Generalaudienzen 2005-2013 27096
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Liebe Brüder und Schwestern!
Wir wollen unsere Begegnungen mit den zwölf Aposteln, die direkt von Jesus erwählt worden sind, fortsetzen und widmen unsere Aufmerksamkeit heute dem hl. Thomas. Er wird in allen vier vom Neuen Testament zusammengestellten Listen erwähnt; in den ersten drei Evangelien steht er neben Matthäus (vgl. Mt 10,3 Mc 3,18 Lc 6,15), während er in der Apostelgeschichte neben Philippus zu finden ist (vgl. Ac 1,13). Sein Name leitet sich aus einer hebräischen Wurzel ab, »ta’am«, was »gepaart« oder »Zwilling« bedeutet. In der Tat nennt ihn das Johannesevangelium mehrmals mit dem Beinamen »Didymus« (vgl. Jn 11,16 Jn 20,24 Jn 21,2), was auf griechisch »Zwilling« heißt. Warum er diesen Beinamen hatte, wird nicht deutlich.
Vor allem das Vierte Evangelium bietet uns einige Angaben, die bedeutsame Züge seiner Persönlichkeit nachzeichnen. Die erste betrifft seine Mahnung an die anderen Apostel, als Jesus sich in einem kritischen Augenblick seines Lebens entschloß, nach Betanien zu gehen, um Lazarus wiederzuerwecken. Damit kam er Jerusalem gefährlich nahe (vgl. Mc 10,32). Damals sagte Thomas zu den anderen Jüngern: »Dann laßt uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben« (Jn 11,16). Diese seine Entschlossenheit in der Nachfolge des Meisters ist wirklich beispielhaft und bietet uns eine wertvolle Lehre: Sie offenbart die totale Verfügbarkeit in der Treue zu Jesus, bis hin zur Identifikation des eigenen Schicksals mit dem seinen und dem Wunsch, mit ihm die höchste Prüfung des Todes zu teilen. Das Wichtigste ist tatsächlich, sich nie von Jesus zu trennen. Im übrigen gebrauchen die Evangelisten das Verb »nachfolgen«, um damit auszudrücken: Wohin Jesus geht, dorthin muß auch sein Jünger gehen. Auf diese Weise wird das christliche Leben als ein Leben mit Jesus Christus bestimmt, ein Leben, das gemeinsam mit ihm gelebt werden muß. Der hl. Paulus schreibt etwas Ähnliches, als er den Christen von Korinth versichert: »Ihr wohnt in unserem Herzen, verbunden mit uns zum Leben und zum Sterben« (2Co 7,3). Was zwischen dem Apostel und »seinen« Christen geschieht, muß natürlich zuallererst für die Beziehung zwischen den Christen und Jesus selbst gelten: zusammen sterben, zusammen leben, in seinem Herzen wohnen, wie er in unserem Herzen wohnt.
Ein zweites Eingreifen des Thomas ist im Bericht vom Letzten Abendmahl enthalten. Hier sagt Jesus nach der Ankündigung seines bevorstehenden Todes, daß er gehe, um für die Jünger einen Platz vorzubereiten, damit auch sie dort seien, wo er ist; und er erläutert ihnen: »Und wohin ich gehe - den Weg dorthin kennt ihr« (Jn 14,4). Da greift Thomas ein und sagt: »Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?« (Jn 14,5). Tatsächlich stellt er sich mit dieser Bemerkung auf eine relativ niedrige Verständnisebene, aber seine Frage veranlaßt Jesus, das berühmte Wort auszusprechen: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben« (Jn 14,6). Es ist also primär Thomas, an den sich diese Offenbarung richtet; sie gilt aber für uns alle und für alle Zeiten. Jedesmal wenn wir diese Worte hören oder lesen, können wir in Gedanken neben Thomas stehen und uns vorstellen, daß der Herr auch mit uns so spricht, wie er mit ihm gesprochen hat. Gleichzeitig gibt seine Frage auch uns sozusagen das Recht, Jesus um Erklärungen zu bitten. Oft begreifen wir ihn nicht. Haben wir den Mut zu sagen: Ich verstehe dich nicht, Herr, höre mich, hilf mir zu begreifen! Auf diese Weise, mit diesem Freimut, der die wahre Art des Betens, des Sprechens mit Jesus ist, bringen wir die Begrenztheit unserer Verständnisfähigkeit zum Ausdruck, während wir gleichzeitig die vertrauensvolle Haltung desjenigen einnehmen, der das Licht und die Kraft von dem erwartet, der sie zu schenken vermag.
