BOTSCHAFT 2006-2010 26
14. Die Menschheit erlebt heute leider tiefe Spaltungen und starke Konflikte, die düstere Schatten auf ihre Zukunft werfen. Weite Zonen des Planeten sind in wachsende Spannungen verwickelt, während die Gefahr, daß immer mehr Länder in den Besitz von Nuklearwaffen gelangen, in jedem verantwortungsbewußten Menschen begründete Besorgnis aufkommen läßt. Auf dem afrikanischen Kontinent toben noch viele Bürgerkriege, obwohl dort nicht wenige Länder in der Freiheit und in der Demokratie Fortschritte gemacht haben. Der Mittlere Osten ist nach wie vor Schauplatz von Konflikten und Attentaten, die auch angrenzende Nationen und Regionen beeinflussen und Gefahr laufen, sie in die Spirale der Gewalt hineinzuziehen. Auf einer allgemeineren Ebene ist mit Betrübnis festzustellen, daß die Anzahl der in den Rüstungswettlauf verwickelten Länder zunimmt: Sogar Entwicklungsländer widmen einen bedeutenden Teil ihres mageren Bruttoinlandsprodukts dem Kauf von Waffen. Die Verantwortlichkeiten für diesen verhängnisvollen Handel sind vielfältig: Da sind die Länder der industrialisierten Welt, die aus dem Waffenverkauf reichen Gewinn ziehen, und da sind die herrschenden Oligarchien in vielen armen Ländern, die durch den Kauf immer höher entwickelter Waffen ihre Situation stärken wollen. In solch schwierigen Zeiten ist wirklich die Mobilisierung aller Menschen guten Willens notwendig, um zu konkreten Vereinbarungen im Hinblick auf eine wirkungsvolle Entmilitarisierung vor allem im Bereich der Nuklearwaffen zu kommen. In dieser Phase, da der Prozeß der nuklearen Nonproliferation nicht von der Stelle kommt, fühle ich mich verpflichtet, die Autoritäten dazu aufzurufen, die Verhandlungen für eine fortschreitende und vereinbarte Abrüstung der vorhandenen Nuklearwaffen mit festerer Entschlossenheit wieder aufzunehmen. Indem ich diesen Appell erneuere, weiß ich, daß ich damit den gemeinsamen Wunsch all derer zum Ausdruck bringe, denen die Zukunft der Menschheit am Herzen liegt.
15. Sechzig Jahre sind vergangen, seit die Organisation der Vereinten Nationen feierlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte veröffentlichte (1948-2008). Mit diesem Dokument reagierte die Menschheitsfamilie auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, indem sie ihre auf der gleichen Würde aller Menschen beruhende Einheit anerkannte und ins Zentrum des menschlichen Zusammenlebens die Achtung der Grundrechte der einzelnen und der Völker stellte: Das war ein entscheidender Schritt auf dem schwierigen und anspruchsvollen Weg zu Eintracht und Frieden. Eine besondere Erwähnung verdient auch der 25. Jahrestag der Annahme der Charta der Familienrechte durch den Heiligen Stuhl (1983-2008) sowie das 40jährige Jubiläum der Feier des ersten Weltfriedenstags (1968- 2008). Diesen Tag zu begehen, war die Frucht einer glücklichen Intuition Papst Pauls VI., die mein lieber, verehrter Vorgänger Papst Johannes Paul II. mit großer Überzeugung aufgegriffen hat. Die Feier bot im Laufe der Jahre die Möglichkeit, durch die für den Anlaß veröffentlichten Botschaften eine erhellende Lehre der Kirche zugunsten dieses grundlegenden menschlichen Gutes zu entwickeln. Gerade im Licht dieser bedeutenden Jahrestage lade ich jeden einzelnen Menschen ein, sich der gemeinsamen Zugehörigkeit zu der einen Menschheitsfamilie noch klarer bewußt zu werden und sich dafür einzusetzen, daß das Zusammenleben auf der Erde immer mehr diese Überzeugung widerspiegelt, von der die Errichtung eines wahren und dauerhaften Friedens abhängt. Zudem lade ich die Gläubigen ein, unermüdlich von Gott das große Geschenk des Friedens zu erflehen. Die Christen ihrerseits wissen, daß sie sich der Fürsprache Marias anvertrauen können. Sie, die Mutter des Sohnes Gottes, der für das Heil der gesamten Menschheit Fleisch angenommen hat, ist Mutter aller.
Allen wünsche ich ein frohes Neues Jahr!
Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 2007
(1) Erkl. Nostra aetate, 1.
(2) Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Past. Konst. Gaudium et spes, 48.
(3) Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Christifideles laici, 40: AAS 81 (1989) 469.
(4) Ebd.
27 (5) Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, Nr.211.
(6) Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret Apostolicam actuositatem, 11.
(7) Art. 16/3.
(8) Päpstlicher Rat für die Familie, Charta der Familienrechte, 24. November 1983, Präambel, A.
1.Auch zu Beginn dieses neuen Jahres möchte ich allen meinen Friedenswunsch zukommen lassen und sie mit dieser meiner Botschaft einladen, über das Thema ,,Die Armut bekämpfen, den Frieden schaffen” nachzudenken. Schon mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. hatte in der Botschaft zum Weltfriedenstag 1993 die negativen Auswirkungen unterstrichen, welche die Armutssituation ganzer Völker letztlich auf den Frieden hat. Tatsächlich gehört die Armut oft zu den Faktoren, welche Konflikte und auch kriegerische Auseinandersetzungen begünstigen oder verschärfen. Letztere tragen ihrerseits zum Fortbestehen tragischer Situationen von Armut bei. ,,Es macht sich in der Welt eine andere ernste Bedrohung für den Frieden immer besorgniserregender breit”, schrieb Johannes Paul II. ,,Viele Menschen, ja ganze Völkerschaften leben heute in äußerster Armut. Der Unterschied zwischen Reichen und Armen ist auch in den wirtschaftlich hochentwickelten Nationen augenfälliger geworden. Es handelt sich um ein Problem, das sich dem Gewissen der Menschheit aufdrängt, da eine große Zahl von Menschen in Verhältnissen lebt, die ihre angeborene Würde verletzen und infolgedessen den wahren und harmonischen Fortschritt der Weltgemeinschaft gefährden”.[1]
2. In diesem Zusammenhang schließt die Bekämpfung der Armut eine aufmerksame Betrachtung des komplexen Phänomens der Globalisierung ein. Eine solche Betrachtung ist schon unter methodologischem Gesichtspunkt wichtig, weil sie nahelegt, die Ergebnisse der von Wirtschaftswissenschaftlern und Soziologen durchgeführten Forschungen über viele Aspekte der Armut zu verwerten. Der Verweis auf die Globalisierung müßte jedoch auch eine geistige und moralische Bedeutung besitzen und dazu anregen, auf die Armen ganz bewußt im Hinblick darauf zu schauen, daß alle in einen einzigen göttlichen Plan einbezogen sind, nämlich die Berufung, eine einzige Familie zu bilden, in der alle – Einzelpersonen, Völker und Nationen – ihr Verhalten regeln, indem sie es nach den Grundsätzen der Fraternität und der Verantwortung ausrichten.
