Generalaudienzen 2005-2013 21121

Mittwoch, 21. Dezember 2011

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Liebe Brüder und Schwestern!

In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten. Das Besondere dieses Festes besteht darin, daß es nicht nur ein Gedächtnis der Geburt Jesu vor etwas mehr als zweitausend Jahren darstellt, sondern ein Geheimnis feiert, das die Menschheit geprägt hat und noch prägt, ein Geheimnis, das Gegenwart in sich trägt: Wir feiern, daß Gott gekommen ist und nun da ist, um unter uns zu wohnen (vgl.
Jn 1,14). Er ist einer von uns geworden und bleibt einer von uns. Er hat nicht nur durch Menschenworte gesprochen, er ist selbst Mensch geworden. Er macht es uns möglich, ihm heute zu begegnen. Er begibt sich auf Augenhöhe, wie bei den Hirten von Betlehem, die ihn im kleinen Kind in der armseligen Krippe als ihren Herrn erkannt haben. An Weihnachten tritt Gott konkret in die Geschichte dieser Erde, dieser Menschheit ein und wird Mensch, um den Menschen sozusagen hochzuheben, zu sich zurückzuführen. So steht dieses Werk von Anfang an auch in der Perspektive von Kreuz und Auferstehung. Die Erniedrigung in der Krippe ist ein Anfang, ein schon Hingehen auf das Leiden und Sterben des Erlösers zu. Das will uns sagen: Gott wird Mensch, um Tod und Sünde zu besiegen, um uns zu erneuern. Der Tod, der als eine Last auf der menschlichen Natur liegt, wird durch die Gegenwart Gottes auf der Erde besiegt, auch wenn sein Schatten bleibt. Das Innerste ist ihm genommen, weil die Tür zu Gott offensteht. Gott beugt sich über unsere Unvollkommenheit und Schwäche, er füllt sie aus mit der Kraft seiner Liebe, um uns in seiner Gegenwart zu vollenden.

* * *

Ganz herzlich grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache. Von den Hirten wollen wir lernen, uns aufzumachen zu Gott und ihn in unser Leben hereinzulassen. Eine Lebenszeit, die wir Gott widmen und von ihm her unseren Mitmenschen zuwenden, ist nie verlorene Zeit. Euch allen wünsche ich eine gnadenreiche und frohe Weihnachtszeit.





Audienzhalle

Mittwoch, 28. Dezember 2011: Das Gebet und die Heilige Familie von Nazaret

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Liebe Brüder und Schwestern!

Die heutige Begegnung findet in der weihnachtlichen Atmosphäre statt, die von inniger Freude über die Geburt des Retters durchdrungen ist. Gerade haben wir dieses Geheimnis gefeiert, dessen Widerhall die Liturgie all dieser Tage erfüllt. Es ist ein Geheimnis des Lichts, das die Menschen jeder Epoche im Glauben und im Gebet erneut leben können. Gerade durch das Gebet werden wir fähig, uns Gott in inniger Vertrautheit und Tiefe zu nähern. Unter dem Gesichtspunkt des Themas des Gebets, das ich zur Zeit in den Katechesen darlege, möchte ich euch daher heute einladen, darüber nachzudenken, wie das Gebet Teil des Lebens der Heiligen Familie von Nazaret ist. Denn das Haus von Nazaret ist eine Schule des Gebets, wo man lernt zuzuhören, nachzudenken, in die tiefe Bedeutung der Offenbarung des Sohnes Gottes einzudringen, indem man sich Maria, Josef und Jesus zum Vorbild nimmt.

Der Diener Gottes Paul VI. hielt bei seinem Besuch in Nazaret eine denkwürdige Ansprache. Der Papst sagte: In der Schule der Heiligen Familie »verstehen wir, warum wir eine geistliche Disziplin wahren müssen, wenn wir der Lehre des Evangeliums folgen und Jünger Christi werden wollen«. Und er fügte hinzu: »Das erste, was wir in Nazaret lernen, ist seine Stille. Wenn wir doch nur von neuem ihren großen Wert schätzen würden. Wir brauchen diesen wunderbaren Zustand der Seele. Gerade weil wir wie benommen sind vom üblen Lärm des schrillen Protests und der widersprüchlichen Ansprüche, die so charakteristisch sind für unsere unruhigen Zeiten. Die Stille von Nazaret möge uns lehren, wie wir in Frieden und Ruhe das tief Geistliche betrachten und reflektieren können und wie wir offen werden gegenüber der Stimme der inneren Weisheit Gottes und dem Rat der wahren Lehrermeister« (Besuch der Verkündigungsbasilika in Nazaret, 5. Januar 1964).

Aus den Evangeliumsberichten über die Kindheit Jesu können wir einige Anhaltspunkte über das Gebet der Heiligen Familie, über ihre Beziehung zu Gott gewinnen. Wir können mit der Episode der Darstellung Jesu im Tempel beginnen. Der hl. Lukas berichtet über Maria und Josef: »Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen« (2,22). Wie jede gesetzestreue jüdische Familie begeben sich die Eltern Jesu zum Tempel, um den Erstgeborenen Gott zu weihen und um das Opfer darzubringen. Bewegt von der Treue zu den Vorschriften brechen sie von Betlehem auf und begeben sich mit Jesus, der gerade 40 Tage alt ist, nach Jerusalem; statt eines einjährigen Lammes bringen sie das Opfer der einfachen Familien dar, also zwei Tauben. Die Pilgerreise der Heiligen Familie dient dem Glauben, der Darbringung der Gaben, Symbol des Gebets, und der Begegnung mit dem Herrn, den Maria und Josef bereits in ihrem Sohn Jesus sehen.

