BOTSCHAFT 2006-2010


HL. MESSE AM FEST DER DARSTELLUNG DES HERRN

TAG DES GEWEIHTEN LEBENS

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.


Petersdom

1

Donnerstag, 2. Februar 2006

Liebe Brüder und Schwestern!


Das heutige Fest der Darstellung Jesu im Tempel, vierzig Tage nach seiner Geburt, stellt uns einen besonderen Augenblick aus dem Leben der Heiligen Familie vor Augen: Wie es dem Gesetz des Mose entspricht, wird der kleine Jesus von Maria und Josef in den Tempel von Jerusalem gebracht, um dem Herrn geweiht zu werden (vgl. Lc 2,22). Von Gott inspiriert, erkennen Simeon und Hanna in jenem Kind den sehnlich erwarteten Messias und machen über ihn eine Weissagung. Wir wohnen hier einem schlichten und zugleich feierlichen Geheimnis bei, in dem die Heilige Kirche Christus, den Gesalbten des Vaters, den Erstgeborenen der neuen Menschheit, feiert.

Die eindrucksvolle Lichterprozession unseres heutigen Gottesdienstes hat uns den im Antwortpsalm besungenen majestätischen Einzug desjenigen nacherleben lassen, der »König der Herrlichkeit« ist, »der Herr, mächtig im Kampf« (Ps 24,7 Ps 24,8). Aber wer ist der mächtige Gott, der in den Tempel einzieht? Er ist ein Kind; er ist das Jesuskind in den Armen seiner Mutter, der Jungfrau Maria. Die Heilige Familie erfüllte, was das Gesetz vorschrieb: die Reinigung der Mutter, die Weihe des Erstgeborenen an Gott und seine Auslösung durch ein Opfer. In der Ersten Lesung berichtet die Liturgie von der Weissagung des Propheten Maleachi: »Dann kommt plötzlich zu seinem Tempel der Herr« (Ml 3,1). Diese Worte vermitteln die ganze Eindringlichkeit der Sehnsucht, die die Erwartung des jüdischen Volkes jahrhundertelang beseelt hatte. Endlich zieht der »Engel des Bundes« in sein Haus ein und unterwirft sich dem Gesetz: Er kommt nach Jerusalem, um in einer Haltung des Gehorsams in das Haus Gottes einzuziehen.

Eine noch weiter reichende Perspektive erhält die Bedeutung dieser Geste in der Stelle aus dem Hebräerbrief, die heute als Zweite Lesung vorgetragen wurde. Hier wird uns Christus, der Mittler, vorgestellt, der Gott und den Menschen vereint, indem er die Entfernungen aufhebt, jede Spaltung beseitigt und jede Trennungsmauer niederreißt. Christus kommt als neuer »barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott, um die Sünden des Volkes zu sühnen« (He 2,17). Wir stellen also fest, daß sich die Vermittlung mit Gott nicht mehr in der auf Trennung beruhenden Heiligkeit des alten Priestertums vollzieht, sondern in der befreienden Solidarität mit den Menschen. Noch als Kind schlägt er den Weg des Gehorsams ein, der ihn bis zum äußersten führen wird. Das erläutert der Hebräerbrief treffend, wo es heißt: »Als er auf Erden lebte, hat er … Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte… Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden« (vgl. ).

Die erste Person, die sich Christus auf dem Weg des Gehorsams, des bewährten Glaubens und des geteilten Schmerzes anschließt, ist seine Mutter Maria. Der Text des Evangeliums zeigt sie uns bei der Darbringung des Sohnes: ein bedingungsloses Opfer, das sie ganz persönlich miteinschließt: Maria ist die Mutter dessen, der »Herrlichkeit für sein Volk Israel« ist und »ein Licht, das die Heiden erleuchtet«, aber auch »ein Zeichen, dem widersprochen wird« (vgl. Lc 2,32 Lc 2,34). Und ihr selbst wird das Schwert des Schmerzes durch ihre unbefleckte Seele dringen; so wird sie zeigen, daß sich ihre Rolle in der Heilsgeschichte nicht im Geheimnis der Menschwerdung erschöpft, sondern sich in der liebevollen und schmerzensreichen Teilnahme am Tod und an der Auferstehung ihres Sohnes vollendet. Als die jungfräuliche Mutter den Sohn nach Jerusalem bringt, weiht sie ihn Gott als wahres Lamm, das die Sünden der Welt hinwegnimmt; sie reicht ihn Simeon und Hanna als Ankündigung der Erlösung; sie zeigt ihn allen als Licht für einen sicheren Gang auf dem Weg der Wahrheit und des Lichts.

Die Worte, die bei dieser Begegnung dem greisen Simeon auf die Lippen kommen – »Meine Augen haben das Heil gesehen« (Lc 2,30) –, finden im Herzen der Prophetin Hanna Widerhall. Diese gerechten und frommen Personen können, vom Licht Christi umfangen, im Jesuskind »die Rettung Israels« (Lc 2,25) schauen. Ihre Erwartung verwandelt sich so in Licht, das die Geschichte erleuchtet. Simeon ist Träger einer alten Hoffnung, und der Geist des Herrn spricht zu seinem Herzen: Deshalb kann er den schauen, den viele Propheten und Könige zu sehen wünschten, Christus, das Licht, das die Heiden erleuchtet. In jenem Kind erkennt er den Retter, ahnt aber im Geist, daß sich um ihn die Geschicke der Menschheit abspielen werden und daß er durch alle, die ihn ablehnen, viel wird leiden müssen; Simeon verkündet die Identität und die Sendung des Messias mit den Worten, die einen der Hymnen der entstehenden Kirche bilden, der den ganzen gemeinschaftlichen und eschatologischen Jubel über die erfüllte Heilserwartung verströmt. Die Begeisterung ist so groß, daß Leben und Sterben ein und dasselbe sind und das »Licht« und die »Herrlichkeit« zu einer universalen Offenbarung werden. Hanna ist eine »Prophetin«, eine weise und fromme Frau, die den tiefen Sinn der geschichtlichen Ereignisse und der in ihnen verborgenen Botschaft Gottes deutet. Darum kann sie »Gott preisen« und »über das Kind zu allen sprechen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten« (Lc 2,38). Die lange Witwenschaft, die sie ganz dem Kult im Tempel gewidmet hatte, das Einhalten des wöchentlichen Fastens, die Teilnahme an der Erwartung aller, die die Erlösung Israels herbeisehnten – all das endet in der Begegnung mit dem Jesuskind.

