Generalaudienzen 2005-2013 22090

Mittwoch, 22. September 2010: Apostolische Reise nach Großbritannien

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich über die Apostolische Reise in das Vereinigte Königreich sprechen, die Gott mir in den vergangenen Tagen durchzuführen gewährt hat. Es war ein offizieller Besuch und zugleich eine Pilgerreise in das Herz der Geschichte und der Gegenwart des britischen Volkes, das reich ist an Kultur und Glauben. Es handelte sich dabei um ein historisches Ereignis, das eine neue wichtige Phase in der langen und komplexen Geschichte der Beziehungen zwischen jenen Volksgruppen und dem Heiligen Stuhl abgesteckt hat. Wichtigstes Anliegen des Besuchs war es, Kardinal John Henry Newman seligzusprechen, einen der größten Engländer der jüngeren Zeit, einen berühmten Theologen und Mann der Kirche. Die Seligsprechungsfeier stellte in der Tat den Höhepunkt der Apostolischen Reise dar, deren Thema am Wahlspruch des Kardinalswappens des sel. Newman ausgerichtet war: »Das Herz spricht zum Herzen.« Und in den vier intensiven und wunderschönen Tagen, die ich in jenem edlen Land verbracht habe, hatte ich die große Freude, zum Herzen der Bewohner des Vereinigten Königreichs zu sprechen, und sie haben zu meinem gesprochen, besonders durch ihre Anwesenheit und durch das Zeugnis ihres Glaubens. In der Tat konnte ich feststellen, wie stark gegenwärtig das christliche Leben in allen Gesellschaftsschichten immer noch ist. Das Herz der Briten und ihr Leben sind für die Wirklichkeit Gottes offen, und es gibt zahlreiche Ausdrucksformen der Religiosität, die durch meinen Besuch noch deutlicher zum Vorschein gekommen sind.

Vom ersten Tag meines Aufenthalts in Großbritannien an habe ich die ganze Zeit meiner Reise hindurch allerorts herzliche Aufnahme erfahren von seiten der Obrigkeiten, der Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Realitäten und religiösen Konfessionen und besonders von seiten der Bevölkerung. Ich denke insbesondere an die Gläubigen der katholischen Gemeinschaft und ihre Hirten, die, obgleich sie eine Minderheit im Land darstellen, große Wertschätzung und Achtung genießen und die um die freudige Verkündigung Jesu Christi bemüht sind, indem sie den Glanz des Herrn sichtbar machen und in seinem Namen sprechen, besonders unter den Geringsten. Allen bringe ich erneut meinen tiefen Dank zum Ausdruck für die Begeisterung, die sie gezeigt haben, und für den lobenswerten Eifer, mit dem sie sich eingesetzt haben für das Gelingen meines Besuches, dessen Erinnerung ich stets in meinem Herzen bewahren werde.

Die erste Begegnung fand in Edinburgh statt, wo Ihre Majestät Königin Elisabeth II. mich zusammen mit ihrem Gemahl, dem Herzog von Edinburgh, im Namen des ganzen britischen Volkes sehr freundlich empfangen hat. Es war eine sehr herzliche Begegnung, die gekennzeichnet war von der gemeinsamen tiefen Sorge um das Wohlergehen der Völker der Welt und um die Rolle der christlichen Werte in der Gesellschaft. In der historischen Hauptstadt von Schottland konnte ich die Schönheit der Kunstwerke bewundern, Zeugnis reicher Tradition und tiefer christlicher Wurzeln. Darauf habe ich in der Ansprache an Ihre Majestät und an die anwesenden Obrigkeiten Bezug genommen und daran erinnert, daß die christliche Botschaft zu einem festen Bestandteil der Sprache, des Denkens und der Kultur der Völker jener Inseln geworden ist. Ich habe auch über die Rolle gesprochen, die Großbritannien im internationalen Spektrum gespielt hat und spielt und habe erwähnt, wie wichtig die Schritte sind, die unternommen wurden, um einen gerechten und dauerhaften Frieden in Nordirland zu erreichen.

Die festliche und frohe Atmosphäre, für die die Jugendlichen und die Kinder sorgten, hat die Etappe von Edinburgh mit Freude erfüllt. Dann habe ich mich nach Glasgow begeben, in eine Stadt, die wunderschöne Parks besitzt, und habe im »Bellahouston Park« die erste heilige Messe gefeiert. Es war ein Augenblick tiefer Spiritualität, der für die Katholiken des Landes sehr wichtig war, auch in Anbetracht der Tatsache, daß auf jenen Tag das liturgische Fest des hl. Ninian fiel, des ersten Boten des Evangeliums in Schottland. Dieser liturgischen Versammlung, die aufmerksam am Gebet teilnahm, das durch traditionelle Musik und ergreifende Gesänge noch feierlicher gestaltet wurde, habe ich die Bedeutung der Evangelisierung der Kultur in Erinnerung gerufen, besonders in unserer Zeit, in der ein alles durchdringender Relativismus die unveränderliche Wahrheit über das Wesen des Menschen zu verdunkeln droht.

