Generalaudienzen 2005-2013 10605
10605
Ph 2,6-11
6 Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
7 sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen;
8 er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, 10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu 11 und jeder Mund bekennt: »Jesus Christus ist der Herr« - zur Ehre Gottes, des Vaters.
Liebe Brüder und Schwestern!
1. In jeder sonntäglichen Feier der Vesper bietet uns die Liturgie von neuem den kurzen, aber bedeutungsreichen christologischen Hymnus aus dem Brief an die Philipper an (vgl. 2,6-11). Es ist der Hymnus, der soeben erklungen ist und dessen ersten Teil (vgl. V. 6-8) wir nun betrachten wollen. Darin wird die paradoxe »Entäußerung« des göttlichen Wortes beschrieben, das seine Herrlichkeit ablegt und die Menschennatur annimmt.
Christus, der Mensch geworden ist und sich erniedrigt hat bis zum schändlichsten Tod, dem Tod am Kreuz, wird als ein Lebensmodell für den Christen vorgestellt. Denn dieser - so heißt es in diesem Zusammenhang - soll »so gesinnt [sein], wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht« (V. 5), das heißt, er soll demütig, bereit zur Hingabe, zur Loslösung und zum Großmut sein.
2. Sicher besitzt Jesus die göttliche Natur mit all ihren besonderen Eigenschaften. Aber diese transzendente Wirklichkeit wird nicht im Zeichen der Macht, der Größe, der Herrschaft verstanden und gelebt. Christus nutzt sein Gottgleich- sein, seine ruhmvolle Würde und seine Macht nicht als Mittel des Triumphs, als Zeichen der Distanz, als Ausdruck erniedrigender Vorherrschaft (vgl. V. 6). Nein, er »entäußerte«, entleerte sich, indem er vorbehaltlos in die erbärmliche und schwache Menschennatur einging. Die göttliche »Form« (morphe) verbirgt sich in Christus unter der menschlichen »Form« (morphe), das heißt unter unserer menschlichen Wirklichkeit, die vom Leiden, von der Armut, von der Begrenzung und vom Tod gezeichnet ist (vgl. V. 7).
Es handelt sich also nicht um eine bloße Hülle, um einen veränderlichen Anschein, wie es - so meinte man - bei den Gottheiten der griechischrömischen Kultur der Fall sei. Bei Christus handelt es sich um die göttliche Wirklichkeit in einer tatsächlichen menschlichen Erfahrung. Gott erscheint nicht nur als Mensch, sondern er wird Mensch und wird tatsächlich einer von uns, er wird wirklich der »Gott mit uns«, der sich nicht damit begnügt, vom Thron seiner Herrlichkeit mit wohlwollendem Blick auf uns herabzuschauen, sondern er geht persönlich in die menschliche Geschichte ein, indem er »Fleisch«, das heißt von Zeit und Raum bedingte zerbrechliche Wirklichkeit, wird (vgl. Jn 1,14).
3. Dieses radikale und echte Teilen der Menschennatur, ausgenommen die Sünde (vgl. He 4,15), führt Jesus bis zu jener Grenze, die das Zeichen unserer Endlichkeit und Hinfälligkeit ist: zum Tod. Dieser ist jedoch nicht Ergebnis eines dunklen Mechanismus oder eines blinden Schicksals. Er erwächst aus der freien Entscheidung zum Gehorsam gegenüber dem Heilsplan des Vaters (vgl. Ph 2,8).
Der Apostel fügt hinzu, daß der Tod, dem Jesus entgegengeht, der Tod am Kreuz ist, das heißt der schändlichste Tod, weil Jesus wirklich Bruder jedes Menschen sein wollte, auch desjenigen, der ein grausames und schmachvolles Ende nimmt.
Aber gerade in seinem Leiden und Sterben bezeugt Christus seine freie und bewußte Zustimmung zum Willen des Vaters, wie im Brief an die Hebräer zu lesen ist: »Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt« (He 5,8).
An dieser Stelle beenden wir unsere Reflexion über den ersten Teil des Christus-Hymnus, der die Menschwerdung und das heilbringende Leiden behandelt. Wir werden später Gelegenheit haben, den nachfolgenden österlichen Weg zu betrachten, der vom Kreuz in die Herrlichkeit führt.
Die Grundaussage dieses ersten Teils des Hymnus scheint mir die Einladung zu sein, die Gesinnung Jesu nachzuvollziehen. Die Gesinnung Jesu nachvollziehen heißt, Macht, Reichtum, Ansehen nicht als höchste Werte unseres Lebens zu betrachten, denn im Grund stillen sie die innerste Sehnsucht unseres Geistes nicht; wir sollen hingegen unser Herz dem andern öffnen, mit dem andern die Last unseres Lebens tragen und uns dem himmlischen Vater gehorsam und vertrauensvoll öffnen in dem Bewußtsein, daß wir gerade durch unseren Gehorsam gegenüber dem Vater frei werden. Die Gesinnung Jesu nachvollziehen - das wäre die tägliche Übung, die wir als Christen leben sollen.
