Benedikt XVI Predigten 6

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EUCHARISTIEFEIER ZUR ERÖFFNUNG DER

XI. ORDENTLICHEN GENERALVERSAMMLUNG DER WELTBISCHOFSSYNODE

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersdom

Sonntag, 2. Oktober 2005




Liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Die Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja und das Evangelium des heutigen Tages stellen uns eines der großartigen Bilder der Heiligen Schrift vor Augen: das Bild vom Weinberg. Das Brot steht in der Heiligen Schrift für alles, was der Mensch für sein tägliches Leben braucht. Das Wasser verleiht dem Boden die Fruchtbarkeit: Es ist die wesentliche Gabe, die Leben möglich macht. Der Wein hingegen ist Ausdruck der Erlesenheit der Schöpfung, er schenkt uns die Festesfreude, in der wir die Grenzen des Alltags überschreiten: Der Wein »erfreut das Herz«. So sind der Wein und mit ihm der Weinberg auch zum Bild jener Gabe der Liebe geworden, in der wir etwas vom Göttlichen schmecken. Und die Lesung aus dem Text des Propheten, die wir soeben gehört haben, beginnt denn auch als Liebeslied: Gott hat sich einen Weinberg geschaffen – das ist ein Bild für die Geschichte seiner Liebe zur Menschheit, seiner Liebe zu Israel, das er erwählt hat. Der erste Gedanke der heutigen Lesungen ist also folgender: Gott hat dem nach seinem Bild geschaffenen Menschen die Fähigkeit verliehen, zu lieben, und damit die Fähigkeit, auch ihn selbst, seinen Schöpfer, zu lieben. Mit dem Liebeslied des Propheten Jesaja will Gott zum Herzen seines Volkes sprechen – und auch zu einem jeden von uns. »Ich habe dich nach meinem Bild und Gleichnis geschaffen«, sagt er zu uns. »Ich selber bin die Liebe, und du bist in dem Maße mein Ebenbild, in dem in dir der Glanz der Liebe erstrahlt, in dem Maße, in dem du mir mit Liebe antwortest«. Gott erwartet von uns eine aus aufrichtiger Liebe gegebene Antwort. Er will von uns geliebt werden: Sollte etwa ein solcher Anruf unser Herz nicht rühren? Gerade in dieser Stunde, in der wir die Eucharistie feiern, in der wir die Synode zum Thema Eucharistie eröffnen, kommt Er auf uns zu, kommt Er auf mich zu. Wird er eine Antwort finden? Oder ergeht es ihm mit uns wie mit dem Weinberg, von dem Gott bei Jesaja sagt: »Er hoffte, daß der Weinberg süße Trauben brächte, doch er brachte nur saure Beeren«? Ist vielleicht unser christliches Leben oft nicht mehr Essig als Wein? Selbstbemitleidung, Konflikt, Gleichgültigkeit?

Damit sind wir ganz von selbst beim zweiten Grundgedanken der heutigen Lesungen angekommen. Sie sprechen, wie wir gehört haben, zunächst von der Güte der Schöpfung Gottes und von der Größe der Erwählung, mit der Er uns sucht und uns liebt. Doch dann reden sie auch von der Geschichte, die sich anschließend abspielte – vom Scheitern des Menschen. Gott hatte sorgfältig ausgesuchte Weinstöcke gepflanzt, und trotzdem waren saure Beeren gewachsen. Wir fragen uns nun, was mit diesen sauren Beeren gemeint ist. Die guten Trauben, die Gott sich erwartete, wären – sagt der Prophet – Gerechtigkeit und Redlichkeit gewesen. Die sauren Beeren hingegen sind die Gewalt, das Blutvergießen und die Unterdrückung, die die Menschen seufzen lassen unter dem Joch der Ungerechtigkeit. Im Evangelium ändert sich das Bild: Der Weinberg bringt gute Trauben hervor, aber die Winzer behalten sie für sich. Sie sind nicht bereit, dem Besitzer des Weinbergs die Früchte zu übergeben. Sie schlagen und töten seine Knechte und erschlagen seinen Sohn. Ihr Motiv ist einfach: Sie wollen sich selbst zu Gutsbesitzern machen; sie eignen sich etwas an, das nicht ihnen gehört. Im Alten Testament steht an erster Stelle die Beschuldigung wegen Verletzung der sozialen Gerechtigkeit, wegen Verachtung des Menschen durch den Menschen. Im Hintergrund scheint jedoch auf, daß durch die Mißachtung der Tora, des von Gott geschenkten Rechtes, Gott selbst mißachtet wird; man will nur die eigene Macht genießen. Im Gleichnis Jesu kommt dieser Aspekt voll zur Geltung: Die Winzer wollen keinen Gutsherrn haben – und diese Winzer sind auch ein Spiegel für uns. Wir Menschen, denen die Schöpfung gleichsam zur Verwaltung anvertraut ist, reißen sie an uns. Wir wollen selber die alleinigen Besitzer der Schöpfung sein. Wir wollen die Welt und unser Leben uneingeschränkt besitzen. Dabei steht uns Gott im Weg. Man macht aus ihm entweder eine einfache fromme Phrase oder er wird überhaupt geleugnet, aus dem öffentlichen Leben verbannt, so daß er schließlich völlig bedeutungslos wird. Die Toleranz, die Gott sozusagen als Privatmeinung zuläßt, ihm aber die öffentliche Herrschaft, die Wirklichkeit der Welt und unseres Lebens verweigert, ist keine Toleranz, sondern Heuchelei. Dort jedoch, wo sich der Mensch zum alleinigen Besitzer der Welt und zum Eigentümer seiner selbst erklärt, kann es keine Gerechtigkeit geben. Dort kann nur die Willkür der Macht und der Interessen herrschen. Sicherlich kann man den Sohn aus dem Weinberg vertreiben und ihn töten, um in egoistischer Absicht die Früchte der Erde allein zu genießen. Aber da verwandelt sich der Weinberg sehr rasch in Ödland, das von den Ebern aufgewühlt wird, wie es im Antwortpsalm heißt (vgl. Ps Ps 80,14).