Die Betrachtung Christi hat in Maria ihr unübertreffliches Vorbild. Das Antlitz des Sohnes gehört in besonderer Weise zu ihr, denn in ihrem Schoß hat er Gestalt angenommen und von ihr menschliche Gestalt empfangen. Niemand hat sich mehr als Maria der Betrachtung des Antlitzes Christi hingegeben. Die Augen ihres Herzens sind in gewisser Weise schon bei der Verkündigung auf ihn gerichtet, als sie ihn durch das Wirken des Heiligen Geistes empfängt. In den folgenden Monaten beginnt sie allmählich seine Gegenwart zu spüren, bis zum Tag der Geburt, als ihre Augen mit mütterlicher Zärtlichkeit das Angesicht des Sohnes betrachten können, während sie ihn in Windeln wickelt und in die Krippe legt. Die Erinnerungen an Jesus, die in ihrem Gedächtnis und in ihrem Herzen verankert sind, haben jeden Augenblick von Marias Leben geprägt. Sie lebt mit dem Blick auf Christus und hütet jedes seiner Worte wie einen Schatz. Der hl. Lukas sagt: »Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (
Lc 2,19). So beschreibt er Marias Haltung gegenüber dem Geheimnis der Menschwerdung, eine Haltung, die sie ihr ganzes Leben hindurch einnehmen wird: Sie bewahrt alles in ihrem Herzen und denkt darüber nach. Lukas ist der Evangelist, der uns Marias Herz, ihren Glauben (vgl. 1,45), ihre Hoffnung und ihren Gehorsam (vgl. 1,38), vor allem ihre Innerlichkeit und ihr Gebet (vgl. 1,46–56), ihre freie Zustimmung zu Christus (vgl. 1,55) nahebringt. Und all das geht aus der Gabe des Heiligen Geistes hervor, der über sie kommt (vgl. 1,35), wie er der Verheißung Christi gemäß auf die Apostel herabkommen wird (vgl. Ac 1,8). Dieses Bild Marias, das der hl. Lukas uns schenkt, zeigt die Gottesmutter als Vorbild für jeden Gläubigen, der die Worte und Taten Jesu bewahrt und sie einander gegenüberstellt; diese Gegenüberstellung ist immer ein Fortschreiten in der Erkenntnis Jesu. Auf der Spur des seligen Papstes Johannes Paul II. (vgl. Apostolisches Schreiben Rosarium Virginis Mariae ) können wir sagen, daß das Rosenkranzgebet sein Vorbild in Maria besitzt, weil es darin besteht, die Geheimnisse Christi in geistlicher Vereinigung mit der Mutter des Herrn zu betrachten. Marias Fähigkeit, vom Blick Gottes zu leben, ist sozusagen ansteckend. Der erste, der diese Erfahrung gemacht hat, war der hl. Josef. Seine demütige und aufrichtige Liebe zu seiner Verlobten und die Entscheidung, sein Leben mit Marias Leben zu verbinden, hat auch ihn, der »gerecht« war (Mt 1,19), in eine einzigartige Vertrautheit mit Gott hineingezogen und eingeführt. Denn mit Maria und dann vor allem mit Jesus beginnt er, eine neue Beziehung zu Gott herzustellen, ihn in sein eigenes Leben aufzunehmen, in seinen Heilsplan einzutreten, indem er seinen Willen erfüllt. Nachdem er vertrauensvoll der Weisung des Engels gefolgt ist – »fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen« (Mt 1,20) –, hat er Maria zu sich genommen und sein Leben mit ihr geteilt; er hat sich wirklich ganz und gar Maria und Jesus hingegeben, und das hat seine Antwort auf die empfangene Berufung zur Vollkommenheit geführt. Wie wir wissen, ist im Evangelium kein einziges Wort von Josef überliefert: Seine Gegenwart ist eine schweigende, aber treue, beständige, tätige Gegenwart. Wir können uns vorstellen, daß auch er, wie seine Verlobte und in inniger Übereinstimmung mit ihr, die Jahre der Kindheit und Jugend Jesu gelebt hat, indem er sozusagen Seine Gegenwart in ihrer Familie genossen hat. Josef hat seine väterliche Aufgabe völlig erfüllt, in jeder Hinsicht. Sicher hat er Jesus zum Gebet erzogen, gemeinsam mit Maria. Insbesondere wird er ihn mit in die Synagoge genommen haben, zum Sabbatgottesdienst, sowie nach Jerusalem, zu den großen Festen des Volkes Israel. Gemäß der jüdischen Tradition wird Josef das häusliche Gebet geleitet haben, sowohl im Alltag – am Morgen, am Abend, bei den Mahlzeiten – als auch an den wichtigsten religiösen Festen. So hat Jesus im Rhythmus der Tage, die er in Nazaret zwischen dem bescheidenen Haus und Josefs Werkstatt verbracht hat, gelernt, Gebet und Arbeit abzuwechseln und auch die Mühen, um der Familie das nötige Brot zu verdienen, Gott als Opfer darzubringen.

