ANSPRACHE 2010 63
63 Sie haben angemerkt, daß die diplomatischen Beziehungen zwischen der Mongolei und dem Heiligen Stuhl, die nach den großen politischen und sozialen Umwälzungen vor zwanzig Jahren aufgenommen werden konnten, ein Zeichen dafür sind, daß sich Ihre Nation für einen fruchtbaren Austausch im Bereich der gesamten internationalen Gemeinschaft engagieren will. Als miteinander verflochtene Ausdrucksformen der tiefsten geistlichen Bestrebungen der menschlichen Natur dienen Religion und Kultur als Impulsgeber für den Dialog und die Zusammenarbeit der Völker im Dienst des Friedens und der echten Entwicklung.
Die echte Entwicklung des Menschen muß nämlich die Gesamtheit der Person in all ihren Dimensionen betreffen und daher jene höheren Güter anstreben, die die geistliche Natur des Menschen und seine letzte Bestimmung respektieren (vgl. Caritas in veritate ). Aus diesem Grund möchte ich auch meine Wertschätzung dafür zum Ausdruck bringen, daß sich die Regierung Ihres Landes stets für die Gewähr der Religionsfreiheit stark macht. Die Schaffung einer Kommission für die korrekte Anwendung des Gesetzes und die Gewährleistung des Rechts auf Kult- und Gewissensfreiheit ist nicht nur eine Anerkennung der wichtigen Rolle, die die Religionsgruppen im sozialen Gefüge spielen, sondern auch ihres Potentials für die Förderung einer Zukunft der Eintracht und des Wohlstands.
Herr Botschafter, ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit zusichern, daß die Katholiken der Mongolei den Wunsch haben, zum Gemeinwohl beizutragen und aktiv am Leben der Nation mitzuwirken. Die wichtigste Sendung der Kirche ist es, das Evangelium Jesu Christi zu verkündigen. Der befreienden Botschaft des Evangeliums treu, versucht sie, zum Fortschritt der gesamten Gemeinschaft beizutragen, was sich in der Bereitschaft der katholischen Gemeinde zeigt, mit der Regierung und allen Menschen guten Willens bei der Lösung der sozialen Probleme zusammenzuarbeiten. Die Kirche will auch zur intellektuellen und menschlichen Bildung beitragen und den jungen Menschen Werte wie Respekt, Solidarität und Fürsorge den weniger Begünstigten gegenüber vermitteln. Das ist ihre Art und Weise, dem Herrn zu dienen und ihre liebevolle Sorge um die Bedürftigen und das Wohl der ganzen Menschheitsfamilie zum Ausdruck zu bringen.
Herr Botschafter, ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Mission und versichere Sie, daß Ihnen die Ämter des Heiligen Stuhls jederzeit bei der Erfüllung Ihrer verantwortungsvollen Aufgabe zur Seite stehen werden. Ich bin zuversichtlich, daß Sie als Botschafter Ihres Landes dazu beitragen können, die guten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Mongolei noch weiter auszubauen. Für Sie, Ihre Familie und alle Menschen Ihres Landes erbitte ich Gottes reichen Segen.
Lobt den Namen des Herrn,
lobt ihn, ihr Knechte des Herrn.
Lobt den Herrn, denn der Herr ist gütig.
Singt und spielt seinem Namen, denn er ist freundlich.
Herr, dein Name währt ewig, das Gedenken an dich,
64 Herr, dauert von Geschlecht zu Geschlecht. Halleluja.
Verehrte Mitbrüder,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Brüder und Schwestern!
Wir haben eben in einer erhabenen Melodie die Worte des Psalms 135 gehört, die unser Lob und unsere Dankbarkeit an den Herrn wie auch unsere tiefe innere Freude über diesen Moment der Begegnung und der Freundschaft mit den lieben Brüdern des Moskauer Patriarchats gut zum Ausdruck bringen. Aus Anlaß meines Geburtstags und des fünften Jahrestags meiner Wahl zum Nachfolger Petri wollte Seine Heiligkeit Kyrill I., Patriarch von Moskau und ganz Rußland, mir zusammen mit den sehr willkommenen Worten seiner Botschaft dieses außerordentliche musikalische Ereignis zum Geschenk machen, in das Metropolit Hilarion von Wolokolamsk eingeführt hat, Leiter der Abteilung für die Äußeren Beziehungen des Patriarchats von Moskau sowie Komponist der eben aufgeführten Sinfonie.