Am zweiten Tag begann mein Besuch in London. Hier bin ich zunächst der Welt des katholischen Bildungswesens begegnet, das im Bildungssystem jenes Landes eine herausragende Rolle bekleidet. In einer wirklich familiären Atmosphäre habe ich zu den Lehrern und Erziehern gesprochen und dabei die Bedeutung des Glaubens bei der Ausbildung reifer und verantwortungsbewußter Bürger in Erinnerung gerufen. Die zahlreichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mich mit Wohlwollen und Begeisterung empfangen haben, habe ich gebeten, keine begrenzten Ziele zu verfolgen und sich nicht mit bequemen Entscheidungen zufriedenzugeben, sondern nach Größerem zu streben, also nach der Suche nach dem wahren Glück, das nur in Gott zu finden ist. Bei der folgenden Begegnung mit den Verantwortlichen der anderen Religionen, die in Großbritannien am stärksten vertreten sind, habe ich die unumgängliche Notwendigkeit eines aufrichtigen Dialogs ins Gedächtnis gerufen, bei dem das Prinzip der Gegenseitigkeit geachtet werden muß, damit er in ganzer Fülle fruchtbar sein kann. Gleichzeitig habe ich die Suche nach dem Heiligen hervorgehoben als den allen Religionen gemeinsamen Grund, auf dem Freundschaft, Vertrauen und Zusammenarbeit gefestigt werden können.

Der Freundschaftsbesuch beim Erzbischof von Canterbury bot Gelegenheit, die gemeinsame Verpflichtung zur Bezeugung der christlichen Botschaft, die Katholiken und Anglikaner miteinander verbindet, noch einmal zu bekräftigen. Es folgte einer der bedeutsamsten Augenblicke der Apostolischen Reise: Die Begegnung im großen Saal des britischen Parlaments mit Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Politik, Diplomatie, Wissenschaft und Religion sowie Vertretern der Welt der Kultur und der Wirtschaft. An jenem so renommierten Ort habe ich hervorgehoben, daß für die Gesetzgeber die Religion kein Problem darstellen darf, das gelöst werden muß. Vielmehr muß sie als Faktor betrachtet werden, der einen lebenswichtigen Beitrag zum geschichtlichen Weg und zum öffentlichen Diskurs der Nation leistet, indem sie besonders auf die wesentliche Bedeutung der ethischen Grundlage für die Entscheidungen in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens verweist.

In ebenso feierlicher Atmosphäre habe ich mich dann in die »Westminster Abbey« begeben: Zum ersten Mal hat ein Nachfolger Petri die Kultstätte betreten, die symbolisch ist für die uralten christlichen Wurzeln des Landes. Das Abendgebet, das zusammen mit den verschiedenen christlichen Gemeinschaften des Vereinigten Königreichs gebetet wurde, stellte einen wichtigen Augenblick in den Beziehungen zwischen der katholischen Gemeinde und der Anglikanischen Gemeinschaft dar. Als wir gemeinsam das Grab des hl. Eduard des Bekenners verehrten, während der Chor sang: »Congregavit nos in unum Christi amor«, haben wir alle Gott gelobt, der uns auf dem Weg zur vollen Einheit führt.

Am Samstagvormittag eröffnete das Treffen mit dem Premierminister eine Reihe von Begegnungen mit den höchsten Vertretern der Politik in Großbritannien. Dann folgte die heilige Messe in der Kathedrale von Westminster, die dem Kostbaren Blut unseres Herrn geweiht ist. Es war ein außerordentlicher Augenblick des Glaubens und des Gebets - er hat auch die reiche und wertvolle Tradition »römischer« und »englischer« Kirchenmusik hervorgehoben -, an dem die verschiedenen kirchlichen Gruppen teilgenommen haben, geistlich vereint mit den Scharen der Gläubigen der langen christlichen Geschichte jenes Landes. Ich freue mich sehr, daß ich einer großen Zahl Jugendlicher begegnet bin, die draußen, außerhalb der Kathedrale, an der heiligen Messe teilnahmen. Durch ihre begeisterte und gleichzeitig aufmerksame und ehrfürchtige Anwesenheit haben sie gezeigt, daß sie die Protagonisten einer neuen Zeit des mutigen Zeugnisses, der tätigen Solidarität, des großherzigen Einsatzes im Dienst des Evangeliums sein wollen.

In der Apostolischen Nuntiatur bin ich einigen Opfern des Mißbrauchs von seiten der Vertreter des Klerus und der Ordensleute begegnet. Es war ein Augenblick tiefer Ergriffenheit und des Gebets. Kurz darauf hatte ich auch eine Begegnung mit einer Gruppe von professionellen und freiwilligen Helfern, die für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im kirchlichen Bereich verantwortlich sind. Dieser Aspekt ist bei der Pastoralarbeit der Kirche besonders wichtig und präsent. Ich habe ihnen gedankt und sie ermutigt, ihre Arbeit fortzusetzen, die sich einfügt in die lange Tradition der Kirche, die Sorge trägt für die Achtung, die Erziehung und die Ausbildung der jungen Generationen. Ebenfalls in London habe ich dann das Altenheim besucht, das von den Kleinen Schwestern der Armen geführt wird, mit der wertvollen Unterstützung durch zahlreiche Krankenschwestern und freiwillige Helfer. Dieses Heim ist ein Zeichen für die große Wertschätzung, die die Kirche den alten Menschen stets entgegengebracht hat. Ebenso ist es ein Ausdruck des Bemühens der britischen Katholiken um den Respekt für das Leben, ungeachtet des Alters und des Gesundheitszustandes.

Der Höhepunkt meines Besuchs in Großbritannien war wie gesagt die Seligsprechung von Kardinal John Henry Newman, einem berühmten Sohn Englands. Ihr ging vorbereitend eine besondere Gebetsvigil voraus, die am Samstagabend im »Hyde Park« in London stattfand, in einer Atmosphäre tiefer Sammlung. Ich wollte der Menge der Gläubigen, besonders den Jugendlichen, die leuchtende Gestalt Kardinal Newmans noch einmal vor Augen führen: eines Intellektuellen und Gläubigen, dessen geistliche Botschaft sich in dem Zeugnis zusammenfassen läßt, daß der Weg des Gewissens kein Verschließen in das eigene »Ich« ist, sondern Öffnung, Bekehrung und Gehorsam gegenüber dem, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Die Seligsprechungsfeier fand in Birmingham im Rahmen der sonntäglichen Eucharistiefeier statt, in Anwesenheit einer großen Menschenmenge aus ganz Großbritannien und Irland; auch viele andere Länder waren vertreten.

