Generalaudienzen 2005-2013 21019

Mittwoch, 21. Januar 2009: Gebetswoche für die Einheit der Christen

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Liebe Brüder und Schwestern!

Am vergangenen Sonntag hat die »Gebetswoche für die Einheit der Christen« begonnen, die am nächsten Sonntag, dem Fest der Bekehrung des heiligen Apostels Paulus, zu Ende gehen wird. Es handelt sich um eine äußerst wertvolle geistliche Initiative, die unter den Christen immer größere Verbreitung findet - im Einklang und, so könnten wir sagen, in Antwort auf die inständige Bitte, die Jesus vor seinem Leiden im Abendmahlssaal an den Vater richtete: »Alle sollen eins sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast« (
Jn 17,21). Viermal bittet der Herr in diesem Hohepriesterlichen Gebet, seine Jünger mögen »eins« sein, entsprechend dem Bild der Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn. Es handelt sich um eine Einheit, die nur nach dem Vorbild der Hingabe des Sohnes an den Vater, das heißt im Aus-sich-Herausgehen und Sich-Vereinen mit Christus, wachsen kann. Außerdem fügt Jesus in diesem Gebet zweimal als Ziel dieser Einheit hinzu: damit die Welt glaubt. Die volle Einheit ist also mit dem Leben und der Sendung der Kirche in der Welt eng verbunden. Sie muß eine Einheit leben, die nur aus ihrer Einheit mit Christus, mit seiner Transzendenz als Zeichen dafür, daß Christus die Wahrheit ist, entstehen kann. Dafür tragen wir Verantwortung: daß in der Welt das Geschenk einer Einheit sichtbar werde, kraft welcher unser Glaube glaubwürdig wird. Dafür ist es wichtig, daß sich jede christliche Gemeinschaft der Dringlichkeit bewußt wird, auf jede nur mögliche Weise für die Erreichung dieses großen Ziels zu arbeiten. Da man aber weiß, daß die Einheit vor allem ein »Geschenk« des Herrn ist, muß sie zugleich mit unermüdlichem und vertrauensvollem Gebet erfleht werden. Nur wenn wir aus uns heraus- und auf Christus zugehen, nur in der Beziehung zu ihm können wir wirklich untereinander eins werden. Das ist die Einladung, die mit dieser »Gebetswoche« an die Christgläubigen jeder Kirche und kirchlichen Gemeinschaft ergeht; darauf, liebe Brüder und Schwestern, antworten wir mit bereitwilliger Großzügigkeit.

In diesem Jahr schlägt uns die »Gebetswoche für die Einheit« für unsere Betrachtung und unser Gebet die folgenden Worte vor, die dem Buch des Propheten Ezechiel entnommen sind: »So daß sie eins werden in deiner Hand« (37,17). Das Thema wurde von einer ökumenischen Gruppe in Korea ausgewählt und dann für die internationale Verbreitung vom »Gemischten Komitee für das Gebet« bearbeitet, das aus Vertretern des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf gebildet wird. Der Vorbereitungsprozeß selbst war eine fruchtbare und anregende Übung echter Ökumene.

In dem Abschnitt aus dem Buch des Propheten Ezechiel, dem das Thema entnommen ist, befiehlt der Herr dem Propheten, zwei Hölzer zu nehmen, eines als Symbol für Juda und seine Stämme und das andere als Symbol für Josef und das ganze mit ihm verbundene Haus Israel, und sie so »aufeinanderzulegen«, daß sie ein einziges Holz bilden, »eins werden« in seiner Hand. Das Gleichnis für die Einheit ist offensichtlich. Zu den »Söhnen des Volkes«, die ihn um eine Erklärung fragen werden, wird Ezechiel, von oben erleuchtet, sagen, daß der Herr selbst die zwei Hölzer nimmt und sie so aufeinanderlegt, daß die zwei Reiche mit den untereinander feindlich getrennten Stämmen »eins werden in seiner Hand«. Die Hand des Propheten, die die beiden Hölzer aufeinanderlegt, wird als die Hand Gottes gesehen, der sein Volk und schließlich die ganze Menschheit sammelt und vereint. Wir können die Worte des Propheten auf die Christen anwenden im Sinne einer Ermahnung, zu beten und zu arbeiten und alles nur Mögliche zu tun, damit sich die Einheit aller Jünger Christi erfülle; zu arbeiten, damit unsere Hand Werkzeug der einigenden Hand Gottes sei. Diese Ermahnung wird in den Worten Jesu nach dem Letzten Abendmahl besonders ergreifend und inständig. Der Herr möchte, daß sein ganzes Volk geduldig und beharrlich auf das Ziel der vollen Einheit voranschreite - und sieht darin die Kirche der Zukunft, der kommenden Jahrhunderte. Dies ist eine Aufgabe, die demütige Treue und fügsamen Gehorsam gegenüber dem Gebot des Herrn einschließt, der sie segnet und fruchtbar macht. Der Prophet Ezechiel versichert uns, daß es gerade er, unser einer Herr, der eine Gott, sein wird, der uns in »seiner Hand« aufnehmen wird.

Im zweiten Teil der Lesung aus der Bibel werden die Bedeutung und die Bedingungen der Einheit der verschiedenen Stämme in einem einzigen Reich vertieft. In der Zerstreuung unter den anderen Völkern hatten die Israeliten falsche Kulte kennengelernt, irrige Lebensauffassungen reifen lassen, vom göttlichen Gesetz abweichende Bräuche angenommen. Nun erklärt der Herr, daß sie sich nicht mehr unrein machen werden durch die Götzen der Heidenvölker, ihre Greuel und alle ihre Untaten (vgl. Ez Ez 37,23). Er erinnert sie an die Notwendigkeit, sie von der Sünde zu befreien, ihr Herz zu reinigen. »Ich befreie sie von aller Sünde«, sagt er, »ich mache sie rein«. Und so »werden sie mein Volk sein, und ich werde ihr Gott sein« (ebd.). In diesem Zustand innerer Erneuerung »werden sie nach meinen Rechtsvorschriften leben und auf meine Gesetze achten und sie erfüllen«. Und der Text des Propheten schließt mit der endgültigen und ganz und gar heilbringenden Verheißung: »Ich schließe mit ihnen einen Friedensbund… Ich werde mitten unter ihnen für immer mein Heiligtum errichten« (Ez 37,26).

