Generalaudienzen 2005-2013 10098
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Liebe Brüder und Schwestern!
Am vergangenen Mittwoch habe ich von der großen Wende gesprochen, die sich im Leben des hl. Paulus infolge seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus vollzogen hat. Jesus trat in sein Leben ein und verwandelte ihn vom Verfolger in einen Apostel. Jene Begegnung zeigte den Beginn seiner Sendung an: Paulus konnte nicht so weiterleben wie vorher, er fühlte sich jetzt vom Herrn mit dem Auftrag betraut, sein Evangelium als Apostel zu verkünden. Und genau über diese seine neue Lebenssituation, das heißt Apostel Christi zu sein, möchte ich heute sprechen. Normalerweise identifizieren wir, den Evangelien folgend, die Zwölf mit dem Titel Apostel, in der Absicht, so diejenigen zu benennen, die Weggefährten Jesu und Hörer seiner Lehre waren. Doch auch Paulus fühlt sich als wahrer Apostel, und es erscheint daher einsichtig, daß sich der paulinische Begriff des Apostolats nicht auf die Gruppe der Zwölf beschränkt. Natürlich weiß Paulus seinen eigenen Fall klar von dem jener zu unterscheiden, »die vor ihm Apostel waren« (vgl. Ga 1,17): ihnen erkennt er einen ganz besonderen Platz im Leben der Kirche zu. Wie jedoch alle wissen, versteht sich auch der hl. Paulus selbst als »Apostel« im engen Sinn. Gewiß ist, daß keiner in den Anfangszeiten des Christentums so viele Kilometer zu Land und zu Wasser zurückgelegt hat wie er, mit dem einzigen Ziel, das Evangelium zu verkünden.
Er hatte also eine Auffassung vom Apostolat, die über jene hinausging, die nur mit der Gruppe der Zwölf verbunden und vor allem vom hl. Lukas in der Apostelgeschichte überliefert ist (vgl. Ac 1,2 Ac 1,26 Ac 6,2). In der Tat macht Paulus im Ersten Brief an die Korinther eine klare Unterscheidung zwischen »den Zwölf« und »allen Aposteln«, die als zwei unterschiedliche Gruppen erwähnt werden, die der Erscheinungen des Auferstandenen teilhaftig wurden (vgl. 15,5.7). Im selben Text bezeichnet er sich dann selbst demütig als den »geringsten von den Aposteln«, indem er sich gar mit einer »Mißgeburt« vergleicht und wörtlich sagt: »Ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben. Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht - nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir« (1Co 15,9-10). Die Metapher von der Mißgeburt ist Ausdruck äußerster Demut; sie wird sich auch im Brief an die Römer des hl. Ignatius von Antiochien finden: »Ich bin der Letzte von allen, ich bin eine Mißgeburt; aber es wird mir gestattet werden, etwas zu sein, wenn ich Gott erreiche« (9,2). Was der Bischof von Antiochien im Hinblick auf sein bevorstehendes Martyrium sagen wird in der Voraussicht, daß es seinen Zustand der Unwürdigkeit umkehren wird, sagt der hl. Paulus mit Bezug auf sein apostolisches Engagement: in ihm zeigt sich die Fruchtbarkeit der Gnade Gottes, die eben einen mißlungenen Menschen in einen großartigen Apostel zu verwandeln vermag. Vom Verfolger zum Gründer von Kirchen: das hat Gott in einem vollbracht, der unter dem Gesichtspunkt des Evangeliums als minderwertig hätte betrachtet werden können!
Was also macht nach Ansicht des hl. Paulus ihn und andere zu Aposteln? In seinen Briefen finden sich drei Hauptmerkmale, die den Apostel ausmachen. Das erste besteht darin, »den Herrn gesehen« zu haben (vgl. 1Co 9,1), das heißt, eine für sein Leben bestimmende Begegnung mit ihm gehabt zu haben. In ähnlicher Weise wird er im Brief an die Galater (vgl. 1,15-16) sagen, daß er durch Gottes Gnade mit der Offenbarung seines Sohnes für die Verkündigung an die Heiden berufen, ja gleichsam auserwählt worden ist. Es ist schließlich der Herr, der ihn in das Apostolat einsetzt, nicht die eigene Anmaßung. Der Apostel wird nicht von sich aus zum Apostel, sondern er wird vom Herrn dazu gemacht; daher muß der Apostel ständig in eine Beziehung mit dem Herrn treten. Nicht umsonst sagt Paulus von sich, er sei »zum Apostel berufen« (Rm 1,1), das heißt »nicht von Menschen oder durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und durch Gott, den Vater« (Ga 1,1). Das ist das erste Merkmal: den Herrn gesehen zu haben, von ihm berufen worden zu sein.
