Generalaudienzen 2005-2013 40608

Mittwoch, 4. Juni 2008: Der hl. Papst Gregor der Große (2)

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute will ich bei dieser unserer Mittwochsbegegnung auf die außerordentliche Gestalt von Papst Gregor dem Großen zurückkommen, um aus seiner reichen Lehre weiteres Licht zu erhalten. Trotz der vielfältigen Aufgaben, die mit seinem Amt als Bischof von Rom verbunden waren, hat er uns zahlreiche Werke hinterlassen, aus denen die Kirche in den nachfolgenden Jahrhunderten mit vollen Händen geschöpft hat. Außer der beachtlichen Briefsammlung - das Verzeichnis (»Registrum«), das ich in der letzten Katechese erwähnte, enthält über 800 Briefe - hat er uns vor allem Schriften exegetischen Charakters hinterlassen, unter denen der »Moralische Kommentar zu Hiob« - bekannt unter dem lateinischen Titel »Moralia in Iob« -, die »Homilien zu Ezechiel« und die »Homilien zu den Evangelien« hervorzuheben sind. Sodann gibt es ein bedeutendes hagiographisches Werk, die »Dialoge«, das von Gregor zur Erbauung der langobardischen Königin Theodolinde geschrieben wurde. Das wichtigste und bekannteste Werk ist zweifellos die »Regula pastoralis« (»Pastoralregel«), die der Papst zu Beginn seines Pontifikats mit einer deutlich programmatischen Zielsetzung verfaßt hat.

Während wir einen kurzen Überblick über diese Werke geben wollen, müssen wir vor allem erwähnen, daß sich Gregor in seinen Schriften nie darum bemüht zeigt, »seine eigene« Lehre, seine eigene Originalität darzulegen. Er beabsichtigt vielmehr, sich zum Echo der traditionellen Lehre der Kirche zu machen; er will einfach der Mund Christi und seiner Kirche auf dem Weg sein, den man beschreiten muß, um zu Gott zu gelangen. Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang seine exegetischen Kommentare. Er war ein leidenschaftlicher Leser der Bibel, an die er nicht mit bloß spekulativen Absichten heranging: Seiner Überzeugung nach solle der Christ der Heiligen Schrift nicht so sehr theoretische Kenntnisse entnehmen als vielmehr die tägliche Nahrung für seine Seele, für sein Leben als Mensch in dieser Welt. In den »Homilien zu Ezechiel« zum Beispiel besteht er nachdrücklich auf dieser Funktion des heiligen Textes: Sich der Schrift zu nähern, um nur die eigene Wißbegierde zu befriedigen, bedeutet, der Versuchung des Stolzes nachzugeben und sich so der Gefahr auszusetzen, in die Irrlehre abzugleiten. Die intellektuelle Demut ist die Grundregel für den, der ausgehend vom heiligen Buch die übernatürlichen Wirklichkeiten zu ergründen versucht. Die Demut schließt natürlich das ernsthafte Studium nicht aus; um aber dafür zu sorgen, daß es geistlich nützlich ist und ermöglicht, wirklich in die Tiefe des Textes einzudringen, bleibt die Demut unverzichtbar. Nur mit dieser inneren Haltung hört man wirklich die Stimme Gottes und nimmt sie schließlich wahr. Andererseits ist, wenn es um das Wort Gottes geht, das Verstehen ohne Bedeutung, wenn das Verständnis nicht zur Handlung führt. In diesen Homilien zu Ezechiel findet sich auch jenes schöne Wort, wonach »der Prediger seine Feder in das Blut seines Herzens eintauchen muß; so wird er auch das Ohr des Nächsten erreichen können«. Wenn man diese Homilien liest, sieht man, daß Gregor wirklich mit seinem Herzblut geschrieben hat und deshalb noch heute zu uns spricht.

Dieses Argument entfaltet Gregor auch im »Moralischen Kommentar zu Hiob«. Der patristischen Tradition folgend untersucht er den heiligen Text in den drei Dimensionen seines Sinnes: der wörtlichen Dimension, der allegorischen und der moralischen Dimension, die Dimensionen des einen Sinnes der Heiligen Schrift sind. Dennoch schreibt Gregor dem moralischen Sinn einen klaren Vorrang zu. Aus dieser Sicht legt er sein Denken durch einige bedeutsame Wortpaare dar - »Wissen - Tun«, »Sprechen - Leben«, »Erkennen - Handeln« -, mit denen er die beiden Aspekte des menschlichen Lebens wachruft, die sich ergänzen sollten, doch letztlich oft zu Antithesen werden. Das moralische Ideal, so kommentiert er, besteht immer darin, eine harmonische Integration von Wort und Handlung, Denken und Tun, Gebet und Hingabe an die Pflichten des eigenen Standes zu verwirklichen: Dies ist der Weg, um jene Synthese zu verwirklichen, dank derer das Göttliche auf den Menschen herabkommt und der Mensch sich bis zur Identifikation auf Gott hin erhebt. Der große Papst umreißt so für den wahren Gläubigen einen vollständigen Lebensplan; deshalb wird der »Moralische Kommentar zu Hiob« im Lauf des Mittelalters eine Art »Summa« der christlichen Moral darstellen.

