Generalaudienzen 2005-2013 12097

Mittwoch, 12. September 2007: Apostolische nach Österreich

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich auf den Pastoralbesuch Rückschau halten, den ich zu meiner Freude in den vergangenen Tagen Österreich abstatten konnte, einem Land, das mir sowohl wegen der Nachbarschaft zu meiner Heimat als auch durch die zahlreichen Kontakte, die ich stets zu ihm gehabt habe, besonders vertraut ist. Der eigentliche Anlaß dieses Besuchs war das 850-Jahr-Jubiläum des Heiligtums Mariazell, des bedeutendsten Marienheiligtums Österreichs, das auch von den ungarischen Gläubigen geliebt und von Pilgern aus anderen Nachbarstaaten in großer Zahl besucht wird. Es handelte sich also zuallererst um eine Pilgerreise, die unter dem Leitwort »Auf Christus schauen« stattfand: Maria entgegengehen, die uns Jesus zeigt. Von Herzen danke ich Kardinal Schönborn, Erzbischof von Wien, und dem gesamten Episkopat des Landes für das große Engagement, mit dem sie meinen Besuch vorbereitet und begleitet haben. Ich danke der österreichischen Regierung und allen zivilen und militärischen Autoritäten für die wertvolle Zusammenarbeit, die sie geleistet haben; insbesondere danke ich dem Herrn Bundespräsidenten für die Herzlichkeit, mit der er mich empfangen und in den verschiedenen Momenten des Besuches begleitet hat. Die erste Station war bei der Mariensäule, eine historische Säule, auf der die Statue der Immaculata, der Unbefleckten Jungfrau, steht: dort bin ich tausenden Jugendlichen begegnet und habe meine Wallfahrt begonnen. Anschließend war es mir ein Bedürfnis, mich zum Judenplatz zu begeben, um dem Mahnmal meine Ehrerbietung zu erweisen, das an die Schoah erinnert.

Um der Geschichte Österreichs und seiner engen Beziehungen zum Heiligen Stuhl ebenso Rechnung zu tragen wie der Bedeutung Wiens in der internationalen Politik, sah das Programm meiner Pastoralreise die Begegnungen mit dem Präsidenten der Republik und dem Diplomatischen Korps vor. Es handelt sich um wertvolle Gelegenheiten, bei denen der Nachfolger Petri die Möglichkeit hat, die Verantwortlichen der Nationen aufzufordern, stets das Anliegen des Friedens und der echten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu fördern. Mit Blick besonders auf Europa habe ich erneut meine Ermutigung ausgesprochen, den aktuellen Einigungsprozeß auf der Grundlage von Werten voranzubringen, die am gemeinsamen christlichen Erbe inspiriert sind. Mariazell ist im übrigen eines der Symbole der Begegnung der europäischen Völker im Zeichen des christlichen Glaubens. Wie könnte man vergessen, daß Europa Träger einer Denktradition ist, die Glaube, Vernunft und Gefühl verbindet? Bedeutende Philosophen haben, auch unabhängig vom Glauben, die zentrale Rolle anerkannt, die vom Christentum entfaltet wurde, um das moderne Bewußtsein vor dem Abgleiten in Nihilismus oder Fundamentalismus zu bewahren. Die Begegnung mit den politischen und diplomatischen Autoritäten in Wien war also eine äußerst günstige Gelegenheit, meine apostolische Reise in den aktuellen Kontext des europäischen Kontinents zu stellen.

Die eigentliche Wallfahrt habe ich am Samstag, den 8. September, unternommen, dem Fest Mariä Geburt, dem das Heiligtum Mariazell geweiht ist. Dessen Ursprung geht auf das Jahr 1157 zurück, als ein Benediktinermönch aus der nahegelegenen Abtei St. Lambrecht, der als Prediger dorthin gesandt worden war, die wundertätige Hilfe Mariens erfahren hat, von der er eine kleine Holzstatue bei sich trug. Die Zelle, wo der Mönch die kleine Statue aufstellte (Maria-Zell), wurde in der Folge zum Wallfahrtsziel, und im Laufe von zweihundert Jahren wurde ein bedeutendes Heiligtum errichtet, wo man auch heute noch die Gnadenmutter als Magna Mater Austriae verehrt. Es war für mich eine große Freude, als Nachfolger Petri an jenen heiligen Ort zurückzukehren, der den Völkern Mittel- und Osteuropas so lieb und teuer ist. Ich habe dort die beispielhafte Unverzagtheit Tausender und Abertausender von Pilgern bewundert, die trotz Regen und Kälte mit großer Freude und Glauben an dieser Jubiläumsfeier teilnehmen wollten, wo ich ihnen das zentrale Thema meines Besuches erläuterte: »Auf Christus schauen«; dieses Thema hatten die Bischöfe Österreichs während der neunmonatigen Vorbereitungszeit mit Weisheit vertieft. Aber erst als wir im Heiligtum anlangten, haben wir den Sinn jenes Leitwortes voll verstanden: auf Jesus schauen. Vor uns standen die Statue der Muttergottes, die mit einer Hand auf das Jesuskind zeigt, und oben, über dem Altar der Basilika, der Gekreuzigte. Dort hat unsere Wallfahrt ihr Ziel erreicht: Wir haben in jenem Kind im Arm der Mutter und in jenem Mann mit den ausgebreiteten Armen das Antlitz Gottes geschaut. Mit den Augen Mariens auf Jesus schauen bedeutet, Gott zu begegnen, der Liebe ist, der für uns Mensch geworden und am Kreuz gestorben ist.

