ANSPRACHE 2010 121
121 Mit diesen Betrachtungen danke ich Euch herzlich für Eure Gastfreundschaft in den vergangenen vier Tagen. Euch alle und die Menschen, denen Ihr dient, empfehle ich der Fürsprache der heiligen Andreas, David und Georg und erteile Euch, dem Klerus, den Ordensleuten und den Gläubigen in England, Schottland und Wales gerne meinen Apostolischen Segen.
Internationaler Flughafen Birmingham
Herr Premierminister!
Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Abschiedsworte im Namen der Regierung Ihrer Majestät und der Menschen des Vereinigten Königreiches. Ich bin sehr dankbar, für die intensive Arbeit der Vorbereitung seitens der jetzigen und der Vorgängerregierung, des öffentlichen Dienstes, der lokalen Autoritäten und der Polizei, sowie der vielen Freiwilligen, die geduldig halfen, die Veranstaltungen dieser vier Tage zu planen. Ich danke Ihnen für Ihren herzlichen Empfang und für die Gastfreundschaft, die ich genießen durfte.
Während meines Aufenthalts bei Ihnen konnte ich mit Vertretern vieler Gemeinschaften, Kulturen, Sprachen und Religionen der britischen Gesellschaft zusammentreffen. Die große Vielfalt des modernen Großbritanniens ist eine Herausforderung für die Regierung und für das Volk, aber sie bietet auch eine gute Möglichkeit für einen weiteren interkulturellen und interreligiösen Dialog zur Bereicherung der ganzen Gemeinschaft.
Dankbar habe ich in diesen Tagen die Gelegenheit wahrgenommen, mit Ihrer Majestät, der Königin, wie auch mit Ihnen und anderen politischen Führern zusammenzutreffen, um Angelegenheiten von allgemeinem Interesse für das In- und Ausland zu besprechen. Ich fühlte mich besonders durch die Einladung geehrt, vor beiden Häusern des Parlaments im historischen Rahmen von Westminster zu sprechen. Ich hoffe aufrichtig, daß diese Gelegenheiten dazu beitragen, die ausgezeichneten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Vereinigten Königreich weiter zu festigen und zu vertiefen, besonders in der Zusammenarbeit für internationale Entwicklung, in der Sorge für die Umwelt und beim Aufbau einer bürgerlichen Gesellschaft mit einem erneuerten Sinn für gemeinsame Werte und Zielsetzungen.
Es war mir auch eine große Freude, Seine Gnaden, den Erzbischof von Canterbury, und die Bischöfen der Church of England zu besuchen und später mit ihnen und weiteren Mitchristen in der sinnträchtigen Atmosphäre von Westminster Abbey zu beten, einem Ort, der so beredt über unsere gemeinsame Tradition und Kultur Zeugnis gibt. Da Großbritannien Heimat für viele religiöse Traditionen ist, war ich dankbar für die Gelegenheit, deren Vertretern zu begegnen und mit ihnen Gedanken über den Beitrag, den die Religionen für die Entwicklung einer gesunden pluralistischen Gesellschaft leisten können, auszutauschen.
Mein Besuch galt natürlich vor allem den Katholiken im Vereinigten Königreich. Ich bin dankbar für die Momente der Begegnung mit den Bischöfen, dem Klerus, den Ordensleuten und Laien, sowie mit Lehrern, Schülern und älteren Menschen. Besonders bewegend war hier in Birmingham die gemeinsame Feier der Seligsprechung eines großen Sohnes von England, des Kardinals John Henry Newman. Mit seinem großen Vermächtnis an wissenschaftlichen und spirituellen Schriften hat er uns, dessen bin ich gewiß, immer noch viel über das christliche Leben und das Glaubenszeugnis angesichts der Herausforderungen der Welt von heute zu sagen - Herausforderungen, die er mit so bemerkenswerter Klarheit voraussah.
Wenn ich nun von Ihnen Abschied nehme, möchte ich Sie aufs neue meiner guten Wünsche und meines Gebetes für den Frieden und das Wohlergehen Großbritanniens versichern. Vielen Dank! Gott segne Sie alle!
