Generalaudienzen 2005-2013 7109

Mittwoch, 7. Oktober 2009: Hl. Johannes Leonardi

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Liebe Brüder und Schwestern!

Übermorgen, am 9. Oktober, jährt sich zum 400. Mal der Todestag des hl. Johannes Leonardi, Gründer des Ordens der Regularkleriker von der Mutter Gottes, der am 17. April 1938 heiliggesprochen und am 8. August 2006 zum Schutzpatron der Apotheker erwählt worden ist. An ihn erinnert man sich auch wegen seines großen missionarischen Eifers. Zusammen mit dem Prälaten Juan Bautista Vives und dem Jesuiten Martin de Funes plante er die Einrichtung einer eigenen Kongregation des Heiligen Stuhls für die Mission, die Kongregation »Propaganda Fide«, und trug zu ihrer Errichtung sowie auch zur künftigen Entstehung des »Collegium Urbanum de Propaganda Fide« bei, das im Laufe der Jahrhunderte Tausende von Priestern, viele von ihnen Märtyrer, hervorgebracht hat, um die Völker zu evangelisieren. Es handelt sich also um eine leuchtende Priestergestalt, auf die ich als Beispiel für alle Priester in diesem Priester-Jahr hinweisen möchte. Er starb 1609 an einer Grippe, die er sich zugezogen hatte, während er sich im römischen Stadtviertel Campitelli um all jene kümmerte, die von der Epidemie befallen worden waren.

Johannes Leonardi wurde 1541 in Diecimo in der Provinz Lucca geboren. Als Letzter von sieben Geschwistern hatte er eine Kindheit, die von den Rhythmen des Glaubens, wie sie in einer gesunden und arbeitsamen Familie gelebt wurden, und außerdem von dem eifrigen Besuch eines Gewürz- und Medikamentenladens in seinem Heimatort geprägt war. Mit 17 Jahren schrieb ihn der Vater mit der Absicht, aus ihm einen künftigen Apotheker, genauer einen Drogisten, wie man damals sagte, zu machen, für einen regulären Apothekerkurs in Lucca ein. Für ungefähr ein Jahrzehnt war der junge Johannes Leonardi ein aufmerksamer und fleißiger Besucher dieses Kurses, aber als er entsprechend den von der alten Republik von Lucca vorgesehenen Normen die offizielle Anerkennung erlangt hatte, die ihn dazu berechtigt hätte, eine eigene Apotheke zu eröffnen, begann er zu überlegen, ob nicht der Augenblick gekommen wäre, ein Vorhaben zu verwirklichen, das er seit jeher im Herzen trug. Nach reiflichem Nachdenken beschloß er, den Weg zum Priestertum einzuschlagen. Und so wurde er, nachdem er den Laden des Drogisten verlassen und eine angemessene theologische Ausbildung erworben hatte, zum Priester geweiht und feierte am Festtag der Erscheinung des Herrn 1572 seine erste Messe. Die Leidenschaft für die Arzneimittelkunde gab er jedoch nicht auf, da er spürte, daß die Mittlerfunktion des Apothekers ihm erlaubt hätte, voll und ganz seine Berufung zu verwirklichen, nämlich den Menschen durch ein heiliges Leben »die Arznei Gottes« zu überbringen: den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, »Maß aller Dinge«.

Beseelt von der Überzeugung, daß diese Medizin alle Menschen nötiger brauchen als alles andere, versuchte der hl. Johannes Leonardi, die persönliche Begegnung mit Jesus Christus zum grundlegenden Sinn seines Lebens zu machen. »Es ist notwendig, wieder bei Christus anzufangen «, wiederholte er immer wieder gern. Der Vorrang Christi über alles wurde für ihn zum konkreten Kriterium seines Urteils und Handelns und zum hervorbringenden Prinzip seiner priesterlichen Tätigkeit, die er ausübte, während in der Kirche eine weite und verbreitete Bewegung der geistlichen Erneuerung in Gang war, was dem Erblühen neuer Ordensinstitute und dem leuchtenden Zeugnis von Heiligen wie Karl Borromäus, Philipp Neri, Ignatius von Loyola, Giuseppe Calasanzio, Camillo de Lellis und Aloysius Gonzaga zu verdanken war. Voll Begeisterung widmete er sich dem Apostolat unter den Kindern durch die Gesellschaft der Christlichen Lehre und sammelte um sich eine Gruppe von Jugendlichen, mit denen er am 1. September 1574 die Kongregation der Reformierten Priester der Seligen Jungfrau gründete, die nachher Orden der Regularkleriker der Mutter Gottes genannt wurde. Seinen Schülern legte er nahe, »vor den Augen des Geistes allein die Ehre, den Dienst und die Herrlichkeit des gekreuzigten Christus Jesus« zu haben, und als guter Apotheker, der gewohnt war, die Heilmittel dank eines präzisen Bezugspunktes zu dosieren, fügte er hinzu: »Erhebt ein wenig mehr eure Herzen zu Gott und meßt mit ihm die Dinge«.

Von apostolischem Eifer angetrieben sandte er an den soeben gewählten Papst Paul V. eine »Denkschrift«, in der er die Kriterien für eine echte Erneuerung in der Kirche empfahl. Er stellte fest, daß es »notwendig ist, daß jene, die nach einer Reform der Sitten der Menschen streben, besonders und als erstes die Herrlichkeit Gottes suchen«, und fügte hinzu, daß sie »durch die Integrität des Lebens und hervorragende Sitten « erstrahlen müssen, »so werden sie mehr als mit Zwang auf milde Weise zur Reform in Bewegung setzen«. Außerdem stellte er fest: »Wer eine ernsthafte religiöse und moralische Reform bewirken will, muß vor allem wie ein guter Arzt eine sorgfältige Diagnose der Übel erstellen, welche die Kirche quälen, um so imstande sein zu können, für ein jedes von ihnen das am besten geeignete Heilmittel zu verschreiben.« Und er merkte an, daß »sich die Erneuerung der Kirche in gleicher Weise in den Oberhäuptern und in den Abhängigen, oben und unten, vollziehen muß. Sie muß bei dem beginnen, der befiehlt, und sich dann auf die Untertanen ausbreiten«. Während er den Papst anspornte, eine »universale Reform der Kirche« zu fördern, sorgte er sich gerade deshalb um die christliche Bildung des Volkes und besonders der Kinder, die »ab den ersten Lebensjahren … in der Reinheit des christlichen Glaubens und in den heiligen Sitten« erzogen werden sollen.