Liebe Brüder und Schwestern, am heutigen Fest der Darstellung des Herrn feiert die Kirche den Tag des geweihten Lebens. Es handelt sich um eine willkommene Gelegenheit, um den Herrn zu preisen und ihm für das unschätzbare Geschenk zu danken, das das gottgeweihte Leben in seinen verschiedenen Formen darstellt; es ist zugleich auch ein Anreiz, im ganzen Volk Gottes die Kenntnis und Wertschätzung für diejenigen zu fördern, die sich Gott vollkommen geweiht haben. Wie nämlich das Leben Jesu in seinem Gehorsam und seiner Hingabe an den Vater ein lebendiges Gleichnis für den »Gott-mit-uns« ist, so wird die konkrete Hingabe der geweihten Personen an Gott und an die Brüder zum beredten Zeichen der Gegenwart des Reiches Gottes für die Welt von heute. Die Art und Weise eures Lebens und Handelns vermag es, die volle Zugehörigkeit zu dem einen Herrn unvermindert zu bekunden; eure vollständige Hingabe in die Hände Christi und der Kirche ist eine starke und klare Verkündigung der Gegenwart Gottes in einer Sprache, die für unsere Zeitgenossen verständlich ist. Das ist der erste Dienst, den das gottgeweihte Leben für die Kirche und die Welt leistet. Innerhalb des Volkes Gottes sind die Gottgeweihten gleichsam Wächter, die das neue Leben, das in unserer Geschichte schon vorhanden ist, erblicken und verkünden.

Ich wende mich nun besonders an euch, liebe Brüder und Schwestern, die ihr euch zur Berufung dieser besonderen Hingabe bekennt. Ich grüße euch herzlich und danke euch sehr für eure Anwesenheit. Einen besonderen Gruß richte ich an Erzbischof Franc Rodé, Präfekt der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens, sowie an seine Mitarbeiter, die bei dieser heiligen Messe mit mir konzelebrieren. Der Herr erneuere jeden Tag in euch und in allen gottgeweihten Personen die freudige Antwort auf seine ungeschuldete und treue Liebe. Liebe Brüder und Schwestern, strahlt immer und an jedem Ort, einer brennenden Kerze gleich, die Liebe Christi aus, der das Licht der Welt ist. Die allerseligste Jungfrau Maria, die gottgeweihte Frau, helfe euch, diese eure besondere Berufung und Sendung in der Kirche voll zu leben zum Heil der Welt.

Amen!



FEST DER DARSTELLUNG DES HERRN XI. TAG DES GEWEIHTEN LEBENS


Petersdom

2

Freitag, 2. Februar 2007



Liebe Brüder und Schwestern!

Gern komme ich zu der Begegnung mit euch am Ende der Eucharistiefeier, die euch auch dieses Jahr aus einem für euch so bedeutsamen Anlaß in dieser Basilika zusammengeführt hat. Denn ihr, Angehörige von Kongregationen, Instituten, Gesellschaften des Apostolischen Lebens und neuen Formen des geweihten Lebens, bildet einen besonders wichtigen Bestandteil des Mystischen Leibes Christi. Die Liturgie des heutigen Tages erinnert an die Darstellung des Herrn im Tempel, ein Fest, das von meinem verehrten Vorgänger Johannes Paul II. als »Tag des geweihten Lebens« ausgewählt wurde. Mit lebhafter Freude richte ich an jeden einzelnen von euch meinen herzlichen Gruß, angefangen bei Herrn Kardinal Franc Rodé, dem Präfekten eures Dikasteriums, dem ich für die herzlichen Worte danke, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat. Ich grüße sodann den Sekretär und alle Mitglieder der Kongregation, die ihre Aufmerksamkeit einem lebenswichtigen Bereich der Kirche widmet. Der heutige Feiertag eignet sich bestens dazu, gemeinsam den Herrn um das Geschenk einer immer stärkeren und wirksameren Präsenz der Ordensmänner und Ordensfrauen und der geweihten Personen in der Kirche zu bitten, die auf den Straßen der Welt unterwegs ist.