4. Wir beschließen nun unsere Reflexion mit den Worten eines bedeutenden Zeugen der orientalischen Tradition, Theodoretos, der im 5. Jahrhundert Bischof von Kyros in Syrien war: »Die Menschwerdung unseres Erlösers ist die höchste Vollendung der göttlichen Sorge für die Menschen. Denn weder Himmel, Erde, Meer, Luft, Sonne, Mond, Sterne noch das ganze sichtbare und unsichtbare Universum, das allein durch sein Wort geschaffen oder vielmehr ans Licht gebracht wurde durch sein Wort entsprechend seinem Willen, offenbaren die unermeßliche Güte Gottes in dem Maße, wie sie die Tatsache offenbart, daß der eingeborene Sohn Gottes - der Gott gleich war (vgl. Ph 2,6), der Abglanz seiner Herrlichkeit, Abbild seines Wesens (vgl. He 1,3) war, der am Anfang war, der bei Gott war, und der Gott war, durch den alles geworden ist (vgl. Jn 1,1-3) - , nachdem er Knechtsgestalt angenommen hatte, in Menschengestalt erschienen ist; der wegen seiner Menschengestalt als Mensch betrachtet wurde; der auf der Erde gesehen wurde, der Beziehungen zu den Menschen hatte, der sich mit unserer Schwachheit beladen und unsere Krankheiten auf sich genommen hat« (Discorsi sulla provvidenza divina [Reden über die göttliche Vorsehung], 10: Collana di testi patristici, LXXV, Roma 1988, S. 250-251).
Theodoretos von Kyros setzt seine Betrachtung fort und betont gerade die enge Verbindung, die vom Hymnus des Briefes an die Philipper unterstrichen wird, die Verbindung zwischen der Menschwerdung Jesu und der Erlösung der Menschen. »Der Schöpfer wirkte unser Heil in Weisheit und Gerechtigkeit. Weil er sich nicht nur seiner Macht bedienen wollte, um uns das Geschenk der Freiheit zu gewähren, und ebensowenig nur die Barmherzigkeit gegen den bewaffnen wollte, der das Menschengeschlecht unterworfen hatte, damit es die Barmherzigkeit nicht der Ungerechtigkeit anklage, hat er einen Weg erdacht, der von Liebe zu den Menschen erfüllt und zugleich mit Gerechtigkeit geziert war. Denn nachdem er die nun besiegte Menschennatur angenommen hatte, führte er sie zum Kampf und befähigte sie, die Niederlage wiedergutzumachen, den zu besiegen, der einst auf ungerechte Weise den Sieg errungen hatte; sich von der Tyrannei dessen zu befreien, der sie grausam zur Sklavin gemacht hatte, und die ursprüngliche Freiheit wiederzuerlangen« (ebd., S. 251-252).
Aus unendlicher Vaterliebe will Gott das Heil des Menschen. Dieser Heilswille nimmt Gestalt an in der „Entäußerung" des Sohnes, welche der Christus-Hymnus im Brief des hl. Apostels Paulus an die Philipper besingt: In Jesus Christus wird der ewige Gott „wie ein Sklave und den Menschen gleich"! Die Selbst-Erniedrigung des Sohnes geschieht aus freiem und bewußtem Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters, der sich als der wahre „Gott-mit-uns" offenbart.
Der Sohn Gottes, der „nicht daran festhielt, wie Gott zu sein", und unsere schwache Menschennatur annahm, ist für jeden Christen Modell und Maßstab: Wenn der Geist seiner Demut, wenn seine Hingabe an den Willen des Vaters und sein Großmut unser Denken und Tun bestimmen, werden wir selbst zu Mitarbeitern der Erlösung!
***
Ganz herzlich grüße ich die Pilger aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und alle deutschsprachigen Besucher. Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, ist unser Herr und Bruder. Sein Opfer am Kreuz hat uns erlöst. Wahre Größe zeigt sich in der Bereitschaft zum Dienen. Beten wir täglich um diesen Geist Jesu! - Euch allen wünsche ich eine Zeit der Erholung und des geistlichen „Auftankens". Der Herr segne Euch!
8605
Ps 111,1-2 Ps 111,4-5 Ps 111,10
1 Ein Preislied auf die Wundertaten des Herrn Halleluja! Den Herrn will ich preisen von ganzem Herzen im Kreis der Frommen, inmitten der Gemeinde.
2 Groß sind die Werke des Herrn, kostbar allen, die sich an ihnen freuen.
4 Er hat ein Gedächtnis an seine Wunder gestiftet, der Herr ist gnädig und barmherzig.
5 Er gibt denen Speise, die ihn fürchten, an seinen Bund denkt er auf ewig.
10 Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit; / alle, die danach leben, sind klug. Sein Ruhm hat Bestand für immer.
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Heute spüren wir den starken Wind. In der Heiligen Schrift ist der Wind Symbol des Heiligen Geistes. Hoffen wir, daß uns jetzt der Heilige Geist erleuchtet, wenn wir über den soeben gehörten Psalm 111 nachdenken. Bei diesem Psalm handelt es sich um ein Lob- und Danklied für die vielen Wohltaten, die Gott in seinen Wesenseigenschaften und seinem Heilswerk charakterisieren: Es ist die Rede von »Gnade« und »Barmherzigkeit«, von »Gerechtigkeit«, von seinen »machtvollen Taten«, von »Beständigkeit«, von »Wahrheit«, von »Redlichkeit«, von »Treue«, vom »Bund«, von »Werken«, von »Wundern«, sogar von »Speise«, die er gibt, und zum Schluß von seinem heiligen »Namen«, das heißt von seiner Person. Das Gebet ist somit Betrachtung des göttlichen Geheimnisses und der Wundertaten, die er in der Heilsgeschichte wirkt.