Liebe Brüder und Schwestern, die leuchtende Gestalt dieses Heiligen lädt an erster Stelle die Priester und alle Christen ein, ständig nach dem »hohen Maß des christlichen Leben« zu streben, das die Heiligkeit ist, ein jeder natürlich entsprechend seines Standes. Denn allein aus der Treue zu Christus kann die echte kirchliche Erneuerung entspringen. In jenen Jahren, in dem kulturellen und sozialen Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert, begannen sich die Vorbedingungen der künftigen zeitgenössischen Kultur abzuzeichnen, die durch eine unrechtmäßige Trennung von Glaube und Vernunft gekennzeichnet ist, welche unter ihren negativen Auswirkungen dazu geführt hatte, daß Gott an den Rand gedrängt wurde, verbunden mit der Illusion einer möglichen und totalen Autonomie des Menschen, der wählt, so zu leben, »als ob es Gott nicht gäbe«. Es ist die Krise des modernen Denkens, die zu erläutern ich mehrmals Gelegenheit hatte und die oft bei Formen des Relativismus landet. Johannes Leonardi erfaßte, welches die wahre Medizin für diese geistlichen Übel ist, und faßte sie in dem Ausdruck zusammen: »Vor allem Christus«, Christus im Mittelpunkt des Herzens, im Mittelpunkt der Geschichte und des Kosmos. Und - so sagte er kraftvoll - die Menschheit hat ein extremes Bedürfnis nach Christus, weil er unser »Maß« ist. Es gibt keinen Bereich, der nicht von seiner Kraft berührt werden könnte; es gibt kein Übel, das nicht in ihm ein Heilmittel finden würde, es gibt kein Problem, das sich nicht in ihm lösen lassen würde: »Entweder Christus oder nichts!« Das ist sein Rezept für jede Art geistlicher und sozialer Reform.

Es gibt einen weiteren Aspekt der Spiritualität des hl. Johannes Leonardi, den ich gern hervorheben möchte. Zu mehreren Anlässen betonte er, daß die lebendige Begegnung mit Christus in seiner Kirche verwirklicht wird, die heilig, aber gebrechlich ist, verwurzelt in der Geschichte und hinsichtlich ihrer Zukunft bisweilen finster, wo Weizen und Unkraut zusammen wachsen (vgl.
Mt 13,30), sie ist jedoch immer Sakrament des Heils. Da er sich klar dessen bewußt war, daß die Kirche der Acker Gottes ist (vgl. Mt 13,24), entrüstete er sich nicht über ihre menschlichen Schwächen. Um dem Unkraut zu widerstehen, entschloß er sich, guter Weizen zu sein, das heißt: Er beschloß, Christus in der Kirche zu lieben und dazu beizutragen, sie immer mehr zu einem Zeichen zu machen, das ihn durchscheinen läßt. Mit großem Realismus sah er die Kirche, ihre menschliche Gebrechlichkeit, aber auch ihr Sein als »Acker Gottes«, das Mittel Gottes für das Heil der Menschheit. Nicht nur. Aus Liebe zu Christus arbeitete er eifrig dafür, die Kirche zu reinigen, sie schöner und heiliger zu machen. Er begriff, daß jede Reform in der Kirche und nie gegen die Kirche geschehen muß. Darin war der hl. Johannes Leonardi wirklich außerordentlich, und sein Beispiel bleibt immer aktuell. Jede Reform betrifft gewiß die Strukturen, aber an erster Stelle muß sie sich in das Herz der Gläubigen einprägen. Nur die Heiligen, Männer und Frauen, die sich vom göttlichen Geist leiten lassen und bereit sind, radikale und mutige Entscheidungen im Licht des Evangeliums zu treffen, erneuern die Kirche und tragen in entscheidender Weise zum Aufbau einer besseren Welt bei.

Liebe Brüder und Schwestern, das Leben des hl. Johannes Leonardi war stets vom Glanz des »Heiligen Antlitzes« Jesu erleuchtet, das in der Kathedralkirche von Lucca aufbewahrt und verehrt wird und beredtes Symbol und unbezweifelte Synthese des Glaubens geworden ist, der ihn beseelte. Er, der wie der Apostel Paulus von Christus ergriffen worden war, zeigte seinen Jüngern und auch uns allen das christozentrische Ideal, für das »man sich jedes Eigeninteresses entkleiden und allein den Dienst an Gott beachten muß«, während man »vor den Augen des Geistes allein die Ehre, den Dienst und die Herrlichkeit des gekreuzigten Christus Jesus hat«. Neben dem Antlitz Christi heftete er den Blick auf das mütterliche Antlitz Mariens. Sie, die er zur Schutzherrin seines Ordens wählte, war für ihn Lehrerin, Schwester und Mutter, und er erfuhr ihren steten Schutz. Das Beispiel und die Fürsprache dieses »faszinierenden Mannes Gottes« seien besonders in diesem Priester-Jahr Ansporn und Ermutigung für die Priester und alle Christen, mit Leidenschaft und Begeisterung ihre Berufung zu leben.