Die Vision des Ezechiel wird für die ganze ökumenische Bewegung besonders bedeutsam, weil sie das unabdingbare Erfordernis einer echten inneren Erneuerung bei allen Mitgliedern des Volkes Gottes, die allein der Herr bewirken kann, ins Licht rückt. Für diese Erneuerung müssen auch wir offen sein, weil auch wir, Verstreute unter den Völkern der Welt, Verhaltensweisen angenommen haben, die dem Wort Gottes fernstehen. »Jede Erneuerung der Kirche«, so ist im Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils zu lesen, »besteht wesentlich im Wachstum der Treue gegenüber ihrer eigenen Berufung, und so ist ohne Zweifel hierin der Sinn der Bewegung in Richtung auf die Einheit zu sehen« (Unitatis redintegratio UR 6), das heißt in der größeren Treue zur Berufung Gottes. Das Dekret unterstreicht sodann die innere Dimension der Bekehrung des Herzens: »Es gibt keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit« (ebd., 7). Auf diese Weise wird die »Gebetswoche für die Einheit« für uns alle Ansporn zu einer aufrichtigen Umkehr und zu einem immer fügsameren Hören auf das Wort Gottes, zu einem immer tieferen Glauben.

Die »Gebetswoche« ist auch eine günstige Gelegenheit, um dem Herrn für all das zu danken, was er uns bisher zu tun gewährt hat, um die getrennten Christen und ebenso die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften einander »näherzubringen«. Dieser Geist hat die katholische Kirche beseelt, die im gerade zu Ende gegangenen Jahr weiterhin mit fester Überzeugung und tiefer Hoffnung brüderliche und respektvolle Beziehungen mit allen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in Ost und West unterhalten hat. In der Vielfältigkeit der Situationen, die manchmal positiver und manchmal mit größeren Schwierigkeiten behaftet sind, hat sie sich bemüht, nicht nachzulassen in dem Bemühen, jede Anstrengung zu unternehmen, die auf die Wiederherstellung der vollen Einheit ausgerichtet ist. Die Beziehungen zwischen den Kirchen und die theologischen Dialoge haben weiterhin Zeichen ermutigender geistlicher Übereinstimmungen gesetzt. Ich selbst hatte die Freude, hier im Vatikan und bei meinen Apostolischen Reisen Christen aus aller Welt zu begegnen. Mit großer Freude habe ich dreimal den Ökumenischen Patriarchen, Seine Heiligkeit Bartholomaios I., empfangen, und wir haben erlebt, wie er - ein außerordentliches Ereignis - bei der jüngsten Versammlung der Bischofssynode mit brüderlicher kirchlicher Warmherzigkeit und überzeugtem Vertrauen in die Zukunft das Wort ergriffen hat. Ich habe mich gefreut, die beiden Katholikoi der Apostolischen Armenischen Kirche zu empfangen: Seine Heiligkeit Karekin II. von Etschmiadzin und Seine Heiligkeit Aram I. von Antelias. Schließlich habe ich den Schmerz des Moskauer Patriarchats wegen des Hinscheidens des geliebten Bruders in Christus, Seiner Heiligkeit Patriarch Aleksij II., geteilt und verbleibe im Gebet mit diesen unseren Brüdern verbunden, die sich auf die Wahl des neuen Patriarchen ihrer ehrwürdigen und großen orthodoxen Kirche vorbereiten. Ebenso war es mir möglich, mit Vertretern der verschiedenen christlichen Gemeinschaften des Westens zusammenzutreffen, mit denen der Gedankenaustausch über das wichtige Zeugnis fortgesetzt wird, das die Christen heute - in einer immer gespalteneren Welt, die vor so vielen Herausforderungen kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und ethischer Art steht - einträchtig geben müssen. Für diese und viele andere Begegnungen, Gespräche und Gesten der Brüderlichkeit, die zu verwirklichen uns der Herr gewährt hat, danken wir ihm gemeinsam voller Freude.

Liebe Brüder und Schwestern, ergreifen wir die Gelegenheit, die uns diese »Gebetswoche für die Einheit der Christen« bietet, um den Herrn zu bitten, daß das ökumenische Engagement und der Dialog fortgesetzt und, wenn möglich, intensiviert werden. Im Rahmen des Paulusjahres, das an die Geburt des hl. Paulus vor zweitausend Jahren erinnert, können wir nicht umhin, auch auf das Bezug zu nehmen, was uns der Apostel Paulus zur Einheit der Kirche schriftlich hinterlassen hat. Jeden Mittwoch widme ich meine Betrachtung seinen Briefen und seiner wertvollen Lehre. Ich greife hier einfach auf, was er an die Gemeinde von Ephesus schreibt: »Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe« (Ep 4,4-5). Machen wir uns das tiefe Verlangen des hl. Paulus zu eigen, der sein ganzes Leben für den einen Herrn und für die Einheit seines mystischen Leibes, der Kirche, eingesetzt und durch seinen Märtyrertod ein höchstes Zeugnis der Treue und Liebe zu Christus gegeben hat.

Möge jede Gemeinschaft, indem sie seinem Beispiel folgt und auf seine Fürsprache zählt, im Bemühen um die Einheit wachsen, dank der verschiedenen geistlichen und pastoralen Initiativen und der gemeinsamen Gebetsversammlungen, die üblicherweise in dieser »Woche« zahlreicher und intensiver sind und uns dadurch den Tag der vollen Einheit in einem gewissen Sinn bereits »vorauskosten« lassen. Beten wir darum, daß unter den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften der Dialog der Wahrheit, der unverzichtbar ist, um Divergenzen auszuräumen, ebenso weitergeht wie der Dialog der Liebe, der den theologischen Dialog bedingt und hilft, zusammen für ein gemeinsames Zeugnis zu leben. In unserem Herzen wohnt der Wunsch, daß baldmöglichst der Tag der vollen Gemeinschaft kommen möge, an dem alle Jünger unseres einen Herrn endlich gemeinsam die Eucharistie, das göttliche Opfer für das Leben und die Rettung der Welt, werden feiern können. Bitten wir um die mütterliche Fürsprache Mariens, daß sie allen Christen helfe, ein aufmerksameres Hören des Wortes Gottes und ein intensiveres Gebet für die Einheit zu pflegen.