Zum Abschluß der Meßfeier in Mariazell habe ich den vor kurzem in ganz Österreich neu gewählten Mitgliedern der Pfarrgemeinderäte die »Sendung« erteilt. Eine vielsagende kirchliche Geste, mit der ich das große »Netz« der Pfarreien im Dienst von Gemeinschaft und Mission unter den Schutz Mariens gestellt habe. Im Heiligtum habe ich dann Momente freudiger Brüderlichkeit mit den Bischöfen des Landes und mit der Kommunität der Benediktiner erlebt. Ich bin den Priestern, Ordensleuten, Diakonen und Seminaristen begegnet und habe mit ihnen die Vesper gefeiert. Geistlich vereint mit Maria haben wir den Herrn gepriesen für die demütige Hingabe so vieler Männer und Frauen, die sich seiner Barmherzigkeit anvertrauen und sich dem Dienst Gottes weihen. Diese Personen bemühen sich, gleichwohl mit ihren menschlichen Grenzen, ja gerade in der Einfachheit und Demut ihrer Menschlichkeit, allen einen Widerschein der Güte und Schönheit Gottes zu schenken, indem sie Jesus auf dem Weg der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams folgen, den drei Gelübden, die richtig verstanden werden müssen, das heißt in ihrer wahren christologischen, nicht individualistischen, sondern beziehungsmäßigen und kirchlichen Bedeutung.

Am Sonntag vormittag habe ich dann im Wiener Stephansdom den Festgottesdienst zelebriert. In der Predigt habe ich zur Unterstützung der Bewegung »Allianz für den Sonntag« besonders die Bedeutung und den Wert des Sonntags vertiefen wollen. Dieser Bewegung gehören auch nichtchristliche Personen und Gruppen an. Als Gläubige haben wir natürlich tiefe Gründe dafür, den Tag des Herrn so zu leben, wie es uns die Kirche gelehrt hat. »Sine dominico non possumus!«: Ohne den Herrn und ohne seinen Tag können wir nicht leben, erklärten die Märtyrer von Abitene (im heutigen Tunesien) im Jahr 304. Auch wir Christen des dritten Jahrtausends können ohne Sonntag nicht leben: einen Tag, der der Arbeit und der Ruhe Sinn gibt, der die Bedeutung der Schöpfung und der Erlösung vergegenwärtigt, den Wert der Freiheit und des Dienstes am Nächsten zum Ausdruck bringt… Das alles ist der Sonntag: weit mehr als ein Gebot! Wenn die Bevölkerungen mit alter christlicher Kultur diese Bedeutung aufgeben und zulassen, daß aus dem Sonntag lediglich ein Wochenende oder eine Gelegenheit für weltliche und kommerzielle Interessen wird, dann heißt das, daß sie beschlossen haben, auf ihre Kultur zu verzichten.

Unweit von Wien liegt die Abtei Heiligenkreuz, und es war für mich eine Freude, jene blühende Kommunität der Zisterziensermönche zu besuchen, die ohne Unterbrechung seit 874 Jahren besteht! An die Abtei angeschlossen ist die Philosophisch-Theologische Hochschule, die unlängst den Titel »Päpstliche Hochschule« erhielt. Während ich mich besonders an die Mönche wandte, habe ich an die große Lehre des hl. Benedikt über das Officium divinum, den Gottesdienst, erinnert und den Wert des Gebets als Dienst des Lobes und der Anbetung hervorgehoben, der Gott für seine unendliche Schönheit und Güte gebührt. Dem Gottesdienst darf nichts vorgezogen werden - sagt die Regel des hl. Benedikt (43,3) -, so daß das ganze Leben mit seinen Arbeits- und Ruhezeiten in der Liturgie zusammengefaßt und auf Gott ausgerichtet wird. Auch das theologische Studium darf nicht vom geistlichen Leben und vom Gebet getrennt werden, wie der hl. Bernhard von Clairvaux, Gründervater des Zisterzienserordens, nachdrücklich betont hat. Das Bestehen der Theologischen Akademie neben der Abtei bezeugt diese Verbindung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Herz und Verstand.

