ANSPRACHE 2010 142


APOSTOLISCHE REISE NACH SANTIAGO DE COMPOSTELA UND BARCELONA

(6.-7. NOVEMBER 2010)

Begrüßungszeremonie

ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.

143
Flughafen Santiago de Compostela

Samstag, 6. November 2010



Königliche Hoheiten,
sehr geehrte Vertreter der nationalen, regionalen und lokalen Behörden,
Herr Erzbischof von Santiago de Compostela,
Herr Kardinal, Präsident der spanischen Bischofskonferenz,
meine Herren Kardinäle und Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern,
meine lieben Freunde!

Vielen Dank, Königliche Hoheit, für die ehrerbietigen Worte, die Sie in Ihrer aller Namen an mich gerichtet haben und die die innige Zuneigung widerspiegeln, die die Menschen dieses edlen Landes für den Nachfolger Petri hegen.

144 Herzlich grüße ich die hier Anwesenden wie auch alle, die über die Medien mit uns verbunden sind, und ich danke auch allen, die auf verschiedenen kirchlichen und öffentlichen Ebenen großzügig dazu beigetragen haben, daß diese kurze, aber intensive Reise nach Santiago de Compostela und Barcelona reiche Frucht bringen wird.

Im tiefsten Inneren seines Seins ist der Mensch immer auf dem Weg, ist er auf der Suche nach der Wahrheit. Die Kirche nimmt an diesem tiefen Streben des menschlichen Seins teil. Sie macht sich selbst auf den Weg und begleitet den Menschen, der sich nach der Fülle seines Seins sehnt. Zugleich legt die Kirche einen eigenen inneren Weg zurück, der sie durch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe dazu führt, Lichtschein Christi für die Welt zu werden. Das ist ihre Sendung, und das ist ihr Weg: inmitten der Menschen immer mehr Gegenwart Christi zu sein, „den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung“ (1 Kor 1,30). Darum habe auch ich mich auf den Weg gemacht, um meine Brüder im Glauben zu stärken (vgl.
Lc 22,32).

Ich komme als Pilger in diesem Heiligen Jahr von Compostela, und bringe im Herzen die gleiche Liebe mit, die den heiligen Apostel Paulus antrieb, seine Reisen zu unternehmen, wobei er den Wunsch hatte, auch Spanien zu erreichen (vgl. Rm 15,22-29). Ich möchte mich in die große Schar der Männer und Frauen einreihen, die im Lauf der Jahrhunderte von allen Winkeln der Iberischen Halbinsel, von Europa und selbst aus der ganzen Welt nach Compostela gekommen sind, um vor den heiligen Jakobus hinzutreten und sich vom Zeugnis seines Glaubens umformen zu lassen. Mit ihren Spuren und voller Hoffnung schufen sie einen Weg der Kultur, des Gebets, der Barmherzigkeit und der Umkehr, der in Kirchen und Hospitälern, in Herbergen, Brücken und Klöstern Gestalt angenommen hat. Auf diese Weise haben Spanien und Europa ein geistiges Gesicht entfaltet, das auf unauflösliche Weise vom Evangelium gekennzeichnet ist.

Gerade als Bote und Zeuge des Evangeliums werde ich auch nach Barcelona gehen, um den Glauben seiner gastfreundlichen und tatkräftigen Bewohner zu stärken. Ein Glaube, der schon in der Frühzeit des Christentums gesät worden ist und der unter dem Klima zahlloser Beispiele von Heiligen keimte und wuchs und zur Gründung sehr vieler Wohlfahrts-, Kultur- und Bildungseinrichtungen führte. Dieser Glaube inspirierte den genialen Architekten Antoni Gaudí, dort, mit dem Eifer und der Mitarbeit vieler Helfer, jenes Wunderwerk in Angriff zu nehmen, welches die Kirche der „Sagrada Familia“ darstellt. Ich werde die Freude haben, diese Kirche zu weihen, in der sich die ganze Größe des menschlichen Geistes, der sich Gott öffnet, widerspiegelt.

Ich empfinde eine tiefe Freude, erneut hier in Spanien zu sein, das der Welt eine Vielzahl großer Heiliger geschenkt hat, Ordensgründer und Schriftsteller, wie Ignatius von Loyola, Theresia von Jesus, Johannes vom Kreuz und Franz Xaver und viele andere mehr. Spanien hat im 20. Jahrhundert neue Einrichtungen, Gruppen und Gemeinschaften christlichen Lebens und des Apostolats hervorgebracht. In den vergangenen Jahrzehnten schreitet es nun in Eintracht und Gemeinsamkeit, in Freiheit und Frieden voran und blickt zuversichtlich und verantwortungsvoll in die Zukunft. Von seinem reichen Erbe an menschlichen und geistlichen Werten angespornt, sucht es auch inmitten der Schwierigkeiten weiterzukommen und seine Solidarität der internationalen Gemeinschaft anzubieten.

