Bostschaft 2005-2010 15

BOTSCHAFT VON KARD. TARCISIO BERTONE IM NAMEN VON PAPST BENEDIKT XVI. ZUM 50-JAHR-JUBILÄUM DES BISCHÖFLICHEN HILFSWERKS MISEREOR



Seit nunmehr 50 Jahren bewegt das Bischöfliche Hilfswerk Misereor besonders in der Fastenzeit viele Menschen in Deutschland, sich im Sinn der Botschaft Jesu Christi weltweit für ein menschenwürdigeres und gerechteres Miteinander einzusetzen. Zu diesem freudigen Anlaß darf ich Ihnen, Hochwürdigster Herr Erzbischof Dr. Thissen, in Ihrer Eigenschaft als verantwortlicher Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz sowie dem Hauptgeschäftsführer von Misereor, Prälat Prof. Josef Sayer, und allen, die dem Hilfswerk als Mitarbeiter und Förderer verbunden sind, im Namen des Heiligen Vaters herzliche Segensgrüße übermitteln.

»Miserere mei sicut et ego misereor«, »erbarme dich meiner, wie auch ich mich erbarme« – diesen Gebetsruf gab der Kölner Kardinal Josef Frings dem Bischöflichen Hilfswerk Misereor in seiner Gründungsrede vor den deutschen Bischöfen 1958 mit auf den Weg. Den tieferen Sinn dieser Worte erfassen wir aus der Sendung Jesu sowie aus seinem Wort »Misereor super turbam«, »mich erbarmt des – hungerleidenden – Volkes« (Mc 8,2), nach dem der Name des Werkes bestimmt wurde. Jesus Christus ist das uns zugewandte Antlitz des sich der Menschheit erbarmenden Gottes. Wie Jesus den Frauen, Männern und Kindern seiner Zeit das Wort Gottes verkündet hat und sich der Kranken, Hungernden, Notleidenden und an den Rand der Gesellschaft Gedrängten, ja jedes schwachen und sündigen Menschen erbarmt, so sollen und wollen wir es ihm gleichtun.

Die Gründung des Bischöflichen Hilfswerks Misereor vor 50 Jahren war ein Ausdruck dafür, daß unsere eigene Bedürftigkeit und die Erfahrung des göttlichen Erbarmens, das uns Christus schenkt und die Kirche uns zuwendet, uns zugleich die Augen für die Not unserer Mitmenschen öffnen und uns herausfordern, die Schätze unseres Glaubens, aber auch unsere materiellen Güter mit ihnen zu teilen. Aus den tastenden Anfängen des Hilfswerks Misereor, dem »Abenteuer im Heiligen Geist« – wie es Kardinal Frings nannte –, ist in den letzten Jahrzehnten eine solide Brücke über die Kluft zwischen Wohlhabenderen und Bedürftigen entstanden, eine partnerschaftliche Bewegung, die ungezählte Menschen in Deutschland, Afrika, Asien, Ozeanien und Lateinamerika in solidarischem Handeln verbindet. Misereor ist so gewissermaßen zu einer gemeinsamen Erfolgsgeschichte der Kirche in den südlichen Kontinenten und in Deutschland geworden: Kranke, Hungernde, Familien, denen die Existenzgrundlage fehlt, Kinder und Jugendliche ohne Schul- und Berufsbildung erhalten in Selbsthilfeprojekten der Ortskirchen, die durch Misereor gefördert werden, Hoffnung und Zukunftsperspektiven.

Misereor unterstützt mit vielfältigen Projekten die Bemühungen von Bischöfen, Priestern und engagierten Laien um Versöhnungs- und Friedensprozesse, um faire Rahmenbedingungen für die Entwicklungsländer sowie um eine gerechtere Gestaltung der Globalisierungsprozesse, die sich am wahren Wohl der menschlichen Person, der Familie und der Völker orientieren müssen. Es geht dabei besonders um die Würde der Armen, aber letztlich um die Würde aller Menschen als Gottes geliebte Kinder. Es geht um die gemeinsame Zukunft der einen Menschheitsfamilie und um die Zukunftschancen der künftigen Generationen, für die wir Christen vor Gott Verantwortung tragen.

Der Weg, der Misereor aufgetragen ist, geht weit über das Einwerben und die Verteilung finanzieller Mittel hinaus. Die Solidaritätsaktion in der Fastenzeit will auch ein pastoraler Beitrag zu einer umfassenden Vorbereitung auf die Feier der Ostergeheimnisse sein, die uns durch die Vermittlung der Kirche das Erbarmen Gottes in der Person des gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus zuwenden. Dieses Erbarmen Gottes möchte Misereor durch das Zusammenwirken der Gläubigen in Deutschland mit bedürftigen Christen in anderen Teilen der Welt als überzeugende Botschaft des Evangeliums weitertragen. Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. ermutigt Sie, lieber Mitbruder im Bischofsamt, die gesamte Deutsche Bischofskonferenz, die Verantwortlichen und die Mitarbeiter von Misereor, die Spender und Engagierten in den Gemeinden, die kirchlichen Organisationen und alle Menschen guten Willens, die das Hilfswerk unterstützen, diesen Weg der Hoffnung für die Armen kraftvoll weiterzugehen. Dazu erteilt der Heilige Vater Papst Benedikt XVI. Ihnen allen von Herzen den Apostolischen Segen.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung und besten persönlichen Wünschen

16 Au dem Vatikan, 21. Januar 2008
Tarcisio Kard. Bertone


Staatssekretär




BOTSCHAFT VON BENEDIKT XVI. AN DIE BISCHÖFE VON KUBA ANLÄSSLICH DES 10. JAHRESTAGES DES BESUCHES VON JOHANNES PAUL II.


Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!

»Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und mit allem Frieden im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes« (Rm 15,13). Diese Worte des Apostels erklingen wieder unter euch, wenn ihr bewegt den denkwürdigen Besuch des Dieners Gottes Johannes Paul II. auf kubanischem Boden feiert, wohin er mit der Absicht gekommen war, euch »in der Hoffnung zu festigen und in der Liebe zu ermutigen« (Ansprache bei der Ankunft, 21.1.1998, 3).

Dieses Gedenken ist zehn Jahre nach jenen Tagen, die für die Kirche und das Volk in Kuba unvergeßlich sind und die ebenso unter den bewegten Blicken der ganzen Welt erlebt wurden, zweifellos eine Pflicht der Dankbarkeit gegenüber meinem verehrten Vorgänger; es zeigt aber auch den brennenden Wunsch, den echten Antrieb zur Evangelisierung zu erneuern, den er in den Herzen aller nachdrücklich hinterlassen hat. Ich grüße herzlich Herrn Kardinal Jaime Lucas Ortega y Alamino, Erzbischof von Havanna, den Vorsitzenden der Bischofskonferenz von Kuba, Erzbischof Juan García Rodríguez, und jeden einzelnen der weiteren Bischöfe, die ihr angehören. Ich fühle mich euch im Geiste nahe, wie es die Anwesenheit meines Staatssekretärs Kardinal Tarcisio Bertone bezeugt. Zugleich erneuere ich die Wertschätzung des Nachfolgers des Petrus für eure pastoralen Bemühungen sowie auch meine Nähe zu den Hoffnungen und Sorgen aller Kubaner. Ich bitte den Herrn ständig, euch Kraft und Hochherzigkeit zu schenken, damit ihr jeden Tag euren Glauben tiefer lebt und euch für eine vom Evangelium erleuchtete Welt einsetzt.

Die Verkündigung des Evangeliums Christi findet in Kuba weiterhin aufnahmebereite Herzen, was eine stete Verantwortung mit sich bringt, ihnen im Wachstum des geistlichen Lebens zu helfen und dabei jenen »hohen Maßstab des gewöhnlichen christlichen Lebens« anzubieten (Novo millennio ineunte NM 31), der mit der Berufung zur Heiligkeit eines jeden Getauften verbunden ist. Die richtige Lehre verkünden, zum Hören und zur Vertiefung des Wortes Gottes hinführen, die Teilnahme an den Sakramenten und das Gebetsleben fördern sind die Hauptziele der pastoralen Tätigkeit; der Kern der Sendung der Kirche besteht nämlich darin, allen das Heil Christi zu bringen.

Manche christlichen Gemeinschaften fühlen sich von den Schwierigkeiten, dem Mangel an Mitteln, der Gleichgültigkeit oder sogar vom Mißtrauen erdrückt, was zur Trostlosigkeit verleiten kann. In diesen Fällen wird sich der gute Jünger von den Worten des göttlichen Meisters ermutigt fühlen: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben« (Lc 12,32). Der Gläubige weiß, daß er seine Hoffnung immer auf unsern Herrn Jesus Christus setzen kann (vgl. 1Th 1,3), der nie enttäuscht und das Herz mit Freude erfüllt (vgl. 1P 1,6), indem er seinem Glaubensleben Sinn und Fruchtbarkeit verleiht.

Ein kleines Licht kann in der Tat das ganze Haus erhellen, und der Sauerteig ist etwas Geringes, aber er durchsäuert den ganzen Teig (vgl. Mt 13,33). Wie oft lassen kleine Gesten der Freundschaft und des guten Willens, einfache, tägliche Gesten der Achtung, der Aufmerksamkeit gegenüber dem Leidenden oder der liebevollen Hingabe zum Wohl der anderen die grenzenlose Liebe Gottes zu allen und zu jedem erkennen.

Große Bedeutung nimmt somit auch der Dienst an, den die Kirche in Kuba zugunsten der Notleidenden durch konkrete Werke des Dienstes und der Aufmerksamkeit für die Männer und Frauen in jeder Lage leistet, die es verdienen, nicht nur in ihren materiellen Bedürfnissen unterstützt, sondern auch mit Liebe und Verständnis aufgenommen zu werden. Der Papst bringt seinen tiefen Dank für die Anstrengungen und Opfer der Einzelnen und der Gemeinden zum Ausdruck, die sich diesen Aufgaben widmen, wobei sie dem Vorbild Christi folgen, der »nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mc 10,45).