2. Der Psalm beginnt mit dem Verb »preisen«, das nicht nur aus dem Herzen des Beters, sondern auch aus der ganzen liturgischen Versammlung aufsteigt (vgl. V. 1). Der Gegenstand dieses Gebetes, das auch den Dankritus einschließt, wird durch das Wort »Werke« (vgl. V. 2 und 7) ausgedrückt. Sie verweisen auf das heilbringende Handeln des Herrn, die Kundgabe seiner »Gerechtigkeit « (V. 3); ein Terminus, der im Sprachgebrauch der Bibel vor allem auf die Liebe hinweist, die Heil bringt.
Deshalb verwandelt sich der Mittelpunkt des Psalms in einen Hymnus auf den Bund (V. 4-9), auf dieses enge Band, das Gott mit seinem Volk verbindet und das eine Reihe von Haltungen und Gesten umfaßt. So spricht man von »Gnade« und »Barmherzigkeit« (V. 4) gemäß der bedeutsamen Verkündigung auf dem Sinai: Der Herr »ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue« (Ex 34,6).
Mit »gnädig« ist die göttliche Gnade gemeint, die den Gläubigen umgibt und verwandelt, während das Wort »barmherzig« im hebräischen Original durch einen charakteristischen Terminus ausgedrückt wird, der auf den mütterlichen »Schoß« des Herrn verweist, der noch barmherziger ist als der einer Mutter (vgl. Is 49,15).
3. Dieses Liebesband schließt das grundlegende Geschenk der Speise und folglich des Lebens mit ein (vgl. Ps 111,5), das dann in der christlichen Auslegung mit der Eucharistie identisch ist, wie der hl. Hieronymus betont: »Er gab das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, zur Speise; wenn wir seiner würdig sind, dann ernähren wir uns davon!« (Breviarium in Psalmos, 110 [111]: PL XXVI, 1238-1239).
Weiter gibt es das Geschenk der Erde, »das Erbe der Völker« (Ps 111,6), das auf das bedeutende Ereignis des Exodus anspielt, als sich der Herr als Gott der Befreiung erwies. Die Synthese des mittleren Teils dieses Liedes ist also in dem Thema des besonderen Bundes zwischen dem Herrn und seinem Volk zu suchen, wie der Vers 9 kurz und bündig sagt: »Er … bestimmte seinen Bund für ewige Zeiten«.
4. Psalm 111 wird zum Schluß besiegelt von der Betrachtung des göttlichen Antlitzes, der Person des Herrn, die durch ihren heiligen und transzendenten »Namen« zum Ausdruck gebracht wird. Indem er dann einen Weisheitsspruch zitiert (vgl. Pr 1,7 Pr 9,10 Pr 15,33), lädt der Psalmist jeden Gläubigen ein, die »Furcht des Herrn«, den Anfang der wahren Weisheit, zu pflegen (Ps 111,10). Hinter diesem Wort verbirgt sich nicht die Angst und der Schrecken, sondern die ernsthafte und aufrichtige Achtung, die Frucht der Liebe ist, die echte und eifrige Zustimmung zu Gott, dem Befreier. Und wenn das erste Wort des Liedes ein Dank war, dann ist das letzte ein Wort des Lobes: Wie seine heilbringende Gerechtigkeit »Bestand für immer« hat (V. 3), so kennt die Dankbarkeit des Beters keine Unterbrechung, sondern hat im Gebet »Bestand für immer« (V. 10). Zusammenfassend gesagt: Der Psalm lädt uns zum Schluß ein, die vielen Wohltaten zu entdecken, die uns der Herr täglich gewährt. Wir sehen eher die negativen Aspekte unseres Lebens. Der Psalm lädt uns ein, auch die positiven Dinge, die vielen Gaben zu sehen, die wir empfangen, und so dankbar zu werden, denn nur ein dankbares Herz kann die hohe Liturgie der Danksagung, die Eucharistie, würdig feiern.
5. Zum Abschluß unserer Reflexion wollen wir mit der kirchlichen Tradition der ersten christlichen Jahrhunderte den Schlußvers mit seiner bekannten Erklärung, die an anderer Stelle in der Bibel wiederholt wird (vgl. Pr 1,7), betrachten: »Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit« (Ps 111,10).
Der christliche Schriftsteller Barsanuphios von Gaza, der in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts lebte und wirkte, kommentiert ihn so: »Was ist der Anfang der Weisheit anderes, als daß man sich all dessen enthält, was für Gott abstoßend ist? Und wie kann man sich dessen enthalten, wenn man nicht vermeidet, irgendetwas zu tun, ohne um Rat gefragt zu haben, oder das zu sagen, was man nicht sagen darf, und wenn man sich selbst nicht für verrückt, töricht, verächtlich und für ein Nichts hält?« (Epistolario, 234: Collana di testi patristici, XVIII, Roma 1991, S. 265-266).