Oktober 2010
Aula Paolo VI
122 Verehrte Mitbrüder,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Brüder und Schwestern!
Zunächst gilt mein aufrichtiger Dank dem italienischen Erdöl- und Energiekonzern ENI, vertreten in der Person seines Präsidenten, Prof. Roberto Poli, der freundlicherweise in diesen Abend eingeführt hat. Schon seit einiger Zeit hatte ENI angeboten, ein Konzert zum Abschluß der Restaurierungsarbeiten an den Seitenfassaden des Petersdoms zu organisieren. Nach dem Abschluß der denkwürdigen Säuberung der Hauptfassade, die im Jubiläumsjahr 2000 von Millionen Pilgern bewundert wurde, ist nun dieses weitere, große Werk in vollem Gange: Betritt man den Vatikan durch den Arco delle Campane oder den Arco Petriano, ist man beim Blick auf den bereits fertiggestellten Teil beeindruckt vom Aussehen des Travertins, der so erscheint, wie wir ihn noch nie gesehen haben, fast weich und samtig. Auch dies ist eine große »orchestrale Arbeit «, und all jene, die sie leiten und die sie mit Meisterschaft und Mühe durchführen, verdienen einen Applaus!
Und so kam ENI der Gedanke an ein Konzert - vielleicht auch als Ausgleich für den unvermeidlichen Lärm, den diese Arbeiten verursachen! Dafür wurden das Orchester und der Chor der »Accademia Nazionale di Santa Cecilia« engagiert, das heißt zwei Institutionen, die aufgrund ihrer Geschichte, ihrer künstlerischen Qualität und ihres typisch »italienischen« Klanges Rom und Italien im internationalen Musikpanorama repräsentieren. Allen Orchestermusikern und Chorsängern möchte ich meinen Glückwunsch aussprechen in der Hoffnung, daß sie sich immer im Geiste erneuern können, um - wie an diesem Abend - unsterblichen Werken Leben zu verleihen. Meine hohe Wertschätzung gilt insbesondere dem Dirigenten Neeme Järvi, dem Pianisten Andrea Lucchesini und dem Chorleiter Ciro Visco. Einen besonderen Gruß richte ich an die Gruppe von Armen, die von der diözesanen Caritas betreut werden und die ich einladen wollte, um mit uns diesen freudigen Moment zu erleben.
Und nun ein paar Gedanken zur Musik, die wir gehört haben: eine Sinfonie von Haydn, die zu den »Londoner Sinfonien« gehört und wegen des charakteristischen Einsatzes der Pauke im zweiten Satz auch »Sinfonie mit dem Paukenschlag « oder »The surprise« [Die Überraschung] genannt wird; die Chorfantasie von Beethoven, eine für das Beethovensche Oeuvre eher untypische Musikgattung, die aber zusammenfassend die Ausdrucksmöglichkeiten der solistischen, orchestralen und chorischen Musik zeigt; und dazwischen Cecilia, Vergine romana von Arvo Pärt. Die beiden Werke von Haydn und Beethoven haben den ganzen Reichtum und die Kraft der sinfonischen Musik aus der Zeit der Klassik und Romantik erklingen lassen: in ihr wetteifert das Genie des menschlichen Geistes mit der Kreativität der Natur, erschafft verschiedene und vielgestaltige Harmonien, und auch die menschliche Stimme hat teil an dieser Sprache, die gleichsam ein Widerschein der großen kosmischen Sinfonie ist. Diese Form ist vor allem charakteristisch für die Zeit der Romantik und der Spätromantik, aber sie geht darüber hinaus und stellt eine universale Dimension der Kunst dar, eine Art und Weise den Menschen und seinen Platz in der Welt zu verstehen.
Das Werk von Pärt dagegen möchte - auch wenn es sich ähnlicher Mittel bedient: eines Sinfonieorchesters und eines Chores - einer anderen Wirklichkeit Ausdruck verleihen, die nicht zur natürlichen Welt gehört: es verleiht dem Zeugnis des Glaubens an Christus Stimme, das in einem Wort »Martyrium« heißt. Interessanterweise wird dieses Zeugnis gerade von der hl. Cäcilie verkörpert: eine Märtyrerin, die auch die Patronin der Musik und des Gesangs ist.