Liebe Mitbrüder, in euren Händen liegt die Sorge für den Weinberg des Herrn in Kuba, wo die Verkündigung des Evangeliums vor fünf Jahrhunderten angekommen ist und dessen Werte großen Einfluß auf die Geburt der Nation genommen haben, vor allem durch das Werk des Dieners Gottes Felix Varela und von José Martí, den Boten der Liebe unter den Kubanern und allen Menschen. In diesen Werten sahen sie ein lebenswichtiges Element auch für die Eintracht und die glückliche Zukunft des Vaterlandes.

Dieses Erbe ist in der kubanischen Seele verankert, das heute eurer großmütigen Hirtensorge bedarf, um es immer mehr zu beleben und zu zeigen, daß die Kirche, die ihren Blick auf Jesus Christus richtet, das Gute tun und die Würde der Person fördern will und so Empfindungen des Verständnisses, der Barmherzigkeit und Versöhnung verbreitet und zur Besserung des Menschen und der Gesellschaft beiträgt.

17 Ihr wißt, daß ihr auf die Nähe des Papstes sowie auf das brüderliche Gebet und die Mitarbeit anderer in der Welt verstreuten Teilkirchen zählen könnt.

Ich bitte euch, meinen liebevollen Gruß den Priestern, den Ordensgemeinschaften und den gläubigen Laien wie auch allen Kubanern zu übermitteln, für die ich die »Virgen de la Caridad del Cobre« mit denselben Worten anrufe, mit denen mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. bei seinem Besuch, dessen wir gedenken, vor ihr betete: »Mach aus der kubanischen Nation eine Familie von Brüdern und Schwestern, damit dieses Volk seinen Geist, sein Herz und sein Leben weit aufreißt für Christus, den einzigen Retter und Erlöser, der lebt und herrscht mit dem Vater und dem Heiligen Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit« (Predigt in Santiago, 24.1.1998, 6).

Mit einem besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 20. Februar 2008
Benedikt XVI.



BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI. AN DIE KATHOLIKEN UND DIE GESAMTE BEVÖLKERUNG DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA ANLÄSSLICH DER BEVORSTEHENDEN APOSTOLISCHEN REISE


Liebe Brüder und Schwestern in den Vereinigten Staaten von Amerika!


Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus sei mit euch allen! In wenigen Tagen werde ich meinen Apostolischen Besuch in eurem geliebten Land antreten. Vor meiner Abreise möchte ich euch einen herzlichen Gruß und eine Einladung zum Gebet senden. Wie ihr wißt, werde ich nur zwei Städte besuchen können: Washington und New York. Meine Reise erfolgt jedoch in der Absicht, im Geiste alle Katholiken in den Vereinigten Staaten zu erreichen. Gleichzeitig hoffe ich aufrichtig, daß meine Anwesenheit bei euch als brüderliche Geste gegenüber allen kirchlichen Gemeinschaften gesehen wird und als Zeichen der Freundschaft gegenüber den Angehörigen anderer religiöser Traditionen und allen Männern und Frauen guten Willens. Der auferstandene Herr hat den Aposteln und der Kirche sein Evangelium der Liebe und des Friedens anvertraut, damit die Botschaft an alle Völker weitergegeben werde.

An diesem Punkt möchte ich gern einige Dankesworte anfügen, denn ich weiß, daß viele Menschen, sowohl in kirchlichen Kreisen als auch im öffentlichen Dienst, schon lange mit großem Engagement daran arbeiten, meine Reise vorzubereiten. Ich bin besonders all jenen dankbar, die für den Erfolg der Reise beten, denn das Gebet ist das Wichtigste von allem. Liebe Freunde, ich sage das, weil ich überzeugt bin, daß ohne die Kraft des Gebets, ohne jene innige Vereinigung mit dem Herrn unsere menschlichen Bemühungen sehr wenig ausrichten würden. Das lehrt uns unser Glaube. Gott ist es, der uns rettet, er rettet die Welt und die ganze Geschichte. Er ist der Hirte seines Volkes. Ich komme, von Jesus Christus gesandt, um euch sein Wort des Lebens zu bringen.

Zusammen mit euren Bischöfen habe ich als Thema meiner Reise drei einfache, aber grundlegende Worte gewählt: »Christus, unsere Hoffnung«. Auf den Spuren meiner verehrten Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. werde ich als Papst zum ersten Mal in die Vereinigten Staaten kommen, um diese große Wahrheit zu verkünden: Jesus Christus ist die Hoffnung für die Männer und Frauen jeder Sprache, Hautfarbe, Kultur und Gesellschaftsschicht. Ja, Christus ist das Antlitz Gottes, der unter uns gegenwärtig ist. Durch ihn erlangen wir die Fülle des Lebens, und zusammen, als einzelne und als Völker, können wir eine Familie werden, die in brüderlicher Liebe vereint ist, wie es dem ewigen Plan Gottes, des Vaters, entspricht. Ich weiß, wie tief diese Botschaft des Evangeliums in eurem Land verwurzelt ist. Ich komme, um sie mit euch zu teilen, in einer Reihe von Feiern und Begegnungen. Ich werde die Botschaft der christlichen Hoffnung auch in die große Versammlung der Vereinten Nationen bringen, zu den Vertretern aller Völker der Welt. In der Tat bedarf die Welt mehr denn je der Hoffnung: der Hoffnung auf Frieden, auf Gerechtigkeit und auf Freiheit, aber diese Hoffnung kann niemals erfüllt werden ohne den Gehorsam gegenüber Gottes Gesetz, das Christus zur Erfüllung brachte in dem Gebot, einander zu lieben. Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen, und tut selbst nicht das, was sie in euren Augen nicht tun sollen. Diese »Goldene Regel« steht in der Bibel, aber sie gilt für alle Menschen, auch für die Nichtgläubigen. Es ist das Gesetz, das in das menschliche Herz eingeschrieben ist; darüber sind wir uns alle einig, so daß wir andere Fragen dann in einer für die ganze menschliche Gemeinschaft positiven und konstruktiven Weise angehen können.