Johannes Cassianus, der zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert lebte, zog es jedoch vor, klarzustellen, daß »ein großer Unterschied besteht zwischen der Liebe, der es an nichts fehlt und die der Schatz der Weisheit und Wissenschaft ist, und der unvollkommenen Liebe, die als ›Anfang der Weisheit‹ bezeichnet wird; weil die unvollkommene Liebe den Gedanken an die Bestrafung enthält, wird sie durch den Einbruch der Fülle der Liebe vom Herzen der Vollkommenen ausgeschlossen« (Conferenze ai monaci, 2, 11, 13: Collana di testi patristici, CLVI, Roma 2000, S. 29). So wird auf unserem Lebensweg zu Christus die anfängliche unterwürfige Furcht durch eine vollkommene Furcht ersetzt, die Liebe und ein Geschenk des Heiligen Geistes ist.
Die Werke des Herrn erwecken den Lobpreis der Gläubigen. Das Geheimnis der göttlichen Liebe betrachtend, folgt der Beter von Psalm 111 den Spuren des Allmächtigen und hält staunend inne vor den Wundern seiner Schöpfung. Ehrfurcht und Anbetung sind die richtige Antwort auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit, von denen die ganze Heilsgeschichte redet. Ergriffen von der unermeßlichen Liebe des Herrn erkennt der gottesfürchtige Mensch, daß der Schöpfer, einem unendlich guten und gerechten Vater gleich, für die Seinen sorgt: „Er gibt denen Speise, die ihn fürchten, an seinen Bund denkt er auf ewig“ (V. 5).
Die Kirchenväter betonen, daß auch die Gottesfurcht der Läuterung bedarf. „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit“ (V. 10). Die anfängliche Liebe ist unvollkommen, da sie noch den Gedanken an die Strafe enthält, erklärt der frühchristliche Autor Johannes Cassianus. Die vollkommene gottesfürchtige Liebe ist eine Gabe des Heiligen Geistes, die wir täglich neu erbeten.
***
Ganz herzlich heiße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Mein besonderer Gruß gilt heute den Teilnehmern an der Abschlußtagung des „Kölner Gemeinschaftskommentars zur Europäischen Grundrechte-Charta“. Wir alle schulden Gott täglich Lob und Dank für seine Wohltaten. Antwortet auf die Güte des Herrn mit euren guten Worten und Werken! Der Friede Christi geleite euch auf allen Wegen.
15065 Ps 123,1-4
1 Aufblick zu Gott [Ein Wallfahrtslied.] Ich erhebe meine Augen zu dir, der du hoch im Himmel thronst.
2 Wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin, so schauen unsre Augen auf den Herrn, unsern Gott, bis er uns gnädig ist.
3 Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig! Denn übersatt sind wir vom Hohn der Spötter,
4 übersatt ist unsre Seele von ihrem Spott, von der Verachtung der Stolzen.
Liebe Brüder und Schwestern!
Ihr habt leider unter dem Regen gelitten. Jetzt hoffen wir, daß das Wetter besser wird.
1. Jesus bekräftigt im Evangelium sehr einprägsam, daß das Auge ein ausdruckvolles Zeichen des inneren Ich ist, ein Spiegel der Seele (vgl. Mt 6,22-23). Der soeben verkündete Psalm 123 beschreibt also eine Begegnung von Blicken. Der Gläubige erhebt seine Augen zum Herrn und erwartet eine göttliche Reaktion, um darin eine Geste der Liebe, einen Blick des Wohlwollens zu erkennen.
Auch wir erheben ein wenig die Augen und warten auf eine Geste des Wohlwollens von seiten des Herrn. Nicht selten ist im Psalter die Rede vom Blick des Allerhöchsten, der »vom Himmel herab[blickt] auf die Menschen, ob noch ein Verständiger da ist, der Gott sucht« (Ps 14,2). Der Psalmist bedient sich, wie wir gehört haben, eines Vergleichs mit dem Knecht und der Magd, die sich an ihren Herrn wenden in Erwartung eines befreienden Entscheids.
Auch wenn sich die Szene auf die antike Welt und ihre gesellschaftlichen Strukturen bezieht, ist der Gedanke klar und bedeutungsvoll: Das aus der Welt des Alten Orients entlehnte Bild will das Festhalten des Armen, die Hoffnung des Unterdrückten und die Bereitschaft des Gerechten gegenüber dem Herrn hervorheben.
2. Der Beter wartet darauf, daß sich die göttlichen Hände regen, weil sie der Gerechtigkeit entsprechend handeln und das Böse vernichten werden. Deshalb richtet der Beter im Psalter oft seine Augen voll Hoffnung auf den Herrn: »Meine Augen schauen stets auf den Herrn; denn er befreit meine Füße aus dem Netz« (Ps 25,15), doch »mir versagen die Augen, während ich warte auf meinen Gott« (Ps 69,4).
Psalm 123 ist ein Bittgebet, in dem sich die Stimme eines Gläubigen mit den Stimmen der ganzen Gemeinde vereint. Denn der Psalm wechselt von der ersten Person Singular - »ich erhebe« - zum Plural - »unsere Augen« und »sei uns gnädig« (vgl. V. 1-3). Es wird die Hoffnung ausgedrückt, daß die Hände des Herrn sich öffnen und Geschenke der Gerechtigkeit und Freiheit austeilen. Der Gerechte erwartet, daß sich der göttliche Blick in seiner ganzen Milde und Güte offenbart, wie es in dem alten Priestersegen des Buches Numeri zu lesen ist: »Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil« (Nb 6, 25-26).