In dieser Woche begehen wir die Gebetsoktav für die Einheit der Christen. Sie steht heuer unter einem Leitwort aus dem Buch des Propheten Ezechiel, das da lautet: „So daß sie eins werden in deiner Hand“ (37, 17). Dieses Motto wurde von einem ökumenischen Kreis in Korea ausgewählt und ist ein schönes Zeichen dafür, daß Christen verschiedener Konfession auf der ganzen Welt das Anliegen der Einheit teilen. In dem Abschnitt, dem dieser Vers entnommen ist, befiehlt der Herr dem Propheten, zwei Hölzer zu nehmen, die jeweils Juda und Josef mit ihren Verbündeten symbolisieren. Ezechiel soll die beiden Hölzer aufeinanderlegen und dem Volk erklären: Genau so fügt der Herr die entzweiten Stämme Israels wieder zusammen. Die Hand des Propheten, die die beiden Hölzer zusammenhält, veranschaulicht das Handeln Gottes, der die gesamte Menschheit in seiner Liebe einen will. Was heißt das für die Ökumene? Die Einheit ist zunächst eine Gabe Gottes. Deshalb müssen wir sie unermüdlich im vertrauensvollen Gebet erflehen. Gott sammelt die Seinen und bringt sie in sein Land (vgl. Ez 37, 21f), wo es keine Trennung und keinen Unfrieden mehr gibt. An uns liegt es, mit innerer Bereitschaft, mit Geduld und Ausdauer diesen Weg mitzugehen. Dazu ist eine authentische, innere Erneuerung, eine Befreiung von den Sünden und eine Reinigung des Herzens nötig. Die Gebetswoche ist somit auch ein Aufruf zur persönlichen Umkehr und zu einer Neuausrichtung auf das Wort Gottes. Zugleich gibt sie uns Gelegenheit, für die vielen ökumenischen Begegnungen in diesem Jahr zu danken, die uns der Einheit der Kirche Christi bereits näher gebracht haben.

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Ganz herzlich grüße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache, heute besonders die Delegation aus Mariazell in Begleitung von Bischof Kapellari, aber natürlich auch meine Hufschlager Nachbarn, über deren Anwesenheit ich mich freue, das Antonius-Haus, Marktl, und danke der Kalterer Kapelle für die wunderbare Musik, die sie uns geschenkt hat. Bitten wir Gott, daß er uns bei unserem ökumenischen Dialog in der Wahrheit und in der Liebe stärke und uns zum gemeinsamen Zeugnis für die Einheit befähige. Rufen wir die selige Jungfrau Maria um ihre mütterliche Hilfe an, damit wir wie sie das Wort Gottes mit wachem Herzen in uns aufnehmen. Der Herr segne euch alle!




Mittwoch, 28. Januar 2009

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Liebe Brüder und Schwestern!

Im Verlauf des Paulusjahres behandle ich in den Katechesen der Generalaudienzen einige Kernthemen der Paulusbriefe. So kommen wir heute zu den drei sogenannten Pastoralbriefen, die an Timotheus und an Titus gerichtet sind. Beide waren enge Mitarbeiter des Apostels und standen dann den Gläubigen von Ephesus beziehungsweise Kreta als Hirten und Bischöfe vor. In diesen Texten, die bereits eine gereifte Entwicklung und Struktur der christlichen Gemeinde wiederspiegeln, spielen zwei Fragen eine besondere Rolle: Was verleiht Bestand inmitten falscher Lehren und welche Anforderungen werden an den Bischof gestellt, der aus den übrigen Dienstämtern der Priester und der Diakone herausragt? Die Gemeinde kann in stürmischen Zeiten der Verwirrung nur durch ein weises Verständnis der Schrift und durch die Bewahrung des anvertrauten Glaubensguts bestehen; denn beides verankert sie in dem Fundament, das Gott durch die Offenbarung seiner Liebe in Christus gelegt hat. Dementsprechend ist das Festhalten an der Lehre und die Fähigkeit, andere im Glauben zu unterweisen, auch eine Hauptanforderung an den Bischof. Seine Aufgabe können wir besser verstehen, wenn wir die Kirche mit den Pastoralbriefen als Haus und Familie Gottes betrachten. Der Bischof ist gleichsam der Vater der Gemeinde, der in väterlicher Güte und zugleich mit der nötigen Stärke für Gottes Kinder sorgen muß.

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Ganz herzlich grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher, besonders die Ökonominnen der Salvatorianerinnen und die verschiedenen Schülergruppen vom ökumenischen und vom evangelischen Gymnasium. Ich freue mich, daß sie da sind. Beten wir, daß unsere Diözesen, Pfarreien und alle kirchlichen Gemeinschaften immer mehr zu einer wirklichen "Familie Gottes" werden, so daß die Menschen in ihnen die Liebe Christi und seine frohe Botschaft erfahren können. Der Herr segne euch und eure Angehörigen.




Mittwoch, 4. Februar 2009: Der Hl. Paulus (20): Die Bedeutung für alle christlichen Konfessionen

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die Reihe unserer Katechesen über die Gestalt des hl. Paulus findet nun ihren Abschluß: Wir wollen heute über das Ende seines irdischen Lebens sprechen. Die antike christliche Überlieferung bezeugt einstimmig, daß der Tod des Paulus infolge des hier in Rom erlittenen Martyriums eintrat. Die Schriften des Neuen Testaments berichten uns nichts darüber. Die Apostelgeschichte beendet ihren Bericht mit dem Hinweis auf die Haftsituation des Apostels, der jedoch alle, die zu ihm kamen, empfangen konnte (vgl.
Ac 28,30-31). Nur im Zweiten Brief an Timotheus finden wir die folgenden warnenden Worte: »Denn ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe« (2Tm 4,6 vgl. Ph 2,17). Hier werden zwei Bilder verwendet, das kultische Bild des Opfers, das er schon im Brief an die Philipper gebraucht hatte, als er das Martyrium als Teil des Opfers Christi interpretierte, und das aus der Seefahrt stammende Bild vom Lichten der Anker: zwei Bilder, die zusammen diskret auf das Ereignis des Todes und eines blutigen Todes anspielen.

Das erste ausdrückliche Zeugnis über das Ende des hl. Paulus stammt aus der Mitte der neunziger Jahre des 1. Jahrhunderts, also etwas mehr als drei Jahrzehnte nach seinem tatsächlichen Tod. Und zwar handelt es sich um den Brief, den die Kirche von Rom mit ihrem Bischof Clemens I. an die Kirche von Korinth schrieb. In jenem Brieftext wird dazu aufgefordert, sich das Vorbild der Apostel vor Augen zu halten, und gleich nach der Erwähnung des Martyriums des Petrus ist zu lesen: »Wegen Eifersucht und Streit sah sich Paulus gezwungen, uns zu zeigen, wie man den Preis der Geduld erlangt: Siebenmal in Ketten gelegt, verbannt, gesteinigt, war er der Herold Christi im Osten wie im Westen und hat sich für seinen Glauben den edlen Ruhm erworben. Nachdem er der ganzen Welt Gerechtigkeit verkündet hatte und bis an die Grenze des Abendlandes gelangt war, erlitt er den Märtyrertod vor den Herrschenden; so ist er aus dieser Welt geschieden und an den heiligen Ort gelangt und damit zum größten Vorbild der Geduld geworden« (1 Clem 5,2). Die Geduld, von der hier die Rede ist, ist Ausdruck seiner Teilhabe am Leiden Christi, der Großherzigkeit und Beständigkeit, mit der er einen langen Leidensweg auf sich genommen hat, so daß er sagen konnte: »Ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib« (Ga 6,17). Wir haben im Text des hl. Clemens gehört, daß Paulus »bis an die Grenze des Abendlandes« gekommen sei. Man diskutiert darüber, ob das eine Andeutung auf eine Reise nach Spanien sein soll, die der hl. Paulus gemacht haben soll. Darüber besteht keine Gewißheit, aber es stimmt, daß der hl. Paulus in seinem Brief an die Römer seine Absicht äußert, nach Spanien zu gehen (vgl. Rm 15,24).