In dieser Perspektive ist es nötig, eine umfassende und differenzierte Vorstellung von der Armut zu haben. Wenn die Armut ein nur materielles Phänomen wäre, würden die Sozialwissenschaften, die uns helfen, die Dinge auf der Grundlage von vornehmlich quantitativen Daten zu messen, ausreichen, um ihre Hauptmerkmale aufzuzeigen. Wir wissen jedoch, daß es Formen nicht materieller Armut gibt, die keine direkte und automatische Folge materieller Not sind. So existieren zum Beispiel in den wohlhabenden und hochentwickelten Gesellschaften Phänomene der Marginalisierung und der relationalen, moralischen und geistigen Armut: Es handelt sich um innerlich orientierungslose Menschen, die trotz des wirtschaftlichen Wohlergehens verschiedene Formen von Entbehrung erleben. Ich denke einerseits an das, was mit ,,moralischer Unterentwicklung” [2] bezeichnet wird, und andererseits an die negativen Folgen der ,,Überentwicklung”.[3] Und dann übersehe ich nicht, daß in den sogenannten ,,armen” Gesellschaften das Wirtschaftswachstum häufig durch kulturelle Hindernisse gebremst wird, die einen angemessenen Gebrauch der Ressourcen nicht gestatten. Es steht ohnehin fest, daß jede Form von auferlegter Armut in einer mangelnden Achtung der transzendenten Würde der menschlichen Person wurzelt. Wenn der Mensch nicht in der Ganzheit seiner Berufung betrachtet wird und man die Ansprüche einer wirklichen ,,Humanökologie”[4] nicht respektiert, entfesseln sich auch die perversen Dynamiken der Armut, wie es in einigen Bereichen, auf die ich kurz eingehen möchte, deutlich wird. 3. Häufig wird die Armut mit der demographischen Entwicklung gleichsam als deren Ursache in Verbindung gebracht. Infolgedessen laufen Kampagnen zur Geburtenreduzierung, die auf internationaler Ebene auch mit Methoden durchgeführt werden, die weder die Würde der Frau respektieren noch das Recht der Eheleute, verantwortlich die Zahl ihrer Kinder zu bestimmen,[5] und – was noch schwerwiegender ist – oft nicht einmal das Recht auf Leben achten. Die Vernichtung von Millionen ungeborener Kinder im Namen der Armutsbekämpfung ist in Wirklichkeit eine Eliminierung der Ärmsten unter den Menschen. In Anbetracht dessen bleibt das Faktum bestehen, daß 1981 etwa 40% der Weltbevölkerung unterhalb der absoluten Armutsgrenze lebten, während sich dieser Prozentsatz heute praktisch halbiert hat und Völkerschaften, die übrigens ein beachtliches demographisches Wachstum aufweisen, die Armut überwunden haben. Diese Tatsache macht deutlich, daß die Ressourcen zur Lösung des Problems der Armut selbst bei einem Anwachsen der Bevölkerung vorhanden wären. Man darf auch nicht vergessen, daß seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute die Erdbevölkerung um vier Milliarden zugenommen hat und daß dieses Phänomen weitgehend Länder betrifft, die jüngst auf der internationalen Bühne als neue Wirtschaftsmächte erschienen sind und die gerade dank ihrer hohen Einwohnerzahl eine schnelle Entwicklung erlebt haben. Überdies erfreuen sich unter den am meisten entwickelten Nationen jene mit den höchsten Geburtenraten eines besseren Entwicklungspotentials. Mit anderen Worten, es bestätigt sich, daß die Bevölkerung ein Reichtum und nicht ein Armutsfaktor ist.
4. Ein anderer besorgniserregender Bereich sind die pandemischen Krankheiten wie zum Beispiel Malaria, Tuberkulose und AIDS, welche in dem Maß, wie sie die produktiven Teile der Bevölkerung befallen, einen starken Einfluß auf die Verschlechterung der allgemeinen Bedingungen eines Landes ausüben. Die Versuche, die Konsequenzen dieser Krankheiten für die Bevölkerung zu bremsen, erzielen nicht immer Ergebnisse von Bedeutung. Außerdem kommt es vor, daß die von einigen dieser Pandemien betroffenen Länder, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen, Erpressungen von seiten derer erleiden müssen, die wirtschaftliche Hilfen von der Umsetzung einer lebensfeindlichen Politik abhängig machen. Vor allem ist es schwierig, AIDS, eine dramatische Ursache der Armut, zu bekämpfen, wenn man sich nicht der moralischen Problematik stellt, mit der die Verbreitung des Virus verbunden ist. Zunächst müssen Kampagnen unternommen werden, die besonders die Jugendlichen zu einer Sexualität erziehen, die völlig der Würde der Person entspricht; in diesem Sinn realisierte Initiativen haben bereits bedeutende Ergebnisse erzielt, indem sie die Verbreitung von AIDS vermindert haben. Sodann müssen auch den armen Völkern die notwendigen Medikamente und Behandlungen zur Verfügung gestellt werden; das setzt eine entschiedene Förderung der medizinischen Forschung und der therapeutischen Neuerungen voraus sowie nötigenfalls eine flexible Anwendung der internationalen Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums, so daß allen die gesundheitliche Grundversorgung gewährleistet werden kann.