Die letzte Begegnung meiner Reise war die mit der Welt des Ehrenamtes. Auf diese Weise wollte ich den vielen Menschen verschiedenen Alters, die sich sowohl in der kirchlichen Gemeinschaft wie in der Zivilgesellschaft freiwillig zum Dienst am Nächsten verpflichten, meine Wertschätzung bekunden. Das Ehrenamt ist nicht nur ein »Tun«: Es ist vor allem eine Seinsweise, die vom Herzen, von einer Haltung der Dankbarkeit gegenüber dem Leben ausgeht und dazu anspornt, die empfangenen Gaben »zurückzuerstatten« und mit dem Nächsten zu teilen. Aus dieser Sicht habe ich aufs neue zur Kultur des Ehrenamtes ermutigen wollen. Die Tätigkeit des Freiwilligen darf nicht gleichsam als ein »Lückenbüßer« für den Staat und die öffentlichen Einrichtungen gesehen werden, sondern vielmehr als eine komplementäre und stets notwendige Präsenz, um die Aufmerksamkeit für die Letzten lebendig zu erhalten und bei den Einsätzen einen persönlich gestalteten Stil zu fördern. Es gibt daher niemanden, der nicht Ehrenamtlicher sein könnte: Auch der bedürftigste und ganz und gar benachteiligte Mensch hat mit Sicherheit viel mit den anderen zu teilen, wenn er seinen Beitrag zum Aufbau der Zivilisation der Liebe anbietet.

Abschließend sage ich dem Herrn noch einmal Dank für diesen Pilgerbesuch in Österreich. Hauptziel war noch einmal ein Marienheiligtum, in dessen Nähe man eine starke kirchliche Erfahrung erleben konnte, so wie es eine Woche zuvor in Loreto mit den italienischen Jugendlichen der Fall gewesen war. Außerdem ist in Wien und in Mariazell im besonderen die lebendige, treue und vielfältige Wirklichkeit der katholischen Kirche sichtbar geworden, die bei den vorgesehenen Treffen so zahlreich vertreten war. Es handelte sich um eine freudige und mitreißende Präsenz einer Kirche, die wie Maria dazu berufen ist, immer »auf Christus zu schauen«, um ihn allen zeigen und darbringen zu können; einer Kirche, die Lehrmeisterin und Zeugin eines großherzigen »Ja« zum Leben in allen seinen Dimensionen ist; einer Kirche, die ihre zweitausendjährige Tradition im Dienst einer Zukunft des Friedens und des wahren sozialen Fortschritts für die ganze Menschheitsfamilie einsetzt.

Heute darf ich in froher Erinnerung an meinen Besuch in Österreich einige wichtige Momente dieser Pilgerriese hervorheben. Mein Dank gilt einmal mehr den österreichischen Bischöfen und den staatlichen Instanzen sowie allen, die zum Gelingen dieser drei intensiven und gut gestalteten Tage beigetragen haben. Stationen meiner Reise waren das Heiligtum Mariazell, dessen 850-Jahr-Jubiläum ich unter großer Anteilnahme des Volkes Gottes feiern konnte, die Bundeshauptstadt Wien und das Zisterzienserstift Heiligenkreuz. Mit allen, denen ich an diesen Orten begegnet bin, durfte ich auf vielfältige Weise das Motto der Reise - „Auf Christus schauen“ - verwirklichen: An erster Stelle mit den zahlreichen Pilgern, denen die Gnadenstatue der Muttergottes von Mariazell ihren Sohn zeigt; dann mit den Bischöfen, Priestern, Seminaristen und gottgeweihten Männern und Frauen, die im Gebet, im Studium und in ihrem kirchlichen Dienst stets Christus vor Augen haben. Schließlich wollte ich das Motto meines Besuchs mit all jenen teilen, für die der Blick auf Christus Orientierung und Ansporn bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in Politik und Gesellschaft, in der Familie und im freiwilligen Engagement ist. Die heilige Messe im Wiener Stephansdom sollte in diesem Kontext auch die Bedeutung des Sonntags und der sonntäglichen Eucharistiefeier unterstreichen.
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Zurück in Rom begrüße ich gerne die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache hier auf dem Petersplatz, besonders die Priesteramtskandidaten aus dem Erzbistum Köln und die zahlreichen Schüler- und Jugendgruppen. Ich danke herzlich den Bläsern für ihre wunderbare Darbietung von Gottesliedern und der Bayernhymne. Danke! Laßt euch von Maria zu Christus führen! Der Herr segne und behüte euch auf euren Wegen.



Mittwoch, 19. September 2007: Johannes Chrysostomus (1)

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Liebe Brüder und Schwestern!

In dieses Jahr fällt der 1600. Todestag des hl. Johannes Chrysostomus (407-2007). Johannes von Antiochien, der wegen seiner Redegewandtheit »Chrysostomos«, das heißt »Goldmund«, genannt wurde, kann auch heute noch als lebendig gelten, dies auch aufgrund seiner Werke. Ein anonymer Kopist machte die Bemerkung, daß sie »gleich zuckenden Blitzen den ganzen Erdkreis durchziehen«. Wie den Gläubigen der damaligen Zeit, die wegen der Verbannungen seiner wiederholt beraubt wurden, erlauben es seine Schriften auch uns, trotz seiner Abwesenheit mit seinen Büchern zu leben. Genau dazu hat er selbst in einem seiner Briefe aus dem Exil geraten (vgl. An Olympias, Brief 8,45).

Um das Jahr 349 in Antiochien in Syrien (heute Antakya im Süden der Türkei) geboren, versah er dort ungefähr elf Jahre lang seinen Dienst als Priester, bis er im Jahr 397 zum Bischof von Konstantinopel ernannt wurde und in der Hauptstadt des Reiches sein Bischofsamt ausübte, vor den beiden Verbannungen, die zwischen 403 und 407 in kurzem Abstand aufeinander folgten. Wir beschränken uns heute darauf, die antiochenischen Jahre des Chrysostomus zu betrachten.