Dieses bewegende Ereignis hat einen Gelehrten von hohem Format, einen bedeutenden Schriftsteller und Poeten, einen weisen Mann Gottes, dessen Gedankengut viele Gewissen erleuchtet hat und der auch heute noch eine außergewöhnliche Anziehung ausübt, noch stärker ins Licht gerückt. Insbesondere an ihm mögen die Gläubigen und die kirchlichen Gemeinschaften des Vereinigten Königreichs sich orientieren, damit jenes edle Land auch in unseren Tagen weiterhin reiche Früchte des Lebens aus dem Evangelium hervorbringt.

Die Begegnung mit der Bischofskonferenz von England und Wales sowie mit der Schottischen Bischofskonferenz bildete den Abschluß eines großen Festtages für die katholische Gemeinde in Großbritannien, an dem die Herzen zutiefst vereint waren.

Liebe Brüder und Schwestern, bei meinem Besuch im Vereinigten Königreich wollte ich wie immer in erster Linie die katholische Gemeinschaft stützen und sie ermutigen, sich unermüdlich für die Verteidigung der unveränderlichen sittlichen Wahrheiten einzusetzen, die vom Evangelium aufgegriffen, erleuchtet und bestätigt werden und die Grundlage einer wirklich menschlichen, gerechten und freien Gesellschaft bilden. Ich wollte auch zu den Herzen ausnahmslos aller Einwohner des Vereinigten Königreichs sprechen über die wahre Realität des Menschen, seine tiefsten Bedürfnisse, seine letzte Bestimmung Als ich mich an die Bürger jenes Landes wandte, eines Knotenpunkts der Kultur und der Weltwirtschaft, habe ich den ganzen Westen im Blick gehabt, einen Dialog mit den Grundlagen dieser Zivilisation geführt und die unvergängliche Neuheit des Evangeliums vermittelt, von der sie durchdrungen ist. Diese Apostolische Reise hat in mir eine tiefe Überzeugung bestätigt: Die alten Nationen Europas haben eine christliche Seele, die mit dem »Genius« und der Geschichte der jeweiligen Völker ein Ganzes bildet, und die Kirche wird sich stets dafür einsetzen, diese geistliche und kulturelle Überlieferung kontinuierlich wachzuhalten.

Der sel. John Henry Newman, dessen Gestalt und Schriften immer noch äußerst aktuell sind, hat es verdient, daß alle ihn kennenlernen. Er möge das Vorhaben und die Bemühungen der Christen stützen, »überall den Duft Christi zu verbreiten, auf daß ihr ganzes Leben nur das seine ausstrahle«, wie er mit großer Weisheit in seinem Werk Radiating Christ schrieb.
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APPELL DES HEILIGEN VATERS


Papst Benedikt XVI. hat bei der Generalaudienz am 22. September auf dem Petersplatz die große Bedeutung der Dialogkommission von Katholiken und Orthodoxen, die in der vergangenen Woche in Wien tagte, hervorgehoben. Er wies darauf hin, daß das Thema der Unterredungen die Rolle des Bischofs von Rom in der Gemeinschaft der Universalkirche besonders im ersten Jahrtausend der Geschichte des Christentums sei. »Der Gehorsam dem Willen unseres Herrn Jesus Christus gegenüber und die Erwägungen der großen Herausforderungen, die sich dem Christentum heute stellen, zwingen uns dazu, uns ernsthaft mit der Wiederherstellung der vollen Einheit zwischen den Kirchen zu befassen. Ich bitte euch alle, für die Arbeiten der Kommission und für eine Weiterentwicklung und die Konsolidierung des Friedens und der Einheit unter den Getauften zu beten, damit wir der Welt immer authentischer das Zeugnis des Evangeliums geben können«.

Grußwort auf deutsch:

Von Herzen heiße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen, besonders die Wallfahrer aus Vaduz in Liechtenstein mit ihrem Erzbischof. Lassen wir uns vom seligen John Henry Newman anregen, mit unserem Leben Christus auszustrahlen und seine Liebe der Welt weiterzuschenken. Der Heilige Geist geleite euch auf allen Wegen.






Petersplatz - Mittwoch, 29. September 2010: Mechthild von Hackeborn

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Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich zu euch über die hl. Mechthild von Hackeborn sprechen, eine der großen Gestalten des Klosters von Helfta, die im 13. Jahrhundert gelebt hat. Ihre Mitschwester, die hl. Gertrud die Große, sagt im 6. Buch des Werkes Liber specialis gratiae (Das Buch der geistlichen Gnaden), in dem von den besonderen Gnaden berichtet wird, die Gott der hl. Mechthild gewährt hat: »Was wir niedergeschrieben haben, ist recht wenig im Vergleich zu dem, was wir nicht erwähnt haben. Einzig zur Ehre Gottes und zum Wohl des Nächsten tun wir diese Dinge kund. Denn wir meinen, daß es unrecht wäre, all die Gnaden zu verschweigen, die Mechthild von Gott empfangen hat - nicht so sehr für sich selbst, sondern, so scheint uns, für uns und für jene, die nach uns kommen werden« (Mechthild von Hackeborn, Liber specialis gratiae, VI,1).