Schließlich gibt es noch eine weitere Episode, die die Heilige Familie von Nazaret gemeinsam zum Gebet versammelt sieht. Wir haben gehört, daß der zwölfjährige Jesus sich mit den Seinen zum Tempel von Jerusalem begibt. Diese Episode findet im Rahmen der Pilgerreise statt, wie der hl. Lukas hervorhebt: »Die Eltern Jesu gingen jedes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem. Als er zwölf Jahre alt geworden war, zogen sie wieder hinauf, wie es dem Festbrauch entsprach« (2,41–42). Die Pilgerreise ist ein Ausdruck der Frömmigkeit, die aus dem Gebet Nahrung zieht und es gleichzeitig nährt. Hier geht es um jene zum Paschafest, und der Evangelist gibt uns zu verstehen, daß die Familie Jesu sie jedes Jahr durchführt, um an den Riten in der Heiligen Stadt teilzunehmen. Ebenso wie die christliche Familie betet die jüdische Familie im häuslichen Familienkreis, aber sie betet auch zusammen mit der Gemeinschaft und bekennt sich so als Teil des Volkes Gottes, das unterwegs ist, und die Pilgerreise bringt gerade dieses Unterwegssein des Volkes Gottes zum Ausdruck. Mittel- und Höhepunkt des Ganzen ist das Paschafest, das die familiäre Dimension ebenso einbezieht wie die des liturgischen und öffentlichen Gottesdienstes.

In der Episode des zwölfjährigen Jesus sind auch die ersten Worte Jesu verzeichnet: »Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?« (2,49). Nach dreitätiger Suche fanden seine Eltern ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte ihnen Fragen (vgl. 2,46). Auf die Frage, warum er Vater und Mutter dies angetan habe, antwortet er, daß er nur das getan hat, was der Sohn tun muß, also beim Vater sein. So verweist er darauf, wer sein wirklicher Vater ist, was das wirkliche Zuhause ist, daß er nichts Befremdendes, Ungehorsames getan hat. Er ist dort geblieben, wo der Sohn sein muß, also beim Vater, und er hat hervorgehoben, wer sein Vater ist. Das Wort »Vater« liegt also über der Betonung dieser Antwort, und das ganze christologische Geheimnis wird sichtbar. Dieses Wort öffnet daher das Geheimnis; es ist der Schlüssel zum Geheimnis Christi, des Sohnes, und es öffnet auch den Schlüssel zu unserem Geheimnis als Christen, die wir Söhne im Sohn sind. Gleichzeitig lehrt uns Jesus, Söhne zu sein, gerade indem wir im Gebet beim Vater sind. Das christologische Geheimnis, das Geheimnis des christlichen Lebens ist eng verbunden mit dem Gebet; es gründet auf dem Gebet. Jesus wird seine Jünger eines Tages beten lehren, indem er zu ihnen sagt: Wenn ihr betet, dann sagt »Vater«. Und sagt es natürlich nicht nur mit einem Wort, sondern mit eurem Leben, lernt immer mehr, mit eurem Leben zu sagen: »Vater«. So werdet ihr wahre Söhne im Sohn, wahre Christen sein. Hier, als Jesus noch völlig in das Leben der Familie von Nazaret eingebunden ist, ist es wichtig zu sehen, welche Wirkung es wohl in den Herzen von Maria und Josef gehabt hat, aus dem Mund Jesu jenes Wort »Vater« zu hören, zu offenbaren, hervorzuheben, wer der Vater ist und aus seinem Mund dieses Wort zu hören im Bewußtsein des eingeborenen Sohnes, der gerade deshalb drei Tage im Tempel bleiben wollte, der das »Haus des Vaters« ist. Wir können uns vorstellen, daß das Leben in der Heiligen Familie seitdem noch mehr vom Gebet erfüllt war, denn aus dem Herzen des Knaben – und dann des Jugendlichen und des jungen Erwachsenen – Jesus heraus wird der tiefe Sinn der Beziehung zu Gott, dem Vater, sich unablässig in den Herzen von Maria und Josef verbreiten und widerspiegeln. Diese Episode zeigt uns die wahre Situation, die Atmosphäre des Seins mit dem Vater. So ist die Familie von Nazaret das erste Urbild der Kirche, in der um die Gegenwart Jesu herum und dank seiner Vermittlung alle die kindliche Beziehung zu Gott, dem Vater, leben, die auch die zwischenmenschlichen Beziehungen verwandelt.

Liebe Freunde, aufgrund dieser verschiedenen Aspekte, die ich im Licht des Evangeliums kurz dargelegt habe, ist die Heilige Familie das Bild der Hauskirche, die berufen ist, gemeinsam zu beten. Die Familie ist Hauskirche und muß die erste Schule des Gebets sein. In der Familie können die Kinder von zartem Alter an lernen, den Sinn für Gott wahrzunehmen, dank der Unterweisung und des Vorbilds der Eltern: in einer Atmosphäre leben, die von der Gegenwart Gottes geprägt ist. Eine wirklich christliche Erziehung kann nicht von der Erfahrung des Gebets absehen. Wenn man in der Familie nicht beten lernt, wird es später schwierig sein, diese Leere zu füllen. Und daher möchte ich euch einladen, die Schönheit wiederzuentdecken, gemeinsam als Familie in der Schule der Heiligen Familie von Nazaret zu beten und so wirklich ein Herz und eine Seele zu werden, eine wahre Familie. Danke.