Das zweite Merkmal ist, »ausgesandt worden zu sein«. Das griechische Wort »apóstolos« bedeutet eben »Ausgesandter, Geschickter«, das heißt Entsandter und Überbringer einer Botschaft; er muß daher als Beauftragter und Vertreter eines Auftraggebers handeln. Deshalb bezeichnet sich Paulus als »Apostel Christi Jesu« (1Co 1,1 2Co 1,1), das heißt als sein Delegierter, der ganz in seinen Dienst gestellt ist, so daß er sich auch »Knecht Christi Jesu« nennt (Rm 1,1). Wiederum tritt der Gedanke der Initiative seitens eines anderen in den Vordergrund, der Initiative Gottes in Christus Jesus, dem gegenüber man völlig in der Pflicht steht; aber vor allem wird die Tatsache hervorgehoben, daß man von ihm einen in seinem Namen zu erfüllenden Auftrag erhalten hat, während jegliches persönliches Interesse absolut in den Hintergrund tritt.
Die dritte Voraussetzung besteht in der Tätigkeit der »Verkündigung des Evangeliums« mit der anschließenden Gründung von Kirchen. »Apostel « kann und darf nämlich kein Ehrentitel sein. Er verpflichtet auf konkrete und auch dramatische Weise das ganze Dasein des Betroffenen. Im Ersten Brief an die Korinther ruft Paulus aus: »Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn?« (9,1). Ähnlich schreibt er im Zweiten Brief an die Korinther: »Unser Empfehlungsschreiben seid ihr … Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes« (3,2-3).
Man wundert sich daher nicht, wenn Chrysostomus von Paulus als »einer diamantenen Seele« spricht (Sermones Panegyrici in Solemnitates, 1,8) und dann fortfährt: »In derselben Weise, wie das Feuer durch weiteres Brennmaterial stärker wird…, so gewann das Wort des Paulus alle jene für seine Sache, mit denen er in eine Beziehung trat, und jene, die ihn anfeindeten, wurden, sobald sie von seinen Reden ergriffen waren, zur Nahrung dieses geistlichen Feuers« (ebd., 7,11). Dies erklärt, warum Paulus die Apostel als »Mitarbeiter Gottes« (1Co 3,9 2Co 6,1) bezeichnet, dessen Gnade in ihnen wirkt. Ein typisches Element des wahren Apostels, das vom hl. Paulus gut ins Licht gerückt wird, ist eine Art der Identifikation zwischen Evangelium und Verkündiger des Evangeliums, denen beiden dasselbe Los bestimmt ist. Keiner hat nämlich wie Paulus hervorgehoben, daß die Botschaft vom Kreuz Christi als »ein empörendes Ärgernis und eine Torheit« (1Co 1,23) erscheint, auf die viele mit Unverständnis und Ablehnung reagieren. Das geschah damals, und man braucht sich nicht zu wundern, daß Gleiches auch heute geschieht. An diesem Schicksal, nämlich als »empörendes Ärgernis und Torheit« zu erscheinen, hat also der Apostel teil, und Paulus weiß das: es ist die Erfahrung seines Lebens. An die Korinther schreibt er nicht ohne einen Anflug von Ironie: »Ich glaube nämlich, Gott hat uns Apostel auf den letzten Platz gestellt, wie Todgeweihte; denn wir sind zum Schauspiel geworden für die Welt, für Engel und Menschen. Wir stehen als Toren da um Christi willen, ihr dagegen seid kluge Leute in Christus. Wir sind schwach, ihr seid stark; ihr seid angesehen, wir sind verachtet. Bis zur Stunde hungern und dürsten wir, gehen in Lumpen, werden mit Fäusten geschlagen und sind heimatlos. Wir plagen uns ab und arbeiten mit eigenen Händen; wir werden beschimpft und segnen; wir werden verfolgt und halten stand; wir werden geschmäht und trösten. Wir sind sozusagen der Abschaum der Welt geworden, verstoßen von allen bis heute« (1Co 4,9-13). Das ist ein Selbstbildnis des apostolischen Lebens des hl. Paulus: in all diesen Leiden überwiegt die Freude darüber, Überbringer des Segens Gottes und der Gnade des Evangeliums zu sein.
Im übrigen teilt Paulus mit der stoischen Philosophie seiner Zeit die Vorstellung von einer hartnäckigen Standhaftigkeit in allen Schwierigkeiten, die vor ihm auftauchen; aber er überwindet die rein humanistische Perspektive dadurch, daß er an das Element der Liebe Gottes und Christi erinnert: »Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? In der Schrift steht: Um deinetwillen sind wir den ganzen Tag dem Tod ausgesetzt; wir werden behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat. Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn« (Rm 8,35-39). Das ist die Gewißheit, die tiefe Freude, die den Apostel Paulus in allen diesen Begebenheiten leitet: Nichts kann uns von der Liebe Gottes scheiden. Und diese Liebe ist der wahre Reichtum des menschlichen Lebens.
Der hl. Paulus hat sich, wie man sieht, mit seiner ganzen Existenz dem Evangelium hingegeben; wir könnten sagen, rund um die Uhr! Und er erfüllte seinen Dienst in Treue und Freude, »um auf jeden Fall einige zu retten« (1Co 9,22). Und den Kirchen gegenüber stellte er sich in eine Haltung des vollkommenen Dienstes, obwohl er wußte, daß er zu ihnen eine Vaterbeziehung (vgl. 1Co 4,15), wenn nicht gar eine Mutterbeziehung (vgl. Ga 4,19) hatte, und erklärte in bewundernswerter Weise: »Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude« (2Co 1,24). Dies bleibt die Sendung aller Apostel Christi zu allen Zeiten: Mitarbeiter an der wahren Freude zu sein.