Man sollte auch jene beglückwünschen, die das Konzertprogramm geplant haben, denn die Zusammenstellung dieses Werkes über die hl. Cäcilia mit den Werken von Haydn und Beethoven bietet einen bedeutungsreichen Kontrast, der zum Nachdenken einlädt. Der Text des Martyriums der Heiligen und der besondere Stil seiner musikalischen Interpretation scheinen den Ort und die Aufgabe des Glaubens im Universum darzustellen: mitten in den Lebenskräften der Natur, die den Menschen umgeben und auch in ihm selbst sind, ist der Glaube eine andere Kraft, die auf ein tiefes Wort antwortet, »das aus dem Schweigen hervorgegangen« ist, wie der hl. Ignatius von Antiochien sagen würde. Das Wort des Glaubens braucht ein tiefes inneres Schweigen, um auf eine Stimme, die über das Sichtbare und Berührbare hinausgeht, zu hören und ihr zu gehorchen. Diese Stimme spricht auch durch die Naturphänomene, weil sie die Kraft ist, die das Universum geschaffen hat und es lenkt; um sie aber zu erkennen, ist ein demütiges und gehorsames Herz notwendig - wie es uns auch die Heilige lehrt, derer wir heute gedenken: die hl. Theresia vom Kinde Jesu. Der Glaube folgt dieser tief inneren Stimme dorthin, wo die Kunst allein nicht gelangen kann: er folgt ihr auf dem Weg des Zeugnisses, der Selbsthingabe aus Liebe, wie es Cäcilia getan hat. Dann ist das schönste Kunstwerk, das Meisterwerk des Menschen jeder Akt echter Liebe, vom kleinsten - im alltäglichen Martyrium - bis hin zum äußersten Opfer. Hier wird das Leben selbst Gesang: eine Vorwegnahme jener Sinfonie, die wir gemeinsam im Himmel singen werden. Nochmals danke ich Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Abend.
Kathedrale von Palermo
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Verehrte Brüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern!
Im Rahmen meines Pastoralbesuchs in eurer Region durfte die Begegnung mit euch nicht fehlen. Danke für den herzlichen Empfang! Sehr gefallen hat mir in den Worten des Erzbischofs die Nebeneinanderstellung der Schönheit der Kathedrale und der des Hauses aus »lebendigen Steinen«, das ihr seid. Ja, in diesem kurzen, aber intensiven Augenblick mit euch kann ich das Antlitz der Kirche in der Vielfalt ihrer Gaben bewundern. Und als Nachfolger Petri habe ich die Freude, euch im einen Glauben und in der tiefen Gemeinschaft zu stärken, die der Herr Jesus Christus uns erworben hat. Ich danke Herrn Erzbischof Paolo Romeo sowie dem Weihbischof. Euch, liebe Priester dieser Erzdiözese und aller Diözesen von Sizilien, euch, liebe Diakone und Seminaristen, und euch, den Ordensmännern und Ordensfrauen sowie den gottgeweihten Laien, gilt mein herzlicher Gruß, in den ich alle Mitbrüder und Mitschwestern auf Sizilien einschließen möchte, besonders die kranken oder alten Menschen.
Die eucharistische Anbetung, an der wir die Gnade und die Freude hatten, gemeinsam teilzunehmen, hat uns den tiefen Sinn dessen offenbart und spüren lassen, was wir sind: Glieder des Leibes Christi, der Kirche. Als ich vor Jesus kniete, hier mitten unter euch, habe ich ihn gebeten, eure Herzen mit seiner Liebe zu entflammen, damit ihr ihm gleichgestaltet werdet und ihn nachahmen könnt in völliger und großherziger Hingabe an die Kirche und an die Brüder.
Liebe Priester, zunächst möchte ich mich an euch wenden. Ich weiß, daß ihr mit Eifer und Intelligenz arbeitet, ohne eure Kräfte zu schonen. Jesus, der Herr, dem ihr das Leben geweiht habt, ist bei euch! Seid stets Männer des Gebets, um auch Lehrmeister des Gebets zu sein. Euer Tagesablauf soll von den Gebetszeiten geprägt sein, in denen ihr nach dem Vorbild Jesu im Gespräch mit dem Vater steht, das euch neu belebt. Es ist nicht einfach, diesen täglichen Begegnungen mit dem Herrn immer treu zu bleiben, vor allem heute, da der Lebensrhythmus frenetisch geworden ist und die Arbeit uns immer mehr vereinnahmt. Wir müssen jedoch überzeugt sein, daß der Augenblick des Gebets grundlegend ist: Im Gebet wirkt die göttliche Gnade nachhaltiger und verleiht dem Dienst Fruchtbarkeit. Viele Dinge müssen dringend erledigt werden, aber wenn wir nicht innerlich in Gemeinschaft mit Gott stehen, können wir auch den anderen nichts geben. Wir müssen uns stets die notwendige Zeit vorbehalten, um »bei ihm zu sein« (vgl. Mk Mc 3,14).
Das Zweite Vatikanische Konzil sagt in bezug auf die Priester: »Am meisten üben sie ihr heiliges Amt in der eucharistischen Feier oder Versammlung aus« (Dogmatische Konstitution Lumen gentium LG 28). Die Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens. Liebe Brüder im Priesteramt, können wir sagen, daß sie es auch für uns ist, für unser priesterliches Leben? Wieviel Sorgfalt verwenden wir darauf, uns auf die heilige Messe vorzubereiten, sie zu feiern, in der Anbetung zu verharren? Sind unsere Kirchen wirklich das »Haus Gottes«, in das seine Anwesenheit die Menschen zieht, die heute leider oft die Abwesenheit Gottes spüren?