Damit kommen wir zum dritten Element der heutigen Lesungen. Im Alten wie im Neuen Testament kündigt der Herr dem untreuen Weinberg das Gericht an. Das Gericht, das Jesaja vorhersah, ist in den großen Kriegen und Vertreibungen durch die Assyrer und Babylonier Wirklichkeit geworden. Das vom Herrn Jesus angekündigte Gericht bezieht sich vor allem auf die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70. Aber die Androhung des Gerichts betrifft auch uns, die Kirche in Europa, es betrifft Europa und den Westen im allgemeinen. Mit diesem Evangelium ruft der Herr auch uns laut die Worte in die Ohren, die er in der Geheimen Offenbarung an die Kirche von Ephesus richtete: »Wenn du nicht umkehrst, werde ich kommen und deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken« (Ap 2,5). Auch uns kann das Licht weggenommen werden, und wir tun gut daran, wenn wir diese Mahnung in ihrer ganzen Ernsthaftigkeit in unserer Seele erschallen lassen, während wir gleichzeitig zum Herrn rufen: »Hilf uns umzukehren! Schenke uns allen die Gnade einer echten Erneuerung! Laß nicht zu, daß dein Licht unter uns erlösche! Stärke du unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe, damit wir gute Früchte bringen!«

An diesem Punkt erhebt sich allerdings in uns die Frage: »Aber gibt es denn in der Lesung und im Evangelium von heute keine Verheißung, kein Wort des Trostes? Ist die Drohung das letzte Wort?« Nein! Die Verheißung gibt es, und sie ist das letzte, das entscheidende Wort. Wir vernehmen sie in dem aus dem Johannesevangelium entnommenen Vers des Halleluja, der folgendermaßen lautet: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht« (Jn 15,5). Mit diesen Worten des Herrn veranschaulicht uns Johannes den letzten und wahren Ausgang der Geschichte vom Weinberg Gottes. Gott scheitert nicht. Am Ende siegt Er, siegt die Liebe. Eine verschleierte Anspielung darauf findet sich bereits in dem vom heutigen Evangelium vorgelegten Gleichnis vom Weinberg und in dessen Schlußworten. Auch dort ist der Tod des Sohnes nicht das Ende der Geschichte, auch wenn die Fortsetzung der Geschichte nicht direkt erzählt wird. Doch Jesus umschreibt diesen Tod mit einem neuen Bild aus dem Psalm: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden …« (Mt 21,42 Ps 118,22). Aus dem Tod des Sohnes sprießt das Leben hervor, entsteht ein neuer Bau, ein neuer Weinberg. Er, der in Kana das Wasser in Wein verwandelte, hat sein Blut in den Wein der wahren Liebe verwandelt und verwandelt so den Wein in sein Blut. Im Abendmahlssaal hat er seinen Tod vorweggenommen und ihn in die Selbsthingabe, in einen Akt radikaler Liebe, verwandelt. Sein Blut ist Hingabe, ist Liebe und darum der wahre Wein, den der Schöpfer erwartete. Auf diese Weise ist Christus selbst zum Weinstock geworden, und dieser Weinstock trägt immer gute Frucht: die Gegenwart seiner Liebe zu uns, die unzerstörbar ist.