Nachdem er noch im Kindesalter den Vater verloren hatte, lebte er mit seiner Mutter Anthusa, die ihm eine erlesene Menschlichkeit und einen tiefen christlichen Glauben vermittelte. Seine Schulausbildung und die höheren Studien fanden ihre Krönung in den Kursen für Philosophie und Rhetorik, wo der Heide Libanios, der berühmteste Rhetor der damaligen Zeit, sein Lehrer war. In dessen Schule wurde Johannes zum größten Redner der griechischen Spätantike. Nachdem er im Jahr 368 von Bischof Meletios getauft und für das kirchliche Leben herangebildet worden war, wurde er von diesem 371 als Lektor eingesetzt. Dieser Umstand bezeichnete den offiziellen Eintritt des Chrysostomus in den kirchlichen cursus. Von 367 bis 372 besuchte er gemeinsam mit einer Gruppe junger Männer, von denen einige später Bischöfe wurden, das »Asketerion«, eine Art Priesterseminar in Antiochien, das von dem berühmten Exegeten Diodor von Tarsus geleitet wurde, der Johannes in die für die antiochenische Tradition charakteristische historisch-wortgetreue Schriftauslegung einführte.

Er zog sich dann für vier Jahre unter die Eremiten am nahegelegenen Berg Silipius zurück. Er verlängerte diesen Aufenthalt in der Abgeschiedenheit um weitere zwei Jahre, in denen er allein in einer Grotte unter der Führung eines »Älteren« lebte. In jener Zeit widmete er sich ganz der Betrachtung der »Gesetze Christi«, der Evangelien und insbesondere der Briefe des Paulus. Als er krank wurde, konnte er sich nicht alleine pflegen und mußte deshalb in die christliche Gemeinde von Antiochien zurückkehren (vgl. Palladius, Vita 5). Der Herr - so erklärt der Biograph - griff mit der Krankheit im richtigen Augenblick ein, um dem Johannes zu erlauben, seiner wahren Berufung zu folgen. In der Tat wird er selber schreiben, daß er, wenn er vor die Alternative gestellt wäre, zwischen den Schwierigkeiten der Leitung der Kirche und der Ruhe des monastischen Lebens zu wählen, tausendmal dem pastoralen Dienst den Vorzug geben würde (vgl. Über das Priestertum, 6,7): Gerade dazu fühlte sich Chrysostomus berufen. Und hier vollzieht sich die entscheidende Wende seiner Berufungsgeschichte: Ganz Seelenhirt zu sein! Die während der Jahre des Einsiedlerlebens gepflegte Vertrautheit mit dem Wort Gottes hatte in ihm die unwiderstehliche Dringlichkeit reifen lassen, das Evangelium zu predigen und den anderen das zu schenken, was er in den Jahren der Betrachtung empfangen hatte. Das missionarische Ideal führte ihn, eine feurige Seele, zur Seelsorge.

Zwischen 378 und 379 kehrte er in die Stadt zurück. 381 wurde er zum Diakon und 386 zum Priester geweiht und wurde dann zum berühmten Prediger in den Kirchen seiner Stadt. Er hielt Predigten gegen die Arianer, denen die Predigten zum Gedächtnis an die antiochenischen Märtyrer und weitere Predigten über die liturgischen Hauptfeste folgten: Es handelt sich dabei um einen großen Unterricht des Glaubens an Christus, auch im Lichte seiner Heiligen. Das Jahr 387 war das »heldenhafte Jahr« des Johannes, das Jahr der sogenannten »Revolte gegen die Statuen«. Das Volk riß zum Zeichen des Protests gegen die Steuererhöhung die kaiserlichen Standbilder nieder. In jenen Tagen der Fastenzeit, die von Furcht vor der bevorstehenden Bestrafung durch den Kaiser erfüllt waren, hielt er seine 22 leidenschaftlichen Predigten über die Statuen, die auf Buße und Umkehr ausgerichtet waren. Es folgte eine Zeit der ruhigen Seelsorge (387-397).

Chrysostomus gehört zu den produktivsten Kirchenvätern: Von ihm sind 17 Abhandlungen, mehr als 700 authentische Predigten, die Kommentare zu Matthäus und Paulus (Briefe an die Römer, Korinther, Epheser und Hebräer) und 241 Briefe auf uns gekommen. Er war kein spekulativer Theologe. Er überlieferte jedoch die traditionelle und gesicherte Lehre der Kirche in einer Epoche theologischer Kontroversen, die vor allem vom Arianismus, also von der Leugnung der Göttlichkeit Christi, ausgelöst worden waren. Er ist somit ein zuverlässiger Zeuge der dogmatischen Entwicklung der Kirche im 4. und 5. Jahrhundert. Seine Theologie ist in vorzüglichem Sinne pastoral; in ihr ist die Sorge um die Kohärenz zwischen dem vom Wort zum Ausdruck gebrachten Denken und dem gelebten Leben stets gegenwärtig. Das ist insbesondere der Leitfaden der großartigen Katechesen, mit denen er die Katechumenen auf den Empfang der Taufe vorbereitete. Unmittelbar vor seinem Tod schrieb er, daß der Wert des Menschen »in der genauen Erkenntnis der wahren Lehre und in der Rechtschaffenheit des Lebens« bestehe (Brief aus dem Exil). Beides, die Erkenntnis der wahren Lehre und die Rechtschaffenheit im Leben, gehören zusammen: Die Erkenntnis muß zu Leben werden. Seine Äußerungen zielte immer darauf ab, in den Gläubigen die Übung der Intelligenz, der wahren Vernunft zu entwickeln, um die moralischen und geistlichen Anforderungen des Glaubens zu verstehen und in die Praxis umzusetzen.