Der Priester findet die Quelle seiner Identität immer und unabänderlich in Christus, dem Priester. Es ist nicht die Welt, die unseren Status bestimmt, je nach Bedarf und nach dem Verständnis der Rolle innerhalb der Gesellschaft. Der Priester ist mit dem Siegel des Priestertums Christi gezeichnet, um an seiner Funktion als einziger Mittler und Erlöser teilzuhaben. Kraft dieser grundlegenden Bindung öffnet sich dem Priester das weite Feld des Dienstes an den Seelen, für ihr Heil in Christus und in der Kirche. Dieser Dienst muß völlig von der Liebe Christi inspiriert sein. Gott will, daß alle Menschen gerettet werden, daß niemand verlorengeht. Der heilige Pfarrer von Ars sagte: »Der Priester muß stets bereit sein, auf die Not der Seelen zu antworten. Er ist nicht für sich selbst da, sondern für euch.« Der Priester ist für die Gläubigen da: Er beseelt sie und unterstützt sie bei der Ausübung des gemeinsamen Priestertums aller Getauften, auf ihrem Weg des Glaubens, in der Pflege der Hoffnung, beim Leben der Liebe Christi. Liebe Priester, richtet eure Aufmerksamkeit auch immer besonders auf die Welt der Jugend. Wie der Ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II. hier auf Erden sagte, reißt die Tore eurer Pfarreien für die Jugendlichen weit auf, damit sie die Tore ihres Herzens für Christus öffnen können! Niemals sollen sie sie verschlossen finden!
Dem Priester dürfen die täglichen Sorgen des Gottesvolkes nicht fremd sein; er muß im Gegenteil sehr nahe sein, aber als Priester, immer unter dem Gesichtspunkt des Heils und des Reiches Gottes. Er ist Zeuge und Ausspender eines anderen als des irdischen Lebens (vgl. Dekret Presbyterorum ordinis PO 3). Er ist Träger einer starken Hoffnung, einer »verläßlichen Hoffnung«, der Hoffnung Christi, von der her wir unsere Gegenwart bewältigen können, auch wenn sie oft mühsam ist (vgl. Enzyklika Spe salvi ). Es ist wesentlich für die Kirche, daß die Identität des Priesters mit ihrer »vertikalen« Dimension gewahrt wird.
Das Leben und die Persönlichkeit des hl. Johannes Maria Vianney, aber auch vieler Heiliger eurer Region, wie des hl. Annibale Maria di Francia, des sel. Giacomo Cusmano oder des sel. Francesco Spoto sind dafür ein besonders leuchtender und kraftvoller Beweis. Die Kirche von Palermo hat kürzlich des Jahrestages der grausamen Ermordung von Don Giuseppe Puglisi gedacht, der diesem Presbyterium angehörte und der von der Mafia umgebracht wurde. Sein Herz war von echter Hirtenliebe entflammt; in seinem eifrigen Dienst gab er der Erziehung der Kinder und Jugendlichen großen Raum und setzte sich gleichzeitig dafür ein, daß jede christliche Familie ihre grundlegende Berufung als erste Erzieherin der Kinder zum Glauben lebt. Das seiner Hirtensorge anvertraute Volk konnte aus dem geistlichen Reichtum dieses guten Hirten schöpfen, dessen Seligsprechungsprozeß im Gange ist. Ich ermahne euch, die Erinnerung an sein fruchtbares priesterliches Zeugnis durch die Nachahmung seines heroischen Vorbilds lebendig zu erhalten.
124 Mit großer Zuneigung wende ich mich auch an euch, die ihr in unterschiedlicher Form und verschiedenen Instituten die Weihe an Gott in Christus und in der Kirche lebt. Ein besonderer Gruß gilt den in Klausur lebenden Mönchen und Nonnen, deren Dienst des Gebets für die kirchliche Gemeinschaft so wertvoll ist. Liebe Brüder und Schwestern, folgt Christus auch weiterhin kompromißlos nach, wie das Evangelium es vorgibt, und legt auf diese Weise Zeugnis ab von der Schönheit, das Christ-Sein radikal zu leben. Es ist ganz besonders eure Aufgabe, in den Getauften das Bewußtsein um die grundlegenden Anforderungen des Evangeliums lebendig zu erhalten. Eure Anwesenheit und euer Stil geben der kirchlichen Gemeinschaft in der Tat einen wertvollen Impuls auf das »hohe Maß« der christlichen Berufung hin; man könnte sogar sagen, daß eure Existenz gleichsam eine sehr beredte, wenn auch oft stille Verkündigung ist. Meine Lieben, eure Lebensform ist alt und immer wieder neu, trotz des Rückgangs der Zahlen und der Kräfte. Aber habt Vertrauen: Unsere Zeiten sind nicht die Zeiten Gottes und seiner Vorsehung. Es ist notwendig zu beten und in der persönlichen und gemeinschaftlichen Heiligkeit zu wachsen. Der Herr wird Sorge tragen!