3. Wie wichtig der liebevolle Blick Gottes ist, das wird im zweiten Teil des Psalms deutlich, der von der Anrufung: »Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig!« (Ps 123,3), geprägt ist. Diese steht im Zusammenhang mit dem Ende des ersten Teils, wo das vertrauensvolle Warten auf den Herrn, unseren Gott, »bis er uns gnädig ist« (V. 2), betont wird.
Die Gläubigen benötigen Gottes Eingreifen, weil sie aufgrund der Verachtung und Verhöhnung seitens der Stolzen in einer schmerzlichen Lage sind. Der Psalmist verwendet nun das Bild der Sattheit: »Denn übersatt sind wir vom Hohn der Spötter. Übersatt ist unsere Seele von ihrem Spott, von der Verachtung der Stolzen« (V. 3-4).
Der traditionellen biblischen Sattheit an Speise und an Lebensjahren, die als Zeichen des göttlichen Segens gelten, wird jetzt ein unerträgliches Sattsein entgegengesetzt, das aus einer übergroßen Last von Erniedrigungen besteht. Und wir wissen, daß heute viele Nationen, viele Menschen tatsächlich mit Hohn überschüttet werden und daß sie den Spott der Genießer, die Verachtung der Stolzen »satt« haben. Beten wir für sie, und helfen wir unseren gedemütigten Brüdern.
Die Gerechten haben deshalb ihre Anliegen dem Herrn anvertraut, und er bleibt nicht gleichgültig gegenüber den flehenden Blicken, er ignoriert ihre und unsere Bitten nicht, er enttäuscht ihre Hoffnung nicht.
4. Zum Abschluß hören wir die Stimme des hl. Ambrosius, des großen Erzbischofs von Mailand, der im Geist des Psalmisten das Werk Gottes, das uns in Jesus, dem Erlöser, erreicht, poetisch zum Ausdruck bringt: »Christus ist alles für uns. Wenn du eine Wunde behandeln willst, ist er Arzt; wenn du vom Fieber ausgedorrt bist, ist er Quelle; wenn du durch Ungerechtigkeit unterdrückt wirst, ist er Gerechtigkeit; wenn du Hilfe brauchst, ist er Kraft; wenn du den Tod fürchtest, ist er Leben; wenn du den Himmel ersehnst, ist er Weg; wenn du die Finsternis fliehst, ist er Licht; wenn du Speise suchst, ist er Nahrung« (La verginità, 99: SAEMO, XIV/2, Mailand/ Rm 1989, S. 91
Das Gebet gleicht einem geistigen Erheben der Augen, einem hoffnungserfüllten Aufschauen zu Gott. Mit seinem Blick richtet der Beter sein Innerstes, seine Seele auf den Herrn. Aufmerksam gegenüber dem göttlichen Willen vertrauen die Gläubigen auf sein Eingreifen in Liebe und Güte, wie Psalm 123 sagt: „Wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, so schauen unsre Augen auf den Herrn, unsern Gott, bis er uns gnädig ist“ (V. 2).
Der Herr läßt sein Angesicht über den Seinen leuchten. Wir alle bedürfen der liebevollen Zuwendung Gottes; ohne seine Hilfe geht unser Leben fehl. Denn oft sind wir der Verachtung und des Spottes derer ausgesetzt, die Gott aus ihrem Leben ausschließen. Wir wissen, daß der Herr das Vertrauen und die Hoffnung der Seinen nicht enttäuscht. Wenn die Augen unseres Herzens seinem väterlichen Blick begegnen, erblüht in unserer Seele die Gnade und wir werden heil.
***
Mit großer Freude heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. In Jesus Christus erstrahlt uns das Antlitz der Liebe Gottes. Richtet eure Augen stets auf den Herrn! Ja, stellt euer ganzes Leben unter seine Führung! Er schaut in seiner Güte auf uns und schenkt uns die Fülle des Heils. Die Gnade Gottes sei allezeit mit euch!
22065
1 Israels Dank für die Befreiung [Ein Wallfahrtslied Davids.] Hätte sich nicht der Herr für uns eingesetzt - so soll Israel sagen -,
2 hätte sich nicht der Herr für uns eingesetzt, als sich gegen uns Menschen erhoben,
3 dann hätten sie uns lebendig verschlungen, als gegen uns ihr Zorn entbrannt war.
4 Dann hätten die Wasser uns weggespült, hätte sich über uns ein Wildbach ergossen.
5 Dann hätten sich über uns die Wasser ergossen, die wilden und wogenden Wasser.
6 Gelobt sei der Herr, der uns nicht ihren Zähnen als Beute überließ.
7 Unsre Seele ist wie ein Vogel dem Netz des Jägers entkommen; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei.
8 Unsre Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Vor uns haben wir Psalm 124, ein Danklied, das von der ganzen betenden Gemeinde angestimmt wird, um Gott für das Geschenk der Befreiung zu preisen. Der Psalmist fordert zu Beginn auf: »So soll Israel sagen« (V. 1), und er spornt das ganze Volk an, dem Gott und Retter lebhaft und aufrichtig Dank zu sagen. Wenn der Herr sich nicht auf die Seite der Opfer gestellt hätte, wären diese mit ihren beschränkten Kräften unfähig gewesen, sich zu befreien, und die Feinde, die Ungeheuern ähneln, hätten sie gequält und zermalmt.