Übermorgen jährt sich zum 400. Mal der Todestag des heiligen Johannes Leonardi, der die Regularkleriker der Muttergottes gegründet hat. Ich möchte in diesem Priester-Jahr über diese herausragende Priestergestalt sprechen. Er wurde 1541 in Diecimo in der Toskana bei Lucca geboren. Er ließ sich zunächst zum Apotheker ausbilden, aber als er seine Ausbildung abgeschlossen, das Examen gemacht hatte, entschied er sich dafür, Priester zu werden. Seine Leidenschaft für die Arzneimittelkunde war ihm aber nützlich bei seinem Wunsch, den Menschen die »Medizin Gottes« in ihr Leben zu bringen, in der rechten Dosierung. Letztlich ist die Medizin Gottes nur eine: Christus selber. Die persönliche Begegnung mit dem Herrn war der tragende Grund seines eigenen Lebens und sollte der Grund derer werden, denen er begegnete. Der Vorrang Christi war in allem das Kriterium seines Urteilens und Handelns. Er widmete sich besonders dem Jugendapostolat, der Verbreitung und Vertiefung des Glaubens und der geistlichen Erneuerung der Kirche im Zug der katholischen Reform. Leonardi war davon überzeugt, daß eine echte kirchliche Erneuerung nur aus der Treue zu Christus hervorgehen kann und alle Schichten der Kirche angeht, die sich um einen unbestechlichen Lebenswandel bemühen müssen. Er hat die Kirche sehr realistisch gesehen: Er wußte, es ist der Acker, auf dem Weizen und Unkraut gedeihen. Sie ist vom Herrn geschaffen, aber zugleich ganz menschlich. Aber er wußte auch, daß nur auf diesem Acker der Herr arbeitet und daß daher Reformen nicht gegen die Kirche, sondern nur in der Kirche geschehen können. Die Begegnung mit Christus verwirklicht sich in der Kirche. Sie ist heilig und zugleich ganz brüchig in ihren menschlichen Gliedern, aber stets Sakrament des Heils. Auch angesichts der Anfänge jener neuen Geisteshaltung und Kultur, die von der Trennung von Glaube und Vernunft gekennzeichnet sein sollte, erkannte er, daß die wahre Medizin für die geistlichen Übel Christus ist, der Mittelpunkt von Geschichte und Welt. Johannes Leonardi hatte einen wachen Blick für die Universalität des Glaubens. So ist er der Gründer der Kongregation von der Propaganda, der Missionskongregation der Kirche in Rom geworden. Er lehrt uns, ganz auf Christus hinzuschauen, von ihm her zu leben und zugleich offen zu sein für die Nöte und die Fragen der Welt. In der Gemeinschaft mit Christus erkennen wir auch, was die Welt braucht, und helfen ihr zu ihrem Heil.
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Sehr herzlich grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache, besonders die vielen Jugendlichen und die Schwestern der Congregatio Jesu, die anläßlich ihres 400jährigen Kongregationsjubiläums nach Rom gekommen sind. Christus ist die Mitte unseres Lebens. Richten wir uns ganz auf ihn aus, dann werden wir Glück und Heil finden und können zur Erneuerung von Kirche und Welt mit beitragen. Der Herr segne euch alle.



Mittwoch, 14. Oktober 2009: Hl. Petrus Venerabilis

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die Gestalt des Petrus Venerabilis, die ich in der heutigen Katechese vorstellen möchte, führt uns zurück zu der berühmten Abtei von Cluny, zu ihrer »Würde« (»decor«) und zu ihrem »Glanz« (»nitor«) - um die in den cluniazensischen Texten wiederkehrenden Begriffe zu gebrauchen -, Würde und Glanz, die vor allem in der Schönheit der Liturgie, dem bevorzugten Weg, um zu Gott zu gelangen, bewundert werden. Doch mehr noch als diese Aspekte erinnert uns die Persönlichkeit des Petrus an die Heiligkeit der großen cluniazensischen Äbte: In Cluny »gab es keinen einzigen Abt, der kein Heiliger gewesen wäre«, sagte 1080 Papst Gregor VII. Zu diesen gehört Petrus Venerabilis, der in sich gleichsam alle Tugenden seiner Vorgänger zusammenfaßt, obwohl bereits mit ihm Cluny angesichts der neuen Orden wie jenem von Cîteaux manche Symptome der Krise zu spüren beginnt. Petrus ist ein bewundernswertes Beispiel eines Asketen, der mit sich selbst streng und mit den anderen verständnisvoll ist. Um das Jahr 1094 in der französischen Region Auvergne geboren, trat er als Kind in das Kloster von Sauxillanges ein, wo er die Profeß ablegte und später Prior wurde. 1122 wurde er zum Abt von Cluny gewählt und verblieb in diesem Amt bis zu seinem Tod, der ihn, wie er es ersehnt hatte, am Weihnachtstag 1156 ereilte. »Der Freund des Friedens« - schreibt sein Biograph Rudolf - »erlangte am Tag des Friedens in der Herrlichkeit Gottes den Frieden« (Vita, I.17; PL 189,28).

Alle, die ihn gekannt hatten, hoben seine vornehme Sanftmut, ruhige Ausgeglichenheit, Selbstbeherrschung, Rechtschaffenheit, Redlichkeit, seinen klaren Verstand und seine besondere Begabung zum Vermitteln hervor. »Es liegt in meinem Wesen« - schrieb er -, »recht begabt zu sein für die Nachsicht; dazu regt mich meine Gewohnheit zu vergeben an. Ich bin es gewöhnt, zu ertragen und zu vergeben« (
Ep 192, in: The Letters of Peter the Venerable, Harvard University Press 1967, S. 446). Er sagte weiter: »Mit denen, die den Frieden hassen, möchten wir nach Möglichkeit immer friedvoll sein« (, , S. Ep 261). Und er schrieb von sich: »Ich gehöre nicht zu denen, die mit ihrem Schicksal nicht zufrieden sind, … deren Geist sich stets in Angst oder Zweifel befindet und die sich beklagen, weil alle anderen sich ausruhen und sie die einzigen sind, die arbeiten« (Ep 182, S. 425). Mit seinem einfühlsamen und liebevollen Charakter vermochte er die Liebe zum Herrn mit der Zartheit gegenüber den Familienangehörigen, besonders der Mutter, und den Freunden zu verbinden. Er pflegte die Freundschaft, in besonderer Weise zu seinen Mönchen, die sich ihm gewöhnlich in der Sicherheit anvertrauten, angenommen und verstanden zu werden. Nach dem Zeugnis seines Biographen »verachtete er keinen und wies niemanden zurück« (Vita, I,3: PL 189,19); »er erschien allen liebenswert; in seiner angeborenen Güte war er offen für alle« (ebd., I,1: PL, 189,17).