Besonders herzlich grüße ich euch, liebe Seminaristen, und ermahne euch, auf den Ruf des Herrn und die Erwartungen des Gottesvolkes großherzig zu antworten, indem ihr in der Identifizierung mit Christus, dem Hohenpriester, wachst und euch durch eine solide menschliche, geistliche, theologische und kulturelle Ausbildung auf die Sendung vorbereitet. Das Seminar ist äußerst wertvoll für eure Zukunft, denn es läßt euch durch ganzheitliche Erfahrung und geduldige Arbeit zu Seelenhirten und Glaubenslehrern, Verwaltern der heiligen Geheimnisse und Vermittlern der Liebe Christi werden. Lebt diese Zeit der Gnade mit großem Bemühen und bewahrt im Herzen die Freude und den Elan des ersten Augenblicks der Berufung und eures »Ja«, als ihr auf die geheimnisvolle Stimme Christi geantwortet und eurem Leben eine entscheidende Wendung gegeben habt. Seid fügsam gegenüber den Weisungen der Oberen und derer, die für euer Wachstum in Christus verantwortlich sind, und lernt von ihm die Liebe zu jedem Kind Gottes und der Kirche.
Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch noch einmal für eure Zuneigung und versichere euch meines Gebetsgedenkens, damit ihr mit erneuertem Elan und mit starker Hoffnung den Weg der Treue zu Christus und des großherzigen Dienstes an der Kirche fortsetzt. Die Jungfrau Maria, unsere Mutter, möge euch stets beistehen; die hl. Rosalia und alle Schutzheiligen der Region Sizilien mögen euch schützen; und es begleite euch auch der Apostolische Segen, den ich euch und euren Gemeinschaften von Herzen erteile.
Piazza Politeama, Palermo
Liebe Jugendliche und liebe Familien Siziliens!
Ich begrüße euch mit großer Zuneigung und großer Freude! Danke für eure Freude und für euren Glauben! Diese Begegnung mit euch ist die letzte Station meines heutigen Besuchs in Palermo, aber in gewisser Hinsicht ist es die zentrale Begegnung; denn dies war der Anlaß für meine Einladung: eurer Regionaltreffen der Jugendlichen und Familien. Deshalb möchte ich heute an diesem Punkt beginnen, bei diesem Ereignis; und ich tue dies zunächst, indem ich dem Bischof von Caltanissetta und Delegaten für die Jugend- und Familienpastoral auf Regionalebene, Mario Russotto, danke, sowie den beiden Jugendlichen Giorgia und David. Eure Worte, liebe Freunde, waren mehr als nur eine Begrüßung: ihr habt euren Glauben und eure Hoffnung mit uns geteilt. Ich danke euch von Herzen. Überall, wo der Bischof von Rom hingeht, tut er das mit dem Ziel, die Christen im Glauben zu stärken, aber auch er kehrt nach Hause zurück gestärkt von eurem Glauben, eurer Freude, eurer Hoffnung!
Jugendliche und Familien also: Wir müssen dieses Miteinander ernst nehmen, dieses Zusammensein, das nicht nur zufällig oder zweckmäßig sein darf. Es hat einen Sinn, einen Wert, der zugleich menschlich, christlich und kirchlich ist. Ich möchte aber nicht mit Überlegungen beginnen, sondern mit einem Zeugnis, mit einer erlebten und sehr aktuellen Lebensgeschichte. Ich denke, daß ihr alle wißt, daß am vergangenen Samstag, dem 25. September, in Rom ein italienisches Mädchen mit dem Namen Chiara seliggesprochen wurde: Chiara Badano. Ich lade euch ein, sie kennenzulernen. Ihr Leben war kurz, aber es enthält eine wunderbare Botschaft. Chiara wurde 1971 geboren und ist 1990 an einer unheilbaren Krankheit gestorben. Neunzehn Jahre voller Leben, Liebe und Glauben. Die beiden letzten Jahre waren auch voller Schmerzen, aber immer erfüllt von Liebe und Licht, von einem Licht, das sie um sich verbreitete und das von innen kam: aus ihrem ganz von Gott erfüllten Herzen! Wie ist das möglich? Wie kann ein Mädchen von 17, 18 Jahren ein Leiden so leben, menschlich gesehen ohne Hoffnung, aber dabei Liebe, Zuversicht, Freude, Frieden und Glauben ausstrahlen? Offensichtlich handelt es sich um eine Gnade Gottes, aber diese Gnade wurde auch von der Mitwirkung der Menschen vorbereitet und begleitet: sicherlich durch das Mitwirken Chiaras selbst, aber auch ihrer Eltern und ihrer Freunde.