Liebe Brüder und Schwestern, das Fest, das wir heute feiern, erinnert uns daran, daß euer Zeugnis für das Evangelium, um tatsächlich wirksam zu sein, aus einer vorbehaltlosen Antwort auf die Initiative Gottes entspringen muß, der euch durch einen besonderen Akt der Liebe für sich geweiht hat. Wie die greisen Simeon und Hanna inständig vor ihrem Tod den Messias zu sehen begehrten und von ihm »zu allen sprachen, die auf Erlösung Jerusalems warteten« (Lc 2,26 Lc 2,38), so ist auch in unserer Zeit besonders unter den Jugendlichen der Wunsch verbreitet, Gott zu begegnen. Diejenigen, die von Gott für das geweihte Leben auserwählt wurden, machen sich dieses tiefe geistliche Verlangen endgültig zu eigen. In ihnen wohnt in der Tat nur eine Erwartung: die Erwartung des Reiches Gottes: daß Gott in unserem Willen, in unseren Herzen, in der Welt herrsche; in ihnen brennt ein einziger Durst nach Liebe, den allein der Ewige zu stillen vermag. Durch ihr Beispiel verkünden sie einer oft orientierungslosen Welt, die aber in Wirklichkeit immer mehr auf der Suche nach einem Sinn ist, daß Gott der Herr des Daseins ist, daß seine »Huld besser ist als das Leben« (Ps 63,4). Dadurch, daß sie den Gehorsam, die Armut und die Keuschheit wählen, zeigen sie, daß alle Verbundenheit und Liebe zu den Dingen und zu den Menschen nicht imstande ist, das Herz endgültig zu befriedigen; daß das irdische Dasein ein mehr oder weniger langes Warten auf die Begegnung mit dem göttlichen Bräutigam »von Angesicht zu Angesicht« ist, ein Warten, das mit stets wachsamem Herzen gelebt werden muß, um bereit zu sein, ihn zu erkennen und zu empfangen, wenn er kommen wird.

Das geweihte Leben stellt also seiner Natur nach eine totale und endgültige, bedingungslose und leidenschaftliche Antwort an Gott dar (vgl. Vita consecrata VC 17). Und wenn die geweihte Person auf alles verzichtet, um Christus nachzufolgen, wenn sie das hingibt, was ihr am teuersten ist, und jedes Opfer auf sich nimmt, dann wird auch sie, so wie es beim göttlichen Meister geschehen ist, dessen Spuren sie folgt, notwendigerweise zum »Zeichen des Widerspruchs«, weil ihre Art zu denken und zu leben häufig im Gegensatz zur Logik der Welt steht, wie sie sich in den Medien präsentiert ? fast immer. Die geweihte Person wählt Christus, ja sie läßt sich von ihm vorbehaltlos »erobern«. Angesichts eines solchen Mutes sind viele Menschen, die nach Wahrheit dürsten, betroffen und angezogen von dem, der nicht zögert, das Leben, das eigene Leben für das hinzugeben, woran er glaubt. Ist das etwa nicht die radikale Treue gemäß dem Evangelium, zu der auch in unserer Zeit jede geweihte Person berufen ist? Wir danken dem Herrn dafür, daß so viele Ordensmänner und Ordensfrauen, so viele geweihte Personen in jedem Winkel der Welt weiterhin Gott und den Brüdern ein höchstes und treues Zeugnis der Liebe geben, ein Zeugnis, das sich nicht selten mit dem Blut des Martyriums färbt. Wir danken Gott auch dafür, daß diese Vorbilder weiterhin im Herzen vieler junger Menschen das Verlangen wecken, Christus für immer auf engste und totale Weise zu folgen.

Liebe Brüder und Schwestern, vergeßt niemals, daß das geweihte Leben ein Gottesgeschenk ist und daß es an erster Stelle der Herr ist, der es seinen Plänen entsprechend zu einem glücklichen Ende führt. Diese Gewißheit, daß uns der Herr trotz unserer Schwächen zu einem glücklichen Ende führt, diese Gewißheit soll euch Trost sein, indem sie euch angesichts der unvermeidlichen Schwierigkeiten des Lebens und der vielfältigen Herausforderungen der heutigen Zeit vor der Versuchung der Entmutigung bewahrt. In der Tat, in der schweren Zeit, in der wir leben, können nicht wenige Institute ein Gefühl von Verwirrung verspüren angesichts der Schwächen, die sie in ihrem Inneren finden, und wegen der vielen Hindernisse, denen sie bei der Erfüllung ihrer Sendung begegnen. Jenes Jesuskind, das heute im Tempel dargestellt wird, ist heute unter uns lebendig und hilft uns auf unsichtbare Weise, auf daß wir getreu mit ihm am Werk des Heils mitarbeiten; und es läßt uns nicht im Stich.

Die heutige Liturgie ist besonders eindrucksvoll, weil sie vom Symbol des Lichtes gekennzeichnet ist. Die feierliche Lichterprozession, die ihr zu Beginn der Eucharistiefeier durchgeführt habt, verweist auf Christus, das wahre Licht der Welt, das in der Nacht der Geschichte erstrahlt und jeden erleuchtet, der die Wahrheit sucht. Liebe Männer und Frauen des geweihten Lebens, laßt euch von dieser Flamme erfassen und sie durch euer Leben erstrahlen, damit überall ein Teil des von Jesus ausgestrahlten Glanzes, des Glanzes der Wahrheit, leuchte. Indem ihr euch ausschließlich ihm weiht (vgl. Vita consecrata VC 15), gebt ihr Zeugnis von der Faszination der Wahrheit Christi und der Freude, die aus der Liebe zu ihm entspringt. In der Kontemplation und im Handeln, in der Einsamkeit und in der Brüderlichkeit, im Dienst an den Armen und Geringsten, in der persönlichen Begleitung und in den modernen Areopagen sollt ihr bereit sein zu verkünden und zu bezeugen, daß Gott Liebe ist, daß es schön ist, ihn zu lieben. Maria, die »Tota pulchra«, lehre euch, diese Faszination Gottes, die aus euren Worten und euren Handlungen durchscheinen soll, an die Männer und Frauen von heute weiterzugeben. Mit meiner dankbaren Wertschätzung für den Dienst, den ihr der Kirche leistet, versichere ich euch meines ständigen Gedenkens im Gebet und segne euch alle von Herzen.

FEST DER DARSTELLUNG DES HERRN

XII. TAG DES GEWEIHTEN LEBENS

Petersdom

Samstag, 2. Februar 2008

Liebe Brüder und Schwestern!