Dieses Werk wurde von der hl. Gertrud und einer anderen Mitschwester aus Helfta verfaßt und hat eine einzigartige Geschichte. Im Alter von 50 Jahren durchlebte Mechthild eine schwere geistliche Krise; hinzu kamen physische Leiden. In diesem Zustand vertraute sie zwei befreundeten Mitschwestern die außerordentlichen Gnaden an, mit denen Gott sie von Kindheit an geführt hatte, wußte jedoch nicht, daß diese alles aufschrieben. Als sie es erfuhr, war sie darüber zutiefst betrübt und erschüttert. Der Herr beruhigte sie jedoch und gab ihr zu verstehen, daß das Geschriebene zur Ehre Gottes und zum Wohl des Nächsten gereiche (vgl. ebd., II,25; V,20). So ist dieses Werk für uns die Hauptquelle über das Leben und die Spiritualität unserer Heiligen.

Durch sie werden wir eingeführt in das Geschlecht der Freiherrn von Hackeborn, eines der edelsten, reichsten und mächtigsten von Thüringen - es war mit Kaiser Friedrich II. verschwägert -, und treten ein in das Kloster von Helfta in der ruhmreichsten Zeit seiner Geschichte. Der Freiherr hatte bereits eine Tochter ins Kloster gegeben: Gertrud von Hackeborn (1231/1232-1291/1292). Sie besaß eine ausgeprägte Persönlichkeit, war 40 Jahre lang Äbtissin und konnte der Spiritualität des Klosters eine besondere Prägung verleihen, indem sie es zu außerordentlicher Blüte brachte als Zentrum der Mystik und der Kultur, als Schule für wissenschaftliche und theologische Ausbildung. Gertrud bot den Nonnen hohe geistige Unterweisung, die es ihnen erlaubte, eine Spiritualität zu pflegen, die auf der Heiligen Schrift, auf der Liturgie, auf der patristischen Überlieferung, auf der Regel und Spiritualität der Zisterzienser gründete, mit besonderer Vorliebe für den hl. Bernhard von Clairvaux und Wilhelm von Saint-Thierry. Sie war eine wahre Lehrmeisterin, in allem vorbildlich, in der Radikalität des Lebens nach dem Evangelium und im apostolischen Eifer. Mechthild nahm von Kindheit an die von ihrer Schwester geschaffene geistliche und kulturelle Atmosphäre in sich auf und genoß sie und gab ihr dann ihre persönliche Note.

Mechthild wird 1241 oder 1242 auf Burg Helfta geboren; sie ist die dritte Tochter des Freiherrn. Mit sieben Jahren besucht sie mit der Mutter ihre Schwester Gertrud im Kloster Rodersdorf.

Von dieser Umgebung ist sie so fasziniert, daß sie innig wünscht, ihr anzugehören. Sie tritt als Klosterschülerin ein und wird 1258 Nonne in dem Konvent, der in der Zwischenzeit nach Helfta übergesiedelt ist, auf das Anwesen derer von Hackeborn. Sie zeichnet sich aus durch Demut, Eifer und Liebenswürdigkeit, durch Reinheit und Unschuld des Lebens, durch Vertrautheit und Tiefe, mit denen sie die Beziehung zu Gott, zur Jungfrau Maria, zu den Heiligen lebt. Sie ist mit hohen natürlichen und geistlichen Eigenschaften ausgestattet: »Wissen, Intelligenz, Kenntnis von Sprache und Literatur, eine wunderbar liebliche Stimme: Unter all diesen Voraussetzungen konnte sie für das Kloster in jeder Hinsicht ein wahrer Schatz sein« (ebd., Vorwort). So wird die »Nachtigall Gottes« - wie sie genannt wird - bereits in sehr jungen Jahren Leiterin der Klosterschule, Chorleiterin und Novizenmeisterin. Sie führt diese Dienste mit großer Begabung und unermüdlichem Eifer aus, nicht nur zum Wohl der Nonnen, sondern aller, die aus ihrer Weisheit und Güte schöpfen wollen.

Von der göttlichen Gabe der mystischen Schau erleuchtet, verfaßt Mechthild zahlreiche Gebete. Sie ist eine Lehrerin, die der kirchlichen Lehre treu und von großer Demut ist. Sie ist Ratgeberin, Trösterin, leitende Hand bei der Entscheidungsfindung. Über sie kann man lesen: »Sie teilte die Lehre in einer solchen Fülle aus, wie man es im Kloster noch nie gesehen hatte und wohl leider - so befürchten wir - auch nie mehr sehen wird. Die Schwestern scharten sich um sie, um das Wort Gottes zu hören, wie um einen Prediger. Sie war für alle Zuflucht und Trost und besaß durch Gottes Gnade die außerordentliche Gabe, die Geheimnisse eines jeden Herzens offen darzulegen. Viele Personen - nicht nur im Kloster, sondern auch fremde Ordensleute und Laien, die von weither gekommen waren - bezeugten, daß diese heilige Jungfrau sie von ihren Nöten befreit hatte und sie niemals soviel Trost empfunden hatten wie bei ihr. Außerdem verfaßte und lehrte sie viele Gebete. Wollte man sie alle zusammenfassen, so wären sie umfangreicher als das Buch der Psalmen« (ebd., VI,1).