Seit einigen Wochen spreche ich in den Katechesen der Generalaudienz über den heiligen Paulus, den wir als Apostel verehren. Wir wissen aber, daß Paulus nicht zum Kreis der Zwölf gehört, von deren Berufung das Evangelium berichtet und die nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu im Abendmahlssaal den Heiligen Geist empfangen haben. Wie kann sich Paulus dennoch voll Überzeugung als Apostel bezeichnen, auch wenn er anmerkt, daß er als ehemaliger Verfolger der Kirche Gottes der geringste von den Aposteln ist? Was macht für Paulus einen Apostel aus? - Aus seinen Briefen können wir drei Hauptmerkmale eines Apostels herauslesen: Erstens, daß er Jesus, den Herrn, gesehen hat (vgl. 1Co 9,1) und durch ihn zum Apostel berufen wurde. Zweitens, daß er von Christus als Botschafter seiner Person und seines Evangeliums ausgesandt wurde, wie es schon das Wort apóstolos (Gesandter) ausdrückt. Und schließlich ist ein Apostel jemand, der das Evangelium verkündet und dadurch die Kirche an verschiedenen Orten begründet. An Paulus sehen wir besonders deutlich, daß „Apostel“ kein leerer Ehrentitel ist, sondern die Sendung beinhaltet, „Mitarbeiter Gottes“ zu sein und sich inmitten vieler Schwierigkeiten, Angriffe und Verfolgungen unermüdlich für das Heil der Menschen einzusetzen.
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Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum. Besonders begrüße ich die Priester und kirchlichen Mitarbeiter aus dem Erzbistum München und Freising und Kardinal Wetter. Herzlich willkommen!
Die Kirche braucht auch heute leidenschaftliche Verkünder der Frohbotschaft Christi, die sich voll Einsatz und ohne Vorbehalt von Gott in den Dienst nehmen lassen. So soll das Beispiel des hl. Paulus uns anspornen, wirksame Werkzeuge der Gnade Gottes zu sein. Der Herr segne euch alle.
Botschaft an das französische Volk anlässlich der bevorstehenden Apostolischen Reise
Liebe Brüder und Schwestern!
Am kommenden Freitag werde ich als Nachfolger Petri meine erste Pastoralreise nach Frankreich unternehmen. Kurz vor meiner Ankunft möchte ich meinen herzlichen Gruß an das französische Volk und alle Bürger dieser geliebten Nation richten. Ich komme zu Euch als Bote des Friedens und der Brüderlichkeit. Euer Land ist mir nicht unbekannt. Mehrmals hatte ich die Freude, es zu besuchen und die großherzige Tradition der Gastfreundschaft und Toleranz schätzen zu lernen, wie auch seinen festen christlichen Glauben und seine erhabene menschliche und spirituelle Kultur. Der Anlaß meines jetzigen Besuchs ist die Feier des 150. Jahrestages der Erscheinungen der seligen Jungfrau Maria in Lourdes. Nach meinem Aufenthalt in Paris, der Hauptstadt Eures Landes, werde ich mich mit großer Freude der großen Schar der Pilger anschließen, die auf den Spuren der hl. Bernadette die verschiedenen Etappen auf dem Weg des Jubiläumsjahres bis zur Grotte von Massabielle zurücklegen. Zu Füßen Unserer Lieben Frau werde ich innig für die Anliegen der ganzen Kirche beten, insbesondere für die Kranken, die Ausgegrenzten, aber auch für den Frieden in der Welt. Maria sei für Euch alle, besonders für die jungen Menschen, eine Mutter, die sich stets der Nöte ihrer Kinder annimmt, und jenes Licht der Hoffnung, das Euch auf Euren Wegen erleuchten und führen soll. Liebe Freunde in Frankreich, ich lade Euch ein, mit mir dafür zu beten, daß diese Reise reiche Früchte trage. Ich freue mich schon sehr darauf, bald bei Euch zu sein, und rufe auf einen jeden von Euch, auf Eure Familien und Eure Gemeinschaft den mütterlichen Schutz der Jungfrau Maria, Unserer Lieben Frau von Lourdes, herab. Gott segne Euch.
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Liebe Brüder und Schwestern!
Die heutige Begegnung bietet mir die willkommene Gelegenheit, die verschiedenen Momente meines Pastoralbesuchs in Frankreich in den letzten Tagen noch einmal vorüberziehen zu lassen; ein Besuch, der bekanntlich seinen Höhepunkt in der Pilgerreise nach Lourdes anläßlich des 150. Jahrestages der Erscheinungen der Muttergottes vor der hl. Bernadette fand. Während ich dem Herrn innig danke, daß er mir eine so glückliche Möglichkeit gewährt hat, danke ich erneut ganz herzlich dem Erzbischof von Paris, dem Bischof von Tarbes und Lourdes, ihren jeweiligen Mitarbeitern und allen, die auf verschiedene Weise für das Gelingen meiner Pilgerreise zusammengearbeitet haben. Herzlich danke ich auch dem Präsidenten der Republik und den anderen Obrigkeiten, die mich mit so großer Höflichkeit aufgenommen haben.