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Von Herzen grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Die Heilige Familie ist ein Vorbild für jede christliche Familie, in der das Gebet einen ganz wichtigen Platz hat, damit wir den Zusammenhalt mit Gott lernen, der uns auch den Zusammenhalt untereinander schenkt. So lernen in der Familie die Kinder das Beten, das Herz wird wach für Gott! – Euch allen wünsche ich ein gesegnetes neues Jahr.





Audienzhalle

Mittwoch, 4. Januar 2012: Das Weihnachtsfest: Geheimnis des Lichts und der Freude

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Liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch zu dieser ersten Generalaudienz im neuen Jahr zu empfangen und entbiete euch und euren Familien von ganzem Herzen meine besten Wünsche: Gott, der in der Geburt Christi, seines Sohnes, die ganze Welt mit Freude erfüllt hat, möge unseren Werken und Tagen seinen Frieden schenken. Wir sind in der liturgischen Weihnachtszeit, die am 24. Dezember mit dem Heiligen Abend beginnt und mit der Feier der Taufe des Herrn endet. Die Zeitspanne ist kurz, aber dicht an Feiern und Geheimnissen und umschließt die beiden großen Hochfeste des Herrn: Weihnachten und Epiphanie. Schon der Name dieser beiden Feste verweist auf ihre jeweilige Gestalt. Das Weihnachtsfest feiert die historische Tatsache der Geburt Jesu in Betlehem.

Die Epiphanie, die als Fest im Osten entstanden ist, verweist auf eine Tatsache, vor allem einen Aspekt des Geheimnisses: Gott offenbart sich in der Menschennatur Christi, und das ist der Sinn des griechischen Verbs »epiphaino«: sichtbar werden. Aus dieser Perspektive heraus erinnert die Epiphanie an eine Vielzahl von Ereignissen, die die Erscheinung des Herrn zum Gegenstand haben: insbesondere die Anbetung der Sterndeuter, die in Jesus den erwarteten Messias erkennen, aber auch die Taufe im Jordan mit ihrer Theophanie – der Stimme Gottes aus der Höhe – und das Wunder bei der Hochzeit von Kana als erstes »Zeichen «, das Christus gewirkt hat. Eine wunderschöne Antiphon aus dem Stundengebet vereint diese drei Ereignisse um das Thema der Hochzeit zwischen Christus und der Kirche: »Heute wurde die Kirche dem himmlischen Bräutigam vermählt: Im Jordan wusch Christus sie rein von ihren Sünden. Die Weisen eilen mit Geschenken zur königlichen Hochzeit. Wasser wird in Wein gewandelt und erfreut die Gäste« (Antiphon der Laudes). Wir können gleichsam sagen, daß am Weihnachtsfest die Verborgenheit Gottes in der Demut des menschlichen Daseins, im Kind von Betlehem, hervorgehoben wird. In der Epiphanie dagegen wird seine Offenbarung deutlich, das Erscheinen Gottes durch eben diese Menschennatur. In dieser Katechese möchte ich kurz einige Themen aufgreifen, die zur Feier der Geburt des Herrn gehören, damit ein jeder von uns aus der unerschöpflichen Quelle dieses Geheimnisses trinken und Früchte des Lebens tragen kann. Zunächst einmal fragen wir uns: Was ist die erste Reaktion auf dieses außergewöhnliche Wirken Gottes, der Kind wird, der Mensch wird? Ich glaube, die erste Reaktion kann nur Freude sein.

»Freut euch im Herrn, heute ist uns der Heiland geboren«: So beginnt die Messe der Heiligen Nacht, und wir haben gerade die Worte des Engels an die Hirten gehört: »Ich verkünde euch eine große Freude« (
Lc 2,10). Dieses Thema eröffnet das Evangelium, und dieses Thema schließt es auch, denn der auferstandene Jesus wirft den Aposteln vor, traurig zu sein (vgl. Lc 24,17): Das ist unvereinbar mit der Tatsache, daß er auf ewig Mensch bleibt. Aber gehen wir einen Schritt weiter: Woraus entsteht diese Freude? Ich würde sagen, sie entsteht aus dem Staunen des Herzens, wenn wir sehen, daß Gott uns nahe ist, daß Gott an uns denkt, daß Gott in der Geschichte wirkt; es ist also eine Freude, die aus dem Betrachten des Antlitzes jenes demütigen Kindes heraus entsteht, denn wir wissen, daß es das Antlitz Gottes ist, der für immer in der Menschheit gegenwärtig sein wird, für uns und mit uns. Weihnachten ist Freude, weil wir sehen und endlich sicher sind, daß Gott das Gute, das Leben, die Wahrheit des Menschen ist und sich bis zum Menschen erniedrigt, um ihn zu sich zu erheben: Gott kommt so nahe, daß man ihn sehen und berühren kann. Die Kirche betrachtet dieses unergründliche Geheimnis, und die Texte der Liturgie dieser Zeit sind von Staunen und Freude durchdrungen; alle Weihnachtslieder bringen diese Freude zum Ausdruck.