Sehr bekannt und geradezu sprichwörtlich ist sodann die Szene des ungläubigen Thomas, die sich acht Tage nach Ostern abspielte. Im ersten Moment hatte er nicht geglaubt, daß in seiner Abwesenheit Jesus erschienen war, und hatte gesagt: »Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht« (Jn 20,25). Im Grunde geht aus diesen Worten die Überzeugung hervor, daß Jesus nun nicht mehr so sehr an seinem Antlitz als vielmehr an den Wundmalen zu erkennen sei. Thomas meint, daß die für die Identität Jesu ausschlaggebenden Zeichen jetzt vor allem die Wundmale seien, an denen offenbar wird, wie sehr er uns geliebt hat. Darin irrt der Apostel nicht. Wie wir wissen, erscheint Jesus acht Tage später wieder unter seinen Jüngern, und diesmal ist Thomas anwesend. Und Jesus fordert ihn auf: »Streck deinen Finger aus - hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig« (Jn 20,27). Thomas reagiert mit dem schönsten Glaubensbekenntnis des ganzen Neuen Testaments: »Mein Herr und mein Gott!« (Jn 20,28). Dazu merkt der hl. Augustinus an: Thomas »sah und berührte den Menschen, bekannte aber seinen Glauben an Gott, den er weder sah noch berührte. Was er aber sah und berührte, veranlaßte ihn, an das zu glauben, woran er bis dahin gezweifelt hatte« (In Ioann. 121,5). Der Evangelist fährt mit einem letzten Wort Jesu an Thomas fort: »Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht gesehen haben und doch glauben werden.« Diesen Satz kann man auch ins Präsens setzen: »Selig sind, die nicht sehen und doch glauben« (Jn 20,29). Auf jeden Fall spricht Jesus ein grundlegendes Prinzip für die Christen aus, die nach Thomas kommen werden, also für uns alle. Es ist interessant zu sehen, daß ein anderer Thomas, der große mittelalterliche Theologe aus Aquin, dieser Seligpreisung jene scheinbar gegensätzliche an die Seite stellt, die von Lukas überliefert wird: »Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht« (Lc 10,23). Doch der Aquinate kommentiert: »Viel mehr Verdienst hat der, der glaubt, ohne zu sehen, als der, der sieht und glaubt« (In Ioann. XX lectio VI § 2566). Tatsächlich definiert der Hebräerbrief unter Berufung auf die lange Reihe der biblischen Patriarchen, die an Gott glaubten, ohne die Erfüllung seiner Verheißungen zu sehen, den Glauben als »Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht« (He 11,1). Der Fall des Apostels Thomas ist für uns aus mindestens drei Gründen wichtig: erstens, weil er uns in unseren Ungewißheiten tröstet; zweitens, weil er uns zeigt, daß jeder Zweifel über alle Ungewißheiten hinaus zum Licht führen kann; und schließlich, weil die an Thomas gerichteten Worte Jesu uns den wahren Sinn des reifen Glaubens in Erinnerung rufen und uns ermutigen, ungeachtet der Schwierigkeiten auf unserem Weg der Treue zu Jesus weiterzugehen.
Eine letzte Bemerkung über Thomas ist im Vierten Evangelium erhalten, das ihn als Zeugen des Auferstandenen unmittelbar nach dem wunderbaren Fischfang auf dem See von Tiberias anführt (vgl. Jn 21,2). Bei dieser Gelegenheit wird er sogar gleich nach Simon Petrus erwähnt: ein offenkundiges Zeichen für die große Bedeutung, derer er sich innerhalb der ersten christlichen Gemeinden erfreute. In seinem Namen wurden dann in der Tat die Thomasakten und das Thomasevangelium geschrieben, beides apokryphe Schriften, aber dennoch wichtig für das Studium der Anfänge des Christentums. Schließlich erinnern wir noch daran, daß einer alten Überlieferung zufolge Thomas zuerst Syrien und Persien evangelisierte (so berichtet schon Origines, zitiert von Eusebius von Caesarea, Hist. eccl.3,1), dann bis in das westliche Indien vordrang (vgl. Thomasakten 1-2 und 17 ff.), von wo aus er schließlich auch Südindien erreichte. Mit dieser missionarischen Perspektive beenden wir unsere heutigen Überlegungen und bringen den Wunsch zum Ausdruck, daß das Vorbild des Thomas unseren Glauben an Jesus Christus, unseren Herrn und Gott, immer mehr stärken möge.
In der Reihe der Katechesen über die zwölf Apostel gelangen wir heute zum heiligen Thomas, der uns vor allem im Johannesevangelium näher vorgestellt wird. Geradezu sprichwörtlich ist er uns als der „ungläubige Thomas“ bekannt, der nach der Auferstehung darauf besteht, seinen Finger in die Male der Nägel und seine Hand in die Seite Jesu zu legen (vgl. Jn 20,25). Doch durch die Gnade Gottes wird aus dem zweifelnden Thomas ein sehender und ein bekennender: Die Wundmale Christi bezeugen seine übergroße Liebe, und Thomas bekennt aus ganzem Herzen: „Mein Herr und mein Gott!“ (Jn 20,28). Auch die anderen beiden Stellen, an denen der Apostel Thomas im Johannesevangelium zu Wort kommt, zeigen uns, daß das Leben eines Apostels ganz auf Christus ausgerichtet ist. Viele Jünger hatten Angst, mit Jesus nach Betanien bei Jerusalem zu gehen, doch Thomas sagt: „Laßt uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben“ (Jn 11,16). Nichts ist wichtiger, als Jesus nachzufolgen und ganz bei ihm zu sein! Denn Jesus sagt selbst beim letzten Abendmahl zu Thomas: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Jn 14,6).
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Mit diesen Gedanken begrüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher hier auf dem Petersplatz, ganz besonders die vielen Schülergruppen und die Wallfahrer aus den Diözesen Görlitz und Innsbruck, die mit Altbischof Rudolf Müller und Diözesanbischof Manfred Scheuer nach Rom gepilgert sind. Euch alle lade ich ein, das Beispiel des Apostels Thomas nachzuahmen: Lassen wir uns nicht durch Zweifel und Ängste verunsichern! Wenden wir uns mit unseren Fragen und Sorgen vertrauensvoll an den auferstandenen Herrn. Er ist uns nahe und ruft uns auch heute in seine Nachfolge, und auch heute kann man mit ihm gehen, ist es der richtige Weg, mit ihm zu gehen. Gott segne euch und eure Familien.
41006
Liebe Brüder und Schwestern!