Der Besuch begann in Paris, wo ich ideell dem ganzen französischen Volk begegnet bin und so einer geliebten Nation Ehrerbietung erwiesen habe, in der die Kirche bereits seit dem zweiten Jahrhundert eine fundamentale kulturstiftende Rolle gespielt hat. Es ist interessant, daß gerade in diesem Kontext die Forderung nach einer gesunden Unterscheidung zwischen der politischen und der religiösen Sphäre gereift ist, entsprechend dem bekannten Wort Jesu: »So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!« (Mc 12,17). Auch wenn auf den römischen Münzen das Bildnis des Kaisers eingeprägt war und diese deshalb an ihn erstattet werden mußten, so trägt doch das Herz des Menschen das Prägemal des Schöpfers, des einzigen Herrn unseres Lebens. Wahre Laizität bedeutet daher nicht, von der geistlichen Dimension abzusehen, sondern anzuerkennen, daß gerade diese von ihrer Wurzel her Garant unserer Freiheit und der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten ist, dank der Gebote der schöpferischen Weisheit, die das menschliche Bewußtsein zu empfangen und zu verwirklichen vermag.
In dieser Perspektive ist die ausführliche Reflexion über das Thema »Die Ursprünge der abendländischen Theologie und die Wurzeln der europäischen Kultur« angesiedelt, die ich bei der Begegnung mit der Welt der Kultur an einem wegen seines symbolischen Wertes gewählten Ort entwickelt habe. Es handelt sich um das Collège des Bernardins, das der verstorbene Kardinal Jean-Marie Lustiger als Zentrum für den kulturellen Dialog aufwerten wollte, ein für die Zisterzienser errichtetes Gebäude aus dem 12. Jahrhundert, wo die jungen Mönche ihre Studien absolvierten. Es ist also gerade die Gegenwart dieser monastischen Theologie, die auch am Ursprung unserer abendländischen Kultur steht. Ausgangspunkt meiner Ansprache war eine Betrachtung über das Mönchtum, dessen Ziel das Suchen nach Gott, »quaerere Deum«, war. In der Zeit einer tiefen Krise der antiken Kultur wählten die Mönche, vom Licht des Glaubens geleitet, den »Königsweg«: den Weg des Hörens auf das Wort Gottes. Sie waren daher die großen Gelehrten für die Heilige Schrift, und die Klöster wurden zu Schulen der Weisheit und Schulen »dominici servitii«, des Dienstes am Herrn, wie sie der hl. Benedikt nannte. Die Suche nach Gott führte die Mönche aufgrund ihrer Natur zu einer Kultur des Wortes. »Quaerere Deum«, Gott suchen: Sie suchten ihn in Anbetracht seines Wortes und mußten daher dieses Wort immer tiefer kennenlernen. Es galt, in das Geheimnis der Sprache einzudringen, sie in ihrer Struktur zu verstehen. Für die Suche nach Gott, der sich uns in der Heiligen Schrift offenbart hat, wurden auf diese Weise die Profanwissenschaften wichtig, die darauf ausgerichtet waren, die Geheimnisse der Sprachen zu ergründen. In den Klöstern entwickelte sich in der Folge jene »eruditio«, die das Sich-Herausbilden der Kultur ermöglichen sollte. Gerade deshalb bleibt heute wie gestern das »quaerere Deum«, das Suchen nach Gott, das Unterwegssein zu Gott, der Königsweg und das Fundament jeder wahren Kultur.
Künstlerischer Ausdruck der Suche nach Gott ist auch die Architektur, und es besteht kein Zweifel, daß die Kathedrale Notre-Dame in Paris dafür ein Beispiel von universellem Wert darstellt. Im Inneren dieser wunderbaren Kirche, wo ich die Freude hatte, der Feier der Vesper der seligen Jungfrau Maria vorzustehen, habe ich die Priester, Diakone, Ordensmänner, Ordensfrauen und die Seminaristen, die aus allen Teilen Frankreichs gekommen waren, ermahnt, dem andächtigen Hören des göttlichen Wortes den Vorrang zu geben, mit Blick auf die Jungfrau Maria als erhabenes Vorbild. Auf dem Vorplatz von Notre-Dame habe ich dann die Jugendlichen begrüßt, die sich dort zahlreich und begeistert eingefunden hatten. Vor dem Beginn ihrer langen Gebetsvigil habe ich ihnen zwei Schätze des christlichen Glaubens anvertraut: den Heiligen Geist und das Kreuz. Der Geist öffnet den menschlichen Verstand für Horizonte, die ihn übersteigen, und läßt ihn die Schönheit und Wahrheit der gerade im Kreuz offenbar gewordenen Liebe Gottes verstehen. Eine Liebe, von der uns nichts wird trennen können und die man erfährt, wenn man nach dem Vorbild Christi sein Leben hingibt. Dann ein kurzer Aufenthalt im Institut de France, Sitz der fünf nationalen Akademien: Da ich Mitglied einer der Akademien bin, habe ich dort mit großer Freude meine Kollegen gesehen. Und danach hat mein Besuch in der Eucharistiefeier auf der »Esplanade des Invalides« seinen Höhepunkt gefunden. Die Worte des Apostels Paulus an die Korinther aufgreifend, habe ich die Gläubigen von Paris und ganz Frankreich eingeladen, den lebendigen Gott zu suchen, der uns sein wahres Antlitz in dem in der Eucharistie gegenwärtigen Jesus gezeigt hat und uns dazu anspornt, unsere Brüder so zu lieben, wie er uns geliebt hat.