Ich freue mich, aus Anlaß des Tages des geweihten Lebens mit euch zusammenzutreffen, jener traditionellen Begegnung, die durch den liturgischen Rahmen des Festes der Darstellung des Herrn noch an Bedeutung gewinnt. Ich danke Herrn Kardinal Franc Rodé, der für euch die Eucharistie gefeiert hat, und mit ihm dem Sekretär und den anderen Mitarbeitern der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens. Ganz herzlich begrüße ich die anwesenden Generaloberen und Generaloberinnen und euch alle, die ihr diese einzigartige Versammlung – Ausdruck des vielfältigen Reichtums des geweihten Lebens in der Kirche – bildet.

3 Im Bericht über die Darstellung Jesu im Tempel betont der Evangelist Lukas dreimal, daß Maria und Josef »gemäß dem Gesetz des Herrn« handelten (vgl. Lc 2,22 Lc 2,23 Lc 2,39), und im übrigen scheinen sie immer aufmerksam auf das Wort Gottes zu hören. Diese ihre Haltung ist ein beredtes Vorbild für euch, Ordensmänner und Ordensfrauen; für euch, Mitglieder der Säkularinstitute und anderer Formen des geweihten Lebens. Die nächste Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode wird dem Wort Gottes im Leben der Kirche gewidmet sein: Ich bitte euch, liebe Brüder und Schwestern, euren Beitrag zu dieser kirchlichen Aufgabe zu leisten, indem ihr davon Zeugnis gebt, wie wichtig es ist, in den Mittelpunkt von allem das Wort Gottes zu stellen; das gilt besonders für alle, die der Herr so wie euch in seine engste Nachfolge beruft. Das geweihte Leben ist nämlich im Evangelium verwurzelt; es hat sich die Jahrhunderte hindurch immer an ihm als seiner obersten Regel inspiriert und ist gerufen, ständig zu ihm zurückzukehren, um lebendig und fruchtbar zu bleiben, indem es Frucht bringt für das Heil der Seelen.

Am Anfang der verschiedenen Ausdrucksformen des geweihten Lebens steht immer eine starke Eingebung durch das Evangelium. Ich denke an den heiligen Mönchsvater Antonius, der sich bewegen ließ, als er die Worte Christi hörte: »Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach« (Mt 19,21) (vgl. Vita Antonii, 2,4). Antonius hat diese Worte so gehört, als hätte der Herr sie persönlich an ihn gerichtet. Der hl. Franz von Assisi seinerseits versichert, Gott habe ihm offenbart, daß er nach Art und Weise des Evangeliums leben sollte (Testamento, 17: FF 116). Tommaso da Celano schreibt: »Als Franziskus hörte, daß die Jünger Christi weder Gold noch Silber noch Geld besitzen sollen, keine Vorratstasche, kein Brot, keinen Wanderstab, kein zweites Hemd mit auf den Weg nehmen sollen…, da rief er, vom Heiligen Geist erfaßt, jubelnd aus: Das mit ganzem Herzen zu tun – das ist mein Wille, mein Verlangen, meine Sehnsucht!« (Celano, 83: FF 670, 672).

»Es war der Heilige Geist« – erinnert die Instruktion Neubeginn in Christus –, »der die Gründer und Gründerinnen das Wort Gottes in einem neuen Licht sehen ließ. Diesem Wort entspringt jedes Charisma, und jede Ordensregel will sein Ausdruck sein« (Nr. 24). Und tatsächlich regt der Heilige Geist einige Menschen dazu an, das Evangelium auf radikale Weise zu leben und es in einem Stil besonders großherziger Nachfolge umzusetzen. So entsteht daraus ein Werk, eine Ordensfamilie, die eben durch ihre Präsenz dann ihrerseits zur lebendigen »Exegese« des Wortes Gottes wird. Die ständige Aufeinanderfolge der Charismen des geweihten Lebens kann also, wie das II. Vatikanische Konzil sagt, verstanden werden als ein Sich-Entfalten Christi im Laufe der Jahrhunderte, als ein lebendiges Evangelium, das sich in immer neuen Formen aktualisiert (vgl. Konstitution Lumen gentium LG 46). In den Werken der Gründerinnen und Gründer spiegelt sich ein Geheimnis Christi, ein Wort von ihm wider, bricht sich ein Strahl des Lichts, das von seinem Antlitz ausstrahlt, die Herrlichkeit des Vaters (vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita consecrata VC 16).

Die kompromißlose Nachfolge Christi, wie sie im Evangelium nahegelegt wird, war daher jahrhundertelang die letzte und oberste Norm des Ordenslebens (vgl. Perfectae caritatis PC 2). Der hl. Benedikt verweist in seiner Ordensregel auf die Heilige Schrift als »verläßliche Wegweisung für das menschliche Leben« (Regula, Nr. 73,2–5). Der hl. Dominikus »erwies sich überall, in den Worten wie in den Werken, als ein Mann des Evangeliums« (Libellus, 104: in P. Lippini, San Domenico visto dai suoi contemporanei, Ed. Studio Dom., Bologna, 1982, S. 110) und wollte, daß auch seine Predigerbrüder »Männer des Evangeliums« wären (Erste Konstitutionen oder Consuetudines, 31). Die hl. Klara von Assisi greift voll und ganz die Erfahrung des hl. Franziskus auf, wenn sie schreibt: »Dies ist die Lebensform der armen Schwestern: Befolgung des Heiligen Evangeliums unseres Herrn Jesus Christus« (Regel, I,1–2: FF 2750). Der hl. Vinzenz Pallotti bestimmt: »Die Grundregel unserer sehr kleinen Kongregation ist das Leben unseres Herrn Jesus Christus, das möglichst vollkommen nachgeahmt werden soll« (vgl. Opere complete, II, 541–546; VIII, 63,67, 253,254,466). Und der hl. Luigi Orione schreibt: »Unsere erste Regel und unser Leben soll sein, das Heilige Evangelium in großer Demut und inniger, glühender Gottesliebe zu befolgen« (Lettere di Don Orione , Rom Rm 1969, Bd. II, 278).