Mein tiefer Dank gilt daher vor allem Seiner Heiligkeit Patriarch Kyrill. An ihn richte ich meinen brüderlichen und herzlichen Gruß. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, daß das Lob des Herrn und das Engagement für den Fortschritt des Friedens und der Eintracht zwischen den Völkern uns immer mehr verbinden mögen und uns wachsen lassen in unseren gemeinsamen Zielen und in der Harmonie des Handelns. Ich danke von Herzen Metropolit Hilarion für den an mich gerichteten freundlichen Gruß und für seinen beständigen Einsatz für die Ökumene, und ich beglückwünsche Sie zu ihrer künstlerischen Kreativität, die wir bei dieser Gelegenheit zu schätzen wissen. Gemeinsam mit Ihnen begrüße ich in freundschaftlicher Verbundenheit die Delegation des Patriarchats von Moskau und die ranghohen Vertreter der Regierung der Russischen Föderation. Mein herzlicher Gruß geht dann an die hier anwesenden Herren Kardinäle und Bischöfe, insbesondere an Herrn Kardinal Walter Kasper, Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, und an Herrn Erzbischof Gianfranco Ravasi, Präsident des Päpstlichen Rats für die Kultur, die mit ihren jeweiligen Dikasterien und in enger Zusammenarbeit mit den Vertretern des Patriarchats die »Tage der russischen Kultur und Spiritualität im Vatikan« organisiert haben. Ich grüße weiter die verehrten Herren Botschafter, die hohen Persönlichkeiten und Sie alle, liebe Freunde, Brüder und Schwestern, insbesondere die in Rom und Italien anwesenden russischen Gemeinden, die an diesem freudvollen und fest lichen Augenblick teilnehmen.
In wirklich außerordentlicher und eindrucksvoller Weise wird dieser Anlaß besiegelt durch die Musik, die Musik Rußlands aus Vergangenheit und Gegenwart, die uns mit großer Meisterschaft vom Russischen Nationalorchester unter der Leitung von Carlo Ponti, vom Moskauer Synodalchor und von der Russisch-Horn-Kapelle aus St. Petersburg dargeboten wurde. Mein herzlicher Dank gilt allen Künstlern für das Talent, das Engagement und die Leidenschaft, mit der sie die Meisterwerke der russischen Musiktradition der Aufmerksamkeit der ganzen Welt vor Augen stellen. In diesen Werken, von denen wir einige bedeutsame Beispiele gehört haben, ist zutiefst die Seele des russischen Volkes enthalten und mit ihr der christliche Glaube, die beide gerade in der Göttlichen Liturgie und im liturgischen Gesang, von dem sie immer begleitet wird, einen außerordentlichen Ausdruck finden. Es besteht in der Tat eine enge, ursprüngliche Verbindung zwischen der russischen Musik und dem liturgischen Gesang: In der Liturgie und von der Liturgie her strömt und geht ein großer Teil der künstlerischen Kreativität der russischen Musiker aus, um Meisterwerke zu schaffen, die eine größere Bekanntheit in der westlichen Welt verdienen würden. Heute hatten wir die Freude, Musikstücke großer russischer Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts zu hören, wie Mussorgsky, Rimski-Korsakow, Tschaikowsky und Rachmaninow. Diese Komponisten, besonders letzterer, wußten das reiche Erbe der musikalisch-liturgischen Tradition Rußlands zu beherzigen, indem sie es neu bearbeiteten und in Einklang brachten mit Motiven und musikalischen Erfahrungen des Westens, die der Moderne näher waren. In diesem Zusammenhang muß man, glaube ich, auch das Werk des Metropoliten Hilarion sehen.