Johannes Chrysostomus bemühte sich, mit seinen Schriften die gesamtheitliche Entwicklung des Menschen in seiner leiblichen, intellektuellen und religiösen Dimension zu begleiten. Die verschiedenen Phasen des Heranwachsens werden mit ebensovielen Meeren eines unermeßlichen Ozeans verglichen: »Das erste dieser Meere ist die Kindheit« (Predigt 81,5 über das Matthäusevangelium). Denn »gerade in diesem ersten Alter kommen die Neigungen zum Laster und zur Tugend zum Vorschein«. Aus diesem Grund muß das Gesetz Gottes der Seele von Anfang eingeprägt werden »wie in eine Wachstafel (Predigt 3,1 über das Johannesevangelium): In der Tat ist dies das wichtigste Lebensalter. Wir müssen uns vergegenwärtigen, wie grundlegend es ist, daß in dieser ersten Lebensphase in die Menschen wirklich die großen Leitlinien eintreten, die dem Leben die rechte Perspektive verleihen. Chrysostomus empfiehlt deshalb: »Stattet die Kinder vom jüngsten Alter an mit geistlichen Waffen aus und lehrt sie, sich die Stirn mit der Hand zu bekreuzigen« (Predigt 12,7 über den ersten Brief an die Korinther). Danach kommt das Jünglingsalter: »Der Kindheit folgt das Meer des Jünglingsalters, wo heftige Winde wehen …, weil die Begierlichkeit in uns wächst« (Predigt 81,5 über das Matthäusevangelium). Schließlich kommen die Verlobung und die Ehe: »Der Jugend folgt das Alter des reifen Menschen, in dem die Pflichten der Familie auftreten: Es ist die Zeit, eine Ehefrau zu suchen« (ebd.). Bei der Ehe erinnert er an deren Ziele und bereichert sie - indem er zur Tugend der Mäßigung aufruft - um ein reiches Geflecht personalisierter Beziehungen. Die gut vorbereiteten Brautleute versperren so der Scheidung den Weg: Alles verläuft mit Freude, und die Kinder können zur Tugend erzogen werden. Wenn dann das erste Kind geboren wird, ist es »wie eine Brücke; die drei werden ein Fleisch, da das Kind die beiden Teile miteinander verbindet« (Predigt 12,5 über den Brief an die Kolosser), und die drei bilden »eine Familie, eine kleine Kirche« (Predigt 20,6 über den Brief an die Epheser).

Die Predigt des Chrysostomus erfolgte gewöhnlich während der Liturgie, dem »Ort«, an dem die Gemeinde durch das Wort und die Eucharistie aufgebaut wird. Hier bringt die versammelte Gemeinde die einzige Kirche zum Ausdruck (Predigt 8,7 über den Brief an die Römer); dasselbe Wort wird an jedem Ort an alle gerichtet (Predigt 24,2 über den ersten Brief an die Korinther), und die eucharistische Gemeinschaft wird zum wirksamen Zeichen der Einheit (Predigt 32,7 über das Matthäusevangelium). Sein pastoraler Plan war in das Leben der Kirche eingebettet, in der die gläubigen Laien mit der Taufe das priesterliche, königliche und prophetische Amt annehmen. Dem gläubigen Laien sagt er: »Auch dich macht die Taufe zum König, Priester und Propheten « (Predigt 3,5 über den zweiten Brief an die Korinther). Hier entspringt die grundlegende Pflicht zur Mission, da ein jeder in gewissem Maße für das Heil der anderen verantwortlich ist: »Das ist das Prinzip unseres sozialen Lebens: Uns nicht nur für uns selbst zu interessieren!« (Predigt 9,2 über das Buch Genesis). Das Ganze spielt sich zwischen zwei Polen ab: der großen Kirche und der »kleinen Kirche«, der Familie, in wechselseitiger Beziehung.

Wie ihr sehen könnt, liebe Brüder und Schwestern, ist diese Lehre des Chrysostomus über die echt christliche Gegenwart der gläubigen Laien in Familie und Gesellschaft noch heute aktueller denn je. Bitten wir den Herrn, daß er uns gegenüber den Lehren dieses großen Glaubenslehrers fügsam macht.

