügendes" und "entscheidenes" - wenn nicht sogar "besitzendes" - Organ der gesamten Güter und Produktionsmittel alle in eine Stellung fast völliger Abhängigkeit bringt, die der traditionellen Abhängigkeit des Arbeiterproletariers vom Kapitalismus gleicht. Das ruft ein Gefühl von Frustration oder Resignation hervor und bringt die Menschen dazu, sich aus dem Leben der Nation zurückzuziehen, indem viele zur Auswanderung gedrängt werden und ebenso eine Form von "innerer" Emigration gefördert wird.

Eine solche Lage wirkt sich auch auf die "Rechte der Einzelnationen" aus. In der Tat geschieht es öfters, daß eine Nation ihres Subjektcharakters beraubt wird, das heißt, ihrer "Souveränität", die ihr in wirtschaftlicher, politisch-sozialer und in gewisser Weise auch kultureller Beziehung zukommt, weil in einer staatlichen Gemeinschaft alle diese Dimensionen des Lebens miteinander verbunden sind.

Man muß ferner betonen, daß keine gesellschaftliche Gruppe, wie zum Beispiel eine politische Partei, das Recht hat, das Führungsmonopol an sich zu reißen; denn das führt zur Zerstörung des wahren Subjektcharakters der Gesellschaft und der Bürger als Personen, wie es bei jedem Totalitarismus geschieht. In einer solchen Situation werden der Mensch und das Volk zu "Objekten", trotz aller gegenteiligen Erklärungen und verbaler Beteuerungen.

An diesem Punkt sollte man hinzufügen, daß es in der heutigen Welt noch viele weitere Formen der Armut gibt. Verdienen nicht der Mangel oder der Entzug gewisser anderer Güter ebenfalls diesen Namen? Lassen nicht etwa die Leugnung oder die Einschränkung der Menschenrechte - ich nenne zum Beispiel das Recht auf Religionsfreiheit, das Recht, am Aufbau der Gesellschaft teilzunehmen, die Freiheit, Vereinigungen zu bilden, Gewerkschaften zu gründen oder Initiativen im wirtschaftlichen Bereich zu ergreifen - die menschliche Person ebenso, wenn nicht sogar noch mehr, verarmen als durch die Entbehrung materieller Güter? Und ist eine Entwicklung, die nicht diese Rechte voll bejaht, wirklich eine Entwicklung in menschlicher Dimension?

So ist, kurz gesagt, die Unterentwicklung unserer Tage nicht nur wirtschaftlicher Art, sondern erstreckt sieh auch auf den kulturellen, politischen und einfach menschlichen Bereich, wie die Enzyklika Populorum Progressio schon vor zwanzig Jahren betont hat. Darum müssen wir uns an dieser Stelle fragen, ob die so traurige Wirklichkeit von heute nicht wenigstens zum Teil das Resultat einer zu engen, das heißt, überwiegend wirtschaftlichen Auffassung von Entwicklung ist.



16 Man muß klar aussprechen, daß sich die Gesamtlage trotz der lobenswerten Anstrengungen, die in den letzten zwanzig Jahren von den Industrieländern, von den Entwicklungsländern sowie von den internationalen Organisationen unternommen worden sind, um einen Ausweg aus dieser Situation oder wenigstens ein Heilmittel gegen einige ihrer Symptome zu finden, erheblich verschlimmert hat.

Die Verantwortung für eine solche Verschlechterung ist bei verschiedenen Ursachen zu suchen. Man muß hinweisen auf die zweifellos schwerwiegenden Unterlassungen der Entwicklungsländer selber und insbesondere jener Personen, die dort die wirtschaftliche und politische Macht in Händen halten. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, die Verantwortung der Industrieländer zu übersehen, die nicht immer, wenigstens nicht in erforderlichem Maße, die Verpflichtung erkannt haben, den Ländern, die von der Welt des Wohlstandes ausgeschlossen sind, zu der sie selber gehören, Hilfe zu leisten.

Auf jeden Fall muß man das Bestehen wirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Mechanismen anprangern, die, obgleich vom Willen des Menschen gelenkt, doch fast automatisch wirken, wobei sie die Situation des Reichtums der einen und der Armut der anderen verfestigen. Solche Mechanismen, von den stärker entwickelten Ländern in direkter oder indirekter Weise gesteuert, begünstigen durch die ihnen eigene Wirkweise die Interessen derer, die über sie verfügen, erdrücken oder lenken aber schließlich vollständig die Wirtschaftsordnungen der weniger entwickelten Länder. Es wird notwendig sein, diese Mechanismen später einer sorgfältigen Analyse in ethisch-moralischer Hinsicht zu unterziehen.

Die Enzyklika Populorum Progressio sah bereits voraus, daß mit solchen Systemen der Reichtum der Reichen zunehmen und das Elend der Armen verfestigt werden konnte.33 Eine Bestätigung dieser Voraussage war das Auftreten der Vierten Welt.



17 Sosehr sich die Weltgesellschaft in mancher Beziehung gespalten zeigt, wie jene bekannten Ausdrücke einer Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Welt es dartun, bleibt doch die wechselseitige Abhängigkeit dieser Welten stets sehr eng. Klammert man von dieser Abhängigkeit die ethischen Forderungen aus, so führt das gerade für die Schwächsten zu traurigen Konsequenzen. Die gegenseitige Abhängigkeit ruft durch eine Art von innerer Dynamik und unter dem Druck von Mechanismen, die man geradezu als entartet bezeichnen muß, sogar in den reichen Ländern negative Wirkungen hervor. Im Innern dieser Länder findet man, wenn auch in geringerem Umfang, sehr ausgeprägte Formen von Unterentwicklung Darum sollte es unbestritten sein, daß die Entwicklung entweder allen Teilen der Welt gemeinsam zugute kommt oder einen Prozeß der Rezession auch in jenen Gegenden erleidet, die bisher einen ständigen Fortschritt zu verzeichnen hatten Diese Tatsache ist besonders aufschlußreich für das Wesen echter Entwicklung: Entweder nehmen alle Nationen der Welt daran teil, oder sie ist tatsächlich nicht echt.

Unter den typischen Kennzeichen von Unterentwicklung, die in wachsendem Maße auch die entwickelten Völker betreffen, gibt es zwei, die in besonderer Weise eine dramatische Situation offenbaren. An erster Stelle steht die Wohnungskrise. In diesem Internationalen Jahr der Menschen ohne Wohnung, das die Organisation der Vereinten Nationen beschlossen hat, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Millionen von Menschen ohne angemessene oder sogar ohne jegliche Wohnung, um die Gewissen aller aufzurütteln und eine Lösung für dieses schwere Problem zu finden, das eine Reihe von negativen Folgen im individuellen, familiären und gesellschaftlichen Bereich hat.34

Wohnungen fehlen überall; dies ist größtenteils eine Folge der stets zunehmenden Verstädterung.35 Sogar die stärker entwickelten Völker bieten den traurigen Anblick von einzelnen und Familien, die im wahrsten Sinne des Wortes um das Überleben kämpfen und dabei ohne Wohnung sind oder in einer derart elenden Behausung leben müssen, daß sie den Namen einer Wohnung nicht verdient.

Die Wohnungsnot, die in sich selbst schon ein ziemlich schweres Problem darstellt, muß als Zeichen und Synthese einer ganzen Reihe von wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder einfach menschlichen Unzulänglichkeiten angesehen werden. In Anbetracht der Ausdehnung des Phänomens kann man sich leicht davon überzeugen, wie weit wir noch vom wirklichen Fortschritt der Völker entfernt sind.



Sollicitudo rei socialis