In der Musik werden also der Austausch, der Dialog, die Synergie zwischen Ost und West wie auch zwischen Tradition und Moderne bereits vorweggenommen und in gewisser Weise verwirklicht. An eine analoge einheitliche und harmonische Vision Europas dachte der ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II., als er das von Wjatscheslaw Iwanowitsch Iwanow verwendete Bild der »beiden Lungen« aufgriff, mit denen man wieder atmen müsse. So wünschte er ein neues Bewußtsein der tiefen, gemeinsamen kulturellen und religiösen Wurzeln des europäischen Kontinents, ohne die Europa heute wie seelenlos wäre und zumindest von einer eingeschränkten und unvollständigen Sichtweise gekennzeichnet. Gerade um über diese Fragen tiefer nachzudenken, hat gestern ein Symposion stattgefunden, das vom Patriarchat von Moskau und von den Dikasterien zur Förderung der Einheit der Christen und für die Kultur veranstaltet wurde und sich dem Thema widmete: »Orthodoxe und Katholiken im heutigen Europa. Die christlichen Wurzeln und das gemeinsame kulturelle Erbe des Ostens und des Westens.«
Wie ich bereits mehrfach betont habe, ist die zeitgenössische, und vor allem die europäische Kultur bedroht von der Gefahr der Amnesie, sie läuft Gefahr, das außerordentliche vom christlichen Glauben angeregte und inspirierte Erbe zu vergessen und aufzugeben, welches das wesentliche Gerüst der europäischen Kultur bildet, und nicht nur dieser. Über das religiöse Leben und das Zeugnis vieler Generationen von Gläubigen hinaus bestehen die christlichen Wurzeln Europas in der Tat auch aus dem unschätzbaren kulturellen und künstlerischen Erbe: Ruhm und kostbare Ressource der Völker und Nationen, in denen der christliche Glaube in seinen verschiedenen Ausdrucksformen mit der Kultur und den Künsten einen Dialog aufgenommen, sie beseelt und inspiriert hat und wie nie zuvor die Kreativität und Schöpferkraft des Menschen begünstigt und gefördert hat. Auch heute sind in Ost und West diese Wurzeln lebendig und fruchtbar, und sie können, ja müssen vielmehr Inspiration für einen neuen Humanismus sein, eine neue Epoche echten menschlichen Fortschritts, um wirksam auf die zahlreichen und oft entscheidenden Herausforderungen zu antworten, denen unsere christlichen Gemeinschaften und unsere Gesellschaften sich gegenübergestellt sehen: zuallererst die Herausforderung der Säkularisierung, die nicht nur dazu drängt, von Gott und seinem Plan abzusehen, sondern schließlich auch die Menschenwürde selbst negiert im Hinblick auf eine Gesellschaft, die allein von egoistischen Interessen geleitet wird.
Lassen wir Europa wieder mit beiden Lungen atmen, geben wir nicht nur den Gläubigen, sondern allen Völkern des Kontinents die Seele zurück, fördern wir wieder Vertrauen und Hoffnung, indem wir sie in der tausendjährigen Erfahrung des christlichen Glaubens verwurzeln! In diesem Augenblick darf das konsequente, großherzige und mutige Zeugnis der Gläubigen nicht fehlen, damit wir zusammen in die gemeinsame Zukunft blicken können, eine Zukunft, in der die Freiheit und Würde jedes Mannes und jeder Frau als grundlegende Werte anerkannt und in der die Öffnung für die Transzendenz, die Glaubenserfahrung als wesentliche Dimensionen der menschlichen Person hervorgehoben werden.
In Mussorgskys Stück »Der Engel verkündete« haben wir die vom Engel an Maria und folglich auch an uns gerichteten Worte gehört: »O Völker, freuet euch!« Der Grund der Freude ist klar: Christus ist aus dem Grab erstanden »und hat die Toten auferweckt«. Liebe Brüder und Schwestern, es ist die Freude des Auferstandenen, die uns beseelt, ermutigt und stützt auf unserem Weg des Glaubens und des christlichen Zeugnisses, um der Welt die wahre Freude und eine sichere Hoffnung anzubieten, um der Menschheit, den Völkern Europas stichhaltige Gründe zur Hoffnung zu schenken. Euch alle vertraue ich der mütterlichen und mächtigen Fürsprache der Jungfrau Maria an. Auf russisch sagte der Heilige Vater: Nochmals danke ich Patriarch Kyrill, Metropolit Hilarion, den russischen Vertretern, dem Orchester, den Chören, den Organisatoren und allen Anwesenden. Abschließend sagte er auf italienisch: Auf Sie alle und Ihre Lieben komme der reiche Segen des Herrn herab.
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Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen
und priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!
Mit Freude empfange ich euch alle, Mitglieder und Konsultoren, Teilnehmer an der 24. Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Laien. Mein herzlicher Gruß gilt dem Präsidenten, Kardinal Stanislaw Rylko, dem ich für die freundlichen Worte danke, die er an mich gerichtet hat, dem Sekretär, Bischof Josef Clemens, sowie allen Anwesenden. Schon die Zusammensetzung eures Dikasteriums, in dem neben den Hirten in der Mehrzahl Laiengläubige arbeiten, die aus der ganzen Welt und aus den verschiedensten Situationen und Erfahrungen kommen, bietet ein bedeutungsvolles Bild der organischen Gemeinschaft der Kirche, in der das allgemeine Priestertum der getauften Gläubigen und das Weihepriestertum ihre Wurzeln im einen Priestertum Christi haben - Modalitäten entsprechend, die ihrem Wesen nach unterschiedlich, jedoch aufeinander hingeordnet sind.