Sehr interessant ist im Clemensbrief hingegen die Aufeinanderfolge der beiden Namen von Petrus und Paulus, auch wenn sie im Zeugnis des Eusebius von Caesarea aus dem 4. Jahrhundert umgestellt werden, der, als er über Kaiser Nero spricht, schreibt: »Während seiner Herrschaft wurde Paulus eben in Rom enthauptet und Petrus wurde dort gekreuzigt. Dieser Bericht wird bestätigt durch die noch heute erhaltenen Namen Petrus und Paulus auf ihren Gräbern in jener Stadt« (Hist. eccl.2,25,5). Eusebius fährt dann fort und gibt eine frühere Erklärung eines römischen Priesters namens Gaius wieder, die in die Anfänge des 2. Jahrhunderts zurückreicht: »Ich kann dir die Siegeszeichen der Apostel zeigen: Wenn du zum Vatikan gehst oder auf die Via Ostiense, wirst du die Siegeszeichen der Gründer der Kirche finden« (ebd. 2,25,6-7). Die »Siegeszeichen« sind die Grabmäler, und es handelt sich um dieselben Grabstätten des Petrus und des Paulus, die wir noch heute nach zwei Jahrtausenden an denselben Orten verehren: sowohl hier im Vatikan, was den hl. Petrus betrifft, als auch in der Basilika St. Paul vor den Mauern an der Via Ostiense, was den Völkerapostel betrifft.

Es ist interessant festzustellen, daß die beiden großen Apostel gemeinsam erwähnt werden. Auch wenn keine antike Quelle von ihrem gleichzeitigen Wirken in Rom spricht, wird sie das nachfolgende christliche Bewußtsein aufgrund ihrer gemeinsamen Bestattung in der Hauptstadt des Reiches beide zusammen auch als Gründer der Kirche von Rom sehen. So liest man in der Tat bei Irenäus von Lyon gegen Ende des 2. Jahrhunderts zur apostolischen Sukzession in den verschiedenen Kirchen: »Weil es aber zu weitläufig wäre, die Nachfolge aller Kirchen aufzuzählen, werden wir uns nur die größte und älteste und allen bekannte Kirche vornehmen, die von den beiden ruhmreichen Aposteln Petrus und Paulus gegründete und aufgebaute Kirche in Rom« (Adv. haer. 3,3,2).

Lassen wir nun aber die Gestalt des Petrus beiseite und konzentrieren wir uns auf jene des Paulus. Sein Martyrium wird zum ersten Mal von den Paulusakten erzählt, die gegen Ende des 2. Jahrhunderts verfaßt worden sind. Sie berichten, daß Nero ihn zum Tod durch Enthauptung verurteilte, die sogleich darauf durchgeführt wurde (vgl. 9,5). Das Datum des Todes variiert schon in den antiken Quellen, die es zwischen der von Nero selbst entfesselten Verfolgung nach dem Brand von Rom im Juli 64 und dem letzten Jahr seiner Herrschaft, dem Jahr 68, ansetzen (vgl. Hieronymus, De viris ill. 5,8). Die Berechnung hängt sehr von der Chronologie der Ankunft des Paulus in Rom ab, eine Diskussion, auf die wir uns hier nicht einlassen können. Spätere Überlieferungen werden zwei weitere Elemente präzisieren. Das eine und zugleich legendärste ist, daß das Martyrium bei den Aquae Salviae an der Via Laurentina stattgefunden habe; dabei sei das Haupt dreimal auf der Erde aufgeschlagen, was jedesmal das Entspringen einer Wasserquelle verursacht habe, weshalb der Ort bis heute »Tre Fontane« heißt (vgl. Pseudo-Marcellus, Passio sanctorum Petri et Pauli, 5. Jh.). Das andere Element, das mit dem schon erwähnten antiken Zeugnis des Priesters Gaius übereinstimmt, besteht darin, daß seine Bestattung nicht nur »außerhalb der Stadt … beim zweiten Meilenstein an der Via Ostiense« erfolgt ist, sondern genauer »auf dem Gut der Lucina«, einer Christin adeligen Standes (vgl. Pseudo-Abdias, Passio Pauli, 6. Jahrhundert). Hier errichtete Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert eine erste Kirche, die dann zwischen dem 4. und dem 5. Jahrhundert von den Kaisern Valentinian II., Theodosius und Arcadius in großem Umfang erweitert worden ist. Nach dem Brand im 19. Jahrhundert wurde hier die heutige Basilika St. Paul vor den Mauern errichtet.

Auf jeden Fall ragt die Gestalt des hl. Paulus weit über sein irdisches Leben und seinen Tod hinaus; er hat uns nämlich ein außerordentliches geistliches Erbe hinterlassen. Auch er wurde als wahrer Jünger Jesu Zeichen des Widerspruchs. Während er unter den sogenannten »Eboniten« - einer judenchristlichen Strömung - als Abtrünniger vom mosaischen Gesetz angesehen wurde, tritt bereits im Buch der Apostelgeschichte eine große Verehrung für den Apostel Paulus zutage. Ich möchte jetzt von der apokryphen Literatur absehen, wie den Akten des Paulus und der Thekla und einem apokryphen Briefwechsel zwischen dem Apostel Paulus und dem Philosophen Seneca. Wichtig ist vor allem die Feststellung, daß die Briefe des hl. Paulus sehr bald in die Liturgie Eingang finden, wo die Struktur Prophet-Apostel-Evangelium für die Form des Wortgottesdienstes bestimmend ist. So wird das Denken des Apostels dank dieser »Gegenwart« in der Liturgie der Kirche sofort zur geistlichen Nahrung der Gläubigen aller Zeiten.