Dann habe ich mich nach Lourdes begeben, wo ich mich sofort den Tausenden Gläubigen auf dem »Jubiläumsweg« anschließen konnte, der durch die Orte des Lebens der hl. Bernadette führt: die Pfarrkirche mit dem Taufstein, wo sie getauft worden ist; den »Cachot«, wo sie als Kind in großer Armut lebte; die Grotte von Massabielle, wo ihr die Jungfrau achtzehn Mal erschienen ist. Am Abend habe ich an der traditionellen Lichterprozession teilgenommen, einer wunderbaren Kundgebung des Glaubens an Gott und der Hingabe an seine und unsere Mutter. Lourdes ist wirklich ein Ort des Lichts, des Gebetes, der Hoffnung und der Umkehr, die auf dem Felsen der Liebe Gottes gründen, die ihre höchste Offenbarung im glorreichen Kreuz Christi gefunden hat.
Durch ein glückliches Zusammentreffen erinnerte die Liturgie des vergangenen Sonntags an die Erhöhung des Heiligen Kreuzes, Zeichen der Hoffnung schlechthin, weil es höchstes Zeugnis der Liebe ist. In Lourdes lernen die Pilger in der Schule Mariens, der ersten und vollkommenen Jüngerin des Gekreuzigten, die Kreuze des eigenen Lebens im Licht des glorreichen Kreuzes Christi zu betrachten. Als Maria in der Grotte von Massabielle Bernadette erschien, war die erste Geste Mariens eben das Kreuzzeichen, still und ohne Worte. Und Bernadette ahmte sie nach, indem sie ihrerseits das Kreuzzeichen machte, wenngleich mit zitternder Hand. Und so hat die Gottesmutter eine erste Einführung in das Wesen des Christentums gegeben: Das Kreuzzeichen ist die Summe unseres Glaubens, und wenn wir uns mit aufmerksamem Herzen bekreuzigen, treten wir ganz in das Geheimnis unseres Heils ein. In jener Geste der Gottesmutter liegt die ganze Botschaft von Lourdes! Gott hat uns so sehr geliebt, daß er sich für uns hingegeben hat: das ist die Botschaft des Kreuzes, »Geheimnis von Tod und Herrlichkeit«. Das Kreuz erinnert uns daran, daß es keine wahre Liebe ohne Leiden und kein Geschenk des Lebens ohne Schmerz gibt. Viele lernen diese Wahrheit in Lourdes, das eine Schule des Glaubens und der Hoffnung ist, da es auch Schule der Nächstenliebe und des Dienstes an den Brüdern ist. In diesem Rahmen des Glaubens und des Gebets fand die wichtige Begegnung mit den französischen Bischöfen statt: es war ein Augenblick inniger geistlicher Gemeinschaft, in dem wir der Jungfrau die gemeinsamen Erwartungen und pastoralen Sorgen anvertraut haben.
Die nächste Etappe ist dann die eucharistische Prozession mit Tausenden von Gläubigen gewesen, unter ihnen, wie immer, viele Kranke. Vor dem Allerheiligsten Sakrament ist unsere geistliche Gemeinschaft mit Maria noch intensiver und tiefer geworden, da sie uns Augen und Herzen schenkt, die fähig sind, ihren göttlichen Sohn in der heiligen Eucharistie zu betrachten. Bewegend war das Schweigen dieser Tausenden von Menschen vor dem Herrn; kein leeres Schweigen, sondern erfüllt vom Gebet und vom Bewußtsein der Gegenwart des Herrn, der uns so sehr geliebt hat, daß er sich für uns hat kreuzigen lassen. Der Montag, 15. September, liturgisches Gedächtnis der Schmerzen der allerseligsten Jungfrau Maria, war schließlich in besonderer Weise den Kranken gewidmet. Nach einem kurzen Besuch der Spitalskapelle, wo Bernadette die erste heilige Kommunion empfangen hatte, habe ich auf dem Vorplatz der Rosenkranzbasilika der Feier der Heiligen Messe vorgestanden, in deren Verlauf ich das Sakrament der Krankensalbung gespendet habe. Mit den Kranken und mit allen, die sie pflegen, wollte ich über die Tränen Mariens meditieren, die sie unter dem Kreuz vergossen hat, und über ihr Lächeln, das den Ostermorgen erhellt.
Liebe Brüder und Schwestern, danken wir gemeinsam dem Herrn für diese an vielen geistlichen Gaben reiche Apostolische Reise. Loben wir ihn insbesondere dafür, daß Maria, als sie der hl. Bernadette erschien, in der Welt einen bevorzugten Raum eröffnet hat, um der göttlichen Liebe zu begegnen, die heilt und rettet. In Lourdes lädt die selige Jungfrau alle ein, die Erde als Ort unserer Pilgerreise in die endgültige Heimat, den Himmel, anzusehen. In der Tat sind wir alle Pilger; wir brauchen die Mutter, die uns führt; und in Lourdes lädt uns ihr Lächeln dazu ein, mit großem Vertrauen weiterzugehen, im Bewußtsein, daß Gott gut ist, daß Gott die Liebe ist.