Diese Beiträge und Initiativen Ihrer langen Geschichte wie auch der Gegenwart, gemeinsam mit der Bedeutung dieser beiden Orte Ihres schönen Landes, die ich bei dieser Gelegenheit besuchen werde, geben mir den Anstoß, meine Gedanken auf alle Völker Spaniens und Europas auszuweiten. Wie der Diener Gottes Papst Johannes Paul II. von Compostela aus den Alten Kontinent ermahnte, seinen christlichen Wurzeln neue Kraft zu geben, so will auch ich Spanien und Europa auffordern, ihre Gegenwart aufzubauen und ihre Zukunft zu planen auf der Grundlage der echten Wahrheit des Menschen, der Freiheit, die diese Wahrheit respektiert und sie nie verletzt, wie auch der Gerechtigkeit für alle, angefangen bei den Ärmsten und den Einsamen. Ein Spanien und ein Europa, die sich nicht nur um die materiellen Bedürfnisse der Menschen Sorgen machen, sondern sich auch um die moralischen und sozialen Werte sowie um die spirituellen und religiösen Anliegen kümmern, weil all diese echte Ansprüche des einen und alleinigen Menschen sind und man nur so in wirksamer, umfassender und fruchtbarer Weise für sein Wohl wirkt.

Liebe Freunde, nochmals bekunde ich Ihnen meinen Dank für Ihren herzlichen Empfang und Ihre Anwesenheit an diesem Flughafen. Erneut bringe ich den geliebten Söhnen und Töchtern Galiziens, Kataloniens und allen anderen Völkern Spaniens meine Zuneigung und Nähe zum Ausdruck. Ich empfehle meinen Aufenthalt bei Ihnen der Fürsprache des heiligen Apostels Jakobus an und bitte Gott, daß er Ihnen allen seinen Segen schenke. Vielen Dank.


APOSTOLISCHE REISE NACH SANTIAGO DE COMPOSTELA UND BARCELONA

(6.-7. NOVEMBER 2010)


BESUCH IN DER KATHEDRALE VON SANTIAGO DE COMPOSTELA GRUSSWORT VON PAPST BENEDIKT XVI.


Santiago de Compostela

Samstag, 6. November 2010



Hochwürdigste Herren Kardinäle,
145 liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
geschätzte Vertreter des öffentlichen Lebens,
liebe Priester, Seminaristen, Ordensmänner und Ordensfrauen,
liebe Brüder und Schwestern,
liebe Freunde!

Ich danke dem Herrn Erzbischof Julián Barrio Barrio von Santiago de Compostela für die freundlichen Worte, die er soeben an mich gerichtet hat, die ich gerne erwidere. So grüße ich euch alle herzlich in Christus und danke euch für euer Kommen an diesen so bedeutsamen Ort.

Pilgern heißt nicht einfach irgendeinen Ort aufsuchen, um seine Naturschönheiten, Kunstschätze oder seine Geschichte zu bewundern. Pilgern bedeutet vielmehr, aus uns herauszutreten, um Gott dort zu begegnen, wo er sich offenbart hat, wo sich die göttliche Gnade mit besonderem Glanz gezeigt hat und unter den Gläubigen überaus große Früchte der Bekehrung und Heiligkeit hervorgebracht hat. Christen pilgerten zunächst zu den Orten, die mit dem Leiden, dem Tod und der Auferstehung des Herrn verbunden sind, in das Heilige Land. Dann nach Rom, der Stadt des Martyriums der Apostel Petrus und Paulus, und ebenso nach Compostela, das als ein mit dem Andenken des heiligen Jakobus verbundener Ort viele Pilger aus aller Welt aufgenommen hat, die Sehnsucht danach hatten, ihren Geist mit dem Zeugnis des Glaubens und der Liebe des Apostels zu stärken.

In diesem Heiligen Jahr von Compostela wollte auch ich als Nachfolger des heiligen Petrus zum Haus des »Señor Santiago«, des heiligen Jakobus, pilgern, das sich anschickt, sein 800jähriges Weihejubiläum zu feiern. Ich komme, um euren Glauben zu stärken, eure Hoffnung zu beleben und eure Sorgen, Mühen und Anstrengungen für das Evangelium der Fürbitte des Apostels anzuvertrauen. Als ich sein heiliges Bild umarmte, habe ich im Gebet auch alle Söhne und Töchter der Kirche mitgenommen. Die Kirche hat ja ihren Ursprung im Geheimnis der Gemeinschaft, die Gott ist. Durch den Glauben sind wir hineingeführt in das Geheimnis der Liebe, das die Heiligste Dreifaltigkeit ist. Wir werden in gewisser Weise von Gott umarmt und umgewandelt von seiner Liebe. Die Kirche ist diese Umarmung Gottes, in der die Gläubigen auch lernen, die eigenen Brüder zu umarmen, indem sie in ihnen Abbild und Ähnlichkeit Gottes entdecken, die die tiefste Wahrheit ihres Seins begründen und Ursprung der wahren Freiheit sind.