Es ist offensichtlich, daß sich die Kirchenväter und dann alle Theologen von den Briefen des hl. Paulus und seiner Spiritualität genährt haben. So ist er durch die Jahrhunderte bis heute der wahre Lehrer und Apostel der Völker geblieben. Der erste uns überlieferte patristische Kommentar zu einer Schrift des Neuen Testaments ist jener des großen alexandrinischen Theologen Origenes, der den Brief des Paulus an die Römer kommentiert. Dieser Kommentar ist leider nur teilweise erhalten. Der hl. Johannes Chrysostomus hat außer Kommentaren zu seinen Briefen sieben denkwürdige Panegyrikoi (Lobreden) auf ihn geschrieben. Der hl. Augustinus wird ihm den entscheidenden Schritt seiner Bekehrung verdanken und wird zu Paulus während seines ganzen Lebens zurückkehren. Aus diesem ständigen Dialog mit dem Apostel stammt seine große katholische Theologie, und das gilt auch für die protestantische Theologie aller Zeiten. Der hl. Thomas von Aquin hat uns einen schönen Kommentar zu den Paulusbriefen hinterlassen, der die reifste Frucht der mittelalterlichen Exegese darstellt. Eine wahre Wende vollzog sich im 16. Jahrhundert mit der protestantischen Reformation. Der entscheidende Augenblick im Leben Luthers war das sogenannte »Turmerlebnis« (1517), in dem er von einem Augenblick zum andern eine neue Interpretation der paulinischen Rechtfertigungslehre fand. Eine Interpretation, die ihn von den Zweifeln und Ängsten seines vorhergehenden Lebens befreite und ihm ein neues, radikales Vertrauen in die Güte Gottes schenkte, der alles bedingungslos vergibt. Von jenem Augenblick an identifizierte Luther die jüdischchristliche, vom Apostel verurteilte Werkgerechtigkeit mit der Lebensordnung der katholischen Kirche. Und die Kirche erschien ihm somit als Ausdruck der Knechtschaft des Gesetzes, der er die Freiheit des Evangeliums entgegenstellte. Das Konzil von Trient, 1545 bis 1563, beriet intensiv über die Frage der Rechtfertigung und fand in der Linie der gesamten katholischen Tradition die Synthese zwischen Gesetz und Evangelium in Übereinstimmung mit der Botschaft der in ihrer Ganzheit und Einheit gelesenen Heiligen Schrift.

Das 19. Jahrhundert erfuhr, während es das beste Erbe der Aufklärung aufnahm, eine neue Wiederbelebung des Paulinismus, jetzt vor allem auf der Ebene der wissenschaftlichen Arbeit, die von der historisch-kritischen Interpretation der Heiligen Schrift entwickelt wurde. Wir sehen hier von der Tatsache ab, daß auch in jenem Jahrhundert, wie dann im 20. Jahrhundert, eine richtiggehende Verunglimpfung des hl. Paulus auftauchte. Ich denke vor allem an Nietzsche, der die Theologie der Demut des hl. Paulus verhöhnte und ihr seine Theologie des starken und mächtigen Menschen entgegenstellte. Davon sehen wir jedoch ab und betrachten die wesentliche Strömung der neuen wissenschaftlichen Interpretation der Heiligen Schrift und des neuen Paulinismus dieses Jahrhunderts. Hier wurde vor allem der Begriff der Freiheit als zentraler Begriff im Denken des Paulus hervorgehoben: In ihm wurde das Herz des paulinischen Denkens gesehen, wie das bereits Luther erfaßt hatte. Jetzt aber wurde der Begriff der Freiheit im Kontext des modernen Liberalismus neu interpretiert. Und dann wird der Unterschied zwischen der Verkündigung des hl. Paulus und der Verkündigung Jesu stark betont. Und der hl. Paulus erscheint fast als ein neuer Gründer des Christentums. Es stimmt, daß beim hl. Paulus die Zentralität des Reiches Gottes, die für die Verkündigung Jesu bestimmend ist, in die Zentralität der Christologie umgeformt wird, deren entscheidender Punkt das Ostergeheimnis ist. Und aus dem Ostergeheimnis ergeben sich die Sakramente der Taufe und der Eucharistie als bleibende Gegenwart dieses Geheimnisses, aus dem der Leib Christi erwächst, sich die Kirche aufbaut. Ich würde aber sagen, ohne jetzt auf Details einzugehen, daß sich gerade in der neuen Zentralität der Christologie und des Ostergeheimnisses das Reich Gottes verwirklicht und die wahre Verkündigung Christi konkret, gegenwärtig und wirksam wird. Wir haben in den vorhergehenden Katechesen gesehen, daß gerade diese paulinische Neuheit die tiefste Treue zur Verkündigung Jesu darstellt. Im Fortschritt der Exegese, vor allem in den letzten zweihundert Jahren, wachsen auch die Konvergenzen zwischen katholischer und protestantischer Exegese; auf diese Weise erreicht man einen bemerkenswerten Konsens gerade in dem Punkt, der dem größten geschichtlichen Dissens zugrunde lag. Also eine große Hoffnung für das Anliegen des Ökumenismus, das dem Zweiten Vatikanischen Konzil so wichtig war.

Zum Schluß möchte ich noch kurz auf die verschiedenen religiösen Bewegungen eingehen, die in der Moderne innerhalb der katholischen Kirche entstanden sind und sich auf den Namen des hl. Paulus beziehen. So geschah es im 16. Jahrhundert mit der »Kongregation des hl. Paulus«, den sogenannten Barnabiten, im 19. Jahrhundert mit den »Missionaren des hl. Paulus« oder Paulisten und im 20. Jahrhundert mit der vielgestaltigen »Paulus-Familie«, die vom sel. Giacomo Alberione gegründet wurde, und nicht zuletzt das Säkularinstitut der »Gesellschaft des hl. Paulus«. Im Grunde genommen steht vor uns leuchtend die Gestalt eines Apostels und äußerst fruchtbaren und tiefen christlichen Denkers, von dem jeder, der sich mit ihm näher befaßt, profitieren kann. In einem seiner Lobgedichte stellte der hl. Chrysostomus einen originellen Vergleich zwischen Paulus und Noach an, wobei er sich so ausdrückte: Paulus »stellte keine Bretter zusammen, um eine Arche zu bauen; statt Holzbretter zu verbinden, verfaßte er Briefe und so entriß er den Fluten nicht zwei, drei oder fünf Glieder seiner Familie, sondern die ganze Ökumene, die daran war unterzugehen« (Paneg. 1,5). Gerade das kann der Apostel Paulus noch und immer wieder tun. Aus ihm schöpfen, sowohl aus seinem apostolischen Vorbild als auch aus seiner Lehre, wird also ein Antrieb, wenn nicht sogar eine Garantie für die Festigung der christlichen Identität eines jeden von uns und für die Verjüngung der ganzen Kirche sein.