Von beachtenswerter Bedeutung und Schönheit sind auch seine »Homilien zu den Evangelien«. Die erste von ihnen wurde in der Petersbasilika während der Adventszeit des Jahres 590 und somit wenige Monate nach seiner Wahl zum Papst gehalten; die letzte hielt er in der Basilika »San Lorenzo« am zweiten Sonntag nach Pfingsten des Jahres 593. Der Papst predigte zum Volk in den Kirchen, wo die »Stationes« - besondere Gebetszeremonien in bedeutungsvollen Zeiten des Kirchenjahres - oder die Feste der Märtyrer gefeiert wurden, deren Titel diese Kirchen trugen. Das inspirierende Prinzip, das die verschiedenen Predigten miteinander verbindet, ist in dem Wort »praedicator« zusammengefaßt: Nicht nur der Diener Gottes, sondern auch jeder Christ, hat die Aufgabe, zum »Prediger« dessen zu werden, was er in seinem Inneren erfahren hat, nach dem Vorbild Christi, der Mensch geworden ist, um allen die Ankündigung des Heils zu bringen. Der Horizont dieser Aufgabe ist eschatologisch: Die Erwartung der Erfüllung aller Dinge in Christus ist ein ständiger Gedanke des großen Papstes und wird schließlich zum inspirierenden Motiv seines ganzen Denkens und Handelns. Daraus entspringen seine unablässigen Mahnungen zur Wachsamkeit und zum Eifer in den guten Werken.

Der vielleicht organischste Text Gregors des Großen ist die in den ersten Jahren des Pontifikats geschriebene »Regula pastoralis«. Gregor nimmt sich vor, in ihr die Gestalt des idealen Bischofs zu skizzieren, der Lehrer und Leiter seiner Herde ist. Zu diesem Zweck erläutert er den Ernst des Hirtenamtes der Kirche und die Pflichten, die es mit sich bringt: Darum sollten diejenigen, die nicht zu einer solchen Aufgabe berufen worden sind, sie nicht mit Oberflächlichkeit suchen; jene hingegen, die sie ohne das gebührende Nachdenken übernommen haben, sollen spüren, daß in ihrer Seele eine gehörige Bangigkeit aufkommt. Indem er ein Lieblingsthema aufgreift, bekräftigt er, daß der Bischof vor allem der »Prediger« schlechthin ist; als solcher muß er vor allem Vorbild für die anderen sein, so daß sein Verhalten ein Bezugspunkt für alle sein kann. Eine wirksame Pastoraltätigkeit erfordert sodann, daß er jene kennt, an die er sich wendet, und seine Predigten an die Situation eines jeden anpaßt: Gregor verweilt dabei, die verschiedenen Kategorien von Gläubigen mit scharfsinnigen und genauen Bemerkungen zu beschreiben, die die Bewertung derjenigen rechtfertigen können, die in diesem Werk auch eine psychologische Abhandlung gesehen haben. Von daher begreift man, daß er seine Herde wirklich kannte und mit den Menschen seiner Zeit und seiner Stadt über alles sprach.

Der große Papst besteht dennoch auf der Pflicht, daß der Hirt jeden Tag die eigene Armseligkeit erkennen müsse, so daß der Stolz das vollbrachte Gute nicht vor den Augen des höchsten Richters wertlos mache. Deshalb ist das Schlußkapitel der »Regula« der Demut gewidmet: »Wenn man damit prahlt, viele Tugenden erlangt zu haben, ist es gut, über die eigenen Unzulänglichkeiten nachzudenken und Demut zu üben: Statt das vollbrachte Gute zu betrachten, muß man das beachten, was zu erfüllen vernachlässigt wurde.« Alle diese wertvollen Hinweise zeigen die hohe Meinung, die der hl. Gregor von der Seelsorge hatte, die er als »ars artium«, die Kunst der Künste, bezeichnete. Die »Regula« hatte so großen Erfolg, daß sie, was eher selten ist, sehr bald ins Griechische und Angelsächsische übersetzt wurde.

Von Bedeutung ist auch das andere Werk, die »Dialoge«, in denen Gregor dem Freund und Diakon Petrus, der überzeugt ist, daß die Sitten bereits derart verdorben sind, daß sie das Entstehen von Heiligen wie in vergangenen Zeiten nicht mehr gestatteten, das Gegenteil beweist: Heiligkeit ist immer möglich, auch in schwierigen Zeiten. Er beweist es, indem er das Leben von Zeitgenossen oder vor kurzem verstorbenen Menschen erzählt, die sehr wohl als Heilige bezeichnet werden konnten, auch wenn sie nicht heiliggesprochen worden waren. Die Erzählung wird von theologischen und mystischen Betrachtungen begleitet, die aus dem Buch einen einzigartigen hagiographischen Text machen, der ganze Generationen von Lesern zu faszinieren vermag. Die Materie ist den lebendigen Traditionen des Volkes entnommen und hat den Zweck, zu erbauen und zu bilden, indem die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine Reihe von Fragen gelenkt wird, wie den Sinn des Wunders, die Auslegung der Heiligen Schrift, die Unsterblichkeit der Seele, die Existenz der Hölle, die Vorstellung vom Jenseits, alles Themen, die angemessener Erklärungen bedurften. Das zweite Buch ist zur Gänze der Gestalt Benedikts von Nursia gewidmet und ist das einzige antike Zeugnis über das Leben des heiligen Mönchs, dessen geistliche Schönheit in dem Text in ihrer ganzen Anschaulichkeit zutage tritt.