Zwischen Wahrheit und Freiheit gibt es einen engen und notwendigen Zusammenhang. Das aufrichtige Suchen und Streben nach der Wahrheit ist die Bedingung für eine authentische Freiheit. Man kann nicht das eine ohne das andere leben. Die Kirche, die bemüht ist, der menschlichen Person und ihrer Würde mit allen ihren Kräften zu dienen, steht im Dienst beider, der Wahrheit und der Freiheit. Die Kirche kann auf beide nicht verzichten, weil hier das Sein des Menschen auf dem Spiel steht und weil die Liebe zum Menschen, »der auf Erden das einzige Geschöpf ist, das Gott um seiner selbst willen gewollt hat« (Gaudium et spes
GS 24), sie bewegt. Ohne solches Streben nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit und nach Freiheit würde der Mensch sich selbst verlieren.

Erlaubt mir, hier in Compostela, dem geistlichen Herzen Galiciens und zugleich Lehrstätte einer Universalität ohne Grenzen, alle Gläubigen dieser geschätzten Erzdiözese und alle Gläubigen der Kirche in Spanien aufzufordern, im Licht der Wahrheit Christi zu leben, den Glauben mit Freude, Konsequenz und Schlichtheit zu Hause, bei der Arbeit und bei den staatsbürgerlichen Aufgaben zu bekennen.

Die Freude, sich als geliebte Kinder Gottes zu erkennen, führe euch auch zu einer immer tieferen Liebe zur Kirche, indem ihr sie in ihrer Aufgabe unterstützt, Christus zu allen Menschen zu bringen. Betet zum Herrn der Ernte, daß sich viele junge Menschen dieser Sendung im Amt des Priesters und im gottgeweihten Leben übereignen: Heute, wie immer, lohnt es sich, das ganze Leben der Aufgabe zu widmen, die Neuheit des Evangeliums zu verkünden.

146 Ich will nicht schließen, ohne vorher allen spanischen Katholiken meine Segenswünsche und meinen Dank für die Großzügigkeit bekundet zu haben, mit der sie zahlreiche Einrichtungen der Caritas und der humanitären Hilfe unterstützen. Werdet nicht müde, diese Werke aufrecht zu erhalten, die der ganzen Gesellschaft zugute kommen und deren Wirksamkeit sich besonders in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sowie bei den großen Naturkatastrophen, von denen verschiedene Länder heimgesucht wurden, gezeigt hat.

Mit diesen Gedanken bitte ich den Allerhöchsten, daß er allen den Mut gebe, den der heilige Jakobus hatte, um den auferstandenen Christus zu bezeugen. Bleibt ebenso treu auf den Wegen der Heiligkeit. Gebt euch für die Ehre Gottes und das Wohl der am meisten verlassenen Brüder hin. Vielen Dank.


APOSTOLISCHE REISE NACH SANTIAGO DE COMPOSTELA UND BARCELONA

(6.-7. NOVEMBER 2010)


BESUCH IN DER FÜRSORGEEINRICHTUNG »NEN DÉU«


ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS BENEDIKT XVI.

Barcelona

Sonntag, 7. November 2010



Herr Kardinal, Erzbischof von Barcelona,
verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Priester Diakone, Ordensfrauen und Ordensmänner,
geschätzte Vertreter des öffentlichen Lebens,
meine lieben Freunde!

Ich freue mich sehr, hier mit euch allen zusammen sein zu können, die ihr seit mehr als einem Jahrhundert diese soziale Wohltätigkeitseinrichtung »Nen Déu« [Göttliches Kind] führt. Ich danke für den herzlichen Willkommensgruß durch Kardinal Lluís Martínez Sistach, den Erzbischof von Barcelona, Sr. Rosario, die Oberin der Gemeinschaft, die Kinder Antonio und Maria del Mar, die gesprochen haben, und all jene, die so wunderbar gesungen haben.

147 Ich drücke auch allen Anwesenden meine Dankbarkeit aus, insbesondere den Unterstützern des Hilfswerks, der Mutter Generaloberin und allen Franziskanerinnen von den Heiligsten Herzen, den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die in dieser Einrichtung wohnen, ihren Eltern und Familienangehörigen sowie dem Personal und den Freiwilligen, die hier ihre verdienstvolle Arbeit ausüben.

Zugleich möchte ich den Vertretern der Politik meine Anerkennung zum Ausdruck bringen und sie einladen, sich selbst tatkräftig einzusetzen, damit die am meisten Benachteiligten immer von der sozialen Fürsorge erreicht werden. Meine anerkennenden Worte gelten auch jenen, die mit ihrer großzügigen Hilfe Fürsorgeeinrichtungen privater Initiative, wie diese Förderschule Nen Déu, unterstützen. In diesen Zeiten, in denen viele Familien von einer Reihe wirtschaftlicher Schwierigkeiten heimgesucht werden, müssen wir als Jünger Christi unsere konkreten Taten wirksamer und kontinuierlicher Solidarität vervielfachen, indem wir so zeigen, daß die Caritas ein Kennzeichen unseres Christseins ist.