Auch wenn man zunächst an ein besonderes geschichtliches Ereignis wie das Ende der Babylonischen Gefangenschaft gedacht hat, ist es wahrscheinlicher, daß der Psalm ein Lied sein soll, mit dem man dem Herrn für die überstandenen Gefahren danken und ihn um die Befreiung von jedem Übel bitten will. In diesem Sinn ist der Psalm immer noch aktuell.
2. Nach dem anfänglichen Hinweis auf gewisse »Menschen«, die die Gläubigen bedrängten und imstande gewesen wären, sie »lebendig zu verschlingen« (vgl. V. 2-3), folgen zwei Abschnitte des Liedes. Im ersten Teil herrschen die Wasserfluten vor, für die Bibel das Symbol des zerstörerischen Chaos, des Bösen und des Todes: »Dann hätten die Wasser uns weggespült, hätte sich über uns ein Wildbach ergossen. Dann hätten sich über uns die Wasser ergossen, die wilden und wogenden Wasser« (V. 4-5). Der Beter hat jetzt das Gefühl, an einem Strand zu sein, wie durch ein Wunder gerettet vor der wilden Flut des Meeres.
Das Leben des Menschen ist von Feinden umringt, die ihm auflauern und ihm nicht nur nach dem Leben trachten, sondern auch alle menschlichen Werte zerstören wollen. Wir sehen, daß auch heutzutage diese Gefahren bestehen. Aber der Herr erhebt sich - dessen können wir auch heute sicher sein - zum Schutz des Gerechten und rettet ihn, wie es in Psalm 18 heißt: »Er griff aus der Höhe herab und faßte mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern. Er entriß mich meinen mächtigen Feinden, die stärker waren als ich und mich haßten … Er führte mich hinaus ins Weite, er befreite mich, denn er hatte an mir Gefallen« (vgl. V. 17-20). Der Herr hat wirklich an uns Gefallen. Das ist unsere Sicherheit und der Grund unseres großen Vertrauens.
3. Im zweiten Teil unseres Dankliedes geht man vom maritimen Bild zu einer Jagdszene über, die für viele Bittpsalmen typisch ist (vgl. Ps 124,6-8). Denn hier findet sich der Hinweis auf ein wildes Tier, das eine Beute zwischen seinen Zähnen hat, oder auf ein Netz des Jägers, das einen Vogel fängt. Aber der im Psalm ausgesprochene Segen gibt uns zu verstehen, daß die Bestimmung der Gläubigen, die der Tod war, radikal umgekehrt wurde durch ein heilbringendes Eingreifen: »Gelobt sei der Herr, der uns nicht ihren Zähnen als Beute überließ. Unsere Seele ist wie ein Vogel dem Netz des Jägers entkommen; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei« (V. 6-7).
Das Gebet wird hier zum Seufzer der Erleichterung, der aus dem Innersten der Seele aufsteigt. Auch wenn alle menschlichen Hoffnungen zerstört werden, kann die befreiende göttliche Macht noch erscheinen. Der Psalm kann man also mit einem Bekenntnis des Glaubens schließen, das seit Jahrhunderten in der christlichen Liturgie Eingang gefunden hat als ideale Einleitung zu allen unseren Gebeten: »Adiutorium nostrum in nomine Domini, qui fecit caelum et terram - Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat« (V. 8). Der Allmächtige stellt sich besonders auf die Seite der Opfer und der Verfolgten, »die Tag und Nacht zu ihm schreien«, und »er wird ihnen unverzüglich Recht verschaffen« (vgl. Lc 18,7-8).
4. Der hl. Augustinus gibt zu diesem Psalm einen ausführlichen Kommentar. Zunächst merkt er an, daß dieser Psalm in angemessener Weise von den »Gliedern Christi, die das Glück erlangt haben«, gesungen wird. Insbesondere »haben ihn die heiligen Märtyrer gesungen, die diese Welt verlassen haben und mit Christus in die Herrlichkeit eingegangen sind, bereit, die unvergänglichen Leiber, die zuvor vergänglich waren, anzunehmen. In ihrem Erdenleben erlitten sie Qualen am Körper, aber in der Ewigkeit verwandeln sich diese Qualen in eine Zierde der Gerechtigkeit«. Augustinus spricht von den Märtyrern aller Zeiten, auch unseres Jahrhunderts.