In der Reihe der Apostel, die von Jesus während seines Erdenlebens berufen worden sind, ist es heute der Apostel Bartholomäus, der unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. In den antiken Verzeichnissen der Zwölf wird er immer vor Matthäus genannt, während der Name des Jüngers, der ihm selbst vorangeht, variiert und entweder Philippus (vgl. Mt 10,3 Mc 3,18 Lc 6,14) oder Thomas (vgl. Ac 1,13) sein kann. Sein Name ist eindeutig ein Patronymikum, da er einen ausdrücklichem Bezug auf den Namen des Vaters hat. Denn es handelt sich um einen Namen, der wahrscheinlich aramäischer Prägung ist: »bar Talmay«, was »Sohn des Talmay« bedeutet.
Über Bartholomäus haben wir keine besonderen Angaben; sein Name erscheint nämlich immer nur in den oben erwähnten Listen der Zwölf und steht also nie im Mittelpunkt irgendeines Berichtes. Er wird jedoch traditionsgemäß mit Natanaël identifiziert: ein Name, der »Gott hat gegeben« bedeutet. Dieser Natanaël stammte aus Kana (vgl. Jn 21,2); es ist also möglich, daß er Zeuge des großen »Zeichens« gewesen ist, das Jesus an jenem Ort vollbrachte (vgl. Jn 2,1-11). Die Gleichsetzung der beiden Personen hat ihren Grund wahrscheinlich darin, daß dieser Natanaël in der Berufungsszene, von der das Johannesevangelium berichtet, an die Seite des Philippus gestellt wird, das heißt an den Platz, den in den von den anderen Evangelien wiedergegebenen Apostellisten Bartholomäus einnimmt. Diesem Natanaël hatte Philippus mitgeteilt, daß sie den gefunden haben, »über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazaret, den Sohn Josefs« (Jn 1,45). Wie wir wissen, hielt ihm Natanaël ein ziemlich schweres Vorurteil entgegen: »Aus Nazaret? Kann von dort etwas Gutes kommen?« (Jn 1,46). Diese Art von Ablehnung ist in gewisser Weise für uns wichtig. Sie läßt uns nämlich sehen, daß den jüdischen Erwartungen nach der Messias nicht aus einem derart unbekannten Dorf stammen konnte, wie es eben Nazaret war (vgl. auch Jn 7,42). Zugleich macht sie jedoch auch die Freiheit Gottes deutlich, der uns in unseren Erwartungen überrascht und gerade dort zu finden ist, wo wir ihn nicht erwarten würden. Andererseits wissen wir, daß Jesus in Wirklichkeit nicht ausschließlich »aus Nazaret« war, sondern in Betlehem geboren wurde (vgl. Mt 2,1 Lc 2,4) und daß er letzten Endes vom Himmel kam, vom Vater, der im Himmel ist.
Die Geschichte von Natanaël gibt uns Anregung zu einer weiteren Überlegung: In unserer Beziehung zu Jesus dürfen wir uns nicht allein mit Worten zufriedengeben. In seiner Antwort richtet Philippus eine bedeutsame Einladung an Natanaël: »Komm und sieh!« (Jn 1,46). Unsere Kenntnis von Jesus bedarf vor allem einer lebendigen Erfahrung: Das Zeugnis der anderen ist sicherlich wichtig, da ja in der Regel unser ganzes christliches Leben mit der Verkündigung beginnt, die durch einen oder mehrere Zeugen zu uns gelangt. Aber dann müssen wir es selbst sein, die persönlich in eine innige und tiefe Beziehung zu Jesus hineingenommen werden. In ähnlicher Weise wollten die Samariter direkt mit Jesus selbst sprechen, nachdem sie das Zeugnis ihrer Mitbürgerin gehört hatten, der Jesus am Jakobsbrunnen begegnet war, und nach diesem Gespräch sagten sie zu der Frau: »Nicht mehr aufgrund deiner Aussage glauben wir, sondern weil wir ihn selbst gehört haben und nun wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt« (Jn 4,42).
Kehren wir zur Berufungsszene zurück, wo uns der Evangelist berichtet, daß Jesus, als er Natanaël näherkommen sieht, ausruft: »Da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit« (Jn 1,47). Es handelt sich um ein Lob, das einen Psalm in Erinnerung ruft: »Wohl dem Menschen, … dessen Herz keine Falschheit kennt« (Ps 32,2). Aber es weckt die Neugier Natanaëls, der erstaunt erwidert: »Woher kennst du mich?« (Jn 1,48). Die Antwort Jesu ist nicht sofort verständlich. Er sagt: »Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen« (Jn 1,48). Wir wissen nicht, was unter diesem Feigenbaum geschehen war. Offensichtlich handelt es sich um einen entscheidenden Augenblick im Leben Natanaëls. Er fühlt sich von diesen Worten Jesu zutiefst berührt, er fühlt sich verstanden und begreift: Dieser Mann weiß alles über mich, er weiß und kennt den Weg des Lebens, diesem Mann kann ich mich wirklich anvertrauen. Und so antwortet er mit einem klaren und schönen Glaubensbekenntnis, wenn er sagt: »Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel!« (Jn 1,49). In diesem Bekenntnis ist ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg der Treue zu Jesus gegeben. Die Worte Natanaëls werfen Licht auf einen doppelten, komplementären Aspekt der Identität Jesu: Er wird sowohl in seiner besonderen Beziehung zu Gott Vater erkannt, dessen eingeborener Sohn er ist, als auch in seiner Beziehung zum Volk Israel, zu dessen König er erklärt wird; dieser Titel ist dem erwarteten Messias zu eigen. Wir dürfen niemals weder das eine noch das andere dieser beiden Elemente aus den Augen verlieren, denn falls wir nur die himmlische Dimension Jesu verkünden, laufen wir Gefahr, aus ihm ein ätherisches und substanzloses Wesen zu machen; und wenn wir umgekehrt nur seinen konkreten Ort in der Geschichte anerkennen, vernachlässigen wir letztendlich die göttliche Dimension, die ihn eigentlich kennzeichnet.