1261 kommt ein fünfjähriges Mädchen namens Gertrud in den Konvent: Sie wird der Obhut der knapp 20jährigen Mechthild anvertraut, die sie erzieht und im geistlichen Leben anleitet und sie schließlich nicht nur zur hervorragenden Schülerin, sondern auch zu ihrer Vertrauten macht. 1271 oder 1272 tritt auch Mechthild von Magdeburg in das Kloster ein. So nimmt der Ort vier große Frauen auf, zwei mit dem Namen Gertrud und zwei mit dem Namen Mechthild: der Ruhm des deutschen Klosterlebens. In dem langen Leben, das sie im Kloster verbringt, wird Mechthild unablässig von starken Leiden heimgesucht, denen sie die harte Buße hinzufügt, die sie für die Bekehrung der Sünder auf sich nimmt. Auf diese Weise hat sie bis zum Lebensende Anteil am Leiden des Herrn (vgl. ebd., VI,2). Das Gebet und die Betrachtung sind der lebenswichtige »Nährboden« ihrer Existenz: die Offenbarungen, ihre Lehren, ihr Dienst am Nächsten, ihr Weg im Glauben und in der Liebe haben hier ihre Wurzel und ihr Umfeld. Im ersten Buch des Werkes Liber specialis gratiae tragen die Verfasserinnen das zusammen, was Mechthild ihnen anvertraut, geordnet nach den Festen des Herrn, der Heiligen und insbesondere der allerseligsten Jungfrau Maria. Die Fähigkeit dieser Heiligen, die Liturgie in ihren verschiedenen - selbst den einfachsten - Teilen zu leben und sie in das tägliche Klosterleben hineinzunehmen, ist beeindruckend. Manche Bilder, Ausdrücke, Anwendungen mögen unserem Empfinden fremd sein, aber wenn man sich das Klosterleben vor Augen führt sowie ihre Aufgabe als Novizenmeisterin und Chorleiterin, dann erkennt man ihre einzigartige Begabung als Erzieherin und Lehrerin, die ihren Mitschwestern hilft, jeden Augenblick des Klosterlebens von der Liturgie ausgehend intensiv zu leben.

Beim liturgischen Gebet hebt Mechthild die kanonischen Horen, die Feier der heiligen Messe, vor allem die heilige Kommunion, besonders hervor. Hier kam oft eine Verzückung über sie, in inniger Vertrautheit mit dem Herrn in seinem brennenden und liebenden Herzen, in einem wunderbaren Zwiegespräch, in dem sie um innere Erleuchtung bittet und besondere Fürsprache für ihre Gemeinschaft und ihre Mitschwestern hält. Im Mittelpunkt stehen die Geheimnisse Christi, auf die die Jungfrau Maria ständig verweist, um den Weg der Heiligkeit zu beschreiten: »Wenn du nach der wahren Heiligkeit strebst, dann bleib bei meinem Sohn; er selbst ist die Heiligkeit, die alles heiligt« (ebd., I,40). In ihre innige Vertrautheit mit Gott ist die ganze Welt einbezogen, die Kirche, die Wohltäter, die Sünder. Für sie vereinen sich Himmel und Erde.

Ihre Visionen, ihre Lehren, die Ereignisse ihres Lebens werden mit Ausdrücken beschrieben, die liturgische und biblische Anklänge haben. So erfaßt man ihre tiefe Kenntnis der Heiligen Schrift, die ihr tägliches Brot war. Sie nimmt ständig darauf Bezug, indem sie die in der Liturgie gelesenen biblischen Texte hervorhebt und ihnen Symbole, Begriffe, Landschaften, Bilder, Personen entnimmt. Ihre Vorliebe gilt dem Evangelium: »Die Worte des Evangeliums waren für sie eine wunderbare Speise und weckten in ihrem Herzen so süße Empfindungen, daß sie oft aus Begeisterung mit dem Lesen nicht aufhören konnte… Sie las diese Worte so hingebungsvoll, daß sie bei allen Andacht hervorrief. Auch beim Chorgesang war sie völlig in Gott versunken und von solcher Hingabe erfaßt, daß sie manchmal ihre Empfindungen durch Gesten zum Ausdruck brachte… Andere Male kam gleichsam eine Verzückung über sie, und sie merkte nicht, wenn man sie rief oder anfaßte, und erlangte nur schwer das Bewußtsein für die Außenwelt zurück« (ebd., VI,1). In einer der Visionen empfiehlt Jesus selbst ihr das Evangelium; er öffnet die Wunde seines liebenden Herzens und sagt zu ihr: »Bedenke, wie groß meine Liebe ist: Wenn du sie kennenlernen willst, so findest du sie nirgends besser zum Ausdruck gebracht als im Evangelium. Niemals wurden stärkere und liebevollere Worte vernommen als diese: ›Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt‹ (
Jn 15,9)« (ebd., I,22).

Liebe Freunde, das persönliche und das liturgische Gebet, besonders das Stundengebet und die heilige Messe stehen an der Wurzel der geistlichen Erfahrung der hl. Mechthild von Hackeborn. Indem sie sich von der Heiligen Schrift leiten und vom eucharistischen Brot nähren ließ, ist sie einen Weg inniger Vereinigung mit dem Herrn gegangen, stets in vollkommener Treue zur Kirche. Das ist auch für uns eine eindringliche Einladung, unsere Freundschaft mit dem Herrn zu vertiefen, vor allem durch das tägliche Gebet und die aufmerksame, treue und aktive Teilnahme an der heiligen Messe.

Die Liturgie ist eine große Schule der Spiritualität. Ihre Schülerin Gertrud beschreibt eindrücklich die letzten Augenblicke im Leben der hl. Mechthild von Hackeborn. Sie waren sehr hart, aber erleuchtet von der Gegenwart der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, des Herrn, der Jungfrau Maria, aller Heiligen, auch ihrer leiblichen Schwester Gertrud. Als die Stunde kam, da der Herr sie zu sich nehmen wollte, bat sie ihn, um des Heils der Seelen willen noch weiter im Leiden leben zu dürfen, und Jesus freute sich über dieses letzte Zeichen der Liebe.