Wir könnten sagen, daß dieser heilige Abt ein Beispiel auch für die Mönche und die Christen unserer Zeit darstellt, die durch einen frenetischen Lebensrhythmus gekennzeichnet ist, wo Episoden von Intoleranz und Kommunikationsunfähigkeit, Spaltungen und Konflikte nicht selten sind. Sein Zeugnis lädt uns ein zu verstehen, wie wir die Liebe zu Gott mit der Liebe zum Nächsten vereinen können, und nicht müde zu werden, Beziehungen der Brüderlichkeit und Versöhnung neu zu knüpfen. So handelte in der Tat Petrus Venerabilis, der sich in der Lage befand, das Kloster von Cluny in nicht sehr ruhigen Jahren zu führen, wofür es verschiedene äußere und auch innere Gründe in der Abtei selbst gab; dabei gelang es ihm, gleichzeitig streng und mit tiefer Menschlichkeit begabt zu sein. Er pflegte zu sagen: »Von einem Menschen wird man mehr erreichen können, wenn man ihn erträgt, als wenn man ihn mit den Klagen ärgert« (, , S. Ep 409). Aufgrund seines Amtes mußte er häufige Reisen nach Italien, England, Deutschland und Spanien auf sich nehmen. Das erzwungene Verlassen der kontemplativen Stille fiel ihm schwer. Er gestand ein: »Ich gehe von einem Ort zum anderen, mühe mich ab, ich beunruhige mich, ich quäle mich, hin und her geschleppt; einmal richtet sich mein Geist auf meine Angelegenheiten, dann auf die der anderen, nicht ohne große Erregung meiner Seele« (, , S. Ep 233). Obwohl er sich zwischen den Mächten und Herrschaften, die Cluny umgaben, durchringen mußte, gelang es ihm dank seines Sinnes für das Maß, seiner Großherzigkeit und seines Realismus dennoch, eine gewohnheitsmäßige Ruhe zu bewahren. Unter den Persönlichkeiten, mit denen er Umgang hatte, befand sich Bernhard von Clairvaux, mit dem er trotz aller Unterschiedlichkeit des Temperaments und der Erwartungen eine wachsende Beziehung der Freundschaft unterhielt. Bernhard bezeichnete ihn als einen »wichtigen Mann, der mit wichtigen Angelegenheiten beschäftigt ist«, und hatte große Achtung vor ihm (, Claravallense, Mailand Ep 1986, VI/1, S. 658-660), während Petrus Venerabilis Bernhard »Leuchte der Kirche« nannte (Ep 164, S. 396), »starke und glänzende Säule des Mönchsstandes und der ganzen Kirche« (Ep 175, S. 418).

Mit lebendigem kirchlichem Sinn bekräftigte Petrus Venerabilis, daß die Angelegenheiten des christlichen Volkes von allen, die sich »zu den Gliedern des Leibes Christi« zählen, »im Innersten des Herzens« verspürt werden müssen (, , S. Ep 397). Und er fügte hinzu: »Nicht genährt vom Geist Christi ist, wer nicht die Wunden des Leibes Christi spürt«, wo immer sie verursacht werden (ebd.). Darüber hinaus zeigte er Sorge und Zuvorkommenheit auch für diejenigen, die außerhalb der Kirche standen, besonders für die Juden und die Muslime: Um die Kenntnis über letztere zu fördern, sorgte er dafür, den Koran übersetzen zu lassen. Dazu vermerkt ein zeitgenössischer Historiker: »Inmitten der Unnachgiebigkeit der Menschen des Mittelalters - auch der Größten unter ihnen - bewundern wir hier ein erhabenes Beispiel der Feinfühligkeit, zu der die christliche Nächstenliebe führt« (J. Leclercq, Pierre le Vénérable, Abbaye S. Wandrille 1946). Weitere ihm teure Aspekte des christlichen Lebens waren die Liebe zur Eucharistie und die Verehrung für die Jungfrau Maria. Über das Allerheiligste Sakrament hat er uns Texte hinterlassen, die »eines der Hauptwerke der eucharistischen Literatur aller Zeiten« darstellen (ebd.,); und über die Muttergottes hat er erleuchtende Gedanken niedergeschrieben, wobei er sie stets in engem Verhältnis zu Jesus, dem Erlöser, und seinem Heilswerk betrachtete. Es möge genügen, diesen seinen inspirierten Lobpreis wiederzugeben: »Gegrüßt seist du, gebenedeite Jungfrau, die du den Fluch in die Flucht geschlagen hast. Gegrüßt seist du, Mutter des Höchsten, Braut des sanftesten Lammes. Du hast die Schlange besiegt, ihr hast du den Kopf zertreten, als der von dir hervorgebrachte Gott sie vernichtet hat… Leuchtender Morgenstern, der du die Schatten des Westens in die Flucht schlägst. Morgenröte, die der Sonne vorangeht, Tag, der die Nacht nicht kennt… Bitte Gott, der aus dir geboren wurde, daß er unsere Sünde entferne und uns nach der Vergebung die Gnade und die Herrlichkeit gewähre« (Carmina, PL 189,1018-1019).