Über die nachfolgende apostolische Tätigkeit des Bartholomäus-Natanaël haben wir keine genauen Angaben. Nach einer vom Historiker Eusebius im vierten Jahrhundert überlieferten Information soll ein gewisser Pantenus sogar in Indien Zeichen der Anwesenheit des Bartholomäus gefunden haben (vgl. Hist. eccl., V,10,3). In der späteren Überlieferung, seit dem Mittelalter, verbreitete sich die Erzählung von seinem Tod durch das Abziehen der Haut bei lebendigem Leib, die dann sehr populär wurde. Man denke an die berühmte Darstellung des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle, in der Michelangelo den hl. Bartholomäus malte, der in der linken Hand die eigene Haut hält, auf der der Künstler sein Selbstbildnis hinterließ. Seine Reliquien werden hier in Rom in der ihm geweihten Kirche auf der Tiberinsel verehrt, wohin sie vom deutschen Kaiser Otto III. im Jahr 983 gebracht worden sein sollen. Abschließend können wir sagen, daß die Gestalt des hl. Bartholomäus trotz der wenigen Informationen, die sich auf ihn beziehen, dennoch vor uns steht, um uns zu sagen, daß die Treue zu Jesus auch ohne das Vollbringen sensationeller Werke gelebt und bezeugt werden kann. Außerordentlich ist und bleibt Jesus selbst, und jeder von uns ist dazu berufen, ihm sein Leben und seinen Tod zu weihen.
In der heutigen Katechese betrachten wir einen weiteren Jünger Jesu, den heiligen Bartolomäus. In den drei Apostellisten der Evangelien wird er immer unmittelbar nach Philippus genannt. Das ist vermutlich auch der Grund, warum die Tradition den Apostel Bartolomäus mit Natanaël identifiziert; denn dieser wurde, wie wir im Johannesevangelium hören, von Philippus zu Jesus geführt. Bartolomäus-Natanaël hatte zunächst große Vorbehalte gegen Jesus: „Kann denn aus Nazaret etwas Gutes kommen?“ (vgl. Jn 1,46). Er läßt sich aber doch einladen, ihn persönlich kennenzulernen. Im Gespräch darf er erkennen, daß Jesus von Grund auf mit ihm vertraut ist und Großes - die Berufung zum Apostel - für ihn bereithält. So überwindet Natanaël seine Vorurteile und bekennt: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel“ (Jn 1,49).
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Ganz herzlich begrüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern, die an dieser Audienz teilnehmen, sowie alle, die über Radio und Fernsehen mit uns verbunden sind. Einen besonderen Gruß richte ich an die offizielle Delegation der Gemeinde Aschau wo ich in die Schule gegangen bin, und an die Pilgergruppe der ermländischen Katholiken in Begleitung ihres Visitators. Ebenso gerne heiße ich die Gruppe "Brücke-Krücke" aus Bonn willkommen, die seit 25 Jahren behinderte und nichtbehinderte Jugendliche zum gemeinsamen Engagement zusammenführt. Viel Freude bereitet mir auch der Besuch des Landesjagdverbandes Bayern und seiner zahlreichen Jagdhornbläser: Danke für die schöne Musik. Eure Naturverbundenheit möge sich im Dienst an der wunderbaren Schöpfung Gottes bewähren. - Ich grüße alle weiteren Gruppen und Einzelpilger und lade euch ein, stets die persönliche Begegnung mit dem Herrn zu suchen. Der Herr schenke euch seine Gnade und seinen Segen!
11106
Liebe Brüder und Schwestern!
Heute widmen wir unsere Betrachtung zwei Aposteln aus der Reihe der Zwölf: Simon Kananäus und Judas Thaddäus (nicht zu verwechseln mit Judas Iskariot). Wir betrachten sie nicht nur deswegen gemeinsam, weil sie in den Listen der Zwölf immer nebeneinander angeführt werden (vgl. Mt 10,4 Mc 3,18 Lc 6,15 Ac 1,13), sondern auch, weil es nur wenige Nachrichten über sie gibt, abgesehen davon, daß der Kanon der neutestamentlichen Schriften einen Brief enthält, der Judas Thaddäus zugeschrieben wird.