Nunmehr sind wir beinahe am Ende des Priester-Jahres angelangt und fühlen uns daher noch mehr als dankbare Zeugen der überraschenden und großherzigen Hingabe und Einsatzbereitschaft vieler von Christus »ergriffener« und ihm im Weihepriestertum gleichgestalteter Männer. Tag für Tag begleiten sie den Weg der »christifideles laici«, indem sie das Wort Gottes verkündigen, seine Vergebung und die Versöhnung mit ihm vermitteln, zum Gebet auffordern und den Leib und das Blut des Herrn als Nahrung darbieten. Aus diesem Geheimnis der Gemeinschaft gewinnen die gläubigen Laien die tiefe Kraft, Zeugen Christi zu sein in der ganzen Konkretheit und Tragweite ihres Lebens, in all ihrem Handeln und in allen Bereichen des Lebens.
Das Thema eurer Versammlung - »Zeugen Christi in der politischen Gemeinschaft« - besitzt besondere Bedeutung. Sicher gehört die praktische Ausbildung der Politiker nicht zur Sendung der Kirche. Zu diesem Zweck gibt es verschiedene Einrichtungen. Es ist jedoch ihre Sendung, »auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen. Sie wendet dabei alle, aber auch nur jene Mittel an, welche dem Evangelium und dem Wohl aller je nach den verschiedenen Zeiten und Verhältnissen entsprechen« (Gaudium et spes GS 76).
Die Kirche ist besonders darauf ausgerichtet, die Jünger Christi zu erziehen und auszubilden, damit sie immer mehr und überall zu Zeugen seiner Gegenwart werden. Es ist Aufgabe der gläubigen Laien, im persönlichen Leben und in der Familie, im gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben zu zeigen, daß man durch den Glauben die Wirklichkeit in neuer und tiefer Weise verstehen und sie verwandeln kann; daß die christliche Hoffnung den begrenzten Horizont des Menschen erweitert und ihn auf die wahre Höhe seines Seins, auf Gott hin ausrichtet; daß die Liebe in der Wahrheit die nachhaltigste Kraft ist, die die Fähigkeit besitzt, die Welt zu verändern; daß das Evangelium Gewährleistung der Freiheit und Botschaft der Befreiung ist; daß die Grundprinzipien der Soziallehre der Kirche - die Würde der menschlichen Person, die Subsidiarität und die Solidarität - große Aktualität und großen Wert für die Förderung neuer Wege der Entwicklung im Dienst des ganzen Menschen und aller Menschen besitzen. Auch kommt es den Laiengläubigen zu, sich aktiv und stets in Übereinstimmung mit den Lehren der Kirche am politischen Leben zu beteiligen, indem sie gut fundierte Gründe und große Ideale vermitteln, in der demokratischen Dialektik und auf der Suche nach einem breitangelegten Konsens mit allen, denen die Verteidigung des Lebens und der Freiheit, der Schutz der Wahrheit und des Wohls der Familie, die Solidarität mit den Notleidenden und das notwendige Streben nach dem Gemeinwohl am Herzen liegt. Die Christen streben nicht nach politischer oder kultureller Vorherrschaft, sondern sind überall dort, wo sie sich einsetzen, von der Gewißheit getragen, daß Christus der Eckstein eines jeden menschlichen Konstrukts ist (vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben, 24. November 2002).
Indem ich die Worte meiner Vorgänger aufgreife, kann auch ich bestätigen, daß die Politik ein sehr wichtiger Bereich des Liebesdienstes, der »caritas«, ist. Sie ruft die Christen zu einem starken Einsatz für die Bürger, zum Aufbau eines guten Lebens innerhalb der Nationen und auch zu einer wirkkräftigen Präsenz an den Sitzen und in den Programmen der internationalen Gemeinschaft auf. Es bedarf wahrhaft christlicher Politiker, an erster Stelle jedoch gläubiger Laien, die Zeugen Christi und des Evangeliums in der zivilen und politischen Gemeinschaft sind. Diesem Erfordernis muß in den Ausbildungsgängen der kirchlichen Gemeinschaften deutlich Rechnung getragen werden, und es verlangt neue Formen der Begleitung und der Unterstützung von seiten der Hirten. Die Zugehörigkeit der Christen zu den Vereinigungen der Gläubigen, zu den kirchlichen Bewegungen und zu den neuen Gemeinschaften kann eine gute Schule für diese Jünger und Zeugen sein, unterstützt durch den charismatischen, gemeinschaftlichen, erzieherischen und missionarischen Reichtum, der diesen Wirklichkeiten zueigen ist.