Bei der heutigen Audienz möchte ich Rückblick auf meinen Pastoralbesuch in Frankreich vor einigen Tagen halten. Der Anlaß dieser Pilgerreise war ja bekanntlich das 150-Jahr-Jubiläum der Erscheinungen der Muttergottes in Lourdes. Zunächst führte mich mein Weg in die Hauptstadt Paris. Ich grüßte damit symbolisch ganz Frankreich, in dem die Kirche sehr früh schon eine bedeutende kulturstiftende Rolle gespielt hat. So lag es nahe, beim Treffen mit Vertretern aus dem Bereich der Kultur über die „Ursprünge der abendländischen Theologie und die Wurzeln der europäischen Kultur“ zu sprechen. Ausgangspunkt meiner Überlegungen war dabei das Mönchtum mit seiner Grundhaltung, Gott zu suchen. Die Klöster waren stets Stätten der Kultur und „Schulen des göttlichen Dienstes“, „scholae dominici servitii“. Die Suche nach Gott und die Bereitschaft, Ihm zuzuhören, bleiben auch heute Grundlage wahrer Kultur. Die feierlichen Gottesdienste und die Begegnungen mit unzähligen Gläubigen und Pilgern in Paris und vor allem in Lourdes haben mich und viele Menschen sehr berührt. Lourdes ist wirklich eine Stätte des Lichtes, des Gebets, der Hoffnung und der Bekehrung. Mit Maria betrachten wir das Geheimnis des Kreuzes und lernen, die Kreuze des eigenen Lebens im Licht des Kreuzes Christi zu sehen. Es erinnert uns daran, daß wahre Liebe auch das Leid einschließt und wir berufen sind, für unsere Mitmenschen, besonders für die Leidenden, da zu sein. Maria hat in Lourdes einen bevorzugten Ort der Begegnung mit der Liebe Gottes aufgetan, die gesund macht und Heil schenkt. Dafür wollen wir dem Herrn danken.
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Gerne heiße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache willkommen. Am Kreuz hat uns Christus Maria zur Mutter gegeben. Wir dürfen darauf vertrauen, daß sie als Mutter immer für die Nöte ihrer Kinder da ist. Im Licht, das von ihrem Antlitz und von ihrem Lächeln ausgeht, scheint das Erbarmen Gottes durch. Bitten wir Maria, mit uns den Weg unserer irdischen Pilgerschaft gehen. Von Herzen segne ich euch alle.
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Liebe Brüder und Schwestern!
Heute möchte ich über das Verhältnis des hl. Paulus zu den Aposteln sprechen, die ihm in der Nachfolge Jesu vorausgegangen waren. Diese Beziehungen waren immer von tiefer Achtung und von jener Aufrichtigkeit gekennzeichnet, die Paulus aus der Verteidigung der Wahrheit des Evangeliums erwuchsen. Obwohl er praktisch ein Zeitgenosse des Jesus von Nazaret war, hatte er während dessen öffentlichen Lebens nie die Gelegenheit gehabt, ihm zu begegnen. Nachdem er auf dem Weg nach Damaskus blitzartig erleuchtet worden war, spürte er das Bedürfnis, die ersten Jünger des Meisters kennenzulernen; jene, die von diesem selbst auserwählt worden waren, das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu bringen.
Im Brief an die Galater bietet Paulus einen wichtigen Bericht über seine Begegnungen mit einigen der Zwölf: vor allem mit Petrus, der als »Kephas« erwählt worden war - das aramäische Wort bedeutet Fels, auf dem die Kirche gebaut wurde (vgl. Ga 1,18); dann mit Jakobus, »dem Bruder des Herrn« (vgl. Ga 1,19), und mit Johannes (vgl. Ga 2,9): Paulus zögert nicht, sie als »die Säulen« der Kirche anzuerkennen. Besonders bedeutsam ist die Begegnung mit Kephas (Petrus), die in Jerusalem stattfand: Paulus blieb fünfzehn Tage bei ihm, um »ihn kennenzulernen« (vgl. Ga 1,18), das heißt um sich über das Erdenleben des Auferstandenen informieren zu lassen, der ihn auf dem Weg nach Damaskus »ergriffen« hatte und nun sein Leben radikal veränderte: Vom Verfolger der Kirche Gottes war er zum Verkünder jenes Glaubens an den gekreuzigten Messias und Sohn Gottes geworden, den er vorher zu vernichten versucht hatte (vgl. Ga 1,23).