5. Ein dritter Bereich, dem die Aufmerksamkeit in den Programmen zur Bekämpfung der Armut gilt und der die ihr innewohnende moralische Dimension zeigt, ist die Armut der Kinder.Wenn eine Familie von Armut betroffen ist, erweisen sich die Kinder als ihre anfälligsten Opfer: Fast die Hälfte derer, die in absoluter Armut leben, sind heute Kinder. Wenn man sich bei der Betrachtung der Armut auf die Seite der Kinder stellt, sieht man sich veranlaßt, jene Ziele als vorrangig anzusehen, die diese am unmittelbarsten angehen, wie zum Beispiel die Fürsorge für die Mütter, das Engagement in der Erziehung, den Zugang zu Impfungen, zu medizinischer Versorgung und zum Trinkwasser, den Umweltschutz und vor allem den Einsatz zum Schutz der Familie und der Beständigkeit der innerfamiliären Beziehungen. Wenn die Familie schwächer wird, tragen unvermeidlich die Kinder den Schaden davon. Wo die Würde der Frau und der Mutter nicht geschützt wird, bekommen das wiederum in erster Linie die Kinder zu spüren.
28 6. Ein vierter Bereich, dem unter moralischem Gesichtspunkt besondere Aufmerksamkeit gebührt, ist die bestehende Beziehung zwischen Abrüstung und Entwicklung. Das augenblickliche Niveau der weltweiten militärischen Ausgaben ist besorgniserregend. Wie ich bereits betont habe, geschieht es, daß »die enormen materiellen und menschlichen Ressourcen, die in die militärischen Ausgaben und in die Rüstung einfließen, ... den Entwicklungsprojekten der Völker, besonders der ärmsten und hilfsbedürftigsten, entzogen [werden]. Und das verstößt gegen die Charta der Vereinten Nationen, die die internationale Gemeinschaft und insbesondere die Staaten verpflichtet, ,,die Herstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit so zu fördern, daß von den menschlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke abgezweigt wird” (Art. 26)«.[6]
Dieser Sachverhalt ist keine Erleichterung, sondern stellt sogar eine ernste Behinderung für das Erreichen der großen Entwicklungsziele der internationalen Gemeinschaft dar. Außerdem läuft eine übertriebene Erhöhung der militärischen Ausgaben Gefahr, einen Rüstungswettlauf zu beschleunigen, der Enklaven der Unterentwicklung und der Verzweiflung verursacht und sich so paradoxerweise in einen Faktor von Instabilität, von Spannung und von Konflikten verwandelt. Wie mein verehrter Vorgänger Paul VI. weitblickend geäußert hat, ist ,,die Entwicklung die neue Bezeichnung für Frieden”.[7] Darum sind die Staaten dazu aufgefordert, ernsthaft über die tieferen Gründe der häufig durch Ungerechtigkeit entzündeten Konflikte nachzudenken und ihnen durch eine mutige Selbstkritik abzuhelfen. Wenn eine Verbesserung der Beziehungen erreicht wird, müßte das eine Reduzierung der Rüstungsausgaben gestatten. Die eingesparten Geldmittel können dann für Entwicklungsprojekte zugunsten der ärmsten und am meisten notleidenden Menschen und Völker bestimmt werden: Ein großzügiges Engagement in diesem Sinne ist ein Engagement für den Frieden innerhalb der Menschheitsfamilie.
7. Ein fünfter Bereich im Zusammenhang mit der Bekämpfung der materiellen Armut betrifft die augenblickliche Nahrungsmittelkrise, welche die Befriedigung der Grundbedürfnisse aufs Spiel setzt. Diese Krise ist weniger durch einen Mangel an Nahrungsmitteln gekennzeichnet als vielmehr durch Schwierigkeiten des Zugangs zu ihnen und durch Spekulationen, also durch das Fehlen einer Koordination politischer und wirtschaftlicher Institutionen, die in der Lage ist, den Bedürfnissen und Notlagen zu begegnen. Die Unterernährung kann auch schwere psycho-physische Schäden für die Völkerschaften verursachen, indem sie viele Menschen der nötigen Energien beraubt, um ohne spezielle Hilfen aus ihrer Armutssituation herauszukommen. Das trägt dazu bei, daß die Schere der Ungleichheiten weiter auseinandergeht, und provoziert Reaktionen, die Gefahr laufen, in Gewalt zu münden. Die Daten über die Entwicklung der relativen Armut in den letzten Jahrzehnten zeigen alle eine Vergrößerung des Gefälles zwischen Reichen und Armen an. Hauptursachen dieses Phänomens sind zweifellos einerseits der technologische Wandel, dessen Nutzen vor allem der oberen Einkommensklasse zugute kommt, und andererseits die Preisdynamik der Industrieprodukte, deren Kosten wesentlich schneller ansteigen als die Preise der Agrarprodukte und der Rohstoffe, die im Besitz der ärmeren Länder sind. So geschieht es, daß der größte Teil der Bevölkerung der ärmeren Länder unter doppelter Marginalisierung leidet, sowohl durch niedrigere Einnahmen als auch durch höhere Preise. 8. Einer der besten Wege zur Schaffung des Friedens ist eine Globalisierung, die auf die Interessen der großen Menschheitsfamilie [8] ausgerichtet ist. Um die Globalisierung zu lenken, bedarf es jedoch einer starken globalen Solidarität [9] zwischen reichen und armen Ländern sowie innerhalb der einzelnen Länder, auch wenn sie reich sind. Ein ,,gemeinsamer Ethikkodex”[10] ist notwendig, dessen Normen nicht nur den Charakter von Konventionen besitzen, sondern im Naturgesetz wurzeln, das vom Schöpfer in das Gewissen eines jeden Menschen eingeschrieben ist (vgl. Rm 2,14-15). Spürt nicht jeder von uns im Innersten seines Gewissens den Aufruf, seinen eigenen Beitrag zum Allgemeinwohl und zum sozialen Frieden zu leisten? Die Globalisierung beseitigt gewisse Barrieren, doch das bedeutet nicht, daß sie nicht neue aufrichten kann; sie bringt die Völker einander näher, doch die räumliche und zeitliche Nähe schafft von sich aus nicht die Bedingungen für ein wahres Miteinander und einen echten Frieden. Die Marginalisierung der Armen des Planeten kann in der Globalisierung nur dann wirksame Mittel zur Befreiung finden, wenn jeder Mensch sich durch die in der Welt bestehenden Ungerechtigkeiten und die damit verbundenen Verletzungen der Menschenrechte persönlich verwundet fühlt. Die Kirche, die ,,Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit”[11] ist, wird weiterhin ihren Beitrag leisten, damit Ungerechtigkeiten und Unverständnis überwunden werden und man dahin gelangt, eine friedvollere und solidarischere Welt aufzubauen.