Weihnachten ist der Punkt, an dem Himmel und Erde vereint sind, und verschiedene Worte, die wir an diesen Tagen hören, heben die Größe des Geschehenen hervor: Der Ferne – Gott scheint unendlich fern zu sein – ist nahe herbeigekommen, »weil er, der Unfaßbare, erfaßt sein wollte, weil er, der vor aller Zeit schon war, in der Zeit seinen Anfang nahm, weil er, der Herr des Weltalls, zur Knechtsgestalt griff, indem er die Würde seiner Majestät verhüllte«, ruft der hl. Leo der Große aus (2. Predigt auf Weihnachten, 2.1). In jenem Kind, das in allem bedürftig ist, wie die Kinder es sind, wird das, was Gott ist – Ewigkeit, Kraft, Heiligkeit, Leben, Freude –, mit dem vereint, was wir sind: Schwachheit, Sünde, Leiden, Tod. Die Theologie und die Spiritualität des Weihnachtsfestes gebrauchen einen Ausdruck, um diese Tatsache zu beschreiben: Sie sprechen von »admirabile commercium«, also einem wunderbaren Tausch zwischen der göttlichen Natur und der Menschennatur. Der hl. Athanasius von Alexandria sagt: Der Sohn Gottes »wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden« (De incarnatione, 54,3; ). Aber vor allem mit dem hl. Leo dem Großen und seinen berühmten Predigten auf Weihnachten wird diese Wirklichkeit zum Gegenstand tiefer Betrachtung. Der heilige Papst sagt nämlich: »Wenn wir uns jene unbeschreibliche Liebe des barmherzigen Gottes vergegenwärtigen, derzufolge sich der Schöpfer des Menschen herabließ, Mensch zu werden, so zeigt es sich, daß wir an der Natur desjenigen Anteil nahmen, zu dem wir in der unsrigen beten« (8. Predigt auf Weihnachten: CCL 138,139). Der erste Akt dieses wunderbaren Tausches wird in der Menschennatur Christi selbst gewirkt. Das Wort hat unsere Menschennatur angenommen, und im Austausch dagegen wurde die Menschennatur zur göttlichen Würde erhoben. Der zweite Akt des Tausches besteht in unserer wirklichen und inneren Teilhabe an der göttlichen Natur des Wortes. Der hl. Paulus sagt: »Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen« (Gal 4,4–5).

Weihnachten ist daher das Fest, an dem Gott dem Menschen so nahe kommt, daß er sogar das Geborenwerden mit ihm teilt, um ihm seine tiefste Würde zu offenbaren: die Würde, Sohn Gottes zu sein. Und so wird der Traum der Menschheit, der im Paradies begonnen hat – wir möchten wie Gott sein –, auf unerwartete Weise verwirklicht, nicht durch die Größe des Menschen, der sich nicht zu Gott machen kann, sondern durch die Demut Gottes, der herabsteigt und so in seiner Demut in uns eintritt und uns zur wahren Größe seines Seins erhebt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in diesem Zusammenhang gesagt: »Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf« (Gaudium et spes GS 22). Sonst bleibt ein Rätsel: Was bedeutet dieses Geschöpf »Mensch«? Nur wenn wir sehen, daß Gott bei uns ist, können wir Licht für unser Dasein sehen, können wir über unser Menschsein glücklich sein und mit Vertrauen und Freude leben. Und wo wird dieser wunderbare Tausch wirklich gegenwärtig, um in unserem Leben zu wirken und es zu einer Existenz wahrer Kinder Gottes zu machen? Er wird sehr konkret in der Eucharistie. Wenn wir an der Heiligen Messe teilnehmen, bringen wir Gott das Unsrige dar: das Brot und den Wein, Frucht der Erde, damit er sie annehme und sie verwandle, indem er sich uns hinschenkt und zu unserer Speise wird, damit wir, wenn wir seinen Leib und sein Blut empfangen, an seinem göttlichen Leben teilhaben.

Abschließend möchte ich über einen weiteren Aspekt des Weihnachtsfestes sprechen. Als der Engel des Herrn in der Nacht der Geburt Jesu den Hirten erscheint, schreibt der hl. Lukas, daß der Glanz des Herrn sie umstrahlte (vgl. 2,9). Und der Prolog des Johannesevangeliums spricht vom fleischgewordenen Wort als dem wahren Licht, das in die Welt kommt, dem Licht, das jeden Menschen erleuchtet (vgl. Jn 1,9). Die Weihnachtsliturgie ist vom Licht durchdrungen. Die Ankunft Christi vertreibt die Finsternis der Welt, erfüllt die Heilige Nacht mit einem himmlischen Strahlen und verbreitet auf dem Angesicht der Menschen den Glanz Gottes, des Vaters. Auch heute. Vom Licht Christi umstrahlt, werden wir von der Weihnachtsliturgie mit Nachdruck eingeladen, unseren Verstand und unser Herz erleuchten zu lassen von dem Gott, der sein strahlendes Antlitz gezeigt hat. Die Erste Präfation von Weihnachten verkündet: »Denn Fleisch geworden ist das Wort, und in diesem Geheimnis erstrahlt dem Auge unseres Geistes das neue Licht deiner Herrlichkeit. In der sichtbaren Gestalt des Erlösers läßt du uns den unsichtbaren Gott erkennen, um in uns die Liebe zu entflammen zu dem, was kein Auge geschaut hat.« Im Geheimnis der Menschwerdung ist Gott, nachdem er gesprochen und durch Boten und mit Zeichen in die Geschichte eingegriffen hat, »erschienen«, ist er aus seinem unzugänglichen Licht herausgetreten, um die Welt zu erleuchten.