In dem theologischen Plan, den Gregor durch seine Werke entwickelt, werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft relativiert. Was für ihn mehr als alles zählt, ist der gesamte Bogen der Heilsgeschichte, der sich im finsteren Labyrinth der Zeit weiterspannt. Aus dieser Perspektive ist es bedeutsam, daß er die Ankündigung der Bekehrung der Angeln an zentraler Stelle in den »Moralischen Kommentar zu Hiob« einfügt: In seinen Augen stellte das Ereignis ein Vordringen des Reiches Gottes dar, von dem die Schrift spricht; es konnte also im Kommentar zu einem heiligen Buch mit gutem Recht erwähnt werden. Seiner Meinung nach müssen sich die Leiter der christlichen Gemeinden darum bemühen, die Ereignisse im Lichte des Wortes Gottes zu lesen: In diesem Sinn spürt der große Papst die Pflicht, Hirten und Gläubigen auf dem geistlichen Weg einer »lectio divina« Orientierung zu geben, die erleuchtet und konkret ist und sich in den Kontext des eigenen Lebens einfügt.

Bevor ich schließe, ist es gebührend, ein Wort über die Beziehungen zu sagen, die Papst Gregor mit den Patriarchen von Antiochien, Alexandrien und Konstantinopel pflegte. Er sorgte sich stets darum, ihre Rechte anzuerkennen und zu respektieren, wobei er sich vor jeder Einmischung hütete, die deren rechtmäßige Autonomie eingeschränkt hätte. Wenn sich der hl. Gregor im Kontext seiner historischen Situation dennoch dem Titel »ökumenisch« für den Patriarchen von Konstantinopel widersetzte, tat er das nicht, um diese rechtmäßige Autorität einzuschränken oder zu leugnen, sondern weil er sich um die brüderliche Einheit der universalen Kirche sorgte. Er tat es vor allem aufgrund seiner tiefen Überzeugung, daß die Demut die grundlegende Tugend jedes Bischofs sein müßte, und noch mehr die eines Patriarchen. Gregor war in seinem Herzen ein einfacher Mönch geblieben und war deshalb entschieden gegen die großen Titel. Er wollte - und das ist ein Ausdruck von ihm - »servus servorum Dei«, Diener der Diener Gottes, sein. Dieses von ihm geprägte Wort war in seinem Mund keine fromme Formel, sondern die wahre Offenbarung seiner Art zu leben und zu handeln. Er war innerlich tief betroffen von der Demut Gottes, der in Christus zu unserem Diener geworden ist, der uns die schmutzigen Füße gewaschen hat und wäscht. Darum war er überzeugt, daß vor allem ein Bischof diese Demut Gottes nachahmen und so Christus folgen sollte. Sein Wunsch war es wirklich, als Mönch in ständigem Dialog mit dem Wort Gottes zu leben, aber aus Liebe zu Gott verstand er es, in einer Zeit voller Sorgen und Leiden zum Diener aller zu werden; er verstand es, »Diener der Diener« zu sein. Gerade weil er dies war, ist er groß und zeigt auch uns das Maß der wahren Größe.

In der heutigen Audienz wollen wir uns erneut dem heiligen Papst Gregor dem Großen zuwenden und nun einen Blick auf sein umfassendes Schrifttum werfen. Neben einer reichhaltigen Korrespondenz von über 800 Briefen sind vor allem Werke exegetischer und spiritueller Natur von ihm überliefert: am bekanntesten sind die Homelien zu Ezechiel und zu den Evangelien, die Auslegung zum Buch Hiob, die Pastoralregel und die Dialoge über das Wirken einiger Heiliger. Gregor will vor allem den Weg aufzeigen, auf dem wir zur Gottesschau im ewigen Leben gelangen. Dazu dient in erster Linie das Wort Gottes, die Heilige Schrift. Wir lesen die Bibel nicht, um unsere Wißbegierde zu stillen; das würde bloß unseren Stolz fördern und uns der Versuchung des Irrtums aussetzen. Nur in intellektueller Bescheidenheit und mit dem Gebet können wir uns der übernatürlichen Wirklichkeit nähern. Die Bibel sei uns dabei tägliche Nahrung für die Seele. Das gewissenhafte Studium verlangt allerdings auch die Deutung des vielfältigen Schriftsinns. Der tiefere Sinn erschließt sich unter Einbeziehung seiner moralischen Dimension. Das Verständnis ist nichts, wenn es nicht auch zum Handeln führt. So ist besonders Gregors Hiobkommentar auch ein Handbuch der Moral. Das Ideal der Moral besteht für ihn darin, ein harmonisches Miteinander von Wort und Tat zu gewährleisten. Dies ist die erste Aufgabe des praedicator, der nicht nur Lehrer sondern auch Vorbild für seine Herde sein soll. Zudem stehen für Gregor Schriftauslegung und Geschichtsdeutung in engem Zusammenhang. Die Hirten sollen sich bemühen, den Gläubigen die aktuellen Ereignisse im Licht des Wortes Gottes zu deuten. - Stets verstand Gregor seine Lehre und sein Tun als Dienst und handelte im Bewußtsein, Diener der Diener Gottes zu sein.

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Einen herzlichen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher deutscher Sprache; besonders an die Wallfahrer des Malteser-Hilfsdienstes - herzlich willkommen - und an die Gruppe des Bayerischen Roten Kreuzes. Der heilige Papst Gregor will auch uns heute sagen, daß im Licht des Wortes Gottes jede Lebenssituation einen Sinn hat. Wir sind in der Liebe des Gekreuzigten und Auferstandenen geborgen. Euch allen wünsche ich eine gesegnete Zeit hier in Rom!