9. Auf dem Gebiet des Internationalen Handels und der Finanztransaktionen sind heute Prozesse im Gange, die es erlauben, die Ökonomien positiv zu koordinieren und so zur Verbesserung der allgemeinen Bedingungen beizutragen; doch es gibt auch gegenteilige Prozesse, welche die Völker entzweien und ins Abseits drängen und so gefährliche Voraussetzungen für Kriege und Konflikte schaffen. In den Jahrzehnten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ist der internationale Waren- und Dienstleistungshandel außerordentlich schnell angestiegen und hat dabei eine in der Geschichte zuvor nicht gekannte Dynamik entfaltet. Ein großer Teil des Welthandels betraf die bereits früh industrialisierten Länder, mit der beachtlichen Erweiterung durch viele Schwellenländer, die an Bedeutung gewonnen haben. Es gibt jedoch andere Länder mit niedrigen Einnahmen, die hinsichtlich des Handelsflusses noch schwer marginalisiert sind. Ihr Wachstum hat unter dem in den letzten Jahrzehnten verzeichneten schnellen Verfall der Preise für Primärgüter gelitten, die fast die Gesamtheit ihrer Exporte ausmachen. In diesen – großenteils afrikanischen – Ländern stellt die Abhängigkeit vom Export von Primärgütern weiterhin einen erheblichen Risikofaktor dar. Ich möchte hier erneut dazu aufrufen, allen Ländern die gleichen Zugangschancen zum Weltmarkt einzuräumen und Ausschlüsse und Marginalisierungen zu vermeiden.
10. Ähnliche Überlegungen können über das Finanzwesen angestellt werden, das dank der Entwicklung der Elektronik und der Politik zur Liberalisierung des Geldverkehrs zwischen den verschiedenen Ländern einen der Hauptaspekte des Phänomens der Globalisierung betrifft. Die objektiv wichtigste Funktion des Finanzwesens, nämlich langfristig die Möglichkeit von Investitionen und somit von Entwicklung zu unterstützen, erweist sich heute als äußerst anfällig: Sie erfährt die negativen Rückwirkungen eines Systems von Finanztransaktionen – auf nationaler und globaler Ebene –, die auf einem extrem kurzfristigen Denken beruhen, das den Wertzuwachs aus Finanzaktivitäten verfolgt und sich auf die technische Verwaltung der verschiedenen Formen des Risikos konzentriert. Auch die jüngste Krise beweist, wie die Finanzaktivität manchmal von rein autoreferentiellen Logiken geleitet wird, die jeder langfristigen Rücksicht auf das Allgemeinwohl entbehren. Die Einengung in der Zielsetzung der weltweiten Finanzmakler auf die extreme Kurzfristigkeit vermindert die Fähigkeit des Finanzwesens, seine Brückenfunktion zwischen Gegenwart und Zukunft zu erfüllen zur Unterstützung der Schaffung langfristig angelegter Produktions- und Arbeitsmöglichkeiten. Ein auf kurze und kürzeste Fristen eingeengtes Finanzwesen wird gefährlich für alle, auch für diejenigen, denen es gelingt, während der Phasen der Finanzeuphorie davon zu profitieren.[12]
11. Aus all dem geht hervor, daß die Bekämpfung der Armut eine Zusammenarbeit sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf juristischer Ebene erfordert, die der internationalen Gemeinschaft und im besonderen den armen Ländern ermöglicht, aufeinander abgestimmte Lösungen zu finden und zu verwirklichen, um den oben genannten Problemen durch die Bereitstellung eines wirksamen rechtlichen Rahmens für die Wirtschaft zu begegnen. Sie verlangt außerdem Impulse zur Bildung von leistungsfähigen, auf Mitverantwortung beruhenden Institutionen sowie die Unterstützung im Kampf gegen die Kriminalität und in der Förderung einer Kultur der Legalität. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß eine ausgeprägte Wohlfahrtspolitik häufig Ursache des Scheiterns von Hilfsmaßnahmen für die armen Länder ist. In die Ausbildung der Menschen zu investieren und ergänzend eine spezifische Kultur der Eigeninitiative zu entwickeln, erscheint zur Zeit als der richtige mittel- und langfristige Plan. Wenn die wirtschaftlichen Aktivitäten zu ihrer Entfaltung günstige äußere Umstände brauchen, so bedeutet das nicht, daß man den Problemen des Einkommens keine Aufmerksamkeit schenken darf. Obschon zu Recht unterstrichen worden ist, daß die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens nicht das Ziel schlechthin des politisch-wirtschaftlichen Handelns sein kann, darf man doch nicht vergessen, daß dies ein wichtiges Instrument darstellt, um das Ziel der Bekämpfung von Hunger und absoluter Armut zu erreichen. Unter diesem Gesichtspunkt muß hier die Illusion ausgeräumt werden, daß eine Politik der reinen Umverteilung des bestehenden Vermögens das Problem endgültig lösen könnte. In einer modernen Wirtschaft hängt nämlich der Wert des Vermögens in ausschlaggebendem Maße von der Fähigkeit ab, gegenwärtigen und zukünftigen Gewinn zu schaffen. Die Wertschöpfung erweist sich deshalb als eine unausweichliche Notwendigkeit, die man berücksichtigen muß, wenn man die materielle Armut wirksam und nachhaltig bekämpfen will.