Mechthild war 58 Jahre alt. Der letzte Abschnitt ihres Weges war von acht Jahren schwerer Krankheit gezeichnet. Ihr Werk und ihr Ruf der Heiligkeit verbreiteten sich weit. Als ihre Stunde gekommen war, »sagte der allmächtige Gott, der einzige Trost der Seele, die ihn liebt, zu ihr: ›Venite vos, benedicti Patris mei… Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz‹, und nahm sie auf in seine Herrlichkeit« (ebd. VI,8).

Die hl. Mechthild von Hackeborn vertraut uns dem Heiligsten Herzen Jesu und der Jungfrau Maria an. Sie lädt uns ein, den Sohn durch das Herz der Mutter zu loben und Maria durch das Herz des Sohnes: »Ich grüße Euch, o ehrwürdige Jungfrau, in jenem lieblichen Morgentau, der aus dem Herzen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit sich in Euch verbreitet hat; ich grüße Euch in der Herrlichkeit und in der Freude, in der Ihr jetzt auf ewig lebt - Ihr, die Ihr vor allen anderen Geschöpfen der Erde und des Himmels erwählt wurdet noch vor der Erschaffung der Welt! Amen« (ebd., I,45).
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Ganz herzlich grüße ich die Pilger deutscher Sprache, besonders die Wallfahrer des Malteserhilfsdienstes aus Österreich. Herzlich willkommen! Mögen euch viele schöne Stunden hier in Rom geschenkt sein, die ihr als innere Gabe und Kraft nach Hause mitnehmt! Zudem ist aus den Niederlanden heute eine große Pilgergruppe des Bistums Rotterdam mit ihrem Bischof Adrian van Luyn zugegen. Herzlich willkommen! Die hl. Mechthild will uns ein Vorbild sein, im Gebet mit Gott verbunden zu bleiben und so den Alltag zu heiligen. Der Herr begleite euch auf allen euren Wegen.

APPELL


Papst Benedikt XVI. hat der Opfer der Flutkatastrophe im Norden Nigerias gedacht. Seine Gedanken seien bei den zwei Millionen Menschen, die infolge dieser schweren humanitären Krise aus ihren Häusern fliehen mußten, sagte der Papst bei der Generalaudienz am 29. September. Er versicherte die Betroffenen seiner geistlichen Verbundenheit im Gebet.



                                                                   

Petersplatz - Mittwoch, 6. Oktober 2010: Gertrud die Große

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die hl. Gertrud die Große, über die ich heute sprechen möchte, führt uns auch in dieser Woche in das Kloster Helfta, wo einige der Meisterwerke der von Frauen verfaßten lateinisch-deutschen religiösen Literatur entstanden sind. Zu dieser Welt gehört Gertrud, eine der berühmtesten Mystikerinnen und die einzige Frau in Deutschland, die den Beinamen »die Große« trägt, aufgrund ihres kulturellen und das Evangelium betreffenden Formats: Mit ihrem Leben und ihrem Denken hat sie auf die christliche Spiritualität in einzigartiger Weise Einfluß genommen. Sie ist eine außergewöhnliche Frau, ausgestattet mit besonderen natürlichen Begabungen und außerordentlichen Gnadengaben, von tiefster Demut und brennendem Eifer für das Heil des Nächsten, in inniger Gemeinschaft mit Gott in der Betrachtung und stets bereit, den Notleidenden zu helfen.

In Helfta setzt sie sich sozusagen systematisch mit ihrer Novizenmeisterin Mechthild von Hackeborn auseinander, über die ich in der Audienz am vergangenen Mittwoch gesprochen habe. Sie tritt dort in Beziehung zu Mechthild von Magdeburg, einer weiteren mittelalterlichen Mystikerin, und wächst unter der gütigen und anspruchsvollen mütterlichen Obhut der Äbtissin Gertrud auf. Von diesen drei Mitschwestern gewinnt sie Schätze der Erfahrung und der Weisheit; sie erarbeitet daraus eine eigene Synthese und beschreitet ihren religiösen Weg im grenzenlosen Vertrauen auf den Herrn. Sie bringt den Reichtum der Spiritualität nicht nur ihrer klösterlichen Welt zum Ausdruck, sondern auch und besonders in der biblischen, liturgischen, patristischen und benediktinischen Welt, in einem sehr persönlichen Ton und mit großer kommunikativer Wirkkraft.

Sie wird am 6. Januar 1256 geboren, dem Fest der Erscheinung des Herrn, aber weder über ihre Eltern noch über ihren Geburtsort ist irgend etwas bekannt. Gertrud schreibt, daß der Herr selbst ihr den Sinn dieser frühen Entwurzelung darlegt: »Ich habe sie so zur Wohnung erwählt, daß alles, was in ihr geliebt wird, mein Werk ist. […] Deshalb habe ich sie von allen Verwandten weit entfernt, damit niemand wegen Verwandtschaft sie liebe, sondern jeder allein meinetwegen « (Gesandter der göttlichen Liebe, I,16 Stein am Rhein 1979, S. 54).

Im Alter von fünf Jahren kommt sie 1261 ins Kloster, wie es damals oft üblich war, um Erziehung und Bildung zu erhalten. Hier verbringt sie ihr ganzes Leben, dessen wichtigste Abschnitte sie selbst aufzeigt. In ihren Erinnerungen sagt sie, daß der Herr sie mit langmütiger Geduld und endloser Barmherzigkeit umsorgt hat und über die Jahre der Kindheit, des Heranreifens und der Jugend hinwegsah, die sie, wie sie schreibt, »verblendet in Torheit verbrachte«, wo sie »in Gedanken, Worten und Werken ohne Gewissensbisse alles getan haben würde, wozu ich Gelegenheit hatte, wenn du es nicht entweder durch den von Natur aus mir innewohnenden Abscheu vor dem Bösen und die Liebe zum Guten oder durch äußeren Verweis von Seiten des Nächsten verhütet hättest, gleich als hätte ich wie eine Heidin unter Heiden gelebt […] während du doch von meinem fünften Jahr an mich auserwählt hast, unter deinen vertrautesten Freunden in der heiligen Klosterzelle dir zubereitet zu werden« (ebd., II,22; S. 90).