Mit der Weihe der Basilika der „Sagrada Familia“ wurde heute morgen deutlich gemacht, daß das heilige Gebäude Zeichen des wahren Heiligtums Gottes unter den Menschen ist. Nun möchte ich hervorheben, wie mit dem Einsatz dieser Einrichtung hier - der das neue Haus hinzugefügt wird, dem ihr den Namen des Papstes geben wolltet - und ähnlicher kirchlicher Institutionen veranschaulicht wird, daß für einen Christen jeder Mensch ein wahres Heiligtum Gottes ist, das mit höchster Achtung und Liebe behandelt werden muß, besonders wenn er sich in Not befindet. Die Kirche will so die Worte des Herrn im Evangelium verwirklichen: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (
Mt 25,40). Diese Worte Christi haben in diesem Land viele Söhne und Töchter der Kirche angespornt, ihr eigenes Leben der Erziehung, der Wohltätigkeit oder der Sorge um die Kranken und Behinderten zu widmen. Ich bitte euch, daß ihr, von ihrem Beispiel angeregt, den Kleinsten und am meisten Bedürftigen weiterhin Hilfe entgegenbringt, indem ihr das Beste von euch selbst gebt.

Bezüglich der Betreuung der Schwächsten wurden in den letzten Jahrzehnten großartige Fortschritte im Bereich des Gesundheitswesens erzielt. Man gelangte zunehmend zur Überzeugung, daß eine aufmerksame menschliche Beziehung eine große Bedeutung für ein gutes Ergebnis im Heilungsprozeß hat. Deshalb ist es unabdingbar, daß die neuen Technologien auf dem Gebiet der Medizin nie die Achtung für das Leben und die Würde des Menschen verletzen, so daß jene, die an Krankheiten oder psychischen oder physischen Behinderungen leiden, immer die Liebe und Aufmerksamkeit erhalten, die es ihnen ermöglichen, sich in ihren konkreten Bedürfnissen als Personen geschätzt zu fühlen.

Liebe Kinder und Jugendliche, ich verabschiede mich von euch und danke zugleich Gott für euer Leben, das so wertvoll ist in seinen Augen, und versichere euch, daß ihr einen sehr wichtigen Platz im Herzen des Papstes habt. Ich bete für euch jeden Tag und bitte euch, mir mit eurem Gebet zu helfen, in Treue die Sendung zu erfüllen, die mir Christus anvertraut hat. Ich werde es außerdem nicht unterlassen, für jene zu beten, die im Dienst der Leidenden stehen, die unermüdlich arbeiten, damit Menschen mit Behinderungen ihren rechten Platz in der Gesellschaft einnehmen können und wegen ihrer Einschränkungen nicht an den Rand gedrängt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich in besonderer Weise das treue Zeugnis der Priester und jener anerkennen, die die Kranken in ihren Häusern, in den Kliniken und in anderen Spezialeinrichtungen besuchen. Sie verkörpern den wichtigen Dienst des Tröstens angesichts unserer menschlichen Zerbrechlichkeit, der die Kirche mit dem Mitgefühl des barmherzigen Samariters (vgl. Lc 10,29-37) begegnen will.

Auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit und der seligen Mutter Carmen vom Jesuskind segne Gott euch alle, die ihr die große Familie dieses wunderbaren Werkes bildet, sowie eure Lieben und jene, die mit dieser oder mit ähnlichen Einrichtungen zusammenarbeiten. Unterpfand dafür sei der Apostolische Segen, den ich euch von Herzen erteile.


APOSTOLISCHE REISE NACH SANTIAGO DE COMPOSTELA UND BARCELONA

(6.-7. NOVEMBER 2010)


ABSCHIEDSZEREMONIE


ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.

Internationaler Flughafen Barcelona (El Prat)

Sonntag, 7. November 2010



Eure Majestät,
Herr Kardinal Erzbischof von Barcelona,
148 Herr Kardinal, Präsident der spanischen Bischofskonferenz,
verehrte Herren Kardinäle und Mitbrüder im Bischofsamt,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
werte Vertreter der nationalen, regionalen und lokalen Behörden,
liebe Brüder und Schwestern, liebe Freunde alle!

Innigen Dank! Ich wünschte, diese kurzen Worte könnten die Gefühle der Dankbarkeit zusammenfassen, die ich am Ende meines Besuchs in Santiago de Compostela und in Barcelona in meinem Herzen trage. Vielen Dank, Majestät, für Ihr Kommen. Ich danke für die geschätzten Worte, die Eure Majestät freundlicherweise an mich gerichtet haben und die Ausdruck der Verbundenheit dieses edlen Volkes mit dem Nachfolger Petri sind. Zugleich möchte ich meinen herzlichen Dank den Vertretern des öffentlichen Lebens bekunden, die uns begleiten, den Herren Erzbischöfen von Santiago de Compostela und von Barcelona, dem spanischen Episkopat und den vielen Menschen, die ohne Opfer zu scheuen mitgearbeitet haben, daß diese Reise gut gelingt. Sehr herzlich danke ich für alle die vielen schönen Zeichen der Aufmerksamkeit, die Sie in diesen Tagen dem Papst erwiesen haben und die die Gastfreundlichkeit der Menschen in diesen Ländern, die mir sehr am Herzen liegen, hervorheben.