12. Die Armen an die erste Stelle zu setzen, erfordert schließlich den gebührenden Raum für eine korrekte wirtschaftliche Logik bei den Akteuren des internationalen Marktes, für eine korrekte politische Logik bei den institutionellen Akteuren und für eine korrekte Logik der Mitverantwortung, die fähig ist, die lokale wie internationale Zivilgesellschaft zur Geltung zu bringen. Die internationalen Organismen anerkennen heute selbst den hohen Wert und den Vorteil wirtschaftlicher Initiativen der Zivilgesellschaft oder der örtlichen Verwaltungen zur Förderung der Befreiung und Eingliederung jener Bevölkerungsschichten in die Gesellschaft, die häufig unterhalb der äußersten Armutsgrenze leben und zugleich für die offiziellen Hilfen schwer erreichbar sind. Die Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung des 20. Jahrhunderts lehrt, daß gute Entwicklungspolitik von der Verantwortlichkeit der Menschen und der Schaffung eines positiven Zusammenwirkens von Märkten, Zivilgesellschaft und Staaten abhängt. Besonders der Zivilgesellschaft kommt eine ausschlaggebende Rolle in jedem Entwicklungsprozeß zu, denn die Entwicklung ist im wesentlichen ein kulturelles Phänomen, und die Kultur entsteht und entfaltet sich im Zivilbereich.[13]
13. Wie mein verehrter Vorgänger Johannes Paul II. bereits betont hat, offenbart die Globalisierung ,,eine ausgeprägte Charakteristik der Ambivalenz” [14] und muß deshalb mit umsichtiger Klugheit gelenkt werden. Zu dieser Form von Klugheit gehört es auch, vorrangig die Bedürfnisse der Armen der Erde zu berücksichtigen, indem der Skandal des bestehenden Mißverhältnisses zwischen den Problemen der Armut und den Maßnahmen, welche die Menschen vorsehen, um ihnen entgegenzutreten, überwunden wird. Das Mißverhältnis besteht sowohl auf kultureller und politischer als auch auf geistiger und ethischer Ebene. Man bleibt nämlich oft bei den äußeren und praktischen Ursachen der Armut stehen, ohne zu denen vorzudringen, die im menschlichen Herzen wohnen wie die Habgier und die Begrenztheit der Horizonte. Die Probleme der Entwicklung, der Hilfen und der internationalen Zusammenarbeit werden manchmal ohne eine wirkliche Einbeziehung der Menschen als rein technische Fragen angegangen, die sich in der Planung von Strukturen, im Abschluß von Tarifverträgen und in der Bereitstellung anonymer Finanzierungen erschöpfen. Die Bekämpfung der Armut ist dagegen auf Männer und Frauen angewiesen, die zutiefst die Mitmenschlichkeit praktizieren und fähig sind, Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften auf Wegen authentischer menschlicher Entwicklung zu begleiten.29 14. In der Enzyklika Centesimus annus mahnte Johannes Paul II. die Notwendigkeit an, ,,eine Denkweise aufzugeben, die die Armen der Erde — Personen und Völker — als eine Last und als unerwünschte Menschen ansieht, die das zu konsumieren beanspruchen, was andere erzeugt haben”. ,,Die Armen”, schrieb er, ,,verlangen das Recht, an der Nutzung der materiellen Güter teilzuhaben und ihre Arbeitsfähigkeit einzubringen, um eine gerechtere und für alle glücklichere Welt aufzubauen”.[15] In der jetzigen globalisierten Welt wird immer offensichtlicher, daß der Friede nur hergestellt werden kann, wenn man allen die Möglichkeit eines vernünftigen Wachstums sichert: Die Verzerrungen ungerechter Systeme präsentieren nämlich früher oder später allen die Rechnung. Es kann also nur die Torheit dazu verführen, ein vergoldetes Haus zu bauen, wenn ringsum Wüste oder Verfall herrscht. Die Globalisierung allein ist unfähig, den Frieden herzustellen, und in vielen Fällen schafft sie sogar Trennungen und Konflikte. Sie offenbart vielmehr einen Bedarf: den einer Ausrichtung auf ein Ziel völliger Solidarität, die das Wohl eines jeden und aller anstrebt. In diesem Sinn ist die Globalisierung als eine günstige Gelegenheit anzusehen, um in der Bekämpfung der Armut etwas Bedeutendes zu verwirklichen und um der Gerechtigkeit und dem Frieden bisher unvorstellbare Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
15. Von jeher hat sich die Soziallehre der Kirche um die Armen gekümmert. Zur Zeit der Enzyklika Rerum novarum waren dies vor allem die Arbeiter der neuen Industriegesellschaft; in der Soziallehre Pius' XI., Pius' XII., Johannes' XXIII., Pauls VI. und Johannes Pauls II. sind neue Formen der Armut hervorgehoben worden, während sich der Horizont der sozialen Frage weitete, bis sie weltweite Dimensionen angenommen hat.[16] Diese Ausweitung der sozialen Frage auf die Globalität ist nicht nur im Sinn einer quantitativen Ausdehnung zu betrachten, sondern auch im Sinn einer qualitativen Vertiefung über den Menschen und über die Bedürfnisse der Menschheitsfamilie. Darum zeigt die Kirche, während sie die aktuellen Phänomene der Globalisierung und ihre Auswirkung auf die Formen menschlicher Armut aufmerksam verfolgt, die neuen Aspekte der sozialen Frage nicht nur in ihrer Ausdehnung, sondern auch in ihrer Tiefe auf, insofern sie die Identität des Menschen und seine Beziehung zu Gott betreffen. Es sind Prinzipien der Soziallehre, die danach trachten, die Zusammenhänge zwischen Armut und Globalisierung zu klären und das Handeln auf die Schaffung des Friedens auszurichten. Unter diesen Prinzipien ist es angebracht, im Licht des Primats der Nächstenliebe hier in besonderer Weise an die ,,vorrangige Liebe für die Armen” [17] zu erinnern, die von der gesamten christlichen Überlieferung von der Urkirche an bezeugt worden ist (vgl. Ac 4,32-36 1Co 16,1 2Co 8-9 Ga 2,10).
,,Jeder trage ohne Zögern den Teil bei, der ihm obliegt”, schrieb Leo XIII. 1891 und fügte hinzu: ,,Was die Kirche betrifft, wird sie niemals und in keiner Weise von ihrem Werk ablassen”.[18] Dieses Bewußtsein begleitet auch heute das Handeln der Kirche gegenüber den Armen, in denen sie Christus sieht,[19] da sie in ihrem Herzen ständig den Auftrag des Friedensfürsten an die Apostel nachklingen hört: ,,Vos date illis manducare – gebt ihr ihnen zu essen” (Lc 9,13). In der Treue zu dieser Aufforderung ihres Herrn wird die Kirche deshalb niemals versäumen, der gesamten Menschheitsfamilie ihre Unterstützung in den Impulsen zu kreativer Solidarität zu versichern, nicht nur um aus dem Überfluß zu spenden, sondern vor allem um ,,die Lebensweisen, die Modelle von Produktion und Konsum und die verfestigten Machtstrukturen zu ändern, die heute die Gesellschaften beherrschen”.[20] Darum richte ich zu Beginn eines neuen Jahres an alle Jünger Christi wie auch an jeden Menschen guten Willens die dringende Einladung, gegenüber den Bedürfnissen der Armen das Herz zu öffnen und alles konkret Mögliche zu unternehmen, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Unumstößlich wahr bleibt nämlich das Axiom: ,,Die Armut bekämpfen heißt den Frieden schaffen”.
Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 2008.
[1] Botschaft zum Weltfriedenstag 1993, 1
[2] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 19.
[3] Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 28.
[4] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 38.
[5] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 37; Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 25.
[6] Benedikt XVI., Schreiben an Kardinal Renato Raffaele Martino anläßlich der internationalen Studientagung des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden zum Thema ,,Abrüstung, Entwicklung und Frieden. Perspektiven für eine allseitige Abrüstung”, 10. April 2008.
[7] Enzyklika Populorum progressio, 87.
30 [8] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 58.
[9] Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Audienz des Christlichen Verbandes der italienischen Arbeiter ACLI, 27. April 2002, 4: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, XXV, 1 [2002], 637.
[10] Johannes Paul II., Ansprache vor der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften, 27. April 2001, 4: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, XXIV, 1 [2001], 802.
[11] Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Lumen gentium, 1.
[12] Vgl. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 368.
[13] Vgl. ebd., 356.
[14] Ansprache bei der Audienz für Leiter der Arbeiter- und Industriegewerkschaften, 2. Mai 2000, 3: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, XXIII, 1 [2000], 726.
[15] Nr. 28
[16] Vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 3.
[17] Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 42; vgl. Ders., Enzyklika Centesimus annus, 57.
[18] Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum, 45.
31 [19] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 58.
[20] ebd.
1. Zu Beginn des Neuen Jahres möchte ich allen christlichen Gemeinschaften, den Verantwortlichen der Nationen und den Menschen guten Willens in aller Welt aus ganzem Herzen den Frieden wünschen. Für den 43. Weltfriedenstag habe ich das Motto gewählt: Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung. Der Achtung vor der Schöpfung kommt große Bedeutung zu, auch deshalb, weil »die Schöpfung der Anfang und die Grundlage aller Werke Gottes«[1] ist und sich ihr Schutz für das friedliche Zusammenleben der Menschheit heute als wesentlich erweist. Aufgrund der Grausamkeit des Menschen gegen den Menschen gibt es in der Tat zahlreiche Gefährdungen, die den Frieden und die authentische ganzheitliche Entwicklung des Menschen bedrohen, wie Kriege, internationale und regionale Konflikte, Terrorakte und Menschenrechtsverletzungen. Nicht weniger besorgniserregend sind jedoch jene Gefahren, die vom nachlässigen – wenn nicht sogar mißbräuchlichen – Umgang mit der Erde und den Gütern der Natur herrühren, die uns Gott geschenkt hat. Darum ist es für die Menschheit unerläßlich, »jenen Bund zwischen Mensch und Umwelt zu erneuern und zu stärken, der ein Spiegel der Schöpferliebe Gottes sein soll – des Gottes, in dem wir unseren Ursprung haben und zu dem wir unterwegs sind«.[2]
2. In der Enzyklika Caritas in veritate habe ich unterstrichen, daß die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in enger Verbindung mit den Pflichten steht, die sich aus der Beziehung des Menschen zu Umwelt und Natur ergeben. Die Umwelt muß als eine Gabe Gottes an alle verstanden werden, und ihr Gebrauch bringt eine Verantwortung gegenüber der ganzen Menschheit mit sich, insbesondere gegenüber den Armen und gegenüber den zukünftigen Generationen. Ich habe zudem darauf hingewiesen, daß in den Gewissen der Menschen das Verantwortungsbewußtsein abzunehmen droht, wenn die Natur und allem voran der Mensch einfach als Produkt des Zufalls oder des Evolutionsdeterminismus angesehen werden.[3] Wenn wir in der Schöpfung hingegen eine Gabe Gottes an die Menschheit sehen, so hilft uns das, die Berufung und den Wert des Menschen zu verstehen. Mit dem Psalmisten können wir in der Tat voll Staunen ausrufen: »Seh’ ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst?« (Ps 8,4-5). Die Betrachtung der Schönheit der Schöpfung spornt dazu an, die Liebe des Schöpfers zu erkennen, jene Liebe, welche »die Sonne und die übrigen Sterne bewegt«.[4]
3. Vor zwanzig Jahren hat Papst Johannes Paul II. die Botschaft zum Weltfriedenstag dem Thema Friede mit Gott, dem Schöpfer, Friede mit der ganzen Schöpfung gewidmet und damit die Aufmerksamkeit auf die Beziehung gelenkt, die wir als Geschöpfe Gottes mit all dem haben, was uns umgibt. »In unseren Tagen bemerkt man«, schrieb er, »ein wachsendes Bewußtsein dafür, daß der Weltfriede ... auch durch den Mangel an der gebührenden Achtung gegenüber der Natur ... bedroht ist«. Und er fügte hinzu, daß das Umweltbewußtsein »nicht geschwächt werden darf, sondern vielmehr gefördert werden muß, so daß es sich entwickelt und reift und in Programmen und konkreten Initiativen einen angemessenen Ausdruck findet«.[5] Schon andere meiner Vorgänger haben auf die Beziehung zwischen dem Menschen und der Umwelt verwiesen. Im Jahre 1971 zum Beispiel, anläßlich des 80. Jahrestages der Enzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII., hat Papst Paul VI. hervorgehoben, daß die Menschen »die Natur so unbedacht ausgeschlachtet haben, daß Gefahr besteht, sie zu zerstören, und daß der in solchem Mißbrauch liegende Schaden wieder auf sie selbst zurückfällt«. Und er führte weiter aus: »Aber nicht nur die Umwelt des Menschen wird für diesen stets feindlicher, wie zum Beispiel Umweltverschmutzung und Abfälle, neue Krankheiten, totale Vernichtungsgewalt. Der Mensch hat auch die menschliche Gesellschaft selbst nicht mehr im Griff, so daß er für seine Zukunft Lebensbedingungen herbeiführen kann, die für ihn ganz und gar unerträglich sind. Es handelt sich um die Soziale Frage, die so weite Dimensionen hat, daß sie die gesamte Menschheitsfamilie erfaßt«.[6]
4. Auch wenn die Kirche es vermeidet, sich zu spezifischen fachlichen Lösungen zu äußern, so bemüht sie sich als »Expertin in Menschlichkeit«, mit aller Kraft die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen dem Schöpfer, dem Menschen und der Schöpfung zu lenken. Papst Johannes Paul II. hat 1990 von einer »Umweltkrise« gesprochen, und unter dem Hinweis, daß diese in erster Linie ethischer Natur sei, hob er »die dringende moralische Notwendigkeit einer neuen Solidarität«[7] hervor. Dieser Aufruf ist heute angesichts der zunehmenden Zeichen einer Krise noch dringlicher, und es wäre unverantwortlich, dieser Krise keine ernsthafte Beachtung zu schenken. Wie könnte man gleichgültig bleiben angesichts von Phänomenen wie dem globalen Klimawandel, der Desertifikation, der Abnahme und dem Verlust der Produktivität von großen landwirtschaftlichen Gebieten, der Verschmutzung von Flüssen und Grundwasser, dem Verlust der Biodiversität, der Zunahme von außergewöhnlichen Naturereignissen und der Abholzung in tropischen Gebieten. Wie könnte man das wachsende Phänomen der sogenannten »Umweltflüchtlinge« übergehen: Menschen, die aufgrund der Umweltschäden ihre Wohngebiete – oft auch ihr Hab und Gut – verlassen müssen und danach den Gefahren und der ungewissen Zukunft einer zwangsmäßigen Umsiedlung ausgesetzt sind? Wie könnte man untätig bleiben angesichts der schon bestehenden und der drohenden Konflikte um den Zugang zu den natürlichen Ressourcen? All diese Fragen haben einen weitreichenden Einfluß auf die Umsetzung der Menschenrechte, wie zum Beispiel das Recht auf Leben, auf Nahrung, Gesundheit und Entwicklung.
5. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß die Umweltkrise nicht unabhängig von anderen Fragen bewertet werden kann, die mit ihr verknüpft sind, da sie eng mit dem Entwicklungsbegriff selbst und mit der Sicht des Menschen und seiner Beziehung zu seinen Mitmenschen und zur Schöpfung zusammenhängt. Daher ist es sinnvoll, eine tiefgehende und weitblickende Prüfung des Entwicklungsmodells vorzunehmen sowie über den Sinn der Wirtschaft und über ihre Ziele nachzudenken, um Mißstände und Verzerrungen zu korrigieren. Das verlangen der ökologische Zustand des Planeten sowie auch und vor allem die kulturelle und moralische Krise des Menschen, deren Symptome schon seit längerer Zeit in allen Teilen der Welt offensichtlich sind.[8] Die Menschheit braucht eine tiefe kulturelle Erneuerung; sie muß jene Werte wiederentdecken, die ein festes Fundament darstellen, auf dem eine bessere Zukunft für alle aufgebaut werden kann. Die Krisensituationen, die sie heute erlebt – sei es im Bereich der Wirtschaft, in der Nahrungsmittelversorgung, der Umwelt oder der Gesellschaft –, sind im Grunde genommen auch moralische Krisen, die alle miteinander verknüpft sind. Sie machen eine Neuplanung des gemeinsamen Wegs der Menschen notwendig. Sie erfordern insbesondere eine durch Maßhalten und Solidarität gekennzeichnete Lebensweise mit neuen Regeln und Formen des Einsatzes, die zuversichtlich und mutig die positiven Erfahrungen aufgreifen und die negativen entschieden zurückweisen. Nur so kann die derzeitige Krise Gelegenheit zur Unterscheidung und zu einem neuen Planen werden.
6. Stimmt es etwa nicht, daß am Ursprung dessen, was wir in einem kosmischen Sinn »Natur« nennen, ein »Plan der Liebe und der Wahrheit« steht? Die Welt »ist nicht das Ergebnis irgendeiner Notwendigkeit, eines blinden Schicksals oder des Zufalls. ... Sie geht aus dem freien Willen Gottes hervor, der die Geschöpfe an seinem Sein, seiner Weisheit und Güte teilhaben lassen wollte«.[9] Das Buch Genesis stellt uns auf seinen ersten Seiten das weise Projekt des Kosmos vor Augen, das eine Frucht der Gedanken Gottes ist und an dessen Spitze Mann und Frau stehen, die als Abbild des Schöpfers und ihm ähnlich geschaffen wurden, damit sie »die Erde bevölkern« und über diese als von Gott selbst eingesetzte »Verwalter« »herrschen« (vgl. Gn 1,28). Die von der Heiligen Schrift beschriebene Harmonie zwischen Gott, der Menschheit und der Schöpfung wurde durch die Sünde Adams und Evas zerbrochen, durch die Sünde des Mannes und der Frau, die die Stelle Gottes einnehmen wollten und sich weigerten, sich als seine Geschöpfe zu sehen. Konsequenz dessen ist, daß auch die Aufgabe, über die Erde zu »herrschen«, sie zu »bebauen« und zu »hüten«, Schaden genommen hat und es zu einem Konflikt zwischen ihnen und der übrigen Schöpfung gekommen ist (vgl. Gn 3,17-19). Der Mensch hat sich vom Egoismus beherrschen lassen und die Bedeutung von Gottes Gebot aus dem Blick verloren, und in seiner Beziehung zur Schöpfung hat er sich wie ein Ausbeuter verhalten, der über sie eine absolute Dominanz ausüben will. Die wahre Bedeutung des anfänglichen Gebots Gottes bestand aber, wie es das Buch Genesis deutlich zeigt, nicht bloß in einer Übertragung von Autorität, sondern vielmehr in einer Berufung zur Verantwortung. Übrigens erkannte die Weisheit der Antike, daß die Natur uns nicht wie »ein Haufen von zufällig verstreutem Abfall«[10] zur Verfügung steht, während uns die biblische Offenbarung verstehen ließ, daß die Natur eine Gabe des Schöpfers ist, der ihr eine innere Ordnung gegeben hat, damit der Mensch darin die notwendigen Orientierungen finden kann, um sie »zu bebauen und zu hüten« (vgl. Gn 2,15).[11] Alles, was existiert, gehört Gott, der es den Menschen anvertraut hat, aber nicht zu ihrer willkürlichen Verfügung. Wenn der Mensch nicht seine Rolle als Mitarbeiter Gottes erfüllen, sondern die Stelle Gottes einnehmen will, ruft er dadurch schließlich die Auflehnung der Natur hervor, die von ihm »mehr tyrannisiert als verwaltet wird«.[12] Der Mensch hat also die Pflicht, in verantwortlicher Weise über die Natur zu herrschen, sie zu hüten und zu bebauen.[13]
7. Leider muß man feststellen, daß eine große Zahl von Personen in verschiedenen Ländern und Regionen der Erde aufgrund der Nachlässigkeit oder Verweigerung vieler, verantwortungsbewußt mit der Natur umzugehen, wachsende Schwierigkeiten erfährt. Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil hat daran erinnert, daß »Gott die Erde und was sie enthält zum Gebrauch für alle Menschen und Völker bestimmt hat«.[14] Das Schöpfungserbe gehört somit der gesamten Menschheit. Dagegen bringt das derzeitige Tempo der Ausbeutung die Verfügbarkeit einiger natürlicher Ressourcen nicht nur für die gegenwärtige, sondern vor allem für die zukünftigen Generationen in Gefahr.