Mittwoch, 11. Juni 2008: Der Hl. Kolumban

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich über den heiligen Abt Kolumban sprechen, den bekanntesten Iren des frühen Mittelalters: Er kann mit vollem Recht ein »europäischer« Heiliger genannt werden, weil er als Mönch, Missionar und Schriftsteller in verschiedenen Ländern Westeuropas gewirkt hat. Gemeinsam mit den Iren seiner Zeit war er sich der kulturellen Einheit Europas bewußt. In einem seiner Briefe, den er um das Jahr 600 an Papst Gregor den Großen geschrieben hat, findet sich im Hinblick auf die Präsenz der Kirche auf dem Kontinent zum ersten Mal die Formulierung »totius Europae - von ganz Europa« (vgl. Epistula 1,1).

Kolumban wurde um das Jahr 543 in der Provinz Leinster im Südosten Irlands geboren. Er wurde in seinem Elternhaus von sehr guten Lehrern erzogen, die ihn zum Studium der freien Künste anleiteten, und vertraute sich dann der Führung von Sinell an, dem Abt der Gemeinschaft von Cluain-Inis im Norden Irlands, wo er das Studium der Heiligen Schrift vertiefen konnte. Im Alter von circa zwanzig Jahren trat er in das im Nordosten der Insel gelegene Kloster von Bangor ein, wo Comgall Abt war, ein wegen seiner Tugend und seiner asketischen Strenge sehr bekannter Mönch. In vollem Einklang mit seinem Abt hielt sich Kolumban voll Eifer an die strenge Disziplin des Klosters und führte ein Leben des Gebets, der Askese und des Studiums. Dort wurde er auch zum Priester geweiht. Das Leben in Bangor und das Vorbild des Abtes beeinflußten die Auffassung vom Mönchtum, die bei Kolumban mit der Zeit heranreifte und die er dann im Laufe seines Lebens verbreitete.

Im Alter von ungefähr fünfzig Jahren folgte Kolumban dem typisch irischen asketischen Ideal der »peregrinatio pro Christo« - also sich für Christus auf Pilgerschaft zu begeben - und verließ die Insel, um mit zwölf Gefährten auf dem europäischen Festland ein Missionswerk zu beginnen. Wir müssen uns nämlich vergegenwärtigen, daß die Völkerwanderung aus dem Norden und Osten ganze Regionen, die bereits christianisiert waren, wieder ins Heidentum zurückfallen ließ. Um das Jahr 590 landete diese kleine Gruppe von Missionaren an der bretonischen Küste. Als sie vom fränkischen König von Austrasien (dem heutigen Frankreich) mit Wohlwollen aufgenommen wurden, baten sie nur um ein Stück unbebautes Land. Sie erhielten die alte römische Festung von Annegray, die völlig verfallen, verlassen und nun vom Wald zugewachsen war. Da die Mönche an ein Leben äußerster Entsagung gewöhnt waren, gelang es ihnen innerhalb weniger Monate, auf den Ruinen die erste Einsiedelei zu errichten. So begann sich ihre Neuevangelisierung vor allem durch das Lebenszeugnis zu entfalten. Mit der neuen Bebauung der Erde begannen sie auch mit einer neuen Kultivierung der Seelen. Der Ruf dieser ausländischen Ordensmänner, die aus dem Gebet und in großer Strenge lebten, Häuser bauten und die Erde rodeten, verbreitete sich schnell und zog Pilger und Büßer an. Vor allem viele junge Männer baten um Aufnahme in die Mönchsgemeinschaft, um zusammen mit ihnen dieses beispielhafte Leben zu führen, das die Bebauung der Erde und die Formung der Seele erneuerte. Schon bald wurde die Gründung eines zweiten Klosters notwendig. Es wurde, nur wenige Kilometer entfernt, auf den Ruinen der alten Thermalstadt Luxeuil errichtet. Das Kloster sollte dann zum Ausstrahlungszentrum der monastischen und missionarischen Tradition Irlands auf dem europäischen Kontinent werden. Ein drittes Kloster wurde in Fontaine errichtet, eine Wegstunde weiter im Norden.

In Luxeuil lebte Kolumban fast zwanzig Jahre lang. Hier schrieb der Heilige für seine Schüler die »Regula monachorum«, die eine Zeitlang in Europa verbreiteter war als die Regel des hl. Benedikt und die das Idealbild des Mönchs umriß. Sie ist die einzige alte irische Mönchsregel, die wir heute besitzen. Als Ergänzung arbeitete er die »Regula coenobialis« aus, eine Art Strafgesetzbuch für die Vergehen der Mönche, mit Strafen, die für das moderne Empfinden ziemlich überraschend sind und sich nur aus der Mentalität der Zeit und des Umfeldes erklären lassen. Mit einem weiteren berühmten Werk, das den Titel »De poenitentiarum misura taxanda« trägt und ebenfalls in Luxeuil geschrieben wurde, führte Kolumban auf dem Kontinent die private und wiederholte Buße und Beichte ein; sie wurde aufgrund des festgestellten Verhältnisses zwischen der Schwere der Sünde und der vom Beichtvater auferlegten Buße »Tarifbußwesen« genannt. Diese Neuerungen erregten bald das Mißtrauen der Bischöfe der Region, ein Mißtrauen, das in Feindseligkeit umschlug, als Kolumban den Mut hatte, sie wegen der Verhaltensweisen einiger von ihnen offen zu tadeln. Anlaß für das Offenkundigwerden des Konflikts war die Auseinandersetzung über das Datum des Osterfestes: Irland folgte nämlich der orientalischen Tradition, die von der römischen Tradition verschieden war. Der irische Mönch wurde im Jahr 603 nach Châlon-sur-Saône einberufen, um vor einer Synode über seine Gewohnheiten bezüglich der Buße und des Osterfestes Rechenschaft abzulegen. Anstatt vor der Synode zu erscheinen, sandte er einen Brief, in dem er die Frage herunterspielte und die Synodenväter aufforderte, nicht nur über die Frage des Datums des Osterfestes, ein seiner Ansicht nach unerhebliches Problem, zu diskutieren, »sondern auch über alle notwendigen kanonischen Vorschriften, die von vielen - eine viel schwerwiegendere Angelegenheit - mißachtet werden« (vgl. Epistula II,1). Gleichzeitig schrieb er an Papst Bonifatius IV. - wie er sich einige Jahre zuvor bereits an Papst Gregor den Großen gewandt hatte (vgl. Epistula I) -, um die irische Tradition zu verteidigen (vgl. Epistula III).