Unsere Mittwochskatechesen wollen wir heute mit dem Kirchenvater Johannes Chrysostomus fortsetzen, dessen 1600. Todestag in diesem Jahr begangen wird. Der Beiname Chrysostomus heißt übersetzt „Goldmund“ und weist auf die große Redebegabung dieses Heiligen hin. Unter seinem reichen Schrifttum finden wir über 700 Homelien, dazu 241 Briefe und 14 systematische Werke. Johannes wurde wohl um 349 in Antiochien, dem heutigen Antakya im Süden der Türkei, geboren. Zunächst von seiner frommen Mutter erzogen, erhielt er dann eine ausgezeichnete Bildung bei dem berühmten Rhetor Libanios. Nach seiner Taufe im Alter von etwa 19 Jahren entschloß er sich zum Eintritt in das Asketerion seiner Heimatstadt, einer Art Priesterseminar, wo besonders das Studium der Heiligen Schrift gepflegt wurde. Der junge Johannes Chrysostomus strebte nach einer möglichst vollkommenen, radikalen Nachfolge Christi gemäß den Weisungen des Evangeliums. Dieses Ideal suchte er mehrere Jahre lang als Mönch und Eremit zu leben. Eine Krankheit ließ ihn schließlich erkennen, daß seine Berufung nicht in der Abgeschiedenheit, sondern im Dienst des Seelsorgers in der Welt bestand. Als berühmter Prediger war es ihm ein Anliegen, die Gläubigen auf ihrem Weg des menschlichen und religiösen Wachstums zu begleiten. Er erinnerte daran, daß Glaube und alltägliches Leben im Einklang stehen müssen.
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Herzlich heiße ich alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum willkommen. Besonders begrüße ich die vielen Jugendlichen. Liebe Freunde, der Glaube braucht, wie uns der hl. Chrysostomus zeigt, einen klaren Verstand und ein offenes Herz! Mit seinem Glaubenszeugnis trägt jeder Getaufte dazu bei, daß auch seine Mitmenschen den Weg und das Heil finden. Der Heilige Geist stärke euch, damit ihr diesen Auftrag erfüllen könnt. Eine gesegnete Zeit euch allen hier in Rom!



Mittwoch, 26. September 2007: Johannes Chrysostomus (2)

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Liebe Brüder und Schwestern!

Wir setzen heute unsere Betrachtung über den hl. Johannes Chrysostomus fort. Nach der Zeit, die er in Antiochien verbracht hatte, wurde er im Jahr 397 zum Bischof von Konstantinopel, der Hauptstadt des Oströmischen Reiches, ernannt. Von Anfang an plante Johannes die Reform seiner Kirche: Die Strenge des bischöflichen Palastes sollte Vorbild für alle sein - den Klerus, die Witwen, die Mönche, die Angehörigen des Hofes und die Reichen. Nicht wenige von ihnen waren von seinen Urteilen betroffen und entfernten sich dann leider von ihm. Wegen seines eifrigen Einsatzes für die Armen wurde Johannes auch »der Almosenpfleger« genannt. Als aufmerksamem Verwalter war es ihm in der Tat gelungen, karitative Einrichtungen zu schaffen, die sehr geschätzt wurden. Seine Unternehmungslust in verschiedenen Bereichen machte ihn für manche zu einem gefährlichen Rivalen. Als wahrer Hirte behandelte er jedoch alle herzlich und väterlich. Insbesondere hatte er stets einfühlende Worte für die Frau bereit und ließ besondere Sorge für die Ehe und Familie erkennen. Er lud die Gläubigen ein, am liturgischen Leben teilzunehmen, das von ihm mit genialer Kreativität prächtig und anziehend gestaltet wurde.

Trotz seines guten Herzens hatte er kein ruhiges Leben. Als Hirt der Hauptstadt des Reiches sah er sich aufgrund seiner ständigen Verbindungen mit den Autoritäten und zivilen Institutionen häufig in politische Probleme und Intrigen hineingezogen. Nachdem er in Kleinasien im Jahr 401 sechs unwürdig gewählte Bischöfe abgesetzt hatte, wurde er auf kirchlicher Ebene angeklagt, die Grenzen seiner Jurisdiktion überschritten zu haben, und wurde so zur Zielscheibe leichtfertiger Beschuldigungen. Ein weiterer Vorwand gegen ihn war die Anwesenheit einiger ägyptischer Mönche, die vom Patriarchen Theophilos von Alexandrien exkommuniziert worden und nach Konstantinopel geflüchtet waren. Eine lebhafte Polemik wurde dann durch die Kritik ausgelöst, die Chrysostomus an der Kaiserin Eudoxia und ihren Hofdamen übte; als Reaktion darauf überschütteten diese ihn mit Mißkredit und Beschimpfungen. So kam es bei der Synode, die vom Patriarchen Theophilos selbst im Jahr 403 organisiert worden war, zu seiner Absetzung mit nachfolgender Verurteilung zum ersten kurzen Exil. Nach seiner Rückkehr markierten die Feindseligkeit gegen ihn, die vom Protest gegen die Feiern zu Ehren der Kaiserin - die der Bischof als heidnische, luxuriöse Feste betrachtete - provoziert wurden, und die Vertreibung der Priester, die mit den Taufen in der Osternacht 404 beauftragt waren, den Beginn der Verfolgung des Chrysostomus und seiner Anhänger, der sogenannten »Johanniter«.