Welche Art von Informationen über Jesus Christus hat Paulus in den drei Jahren nach der Begegnung von Damaskus erhalten? Im Ersten Brief an die Korinther finden sich zwei eingeflochtene Textabschnitte, die Paulus in Jerusalem kennengelernt hatte und die bereits als zentrale Elemente der christlichen Überlieferung, der grundlegenden Überlieferung formuliert worden waren. Er gibt sie wörtlich mit einer sehr feierlichen Formulierung so wieder, wie er sie empfangen hat: »Ich überliefere euch, was auch ich empfangen habe.« Er besteht also auf der Treue zu allem, was er selber empfangen hat und das er getreu an die neuen Christen weitergibt. Das sind Kernelemente, und sie betreffen die Eucharistie und die Auferstehung; es handelt sich um Texte, die bereits in den dreißiger Jahren formuliert worden waren. So gelangen wir zum Tod, zur Grablegung und zur Auferstehung Jesu (vgl. 1Co 15,3-4). Nehmen wir das eine wie das andere: Die Worte Jesu beim Letzten Abendmahl (vgl. 1Co 11,23-25) sind für Paulus wirklich Mittelpunkt des Lebens der Kirche: die Kirche wird von diesem Mittelpunkt ausgehend erbaut und wird so sie selbst. Über diesen eucharistischen Mittelpunkt hinaus, in dem die Kirche immer neu geboren wird, hatten diese Worte - auch für die ganze Theologie des hl. Paulus, für sein gesamtes Denken - eine beträchtliche Auswirkung auf die persönliche Beziehung des Paulus zu Jesus. Einerseits bezeugen sie, daß die Eucharistie den Fluch des Kreuzes erhellt und ihn zum Segen macht (vgl. Ga 3,13-14); und andererseits erklären sie die Tragweite des Todes und der Auferstehung Jesu. In seinen Briefen wird das »für euch« bei der Einsetzung der Eucharistie zum »für mich« (Ga 2,20), indem er es personalisiert im Wissen darum, daß er selbst in jenem »euch« von Jesus erkannt und geliebt wurde; andererseits wird es zum »für alle« (2Co 5,14): dieses »für euch« wird zum »für mich« und »für die Kirche« (Ep 5,25), das heißt auch zum »für alle« des Sühneopfers am Kreuz (vgl. Rm 3,25). Von der Eucharistie her und in ihr erbaut sich die Kirche und erkennt sich als »Leib Christi« (1Co 12,27), der jeden Tag von der Macht des Geistes des Auferstandenen genährt wird.
Der andere Text, über die Auferstehung, vermittelt uns wiederum dieselbe Treueformel. Der hl. Paulus schreibt: »Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus starb für unsere Sünden, gemäß der Schrift, und wurde begraben. Er ist am dritten Tag auferweckt, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölfen« (1Co 15,3-5). Auch in dieser an Paulus weitergegebenen Überlieferung kehrt jenes »für unsere Sünden« wieder, das den Akzent auf die Selbsthingabe Jesu an den Vater setzt, um uns von den Sünden und vom Tod zu befreien. Aus dieser Selbsthingabe wird Paulus die ergreifendsten und faszinierendsten Formulierungen unseres Verhältnisses zu Christus schöpfen: »Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden« (2Co 5,21); »Denn ihr wißt, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen« (2Co 8,9). Es lohnt sich, an den Kommentar zu erinnern, mit dem der damalige Augustinermönch Martin Luther diese paradoxen Wendungen des Paulus begleitete: »Dies ist das großartige Geheimnis von der göttlichen Gnade gegenüber den Sündern: Daß durch einen wunderbaren Austausch unsere Sünden nicht mehr die unsrigen sind, sondern die Sünden Christi, und die Gerechtigkeit Christi nicht mehr die seine ist, sondern unsere« (Psalmenkommentar, 1513-1515). Und so sind wir gerettet.
In dem ursprünglichen, mündlich weitergegebenen »kerygma« (Verkündigung) ist die Verbalform »er ist auferweckt« statt »er wurde auferweckt« hervorzuheben, dessen Verwendung in Fortsetzung von »er starb … und wurde begraben« logischer gewesen wäre. Die Verbalform »er ist auferweckt« wurde gewählt, um zu unterstreichen, daß sich die Auferstehung Christi bis in die Gegenwart des Daseins der Gläubigen auswirkt: Wir können es übersetzen mit »er ist auferweckt und lebt weiter« in der Eucharistie und in der Kirche. So geben alle Schriften Zeugnis vom Tod und von der Auferstehung Christi, da - wie Hugo von Sankt Viktor schreibt - »die ganze göttliche Schrift ein einziges Buch bildet, und dieses eine Buch ist Christus, da die ganze Schrift von Christus spricht und in Christus ihre Erfüllung findet« (De arca Noe, 2,8). Wenn der hl. Ambrosius von Mailand sagen kann, daß »wir in der Schrift Christus lesen«, dann deshalb, weil die Kirche der Anfangszeit alle Schriften Israels von Christus her und mit Rückblick auf ihn gelesen hat.