Es handelt sich um eine anspruchsvolle Herausforderung. Die Zeiten, in denen wir leben, stellen uns vor große und komplexe Probleme, und die soziale Frage ist gleichzeitig zu einer anthropologischen Frage geworden. Die ideologischen Paradigmen, in der jüngeren Vergangenheit den Anspruch erhoben, eine »wissenschaftliche « Antwort auf diese Frage zu sein, sind zusammengestürzt.
66 Die Ausbreitung eines verworrenen kulturellen Relativismus und eines utilitaristischen und hedonistischen Individualismus schwächt die Demokratie und fördert die Herrschaft der starken Mächte. Man muß echte politische Weisheit zurückgewinnen und stärken; hohe Ansprüche an die eigenen Fähigkeiten stellen; sich kritisch der humanwissenschaftlichen Untersuchungen bedienen; sich der Wirklichkeit in all ihren Aspekten stellen und dabei jeden ideologischen Reduktionismus und jede utopische Anmaßung überwinden; offen sein für jeden wahren Dialog und für echte Zusammenarbeit. Dies muß in dem Bewußtsein geschehen, daß die Politik auch die komplexe Kunst ist, das Gleichgewicht zwischen Idealen und Interessen herzustellen, ohne dabei jedoch jemals zu vergessen, daß der Beitrag der Christen nur dann entscheidend ist, wenn das Glaubensverständnis zum Wirklichkeitsverständnis wird, zum Schlüssel zur Beurteilung und Umwandlung.
Eine wahre »Revolution der Liebe« ist notwendig. Die jungen Generationen haben in ihrem persönlichen und gesellschaftlichen Leben große Pflichten und Herausforderungen vor sich. Euer Dikasterium folgt ihnen mit besonderer Sorgfalt, vor allem durch die Weltjugendtage, die seit 25 Jahren reiche apostolische Früchte unter den Jugendlichen tragen. Darunter ist auch die Frucht des Einsatzes im sozialen und politischen Bereich, wobei dieser Einsatz nicht auf Ideologien oder Einzelinteressen gründet, sondern auf der Entscheidung, dem Menschen und dem Gemeinwohl im Licht des Evangeliums zu dienen.
Liebe Freunde, indem ich den Herrn um reiche Früchte für die Arbeiten eurer Versammlung und für euer tägliches Wirken bitte und einen jeden von euch, eure Familien und Gemeinschaften der Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, Stern der Neuevangelisierung, anvertraue, erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen.
Sehr geehrter Herr Kardinal,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen
und priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!
Seid herzlich willkommen! Ich grüße Herrn Kardinal Ivan Dias, Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, und danke ihm für seine herzlichen Worte. Mein Gruß gilt auch dem Sekretär, Erzbischof Robert Sarah, dem Beigeordneten Sekretär, Erzbischof Piergiuseppe Vacchelli, Präsident der Päpstlichen Missionswerke, sowie allen Mitarbeitern des Dikasteriums, besonders den Nationaldirektoren der Päpstlichen Missionswerke, die zur Ordentlichen Jahresversammlung des Leitungsrates aus allen Ortskirchen nach Rom gekommen sind.
Ich verfolge die Arbeit dieser Kongregation mit besonderer Wertschätzung. In Übereinstimmung mit der Gründungsakte, mit der sie 1622 ins Leben gerufen wurde, hat das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil sie in ihrer Aufgabe bekräftigt, »die missionarischen Belange auf der ganzen Welt, die Missionsarbeit und die Missionshilfe, zu leiten und zu koordinieren« (Konzilsdekret Ad gentes AGD 29). Die Evangelisierungssendung ist eine enorme Aufgabe vor allem in unserer heutigen Zeit, in der die Menschheit unter einer gewissen Unzulänglichkeit des Denkens leidet, dem es oft an Tiefe und Weisheit fehlt (vgl. Caritas in veritate ), und in der sich ein Humanismus ausbreitet, der Gott ausschließt (vgl. ebd., 78). Daher ist es um so dringlicher und notwendiger, die sich uns heute stellenden Probleme im Licht des Evangeliums zu betrachten, das unveränderlich ist.