Johannes unterbreitete dann brieflich dem Bischof von Rom, Innozenz I., die Ereignisse. Es war aber schon zu spät. Im Jahr 406 mußte er erneut ins Exil gehen, diesmal nach Kukusus in Armenien. Der Papst war von seiner Unschuld überzeugt, hatte aber nicht die Macht, ihm zu helfen. Ein Konzil, das von Rom zu einer Versöhnung zwischen den beiden Teilen des Reiches und zwischen ihren Kirchen gewünscht wurde, konnte nicht stattfinden. Die strapaziöse Verlegung von Kukusus nach Pityus - ein Ziel, das er nie erreichte - sollte die Besuche der Gläubigen verhindern und den Widerstand des erschöpften Verbannten brechen: Die Verurteilung zur Verbannung war in Wahrheit ein Todesurteil! Ergreifend sind die zahlreichen Briefe aus dem Exil, in denen Johannes seine pastoralen Sorgen mit Worten der Anteilnahme und des Schmerzes über die Verfolgungen der Seinen zum Ausdruck bringt. Der Gang zum Tod endete in Komana Pontika. Hier wurde der sterbende Johannes in die Kapelle des hl. Märtyrers Basiliskus gebracht, wo er seinen Geist zu Gott hin aushauchte und bestattet wurde, ein Märtyrer neben dem Märtyrer (Palladius, Vita 119). Es war der 14. September 407, das Fest der Kreuzerhöhung. Seine Rehabilitierung fand 438 unter Theodosius II. statt. Die Reliquien des heiligen Bischofs, die in der Kirche der Apostel in Konstantinopel aufbewahrt waren, wurden dann im Jahr 1204 nach Rom in die ursprüngliche konstantinische Basilika gebracht und ruhen jetzt in der Kapelle des Chores der Kanoniker der Petersbasilika. Ein beträchtlicher Teil davon wurde am 24. August 2004 von Papst Johannes Paul II. dem Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., geschenkt. Das liturgische Gedächtnis des Heiligen wird am 13. September gefeiert. Der sel. Johannes XXIII. erklärte ihn zum Patron des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Als Johannes Chrysostomus auf dem Bischofsstuhl des Neuen Rom, das heißt Konstantinopels, saß, sagte man von ihm, Gott mache in ihm einen zweiten Paulus sichtbar, einen Lehrmeister des Universums. In Wirklichkeit ist in Chrysostomus sowohl in Antiochien wie in Konstantinopel eine wesentliche Einheit des Denkens und Tuns vorhanden. Es ändern sich nur die Rolle und die Umstände. Als er im Kommentar zur Genesis über die acht Werke nachdenkt, die Gott in sechs Tagen vollbracht hat, will Chrysostomus die Gläubigen von der Schöpfung zum Schöpfer zurückführen: »Es ist ein großes Gut«, sagt er, »zu erkennen, was das Geschöpf ist und was der Schöpfer«. Er zeigt uns die Schönheit der Schöpfung und das Durchscheinen Gottes in seiner Schöpfung, die so gleichsam zu einer »Leiter« wird, um zu Gott emporzusteigen, um ihn kennenzulernen. Aber an diesen ersten Schritt schließt sich ein zweiter an: Dieser Schöpfergott ist auch der Gott der »Herablassung« (synkatabasis). Wir sind schwach beim »Hinaufsteigen«, unsere Augen sind schwach. Und so wird Gott zum Gott der Herablassung, der dem gefallenen und fremden Menschen einen Brief schickt, die Heilige Schrift, so daß Schöpfung und Schrift sich ergänzend vervollständigen. Im Lichte der Schrift, des Briefes, den Gott uns gegeben hat, können wir die Schöpfung entschlüsseln. Gott wird »zärtlicher Vater« (philostorgios) genannt (ebd.), Arzt der Seelen (Predigt 40,3 Über die Genesis), Mutter (ebd.) und liebevoller Freund (Über die Vorsehung, 8,11-12). Aber auf diesen zweiten Schritt - zuerst die Schöpfung als »Leiter« zu Gott und dann die Herablassung Gottes durch einen Brief, den er uns gegeben hat, die Heilige Schrift - folgt ein dritter Schritt. Gott übermittelt uns nicht nur einen Brief: Schließlich steigt er selbst herab und nimmt Fleisch an, wird wirklich »Gott mit uns«, unser Bruder bis zum Tod am Kreuz. Und zu diesen drei Schritten - Gott ist in der Schöpfung sichtbar, Gott gibt uns seinen Brief, Gott steigt herab und wird einer von uns - kommt am Ende ein vierter Schritt hinzu. Im Leben und im Handeln des Christen ist das lebenspendende und dynamische Prinzip der Heilige Geist (Pneuma), der die Wirklichkeit der Welt verwandelt. Gott tritt durch den Heiligen Geist in unser Dasein ein und verwandelt uns vom Inneren unseres Herzens her.