[15] Es ist dann nicht schwer festzustellen, daß die Umweltschäden oft ein Ergebnis des Fehlens weitblickender politischer Programme oder auch der Verfolgung kurzsichtiger wirtschaftlicher Interessen sind, die sich leider zu einer ernsten Bedrohung für die Schöpfung entwickeln. Um diesem Phänomen auf der Grundlage der Tatsache, daß »jede wirtschaftliche Entscheidung eine moralische Konsequenz«[16] hat, zu begegnen, ist es auch nötig, daß die wirtschaftlichen Aktivitäten um so mehr auf die Umwelt Rücksicht nehmen. Wenn man sich der natürlichen Ressourcen bedient, muß man sich um ihre Bewahrung kümmern, indem man auch die Kosten – was die Umwelt und den Sozialbereich betrifft – veranschlagt und als eine wesentliche Position der Kosten der wirtschaftlichen Aktivität selbst bewertet. Es kommt der internationalen Gemeinschaft und den nationalen Regierungen zu, rechte Signale zu setzen, um effektiv jenen Modalitäten der Nutzung der Umwelt entgegenzutreten, die sich als umweltschädigend erweisen. Um die Umwelt zu schützen und die Ressourcen und das Klima zu bewahren, muß man einerseits unter Beachtung von – auch unter rechtlichem und wirtschaftlichem Gesichtspunkt – recht definierten Normen handeln, und andererseits die Solidarität im Blick haben, die denen, die in den ärmsten Gebieten der Erde leben, wie auch den zukünftigen Generationen geschuldet ist.
8. In der Tat scheint es an der Zeit, zu einer aufrichtigen Generationen übergreifenden Solidarität zu gelangen. Die Kosten, die sich aus dem Gebrauch der allgemeinen Umweltressourcen ergeben, dürfen nicht zu Lasten der zukünftigen Generationen gehen: »Erben unserer Väter und Beschenkte unserer Mitbürger, sind wir allen verpflichtet, und jene können uns nicht gleichgültig sein, die nach uns den Kreis der Menschheitsfamilie weiten. Die Solidarität aller, die etwas Wirkliches ist, bringt für uns nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch Pflichten. Es handelt sich um eine Verantwortung, die die gegenwärtigen für die zukünftigen Generationen übernehmen müssen und die auch eine Verantwortung der einzelnen Staaten und der internationalen Gemeinschaft ist«.[17] Der Gebrauch natürlicher Ressourcen müßte dergestalt sein, daß die unmittelbaren Vorteile nicht negative Folgen für die Menschen und andere Lebewesen in Gegenwart und Zukunft mit sich bringen; daß der Schutz des Privateigentums nicht den universalen Bestimmungszweck der Güter beeinträchtigt;[18] daß der Eingriff des Menschen nicht die Fruchtbarkeit der Erde gefährdet – zum Wohl der Welt heute und morgen. Neben einer aufrichtigen Generationen übergreifenden Solidarität muß die dringende moralische Notwendigkeit einer erneuerten Solidarität innerhalb einer Generation, besonders in den Beziehungen zwischen den Entwicklungsländern und den hochindustrialisierten Staaten, betont werden: »Die internationale Gemeinschaft hat die unumgängliche Aufgabe, die institutionellen Wege zu finden, um der Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen Einhalt zu gebieten, und das auch unter Einbeziehung der armen Länder, um mit ihnen gemeinsam die Zukunft zu planen«.[19] Die ökologische Krise zeigt die Dringlichkeit einer Solidarität auf, die sich über Raum und Zeit erstreckt. Es ist in der Tat wichtig, unter den Ursachen der aktuellen ökologischen Krise die historische Verantwortung der Industrieländer zuzugeben. Aber die Entwicklungsländer und besonders die Schwellenländer sind dennoch nicht von der eigenen Verantwortung gegenüber der Schöpfung befreit, weil die Verpflichtung, Schritt für Schritt wirksame umweltpolitische Maßnahmen zu ergreifen, allen zukommt. Dies könnte leichter verwirklicht werden, wenn es weniger eigennützige Rechnungen bei den Hilfeleistungen sowie in der Weitergabe von Wissen und sauberen Technologien gäbe.
9. Zweifellos besteht einer der grundlegenden Kernpunkte, die von der internationalen Gemeinschaft anzugehen sind, darin, für die energetischen Ressourcen gemeinsame und vertretbare Strategien zu finden, um dem Energiebedarf der gegenwärtigen und der zukünftigen Generationen Genüge zu leisten. Zu diesem Zweck müssen die technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften bereit sein, Verhaltensweisen zu fördern, die von einem Maßhalten geprägt sind, indem sie den eigenen Energiebedarf reduzieren und die Nutzungsbedingungen verbessern. Zugleich ist es notwendig, die Erforschung und Anwendung von umweltverträglicheren Energien und die »weltweite Neuverteilung der Energiereserven« zu fördern, »so daß auch die Länder, die über keine eigenen Quellen verfügen, dort Zugang erhalten können«.[20] Die ökologische Krise bietet daher die historische Gelegenheit, eine kollektive Antwort zu erarbeiten, die darauf abzielt, das Modell globaler Entwicklung in eine Richtung zu lenken, die der Schöpfung und einer ganzheitlichen Entwicklung des Menschen größeren Respekt zollt, weil es sich an den typischen Werten der Nächstenliebe in der Wahrheit orientiert. Ich erhoffe deshalb die Annahme eines Entwicklungsmodells, das auf der Zentralität der menschlichen Person gegründet ist, auf der Förderung des gemeinsamen Wohls und der Teilhabe daran, auf der Verantwortlichkeit, auf dem Bewußtsein der notwendigen Änderung des Lebensstils und auf der Klugheit, jener Tugend, welche die heute auszuführenden Handlungen anzeigt mit Rücksicht darauf, was morgen geschehen kann.[21]
BOTSCHAFT 2006-2010 26