Diese so reiche Tradition zeugt davon, daß das geweihte Leben »tief im Beispiel und in der Lehre Christi, des Herrn, verwurzelt ist« (Vita consecrata VC 1) und »wie ein Baum mit vielen Zweigen erscheint, dessen Wurzeln tief in das Evangelium hineinreichen, und der in jeder Epoche der Kirche üppige Früchte hervorbringt« (ebd., Nr. 5). Ihre Aufgabe ist es, daran zu erinnern, daß alle Christen vom Wort zusammengerufen werden, um vom Wort zu leben und unter seiner Herrschaft zu bleiben. Es ist daher die besondere Aufgabe der Ordensmänner und Ordensfrauen, »in den Getauften das Bewußtsein für die wesentlichen Werte des Evangeliums lebendig zu erhalten« (ebd., Nr. 33). Dadurch verleiht ihr Zeugnis der Kirche »einen wertvollen Impuls zu einer immer konsequenteren Verwirklichung des Evangeliums« (ebd., Nr. 3), ja, wir könnten sagen, es ist eine »beredte, wenn auch oft schweigende Verkündigung des Evangeliums« (ebd., Nr. 25). Deshalb habe ich es in meinen beiden Enzykliken sowie bei anderen Gelegenheiten nicht versäumt, auf das Beispiel von Heiligen und Seligen hinzuweisen, die Instituten des geweihten Lebens angehören.

Liebe Brüder und Schwestern, bereichert euren Tag durch Gebet, Meditation und Hören des Gotteswortes. Ihr, die ihr mit der altehrwürdigen Praxis der »lectio divina« vertraut seid, sollt auch den Gläubigen helfen, diese in ihrem Alltagsleben aufzuwerten. Und ihr sollt dazu fähig sein, alles, was das Wort empfiehlt, in Zeugnis umzusetzen, indem ihr euch von diesem Wort – das wie der Same, der auf guten Boden fiel, reiche Frucht bringt – formen laßt. So werdet ihr immer für den Geist offen sein und in der Verbundenheit mit Gott wachsen; ihr werdet die brüderliche Gemeinschaft unter euch pflegen und werdet bereit sein, den Brüdern, vor allem jenen, die sich in Not befinden, hochherzig zu dienen. Mögen die Menschen eure guten Werke, Frucht des Wortes Gottes, das in euch lebt, sehen können und euren Vater im Himmel preisen (vgl. Mt 5,16)! Indem ich euch diese Gedanken anvertraue, danke ich euch für den wertvollen Dienst, den ihr für die Kirche leistet. Während ich den Schutz Mariens und der heiligen und seligen Gründer eurer Institute herabrufe, erteile ich euch und euren Ordensfamilien von Herzen den Apostolischen Segen; ganz besonders denke ich dabei an die jungen Männer und Frauen in der Ausbildung und an eure Mitbrüder und Mitschwestern, die krank oder alt oder in Schwierigkeiten sind. Alle versichere ich eines Gedenkens in meinem Gebet.

FEST DER DARSTELLUNG DES HERRN - XIII. TAG DES GEWEIHTEN LEBENS

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersdom

Montag, 2. Februar 2009



Herr Kardinal,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
liebe Brüder und Schwestern!

4 Mit großer Freude begegne ich euch am Schluß der Feier des heiligen Meßopfers an diesem liturgischen Festtag, der seit nunmehr 13 Jahren die Ordensmänner und Ordensfrauen zum Tag des geweihten Lebens versammelt sieht. Ich begrüße sehr herzlich Herrn Kardinal Franc Rodé und danke ihm und seinen Mitarbeitern der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens ganz besonders für den Dienst, den sie dem Heiligen Stuhl sowie dem leisten, was ich den »Kosmos« des geweihten Lebens nennen würde. Sehr herzlich begrüße ich die hier anwesenden Generaloberen und Generaloberinnen sowie euch alle, Brüder und Schwestern, die ihr nach dem Vorbild Mariens durch euer Zeugnis als geweihte Personen das Licht Christi in die Kirche und in die Welt hineintragt. In diesem Paulusjahr mache ich mir die Worte des Apostels zu eigen: »Ich danke meinem Gott jedesmal, wenn ich an euch denke; immer, wenn ich für euch alle bete, tue ich es mit Freude und danke Gott dafür, daß ihr euch gemeinsam für das Evangelium eingesetzt habt vom ersten Tag an bis jetzt« (). Durch diesen an die christliche Gemeinde von Philippi gerichteten Gruß bringt Paulus zum Ausdruck, wie liebevoll er an jene denkt, die persönlich das Evangelium leben und sich für seine Weitergabe einsetzen, indem sie die Sorge um das innere Leben mit den Mühen der apostolischen Sendung verbinden.

In der Überlieferung der Kirche wird der hl. Paulus von jeher als Vater und Lehrer jener anerkannt, die, vom Herrn berufen, den Entschluß gefaßt haben, sich ihm und seinem Evangelium bedingungslos hinzugeben. Verschiedene Ordensinstitute sind nach dem hl. Paulus benannt und schöpfen aus ihm eine besondere charismatische Inspiration. Man kann sagen, daß er alle geweihten Männer und Frauen immer wieder offen und herzlich einlädt: »Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme« (
1Co 11,1). Was ist denn das geweihte Leben, wenn nicht eine radikale Nachahmung, eine vollkommene »Nachfolge« Jesu (vgl. Mt 19,27–28)? Nun, für all das stellt Paulus eine sichere pädagogische Vermittlung dar: Ihn in der Nachfolge Christi nachzuahmen, meine Lieben, ist der Königsweg, um bis ins letzte eurer Berufung zu einer besonderen Weihe in der Kirche zu entsprechen.