Vor diesem Hintergrund schlägt Johannes gerade in Konstantinopel in dem fortlaufenden Kommentar zur Apostelgeschichte das Modell der Urkirche (
Ac 4,32-37) als Modell für die Gesellschaft vor, indem er eine soziale »Utopie« (gleichsam eine »ideale Stadt«) entwickelt. Es ging in der Tat darum, der Stadt eine Seele und ein christliches Antlitz zu geben. Mit anderen Worten, Chrysostomus hat verstanden, daß es nicht ausreicht, Almosen zu geben, den Armen von Mal zu Mal zu helfen, sondern daß es notwendig ist, eine neue Struktur, ein neues Gesellschaftsmodell zu schaffen; ein Modell, das auf der Perspektive des Neuen Testaments beruht. Es ist die neue Gesellschaft, die sich in der entstehenden Kirche offenbart. Damit wird also Johannes Chrysostomus wirklich zu einem der großen Väter der Soziallehre der Kirche: Die alte Idee der griechischen »Polis« muß durch eine neue Idee von Stadt ersetzt werden, die sich am christlichen Glauben inspiriert. Chrysostomus vertrat mit Paulus (vgl. 1Co 8,11) den Vorrang des einzelnen Christen, der Person als solcher, auch des Sklaven und des Armen. Sein Plan korrigiert so die traditionelle griechische Sicht der »Polis«, der Stadt, in der breite Schichten der Bevölkerung von den Bürgerrechten ausgeschlossen waren, während in der christlichen Stadt alle Brüder und Schwestern mit gleichen Rechten sind. Der Vorrang der Person ist auch die Folge der Tatsache, daß in Wirklichkeit von ihr ausgehend die Stadt aufgebaut wird, während in der griechischen »Polis« die Heimat über dem einzelnen stand, der der Stadt insgesamt völlig untergeordnet war. So beginnt mit Chrysostomus die Vorstellung einer Gesellschaft, die vom christlichen Bewußtsein aufgebaut wird. Und er sagt uns, daß unsere »Polis« eine andere ist: »Unsere Heimat ist im Himmel« (Ph 3,20), und diese unsere Heimat macht uns auch auf dieser Erde alle gleich, zu Brüdern und Schwestern, und verpflichtet uns zur Solidarität.

Am Ende seines Lebens, aus der Verbannung an den Grenzen Armeniens, »dem abgelegensten Ort der Welt«, knüpfte Johannes an seine erste Predigt im Jahr 386 an und nahm das ihm wichtige Thema von dem Plan wieder auf, den Gott gegenüber den Menschen verfolgt: Es ist ein »unaussprechbarer und unverstehbarer« Plan, der aber von ihm mit Liebe sicher geleitet wird (vgl. Über die Vorsehung 2,6). Das ist unsere Gewißheit. Auch wenn wir die Details der persönlichen und kollektiven Geschichte nicht entschlüsseln können, wissen wir, daß Gottes Plan immer von seiner Liebe inspiriert ist. So bekräftigte Chrysostomus trotz seiner Leiden aufs neue die Entdeckung, daß Gott jeden von uns mit einer unendlichen Liebe liebt und deshalb das Heil aller will. Der heilige Bischof wirkte seinerseits sein ganzes Leben lang großherzig an diesem Heil mit, ohne sich zu schonen. Er betrachtete nämlich als letztes Ziel seines Daseins jene Ehre Gottes, die er - bereits im Sterben - als letztes Testament hinterlassen hat: »Ehre sei Gott für alles!« (Palladius, Vita 11).

Im Anschluß an die Katechese der vergangenen Woche wollen wir uns auch heute mit dem hl. Johannes Chrysostomus befassen. Der Einsiedler und spätere Priester und Prediger wurde im Jahr 397 Bischof der Reichshauptstadt Konstantinopel. Dort bemühte er sich um die Erneuerung der Kirche, sorgte sich um die Armen und setzte sich in Wort und Tat für eine christlich geprägte Gesellschaft ein. Damit machte er sich allerdings auch Feinde, die bei jeder Gelegenheit gegen ihn und die ihm verbundenen Gläubigen vorgingen. Im Jahre 406 mußte er seinen Bischofssitz endgültig verlassen und starb noch auf dem Weg in die Verbannung am 14. September 407. Schon wenige Jahrzehnte später folgte seine Rehabilitierung und begann seine Verehrung als Heiliger im Osten und im Westen. Von großem Interesse ist, wie dieser Kirchenvater, ausgehend von einem tiefen Verständnis der Schöpfung und des göttlichen Heilsplans, entgegen verbreiteter Ansichten seiner Zeit die Würde eines jeden Menschen und die Ausrichtung des Irdischen auf die ewige, himmlische Heimat betonte.
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Einen frohen Gruß richte ich an die Pilger aus Deutschland, Österreich, aus der Schweiz, aus Südtirol und auch aus den Niederlanden. Ich grüße die vielen Gruppen und heute besonders die Schulgemeinschaft des Gymnasiums St. Kaspar in Neuenheerse. Danke auch für die Blaskapelle! Das Leben des hl. Johannes Chrysostomus, der sich als Prediger und Hirte mit einem ganz anspruchsvollen und einfachen Leben völlig in den Dienst der Liebe Gottes gestellt hat, soll für uns alle Ermutigung und Ansporn sein! Der Herr begleite euch alle mit seinem Segen.




Generalaudienzen 2005-2013 12097