Simon erhält einen Beinamen, der in den vier Listen variiert: Während Matthäus und Markus ihn als »Kananäus« bezeichnen, heißt er bei Lukas »der Zelot«. Tatsächlich entsprechen sich die beiden Bezeichnungen, da sie dasselbe bedeuten: Das hebräische Verb »qanà’« bedeutet nämlich »eifersüchtig, leidenschaftlich sein« und kann sowohl von Gott gesagt werden - da er eifersüchtig über das von ihm erwählte Volk wacht (vgl. Ex 20,5) -, als auch von Menschen, die vor Eifer brennen und mit voller Hingabe dem einzigen Gott dienen, wie Elia (vgl. 1R 19,10). Auch wenn dieser Simon nicht wirklich der nationalistischen Bewegung der Zeloten angehörte, ist es also gut möglich, daß ihn zumindest ein glühender Eifer für die jüdische Identität und damit für Gott, für sein Volk und für das göttliche Gesetz auszeichnete. Wenn das zutrifft, steht Simon in diametralem Gegensatz zu Matthäus, der als Zöllner einer Tätigkeit nachgegangen war, die als ganz und gar unrein angesehen wurde: ein offenkundiges Zeichen dafür, daß Jesus seine Jünger und Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten sozialen und religiösen Schichten beruft, ohne jemanden von vornherein auszuschließen. Ihn interessieren die Menschen, nicht die gesellschaftlichen Kategorien oder die Etiketten! Und das Schöne daran ist, daß in der Gruppe seiner Jünger alle Seite an Seite lebten trotz ihrer Verschiedenheit und unter Überwindung der vorstellbaren Schwierigkeiten: Der Grund des Zusammenhalts war nämlich Jesus selbst, in dem sich alle vereint fanden. Das ist eine deutliche Lehre für uns, die wir oft dazu neigen, die Unterschiede und vielleicht auch die Gegensätze hervorzuheben. Dabei vergessen wir, daß uns in Jesus Christus die Kraft gegeben ist, unsere Konflikte beizulegen. Bedenken wir auch, daß die Gruppe der Zwölf das Vorausbild der Kirche ist, in der Raum sein soll für alle Charismen, Völker, Rassen und alle menschlichen Eigenschaften, die ihren Zusammenhalt und ihre Einheit in der Gemeinschaft mit Jesus finden.
Was dann Judas Thaddäus betrifft, wird er von der Tradition so genannt, die zwei verschiedene Namen miteinander verbindet: Während nämlich Matthäus und Markus ihn einfach »Thaddäus « nennen (Mt 10,3 Mc 3,18), heißt er bei Lukas »Judas, der Sohn des Jakobus« (Lc 6,16 Ac 1,13). Der Beiname Thaddäus ist ungewisser Herkunft und wird entweder als Ableitung vom aramäischen »taddà’« erklärt, was »Brust« heißt und somit »großmütig« bedeuten würde, oder als Abkürzung eines griechischen Namens wie »Theódoros, Theodótos«. Von ihm ist wenig überliefert. Nur Johannes weist auf eine Frage hin, die dieser Apostel während des Letzten Abendmahls an Jesus richtete. Thaddäus sagt zum Herrn: »Herr, warum willst du dich nur uns offenbaren und nicht der Welt?« Das ist eine Frage von großer Aktualität, die auch wir an den Herrn richten: Warum hat sich der Auferstandene nicht seinen Widersachern in seiner ganzen Herrlichkeit offenbart, um zu zeigen, daß der Sieger Gott ist? Warum hat er sich nur seinen Jüngern offenbart? Die Antwort Jesu ist geheimnisvoll und tiefgründig. Der Herr sagt: »Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen« (Jn 14,22-23). Das will besagen, daß der Auferstandene gesehen und auch mit dem Herzen wahrgenommen werden muß, damit Gott in uns wohnen kann. Der Herr erscheint nicht wie eine Sache. Er will in unser Leben eintreten, und darum ist seine Offenbarung eine Offenbarung, die ein offenes Herz einschließt und voraussetzt. Nur so sehen wir den Auferstandenen.
Judas Thaddäus ist die Autorschaft eines der Briefe des Neuen Testaments zugeschrieben worden, die die »katholischen Briefe« genannt werden, weil sie nicht an eine bestimmte Ortskirche, sondern an einen sehr weiten Empfängerkreis gerichtet sind. Tatsächlich richtet sich der Judasbrief »an die Berufenen, die von Gott, dem Vater, geliebt und für Jesus Christus bestimmt und bewahrt sind« (V. 1). Die Hauptsorge dieser Schrift ist es, die Christen vor all jenen zu warnen, die Gottes Gnade zum Vorwand nehmen, um ihre eigene Zügellosigkeit zu entschuldigen und andere Brüder mit inakzeptablen Lehren irrezuleiten, wobei sie Spaltungen in die Kirche hineintragen, unter dem Antrieb ihrer »Träume« (vgl. V. 8), wie Judas diese ihre besonderen Lehren und Ideen nennt. Er vergleicht sie sogar mit den gefallenen Engeln und sagt mit scharfen Worten, daß »sie den Weg Kains gegangen sind« (V. 11). Zudem brandmarkt er sie rückhaltlos als »wasserlose Wolken…, von den Winden dahingetrieben; Bäume, die im Herbst keine Frucht tragen, zweimal verdorrt und entwurzelt; wilde Meereswogen, die ihre eigene Schande ans Land spülen; Sterne, die keine feste Bahn haben; ihnen ist auf ewig die dunkelste Finsternis bestimmt« (V. 12-13).
Heute sind wir vielleicht nicht mehr gewohnt, eine derart polemische Sprache zu benutzen, die uns dennoch etwas Wichtiges zu sagen hat. Inmitten aller Versuchungen, die es gibt, und inmitten aller Strömungen des modernen Lebens müssen wir die Identität unseres Glaubens bewahren. Gewiß muß der Weg der Nachsicht und des Dialogs, den das Zweite Vatikanische Konzil glücklicherweise eingeschlagen hat, mit fester Beständigkeit fortgesetzt werden. Aber dieser so notwendige Weg des Dialogs darf nicht die Pflicht vergessen lassen, die unverzichtbaren Grundzüge unserer christlichen Identität immer wieder zu bedenken und mit ebensoviel Kraft herauszustellen. Andererseits ist es notwendig, sich klarzumachen, daß diese unsere Identität angesichts der Widersprüchlichkeiten der Welt, in der wir leben, Kraft, Klarheit und Mut erfordert. Deshalb fährt der Brief so fort: »Ihr aber, liebe Brüder, gründet euch auf euren hochheiligen Glauben, und baut darauf weiter, betet in der Kraft des Heiligen Geistes, haltet fest an der Liebe Gottes und wartet auf das Erbarmen Jesu Christi, unseres Herrn, der euch das ewige Leben schenkt. Erbarmt euch derer, die zweifeln« (V. 20-22). Der Brief schließt mit diesen wunderschönen Worten: »Dem einen Gott aber, der die Macht hat, euch vor jedem Fehltritt zu bewahren und euch untadelig und voll Freude vor seine Herrlichkeit treten zu lassen, ihm, der uns durch Jesus Christus, unseren Herrn, rettet, gebührt die Herrlichkeit, Hoheit, Macht und Gewalt vor aller Zeit und jetzt und für alle Zeiten. Amen« (V. 24-25).