Unnachgiebig, wie er in jeder moralischen Frage war, geriet Kolumban dann auch mit dem Königshaus in Konflikt, weil er König Theuderich wegen seiner ehebrecherischen Beziehungen scharf getadelt hatte. Daraus entstand ein Netz von Intrigen und Machenschaften auf persönlicher, religiöser und politischer Ebene, das im Jahr 610 zu einem Ausweisungsdekret für Kolumban und alle Mönche irischer Herkunft aus Luxeuil führte, die zu endgültiger Verbannung verurteilt wurden. Sie wurden bis zum Meer eskortiert und auf Kosten des Hofes nach Irland eingeschifft. Doch das Schiff strandete bereits in geringer Entfernung vom Ufer, und der Kapitän, der darin ein Zeichen des Himmels sah, verzichtete auf die Unternehmung und brachte aus Angst, von Gott verflucht zu werden, die Mönche auf das Festland zurück. Statt nach Luxeuil zurückzukehren, beschlossen diese, ein neues Evangelisierungswerk zu beginnen. Sie schifften sich auf dem Rhein ein und fuhren flußaufwärts. Nach einer ersten Etappe in Tuggen am Zürichsee begaben sie sich in die Gegend von Bregenz am Bodensee, um die Alemannen zu evangelisieren.

Wegen der politischen Umstände, die für sein Wirken alles andere als günstig waren, beschloß Kolumban jedoch wenig später, mit dem Großteil seiner Jünger die Alpen zu überqueren. Zurück blieb nur ein Mönch namens Gallus: aus seiner Einsiedelei sollte später die berühmte Abtei Sankt Gallen in der Schweiz entstehen. Als Kolumban in Italien ankam, fand er beim langobardischen Königshof wohlwollende Aufnahme, mußte aber sogleich beachtlichen Schwierigkeiten entgegentreten: Das Leben der Kirche war durch die bei den Langobarden noch immer vorherrschende arianische Irrlehre und durch ein Schisma zerrissen, das den Großteil der Kirchen Norditaliens von der Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom getrennt hatte. Kolumban schaltete sich maßgeblich in dieses Umfeld ein und schrieb ein Pamphlet gegen den Arianismus und einen Brief an Bonifatius IV., um ihn zu überzeugen, einige entschlossene Schritte zur Wiederherstellung der Einheit zu unternehmen (vgl. Epistula V). Als ihm der König der Langobarden im Jahr 612 oder 613 ein Grundstück in Bobbio im Tal der Trebbia zuwies, gründete Kolumban ein neues Kloster, das dann zu einem Kulturzentrum werden sollte, das mit jenem berühmten von Montecassino vergleichbar ist. Dort erreichte er das Ende seiner Tage: Er starb am 23. November 615, und an diesem Datum wird seiner im Römischen Ritus bis heute gedacht.

Die Botschaft des hl. Kolumban verdichtet sich in einem standhaften Aufruf zur Umkehr und zum Abstand von den irdischen Gütern im Hinblick auf das ewige Erbe. Mit seinem asketischen Leben und seinem kompromißlosen Verhalten gegenüber der Korruption der Mächtigen erinnert er an die strenge Gestalt des hl. Johannes des Täufers. Seine Strenge ist jedoch niemals Selbstzweck, sondern nur das Mittel, um sich frei der Liebe Gottes zu öffnen und mit seinem ganzen Sein den von ihm empfangenen Gaben zu entsprechen, indem er auf diese Weise in sich selbst das Bild Gottes wieder aufbaut und gleichzeitig das Land rodet und die menschliche Gesellschaft erneuert. Ich zitiere aus seinen »Instructiones«: »Wenn der Mensch in rechter Weise von jenen Fähigkeiten Gebrauch macht, die Gott seiner Seele gewährt hat, dann wird er Gott ähnlich sein. Denken wir daran, daß wir alle jene Gaben, die er in uns gelegt hat, als wir uns im ursprünglichen Zustand befanden, zurückerstatten müssen. Auf welche Weise wir dies tun sollen, hat er uns durch seine Gebote gelehrt. Das erste von ihnen besteht darin, den Herrn aus ganzem Herzen zu lieben, weil er uns als erster geliebt hat, von Anbeginn der Zeiten, noch ehe wir ans Licht dieser Welt gekommen sind« (vgl. Instructiones XI). Diese Worte verkörperte der irische Heilige wirklich in seinem Leben. Er war ein Mann von großer Kultur - er schrieb auch Gedichte in lateinischer Sprache und ein Grammatikbuch - und erwies sich als reich an Gnadengaben. Er war ein unermüdlicher Erbauer von Klöstern wie auch ein unnachgiebiger Bußprediger, der all seine Kraft aufgewendet hat, um die christlichen Wurzeln des entstehenden Europa zu stärken. Mit seiner geistlichen Kraft, mit seinem Glauben, mit seiner Liebe zu Gott und zum Nächsten wurde er wirklich zu einem der Väter Europas: Er zeigt auch uns heute, wo die Wurzeln liegen, aus denen dieses unser Europa wieder aufblühen kann.