In Compostela wollte ich mich als Pilger mit den vielen Menschen aus Spanien, Europa und anderen Orten der Erde vereinen, die zum Grab des Apostels kommen, um den eigenen Glauben zu bekräftigen und Vergebung und Frieden zu erlangen. Als Nachfolger Petri bin ich auch gekommen, um meine Brüder im Glauben zu stärken. Dieser Glaube kam in den Anfängen des Christentums in diese Länder und wurzelte sich so tief ein, daß er den Geist, die Bräuche, die Kunst und den Charakter der Menschen, die hier wohnen, formte. Dieses reiche geistliche Erbe zu bewahren und zu mehren ist nicht nur Zeichen der Liebe eines Landes zur eigenen Geschichte und Kultur, sondern auch der bevorzugte Weg, den jungen Generationen jene grundlegenden Werte zu vermitteln, die so sehr notwendig sind, um eine Zukunft des harmonischen und solidarischen Miteinanders aufzubauen.

Die Straßen, die Europa durchzogen, um nach Santiago zu gelangen, waren untereinander sehr unterschiedlich, eine jede mit eigener Sprache und eigenen Besonderheiten, doch der Glaube war derselbe. Es gab eine gemeinsame Sprache, nämlich das Evangelium Christi. An jedem beliebigen Ort konnte sich der Pilger wie zuhause fühlen. Jenseits nationaler Unterschiede wußte er sich als Glied einer großen Familie, der die anderen Pilger und die Einwohner, denen er auf seinem Weg begegnete, angehörten. Möge dieser Glaube auf diesem Kontinent neue Kraft finden, zu einer Quelle der Inspiration werden und die Solidarität und den Dienst an allen, besonders an den Notleidenden und an den bedürftigen Nationen, wachsen lassen.

In Barcelona hatte ich die überaus große Freude, die Basilika der »Sagrada Familia« zu weihen, die Gaudí als ein Lob Gottes in Stein entworfen hatte. Ebenso konnte ich eine bedeutende kirchliche Einrichtung wohltätiger und sozialer Natur besuchen. Im heutigen Barcelona sind sie wie zwei Symbole der Fruchtbarkeit desselben Glaubens, der das Innere dieses Volkes kennzeichnete und durch die Nächstenliebe und die Schönheit des Geheimnisses Gottes dazu beiträgt, eine dem Menschen würdigere Gesellschaft zu schaffen. Die Schönheit, die Heiligkeit und die Liebe Gottes bringen in der Tat den Menschen dazu, voll Hoffnung in der Welt zu leben.

Nach dem Besuch von nur zwei Orten Ihres wunderbaren Landes kehre ich nach Rom zurück. Im Gebet und in Gedanken habe ich dennoch ohne Ausnahme alle Spanier und die vielen anderen, die ohne hier gebürtig zu sein in Ihrer Mitte wohnen, umarmen wollen. Alle trage ich in meinem Herzen, und ich bete für alle, besonders für die Leidenden, und empfehle sie dem mütterlichen Schutz Marias an, die in Galicien, Katalonien und den anderen Regionen Spaniens sehr verehrt und angerufen wird. Ich bitte sie auch, Ihnen von Gott reiche himmlische Gaben zu erlangen, die Ihnen helfen mögen, als eine Familie zu leben unter der Führung des Lichtes des Glaubens. Ich segne Sie im Namen des Herrn. Mit seiner Hilfe werden wir uns nächstes Jahr in Madrid wiedersehen zur Feier des Weltjungendtages. Auf Wiedersehen.




ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DES PÄPSTLICHEN KOMITEES FÜR DIE INTERNATIONALEN EUCHARISTISCHEN KONGRESSE

Sala Clementina

149

Donnerstag, 11. November 2010



Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch zum Abschluß der Arbeiten der Vollversammlung des Päpstlichen Komitees für die Internationalen Eucharistischen Kongresse zu empfangen. Ich begrüße herzlich jeden einzelnen von euch, besonders den Präsidenten, Erzbischof Piero Marini, dem ich für die freundlichen Worte danke, mit denen er unsere Begegnung eingeleitet hat. Ich begrüße die Nationaldelegierten der Bischofskonferenzen und besonders die irische Delegation, angeführt von Msgr. Diarmuid Martin, Erzbischof von Dublin, jener Stadt, in der im Juni 2012 der nächste Internationale Eucharistische Kongreß stattfinden wird. Eure Versammlung hat diesem Ereignis, das sich auch in das Erneuerungsprogramm der Kirche in Irland einfügt, große Aufmerksamkeit gewidmet. Das Thema »Die Eucharistie, Gemeinschaft mit Christus und unter uns« erinnert an die zentrale Bedeutung des eucharistischen Geheimnisses für das Wachstum des Glaubenslebens und für jeden echten Weg kirchlicher Erneuerung.