Vor allem die Eltern, die Familie. Heute möchte ich dies besonders unterstreichen. Die Eltern der sel. Chiara Badano leben noch, sie sind zur Seligsprechung nach Rom gekommen - ich habe sie persönlich getroffen -, und sie sind Zeugen der grundlegenden Tatsache, die alles erklärt: ihre Tochter war erfüllt vom Licht Gottes! Und dieses Licht, das aus dem Glauben und der Liebe kommt, haben sie selbst als erste entzündet: Vater und Mutter haben in der Seele ihrer Tochter die kleine Flamme des Glaubens entfacht und Chiara geholfen, sie immer brennen zu lassen, auch in den schwierigen Momenten des Reifens und vor allem in der großen und langen Prüfung des Leidens, wie es auch bei der ehrwürdigen Dienerin Gottes Maria Carmelina Leone der Fall war, die mit 17 Jahren gestorben ist. Das, liebe Freunde, ist die erste Botschaft, die ich euch mitgeben möchte: Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist, wie ihr wißt, von grundlegender Bedeutung; aber nicht nur aufgrund einer richtigen Tradition - ich weiß, daß sie von den Sizilianern sehr stark empfunden wird. Sie ist noch mehr, etwas, das Jesus selbst uns gelehrt hat: Es ist die Fackel des Glaubens, die von Generation zu Generation weitergegeben wird; jene Flamme, die auch im Taufritus vorkommt, wenn der Priester sagt: »Empfangt das Licht Christi … österliches Zeichen … Flamme, die ihr immer nähren sollt.«
Die Familie ist von grundlegender Bedeutung, weil dort in der menschlichen Seele die erste Wahrnehmung des Lebenssinnes keimt. Sie entwickelt sich in der Beziehung zur Mutter und zum Vater, die nicht Eigentümer des Lebens ihrer Kinder sind, sondern die ersten Mitarbeiter Gottes in der Weitergabe des Lebens und des Glaubens. So geschah es in vorbildlicher und außerordentlicher Weise in der Familie der sel. Chiara Badano; aber das geschieht in sehr vielen Familien. Auch in Sizilien gibt es leuchtende Zeugnisse junger Menschen, die wie schöne, blühende Pflanzen gewachsen sind, nachdem der Keim in der Familie gelegt worden war, mit der Gnade des Herrn und der Mitwirkung des Menschen. Ich denke an die sel. Pina Suriano, die ehrwürdigen Dienerinnen Gottes Carmelina Leone und Maria Magro, eine große Erzieherin; an die Diener Gottes Rosario Livatino, Mario Giuseppe Restivo und an so viele Jugendliche, die ihr kennt! Oft redet niemand über das Gute, das sie tun, weil das Böse größeren Lärm macht, aber sie sind die Kraft, die Zukunft Siziliens! Das Bild des Baumes hat eine tiefe Bedeutung, um den Menschen zu beschreiben. Die Bibel verwendet es zum Beispiel in den Psalmen. Im ersten Psalm heißt es: Wohl dem Mann, der über die Weisung des Herrn nachsinnt, »er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt« (V. 3). Diese »Wasserbäche« können der »Strom« der Tradition sein, der »Strom« des Glaubens, aus dem man Lebenskraft schöpft. Liebe Jugendliche Siziliens, seid Bäume, die ihre Wurzeln in den »Strom« des Guten einsenken! Habt keine Angst, dem Bösen entgegenzutreten! Gemeinsam werdet ihr wie ein Wald sein, der wächst, vielleicht in der Stille, aber fähig, Frucht zu tragen, Leben zu geben und euer Land in der Tiefe zu erneuern! Beugt euch nicht den Suggestionen der Mafia, die ein Weg des Todes ist, unvereinbar mit dem Evangelium, wie unsere Bischöfe es euch oft gesagt haben und sagen!