Der irische Abt und Glaubensbote Kolumban, über den ich heute sprechen möchte, kann als „europäischer“ Heiliger bezeichnet werden. Als Mönch und Missionar wirkte er in verschiedenen Ländern und war sich der kulturellen Einheit Europas bewußt. Kolumban wurde um 543 in Irland geboren und trat als junger Mann in das Kloster von Bangor ein, wo er ein Leben des Gebets, der Askese und des Studiums führte. Im Alter von etwa 50 Jahren brach er gemeinsam mit zwölf Gefährten unter dem Ideal der „peregrinatio pro Christo“ zur Mission auf dem europäischen Festland auf. Zunächst wirkte er im Frankenreich und gründete dort drei Klöster, darunter Luxeuil, das zu einem wichtigen Mönchs- und Missionszentrum irischer Tradition auf dem Kontinent werden sollte. Für diese Gemeinschaften schrieb er auch zwei Regeln, die vom strengen Geist des irischen Mönchtums zeugen. Bedeutend ist auch seine Bußschrift, mit der er auf dem Festland die wiederholte persönliche Beichte und Buße einführte. Nach seiner Vertreibung von Luxeuil aufgrund politischer Machenschaften führte Kolumban sein Missionswerk unter den Alemannen in Tuggen am Zürichsee und in der Gegend von Bregenz fort. Widerstände gegen seine Arbeit veranlaßten ihn, nach Italien weiterzuziehen, während sein Schüler Gallus zurückblieb, aus dessen Einsiedelei die berühmte Abtei St. Gallen hervorgehen sollte. Kolumban hingegen gründete in Italien das Kloster von Bobbio, das sich zu einem Zentrum der Kultur entwickelte. Hier schließlich verstarb dieser große irische Glaubensbote im Jahre 615.

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Von Herzen grüße ich alle Audienzteilnehmer aus den Ländern deutscher Sprache. Auch heute braucht es Männer und Frauen, die sich wie der heilige Kolumban ganz in den Dienst des Evangeliums stellen und die Welt nach Gottes Wort mitgestalten. Haben wir keine Furcht, für den Glauben einzustehen und Gott Wege zu den Menschen in unserer Zeit zu bereiten. Der Herr segne euch und eure Lieben.



Mittwoch, 18. Juni 2008: Hl. Isidor von Sevilla

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich über den hl. Isidor von Sevilla sprechen: Er war der jüngere Bruder von Leander, der Erzbischof von Sevilla und ein großer Freund von Papst Gregor dem Großen war. Dieser Hinweis ist wichtig, weil er ermöglicht, eine für das Verständnis der Persönlichkeit Isidors unerläßliche kulturelle und spirituelle Annäherung zu berücksichtigen. Er hat nämlich Leander viel zu verdanken: jener sehr anspruchsvollen, fleißigen und strengen Persönlichkeit, die um den jüngeren Bruder ein familiäres Umfeld geschaffen hatte, das gekennzeichnet war von den asketischen Anforderungen, wie sie einem Mönch eigen sind, und von den Arbeitsrhythmen, die eine ernsthafte Hingabe an das Studium erfordert. Außerdem hatte Leander dafür gesorgt, das Notwendige vorzubereiten, um der damaligen politisch-sozialen Situation zu begegnen: In jenen Jahrzehnten waren nämlich die Westgoten, Barbaren und Arianer, in die iberische Halbinsel eingefallen und hatten sich der Territorien bemächtigt, die zum Römischen Reich gehörten. Sie mußten für die römische Welt und den katholischen Glauben wiedergewonnen werden. Das Haus Leanders und Isidors war mit einer Bibliothek ausgestattet, die sehr reich an heidnischen und christlichen klassischen Werken war. Isidor, der sich von den einen wie auch von den anderen gleichermaßen angezogen fühlte, wurde daher dazu erzogen, unter der Verantwortung des älteren Bruders mit Diskretion und Unterscheidungsvermögen eine sehr starke Disziplin bei der Hingabe an deren Studium zu entwickeln.

Im Bischofshaus von Sevilla lebte man daher in einer friedlichen und offenen Atmosphäre. Das können wir aus den kulturellen und geistlichen Interessen Isidors schließen, wie sie aus seinen Werken hervorgehen, die eine enzyklopädische Kenntnis der klassischen heidnischen Kultur und eine vertiefte Kenntnis der christlichen Kultur umfassen. So erklärt sich der Eklektizismus, der das literarische Schaffen Isidors kennzeichnet, der mit äußerster Leichtigkeit von Martial bis Augustinus, von Cicero bis zu Gregor dem Großen schweift. Der innere Kampf, den der junge Isidor durchstehen mußte, nachdem er im Jahr 599 Nachfolger seines Bruders Leander auf dem Bischofsstuhl von Sevilla geworden war, war in der Tat nicht leicht. Vielleicht verdankt man gerade diesem ständigen Kampf mit sich selbst den Eindruck eines Exzesses an Voluntarismus, den man beim Lesen der Werke dieses großen Schriftstellers spürt, der als der letzte christliche Kirchenvater der Antike gilt. Wenige Jahre nach seinem Tod im Jahr 636 bezeichnete ihn das Konzil von Toledo von 653 als »berühmten Lehrmeister unseres Zeitalters und Ehre für die katholische Kirche«.