Gertrud ist eine außerordentlich begabte Schülerin; sie lernt alles, was man von den Wissenschaften des Triviums und des Quadriviums, dem Bildungsweg jener Zeit, lernen kann. Sie ist vom Wissen angezogen und gibt sich mit Eifer und Beharrlichkeit den weltlichen Studien hin; ihre schulischen Erfolge übersteigen alle Erwartungen. Zwar wissen wir nichts über ihre Herkunft, aber sie berichtet uns viel über die Leidenschaften ihrer Jugend: Literatur, Musik und Gesang, sowie die Kunst der Miniatur vereinnahmen sie. Sie hat einen starken, energischen, spontanen, impulsiven Charakter; oft sagt sie, daß sie nachlässig sei; sie gibt ihre Fehler zu und bittet demütig um Verzeihung für sie. Mit Demut bittet sie um Rat und Gebet für ihre Bekehrung. Es gibt Wesenszüge und Fehler, die sie bis zum Ende begleiten werden, und einige Personen fragen sich erstaunt, wieso der Herr sie so sehr liebt.

Nach der Schulzeit weiht sie sich Gott ganz im Klosterleben, und 20 Jahre lang geschieht nichts Außergewöhnliches: Studium und Gebet sind ihre Haupttätigkeiten. Durch ihre Begabungen zeichnet sie sich unter den Schwestern aus; beharrlich vertieft sie ihr Wissen in verschiedenen Bereichen. Im Advent des Jahres 1280 beginnt sie jedoch, Widerwillen gegen all diese Dinge zu verspüren, wird sich deren Eitelkeit bewußt, und am 27. Januar 1281, wenige Tage vor dem Fest »Mariä Reinigung« erleuchtet der Herr zur Stunde der Komplet, am Abend, ihre dichte Finsternis. Sanft und zart beschwichtigt er die Unruhe, die sie befallen hat, eine Unruhe, die Gertrud als Geschenk Gottes betrachtet, um »niederzustürzen den Turm meiner Eitelkeit und Neugier, in den mein Stolz ausgewachsen war, obgleich ich, ach, nutzlos Namen und Kleid des Ordensstandes trug, um vielleicht so den Weg zu finden, auf dem du mir dein Heil zeigen könntest« (ebd., II,1; S. 60). Sie hat die Vision von einem Jüngling, der sie an der Hand führt, um den Zaun aus Dornen zu überwinden, der ihre Seele einengt. In jener Hand erkennt Gertrud »die erhabenen Denkmale der Wunden, wodurch die Anklageschriften unserer Feinde zunichte werden« (ebd., II,1, S. 61), sie erkennt ihn, der uns am Kreuz durch sein Blut erlöst hat, Jesus.

Von diesem Augenblick lebt sie in inniger Gemeinschaft mit dem Herrn, vor allem in den hohen liturgischen Zeiten - Advent und Weihnachten, Fastenzeit und Ostern, Marienfeste -, auch dann, wenn sie aufgrund von Krankheit nicht am Chorgebet teilnehmen kann. Sie steht auf demselben liturgischen »Nährboden« wie Mechthild, ihre Meisterin: Gertrud beschreibt ihn jedoch mit einfacheren, geradlinigeren und realistischeren Bildern, Symbolen und Begriffen, die direkte Bezüge zur Bibel, zu den Kirchenvätern, zur benediktinischen Welt haben.

Ihre Biographin zeigt zwei Richtungen dessen auf, was wir als ihre besondere »Bekehrung« bezeichnen können: in den Studien der radikale Übergang von den weltlichen, humanistischen zu den theologischen Studien und in der klösterlichen Observanz der Übergang von dem Leben, das sie als »schlampig« bezeichnet, zu einem Leben im tiefen Gebet, einem mystischen Leben mit außergewöhnlichem missionarischen Eifer. Dem Herrn, der sie bereits im Mutterleib auserwählt hatte und sie von Kindesbeinen an am Festmahl des klösterlichen Lebens teilnehmen ließ, gefiel es, sie »durch seine Gnade von den äußeren Dingen nach innen und von körperlichen zu geistigen Übungen zu berufen«. Gertrud versteht, daß sie ihm fern gewesen ist, im »Reich der Unähnlichkeit«, wie sie mit dem hl. Augustinus sagt; daß sie sich mit zu großem Wissensdrang den freien Künsten, der menschlichen Weisheit gewidmet, das geistliche Wissen vernachlässigt und sich des Genusses der wahren Weisheit beraubt hatte; jetzt wird sie auf den Berg der Betrachtung geführt, wo sie den alten Menschen zurückläßt, um den neuen anzuziehen. »Deshalb wurde sie jetzt eine Jüngerin der Theologie, indem sie alle Bücher der Heiligen Schrift, die sie haben oder erwerben konnte, ohne Ermüden studierte, so daß ihr zu jeder Zeit ein göttliches und erbauliches Wort zu Gebot stand. Daher vermochte sie alle, die zu ihr kamen, vollkommen entsprechend zu befriedigen und jedem Irrtum mit passenden Zeugnissen der Heiligen Schrift entgegenzutreten« (ebd., I,1; S. 21).