... auf spanisch: Ich richte einen herzlichen Gruß an die Katholiken spanischer Sprache und versichere sie meiner geistlichen Nähe, insbesondere die Jugendlichen, die Kranken, die alten Menschen und diejenigen, die sich in Schwierigkeiten befinden oder Not leiden. Ich bringe euch meinen aufrichtigen Wunsch zum Ausdruck, bald bei euch in dieser geliebten Nation sein zu können. Unterdessen lade ich euch ein, intensiv für die pastoralen Früchte meiner bevorstehenden Apostolischen Reise zu beten und die Flamme der Hoffnung auf den auferstandenen Christus hochzuhalten.

... auf englisch: Liebe Brüder und Schwestern, liebe Freunde in den Vereinigten Staaten, ich freue mich sehr darauf, bei euch zu sein. Ihr sollt wissen, daß mein Aufenthalt zwar kurz ist und nur wenige Stationen umfaßt, mein Herz aber dennoch euch allen nahe ist, besonders den Kranken, den Schwachen und den Einsamen. Ich danke euch noch einmal für die Unterstützung meiner Sendung durch das Gebet. Ich umarme jeden von euch herzlich und rufe auf euch den mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria herab.

18 ... auf spanisch: Die Jungfrau Maria möge euch begleiten und schützen. Gott segne euch.

... auf englisch: Gott segne euch alle.



APOSTOLISCHE REISE

IN DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA

UND BESUCH BEI DER ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN

BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.

AN DIE JÜDISCHE GEMEINDE ZUM PESACH-FEST




Mein Besuch in den Vereinigten Staaten veranlaßt mich, einen herzlichen und tiefempfundenen Gruß an meine jüdischen Brüder und Schwestern in diesem Land und in der ganzen Welt zu richten. Einen um so innigeren Gruß, da das große Pesach-Fest naht. „Diesen Tag sollt ihr als Gedenktag begehen. Feiert ihn als Fest zur Ehre des Herrn! Für die kommenden Generationen macht euch diese Feier zur festen Regel!“ (Exodus 12, 14). Obwohl die christliche Osterfeier sich in vielem von Ihrer Pesach-Feier unterscheidet, verstehen und erfahren wir sie in der Kontinuität mit den biblischen Erzählungen von den machtvollen Taten, die der Herr an seinem Volk vollbracht hat.

In dieser Zeit Ihres höchsten Festes fühle ich mich Ihnen besonders nahe, gerade aufgrund dessen, was die Konzilserklärung Nostra Aetate die Christen nie zu vergessen mahnt: daß die Kirche „durch jenes Volk, mit dem Gott aus unsagbarem Erbarmen den Alten Bund geschlossen hat, die Offenbarung des Alten Testaments empfing und genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums, in den die Heiden als wilde Schößlinge eingepropft sind“ (Nostra Aetate NAE 4). Indem ich mich an Sie wende, möchte ich die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die katholisch-jüdischen Beziehungen erneut bekräftigen und die Verpflichtung der Kirche zu dem Dialog wiederholen, der in den letzten vierzig Jahren unsere Beziehungen grundlegend verbessert hat.

Aufgrund dieser Zunahme an Vertrauen und Freundschaft können Christen und Juden sich gemeinsam des tiefen geistlichen Gehaltes des Pascha, eines Gedenkens (zikkarôn)der Freiheit und der Erlösung, erfreuen. Jedes Jahr, wenn wir die Pascha-Geschichte hören, kehren wir zu der gesegneten Nacht der Befreiung zurück. Diese heilige Zeit im Jahr sollte unsere beiden Gemeinschaften dazu aufrufen, nach Gerechtigkeit, Erbarmen und Solidarität gegenüber den Fremden im Land, gegenüber den Witwen und den Waisen zu streben, wie Mose geboten hat: „Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, dort freigekauft. Darum mache ich es dir zur Pflicht, diese Bestimmung einzuhalten“ (Deuteronomium 24, 18).

Am Pascha-Sedermahl erinnern Sie sich an die heiligen Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob und an die heiligen Frauen Israels, an Sarah, Rebecca, Rahel und Lea, den Anfang der langen Reihe von Söhnen und Töchtern des Bundes. Im Laufe der Zeit bekommt der Bund einen immer universelleren Wert, da die Verheißung an Abraham Gestalt annimmt: „Ich werde … dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein … Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“ (Genesis 12, 2-3). Tatsächlich erstreckt sich nach dem Propheten Jesaja die Hoffnung auf Erlösung über die ganze Menschheit: „Viele Nationen machen sich auf den Weg; sie sagen: ,Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen‘.“ (Jesaja 2, 3). Innerhalb dieses eschatologischen Horizontes wird eine reale Aussicht auf eine allgemeine Geschwisterlichkeit geboten, die auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens dem Herrn den Weg bereitet (vgl. Jesaja 62, 10).