So münden diese Gleichnisse am Ende in das Geheimnis der Eucharistie ein, in der uns der Herr das Brot des Lebens und den Wein seiner Liebe schenkt und uns zum Fest der ewigen Liebe einlädt. Wir feiern die Eucharistie in dem Bewußtsein, daß ihr Preis der Tod des Sohnes war – das Opfer seines Lebens, das in ihr gegenwärtig bleibt. Sooft wir von diesem Brot essen und aus diesem Kelch trinken, verkünden wir den Tod des Herrn, bis er kommt, sagt der hl. Paulus (vgl. 1Co 11,26). Aber wir wissen auch, daß aus diesem Tod das Leben hervorsprießt, weil Jesus ihn in eine Geste selbstloser Hingabe, in einen Akt der Liebe verwandelt und somit zutiefst verändert hat: Die Liebe hat den Tod besiegt. In der Heiligsten Eucharistie zieht er, vom Kreuz herab, uns alle an sich (Jn 12,32) und läßt uns zu Reben des Weinstocks werden, der er selbst ist. Wenn wir mit ihm vereint bleiben, dann werden auch wir Frucht bringen, dann wird auch von uns nicht mehr der Essig der Selbstgenügsamkeit, der Unzufriedenheit mit Gott und seiner Schöpfung kommen, sondern der gute Wein der Freude an Gott und der Liebe zum Nächsten. Wir bitten den Herrn, uns seine Gnade zu schenken, damit wir in den drei Wochen der Synode, die wir heute beginnen, nicht nur schöne Dinge über die Eucharistie sagen, sondern vor allem aus ihrer Kraft leben. Laßt uns, liebe Synodenväter, die ich euch zusammen mit den verschiedenen Gemeinschaften, aus denen ihr kommt und die ihr hier repräsentiert, sehr herzlich begrüße, durch Maria dieses Geschenk erbitten, damit wir in Fügsamkeit gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes der Welt helfen können, in Christus und mit Christus zum fruchtbaren Weinstock Gottes zu werden. Amen.
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EXEQUIEN FÜR DEN VERSTORBENEN KARD. GIUSEPPE CAPRIO

PREDIGT VON BENEDIKT XVI. Dienstag, 18. Oktober 2005



»Euer Herz lasse sich nicht verwirren … Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten« (Jn 14,1 Jn 14,2). Diese Worte Jesu, des Herrn, erleuchten und trösten uns, liebe und verehrte Brüder, in dieser Stunde des von Trauer erfüllten Gebetes, in der wir uns um die sterbliche Hülle des verstorbenen Kardinals Giuseppe Caprio versammeln, dem wir nun unseren letzten Gruß erweisen. Am vergangenen Samstag hat er uns am Ende einer langen irdischen Pilgerreise verlassen, die ihn aus einem kleinen Ort in Irpinien in verschiedene Teile der Welt und vor allem hier nach Rom führte, wo er im Dienst des Heiligen Stuhls stand, dem er sein Leben gewidmet hat. In seinem Testament begegnen wir dem gelassenen Vertrauen, zu dem Christus seine Jünger anhält. Gleich zu Anfang schreibt er: »Ich danke der allerheiligsten Dreifaltigkeit, daß sie mich erschaffen und erlöst hat und mich in einer Familie heranwachsen ließ, die arm war an materiellen Gütern, aber reich an christlichen Tugenden und die mich von den ersten Jahren meiner Kindheit an gelehrt hat, Gott zu lieben und seinem heiligen Gesetz zu gehorchen