Wir sind in der Tat überzeugt, daß unser Herr Jesus Christus als treuer Zeuge der Liebe des Vaters mit seinem Tod und seiner Auferstehung »der hauptsächliche Antrieb für die wirkliche Entwicklung eines jeden Menschen und der gesamten Menschheit ist« (ebd., 1). Zu Beginn meines Amtes als Nachfolger Petri habe ich mit Nachdruck bekräftigt: »Dazu sind wir da, den Menschen Gott zu zeigen. Und erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist … Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken« (Predigt zur Übernahme des Petrusamtes durch Papst Benedikt XVI., 24. April 2005). Die Verkündigung des Evangeliums ist ein unschätzbarer Dienst, den die Kirche der gesamten Menschheit auf ihrem Weg durch die Geschichte erweisen kann. Ihr kommt aus den Diözesen der ganzen Welt und seid somit ein beredtes und lebendiges Zeichen der Katholizität der Kirche, die sich in der Universalität der apostolischen Sendung »bis an die Grenzen der Erde« (Ac 1,8), »bis ans Ende der Welt« (Mt 28,20) konkretisiert, damit kein Volk, kein Lebensbereich, das Licht und die Gnade Christi entbehren muß. Das ist der Sinn, die historische Linie, die Sendung und die Hoffnung der Kirche.
67 Der Verkündigungsauftrag des Evangeliums unter den Völkern besteht in der kritischen Beurteilung der weltweit spürbaren Veränderungen, die die Kultur der Menschheit grundlegend umformen. Die Kirche, die an den geographischen und anthropologischen Grenzen präsent und tätig ist, verkündet eine Botschaft, die in die Geschichte eintaucht, wo sie die unveräußerlichen Werte der Person durch die Verkündigung und das Zeugnis des Heilsplanes Gottes kundtut, der durch Christus sichtbar und wirksam geworden ist. Die Verkündigung des Evangeliums ist der Aufruf zur Freiheit der Kinder Gottes für den Bau einer gerechteren und solidarischeren Gesellschaft und zur Vorbereitung auf das ewige Leben. Wer an der Sendung Christi Anteil hat, erfährt unweigerlich Entbehrungen, Widerstand und Leid, weil er mit den Anfeindungen und den Mächten dieser Welt konfrontiert wird. Und auch wir haben, wie der Apostel Paulus, als einzige Waffe nur das Wort Christi und sein Kreuz (vgl. 1Co 1,22-25). Die Missionstätigkeit »ad gentes« verlangt von der Kirche und den Missionaren, daß sie die Konsequenzen ihres Dienstes akzeptieren: die evangeliumsgemäße Armut, die ihnen die Freiheit gibt, das Evangelium mutig und offen zu verkünden; die Ablehnung der Gewalt, die sie Böses mit Gutem vergelten läßt (vgl. Mt 5,38-42 Rm 12,17-21); die Bereitschaft, im Namen Christi und der Liebe zu den Menschen das eigene Leben hinzugeben. In derselben Weise, wie der Apostel Paulus die Authentizität seines Apostolats durch die erlittene Verfolgung, die Wunden und die Folter (vgl. 2Co 6-7) unter Beweis stellte, so ist die Verfolgung auch ein Beweis für die Authentizität unserer eigenen apostolischen Sendung. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß das Evangelium »im Gewissen und Herzen der Menschen Gestalt annimmt und sich in der Geschichte ausbreitet […] durch die Macht des Heiligen Geistes« (Johannes Paul II. , Dominum et vivificantem DEV 64,64), und daß er die Kirche und die Missionare in die Lage versetzt, die ihnen anvertraute Sendung zu erfüllen (vgl. ebd., 25). Es ist der Heilige Geist (vgl. 1Co 14), der die Kirche eint und bewahrt, indem er ihr die Kraft gibt, sich auszubreiten und den Jüngern Christi einen überströmenden Reichtum an Charismen schenkt. Vom Heiligen Geist erhält die Kirche die Autorität für die Verkündigung und den apostolischen Dienst. Ich möchte daher noch einmal mit Nachdruck betonen, was ich bereits über die Entwicklung gesagt habe (vgl. Caritas in veritate ): daß die Evangelisierung nämlich Christen braucht, die die Hände im Gebet zu Gott erheben; Christen, die von dem Bewußtsein getragen sind, daß die Bekehrung der Welt zu Christus nicht von uns bewirkt wird, sondern uns geschenkt ist.