Petrus Venerabilis hegte auch eine Vorliebe für die literarische Tätigkeit und besaß das Talent dazu. Er schrieb seine Gedanken nieder, überzeugt von der Wichtigkeit, die Feder gleichsam als einen Pflug zu benutzen, um »auf dem Papier den Samen des Wortes auszustreuen« (Ep 20, S. 38). Obwohl er kein systematischer Theologe war, war er ein großer Erforscher des Geheimnisses Gottes. Seine Theologie hat ihre Wurzeln im Gebet, besonders im liturgischen, und unter den Geheimnissen Christi galt seine Vorliebe dem Geheimnis der Verklärung, in dem sich bereits die Auferstehung ankündigt. Er war es denn auch, der in Cluny ein solches Fest eingeführt und dazu ein besonderes Offizium zusammengestellt hat, in dem sich die charakteristische theologische Frömmigkeit des Petrus und des cluniazensischen Ordens widerspiegelt, die ganz auf die Betrachtung des glorreichen Antlitzes (»gloriosa facies«) Christi ausgerichtet ist und darin die Gründe für jene glühende Freude findet, die ihren Geist auszeichnete und in die Liturgie des Klosters ausstrahlte.

Liebe Brüder und Schwestern, dieser heilige Mönch ist gewiß ein großes Vorbild monastischer Heiligkeit, die sich aus den Quellen der benediktinischen Tradition nährt. Für ihn besteht das Ideal des Mönchs darin, »Christus hartnäckig anzuhängen« (, , S. Ep 161), in einem Leben in Klausur, das von der »monastischen Demut« (ebd.) und von der Arbeitsamkeit (, , S. Ep 211) wie auch von einer Atmosphäre der stillen Kontemplation und des ständigen Lobes Gottes gezeichnet ist. Die erste und wichtigste Beschäftigung des Mönchs ist nach Petrus von Cluny die festliche Feier des Gottesdienstes - »himmlisches Werk und von allen das nützlichste« (Statuta, I, 1026) -, der mit der Lesung, der Betrachtung, dem persönlichen Gebet und der mit Mäßigung befolgten Buße zu begleiten ist (vgl. Ep Ep Ep Ep 20, , S. Ep 40). Auf diese Weise wird das ganze Leben von tiefer Liebe zu Gott und von Liebe zu den anderen durchdrungen sein, einer Liebe, die in der aufrichtigen Offenheit für den Nächsten, in der Vergebung und in der Suche nach Frieden zum Ausdruck kommt. Abschließend könnten wir sagen: Auch wenn dieser mit der täglichen Arbeit verbundene Lebensstil für den hl. Benedikt das Ideal des Mönchs darstellt, so betrifft er auch uns alle und kann in großem Maß der Lebensstil des Christen sein, der ein glaubwürdiger Jünger Christi werden will und den gerade seine ausdauernde Treue zu ihm, die Demut, die Arbeitsamkeit und die Fähigkeit zu Vergebung und Frieden kennzeichnet.

Bei der heutigen Generalaudienz möchte ich den heiligen Petrus Venerabilis vorstellen, der 1122, mit nicht einmal 30 Jahren, zum Abt von Cluny gewählt wurde. Bis zu seinem Tod am Weihnachtstag des Jahres 1156 trug er die Verantwortung für das berühmteste Benediktinerkloster des Hochmittelalters und seine zahlreichen Tochtergründungen in ganz Europa. Sein Biograph kommentiert treffend: „Der Freund des Friedens hat am Tag des Friedens in der Herrlichkeit Gottes seinen Frieden gefunden“. Die innere Ausgeglichenheit, die Sanftmut und die Rechtschaffenheit machten Abt Petrus in Cluny und auf seinen vielen Reisen zu einem Mann der Eintracht und zu einem Mittler in Spannungen und Konflikten. Er besaß zugleich eine bewundernswerte Standhaftigkeit und eine große Offenheit im Umgang mit anderen. Die Sorgen und Nöte der Kirche fühlte er in seinem eigenen Herzen und - entgegen der verbreiteten Mentalität seiner Zeit - wollte Petrus Venerabilis auch das Judentum und den Islam mit aufrichtigem Interesse kennenlernen, wozu er sogar den Koran übersetzen ließ. Bei all dem schöpfte er aus einer tiefen liturgisch geprägten Frömmigkeit, in der die Betrachtung des glorreichen Antlitzes des verklärten Christus eine zentrale Rolle spielte
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Von Herzen heiße ich die über zehntausend deutschsprachigen Pilger und Besucher hier auf dem Petersplatz willkommen. Besonders begrüße ich die Teilnehmer der Diözesanwallfahrt des Bistums Limburg in Begleitung von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst mit dem Orchester und den Chören des Limburger Doms und danke herzlich für das Geschenk, das sie uns mit ihrem Gesang gemacht haben. Petrus Venerabilis lädt uns ein, Christus in der Schönheit der Liturgie zu begegnen und seine Liebe im Alltag nachzuahmen. So können auch wir in unserer oft hektischen Zeit zu geistlichen Ruhepolen und Quellen der Freundschaft und der Gemeinschaft werden. Dabei bestärke euch der Allmächtige Gott mit seinem Segen.



Mittwoch, 21. Oktober 2009: Hl. Bernhard von Clairvaux

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Liebe Brüder und Schwestern!