Mehr noch: Durch seine Worte können wir einen Lebensstil kennenlernen, der die Substanz des geweihten Lebens zum Ausdruck bringt, das an den evangelischen Räten der Armut, Keuschheit und des Gehorsams inspiriert ist. Im Leben der Armut sieht er die Gewährleistung einer vollkommen unentgeltlichen Verkündigung des Evangeliums (vgl. ). Gleichzeitig ist es Ausdruck konkreter Solidarität mit den notleidenden Brüdern. Wir alle kennen in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Paulus, durch die Arbeit seiner Hände für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, sowie seinen Einsatz für die Sammlung zugunsten der Armen von Jerusalem (vgl. 1Th 2,9 ). Paulus ist auch ein Apostel, der den Ruf Gottes zur Keuschheit angenommen und sein Herz ungeteilt dem Herrn geschenkt hat, um seinen Brüdern in noch größerer Freiheit und Hingabe dienen zu können (vgl. 1Co 7,7); außerdem bietet er in einer Welt, in der die Werte der christlichen Keuschheit kaum beheimatet waren (vgl. ), einen sicheren Bezugspunkt für den Lebenswandel. Was den Gehorsam betrifft, so genüge es, darauf hinzuweisen, daß die Erfüllung des Willens Gottes und »der tägliche Andrang und die Sorge für alle Gemeinden« (2Co 11,28) sein Leben beseelt, geformt und aufgezehrt, es zum Gott wohlgefälligen Opfer gemacht haben. Daher ist es ihm möglich zu sagen, was er an die Philipper schreibt: »Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn« (Ph 1,21).

Ein weiterer grundlegender Aspekt des geweihten Lebens des Paulus ist die Mission.

Er gehört ganz Jesus, um wie Jesus allen zu gehören – ja sogar, um allen Jesus zu sein: »Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten« (1Co 9,22). In ihm, der so eng mit der Person Christi verbunden ist, erkennen wir die tiefe Fähigkeit, geistliches Leben und missionarische Tätigkeit miteinander zu verbinden; in ihm stehen die beiden Dimensionen in einer gegenseitigen Beziehung. Und so kann man sagen, daß er zu jener Schar der »mystischen Baumeister« gehört, deren Leben gleichzeitig kontemplativ und aktiv ist, offen gegenüber Gott und gegenüber den Brüdern, um einen wirksamen Dienst am Evangelium zu leisten. Innerhalb dieser mystisch-apostolischen Spannung möchte ich den Opfermut des Apostels hervorheben, der schrecklichen Prüfungen gegenüberstand, bis hin zum Martyrium (vgl. ), das unerschütterliche Vertrauen, dessen Grundlage das Wort seines Herrn war: »Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit« (2Co 12,9). Seine geistliche Erfahrung erscheint uns so als gelebte Umsetzung des Ostergeheimnisses, das er tief erforscht und als Lebensform des Christen verkündet hat. Paulus lebt für, mit und in Christus. Er schreibt: »Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Ga 2,20). Weiter schreibt er: »Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn« (Ph 1,21).

Das erklärt, warum er nicht müde wird, uns zu ermahnen, dafür zu sorgen, daß das Wort Christi mit seinem ganzen Reichtum bei uns wohnt (vgl. Kol Col 3,16). Dies läßt an die Aufforderung denken, die die vor kurzem erschienene Instruktion Der Dienst der Autorität und der Gehorsam an euch richtet: »Darum sucht der Gläubige jeden Morgen den lebendigen und dauernden Kontakt mit dem Wort, das an diesem Tag verkündet wird, indem er es im Herzen betrachtet und als Schatz aufbewahrt, es zum Beweggrund all seines Tuns erhebt und zum maßgeblichen Faktor beim Treffen aller Entscheidungen macht« (Nr. 7). Ich wünsche daher, daß das Paulusjahr in euch noch stärker den Vorsatz nähren möge, das Zeugnis des hl. Paulus anzunehmen und täglich das Wort Gottes durch die treue Übung der »lectio divina« zu betrachten, und zu beten mit »Psalmen, Hymnen und Liedern, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade« (Col 3,16). Der hl. Paulus möge euch auch helfen, euren apostolischen Dienst in und mit der Kirche mit einem vorbehaltlosen Gemeinschaftssinn zu verwirklichen, indem ihr den anderen eure eigenen Geistesgaben darbringt (vgl. 1Co 14,12) und vor allem Zeugnis gebt von der größten Geistesgabe, der Liebe (vgl. 1Co 13).

Liebe Brüder und Schwestern, die heutige Liturgie lädt uns ein, auf die Jungfrau Maria zu schauen, die »Gottgeweihte« schlechthin. Paulus spricht von ihr mit kurzen, aber nachhaltigen Worten, die ihre Größe und ihre Aufgabe beschreiben: Sie ist die »Frau«, von der, als die Zeit erfüllt war, der Sohn Gottes geboren wurde (vgl. Ga 4,4). Maria ist die Mutter, die heute im Tempel den Sohn dem Vater darstellt und auch in dieser Handlung das »Ja« weiterführt, das sie im Augenblick der Verkündigung ausgesprochen hat. Möge sie auch die Mutter sein, die uns, die Kinder Gottes und ihre Kinder, bei der Erfüllung eines großherzigen Dienstes an Gott und an den Brüdern begleitet und stützt. Dazu erbitte ich ihre himmlische Fürsprache und erteile euch allen und euren jeweiligen Ordensfamilien von Herzen den Apostolischen Segen.