So hat uns die Feier des Priester- Jahres ja auch geholfen, ein größeres Bewußtsein dahingehend zu erlangen, daß das Missionswerk eine immer innigere Verbundenheit mit dem erforderlich macht, den Gottvater zum Heil aller geschickt hat; daß es jenen »neuen Lebensstil« erforderlich macht, den Jesus, der Herr, begonnen hat und den sich die Apostel zu eigen gemacht haben (vgl. Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung für den Klerus, 16. März 2009).
Liebe Freunde, ich danke euch allen, die ihr Teil der Päpstlichen Missionswerke seid und euch auf verschiedene Weise darum bemüht, das Missionsbewußtsein der Teilkirchen wachzuhalten und sie dazu anzuregen, aktiv an der »missio ad gentes« mitzuwirken. Das geschieht durch die Ausbildung und Entsendung von Missionaren und Missionarinnen, sowie durch die solidarische Unterstützung der jungen Kirchen. Herzlichen Dank auch für die Aufnahme und die Ausbildung von Priestern, Ordensfrauen, Seminaristen und Laien in den Päpstlichen Kollegien der Kongregation. Ich vertraue euren kirchlichen Dienst dem Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria an, Mutter der Kirche und Königin der Apostel, und erteile euch allen von Herzen meinen Segen.
Herr Ministerpräsident,
verehrte Mitglieder der Regierung
und geehrte Obrigkeiten,
verehrte Brüder aus der orthodoxen Kirche
und der katholischen Kirche!
Ich freue mich, euch alle, die verehrten Mitglieder der Offiziellen Delegation, herzlich willkommen heißen zu können, die der glückliche Anlaß des liturgischen Gedenktages der hll. Cyrill und Methodius nach Rom geführt hat. Eure Anwesenheit, die die christlichen Wurzeln des bulgarischen Volkes bezeugt, bietet mir die willkommene Gelegenheit, dieser geliebten Nation erneut meine Wertschätzung auszudrücken und gestattet uns, unsere Freundschaft zu festigen, die durch die Verehrung der beiden heiligen Brüder von Saloniki gestärkt wird. Durch eine unermüdliche Evangelisierungsarbeit, die mit wahrem apostolischen Eifer durchgeführt wurde, haben die hll. Cyrill und Methodius das Christentum nach göttlichem Ratschluß im Herzen des bulgarischen Volkes verwurzelt, so daß es in jenen Werten des Evangeliums verankert ist, die stets die Identität einer Nation stärken und ihre Kultur bereichern. Das Evangelium schwächt nichts, was sich in den verschiedenen kulturellen Traditionen an Au - thentischem findet; im Gegenteil, gerade weil der Glaube an Jesus uns den Glanz der Wahrheit zeigt, schenkt er dem Menschen die Fähigkeit, das wahre Gute zu erkennen und hilft ihm, es in seinem Leben und im gesellschaftlichen Umfeld zu verwirklichen. Daher läßt sich zurecht behaupten, daß die hll. Cyrill und Methodius auf entscheidende Weise dazu beigetragen haben, der Menschlichkeit und dem geistlichen Ausdruck des bulgarischen Volkes Gestalt zu geben, indem sie es in die allgemeine kulturelle Tradition des Christentums eingebunden haben.
Auf dem Weg der vollen Integration mit den anderen europäischen Nationen ist Bulgarien also dazu aufgerufen, jene christlichen Wurzeln zu fördern und zu bezeugen, die von der Lehre der hll. Cyrill und Methodius ausgehen, die heute noch aktueller und notwendiger ist denn je. Es ist also dazu aufgerufen, sich treu daran zu halten und das kostbare Erbe zu bewahren, das alle - sowohl die Orthodoxen als auch die Katholiken - untereinander verbindet, die den Glauben der Apostel bekennen und durch die gemeinsame Taufe vereint sind. Als Christen haben wir die Pflicht, das enge Band zu bewahren und zu stärken, das zwischen dem Evangelium und unserer jeweiligen kulturellen Identität besteht; als Jünger des Herrn sind wir, im gegenseitigen Respekt der verschiedenen kirchlichen Traditionen, zum gemeinsamen Zeugnis unseres Glaubens an Jesus berufen, im dessen Namen wir das Heil erlangen. Ich wünsche mir von Herzen, daß diese unsere Begegnung für euch alle, die ihr hier anwesend seid, und für die kirchliche und gesellschaftliche Wirklichkeit, die ihr repräsentiert, ein Grund für immer engere brüderliche und solidarische Beziehungen sein möge. Mit diesen Empfindungen ermutige ich das bulgarische Volk, an dem Vorsatz festzuhalten, eine auf Gerechtigkeit und Frieden gegründete Gesellschaft zu errichten; dafür versichere ich euch meines Gebets und meiner geistlichen Nähe. Ihnen, Herr Premierminister, und jedem von euch, entbiete ich erneut meinen mit Segen verbundenen Gruß, mit dem ich auch alle Bürger eures geliebten Landes erreichen möchte.