Der heilige Bernhard von Clairvaux, den ich für die heutige Katechese ausgewählt habe, gehört sicher zu den größten religiösen Gestalten des Mittelalters. Er wurde um 1090 in Fontaines in Burgund geboren, besuchte die Schule der Stiftsherren von Saint-Vorles und trat mit etwa 20 Jahren mit einer Reihe von Gefährten in das Reformkloster Cîteaux ein. Bereits im Jahr 1115 erhielt Bernhard den Auftrag, ein Tochterkloster in Clairvaux zu errichten. Er wurde der erste Abt dieser Niederlassung und gründete von dort aus weitere 68 Klöster. Bernhard war ein begnadeter Prediger und Schriftsteller. Seine Werke zeichnet eine hohe literarische Qualität aus. Die Tradition hat ihn als Doctor mellifluus bezeichnet, als Lehrer, dessen Rede süß wie Honig fließt. Dies bezieht sich nicht nur auf seine sprachliche Begabung, sondern vor allem auf den Inhalt seiner Werke: sie sind ganz auf Gott ausgerichtet. Die wahre Gotteserkenntnis besteht für Bernhard nicht in einer denkerischen Leistung, sondern in der persönlichen Erfahrung der Liebe Christi. Und das Geschöpf vermag mit seiner persönlichen kleinen Liebe dem Schöpfer zu antworten. Sie ist geringer als die göttliche Liebe, und doch ist sie vollkommen, wenn sie ganz geschenkt wird. Maria hat diese Liebe in beispielhafter Weise zum Ausdruck gebracht. Bernhard hat keinen Zweifel daran, daß wir durch Maria zu Jesus geführt werden. Von ihr können wir lernen, Jesus nahe zu sein, und wir dürfen sie bitten, uns auf dem Weg mit Christus zu begleiten.
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Ganz herzlich grüße ich alle Brüder und Schwestern deutscher Sprache, unter ihnen heute besonders die Gruppe aus Paderborn mit Weihbischof König, die Pilger aus Münster mit Weihbischof Janssen und die Schüler der Liebfrauenschule in Vechta. Der heilige Bernhard will uns lehren, eine lebendige Beziehung zu Christus durch das regelmäßige Gebet und durch die Sakramente aufzubauen. Danach sollen wir streben: Schüler des Herrn in der heiligen Wissenschaft der Gotteserkenntnis zu sein. Der Herr geleite euch mit dem Licht seiner Gnade auf allen euren Wegen.



Mittwoch, 28. Oktober 2009: Monastische und scholastische Theologie

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute befasse ich mich mit einem interessanten Abschnitt der Geschichte, der die Blüte der lateinischen Theologie im 12. Jahrhundert betrifft, zu der es durch eine Reihe gottgewollter Fügungen gekommen ist. In den Ländern Westeuropas herrschte damals ein relativer Friede, der der Gesellschaft wirtschaftliche Entwicklung und Festigung der politischen Strukturen sicherstellte und eine lebendige kulturelle Tätigkeit auch dank der Kontakte mit dem Osten begünstigte. Innerhalb der Kirche wurden die Vorteile des als »Gregorianische Reform« bekannten umfassenden Wirkens wahrgenommen, das im vorhergehenden Jahrhundert kraftvoll gefördert wurde und im Leben der kirchlichen Gemeinschaft und vor allem beim Klerus zu einer größeren Reinheit im Sinne des Evangeliums geführt und der Kirche und dem Papsttum eine echte Handlungsfreiheit zurückgegeben hatte. Darüber hinaus verbreitete sich eine umfassende geistliche Erneuerung, die von der blühenden Entfaltung des geweihten Lebens getragen wurde: Es entstanden und verbreiteten sich neue Orden, während jene, die bereits existierten, einen vielversprechenden Aufschwung erlebten.

Auch die Theologie blühte wieder auf, indem sie ein größeres Bewußtsein des ihr eigenen Wesens gewann: Sie verfeinerte die Methode, ging neue Probleme an, machte bei der Betrachtung der Geheimnisse Gottes Fortschritte, brachte grundlegende Werke hervor, inspirierte wichtige kulturelle Initiativen von der Kunst bis zur Literatur und bereitete den Weg für die Hauptwerke des nachfolgenden Jahrhunderts, des Jahrhunderts eines Thomas von Aquin und eines Bonaventura von Bagnoregio. Es waren zwei Stätten, in denen sich diese glühende theologische Aktivität vollzog: die Klöster und die städtischen Kathedralschulen, die »scholae«; aus einigen von ihnen sollten schon bald die Universitäten hervorgehen, die eine der typischen »Erfindungen« des christlichen Mittelalters darstellen. Gerade ausgehend von diesen beiden Stätten, den Klöstern und den »scholae«, kann man von zwei unterschiedlichen Modellen der Theologie sprechen: der »monastischen Theologie« und der »scholastischen Theologie«. Die Vertreter der monastischen Theologie waren Mönche, im allgemeinen Äbte, begabt mit Weisheit und glühendem Eifer für das Evangelium, die sich im wesentlichen dafür hingaben, die liebevolle Sehnsucht nach Gott zu wecken und zu nähren. Die Vertreter der scholastischen Theologie waren gebildete Männer voller Leidenschaft für die Forschung; »magistri«, die von dem Wunsch erfüllt waren, die Vernünftigkeit und Begründetheit der Geheimnisse Gottes und des Menschen aufzuzeigen, die gewiß mit dem Glauben angenommen, aber auch von der Vernunft verstanden werden. Die unterschiedliche Zielsetzung erklärt den Unterschied ihrer Methode und ihrer Art und Weise, Theologie zu betreiben.

In den Klöstern des 12. Jahrhunderts war die theologische Methode hauptsächlich an die Erklärung der Heiligen Schrift, der »sacra pagina« gebunden, um uns wie die Schriftsteller jener Zeit auszudrücken; es wurde im besonderen Bibeltheologie betrieben. Das heißt: die Mönche waren alle ergebene Hörer und Leser der Heiligen Schrift, und eine ihrer vornehmlichen Beschäftigungen bestand in der lectio divina, das heißt in dem betenden Lesen der Bibel. Die einfache Lektüre des heiligen Textes genügte ihnen nicht, um dessen tiefen Sinn, die innere Einheit und transzendente Botschaft wahrzunehmen. Es war daher notwendig, eine im Gehorsam gegenüber dem Heiligen Geist vollzogene »geistliche Lesung « zu praktizieren. In der Schule der Kirchenväter wurde so die Bibel allegorisch ausgelegt, um auf jeder Seite sowohl des Alten wie des Neuen Testaments zu entdecken, was sie über Christus und sein Heilswerk sagt.