Isidor war zweifellos ein Mann von ausgeprägten dialektischen Gegensätzen. Und auch in seinem persönlichen Leben erfuhr er einen ständigen inneren Konflikt, der demjenigen, den schon der hl. Gregor der Große und der hl. Augustinus wahrgenommen hatten, sehr ähnlich war, einen Konflikt zwischen dem Verlangen nach Einsamkeit, um sich einzig und allein der Betrachtung des Wortes Gottes zu widmen, und den Anforderungen der Liebe gegenüber den Brüdern, für deren Heil er sich als Bischof beauftragt fühlte. Er schreibt zum Beispiel in bezug auf die Verantwortlichen der Kirchen: »Der Verantwortliche einer Kirche (›vir ecclesiasticus‹) muß sich einerseits für die Welt durch die Demütigung des Fleisches kreuzigen lassen und andererseits die Entscheidung der kirchlichen Ordnung akzeptieren, wenn sie aus dem Willen Gottes kommt, nämlich sich der Leitung mit Demut widmen, auch wenn er dies nicht tun wollte« (Sententiarum liber III, 33,3: PL 83, coll. 705 B). Und einen Paragraphen weiter fügt er hinzu: »Die Männer Gottes (›sancti viri‹) wollen sich mitnichten den Dingen der Welt widmen, und sie stöhnen, wenn ihnen durch einen geheimnisvollen Plan Gottes gewisse Verantwortungen auferlegt werden… Sie tun alles, um ihnen aus dem Weg zu gehen, aber sie nehmen das an, wessen sie entfliehen möchten, und tun das, was sie hätten vermeiden wollen. Sie treten nämlich in die Tiefe des Herzens ein und suchen dort zu verstehen, was der geheimnisvolle Wille Gottes erfordert. Und wenn sie sich darüber klar werden, daß sie sich den Plänen Gottes unterwerfen müssen, so beugen sie den Hals des Herzens unter das Joch der göttlichen Entscheidung« (Sententiarum liber III, 33,3: PL 83, coll. 705-706)

Um Isidor besser zu verstehen, muß man vor allem an die Komplexität der politischen Situationen seiner Zeit erinnern, die ich bereits angedeutet habe: Während der Jahre seiner Kindheit hatte er die Bitternis der Verbannung erfahren müssen. Dennoch war er von apostolischem Enthusiasmus durchdrungen: Er erfuhr die überschwengliche Begeisterung, zur Bildung eines Volkes beizutragen, das - durch die von der Vorsehung bestimmte Bekehrung des westgotischen Thronerben Hermengild vom Arianismus zum katholischen Glauben - sowohl auf politischer als auch auf religiöser Ebene endlich seine Einheit wiederfand. Dennoch darf man nicht die enorme Schwierigkeit unterschätzen, in angemessener Weise sehr schwerwiegende Probleme wie die Beziehungen mit den Irrlehrern und den Juden in Angriff zu nehmen. Eine ganze Reihe von Problemen, die auch heute sehr konkret erscheinen, vor allem, wenn man bedenkt, was in gewissen Regionen geschieht, in denen es scheint, als wohne man dem Wiedererstehen von Situationen bei, die denen auf der iberischen Halbinsel im 6. Jahrhundert sehr ähnlich sind. Der Reichtum an kulturellen Kenntnissen, über die Isidor verfügte, gestattete es ihm, ständig die christliche Neuheit mit dem klassischen griechisch-römischen Erbe zu vergleichen, auch wenn es scheint, daß er mehr als die wertvolle Gabe der Synthese jene der »collatio« besessen habe, das heißt die Gabe der Sammlung, die in einer außerordentlichen persönlichen Bildung zum Ausdruck kam, die nicht immer so geordnet war, wie man es sich hätte wünschen können.

Zu bewundern ist auf jeden Fall seine tiefe Sorge, nichts von dem zu vernachlässigen, was die menschliche Erfahrung in der Geschichte seiner Heimat und der ganzen Welt hervorgebracht hatte. Isidor hätte nichts von dem verlieren wollen, was vom Menschen in den vergangenen Zeitaltern, seien sie nun heidnisch, jüdisch oder christlich gewesen, errungen worden war. Es darf daher nicht verwundern, wenn es ihm beim Verfolgen dieses Ziels manchmal nicht gelang, die Kenntnisse, die er besaß, so angemessen, wie er es gewollt hätte, durch die reinigenden Wasser des christlichen Glaubens gehen zu lassen. Tatsächlich bleiben jedoch in den Absichten Isidors die Vorschläge, die er macht, immer im Einklang mit dem katholischen Glauben, der von ihm standhaft verfochten wurde. In der Diskussion der verschiedenen theologischen Probleme zeigt er, daß er ihre Komplexität versteht, und schlägt oft scharfsinnig Lösungen vor, die die vollständige christliche Wahrheit aufnehmen und zum Ausdruck bringen. Das hat den Gläubigen im Laufe der Jahrhunderte ermöglicht, mit Dankbarkeit bis in unsere Zeit in den Genuß seiner Erläuterungen zu kommen. Ein bedeutsames Beispiel dazu wird uns von der Lehre Isidors über die Beziehungen zwischen aktivem und kontemplativem Leben geboten. Er schreibt: »Diejenigen, die die Ruhe der Kontemplation zu erreichen suchen, müssen sich vorher in der Arena des aktiven Lebens üben; und so, befreit von den Schlacken der Sünden, werden sie in der Lage sein, jenes reine Herz vorzuweisen, das allein erlaubt, Gott zu sehen« (Differentiarum Liber II, 34, 133: PL 83,
Col 91 A). Der Realismus eines wahren Hirten überzeugt ihn jedoch von der Gefahr, die für die Gläubigen besteht, nämlich zu eindimensionalen Menschen zu werden. Deshalb fügt er hinzu: »Der Mittelweg, der sich aus der einen und der anderen Lebensform zusammensetzt, erweist sich normalerweise als nützlicher zur Lösung jener Spannungen, die oft durch die Wahl einer einzigen Lebensform verschärft und hingegen besser durch eine Abwechslung der beiden Formen gemäßigt werden« (op. cit., 134: ebd., col. 91B).