Am Hochfest der Erscheinung des Herrn am 6. Januar, das wir in wenigen Tagen feiern, legt die Kirche einen sehr bedeutsamen Abschnitt des Propheten Jesaja vor: »Auf, werde licht denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir geht leuchtend der Herr auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir. Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz« (). Es ist eine an die Kirche, die Gemeinschaft Christi, aber auch an einen jeden von uns gerichtete Einladung, uns die Sendung und die Verantwortung gegenüber der Welt, das neue Licht des Evangeliums zu bezeugen und zu bringen, noch stärker zu Bewußtsein zu führen. Am Anfang der Konstitution Lumen gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils finden wir folgende Worte: »Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet« (LG 1).

Das Evangelium ist das Licht, das nicht versteckt werden darf, sondern auf den Leuchter gestellt werden muß. Die Kirche ist nicht das Licht, sondern sie empfängt das Licht Christi, sie nimmt es an, um davon erleuchtet zu werden und es in seinem ganzen Glanz zu verbreiten. Und das muß auch in unserem persönlichen Leben geschehen. Ich zitiere noch einmal den hl. Leo den Großen, der in der Heiligen Nacht gesagt hat: »Erkenne, o Christ, deine Würde! Kehre nicht, nachdem du der göttlichen Natur teilhaftig geworden, durch entartete Sitten zur alten Niedrigkeit zurück! Denke daran, welchen Hauptes, welchen Leibes Glied du bist! Vergegenwärtige dir, daß du der Macht der Finsternis entrissen und in Gottes lichtvolles Reich versetzt worden bist!« (1. Predigt auf Weihnachten, 3,2: CCL 138,88). Liebe Brüder und Schwestern, Weihnachten bedeutet innezuhalten und das Kind zu betrachten, das Geheimnis Gottes, der in Demut und Armut Mensch wird. Vor allem aber bedeutet es, erneut in uns selbst jenes Kind aufzunehmen, das Christus, der Herr ist, um aus seinem eigenen Leben zu leben, damit seine Empfindungen, seine Gedanken, sein Handeln zu unseren Empfindungen, unseren Gedanken, unserem Handeln werden. Weihnachten zu feiern heißt also, die Freude, die Neuheit, das Licht, die diese Geburt in unser ganzes Dasein gebracht hat, zu offenbaren, damit auch wir Boten der Freude, der wahren Neuheit, des Lichtes Gottes für die anderen sind. Ich wünsche noch einmal allen eine von der Gegenwart Gottes gesegnete Weihnachtszeit!

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Mit Freude grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher und danke den Allgäuer Bläsern für ihre wunderschöne Musik. Nehmen wir Christus, das Kind, in dem Gott Mensch geworden ist, immer wieder neu in uns selber, in unsere Herzen auf. Lassen wir ihn in uns leben, damit seine Gedanken unsere Gedanken, sein Handeln unser Handeln wird. Dann werden auch wir von seiner Freude und seinem Licht erfüllt sein. Euch allen wünsche ich ein gesegnetes und gutes neues Jahr.



Audienzhalle

Mittwoch, 11. Januar 2012

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Liebe Brüder und Schwestern!

Auf unserem Weg der Reflexion über das Beten Jesu, das in den Evangelien aufgezeigt wird, möchte ich heute den besonders feierlichen Augenblick seines Betens beim Letzten Abendmahl betrachten. Der zeitliche und emotionale Hintergrund des Mahls, bei dem Jesus sich von seinen Freunden verabschiedet, ist das unmittelbare Bevorstehen seines Todes, den er nunmehr herannahen spürt. Bereits lange zuvor hatte Jesus begonnen, von seinem Leiden zu sprechen, und er versuchte auch, seine Jünger immer mehr in diese Perspektive einzubeziehen. Das Evangelium nach Markus berichtet, daß Jesus seit seinem Aufbruch zur Reise nach Jerusalem in den Dörfern des fernen Cäsarea Philippi begonnen hatte, »sie darüber zu belehren, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen« (
Mc 8,31).