Die Bischofssynode des vergangenen Jahres über das »Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche« hat die Bedeutung der geistlichen Annäherung an die Heilige Schrift in Erinnerung gerufen. Zu diesem Zweck ist es nützlich, aus der monastischen Theologie, einer ununterbrochenen Bibelexegese, sowie aus den von ihren Vertretern verfaßten Werken zu schöpfen, die wertvolle asketische Kommentare zu den Büchern der Bibel sind. Mit der literarischen Vorbereitung verband die monastische Theologie so die geistliche. Das heißt, sie war sich dessen bewußt, daß eine theoretische und profane Lesart nicht genügt: Um in das Herz der Heiligen Schrift einzudringen, muß man sie in dem Geist lesen, in dem sie geschrieben und geschaffen worden ist. Die literarische Vorbereitung war notwendig, um die genaue Bedeutung der Worte zu kennen und das Verständnis des Textes dadurch zu erleichtern, daß die Sensibilität für die Grammatik und die Philologie verfeinert wurde. Der Benediktinergelehrte des vorigen Jahrhunderts Jean Leclercq hat der Abhandlung, mit der er die Wesensmerkmale der monastischen Theologie vorstellt, den Titel gegeben: »L’amour des lettres et le désir de Dieu« (»Die Liebe zum Wort und die Sehnsucht nach Gott«). Das Verlangen, Gott zu erkennen und zu lieben, der uns durch sein Wort entgegenkommt, das angenommen, betrachtet und in die Praxis umgesetzt werden soll, führt zu dem Versuch, die biblischen Texte in all ihren Dimensionen zu vertiefen. Da gibt es dann noch eine weitere Haltung, auf der jene bestehen, die die monastische Theologie in all ihren Dimensionen betreiben, und zwar eine innere Gebetshaltung, die dem Studium der Heiligen Schrift vorangehen, es begleiten und vervollständigen muß. Da die monastische Theologie letztlich Hören des Wortes Gottes ist, muß man das Herz läutern, um es aufzunehmen, und vor allem muß man es von Eifer entflammen, um dem Herrn zu begegnen. Die Theologie wird daher Betrachtung, Gebet, Lobpreis und drängt zu einer aufrichtigen Umkehr. Nicht wenige Vertreter der monastischen Theologie sind auf diesem Weg zu den höchsten Gipfeln der mystischen Erfahrung gelangt; und sie stellen auch für uns eine Einladung dar, unser Dasein mit dem Wort Gottes zu nähren, zum Beispiel durch ein aufmerksameres Hören der Lesungen und des Evangeliums, besonders während der Sonntagsmesse. Außerdem ist es wichtig, jeden Tag eine gewisse Zeit der Betrachtung der Bibel vorzubehalten, damit das Wort Gottes eine Leuchte ist, die unseren täglichen Weg auf Erden erhellt.

Die scholastische Theologie hingegen wurde - wie ich sagte - in den »scholae« praktiziert, die neben den großen Kathedralen der Zeit für die Vorbereitung des Klerus oder um einen Lehrer der Theologie und seine Schüler entstanden waren, um in einer Zeit, in der das Wissen zunehmend geschätzt wurde, Spezialisten im Bereich der Kultur auszubilden. Zentral für die Methode der Scholastiker war die »quaestio«, das heißt das Problem, das sich dem Leser bei der Auseinandersetzung mit den Worten der Schrift und der Tradition stellt. Angesichts des Problems, vor das ihn diese autoritativen Texte stellen, erheben sich Fragen und entsteht der Disput zwischen dem Lehrer und den Studenten. In diesem Disput tauchen einerseits die Argumente der Autorität, andererseits jene der Vernunft auf, und der Disput verläuft in dem Sinn, daß am Ende eine Synthese zwischen Autorität und Vernunft gefunden wird, um zu einem tieferen Verständnis des Wortes Gottes zu gelangen. Diesbezüglich sagt der hl. Bonaventura, daß die Theologie »per additionem« besteht (vgl. Commentaria in quatuor libros sententiarum, I, proem., q.1, concl.). Das heißt: die Theologie fügt dem Wort Gottes die Dimension der Vernunft hinzu und schafft so einen tieferen, persönlicheren und somit auch konkreteren Glauben im Leben des Menschen. In diesem Sinn fand man unterschiedliche Lösungen, und es bildeten sich Schlußfolgerungen heraus, die ein theologisches System aufzubauen begannen. Die Organisation der »quaestiones« führte zur Abfassung immer ausgedehnterer Synthesen, das heißt: Die verschiedenen »quaestiones« wurden mit den aus ihnen hervorgegangenen Antworten so zusammengefügt, daß sie eine Synthese bildeten, die sogenannten »Summae«. Diese waren in Wirklichkeit umfangreiche theologisch-dogmatische Abhandlungen, die aus der Auseinandersetzung der menschlichen Vernunft mit dem Wort Gottes entstanden waren. Die scholastische Theologie zielte darauf ab, die Einheit und Harmonie der christlichen Offenbarung mit einer Methode vorzulegen, die eben »scholastisch« genannt wurde, der Methode der Schule, die der menschlichen Vernunft Vertrauen einräumt: Die Grammatik und die Philologie stehen im Dienst des theologischen Wissens, mehr noch aber gilt dies für die Logik, das heißt jene Disziplin, die die »Funktionsweise« des menschlichen Denkens studiert, so daß die Wahrheit eines Satzes evident zutage tritt. Noch heute ist man beim Lesen der scholastischen »Summae« beeindruckt von der Ordnung, der Klarheit, der logischen Verknüpfung der Argumente und der Tiefe einiger Einsichten. Mit einer technischen Sprache wird jedem Wort eine präzise Bedeutung zugewiesen, und zwischen Glauben und Verstehen wird eine gegenseitige Bewegung der Klärung geschaffen.