FEIER DER VESPER

AM FEST DER DARSTELLUNG DES HERRN -

TAG DES GEWEIHTEN LEBENS

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersdom

Dienstag, 2. Februar 2010


Liebe Brüder und Schwestern!

5 Am Fest der Darstellung Jesu im Tempel feiern wir ein Mysterium des Lebens Christi, das mit einer Vorschrift des mosaischen Gesetzes verbunden ist. Es schrieb den Eltern vor, vierzig Tage nach der Geburt des Erstgeborenen zum Tempel in Jerusalem hinaufzusteigen, um ihren Sohn dem Herrn darzubringen und die rituelle Reinigung der Mutter zu erlangen (vgl. ). Auch Maria und Joseph befolgen diesen Brauch, indem sie dem Gesetz entsprechend ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben opfern. Bei genauerer Betrachtung verstehen wir, daß in jenem Augenblick Gott selbst den Menschen durch die Worte des betagten Simeon und der Prophetin Hanna seinen eingeborenen Sohn offenbart. Denn Simeon verkündet Jesus als »Heil« der Menschheit, als »Licht« aller Völker und »Zeichen des Widerspruchs«, weil er die Gedanken der Herzen offenbaren wird (vgl. ). Im Osten wurde dieses Fest »Hypapante« genannt, Fest der »Begegnung«: denn Simeon und Hanna, die Jesus im Tempel begegnen und in ihm den sehnsüchtig erwarteten Messias erkennen, stellen die Menschheit dar, die in der Kirche ihrem Herrn begegnet. In der Folgezeit breitet sich dieses Fest auch im Westen aus und entwickelt dort vor allem die Lichtsymbolik und die Prozession mit den Kerzen, auf die die Bezeichnung »Mariä Lichtmeß« zurückgeht. Mit diesem sichtbaren Zeichen will man zum Ausdruck bringen, daß die Kirche im Glauben dem begegnet, der das »Licht der Menschen« ist und ihn mit dem ganzen Eifer ihres Glaubens aufnimmt, um dieses »Licht« in die Welt zu tragen.

Der ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II. wollte, daß ab 1997 an diesem liturgischen Fest in der ganzen Kirche ein besonderer Tag des geweihten Lebens gefeiert werden sollte. Denn die Aufopferung des Gottessohnes – symbolisiert in seiner Darstellung im Tempel – ist Vorbild für jeden Mann und jede Frau, die ihr Leben ganz dem Herrn weihen. Drei Ziele hat dieser Tag: vor allem den Herrn zu loben und ihm zu danken für das Geschenk des geweihten Lebens; zweitens dessen Kenntnis und Wertschätzung von seiten des ganzen Gottesvolkes zu fördern; schließlich alle, die ihr ganzes Leben dem Evangelium geweiht haben, einzuladen, die Wunder zu preisen, die der Herr in ihnen vollbracht hat. Ich danke euch, daß ihr an diesem Tag, der euch besonders geweiht ist, so zahlreich hier zusammengekommen seid, und ich möchte voll Zuneigung einen jeden von euch begrüßen: Ordensmänner, Ordensfrauen und geweihte Personen. Von Herzen bringe ich euch meine Nähe und meine aufrichtige Wertschätzung zum Ausdruck für das Gute, das ihr im Dienst des Gottesvolkes tut.

Die dem Hebräerbrief entnommene kurze Lesung, die eben verkündet worden ist, vereint gut die verschiedenen Motive, die am Ursprung dieses bedeutsamen und schönen Tages stehen, und bietet uns einige Anregungen zum Nachdenken. Dieser Text – es handelt sich nur um zwei Verse, die aber sehr reich an Bedeutung sind – eröffnet den zweiten Teil des Hebräerbriefs und führt das zentrale Thema »Christus, der Hohepriester« ein. Eigentlich müßte man auch den unmittelbar vorhergehenden Vers berücksichtigen, der lautet: »Da wir nun einen erhabenen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, laßt uns an dem Bekenntnis festhalten« (4,14). Dieser Vers zeigt Jesus, wie er zum Vater aufsteigt; der anschließende Vers zeigt dagegen, wie er zu den Menschen herabkommt. Christus wird als der Mittler offenbart: Er ist wahrer Gott und wahrer Mensch, deshalb gehört er wahrhaft zur göttlichen und zur menschlichen Welt.

Denn in der Tat hat gerade und nur von diesem Glauben – diesem Bekenntnis des Glaubens an Jesus Christus als einzigem und endgültigem Mittler – ausgehend, ein geweihtes Leben in der Kirche, ein durch Christus Gott geweihtes Leben einen Sinn. Es hat einen Sinn nur dann, wenn er wirklich Mittler ist zwischen Gott und uns, ansonsten wäre es nur eine Form der Sublimierung oder der Flucht. Wenn Christus nicht wirklich Gott und zugleich vollkommen Mensch wäre, würde das Fundament des christlichen Lebens als solches schwinden, aber insbesondere würde das Fundament jeglicher christlicher Weihe von Mann und Frau schwinden. Das geweihte Leben ist ein »starkes« Zeugnis und Ausdruck gerade dieses gegenseitigen Suchens von Gott und Mensch sowie der Liebe, die sie anzieht; die geweihte Person ist allein aus der Tatsache heraus, daß es sie gibt, wie eine »Brücke« zu Gott für alle, die ihr begegnen, wie ein Anruf, ein Verweis. Und all dies dank der Mittlerschaft Jesu Christi, dem vom Vater Gesalbten. Er ist das Fundament! Er, der unsere Schwäche geteilt hat, damit wir an seiner göttlichen Natur Anteil haben können.