Man sieht gut, daß der Verfasser dieser Zeilen in Fülle seinen Glauben lebt, zu dem große Wirklichkeiten gehören, wie die moralische Integrität und die Freude, das Vertrauen und schließlich das Lob, und alles hat nur in der Güte unseres einzigen Gottes und in der Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus seinen Grund. Darum mögen uns sowohl Simon Kananäus als auch Judas Thaddäus helfen, die Schönheit des christlichen Glaubens immer wieder neu zu entdecken und unermüdlich zu leben, indem wir ein starkes und zugleich unbeschwertes Zeugnis von ihm ablegen.
Im Mittelpunkt der Katechese dieses Tages über die Apostel stehen heute die Heiligen Simon und Judas Thaddäus. In den Apostellisten werden sie immer zusammen angeführt. Simon wird dort „Kananäus“ oder „der Zelot“; d.h. „Eiferer“, genannt. Diese Beinamen bringen den Eifer dieses Jüngers für die jüdische Identität, für Gott und sein Bundesvolk und das Gesetz zum Ausdruck, erinnern uns daran, daß Matthäus, der Zöllner, der eher am Rand der jüdischen Identität war, auch zur Apostelgruppe gehörte, und daß in der Gemeinschaft Jesu unterschiedliche Temperamente, unterschiedliche Schichten und Charismen zur Einheit zusammenfinden - als Vorbild für die Kirche, in der auch Menschen, Völker, Gaben ganz unterschiedlicher Art durch ihn zur Einheit kommen. Der Beinamen Thaddäus bedeutet wohl soviel wie großmütig, ein Mann des weiten Herzens. Dieser Thaddäus hat Jesus im Abendmahlssaal gefragt, warum er sich als Auferstandener nicht der Welt, sondern nur den Seinen zeigen wollte. Und Jesus hat ihm erklärt, daß man den Auferstandenen von innen her mit dem Herzen sehen muß. Dieser Apostel Judas Thaddäus hat der Überlieferung nach die Urheberschaft des Judasbriefes im Neunen Testament, der uns nachdrücklich zu einem gelebten Christentum auffordert, dazu auffordert, nicht wie Irrlichter herumzulaufen, sondern klar und entschieden den Weg Jesu Christi zu gehen.
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Mit Freude grüße ich die vielen Pilger und Besucher deutscher Sprache. Unter ihnen heiße ich besonders die neugeweihten Priester und Diakone des Collegium Germanicum mit ihren Gästen willkommen. Einen herzlichen Gruß richte ich an die Pilger des Erzbistums Köln unter der Leitung von Joachim Kardinal Meisner anläßlich der Segnung der Edith-Stein-Statue am Petersdom, sowie an die Romwallfahrer aus den Diözesen Basel und Münster. Gerne begrüße ich auch die Offiziere aus Österreich und die großen Gruppen der Bischöflichen Schulen in Koblenz und Osnabrück sowie alle anderen Jugendgruppen. Ich freue mich, daß ihr da seid; herzlichen Dank! - Schauen wir auf die Apostel Simon und Judas Thaddäus. Sie mögen uns helfen, die Schönheit des Glaubens stets neu zu entdecken und in unserem eigenen Leben Gestalt werden zu lassen. Euch allen erbitte ich Gottes Segen für euren weiteren Weg.
Schließlich wende ich mich an die Jugendlichen, an die Kranken und an die Neuvermählten.In der Liturgie gedenkt die Kirche heute des sel. Johannes XXIII., meines verehrten Vorgängers, der mit vorbildlicher Hingabe Christus und der Kirche diente und stets Sorge trug für das Heil der Seelen. Sein Schutz stärke euch, liebe Jugendliche, in dem Bemühen um die tägliche Treue zu Christus; er ermutige euch, liebe Kranke, in der Stunde der Prüfung und des Leidens nicht das Vertrauen zu verlieren; er helfe euch, liebe neuvermählte Paare, eure Familie zu einer Schule des Wachsens in der Liebe zu Gott und den Brüdern zu machen.
18106
Liebe Brüder und Schwestern!
Wenn wir heute den Gang durch die Porträtgalerie der Apostel, die direkt von Jesus während seines Erdenlebens berufen wurden, beenden, können wir den nicht unerwähnt lassen, der in den Zwölferlisten immer als letzter genannt wird: Judas Iskariot. Mit ihm zusammen wollen wir hier denjenigen erwähnen, der dann an seiner Statt erwählt worden ist, nämlich Matthias.