In einem zweiten Teil sagt uns der Bischof von Hippo jedoch, daß nicht nur die Seligen im Himmel, sondern auch wir diesen Psalm voll Hoffnung singen können. Er erklärt: »Auch wir sind von sicherer Hoffnung beseelt und singen jubelnd. Denn die Sänger dieses Psalms sind uns nicht fremd … Deshalb singen wir alle in Einheit der Herzen. Die Heiligen besitzen schon die Krone; wir vereinen uns in Liebe und hoffen auf ihre Krone. Gemeinsam ersehnen wir das Leben, das wir hier unten nicht haben können und das wir nie haben können, wenn wir es nicht zuvor ersehnen.«
Augustinus kehrt dann zum ersten Ausblick zurück und erklärt: »Die Heiligen erinnern sich der Leiden, die sie ertragen haben, und vom Ort der Seligkeit und Ruhe, wo sie jetzt sind, schauen sie auf den Weg, den sie zurücklegen mußten, um dorthin zu kommen; und weil es schwierig gewesen wäre, die Befreiung zu erlangen, wenn ihnen nicht die Hand des Befreiers zu Hilfe gekommen wäre, rufen sie voll Freude: ›Hätte sich nicht der Herr für uns eingesetzt.‹ So beginnt ihr Lied. Sie erwähnen nicht einmal, wem sie entronnen sind, so groß ist ihr Jubel« (Esposizione sul Salmo 123,3: Nuova Biblioteca Agostiniana, XXVIII, Roma 1977, S. 65).
Das rettende Eingreifen Gottes in Situationen der Bedrängnis ist eine Grunderfahrung des alttestamentlichen Gottesvolkes. Psalm 124, der uns zu Beginn dieser Audienz zu Gehör gebracht wurde, lädt dazu ein, in der Gesinnung froher Danksagung die Errettung durch Gott zu besingen: „Hätte sich nicht der Herr für uns eingesetzt ... - so soll Israel sagen“. In der Bedrängnis, die der Psalmist in den Bildern der Wasserfluten und der Jagd beschreibt, erweist sich der Herr als Retter aus der Not.
Diese Erfahrung Israels teilt das Gottesvolk des neuen Bundes. Der Christ weiß: Gott steht auf der Seite der Bedrängten, Verfolgten und Unterdrückten, die Tag und Nacht zu ihm rufen (vgl. Lc 18,7). Gerade wo menschliche Hoffnungen zerbrechen, wird die Größe seiner erlösenden Macht sichtbar. Die Antwort darauf ist das Bekenntnis des Psalmisten, das in die Liturgie Eingang gefunden hat: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat“.
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Von Herzen grüße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Gott ist mit uns und sieht auf uns. In Not und Gefahr ist er uns Schutz und Hilfe. Vertraut ihm alles an, was Euch bedrückt. Euer Leben werde zu einem frohen Lobpreis Gottes und seiner Heilstaten. - Euch allen wünsche ich eine angenehme Zeit der Erholung und der geistlichen Erbauung hier in Rom. Der Herr segne Euch alle!
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Ep 1,3 Ep 1,7-8
3 Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.
4 Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott;
5 er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen,
6 zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn;
7 durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade.
8 Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt
9 und hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im voraus bestimmt hat:
10 Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist.
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Heute haben wir keinen Psalm gehört, sondern einen Hymnus, der dem Brief an die Epheser entnommen ist (vgl. Ep 1,3-14) und der in der Liturgie der Vesper in jeder der vier Wochen wiederkehrt. Dieser Hymnus ist ein Segensgebet, das an Gott, den Vater, gerichtet wird. In seinem Verlauf beschreibt er die verschiedenen Etappen des Heilsplans, der durch das Werk Christi vollbracht wird.
Im Mittelteil des Lobliedes erklingt das griechische Wort mysterion, ein Ausdruck, der gewöhnlich mit den Verben der Offenbarung verbunden wird (»offenbaren«, »erkennen«, »kundtun«). Denn das ist der große, geheime Plan, den der Vater von Ewigkeit her bestimmt hat (vgl. V. 9) und den er »in der Fülle der Zeiten« (vgl. V. 10) in seinem Sohn Jesus Christus zu verwirklichen und zu offenbaren beschlossen hat.
In dem Lied werden die Stufen dieses Plans durch die verschiedenen Heilstaten Gottes durch Christus im Heiligen Geist verdeutlicht. Der Vater erwählt uns - das ist die erste Tat - schon von Ewigkeit her, damit wir in der Liebe heilig und untadelig leben (vgl. V. 4); dann bestimmt er uns dazu, seine Söhne zu sein (vgl. V. 5-6); im weiteren erlöst er uns und vergibt uns die Sünden (vgl. V. 7-8); er enthüllt uns vollkommen das Geheimnis der Erlösung in Christus (vgl. V. 9-10); schließlich gibt er uns das ewige Erbe (vgl. V. 11-12), indem er uns dessen ersten Anteil im Geschenk des Heiligen Geistes im Hinblick auf die endgültige Auferstehung anbietet (vgl. V. 13-14).
2. Die im Verlauf des Liedes aufeinanderfolgenden Heilsereignisse sind vielfältig. Sie beziehen die drei Personen der Heiligsten Dreifaltigkeit mit ein: Vom Vater wird ausgegangen, er ist der Urheber und höchste Schöpfer des Heilsplans; dann richtet sich der Blick auf den Sohn, der den Plan in der Geschichte verwirklicht; nun kommt der Heilige Geist, der dem ganzen Heilswerk sein »Siegel« einprägt. Wir verweilen kurz bei den ersten beiden Abschnitten, dem der Heiligkeit und dem der Sohnschaft (vgl. V. 4-6).