Mehr als den Glauben unterstreicht unser Text das »Vertrauen«, mit dem wir zum »Thron der Gnade« hinzutreten können, weil unser Hoherpriester selbst »in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist«. Wir dürfen hinzutreten, um »Erbarmen und Gnade zu finden und so Hilfe zu erlangen zur rechten Zeit«. Mir scheint, diese Worte enthalten eine tiefe Wahrheit und zugleich auch großen Trost für uns, die wir das Geschenk und zugleich die Verpflichtungen einer besonderen Weihe in der Kirche empfangen haben. Ich denke vor allem an euch, liebe Brüder und Schwestern. Ihr seid voll Vertrauen zum »Thron der Gnade« hinzugetreten, der Christus ist, zu seinem Kreuz, zu seinem Herzen, zu seiner göttlichen Gegenwart in der Eucharistie. Jeder von euch hat sich ihm als der Quelle der reinen und treuen göttlichen Liebe genähert, einer so großen und schönen Liebe, daß sie alles verdient, ja mehr noch als alles, denn ein ganzes Leben reicht nicht aus, das zu vergelten, was Christus für uns ist und getan hat. Aber ihr habt euch ihm genähert, und jeden Tag tretet ihr zu ihm, auch um Hilfe zu erlangen zur rechten Zeit und in der Stunde der Prüfung.

Die geweihten Personen sind besonders gerufen, Zeugen dieser Barmherzigkeit des Herrn zu sein, in der der Mensch sein Heil findet. In ihnen ist die Erfahrung der Vergebung Gottes lebendig, denn sie sind sich bewußt, daß sie »Gerettete« sind, daß sie groß sind, wenn sie ihr Kleinsein bekennen, daß sie sich erneuert und in die Heiligkeit Gottes gehüllt fühlen, wenn sie ihre Sünden bekennen. Auch für den Menschen von heute bleibt deshalb das geweihte Leben eine bevorzugte Schule der »Reue des Herzens«, des demütigen Anerkennens der eigenen Schwäche, aber zugleich bleibt es eine Schule des Vertrauens in die Barmherzigkeit Gottes, in seine Liebe, die uns nie im Stich läßt. Denn je mehr man sich Gott nähert, je näher man ihm ist, desto mehr kann man den anderen nützlich sein. Die geweihten Personen machen die Erfahrung der Gnade, der Barmherzigkeit und der Vergebung Gottes nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Brüder und Schwestern, denn sie sind berufen, in ihrem Herzen und ihrem Gebet die Ängste und Erwartungen der Menschen zu tragen, besonders derjenigen, die weit von Gott entfernt sind. Insbesondere die in Klausur lebenden Gemeinschaften mit ihrer speziellen Verpflichtung der Treue des »beim Herrn Bleibens« und »des Ausharrens unter dem Kreuz«, üben oftmals – vereint mit dem leidenden Christus – diese stellvertretende Rolle aus, indem sie die Leiden und Prüfungen der anderen auf sich nehmen und alles freudig für das Heil der Welt aufopfern.

Schließlich, liebe Freunde, wollen wir dem Herrn Lob und Dank sagen für das geweihte Leben. Um wieviel ärmer wäre die Welt, wenn es das geweihte Leben nicht gäbe! Jenseits von oberflächlichen Nützlichkeitserwägungen ist das geweihte Leben gerade deshalb wichtig, weil es Zeichen der Unentgeltlichkeit und der Liebe ist, und das um so mehr in einer Gesellschaft, die Gefahr läuft, im Strudel des Vergänglichen und des Nützlichen zu ersticken (vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Vita consecrata
VC 105). Das geweihte Leben dagegen bezeugt die Überfülle der Liebe, die dazu drängt, das eigene Leben zu »verlieren« als Antwort auf die Überfülle der Liebe des Herrn, der als erster sein Leben für uns »verloren« hat. In diesem Augenblick denke ich an die geweihten Personen, die die Last des mühevollen und an menschlichen Befriedigungen armen Alltags spüren, ich denke an die betagten und kranken Ordensmänner und Ordensfrauen, an alle, die sich in ihrem Apostolat in Schwierigkeiten befinden… Niemand ist nutzlos, weil der Herr sie teilhaben läßt am »Thron der Gnade«. Vielmehr sind sie ein wertvolles Geschenk für die Kirche und die Welt, die nach Gott und seinem Wort dürstet.

Voll Vertrauen und Dankbarkeit wollen auch wir die Geste unserer Ganzhingabe erneuern durch die Darstellung im Tempel. Das Priester-Jahr möge für die Ordenspriester eine weitere Gelegenheit sein, ihren Weg der Heiligung zu vertiefen, und für alle gottgeweihten Frauen und Männer, ein Impuls, den Dienst der Priester mit unermüdlichem Gebet zu begleiten und zu unterstützen. Dieses Gnadenjahr wird im kommenden Juni bei der internationalen Begegnung der Priester in Rom einen Höhepunkt erreichen, zu dem ich alle einlade, die den heiligen Dienst ausüben. Wir treten hinzu zum dreimal heiligen Gott, um unser Leben und unsere persönliche und gemeinschaftliche Sendung aufzuopfern als Männer und Frauen, die dem Reich Gottes geweiht sind. Wir vollziehen diese innerliche Geste in tiefer geistiger Gemeinschaft mit der Jungfrau Maria: Während wir sie betrachten, wie sie das Jesuskind im Tempel darbringt, verehren wir sie als erste und vollkommene Gottgeweihte, die selbst von Gott, den sie in ihren Armen trägt, getragen wird; als arme und gehorsame Jungfrau, die sich ganz uns widmet, weil sie ganz Gott gehört. Sie nachahmend und mit ihrer mütterlichen Hilfe wollen wir unser »adsum – hier bin ich« und unser »fiat« erneuern. Amen.






BOTSCHAFT 2006-2010