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Herr Parlamentspräsident,
verehrte Mitglieder der Regierung
und geehrte Obrigkeiten,
verehrte Brüder aus der orthodoxen Kirche
und der katholischen Kirche!
Ich freue mich, euch zu empfangen und dem Herrn, der jede Gnade schenkt, Freude und Dankbarkeit für diesen Moment zum Ausdruck zu bringen. Wir sind hier zusammengekommen, um auf die Fürsprache der hll. Cyrill und Methodius, der himmlischen Schutzpatrone eures Volkes und ganz Europas, zum Herrn zu beten, während der jährlichen Pilgerreise, die ihr nach Rom unternehmt, um die Reliquien des hl. Cyrill zu verehren.
Mein geliebter Vorgänger, der ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II., hat in seiner Enzyklika Slavorum Apostoli allen in Erinnerung rufen wollen, daß wir heute dank der Lehre und der Früchte des Zweiten Vatikanischen Konzils das Werk dieser beiden heiligen Brüder aus Saloniki, »von denen uns nunmehr schon elf Jahrhunderte trennen, (auf neue Weise betrachten) und aus ihrem Leben und apostolischen Wirken jene Botschaft ablesen (können), welche die Weisheit der göttlichen Vorsehung darin niederlegte, damit sie sich in unserer Epoche in neuer Fülle zeige und neue Früchte trage« (Nr. 3). Die Evangelisierung durch Cyrill und Methodius hat seinerzeit wirklich reiche Früchte gebracht. Sie lernten Leiden, Entbehrungen und Feindseligkeiten kennen, doch sie ertrugen alles mit unerschütterlichem Glauben und unbesiegbarer Hoffnung auf Gott. Mit dieser Kraft verzehrten sie sich für die ihnen anvertrauten Völker und bewahrten die für die Feier der heiligen Liturgie notwendigen Texte der Heiligen Schrift, die von ihnen in die altslawische Sprache übersetzt, in einem neuen Alphabet niedergeschrieben und in der Folge durch die Autorität der Kirche angenommen wurden. In ihren Prüfungen und in ihren Freuden fühlten sie sich immer von Gott begleitet und erfuhren täglich seine Liebe und die ihrer Brüder und Schwestern. Auch wir verstehen immer besser, daß wir, wenn wir uns vom Herrn geliebt fühlen und dieser Liebe zu entsprechen vermögen, in all unserem Tun und in allen unseren Handlungen von seiner Gnade getragen und geführt werden. Je mehr wir - entsprechend der Ausgießung der vielfältigen Gaben des Heiligen Geistes - zu lieben vermögen und uns den anderen schenken, desto stärker kann der Heilige Geist unserer Schwäche zu Hilfe kommen und uns neue Wege für unser Handeln weisen.
Der Überlieferung nach blieb Methodius bis zum Ende den Worten treu, die sein Bruder Cyrill, bevor er starb, zu ihm gesagt hatte: »Siehe, Bruder, wir haben das gleiche Geschick geteilt und den Pflug in dieselbe Furche gedrückt; jetzt falle ich auf dem Felde am Abend meiner Tage… du… gib dein Wirken in der Glaubensunterweisung nicht auf« (ebd., Nr. 6). Liebe Brüder und Schwestern, gemeinsam wollen wir Hand an den Pflug legen und weiterhin in derselben Furche arbeiten, die Gott in seiner Vorsehung den hll. Cyrill und Methodius gezeigt hat. Der Herr segne Eure Arbeit im Dienst des Allgemeinwohls sowie eurer ganzen Nation, und gieße in Fülle die Gaben seines Geistes der Einheit und des Friedens auf sie aus.
ANSPRACHE 2010 63