Christen und Juden teilen diese Hoffnung; in der Tat sind wir, wie der Prophet sagt, „Gefangene voll Hoffnung“ (Sacharja 9, 12). Dieses Band gestattet uns Christen, zusammen mit Ihnen – wenn auch auf unsere eigene Weise – das Pascha von Christi Tod und Auferstehung zu feiern, das wir als mit Ihrem Pascha untrennbar verbunden betrachten, denn Jesus selbst hat gesagt: „Das Heil kommt von den Juden“ (Johannes 4, 22). Unser Ostern und Ihr Pesach, obgleich klar voneinander unterschieden, vereinen uns in unserer gemeinsamen auf Gott und seine Gnade ausgerichteten Hoffnung. Diese Feiern drängen uns, untereinander und mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, um diese Welt für alle zu verbessern, während wir auf die Erfüllung der Verheißungen Gottes warten.

Mit Respekt und in Freundschaft bitte ich darum die jüdische Gemeinde, meinen Pesach-Gruß entgegenzunehmen in einem Geist der Offenheit für die realen Möglichkeiten der Zusammenarbeit, die wir vor uns sehen, wenn wir die dringende Not unserer Welt betrachten und wenn wir voll Mitleid überall das Leiden von Millionen unserer Brüder und Schwestern sehen. Natürlich schließt unsere gemeinsame Hoffnung auf Frieden in besonderer Weise den Mittleren Osten und das Heilige Land ein. Möge das Gedenken an Gottes Gnaden, das Juden und Christen in dieser Festzeit begehen, alle Verantwortlichen für die Zukunft jener Region, in der die Geschehnisse um Gottes Offenbarung tatsächlich stattgefunden haben, zu neuen Anstrengungen anspornen, und besonders zu neuen Einstellungen und zu einer neuen Läuterung der Herzen!

In meinem Herzen wiederhole ich mit Ihnen den Psalm des Pascha-Hallel (Psalm 118, 1-4) und rufe die Fülle göttlichen Segens auf Sie herab:

„Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig.
So soll Israel sagen: ,Denn seine Huld währt ewig.‘ …
19 So sollen alle sagen, die den Herrn fürchten und ehren: ,Denn seine Huld währt ewig‘.“

Aus dem Vatikan, am 14. April 2008
Benedictus PP XVI






BENEDIKT XVI.

Meinem verehrten Bruder

Bischof Franz-Josef Bode, Bischof von Osnabrück, den Bischöfen, Priestern, Diakonen und Ordensleuten sowie allen Katholikentagsteilnehmern in Osnabrück



Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Aus der Weite der Weltkirche grüße ich alle, die sich zur Eröffnungsveranstaltung des 97. Deutschen Katholikentags vor dem Dom St. Peter in Osnabrück versammelt haben. Der Friede unseres gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus, der seiner Kirche immer nahe bleibt, sei mit euch! Mein besonderer Gruß gilt dem Bischof von Osnabrück, den anwesenden Kardinälen und den Mitbrüdern im Bischofsamt sowie dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, das diesen Katholikentag gemeinsam mit dem Bistum Osnabrück veranstaltet. Ebenso grüße ich die Vertreter des öffentlichen Lebens und alle, die über Rundfunk und Fernsehen mit dabei sind.

»Du führst uns hinaus ins Weite« (vgl. Ps 18,20) ist das Leitwort, unter dem der Katholikentag steht. Was ist diese Weite, in die uns die Begegnung mit Gott, der Glaube hineinführt? Nicht wenige Menschen von heute haben ganz im Gegenteil zu diesem Psalmwort die Furcht, daß der Glaube ihr Leben einengt, daß sie ins Gehäuse der kirchlichen Gebote und Lehren eingezwängt werden und nicht mehr frei sind, sich in der Weite des Lebens und des Denkens von heute bewegen zu können. Sie fühlen sich wie der jüngere Sohn im Gleichnis von den zwei Brüdern (Lc 15,11-32) gedrängt, auszuziehen, Gott beiseite zu lassen und die ganze Weite der Welt zu verkosten. Aber am Schluß wird diese Weite dann doch eng und leer. Erst wenn unser Leben bis zum Herzen Gottes hinaufreicht, hat es die Weite gefunden, für die wir geschaffen sind. Ein Leben ohne Gott wird nicht freier und weiter. Der Mensch ist für das Unendliche bestimmt. Nichts anderes reicht für ihn. Wer aber Gott wegläßt, beschränkt Leben und Welt auf das Endliche, auf das, was wir selber machen und erdenken können, und das ist immer zu wenig. Ja, das Psalmwort ist wahr: Gott gibt uns die Weite, die wir brauchen. Er weitet vor allem unser Herz, daß wir nicht mehr bloß an uns selber denken und um uns selber sorgen. Das Herz, das für Gott offen geworden ist, ist durch die Weite Gottes selbst großzügig und weit geworden. So ein Mensch braucht nicht mehr ängstlich sich umzusehen nach dem eigenen Glück, nach dem eigenen Erfolg und nach der Meinung der anderen. Er ist frei und großmütig geworden, offen für Gottes Ruf. Er kann sich getrost ganz geben, weil er sich – wohin er auch geht – in Gottes guten Händen geborgen weiß. Wem das Herz geweitet wird, der kann Gott und dem Nächsten in seinem Leben einen Ehrenplatz einräumen, der wird gesund durch die Begegnung mit Gott. Wir alle wissen, wie sehr unsere heutige Welt diese Begegnung braucht, wie sehr die Menschen nach dem lebendigen Wasser dürsten, das nur Gott geben kann und das in ihnen »zur sprudelnden Quelle wird, deren Wasser ewiges Leben schenkt« (Jn 4,14). Vertrauen wir darauf, daß die Begegnung mit Gott in seinem Wort und in der Feier der Eucharistie unsere Herzen weitet und uns zu sprudelnden Quellen für den Glauben unserer Mitmenschen macht. Vertrauen wir darauf, daß die vielen Begegnungen der kommenden Tage – auch mit den Gästen aus anderen Konfessionen und Religionen – die Liebe wachsen läßt zu Gott, der ein so weites Herz hat für die Menschen und der selbst die Liebe ist.