Die Kirche ist während ihrer irdischen Pilgerschaft Sakrament der Einheit der Menschen mit Gott und untereinander (vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium LG 1). Zu diesem Zweck hat sie das Wort und die Sakramente, vor allem die Eucharistie empfangen, aus der »sie immerfort lebt und wächst« (ebd., 26) und in der sie sich zugleich selbst zum Ausdruck bringt.

Die Gabe Christi und seines Geistes, die wir in der Eucharistie empfangen, erfüllt überreich die tiefe Sehnsucht nach brüderlicher Einheit, die im menschlichen Herzen wohnt, und erhebt sie zugleich sehr wohl über die einfache Erfahrung eines menschlichen Gastmahles. Durch die Gemeinschaft im Leib Christi wird die Kirche immer mehr sie selbst; Geheimnis »vertikaler« und »horizontaler « Einheit für das ganze Menschengeschlecht.

Den Keimen der Auflösung, die, wie die tägliche Erfahrung zeigt, wegen der Sünde so tief in der Menschheit verwurzelt sind, widersetzt sich die Kraft, die die Einheit des Leibes Christi hervorbringt. Die Eucharistie, die unablässig die Kirche hervorbringt, schafft auch Gemeinschaft zwischen den Menschen.

Meine Lieben, einige glückliche Umstände machen die von euch in diesen Tagen vollbrachten Arbeiten und die künftigen Ereignisse um so bedeutsamer. Die jetzige Vollversammlung fällt - wie Erzbischof Marini bereits gesagt hat - auf den 50. Jahrestag des Eucharistischen Weltkongresses in München, der mit der Einführung der Idee von der »statio orbis« - die später vom römischen Ritual De sacra Communione et de cultu Mysterii eucharistici extra Missam wieder aufgegriffen werden sollte - eine Wende im Verständnis dieser kirchlichen Ereignisse bezeichnete. An jener Versammlung habe ich, wie Erzbischof Marini noch erwähnte, zu meiner Freude persönlich teilgenommen und konnte dann als junger Theologieprofessor diese Vorstellung wachsen sehen.

Der Kongreß von Dublin 2012 wird zudem noch einen weiteren Jubiläumscharakter haben, denn es wird der 50. Kongreß sein, der 50 Jahre nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils abgehalten wird, auf das er unter Berufung auf das 7. Kapitel der dogmatischen Konstitution Lumen gentium ausdrücklich Bezug nimmt.

Die Internationalen Eucharistischen Kongresse haben nunmehr eine lange Geschichte in der Kirche. Durch die charakteristische Form der »statio orbis« unterstreichen sie die universelle Dimension des Feierns: Es handelt sich in der Tat immer um ein Fest des Glaubens für den eucharistischen Christus, den Christus des höchsten Opfers für die Menschheit, an dem nicht nur die Gläubigen aus einer Teilkirche oder einer Nation, sondern, soweit möglich, aus verschiedenen Teilen der Welt teilnehmen. Es ist die Kirche, die sich um ihren Herrn und Gott versammelt. Diesbezüglich ist die Rolle der Nationaldelegierten von Bedeutung. Sie sollen die betreffenden Kirchen für das Ereignis des Kongresses vor allem in der Zeit der Vorbereitung sensibilisieren, damit von ihm dann Früchte des Lebens und der Gemeinschaft zurückfließen.

150 Die Aufgabe der Eucharistischen Kongresse besteht vor allem in der heutigen Zeit auch darin, durch Förderung der mystagogischen Evangelisierung (vgl. Nachsynodales Apostol. Schreiben Sacramentum caritatis, 64), die sich in der Kirche im Gebet von der Liturgie her und durch die Liturgie vollzieht, einen besonderen Beitrag zur Neuevangelisierung zu leisten. Aber jeder Kongreß trägt in sich im engeren missionarischen Sinn auch einen Impuls zur Evangelisierung, so daß das Wortpaar Eucharistie-Mission in die vom Heiligen Stuhl vorgeschlagenen Richtlinien Eingang gefunden hat. Der eucharistische Tisch, Tisch des Opfers und der Kommunion, bildet so den zentralen Punkt der Ausspendung des Sauerteigs des Evangeliums, die treibende Kraft für den Aufbau der menschlichen Gesellschaft und Unterpfand des künftigen Reiches. Die Sendung der Kirche setzt die Sendung Christi fort: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Jn 20,21).