125 Der Apostel Paulus greift das Bild im Kolosserbrief auf, wo er die Christen ermahnt in Christus verwurzelt, auf ihn gegründet zu sein und am Glauben festzuhalten (vgl. Kol Col 2,7). Ihr Jugendlichen wißt, daß diese Worte das Thema meiner Botschaft für den Weltjugendtag im nächsten Jahr in Madrid sind. Das Bild des Baumes bringt zum Ausdruck, daß jeder von uns einen fruchtbaren Boden braucht, in den er die eigenen Wurzeln einsenken kann, einen Boden reich an Nährstoffen, die die Person wachsen lassen: Das sind die Werte, vor allem aber Liebe und Glaube, die Kenntnis des wahren Antlitzes Gottes, das Bewußtsein, daß er uns unendlich liebt, treu und geduldig, bis zur Hingabe seines Lebens für uns. In diesem Sinn ist die Kirche eine »Kirche im Kleinen «, weil sie Gott vermittelt, die Liebe Christi vermittelt in der Kraft des Ehesakraments. Die göttliche Liebe, die Mann und Frau vereint und zu Eltern gemacht hat, hat die Macht, im Herzen der Kinder den Keim des Glaubens wachsen zu lassen, das heißt das Licht des tiefen Sinnes des Lebens.
Und hier sind wir an einem weiteren wichtigen Schritt angelangt, den ich nur kurz andeuten kann: Um eine »kleine Kirche« zu sein, muß die Familie gut eingefügt in die »große Kirche« leben, die Christus durch sein Kommen bilden wollte. Auch davon gibt die sel. Chiara Badano Zeugnis wie alle jungen Seligen und Heiligen: zusammen mit der Familie, aus der sie stammen, ist die große Familie der Kirche wichtig, die man in der Pfarrei, in der Diözese trifft und erlebt; für die sel. Pina Suriano war es die Katholische Aktion - die in dieser Region weit verbreitet ist -, für die sel. Chiara Badano war es die Fokolarbewegung; denn auch die kirchlichen Bewegungen und Vereinigungen dienen nicht sich selbst, sondern Christus und der Kirche.
Liebe Freunde! Ich kenne eure Schwierigkeiten im gegenwärtigen sozialen Umfeld. Es sind die Schwierigkeiten der Jugendlichen und Familien von heute, insbesondere im Süden Italiens. Und ich kenne auch den Einsatz, mit dem ihr auf diese Probleme reagiert und sie angeht, mit der Unterstützung euer Priester, die für euch echte Väter und Brüder im Glauben sind, wie es Don Pino Pugliesi war. Ich danke Gott, daß ich mit euch zusammentreffen durfte, weil es dort, wo es Jugendliche und Familien gibt, die den Weg des Evangeliums wählen, immer Hoffnung gibt. Und ihr seid ein Zeichen der Hoffnung nicht nur für Sizilien, sondern für ganz Italien. Ich habe euch ein Zeugnis der Heiligkeit mitgebracht, und ihr schenkt mir euer Zeugnis: die Gesichter so vieler Jugendlicher aus dieser Region, die Christus mit der Radikalität des Evangeliums geliebt haben; und eure eigenen Gesichter, wie ein Mosaik! Das ist das größte Geschenk, das wir erhalten haben: Kirche zu sein, in Christus Zeichen und Werkzeug der Einheit, des Friedens, der wahren Freiheit zu sein. Niemand kann uns diese Freude nehmen! Niemand kann uns diese Stärke nehmen!
Habt Mut, liebe Jugendliche und Familien Siziliens! Seid heilig! Stellt euch in der Schule Mariens, unserer Mutter, ganz Gott zur Verfügung, laßt euch von seinem Wort und seinem Geist formen, und ihr werdet abermals und immer mehr Salz und Licht dieser eurer geliebten Heimat sein. Danke!
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!
Mit großer Freude heiße ich euch, die Bischöfe der Regionen Nord 1 und Nordwesten der Nationalen Bischofskonferenz Brasiliens, anläßlich eures Besuchs »ad limina Apostolorum« willkommen. Ich danke Bischof Moacyr Grechí für die herzlichen Worte und Empfindungen, die er mir gegenüber in eurem Namen zum Ausdruck gebracht hat, und gleichzeitig sichere ich euch zu, daß ich euch jeden Tag in meinen Gebeten gegenwärtig habe, wenn ich den Himmel darum bitte, die Anstrengungen zu unterstützen und fruchtbar zu machen, die ihr - sehr oft ohne angemessene Mittel - unternehmt, um die Frohe Botschaft Jesu in alle Winkel des Amazonas-Urwaldes zu bringen. Dabei seid ihr vom Bewußtsein erfüllt, daß Gott »will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen« (1Tm 2,4).