Doch die Weite, in die Gott uns führt, ist nicht nur die Weite in uns, sondern auch die Weite vor uns, die Weite der Zukunft. Deshalb ruft uns das Leitwort des Katholikentags auf, das Vertrauen zu Gott in uns zu stärken, das Vertrauen, daß Gott uns in eine Zukunft führt, die gut ist. »Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!« ruft Jesus den Jüngern zu, die sich im Gegenwind beim Rudern auf dem See Gennesaret abmühen (Mc 6,50). Auch wenn die Gegenwart uns manchmal stürmisch ins Gesicht bläst und uns angst und bange wird um die Zukunft: Wir dürfen Vertrauen haben, wir müssen uns nicht fürchten, weil Gott es ist, der uns entgegenkommt. Wenn wir die Zukunft auf diese Weise begreifen, dann können wir die Herausforderungen annehmen, die sie an uns stellt. Dann können wir die Zukunft gestalten und ihre Chancen nutzen. Dazu rufe ich euch, die ihr in Osnabrück versammelt seid, auf: Überlaßt die Gestaltung der Zukunft nicht nur anderen, sondern bringt euch selbst mit Phantasie und Überzeugungskraft in die Debatten der Gegenwart ein! Deshalb ist es gut, daß ihr in Osnabrück zunächst Gott in den Blick nehmt, Gottesdienst feiert und biblische Impulse hört und von daher dann auch über die verschiedenen Felder der Politik und der Gesellschaft diskutiert. Nehmt mit dem Evangelium als Maßstab aktiv am politischen und gesellschaftlichen Geschehen in eurem Land teil! Wagt die Mitgestaltung der Zukunft als katholische Laien in Verbundenheit mit den Priestern und Bischöfen! Mit Gott im Rücken könnt ihr mutig handeln, denn Er ist es, der uns versichert: »Ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben« (Jr 29,11).

Zum Schluß möchte ich noch ein eigenes Wort des Grußes an die vielen Jugendlichen richten, die zum Katholikentag gekommen sind, auch weil Bischof Bode als Jugendbischof der Deutschen Bischofskonferenz euch in besonderer Weise nahesteht und eingeladen hat. Vielen von euch bin ich beim Weltjugendtag 2005 in Köln begegnet, nicht wenige werde ich hoffentlich schon bald beim Weltjugendtag in Sydney in diesem Jahr wiedersehen. Ich freue mich, daß ihr euch nun in Osnabrück versammelt habt, um euch gegenseitig im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu bestärken. Nutzt diese Gelegenheit und laßt euch durch die Botschaft des Katholikentags in die Weite der Möglichkeiten Gottes führen! Gott will euer ganzes Leben durchdringen und euch zeigen, wie groß die Freiheit derjenigen ist, die ihr Leben in seine Hände legen. Wer sein Leben mit Gott lebt, dessen Leben wird weit!

Liebe Brüder und Schwestern, gerne begleite ich eure gemeinsamen Tage in Osnabrück mit meinem Gebet und erteile euch allen von Herzen den Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 11. Mai 2008, Pfingstsonntag



BENEDICTUS PP. XVI BOTSCHAFT VON BENEDIKT XVI. AN DIE GIPFELKONFERENZ ZU ERNÄHRUNGSSICHERUNG UND DEN HERAUSFORDERUNGEN VON KLIMAWANDEL UND BIOENERGIE (@RM 3 RM -5@




Herr Präsident der Italienischen Republik,
20 verehrte Staats- und Regierungschefs,
Herr Generaldirektor der FAO,
Herr Generalsekretär der UNO,
meine Damen und Herren!

Ich freue mich, Ihnen meinen ehrerbietigen und herzlichen Gruß zu übermitteln, die Sie in verschiedenen Funktionen die Menschheitsfamilie repräsentieren und hier in Rom zusammengekommen sind, um Lösungen zu vereinbaren, die geeignet sind, dem Problem des Hungers und der Unterernährung entgegenzutreten.