Liebe Brüder und Schwestern, als Antwort auf die Einladung des Ersten Petrusbriefes regt uns die scholastische Theologie dazu an, immer bereit zu sein, einem jeden Rede und Antwort zu stehen, der uns nach dem Grund der Hoffnung fragt, die uns erfüllt (vgl. 3,15), die Fragen als unsere Fragen zu empfinden und so fähig zu sein, eine Antwort zu geben. Sie erinnert uns daran, daß zwischen Glaube und Vernunft eine natürliche Freundschaft besteht, die in der Schöpfungsordnung selbst gründet. Der Diener Gottes Johannes Paul II. schreibt zu Beginn der Enzyklika Fides et ratio: »Glaube und Vernunft sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt.« Der Glaube ist offen für die Anstrengung des Verstehens seitens der Vernunft; die Vernunft anerkennt ihrerseits, daß der Glaube sie nicht herabwürdigt, sondern sie vielmehr zu umfassenderen und höheren Horizonten treibt. Hier fügt sich die immerwährende Lehre der monastischen Theologie ein. Im wechselseitigen Dialog sind Glaube und Vernunft von Freude ergriffen, wenn beide von der Suche nach der innersten Einheit mit Gott beseelt sind. Wenn die Liebe die betende Dimension der Theologie belebt, weitet sich die durch die Vernunft erworbene Erkenntnis. Die Wahrheit wird mit Demut gesucht, mit Staunen und Dankbarkeit angenommen. Mit einem Wort: die Erkenntnis wächst nur, wenn sie die Wahrheit liebt. Die Liebe wird Vernünftigkeit und die Theologie echte Weisheit des Herzens, die dem Glauben und dem Leben der Gläubigen Orientierung verleiht und sie trägt. Beten wir also, daß der Weg der Erkenntnis und der Vertiefung der Geheimnisse Gottes immer von der göttlichen Liebe erhellt sein möge.

In der heutigen Katechese möchte ich einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung der abendländischen Theologie im 12. Jahrhundert geben, die damals dank der relativ friedlichen Zeit, die den kulturellen Austausch auch mit dem Osten ermöglichte, und dank der Früchte einer geistlichen Erneuerung in der Kirche zu neuer Blüte gelangte. Die Stätten theologischen Studiums waren zum einen die Klöster, zum anderen die »scholae«, die Kathedralschulen in den Städten. Dementsprechend lassen sich zwei verschiedene Modelle des Theologietreibens unterscheiden: die monastische Theologie und die scholastische Theologie. Die erstere war vornehmlich eine biblische Theologie, die vom geistlichen Ansatz der »lectio divina«der Mönche herrührte. Hier schloß das Verlangen nach Gott die Liebe zum Wort, die Durchdringung der Texte der Heiligen Schrift in allen ihren Dimensionen mit ein. Diese monastische Theologie vollzog sich in einer inneren Haltung des Gebetes und war vor allem betendes Hören auf Gott. Die scholastische Theologie verwendete eine andere Methode, nämlich die der »quaestio«, der Fragestellung. Von autoritativen Textsammlungen ausgehend stellen sich dem Menschen Fragen: Gegenüber dem, was die Überlieferung sagt, was das Wort Gottes sagt, brechen Fragen auf; das Wort wird zum Problem. Und nun diskutiert der Lehrer mit den Schülern zusammen, wie dieses Wort zu verstehen ist und annehmbar werden kann. Im Disput tauchen einerseits die autoritativen Quellen, andererseits die Argumente der Vernunft auf, und man versucht beides schließlich zusammenzuführen in einer Lösung, in der das Wort Gottes Antwort auf das menschliche Fragen wird und der Glaube, indem die Vernunft in ihn eingetreten ist, tiefer und persönlicher wird. Man hat dann diese »quaestiones«, diese Fragen und Dispute in Büchern zusammengefaßt, die man »Summen« nennt, systematische Formen der Theologie. So sollten die Einheit und die Harmonie der christlichen Offenbarung aufgezeigt werden, vor allem die Einheit von Vernunft und Glaube. Beide Theologien gehören zusammen: einerseits Theologie, in der die Liebe zu Gott und zum Wort Gottes anwesend ist, andererseits Theologie, in der die Nüchternheit der Vernunft und das rechte Verstehen in der jeweiligen Zeit arbeitet. Hans Urs von Balthasar hat einmal von »sitzender« und »kniender« Theologie gesprochen. Aber die ganze Theologie kann nicht allein im Knien und nicht allein im Sitzen gemacht werden. Beides, das betende Sich-Beugen vor Gott und das denkende Hinausgreifen in das Verstehen, gehört zusammen, damit wirkliche Theologie entsteht.
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Mit Freude heiße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Glaube und Vernunft helfen dem menschlichen Geist bei der Suche nach der Wahrheit, nach Gott. Diese Suche muß von einer Haltung des Gebets, der Demut und des Staunens begleitet sein. Dann wächst die Erkenntnis der Wahrheit und wird echte Weisheit des Herzens. Gott schenke uns dabei das Licht seiner Gnade.

Anschließend sagte der Heilige Vater in niederländischer Sprache:

Mijn hartelijke groet aan de Nederlandse pelgrims, bijzonder de duizend met hun Bisschop van het bisdom ’s-Hertogenbosch, in het Koninkrijk der Nederlanden, die de vierhonderd vijftigste verjaardag herdenken van de oprichting van hun diocees. Ik moedig allen sterk aan om steeds meer vast te houden aan Christus en overal met moed getuigenis te geven van het Evangelie. Aan ieder van u mijn zegen met grote liefde !




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