Die Reihe der Erscheinungen des Auferstandenen vor Kephas, den Zwölfen, mehr als fünfhundert Brüdern und dem Jakobus schließt mit dem Hinweis auf die Erscheinung, die Paulus persönlich auf dem Weg nach Damaskus empfangen hat: »Als letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der ›Mißgeburt‹« (1Co 15,8). Da er die Kirche Gottes verfolgt hatte, bringt er in diesem Bekenntnis seine Unwürdigkeit zum Ausdruck, auf derselben Ebene als Apostel anerkannt zu werden wie jene, die ihm vorausgegangen sind: Doch die Gnade Gottes an ihm ist nicht vergebens gewesen (vgl. 1Co 15,10). So verbindet die machtvolle Bestätigung der göttlichen Gnade Paulus mit den ersten Zeugen der Auferstehung Christi: »Ob nun ich verkündige oder die anderen: das ist unsere Botschaft, und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt« (1Co 15,11). Es kommt auf die Identität und Einzigartigkeit der Verkündigung des Evangeliums an: Sowohl sie wie ich verkünden denselben Glauben, dasselbe Evangelium von Jesus Christus, der gestorben und auferstanden ist und sich uns in der Heiligsten Eucharistie schenkt.
Die Bedeutung, die er der lebendigen Tradition der Kirche beimißt, die er an seine Gemeinden weitergibt, zeigt, wie abwegig die Meinung derer ist, die Paulus die Erfindung des Christentums zuschreiben: Bevor er Jesus Christus, seinen Herrn, verkündete, ist er ihm auf dem Weg nach Damaskus begegnet und hat ihn in der Kirche aufgesucht, indem er dessen Leben in den Zwölfen und in den Menschen beobachtete, die Jesus auf den Straßen Galiläas gefolgt sind. In den nächsten Katechesen werden wir Gelegenheit haben, die Beiträge zu vertiefen, die Paulus der Kirche der Anfangszeit geschenkt hat; aber die vom Auferstandenen empfangene Sendung, den Heiden das Evangelium zu verkünden, muß von denen bestätigt und garantiert werden, die ihm und Barnabas zum Zeichen der Billigung ihres Apostolats und ihrer Glaubensverkündigung und zum Zeichen ihrer Aufnahme in die eine Gemeinschaft der Kirche Christi die Hand gaben (vgl. Ga 2,9). Da versteht man, daß die Formulierung »auch wenn wir früher Christus nach menschlichen Maßstäben eingeschätzt haben« (2Co 5,16) nicht bedeutet, daß sein irdisches Leben geringe Bedeutung für unser Reifwerden im Glauben habe, sondern daß sich vom Augenblick seiner Auferstehung an unsere Art der Beziehung zu ihm ändert. Er ist zugleich der Sohn Gottes, »dem Fleisch nach geboren als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten«, wie Paulus am Beginn des Briefes an die Römer (1,3-4) erinnern wird.
Je mehr wir versuchen, die Spuren des Jesus von Nazaret auf den Straßen von Galiläa aufzufinden, um so mehr können wir begreifen, daß er unser Menschsein angenommen und es in allem außer der Sünde geteilt hat. Unser Glaube entsteht weder aus einem Mythos noch aus einer Idee, sondern aus der Begegnung mit dem Auferstandenen im Leben der Kirche.
Heute wollen wir das Verhältnis des heiligen Paulus zu den Aposteln und der jungen Kirche betrachten. Paulus hatte Jesus während seines öffentlichen Wirkens nie persönlich kennengelernt. Er war also auf die Berichte der Apostel und der anderen Jünger angewiesen. Paulus erwähnt dies im Galaterbrief: Nach seiner Bekehrung ging er „nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennenzulernen, und blieb 15 Tage bei ihm“ (1, 18). Der Kern der Botschaft, die Paulus dort über das Leben und Wirken des Herrn erhält, besteht vor allem in den Worten Jesu beim Abendmahl, im Tod und in der Grablegung, in der Auferstehung am dritten Tag und im Erscheinen des Auferstandenen vor Kephas und den anderen Jüngern. Davon spricht die Überlieferung, die Paulus selbst empfangen hat: „Christus starb für unsere Sünden, gemäß der Schrift, und wurde begraben. Er ist am dritten Tage auferweckt, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölfen“ (1Co 15,3-5). Hier ist bemerkenswert, daß das Wort “auferweckt“ in einer anderen Zeitform als die übrigen Verben steht, welche die Verbindung des Geschehens der Auferstehung mit der Gegenwart zum Ausdruck bringt: Die Auferstehung Christi ist nicht bloß ein historisches Ereignis, sondern Christus lebt wirklich und ist in den Sakramenten der Kirche gegnwärtig. Die Bedeutung, die der Apostel der lebendigen Tradition beimißt, zeigt uns, wie abwegig die Meinung ist, die Paulus sozusagen die Erfindung des Christentums zuschreiben will. Vor seiner Mission als Völkerapostel steht die Begegnung des Paulus mit dem Auferstandenen; die Sendung wurde bestätigt und garantiert durch die Apostel, die ihm „die Hand gaben zum Zeichen der Gemeinschaft“ (Ga 2,9).
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Ganz herzlich grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Zunge, besonders die Pfarrhaushälterinnen wie auch die Wallfahrer von Pro Retina und die vielen jungen Menschen. Von Paulus lernen wir, daß der Glaube nur in der Begegnung mit dem Auferstandenen und im Leben der Kirche wachsen kann. Laßt euch vom Geist des Völkerapostels inspirieren und macht Christus allen Menschen bekannt. Der Herr geleite euch auf euren Wegen!
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