Schon allein der Name Judas löst unter den Christen eine instinktive Reaktion der Ablehnung und der Verurteilung aus. Die Bedeutung des Beinamens »Iskariot« ist umstritten: Die am häufigsten akzeptierte Erklärung versteht ihn als »Mann aus Kerijot« und bezieht sich dabei auf seinen Herkunftsort, der bei Hebron liegt und in der Heiligen Schrift zweimal erwähnt wird (vgl. Jos Jos 15,25 Am 2,2). Andere interpretieren ihn als Variante des Begriffes »sicarius«, Meuchelmörder, als spiele er auf einen Freischärler an, der mit einem Dolch - lateinisch »sica« - bewaffnet ist. Schließlich sehen einige in dem Beinamen einfach die Transkription einer hebräisch-aramäischen Wurzel mit der Bedeutung: »der, der im Begriff war, ihn auszuliefern«. Diese Bezeichnung findet sich zweimal im Vierten Evangelium, und zwar nach einem Glaubensbekenntnis des Petrus (vgl. Jn 6,71) und dann während der Salbung in Betanien (vgl. Jn 12,4). Andere Stellen zeigen, daß der Verrat im Gange war, wenn es heißt: »der, der ihn verriet«; so während des Letzten Abendmahls, nach der Ankündigung des Verrats (vgl. Mt 26,25) und dann zum Zeitpunkt der Gefangennahme Jesu (vgl. Mt 26,46 Mt 26,48 Jn 18,2 Jn 18,5). Die Zwölferlisten hingegen erinnern an die bereits begangene Tat des Verrats: »Judas Iskariot, der ihn dann verraten hat«, sagt Markus (3,19); bei Matthäus (10,4) und Lukas (6,16) finden sich ähnliche Formulierungen. Der Verrat als solcher geschah in zwei Momenten: Zunächst in der Planung, als Judas sich mit den Feinden Jesu auf 30 Silberstücke einigte (vgl. Mt 26,14-16), und dann bei der Durchführung der Tat, als er in Getsemani den Meister küßte (vgl. Mt 26,46-50). Auf alle Fälle beharren die Evangelisten auf dem Apostelrang des Judas, der ihm in jeder Hinsicht zukam: Er wird wiederholt »einer der Zwölf« (Mt 26,14 Mt 26,47 Mc 14,10 Mc 14,20 Jn 6,71) genannt oder »der zu den Zwölf gehörte« (Lc 22,3). Ja, zweimal sagt Jesus »einer von euch«, als er sich an die Apostel wendet und von Judas spricht (Mt 26,21 Mc 14,18 Jn 6,70 Jn 13,21). Und Petrus wird über Judas sagen: »Er wurde zu uns gezählt und hatte Anteil am gleichen Dienst« (Ac 1,17).
Es handelt sich also um eine Gestalt, die zum Kreis derer gehörte, die Jesus sich als enge Gefährten und Mitarbeiter erwählt hatte. Das wirft bei dem Versuch, den Geschehnissen eine Erklärung zu geben, zwei Fragen auf. Die erste besteht darin, daß wir uns fragen, weshalb Jesus diesen Mann erwählt und ihm sein Vertrauen geschenkt hat. Denn obwohl Judas für die Kasse der Gruppe verantwortlich war (vgl. Jn 12,6 Jn 13,29), wird er tatsächlich auch als »Dieb« bezeichnet (Jn 12,6). Das Geheimnis der Erwählung bleibt bestehen, um so mehr, als Jesus ein sehr schweres Urteil über ihn spricht: »Weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird!« (Mt 26,24). Noch mehr verdichtet sich das Geheimnis seines ewigen Schicksals durch das Wissen, daß Judas seine Tat reute. »Er brachte den Hohenpriestern und den Ältesten die dreißig Silberstücke zurück und sagte: Ich habe gesündigt, ich habe euch einen unschuldigen Menschen ausgeliefert « (Mt 27,3-4). Obwohl er dann wegging, um sich zu erhängen (vgl. Mt 27,5), steht es uns nicht zu, seine Tat ermessen zu wollen und uns damit an die Stelle des unendlich barmherzigen und gerechten Gottes zu setzen.
Eine zweite Frage betrifft den Grund für das Verhalten des Judas: Warum verriet er Jesus? Die Frage ist Gegenstand verschiedener Hypothesen. Einige ziehen den Faktor seiner Geldgier heran. Andere befürworten eine Erklärung auf messianischer Ebene: Judas sei enttäuscht gewesen, als er gesehen habe, daß die politisch-militärische Befreiung seines Landes nicht zu den Plänen Jesu gehörte. In Wirklichkeit aber unterstreichen die Texte der Evangelien einen anderen Aspekt. Johannes sagt ausdrücklich: »Der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn zu verraten und auszuliefern« (Jn 13,2). Ähnlich schreibt Lukas: »Der Satan aber ergriff Besitz von Judas, genannt Iskariot, der zu den Zwölf gehörte« (Lc 22,3). Auf diese Weise geht man über die historischen Motivationen hinaus und erklärt das Geschehen auf der Grundlage der persönlichen Verantwortung des Judas, der einer Versuchung des Bösen auf erbärmliche Weise nachgab. Der Verrat des Judas bleibt auf jeden Fall ein Geheimnis. Jesus hat ihn als Freund behandelt (vgl. Mt 26,50); bei seinen Aufforderungen, ihm auf dem Weg der Seligpreisungen zu folgen, übte er jedoch niemals Zwang auf den menschlichen Willen aus, noch bewahrte er ihn vor den Versuchungen Satans und respektierte damit die menschliche Freiheit.