Außerdem war das Leben des Volkes in den Tagen, in denen er sich auf den Abschied von den Jüngern vorbereitete, vom Herannahen des Paschafestes geprägt, des Gedächtnisses der Befreiung Israels aus Ägypten. Diese Befreiung, die es in der Vergangenheit erfahren hatte und in der Gegenwart und für die Zukunft erneut erwartete, wurde in den vertrauten Feiern des Paschafestes wieder lebendig. Das Letzte Abendmahl steht in diesem Kontext, aber mit einer grundlegenden Neuheit. Jesus blickt auf sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung und ist sich dessen vollkommen bewußt. Er will dieses Abendmahl mit seinen Jüngern leben, auf eine ganz besondere Art und anders als die anderen Mahle; es ist sein Abendmahl, in dem er etwas völlig Neues schenkt: sich selbst. Auf diese Weise feiert Jesus sein Pascha, er nimmt sein Kreuz und seine Auferstehung vorweg.

Diese Neuheit wird für uns durch den Zeitpunkt des Letzten Abendmahls im Johannesevangelium hervorgehoben. Hier wird es nicht als Paschamahl beschrieben, eben weil Jesus etwas Neues beginnen, sein Pascha feiern will, das natürlich mit den Ereignissen des Exodus verbunden ist. Und für Johannes starb Jesus genau in jenem Augenblick am Kreuz, in dem im Tempel von Jerusalem die Paschalämmer geopfert wurden. Was ist also ist der Kern dieses Mahls? Es sind die Gesten des Brechens und des Austeilens des Brotes an die Seinen sowie das Reichen des Kelches mit Wein mit den sie begleitenden Worten und im Kontext des Gebets, in den sie hineingestellt sind; es ist die Einsetzung der Eucharistie, es ist das große Gebet Jesu und der Kirche. Aber betrachten wir diesen Augenblick etwas näher.

Zunächst einmal gebrauchen die neutestamentlichen Überlieferungen der Einsetzung der Eucharistie (vgl. ), die auf das Beten verweisen, das die Gesten und die Worte Jesu über Brot und Wein einleitet, zwei parallele und einander ergänzende Verben. Paulus und Lukas sprechen von Eucharistie/Danksagung: »Er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen« (Lc 22,19). Markus und Matthäus hingegen heben den Aspekt der Eulogie/des Segnens hervor: »Er nahm das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen« (Mc 22,19). Die beiden griechischen Begriffe »eucharisteìn« und »eulogeìn« verweisen auf die jüdische »Berakha«, das große Dank- und Segensgebet der Tradition Israels, das die großen Mahle eröffnete. Die beiden unterschiedlichen griechischen Worte zeigen die beiden Richtungen an, die in diesem Gebet enthalten sind und die einander ergänzen. Die »Berakha« ist nämlich vor allem Dank und Lob, die zu Gott aufsteigen für die empfangene Gabe: Beim Letzten Abendmahl Jesu ist dies das Brot – aus dem Weizen gemacht, den Gott aus der Erde aufkeimen und wachsen läßt – und der Wein, hergestellt aus der am Weinstock herangereiften Frucht. Dieses Lob- und Dankgebet, das zu Gott aufsteigt, kehrt als Segen zurück, der von Gott auf die Gabe herabkommt und sie bereichert. So wird das Danken, das Loben Gottes zum Segen, und die Gott dargebrachte Gabe kehrt vom Allmächtigen gesegnet zum Menschen zurück. Die Einsetzungsworte der Eucharistie stehen im Zusammenhang mit diesem Beten; in ihnen werden das Lob und das Segnen der »Berakha« zum Segen und zur Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi.

Vor den Einsetzungsworten kommen die Gesten: das Brechen des Brotes und das Reichen des Weines. Wer das Brot bricht und den Kelch reicht, ist vor allem das Familienoberhaupt, das die Angehörigen an seinen Tisch aufnimmt, aber diese Gesten gehören auch zur Gastfreundschaft, zur Aufnahme des Fremden, der nicht Teil des Hauses ist, in die Mahlgemeinschaft. Diese Gesten erhalten in dem Mahl, mit dem Jesus sich von den Seinen verabschiedet, eine ganz neue Tiefe: Er gibt ein sichtbares Zeichen der Aufnahme an den Tisch, an dem Gott sich hinschenkt. In Brot und Wein bringt Jesus sich selbst dar und teilt sich mit.

Wie aber kann all das geschehen? Wie kann Jesus in jenem Augenblick sich selbst hinschenken? Jesus weiß, daß ihm bald das Leben genommen wird durch die Hinrichtung am Kreuz, die Todesstrafe der Unfreien, die Cicero als »mors turpissima crucis« bezeichnete. Durch die Gabe von Brot und Wein, die er beim Letzten Abendmahl darbringt, nimmt Jesus seinen Tod und seine Auferstehung vorweg und verwirklicht das, was er in der Hirtenrede gesagt hatte: »Ich gebe mein Leben hin, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen« (). Er bringt also im voraus das Leben dar, das ihm genommen werden wird, und verwandelt auf diese Weise seinen gewaltsamen Tod in einen freien Akt der Selbsthingabe für die anderen und an die anderen. Die erlittene Gewalt wird in ein aktives, freies und erlösendes Opfer verwandelt.