In den Mittwochskatechesen der vergangenen Monate haben wir uns mit dem Leben des Apostels Paulus und seiner Verkündigung beschäftigt. Diese Themenreihe wollen wir nun mit einem Blick auf sein Lebensende und auf die unmittelbare Nachwirkung seiner Gestalt beschließen. Die Quellen berichten einhellig, daß Paulus hier in Rom den Märtyrertod erlitten hat. Schon im 2. Timotheusbrief wird dies angedeutet: „Denn ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe“ (4, 6). Der sogenannte Klemensbrief, der wohl um das Jahr 96 hier in Rom abgefaßt wurde, erwähnt, daß Paulus vor den Herrschenden das Martyrium erlitten hat. Die Paulusakten vom Ende des 2. Jahrhunderts sprechen davon, daß Kaiser Nero die Enthauptung von Paulus befohlen hat und dieses Urteil sogleich vollstreckt wurde. Später faßbare Traditionen geben einen Hinweis auf den möglichen Ort der Hinrichtung - Tre Fontane, wie er entsprechend der Legende heißt, nach der das Haupt des Heiligen dreimal aufgeschlagen ist und dort drei Quellen entsprungen sind - wie auch auf die Begräbnisstätte, über der sich heute die Basilika Sankt Paul vor den Mauern erhebt. Schon von frühester Zeit an wird Paulus gemeinsam mit Petrus als Gründer der Kirche von Rom verehrt, auch wenn es keinen direkten Anhaltspunkt für eine direkte Zusammenarbeit gibt. Aber es wird damit die Bedeutung des Apostels zu Ausdruck gebracht, der immer wieder Menschen inspiriert hat, sich als Christen zu bewähren und das Antlitz der Kirche durch ihr Wirken zu verjüngen.
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Von Herzen grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Der Apostel Paulus macht uns, wie gesagt, deutlich, daß Gott es ist, der in uns das Wollen und das Wirken vollbringt, über unseren so armseligen guten Willen hinaus (vgl. Ph 2,13). Vertrauen wir uns also Gottes Gnade an, der uns zum Frieden hilft und der uns schenkt, über die Gemeinschaft der Christen hinaus in die Welt hinein als Träger von Friede und Versöhnung zu wirken. Der Herr schenke euch allen dazu seine Gnaden.





Mittwoch, 11. Februar 2009: Der Kirchenschriftsteller Johannes Climacus

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Liebe Brüder und Schwestern!

Nach den zwanzig Katechesen, die dem Apostel Paulus gewidmet waren, möchte ich heute wieder die Vorstellung großer östlicher und abendländischer Kirchenschriftsteller des Mittelalters aufnehmen. Und ich stelle die Gestalt des Johannes mit dem Beinamen Climacus vor, der lateinischen Transkription des griechischen Wortes klimakos, was »die Leiter« (klimax) bedeutet. Es handelt sich um den Titel seines Hauptwerkes, in dem er den Aufstieg des menschlichen Lebens zu Gott beschreibt. Er wurde um das Jahr 575 geboren. Sein Leben fiel also in die Jahre, in denen Byzanz, die Hauptstadt des Oströmischen Reiches, die größte Krise seiner Geschichte erlebte. Schlagartig veränderte sich das geographische Bild des Reiches, und der reißende Strom der Völkerwanderung führte zum Zusammenbruch aller seiner Strukturen. Standgehalten hat nur die Struktur der Kirche, die in diesen schwierigen Zeiten ihr missionarisches, menschliches und sozio-kulturelles Wirken fortsetzte, besonders durch das Netz von Klöstern, in denen große Ordenspersönlichkeiten, wie eben jene des Johannes Climacus, tätig waren.

In den Bergen des Sinai, wo Mose Gott begegnet war und Elija dessen Stimme gehört hatte, lebte Johannes und erzählte seine geistlichen Erfahrungen. Nachrichten über ihn sind in einer von dem Mönch Daniel von Raithu verfaßten kurzen »Vita« (PG 88,596-608) erhalten: Als Sechzehnjähriger wurde er Mönch auf dem Sinai und Schüler von Abt Martyrius, einem »Ältesten«, das heißt einem »Weisen«. Mit zwanzig Jahren entschied er sich zu einem Leben als Einsiedler in einer Höhle am Fuße des Berges in dem Ort Thola, in acht Kilometer Entfernung vom heutigen Katharinenkloster. Aber die Einsamkeit hinderte ihn nicht daran, Menschen zu begegnen, die sich nach einer geistlichen Führung sehnten, sowie auch einige Klöster in der Nähe von Alexandrien zu besuchen. Sein Rückzug ins Einsiedlerleben, der keinesfalls eine Flucht aus der Welt und aus der menschlichen Wirklichkeit war, mündete in eine glühende Liebe zu den anderen Menschen (Vita 5) und zu Gott (Vita 7). Nach vierzig Jahren Einsiedlerleben in der Liebe zu Gott und zum Nächsten - Jahre, in denen er weinte, betete, gegen die Dämonen kämpfte - wurde er zum Abt des großen Klosters auf dem Sinai ernannt und kehrte damit in das zönobitische Leben im Kloster zurück. Aber einige Jahre vor seinem Tod sehnte er sich nach dem Eremitenleben und übergab seinem Bruder, der im selben Kloster Mönch war, die Leitung der Klostergemeinschaft. Er starb nach dem Jahr 650. Das Leben des Johannes vollzieht sich zwischen zwei Bergen, dem Sinai und dem Tabor, und man kann wirklich sagen, daß von ihm das Licht ausstrahlte, das von Mose auf dem Sinai gesehen und von den drei Aposteln auf dem Tabor geschaut worden war!