Kardinal Tarcisio Bertone, meinen Staatssekretär, habe ich gebeten, Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihre Arbeiten mit besonderer Aufmerksamkeit verfolge, und Ihnen zu versichern, daß ich der schwierigen Aufgabe, die vor Ihnen liegt, sehr große Bedeutung beimesse. Auf Sie schauen Millionen von Männern und Frauen, während neue Notlagen ihr Überleben bedrohen und besorgniserregende Situationen die Sicherheit ihrer Länder gefährden. Denn die wachsende Globalisierung der Märkte fördert nicht immer die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, und die Produktionssysteme werden oft bedingt durch strukturelle Einschränkungen sowie durch eine protektionistische Politik und Spekulationen, die ganze Bevölkerungsgruppen an den Rand der Entwicklungsprozesse drängen. Angesichts dieser Situation muß erneut mit Nachdruck betont werden, daß Hunger und Unterernährung inakzeptabel sind in einer Welt, die in Wirklichkeit über ein Produktionsniveau sowie über Ressourcen und Kenntnisse verfügt, die ausreichen würden, um solche dramatischen Situationen und deren Folgen ein Ende zu setzen. Die große Herausforderung von heute besteht darin, »nicht nur die wirtschaftlichen und kommerziellen Interessen zu ›globalisieren‹, sondern auch die Erwartungen der Solidarität unter Achtung und Nutzung des Beitrags eines jeden Gliedes der Gesellschaft« (Ansprache an die Stiftung Centesimus Annus – Pro Pontifice, 31. Mai 2008).

Der FAO und ihrem Generaldirektor gelten daher meine Wertschätzung und meine Dankbarkeit, daß sie erneut die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf das gelenkt haben, was dem Kampf gegen den Hunger Hindernisse in den Weg legt, und sie zu einem Handeln aufgerufen haben, das, um wirksam zu sein, in Abstimmung und Einheitlichkeit erfolgen muß.

In diesem Geist möchte ich den hohen Persönlichkeiten, die an diesem Gipfel teilnehmen, erneut meinen Wunsch unterbreiten, den ich während meines kürzlichen Besuchs am Sitz der UNO zum Ausdruck gebracht habe: Es ist dringend notwendig, das »Paradox eines multilateralen Konsenses […], der sich weiter in der Krise befindet, weil er den Entscheidungen einiger weniger untergeordnet ist«, zu überwinden (Ansprache beim Besuch der UN-Vollversammlung
Am 18 Am 2008 in O.R.dt., Nr. Dt 17,25 Dt 17,4 Dt 17, S. Dt 14). Darüber hinaus erlaube ich mir, Sie zu einer immer transparenteren Zusammenarbeit mit den Organisationen der Zivilgesellschaft einzuladen, die sich dafür einsetzen, den wachsenden Unterschied zwischen Reich und Arm auszugleichen. Ich fordere Sie auch dazu auf, jene Strukturreformen fortzusetzen, die auf nationaler Ebene unerläßlich sind, um erfolgreich die Probleme der Unterentwicklung anzugehen, deren unmittelbare Folgen Hunger und Unterernährung sind. Ich weiß, daß all dies sehr schwierig und komplex ist!

Und dennoch, wie könnte man gleichgültig bleiben gegenüber den Appellen derer, die auf den verschiedenen Kontinenten nicht über die lebensnotwendige Nahrung verfügen? Armut und Unterernährung sind nicht reines Schicksal, das von ungünstigen Umweltbedingungen oder verheerenden Naturkatastrophen verursacht wird. Andererseits dürfen die Überlegungen rein technischer oder ökonomischer Art nicht vorherrschen im Hinblick auf die Pflichten der Gerechtigkeit gegenüber denen, die Hunger leiden. Das Recht auf Nahrung »entspricht vor allem einer ethischen Begründung: ›dem Hungrigen zu essen geben‹ (vgl. Mt 25,35), die dazu antreibt, die materiellen Güter zu teilen als Zeichen der Liebe, derer wir alle bedürfen […]. Dieses Grundrecht auf Nahrung ist eng gebunden an den Schutz des menschlichen Lebens, der feste und unverletzliche Felsen, auf den der gesamte Bau der Menschenrechte gegründet ist« (Ansprache an den neuen Botschafter Guatemalas beim Heiligen Stuhl, 31. Mai 2008). Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben: es ist deshalb notwendig, die effektive Umsetzung dieses Rechts zu fördern, und man muß den Bevölkerungsgruppen, die an Nahrungsmangel leiden, dabei helfen, schrittweise in der Lage zu sein, die eigenen Bedürfnisse einer ausreichenden und gesunden Ernährung zu erfüllen.