Wiederum im Beten, das nach den rituellen Formen der biblischen Überlieferung beginnt, zeigt Jesus seine Identität und die Entschlossenheit, seine Sendung der vollkommenen Liebe, der gehorsamen Hingabe an den Willen des Vaters bis zum Äußersten zu erfüllen. Das zutiefst Ureigene der Selbsthingabe an die Seinen durch die eucharistische Gedächtnisfeier ist der Höhepunkt des Betens, das das Abschiedsmahl mit den Seinen kennzeichnet. Wenn wir die Gesten und die Worte Jesu in jener Nacht betrachten, sehen wir deutlich, daß die innige und stetige Beziehung zum Vater der Ort ist, an dem er die Geste vollbringt, den Seinen – und jedem von uns – das Sakrament der Liebe, das »Sacramentum caritatis«, zu hinterlassen. Zweimal erklingen im Abendmahlssaal die Worte: »Tut dies zu meinem Gedächtnis!« (1Co 11,24 1Co 11,25). Durch die Selbsthingabe feiert er sein Pascha und wird zum wahren Lamm, das den ganzen alten Kult zur Erfüllung bringt. Daher sagt der hl. Paulus zu den Christen von Korinth: »Als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden. Laßt uns also das Fest … feiern… mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit« ().

Der Evangelist Lukas hat ein weiteres wertvolles Element der Ereignisse des Letzten Abendmahls bewahrt, das es uns gestattet, die bewegende Tiefe des Betens Jesu für die Seinen in jener Nacht zu erkennen, die Aufmerksamkeit gegenüber jedem. Ausgehend vom Dank- und Segensgebet gelangt Jesus zur eucharistischen Hingabe, zur Selbsthingabe, und während er die entscheidende sakramentale Wirklichkeit schenkt, wendet er sich an Petrus. Gegen Ende des Mahls sagt er zu ihm: »Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder« (). Als auch für seine Jünger die Prüfung naht, stützt das Beten Jesu ihre Schwachheit, ihre Mühe zu verstehen, daß Gottes Weg durch das Ostermysterium des Todes und der Auferstehung hindurchführt, vorweggenommen in der Darbringung von Brot und Wein. Die Eucharistie ist die Speise der Pilger, die zur Kraft wird auch für den, der müde, erschöpft und orientierungslos ist. Und das Gebet gilt insbesondere Petrus, damit er, wenn er sich wieder bekehrt hat, seine Brüder im Glauben stärke. Der Evangelist Lukas erinnert daran, daß der Blick Jesu das Angesicht des Petrus in dem Augenblick suchte, in dem er gerade seine dreifache Verleugnung begangen hatte, um ihm die Kraft zu geben, den Weg der Nachfolge wieder aufzunehmen: »Im gleichen Augenblick, noch während er redete, krähte ein Hahn. Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an. Und Petrus erinnerte sich an das, was der Herr zu ihm gesagt hatte« ().

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir an der Eucharistie teilnehmen, leben wir in außerordentlicher Weise das Gebet, das Jesus für jeden dargebracht hat und unablässig darbringt, auf daß das Böse, dem wir alle im Leben begegnen, nicht siegen und die verwandelnde Kraft des Todes und der Auferstehung Christi in uns wirken möge. In der Eucharistie antwortet die Kirche auf das Gebot Jesu: »Tut dies zu meinem Gedächtnis!« (Lc 22,19 vgl. 1 Kor 11,24–26); sie wiederholt das Dank- und Segensgebet und mit ihm die Worte der Transsubstantiation von Brot und Wein in den Leib und das Blut des Herrn. Unsere Eucharistiefeiern sind ein Hineingezogensein in jenen Augenblick des Betens, in dem wir uns immer wieder mit dem Beten Jesu vereinen. Die Kirche hat von ihren Anfängen an die Wandlungsworte als Teil ihres Betens im Mitbeten mit Jesus aufgefaßt; als zentralen Teil des dankenden Lobpreises, durch den uns die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit von Gott her neu geschenkt wird als Jesu Leib und Blut, als Selbstschenkung Gottes in der sich öffnenden Liebe seines Sohnes (vgl. Jesus von Nazareth, II, S. 149). Indem wir an der Eucharistie teilnehmen und uns vom Fleisch und vom Blut des Sohnes Gottes nähren, vereinigen wir unser Beten mit dem des Paschalammes in seiner höchsten Nacht, auf daß unser Leben trotz unserer Schwäche und unserer Untreue nicht verloren gehe, sondern verwandelt werde.

Liebe Freunde, wir wollen den Herrn bitten, daß unsere für das christliche Leben unverzichtbare Teilnahme an der Eucharistie – nachdem wir uns auch durch das Bußsakrament gebührend vorbereitet haben – stets der höchste Punkt all unseres Betens sein möge. Bitten wir, daß auch wir, zutiefst mit seiner Hingabe an den Vater vereint, unsere Kreuze in ein freies und verantwortungsvolles Opfer der Liebe zu Gott und zu den Brüdern verwandeln können. Danke.

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Gerne heiße ich alle Gäste und Pilger deutscher Sprache willkommen. Durch die Eucharistie sind wir hineingenommen in das Beten Jesu, haben teil am Leib und Blut des neuen Osterlammes. Bitten wir Christus, daß wir in Verbindung mit ihm auch unsere Mühsale, unser Leiden, unser Sein umwandeln dürfen in einen Akt der Liebe, der Hingabe an Gott und an den Nächsten. Der Herr begleite euch alle mit seinem Segen.



Audienzhalle

Mittwoch, 18. Januar 2012: Gebetswoche für die Einheit der Christen


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