Und die Eucharistie ist die Hauptvermittlerin dieser missionarischen Kontinuität zwischen Gottvater, dem fleischgewordenen Sohn und der Kirche, die vom Heiligen Geist geleitet in der Geschichte unterwegs ist. Schließlich noch ein liturgisch-pastoraler Hinweis. Da die Eucharistiefeier Mitte und Höhepunkt aller verschiedenen Veranstaltungen und Frömmigkeitsformen ist, ist es wichtig, daß jeder Eucharistische Kongreß im Einklang mit dem Geist der Konzilsreform alle Ausdrucksformen der eucharistischen Anbetung »extra missam«, die ihre Wurzeln in der Volksfrömmigkeit haben, und auch die Vereinigungen von Gläubigen, die in verschiedener Weise ihre Inspiration aus der Eucharistie beziehen, mit einbezieht und integriert.

Alle Formen eucharistischer Frömmigkeit, die auch von der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (EE 10 EE 47-52) und von dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Sacramentum caritatis empfohlen und angeregt wurden, müssen entsprechend einer auf die Kommunion ausgerichteten eucharistischen Ekklesiologie harmonisch in Einklang gebracht werden. Auch in diesem Sinn sind die Eucharistischen Kongresse eine Hilfe für die ständige Erneuerung des eucharistischen Lebens der Kirche. Liebe Brüder und Schwestern, das eucharistische Apostolat, dem ihr eure Anstrengungen widmet, ist sehr wertvoll. Setzt es mit Eifer und Leidenschaft fort durch die Anregung und Verbreitung der eucharistischen Frömmigkeit in allen ihren Ausdrucksformen. In der Eucharistie ist der Schatz der Kirche eingeschlossen, das heißt derselbe Christus, der sich für die Rettung der Menschheit am Kreuz geopfert hat. Ich begleite euren geschätzten Dienst mit der Zusicherung meines Gebetes, auf die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, und mit dem Apostolischen Segen, den ich euch, euren Lieben und euren Mitarbeitern von Herzen erteile.


AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR DIE KULTUR

Sala Clementina - Samstag, 13. November 2010

151

Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich über die Begegnung mit euch zum Abschluß der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Kultur, in deren Verlauf ihr das Thema: »Kultur der Kommunikation und neue Sprachen« vertieft habt. Ich danke dem Präsidenten, Erzbischof Gianfranco Ravasi, für die schönen Worte und begrüße alle Teilnehmer, denen ich für ihren Beitrag zur Untersuchung dieses für die Sendung der Kirche sehr wichtigen Themas danke. Über Kommunikation und Sprache zu reden bedeutet nicht nur, einen der Kernpunkte unserer Welt und ihrer Kulturen zu berühren, sondern für uns Gläubige bedeutet es, uns dem Geheimnis Gottes anzunähern, der sich in seiner Güte und Weisheit offenbaren und dem Menschen seinen Willen kundtun wollte (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei verbum
DV 2). Denn in Christus hat sich Gott als Logos offenbart, der sich mitteilt und uns anspricht. Er knüpft so die Beziehung, die unsere Identität und unsere Würde als menschliche Personen begründet, die geliebt werden als Kinder des einen Vaters (vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini, 6.22.23). Kommunikation und Sprache sind auch grundlegende Dimensionen der menschlichen Kultur, die aus Informationen und Kenntnissen, aus Überzeugungen und Lebensstilen besteht, aber auch aus Regeln, ohne die die Menschen in der echten Menschlichkeit und im Zusammenleben nur schwer Fortschritte machen können. Mir hat die originelle Entscheidung gefallen, die Vollversammlung in der »Sala della Protomoteca« auf dem Kapitol, dem zivilen und institutionellen Herzen Roms, zu eröffnen mit einem Runden Tisch zum Thema: »In der Stadt die Sprachen der Seele hören«. So wollte das Dikasterium einer seiner wesentlichen Aufgaben Ausdruck verleihen: auf die Männer und Frauen unserer Zeit zu hören, um neue Gelegenheiten für die Verkündigung des Evangeliums anzuregen. Denn wenn wir auf die Stimmen der globalisierten Welt hören, bemerken wir, daß heute ein tiefgreifender kultureller Wandel stattfindet, mit neuen Sprachen und neuen Kommunikationsformen, die auch neue und problematische anthropologische Modelle fördern.

In diesem Zusammenhang erkennen die Hirten und die Gläubigen mit Besorgnis einige Schwierigkeiten in bezug auf die Mitteilung der Botschaft des Evangeliums und die Weitergabe des Glaubens innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft selbst. So habe ich im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Verbum Domini gesagt: Es gibt »viele Christen, denen das Wort Gottes in überzeugender Weise neu verkündet werden muß, damit sie die Kraft des Evangeliums konkret erfahren können« (Nr. 96). Die Probleme scheinen bisweilen noch größer zu werden, wenn die Kirche sich an die Männer und Frauen wendet, die von einer Glaubenserfahrung weit entfernt sind oder ihr gleichgültig gegenüberstehen. Sie werden von der Botschaft des Evangeliums in wenig überzeugender oder ansprechender Weise erreicht. In einer Welt, die die Kommunikation zu ihrer Erfolgsstrategie erhebt, bleibt die Kirche, Hüterin des Auftrags, allen Völkern das Evangelium des Heils zu verkünden, nicht gleichgültig und fremd; im Gegenteil sucht sie, sich mit einem erneuerten kreativen Engagement, aber auch mit kritischem Sinn und aufmerksamer Unterscheidungsgabe der neuen Sprachen und Kommunikationsmodalitäten zu bedienen.