Die endgültige Bestätigung einer rechten Lebensorientierung sucht Isidor im Vorbild Christi und sagt: »Jesus, der Erlöser, bot uns das Vorbild des aktiven Lebens, wenn er sich tagsüber dem Wirken von Zeichen und Wundern in der Stadt hingab, aber er zeigte das kontemplative Leben, wenn er sich auf den Berg zurückzog und dort im Gebet die Nacht verbrachte« (op. cit., 134: ebd.). Im Licht dieses Beispiels des göttlichen Meisters kann Isidor mit dieser klaren moralischen Lehre schließen: »Deshalb widme sich der Diener Gottes in Nachahmung Christi der Kontemplation, ohne dem aktiven Leben zu entsagen. Sich anders zu verhalten, wäre nicht recht. Denn wie man Gott mit der Kontemplation lieben muß, so muß man den Nächsten mit dem Handeln lieben. Es ist also unmöglich, ohne das gleichzeitige Vorhandensein der einen und der anderen Lebensform zu leben, noch ist es möglich zu lieben, wenn man nicht die Erfahrung sowohl der einen wie der anderen macht« (op.cit., 135: ebd., col. 91C). Ich meine, daß dies die Synthese eines Lebens ist, das die Kontemplation Gottes, den Dialog mit Gott im Gebet und in der Lesung der Heiligen Schrift wie auch das Handeln im Dienst der menschlichen Gemeinschaft und des Nächsten sucht. Diese Synthese ist die Lehre, die der große Bischof von Sevilla uns Christen von heute hinterläßt, die wir dazu berufen sind, zu Beginn eines neuen Jahrtausends von Christus Zeugnis zu geben.

Heute möchte ich über den heiligen Isidor von Sevilla sprechen, der als der letzte Kirchenvater des christlichen Altertums gilt. Isidor war der jüngere Bruder von Leander, dem Erzbischof von Sevilla, dem er im Jahr 599 als Bischof von Sevilla nachfolgte. Wie wir es neulich von Papst Gregor dem Großen gehört haben, mußte sich auch Isidor trotz seiner Neigung zum wissenschaftlichen und beschaulichen Leben mit vielen politischen und administrativen Fragen auseinandersetzen in einer unruhigen Zeit, in der die Westgoten Spanien besetzt hatten, das lateinische Erbe - die Bevölkerung aus der römischen Zeit - und die neue, wie man sagte, „barbarische“ Welt aufeinandertrafen und zur Einheit finden mußten, die schließlich gefunden wurde, als der westgotische Thronfolger Hermengild sich zum Katholizismus bekehrte. In all diesen Wirren mußte er Stifter der Einheit sein und sich um das Zusammenwachsen dieser neuen Gesellschaft sorgen. Trotzdem blieb er ein betender Mensch und auch ein Mensch, der sich viel um Kultur und Wissenschaft gemüht hat. Er hat ein reichhaltiges Werk hinterlassen: Seine Werke bilden eine umfängliche, wenn auch nicht systematische Sammlung des heidnischen, christlichen und jüdischen Wissens seiner Zeit, das er angesichts der politischen Umwälzungen für seine Gläubigen und für die Nachwelt erhalten wollte. Daraus möchte ich eine wichtige Lehre über den inneren Zusammenklang zwischen Beschauung und Aktivität herausgreifen, in der er seine eigene Erfahrung zusammenfaßt. Er warnt die Menschen davor, „eindimensional“ zu leben und empfiehlt statt dessen einen Mittelweg: nicht nur Betrachtung, Beschauung, Studium, Wissenschaft betreiben, aber auch nicht nur Aktion und Aktivismus, sondern beides in der rechten Weise miteinander verbinden. Wer Gott in seinem Leben ausläßt, weil er so viel zu tun hat, der tut am Schluß auch nicht mehr das richtige. Und wer sich nur dem Ewigen widmen will, der vernachlässigt, daß er ein Mensch ist mit Verantwortung für die Menschen seiner Zeit. Isidor sieht das Vorbild für diese Synthese in Jesus Christus selbst, der sich dem Wirken für die Menschen in der Predigt, im Helfen und Heilen hingegeben hat, der aber nächtens im Gebet beim Vater war. So, in dieser Weise - sagt er uns - sollen wir Christus nachahmen: daß wir Zeit für Gott haben und von ihm uns die Maßstäbe des Lebens geben lassen, aber von diesen Maßstäben her dann auch wirklich Verantwortung für das Leben in dieser Welt übernehmen.

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Mit Freude begrüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher hier auf dem Petersplatz. Einen besonderen Gruß richte ich an die Wallfahrer der Suchthilfeeinrichtungen des Deutschen Ordens und natürlich auch an die Marianische Kongregation aus Köln. Achten auch wir darauf, dem Gebet und der Stille einen festen Platz in unserem Tagesablauf einzuräumen, damit unsere zahlreichen Aufgaben einen tiefen Sinn, eine Mitte erhalten und zu einem Ausdruck der Hingabe an Gott und unsere Mitmenschen werden. Der Herr segne euch und eure Familien.




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