Berühmt wurde er, wie schon gesagt, durch das Werk Die Leiter (Klimax), das im Westen als Scala Paradisi (Die Himmelsleiter) bezeichnet wurde (, 632-1164). Die Leiter, die auf dringliche Bitte des Abtes des nahen Klosters von Raithu am Sinai verfaßt wurde, ist ein vollständiger Traktat über das geistliche Leben, in dem Johannes den monastischen Weg vom Verzicht auf die Welt bis hin zur Vollkommenheit der Liebe beschreibt. Es ist ein Weg, der nach diesem Buch über dreißig Stufen verläuft, von denen jede mit der nachfolgenden verbunden ist. Der Weg kann in drei aufeinanderfolgenden Etappen zusammengefaßt werden: Die erste Etappe kommt im Bruch mit der Welt zum Ausdruck mit dem Ziel, in den Zustand der Kindheit, wie er dem Evangelium entspricht, zurückzukehren. Das Wesentliche ist also nicht der Bruch, sondern die Verbundenheit mit dem, was Jesus gesagt hat, das heißt, zur wahren Kindheit im geistlichen Sinn zurückzukehren, zu werden wie die Kinder. Johannes kommentiert: »Ein gutes Fundament ist jenes, das aus drei Grundlagen und aus drei Säulen gebildet ist: Unschuld, Fasten und Keuschheit. Alle in Christus Neugeborenen (vgl.
1Co 3,1) sollen mit diesen beginnen, indem sie sich jene zum Vorbild nehmen, die leiblich Neugeborene sind« (1,20; 636). Die freiwillige Trennung von den Menschen und Orten, die einem teuer sind, ermöglicht der Seele, in tiefere Gemeinschaft mit Gott einzutreten. Dieser Verzicht mündet in den Gehorsam, der der Weg zur Demut durch die Demütigungen - an denen es nie fehlen wird - seitens der Brüder ist. Johannes kommentiert: »Selig derjenige, der seinen Willen bis zum Ende erniedrigt und die Sorge um die eigene Person seinem Meister im Herrn anvertraut hat: Er wird in der Tat zur Rechten des Gekreuzigten stehen!« (4,37; 704).

Die zweite Etappe des Weges besteht im geistlichen Kampf gegen die Leidenschaften. Jede Stufe der Leiter ist mit einer Hauptleidenschaft verbunden, die mit Angabe der Therapie und mit dem Vorschlag der entsprechenden Tugend definiert und diagnostiziert wird. Die Einheitlichkeit dieser Stufen stellt zweifellos die wichtigste Lehrschrift zu einer geistlichen Strategie dar, die wir besitzen. Der Kampf gegen die Leidenschaften nimmt jedoch dank des Bildes vom »Feuer« des Heiligen Geistes positiven Charakter an - er bleibt nicht negativ: »Alle, die diesen guten Kampf des Glaubens kämpfen (vgl. 1Tm 6,12), der hart und schwierig ist, […], sollen wissen, daß sie gekommen sind, um sich in ein Feuer zu werfen, wenn sie es wirklich wünschen, auf daß das immaterielle Feuer in ihnen wohne« (1,18; 636). Das Feuer des Heiligen Geistes, das das Feuer der Liebe und der Wahrheit ist. Allein die Kraft des Heiligen Geistes sichert den Sieg. Aber nach Johannes Climacus ist es wichtig, sich bewußt zu machen, daß die Leidenschaften nicht an sich schlecht sind; sie werden es durch den schlechten Gebrauch, den die Freiheit des Menschen von ihnen macht. Wenn sie geläutert sind, erschließen die Leidenschaften dem Menschen den Weg zu Gott, mit Energien, die durch die Askese und die Gnade zu einer Einheit verbunden sind, und, »wenn sie vom Schöpfer eine Ordnung und einen Anfang empfangen haben…, ist die Tugend grenzenlos« (26/2,37; 1068).

Die letzte Etappe des Weges ist die christliche Vollkommenheit, die sich auf den letzten sieben Stufen der »Leiter« entwickelt. Sie sind die höchsten Stadien des geistlichen Lebens, die von den »Hesychasten«, den Einsamen, erfahren werden können, also jenen, die zur Ruhe und zum inneren Frieden gelangt sind; aber es sind Stadien, die auch für die eifrigsten Mönche erreichbar sind. Von den ersten drei Stadien - Einfachheit, Demut und (Fähigkeit zur) Unterscheidung - hält Johannes in Übereinstimmung mit den Wüstenvätern das letzte für das wichtigste, das heißt die Unterscheidungsfähigkeit. Jedes Verhalten muß der Unterscheidung unterzogen werden; alles hängt nämlich von den tiefen Beweggründen ab, die es abzuwägen gilt. Hier tritt man in das Innerste des Menschen ein, und es geht darum, im Einsiedler, im Christen die geistliche Sensibilität und den »Herzenssinn« - Gaben Gottes - zu wecken: »Als Leitbild und Regel in allen Dingen müssen wir nach Gott unserem Gewissen folgen« (26/1,5; 1013). Auf diese Weise gelangt man zur Seelenruhe, zur »hesychía«, dank welcher die Seele auf den Abgrund der göttlichen Geheimnisse blicken kann.

Der Zustand der Ruhe, des inneren Friedens bereitet den Hesychasten auf das Gebet vor, das bei Johannes ein zweifaches ist: das »leibliche Gebet« und das »Gebet des Herzens«. Das erste gehört zu dem, der sich von Körperhaltungen helfen lassen muß: die Hände ausstrecken, ein Seufzen von sich geben, sich auf die Brust schlagen usw. (15,26; 900); das zweite ist spontan, da es eine Wirkung des Erwachens der geistlichen Sensibilität ist, Geschenk Gottes für den, der sich dem leiblichen Gebet widmet. Bei Johannes nimmt es den Namen »Jesusgebet« an (Iesoû euché)und besteht in der Anrufung allein des Namens Jesu, eine ständige, mit dem Atem einhergehende Anrufung: »Das Gedächtnis Jesu werde ganz eins mit deinem Atem, und dann wirst du den Nutzen der hesychía kennen«, des inneren Friedens (27/2,26; 1112). Schließlich wird das Gebet sehr einfach, einfach das Wort »Jesus«, eins geworden mit unserem Atem.

Die letzte Stufe der Leiter (30), durchdrungen von der »nüchternen Trunkenheit des Geistes«, ist der höchsten »Dreiheit der Tugenden« gewidmet: dem Glauben, der Hoffnung und vor allem der Liebe. Von der Liebe spricht Johannes auch als éros (menschliche Liebe), Gestalt der ehelichen Vereinigung der Seele mit Gott. Und er wählt noch einmal das Bild des Feuers, um die Glut, das Licht, die Läuterung der Liebe für Gott zum Ausdruck zu bringen. Die Kraft der menschlichen Liebe kann wieder auf Gott ausgerichtet werden, so wie in den wilden Ölbaum ein edler Ölbaum eingepfropft werden kann (vgl. Rm 11,24) (15,66; 893). Johannes ist davon überzeugt, daß eine eindringliche Erfahrung dieses éros die Seele sehr viel mehr vorankommen lasse als der harte Kampf gegen die Leidenschaften, da seine Macht groß ist. Es herrscht auf unserem Weg also die Positivität vor. Aber die Liebe wird auch in enger Beziehung zur Hoffnung gesehen: »Die Kraft der Liebe ist die Hoffnung: dank ihr erwarten wir den Lohn der Liebe… Die Hoffnung ist die Tür der Liebe… Die Abwesenheit der Hoffnung vernichtet die Liebe: An sie sind unsere Mühen gebunden, von ihr werden unsere Mühsale getragen, und dank ihr sind wir von der Barmherzigkeit Gottes umgeben« (30,16; 1157). Das Ende der »Leiter« enthält die Zusammenfassung des Werkes, mit Worten, die der Verfasser Gott selbst sprechen läßt: »Diese Leiter möge dich die geistliche Ordnung der Tugenden lehren. Ich stehe auf der Spitze dieser Leiter, wie mein großer Initiierter (der hl. Paulus) sagte: ›Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe‹ (1Co 13,13)!« (30,18; 1160).