In diesem besonderen Augenblick, in dem die Ernährungssicherheit von einer Verteuerung der Agrarprodukte bedroht wird, müssen zudem neue Strategien für den Kampf gegen die Armut und für die Förderung der ländlichen Entwicklung ausgearbeitet werden. Dies muß auch durch Strukturreformen geschehen, die es ermöglichen, die Herausforderungen der Sicherheit und der klimatischen Veränderungen anzugehen; zudem muß die verfügbare Nahrungsmenge vergrößert werden, indem der Arbeitseifer der Kleinbauern gefördert und ihnen der Zugang zum Markt garantiert wird. Der globale Anstieg der Agrarproduktion kann aber nur dann wirksam sein, wenn er begleitet wird von der effektiven Verteilung dieser Produktion und wenn sie vor allen Dingen für die Befriedigung der Grundbedürfnisse bestimmt ist. Es handelt sich sicherlich um einen nicht einfachen Weg, der aber unter anderem auch erlauben würde, den Wert der bäuerlichen Familie wiederzuentdecken: Sie beschränkt sich nicht darauf, daß die Anbaumethoden, die Methoden der Konservierung und Verteilung der Nahrungsmittel von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden, sondern sie ist vor allem ein Lebensmodell, ein Muster der Erziehung, der Kultur und der Religiosität. Außerdem sichert sie in ökonomischer Hinsicht eine wirksame und liebevolle Aufmerksamkeit für die Bedürftigsten und kann durch das Subsidiaritätsprinzip eine direkte Rolle in der Verteilungs- und Kommerzialisierungskette der zur Ernährung bestimmten Agrarprodukte spielen, indem sie die Zwischenhandelskosten reduziert und die Produktion in kleinem Maßstab fördert.

Meine Damen und Herren,

21 die aktuellen Schwierigkeiten zeigen, daß die modernen Technologien allein nicht ausreichen, um den Nahrungsmangel auszugleichen, wie auch statistische Berechnungen und die Sendung von Nahrungshilfen in Notsituationen nicht ausreichend sind. Dies alles ist sicher von großer Bedeutung, dennoch muß es vervollständigt und gelenkt werden von einem politischen Handeln, das inspiriert ist von den Prinzipien des natürlichen Sittengesetzes, die in das Herz des Menschen eingeschrieben sind, und das die Menschenwürde schützt. Auf diese Weise wird auch die Schöpfungsordnung respektiert, und »als Orientierungsmaßstab « gilt »das Wohl aller« (Botschaft zum Weltfriedenstag, 1. Januar 2008, 7; in O.R. dt., Nr. 51/52, 21.12.2007, S. 14). Nur der Schutz der Person ermöglicht es, die Hauptursache des Hungers zu bekämpfen, nämlich jenes sich Verschließen des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen, das die Solidarität auflöst, konsumistische Lebensmodelle rechtfertigt, das Sozialgefüge zerfallen läßt und dabei den Graben ungerechter Verhältnisse aufrechterhält, wenn nicht sogar vertieft, und die tiefsten Erfordernisse des Guten vernachlässigt (vgl. Enzyklika Deus caritas est ). Wenn daher die Achtung der Menschenwürde am Verhandlungstisch, bei den Entscheidungen und ihrer Umsetzung geltend gemacht würde, könnte man Hindernisse überwinden, die andernfalls unüberwindbar wären, und man würde die Gleichgültigkeit gegenüber dem Wohl des anderen beseitigen, oder es würde sich zumindest verringern. Folglich wäre es möglich, mutige Maßnahmen zu treffen, die nicht resignieren angesichts des Hungers und der Unterernährung, als wenn es sich lediglich um örtlich begrenzte Phänomene ohne eine Lösungsmöglichkeit handeln würde. Die Verteidigung der Menschenwürde im Rahmen des Handelns auf internationaler Ebene, auch bei Eingriffen in Notfällen, würde außerdem dazu beitragen, den Überfluß zu ermessen in bezug auf die Bedürftigkeit anderer und die Früchte der Schöpfung gerecht zu verwalten, indem sie allen Generationen zur Verfügung gestellt werden.

Im Licht dieser Prinzipien hoffe ich, daß die bei dieser Versammlung anwesenden Delegationen neue Verpflichtungen eingehen und sich vornehmen, diese mit großer Entschlossenheit zu verwirklichen. Die katholische Kirche ihrerseits möchte sich diesem Engagement anschließen! Im Geist der Zusammenarbeit entnimmt sie jener alten, vom Evangelium inspirierten Weisheit einen Appell, der auch für die Teilnehmer des Gipfels von großer Aktualität ist: »Gib dem zu essen, der vor Hunger stirbt, wenn du ihm nicht zu essen gibst, tötest du ihn« (Decretum Gratiani, c. 21, d. LXXXVI). Ich versichere Ihnen, daß Sie auf diesem Weg auf die Unterstützung des Heiligen Stuhls zählen können. Auch wenn er sich von den anderen Staaten unterscheidet, vereint er sich doch mit ihren edelsten Zielen, um eine Verpflichtung zu besiegeln, die ihrer Natur nach die gesamte internationale Gemeinschaft betrifft: jedes Volk zu ermutigen, die Nöte der anderen Völker zu teilen, indem sie gemeinsam über die Güter der Erde verfügen, die der Schöpfer für die gesamte Menschheitsfamilie bestimmt hat.

Mit diesen Gedanken bringe ich Ihnen meine herzlichsten Wünsche für den Erfolg der Arbeiten zum Ausdruck und rufe den Segen des Allerhöchsten auf Sie und auf alle herab, die sich für einen wahren Fortschritt des Menschen und der Gesellschaft einsetzen.

Aus dem Vatikan, 2. Juni 2008


Bostschaft 2005-2010 15