Die erste in Christus geoffenbarte und verwirklichte göttliche Geste ist die Erwählung der Gläubigen, die Frucht einer freien und ungeschuldeten Initiative Gottes ist. Am Anfang, »vor der Erschaffung der Welt« also (V. 4), in der Ewigkeit Gottes, ist die göttliche Gnade bereit zu handeln. Es berührt mich, über diese Wahrheit nachzudenken: Von Ewigkeit her sind wir vor den Augen Gottes, und er hat beschlossen, uns zu retten. Diese Berufung beinhaltet unsere »Heiligkeit «, ein tiefes Wort. Heiligkeit ist Teilhabe an der Reinheit des göttlichen Seins. Aber wir wissen, daß Gott Liebe ist. An der göttlichen Reinheit teilhaben heißt also an der »Liebe« Gottes teilhaben, Gott ähnlich zu werden, der »Liebe« ist. »Gott ist die Liebe« (1Jn 4,8 1Jn 4,16). Das ist die tröstliche Wahrheit, die uns auch erkennen läßt, daß »Heiligkeit « keine unserem Leben fernliegende Wirklichkeit ist, sondern weil wir Personen werden können, die mit Gott lieben, treten wir in das Geheimnis der »Heiligkeit« ein. So wird die agape unsere tägliche Wirklichkeit. Wir werden dadurch in den heiligen und lebendigen Horizont Gottes hineingetragen.
3. Auf dieser Linie geht es weiter zum nächsten Abschnitt, der im göttlichen Plan auch schon von Ewigkeit her beschlossen war: unsere »Vorausbestimmung « zu Kindern Gottes.
Nicht nur zu menschlichen Geschöpfen, sondern zu Kindern, die Gott tatsächlich gehören. Paulus betont an anderem Ort (vgl. Ga 4,5 Rm 8,15 Rm 8,23) diese erhabene Stellung als Söhne, die sich aus der Verwandtschaft mit Christus, dem Sohn schlechthin, dem »Erstgeborenen von vielen Brüdern« (Rm 8,29), ergibt und sie einschließt; ebenso ergibt sich daraus die Vertrautheit gegenüber dem himmlischen Vater, der jetzt als abbá, »lieber Vater«, in einer spontanen und liebevollen Beziehung angerufen werden kann. Wir haben somit ein überaus großes Geschenk vor uns, das »nach dem gnädigen Willen« Gottes und »seiner Gnade« ermöglicht wurde, dem leuchtenden Ausdruck der Liebe, die heilt.
4. Zum Schluß widmen wir uns nun dem großen Bischof von Mailand, Ambrosius, der in einem seiner Briefe die Worte des Apostels Paulus an die Epheser kommentiert und genau bei dem Inhaltsreichtum unseres christologischen Hymnus verweilt. Er betont vor allem die überreiche Gnade, mit der Gott uns zu seinen Kindern in Jesus Christus gemacht hat. »Deshalb ist nicht daran zu zweifeln, daß die Glieder mit ihrem Haupt verbunden sind, vor allem weil wir von Anfang an zur Gotteskindschaft durch Jesus Christus bestimmt waren« (Lettera XVI ad Ireneo, 4: SAEMO, XIX, Mailand-Rom 1988, S. 161).
Der heilige Bischof von Mailand setzt seine Reflexion fort und bemerkt: »Wer ist denn reich, wenn nicht Gott allein, der Schöpfer von allem?« Und er schließt mit den Worten: »Aber er ist noch viel reicher an Erbarmen, denn er hat alle erlöst. Als Urheber der Natur hat er uns verwandelt - die wir der Natur des Fleisches nach Söhne des Zorns waren und der Strafe unterworfen -, damit wir Söhne des Friedens und der Liebe sind« (Nr. 7: ebd., S. 163).
Der Hymnus aus dem ersten Kapitel des Briefes an die Epheser, den wir zu Beginn dieser Audienz vernommen haben, ist ein Lobpreis auf den ewigen Heilsplan des Dreieinigen Gottes: Gott Vater ist der Urheber und Schöpfer dieses Plans, der Sohn verwirklicht ihn in der Geschichte, und der Heilige Geist verleiht dem ganzen Heilswerk sein Siegel.
Wir Christen sind zur Heiligkeit berufen, durch die wir teilhaben an der Reinheit des Seins Gottes. Die Liebe, die Gott selbst ist, wird so zu unserer eigenen tiefen moralischen Wirklichkeit. Gott hat uns schließlich dazu bestimmt, seine Söhne und Töchter zu werden. In dieser Gotteskindschaft ist Christus unser Bruder und durch Ihn stehen wir in einer unbefangenen und liebevollen Gottesbeziehung. Daher dürfen wir Gott vertrauensvoll Abba, Vater, nennen.
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Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern und aus Belgien. Besonders grüße ich heute die zahlreichen Jugendlichen, unter ihnen den Lateinkurs des Gymnasiums Schloß Neubeuern. Gott macht uns in Christus Jesus zu Erben seines Reiches. Bringt daher in Eurem Leben die Würde der Gotteskindschaft stets neu zum Leuchten! - Die kommenden Wochen des Sommers und der Ferien mögen Euch allen Erholung an Leib und Seele schenken. Gottes Geist geleite Euch!
Generalaudienzen 2005-2013 10605