An diesem Punkt stellt sich eine letzte Frage: Kann Die Leiter, ein von einem Einsiedlermönch - der vor 1400 Jahren gelebt hat - geschriebenes Werk, uns heute noch etwas sagen? Kann der existentielle Werdegang eines Mannes, der immer auf dem Berg Sinai in einer so fernen Zeit gelebt hat, für uns eine Aktualität besitzen? In einem ersten Moment würde es scheinen, daß die Antwort »Nein« lauten müsse, da Johannes Climacus zu weit von uns entfernt ist. Wenn wir die Sache jedoch näher betrachten, sehen wir, daß jenes monastische Leben nur ein großes Symbol des Lebens aus der Taufe, des Lebens als Christ ist. Es zeigt sozusagen in Großbuchstaben das, was wir Tag für Tag in Kleinbuchstaben schreiben. Es handelt sich um ein prophetisches Symbol, das offenbart, was das Leben des Getauften in Gemeinschaft mit Christus, mit seinem Tod und seiner Auferstehung, ist. Für mich ist die Tatsache besonders wichtig, daß der Höhepunkt der »Leiter «, die letzten Stufen, gleichzeitig die grundlegenden, anfänglichen, einfachsten Tugenden sind: der Glaube, die Hoffnung und die Liebe. Es sind keine Tugenden, die nur moralischen Helden zugänglich sind, sondern sie sind Geschenk Gottes an alle Getauften: In ihnen wächst auch unser Leben. Der Anfang ist auch das Ende, der Ausgangspunkt ist auch der Ankunftspunkt: Der ganze Weg läuft auf eine immer radikalere Verwirklichung von Glaube, Hoffnung und Liebe hinaus. In diesen Tugenden ist der gesamte Aufstieg gegenwärtig. Grundlegend ist der Glaube, da diese Tugend einschließt, daß ich auf meine Arroganz, auf mein Denken, auf den Anspruch verzichte, allein zu urteilen, ohne mich anderen anzuvertrauen. Dieser Weg zur Demut, zur geistlichen Kindschaft ist notwendig: Wir müssen die Haltung der Arroganz überwinden, die uns sagen läßt: Ich weiß es in dieser meiner Zeit des 21. Jahrhunderts besser, als es jene damals hätten wissen können. Man soll sich jedoch nur der Heiligen Schrift, dem Wort des Herrn anvertrauen; man muß demütig an den Horizont des Glaubens herangehen, um so in die enorme Weite der universalen Welt, der Welt Gottes einzutreten. Auf diese Weise wächst unsere Seele, wächst die Sensibilität des Herzens für Gott. Johannes Climacus sagt mit Recht, daß uns allein die Hoffnung dazu befähigt, die Liebe zu leben. Die Hoffnung, in der wir die Dinge des Alltags überschreiten; wir erwarten den Erfolg nicht in unseren irdischen Tagen, sondern wir erwarten am Ende die Offenbarung Gottes selbst. Allein in dieser Weite unserer Seele, in dieser Selbsttranszendenz wird unser Leben groß. Wir können die täglichen Mühen und Enttäuschungen ertragen und können mit den anderen gut sein, ohne uns Belohnung zu erwarten. Nur wenn es Gott gibt, diese große Hoffnung, nach der ich strebe, kann ich jeden Tag die kleinen Schritte meines Lebens tun und so die Liebe lernen. In der Liebe verbirgt sich das Geheimnis des Gebetes, der persönlichen Kenntnis Jesu: ein einfaches Gebet, das allein danach strebt, das Herz des göttlichen Meisters zu berühren. Und so öffnet man das eigene Herz, lernt von Ihm seine Güte, seine Liebe. Nutzen wir also diesen »Aufstieg« des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe; so werden wir zum wahren Leben gelangen.

Nach dem Katechesenzyklus über den heiligen Paulus möchte ich nun wieder die Vorstellung bedeutender Kirchenschriftsteller aufnehmen. Heute setzen wir diese Reihe mit Johannes Climacus fort. Um 575 geboren, wurde Johannes mit 16 Jahren Mönch auf dem Sinai. 40 Jahre lang lebte er als Eremit, ehe er Abt des großen Mönchsklosters auf dem Berg Sinai wurde. Sein Beiname „Climacus", abgeleitet vom griechischen Wort klimax (die Leiter), rührt von seinem Hauptwerk „Paradiesesleiter" her. In dieser Abhandlung beschreibt Johannes in dreißig Stufen den geistlichen Aufstieg des Mönches. In einer ersten Phase, der Askese, erfolgt die Abkehr von der Welt als Voraussetzung für eine tiefere Gemeinschaft mit Gott. Der weitere Weg besteht in der Läuterung, im geistlichen Kampf gegen die Leidenschaften. Diese sind nicht in sich schlecht, es kommt aber auf deren rechten Gebrauch an. Wenn der Mönch sich dem Feuer des Heiligen Geistes aussetzt, kann er diesen Kampf siegreich führen. In der dritten Phase des Aufstiegs wird durch Demut und vor allem durch die Unterscheidungsgabe die geistliche Empfindsamkeit des Herzens geweckt. So gelangt der Mönch zur Ruhe der Seele, der hesychía. Diese Herzensruhe bereitet das Gebet vor - das körperliche Gebet und das Herzensgebet. Johannes spricht hier auch vom „Jesusgebet". Am Ende der Leiter steht die vollendete Dreiheit der Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe. Ziel des monastischen Lebens ist die Vereinigung mit Gott im Gebet und in der Liebe.
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Gerne heiße ich alle Besucher deutscher Sprache willkommen. Besonders grüße ich die Dechanten aus der Diözese Graz-Seckau mit Bischof Kapellari und die Journalisten, die er mitgebracht hat, sowie die Studierenden des Kirchenrechts der Universitäten Augsburg, Bochum, München und Potsdam. Das Bild der Leiter der Tugenden, wie es der heilige Johannes Climacus beschreibt, soll uns helfen, den Aufstieg zu wagen und Menschen zu sein, die auf der Höhe leben, auf der Höhe sind, nicht auf der Höhe der Zeit, sondern mehr: auf der Höhe Gottes. Dazu möge uns der Herr seine Gnade schenken.




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