Gott kann diese Rettung auf ungewöhnlichen Wegen vollbringen, die er allein kennt. Wenn jedoch sein Sohn gekommen ist, geschah das gerade deshalb, um uns durch sein Wort und sein Leben die gewöhnlichen Heilswege zu offenbaren; und er hat uns dann ausgesandt, um mit seiner Vollmacht diese Offenbarung an die anderen weiterzugeben. Wenn dem so ist, können wir uns der folgenden Überlegung nicht entziehen: Die Menschen werden sich dank der Barmherzigkeit Gottes auf anderen Wegen retten können, wenn wir ihnen nicht das Evangelium verkündigen; aber werde ich mich retten können, wenn ich aus Nachlässigkeit, Angst und Scham oder um falschen Ideen zu folgen, aufgehört habe, es zu verkündigen?
Manchmal stoßen wir auf den folgenden Einwand: Das Auferlegen einer Wahrheit, auch wenn es die Wahrheit des Evangeliums ist, das Auferlegen eines Weges, auch wenn er das Heil ist, könne nur als Angriff auf die religiöse Freiheit empfunden werden. Ich möchte hier die dazu passende und aufschlußreiche Antwort weitergeben, die Papst Paul VI. darauf gefunden hat: »Sicherlich wäre es ein Irrtum, irgend etwas, was immer es auch sei, dem Gewissen unserer Brüder aufzunötigen. Diesem Gewissen jedoch die Wahrheit des Evangeliums und den Heilsweg in Jesus Christus in voller Klarheit und in absolutem Respekt vor den freien Entscheidungen, die das Gewissen trifft, vorzulegen - ›ohne Zwang oder unehrenhafte oder ungehörige Überredung‹ -, ist gerade eine Wertschätzung eben dieser Freiheit, der so die Wahl eines Weges angeboten wird, den selbst die Nichtglaubenden für ehrenvoll und erhebend halten… Die - wie Wir sagten - respektvolle Verkündigung der Botschaft Christi und seines Reiches ist nicht nur ein Recht des Glaubensboten - sie ist mehr: sie ist seine Pflicht. Und die Menschenbrüder dieses Glaubensboten haben auch ein Recht darauf, von ihm die Verkündigung der Frohbotschaft und des Heils zu empfangen« (Apostol. Schreiben Evangelii nuntiandi EN 80).
»Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1Co 9,16), rief der Völkerapostel aus. Das Verlangen, das Evangelium zu verkünden, entsteht in einem Herzen, das sich in Jesus verliebt hat, der glühend wünscht, daß mehr Menschen die Einladung zur Teilnahme am Hochzeitsmahl des Gottessohnes erhalten (vgl. Mt 22,8-10). Die Mission ist in der Tat das Sich- Ausbreiten der Liebesflamme, die im Herzen des Menschen brennt, der dadurch, daß er sich der Wahrheit des Evangeliums öffnet und sich von ihr verwandeln läßt, sein Leben - wie der hl. Paulus sagte - weiterlebt im Glauben »an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat« (Ga 2,20). Die Berufung zur Mission ist folglich nicht etwas, das ausschließlich für eine begrenzte Gruppe von Gliedern der Kirche bestimmt ist, sondern sie ist ein an jeden Getauften gerichtetes Gebot, ein wesentliches Element seiner Berufung. Wie das II. Vatikanische Konzil gesagt hat: »Die christliche Berufung ist ihrer Natur nach auch Berufung zum Apostolat« (Dekret Apostolicam actuositatem AA 2). In diesem Sinn war eine der zentralen Aufgaben der V. Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik, die ich zu meiner großen Freude 2007 in Aparecida eröffnen konnte, in den Christen wieder das Bewußtsein dafür zu wecken, Jünger und Missionare zu sein; auf diese Weise hat sie die missionarische Dimension der Kirche durch die Einberufung einer »Kontinentalen Mission« eingelöst.
Wenn ich an die Herausforderungen denke, die dieser Vorschlag zur Erneuerung euch, den brasilianischen Bischöfen, auferlegt, kommt mir der sel. José de Anchieta in den Sinn. Sein unermüdliches und hochherziges apostolisches Wirken, das nicht ohne ernste Gefahren war, sorgte dafür, daß sich das Wort Gottes unter den Indios und unter den Portugiesen verbreitete, weshalb er gleich nach seinem Tod den Beinamen »Apostel Brasiliens« erhielt. Er kann als Vorbild dienen, um euren Teilkirchen zu helfen, Wege zu finden, um die Ausbildung der angehenden Missionare im Geist der Konferenz von Aparecida vorzunehmen (vgl. Schlußdokument von Aparecida, 275).
ANSPRACHE 2010 121