Gertrud macht all das zum Apostolat: Sie ist damit befaßt, die Glaubenswahrheit mit Klarheit und Einfachheit, Anmut und Überzeugungskraft niederzuschreiben und zu verbreiten, und dient der Kirche in Liebe und Treue, so daß sie den Theologen und den frommen Menschen nützlich und angenehm ist. Von ihrer unermüdlichen Tätigkeit ist uns wenig erhalten, auch aufgrund der Ereignisse, die zur Zerstörung des Klosters Helfta führten. Außer dem Legatus divinae pietatis, dem Gesandten der göttlichen Liebe, sind uns die Geistlichen Übungen überliefert, ein seltenes Juwel der mystischen und geistlichen Literatur. Im Ordensleben ist unsere Heilige »eine überaus starke Säule […] und die standhafte Vorkämpferin der Gerechtigkeit und Wahrheit« (ebd., I,1; S. 21), sagt ihre Biographin. Durch ihre Worte und ihr Vorbild weckt sie in den anderen großen Eifer. Den Gebeten und Bußübungen der Klosterregel fügt sie weitere hinzu, mit einer solchen Frömmigkeit und einer solch vertrauensvollen Hingabe an Gott, daß sie allen, die ihr begegnen, das Bewußtsein vermittelt, in Gegenwart des Herrn zu sein. Und Gott selbst gibt ihr zu verstehen, daß er sie berufen hat, Werkzeug seiner Gnade zu sein. Gertrud fühlt sich dieses enormen göttlichen Schatzes unwürdig und bekennt, ihn nicht bewahrt und gewürdigt zu haben. Sie ruft aus: »Hättest du mir Unwürdiger einen Faden von Werg zum Andenken an dich gegeben, ich würde ihn mit größerer Sorgfalt und Ehrfurcht behandelt haben« (ebd., II,5; S. 68). Aber dadurch, daß sie ihre Armut und Unwürdigkeit erkennt, tut sie den Willen Gottes, weil, so sagt sie, »die Gewißheit, hierin keinen Fortschritt gemacht zu haben, mich nicht glauben läßt, diese Geschenke seien nur mir gegeben. Verleihe darum, o Spender der Gaben, der du mir so unverdiente Geschenke erteilt hast, dem, der dies liest, daß wenigstens das Herz deines Freundes deshalb mit dir Mitleid habe, weil dein Eifer für die Seelen einen königlichen Edelstein so viele Stunden in der schlammigen Grube meines Herzens gehalten hat« (ebd., II,5; S. 68-69).

Unter diesen Gaben schätzt sie zwei besonders hoch, wie Gertrud selbst schreibt: »…daß du meinem Herzen die erhabenen Dankzeichen deiner heilsamen Wunden eingedrückt und dazu die Wunde der Liebe so augenscheinlich und wirksam ebenfalls meinem Herzen eingeprägt hast. Denn wenn du mir auch niemals einen größeren inneren noch äußeren Trost gegeben hättest, so hast du mir doch in diesen beiden eine solche Seligkeit mitgeteilt, daß ich, wenn ich auch tausend Jahre leben sollte, hieraus zu jeder Stunde Trost, Unterweisung und Stoff zur Danksagung mehr als genug schöpfen könnte. Auch hast du mir unter diesen Geschenken deine unschätzbare vertraute Freundschaft gewährt, indem du in verschiedener Weise jene hocherhabene Arche der Gottheit, nämlich dein göttliches Herz, als Gegenstand aller meiner Freuden mir mitgeteilt hast […] Zu dieser Fülle von Wohltaten hast du noch die hinzugefügt, daß du mir deine süßeste Mutter, die allerseligste Jungfrau Maria, zur Sachwalterin gegeben und ihrer Liebe mich öfter so freundschaftlich empfohlen hast, wie nur jemals ein treuer Bräutigam die geliebte Braut seiner eigenen Mutter anempfehlen konnte« (ebd., II,22; S. 92-93).

Nach der ewigen Gemeinschaft strebend beschließt sie ihr irdisches Dasein am 17. November 1301 oder 1302, im Alter von etwa 46 Jahren. In der siebten Übung, der Vorbereitung auf den Tod, schreibt die hl. Gertrud: »Ja Jesus, von Herzen geliebt vor allen, sei du also immer bei mir, auf daß mein Herz bei dir bleibt, und deine Liebe ungeteilt bei mir ausharre. Und so soll mein Übergang von dir gesegnet werden: daß mein Geist, befreit von der Fessel des Leibes, fortwährend in dir ruhe. Amen« (Geistliche Übungen, St. Ottilien 2008, S. 148). Mir scheint offensichtlich zu sein, daß diese Dinge nicht nur der Vergangenheit, der Geschichte angehören. Vielmehr bleibt das Leben der hl. Gertrud auch weiterhin eine Schule des christlichen Lebens, des rechten Weges, und es zeigt uns, daß der Mittelpunkt eines glücklichen Lebens, eines wahren Lebens die Freundschaft mit Jesus, dem Herrn, ist. Und diese Freundschaft lernt man in der Liebe zur Heiligen Schrift, in der Liebe zur Liturgie, im tiefen Glauben, in der Liebe zu Maria, damit wir Gott und damit das wahre Glück, das Ziel unseres Lebens immer mehr wirklich kennenlernen. Danke.
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Mit Freude grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Gäste, vor allem die vielen Schüler und Jugendlichen. Die heilige Gertrud von Helfta zeigt uns, wie wichtig die persönliche Beziehung zu Christus ist, die sich aus dem Gebet, der Heiligen Schrift, der Liturgie der Kirche und den Sakramenten nährt. Bemühen auch wir uns jeden Tag neu, im geistlichen Leben, in der Liebe zu Christus zu wachsen. Gott segne euch alle!







Petersplatz

Mittwoch, 13. Oktober 2010: Sel. Angela von Foligno


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