Die Unfähigkeit der Sprache, den tiefen Sinn und die Schönheit der Glaubenserfahrung mitzuteilen, kann zur Gleichgültigkeit vieler, vor allem junger Menschen beitragen; es kann ein Grund für die Entfremdung sein, wie bereits die Konstitution Gaudium et spes bekräftigt hat, indem sie unterstreicht, daß eine unzureichende Darlegung der Botschaft das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllt als offenbart (vgl. GS 19). Die Kirche möchte in der Suche nach der Wahrheit mit allen einen Dialog führen; damit aber der Dialog und die Kommunikation wirksam und fruchtbar sind, ist es notwendig, auf derselben Wellenlänge zu liegen im Rahmen von freundschaftlichen und aufrichtigen Begegnungen in jenem ideellen »Vorhof der Heiden«, den ich vor einem Jahr in meiner Ansprache an die Römische Kurie vorgeschlagen habe und den das Dikasterium an verschiedenen emblematischen Orten der europäischen Kultur gerade realisiert. Nicht wenige Jugendliche, verwirrt von den unendlichen Möglichkeiten, die das Netz oder andere Technologien bieten, bilden heute Kommunikationsformen aus, die nicht zu einem Wachstum an Menschlichkeit beitragen, sondern vielmehr das Gefühl der Einsamkeit und der Fremdheit zu vermehren drohen. Angesichts dieser Phänomene habe ich mehrmals von einem Erziehungsnotstand gesprochen, eine Herausforderung, auf die man mit kreativer Intelligenz Antworten finden muß, indem man sich dafür einsetzt, eine humanisierende Kommunikation zu fördern, die den kritischen Sinn und die Fähigkeit der Bewertung und Unterscheidung anregt.

Auch in der heutigen technischen Kultur bleibt das Paradigma der Inkulturation des Evangeliums das wegweisende Leitbild, da es die besten Elemente der neuen Sprachen und Kommunikationsformen läutert, heilt und erhebt. In bezug auf diese schwierige und faszinierende Aufgabe kann die Kirche aus dem außerordentlichen Reichtum der Symbole, Bilder, Riten und Gesten ihrer Tradition schöpfen. Insbesondere die reichhaltige und tiefe Symbolik der Liturgie muß in ihrer ganzen Kraft als kommunikatives Element erstrahlen, so daß sie das menschliche Gewissen, das Herz und den Intellekt tief berührt. Mit der Liturgie hat die christliche Tradition immer eng die Sprache der Kunst verbunden, deren Schönheit eine besondere kommunikative Kraft hat. Das haben wir auch am vergangenen Sonntag in Barcelona in der Basilika der »Sagrada Familia« erlebt, einem Werk von Antoni Gaudí, der auf geniale Weise den Sinn für das Heilige und die Liturgie mit künstlerischen Formen verbunden hat, die ebenso modern sind, wie sie mit den besten architektonischen Traditionen im Einklang stehen. Noch wirkungsvoller als die Kunst und das Bild ist bei der Übermittlung der Botschaft des Evangeliums jedoch die Schönheit des christlichen Lebens. Letztendlich ist nur die Liebe »des Glaubens würdig« und erweist sich als »glaubwürdig«. Das Leben der Heiligen, der Märtyrer zeigt eine einzigartige Schönheit, die fasziniert und anzieht, weil ein in Fülle gelebtes christliches Leben ohne Worte spricht. Wir brauchen Männer und Frauen, die mit ihrem Leben sprechen, die klar und mutig das Evangelium mitzuteilen wissen, mit der Transparenz ihres Handelns und der freudigen Begeisterung der Nächstenliebe.

Nachdem ich als Pilger in Santiago de Compostela war und in Tausenden von Menschen, vor allem Jugendlichen, die mitreißende Kraft des Zeugnisses und die Freude, sich auf den Weg in Richtung der Wahrheit und der Schönheit zu machen, bewundert habe, wünsche ich, daß viele unserer Zeitgenossen, wenn sie die Stimme des Herrn neu hören, wie die Emmausjünger sagen können: »Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete?« (Lc 24,32). Liebe Freunde, ich danke euch für das, was ihr jeden Tag mit Kompetenz und Hingabe tut. Während ich euch dem mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria anvertraue, erteile ich von Herzen allen den Apostolischen Segen.




ANSPRACHE 2010 142