Die Möglichkeiten der Verirrung des menschlichen Herzens sind in der Tat zahlreich. Der einzige Weg, ihnen vorzubeugen, besteht darin, nicht nur eine rein individualistische, autonome Sicht der Dinge zu pflegen, sondern sich im Gegenteil immer wieder aufs neue auf die Seite Jesu zu stellen und seine Sichtweise anzunehmen. Wir müssen Tag für Tag versuchen, in vollkommener Gemeinschaft mit ihm zu stehen. Erinnern wir uns daran, daß auch Petrus sich Jesus und dem, was ihn in Jerusalem erwartete, widersetzen wollte, wofür er aber eine strenge Zurechtweisung erhielt: »Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen« (Mc 8,32-33)! Nach seinem Fall bereute Petrus und fand Vergebung und Gnade. Auch Judas bereute, aber seine Reue artete in Verzweiflung aus und führte so zur Selbstzerstörung. Das ist für uns eine Aufforderung, immer vor Augen zu haben, was der hl. Benedikt am Schluß des grundlegenden IV. Kapitels seiner Regel sagt: »Und an der Barmherzigkeit Gottes niemals verzweifeln«. Wirklich, Gott »ist größer als unser Herz«, wie der hl. Johannes sagt (1Jn 3,20). Halten wir uns daher zwei Dinge vor Augen. Erstens: Jesus achtet unsere Freiheit. Zweitens: Jesus wartet auf unsere Bereitschaft zur Reue und zur Umkehr; er ist reich an Barmherzigkeit und Vergebung. Wenn wir im übrigen an die negative Rolle denken, die Judas gespielt hat, müssen wir sie der höheren Führung der Ereignisse durch Gott unterordnen. Sein Verrat führte zum Tod Jesu, der die schreckliche Hinrichtung in einen Akt heilbringender Liebe und in die Hingabe seiner selbst an den Vater umwandelte (vgl. Ga 2,20 Ep 5,2 Ep 5,25). Das Verb »verraten« ist die Übersetzung eines griechischen Wortes, das »hingeben« bedeutet. Manchmal ist sein Subjekt sogar Gott selbst: Er war es, der aus Liebe Jesus für uns alle »hingab« (vgl. Rm 8,32). In seinem geheimnisvollen Heilsplan nimmt Gott die unentschuldbare Tat des Judas als Gelegenheit zur vollkommenen Hingabe des Sohnes für die Erlösung der Welt an.
Zum Schluß wollen wir uns auch an denjenigen erinnern, der nach Ostern anstelle des Verräters gewählt wurde. In der Kirche von Jerusalem wurden zwei Männer von der Gemeinde vorgeschlagen, und dann wurde die Wahl durch das Los entschieden: »Josef, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias« (Ac 1,23). Dieser letztere war der Auserwählte, und er »wurde den elf Aposteln zugerechnet« (Ac 1,26). Von ihm wissen wir nichts anderes, als daß auch er Zeuge des ganzen Lebens Jesu auf Erden war (vgl. Ac 1,21-22) und ihm bis ins Letzte treu blieb. Zur Größe seiner Treue kam dann der Ruf Gottes hinzu, den Platz des Judas einzunehmen, gleichsam um seinen Verrat auszugleichen. Daraus gewinnen wir eine letzte Lehre: Auch wenn in der Kirche unwürdige Christen und Verräter nicht fehlen, ist jeder von uns aufgerufen, ein Gegengewicht zu dem von ihnen begangenen Übel zu schaffen, durch unser klares Zeugnis für Jesus Christus, unseren Herrn und Erlöser.
In der Reihe der zwölf von Jesus berufenen Apostel richten wir heute unser Augenmerk auf Judas Iskariot, der seinen Meister verraten hat. Ebenso wenden wir uns kurz dem Matthias zu, der dann den Platz des Judas im Apostelkreis eingenommen hat. Viele meinen, an der Seite des Gottessohns könne man nichts anderes als gut werden. Und doch wurde Judas zum Verräter (vgl. Lc 6,16). Jesus achtet die innere Freiheit des Jüngers, selbst wenn dieser sich schließlich in seinen Vorurteilen und im Eigenwillen verstrickt. Auch für jeden von uns besteht die Gefahr eines verstockten Herzens. Wir können dem vorbeugen, indem wir stets die innere Gemeinschaft mit dem Herrn suchen und in unserem Denken und Handeln an ihm Maß nehmen. Zudem haben wir die Gewißheit: Gott bezieht auch Menschen wie Judas in sein Heilswerk ein. Der Verräter liefert Jesus aus, und dieser gibt sich am Kreuz aus Liebe zu den Menschen hin. Und Matthias, auch er ein Zeuge des Wirkens Jesu, trägt diese frohe Botschaft der göttlichen Liebe hinaus in die Welt.
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Mit tiefem Schmerz habe ich die Mitteilung vom Unfall gestern Vormittag in der römischen U-Bahn vernommen. In diesem leidvollen Augenblick bin ich denen besonders nahe, die von dem tragischen Ereignis betroffen sind; ihnen möchte ich meine Empfindungen des Trostes und der Zuneigung bekunden und sie eines besonderen Gebetsgedenkens versichern.
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Liebe Brüder und Schwestern! Von Herzen heiße ich alle Besucher deutscher Sprache willkommen, besonders die große Gruppe des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums aus Münster. Danke für eure Gegenwart, für euer kraftvolles Zeugnis. In der Schule Jesu lernen wir die wahre Freiheit des Herzens und lernen wir die Großmütigkeit Jesu. Geben wir also dem Ruf Gottes in unserem Leben immer von neuem Raum. Der Heilige Geist geleite euch auf allen Wegen!
Generalaudienzen 2005-2013 27096