»Ich danke der allerheiligsten Dreifaltigkeit… «: Liegt in diesen Worten nicht gleichsam die Synthese des Lebens eines Christen? Am Ende des irdischen Tages sammelt sich die Seele in inniger und ergriffener Dankbarkeit, erkennt, daß alles Geschenk ist und bereitet sich vor auf die endgültige Umarmung mit Gott, der die Liebe ist. Von eben diesem Gefühl innigen Vertrauens auf den Herrn hat die Erste Lesung zu uns gesprochen, die dem Buch Jesus Sirach entnommen ist: »Ihr, die ihr den Herrn fürchtet, hofft auf sein Erbarmen, … vertraut auf ihn … hofft auf Heil, auf immerwährende Freude und auf Erbarmen« (2,7–9). Die Gottesfurcht ist Anfang und Fülle der Weisheit (vgl. Sir Si 1,12 Sir Si 1,14). Aus ihr geht der Frieden hervor (vgl. Sir Si 1,16), der seinerseits Synonym für jenes vollendete und ewige Glück ist, das als Frucht aus der göttlichen Barmherzigkeit erwächst. Wer in der heiligen Gottesfurcht lebt, findet den wahren Frieden, und »am Tag seines Todes wird er gepriesen« (1,13), wie noch Jesus Sirach wiederholt. Gott in seiner Barmherzigkeit vergebe dem geliebten Kardinal Caprio jede etwaige Schuld und nehme ihn auf in sein Reich des Lichtes und des Friedens, denn dieser unser Bruder hat danach gestrebt, treu der Heiligen Kirche zu dienen.

»Mein Sohn, wenn du dem Herrn dienen willst … hänge am Herrn und weiche nicht ab, damit du am Ende erhöht wirst« (Si 2,1 Si 2,3). Der junge Giuseppe Caprio, der aus Lapìo stammte, trat ins Seminar von Benevent ein, um dem Herrn zu dienen. Dort begann er seine Studien, die er in Rom an der Päpstlichen Universität Gregoriana fortsetzte und mit der Lizenz in Theologie und der Promotion in Kirchenrecht abschloß. Im Jahre 1938 wurde er zum Priester geweiht. Wir lesen in seinem Testament: »Mit dem Herzen voll Verwirrung und Dankbarkeit danke ich [Gott] dafür, daß er mich zum Priester berufen hat.« Auch wir schließen uns in diesem Moment im Gebet seiner Danksagung an, während wir uns anschicken, für seine Seele das eucharistische Opfer darzubringen, das der Mittelpunkt des priesterlichen Lebens ist und diesem Gestalt verleiht. Besonders in diesen Tagen, in denen sich die ganze Kirche sozusagen auf das Geheimnis der Eucharistie konzentriert, denke ich gern daran, daß eben dort am Altar das Leben und der Dienst des Kardinals Caprio ihren tiefen Berührungspunkt fanden, inmitten mehrerer Ortswechsel, die der diplomatische Dienst am Heiligen Stuhl für ihn mit sich brachte: von Rom nach Nanking, dann nach Brüssel, Saigon, Taipeh, Neu-Delhi und schließlich wieder nach Rom. Die Gegenwart des auferstandenen Christus war ihm gewiß ein Trost in den schwierigsten Momenten, zu denen besonders die Zeit seines Zwangsaufenthalts in der Nuntiatur von Nanking im Jahre 1951 gehörte und die darauffolgende Auflage, China zu verlassen. In seinem Testament merkt er an: »Ich erhebe meine dankbaren und ergebenen Gedanken zum Papst, der mir die hohe Ehre erwiesen hat, ihn in vielen Ländern zu vertreten und dem ich immer in Treue und mit der Liebe eines Kindes gedient habe.« War es etwa nicht die Eucharistie, aus der Kardinal Caprio die geistliche Kraft schöpfen konnte, die es ihm ermöglichte, Tag für Tag die Sendung anzunehmen, die ihm von seinen Oberen anvertraut worden war, und sie bis zum Ende liebevoll zu erfüllen?

»Pax in virtute«: Der verstorbene Kardinal Caprio wählte dieses Motto, als der selige Papst Johannes XXIII. ihn 1961 zum Erzbischof ernannte. Nachdem er am II. Vatikanischen Konzil teilgenommen hatte, verbrachte er kurze Zeit als Pro-Nuntius in Indien und kehrte dann nach Rom zurück, wo er in den direkten Dienst des Apostolischen Stuhls gestellt wurde und wichtige Ämter bekleidete. Er war unter anderem Substitut des Staatssekretariats und Präsident der Verwaltung der Güter des Apostolischen Stuhls. Seine ganzheitliche Sicht der Probleme der Kirche und sein tief im Geiste des Konzils verankertes ständiges Bemühen, die administrativen Aspekte zu den übergeordneten Interessen in Beziehung zu setzen, stießen auf Anerkennung.

»Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen« (1Co 15,20). Das Licht des auferstandenen Jesus erleuchtet die Finsternis des Todes, des »letzten Feindes« (1Co 15,26), dem wir die Schuld zurückzahlen müssen, die durch die Erbsünde auf uns gekommen ist, der aber die Gläubigen nicht mehr beherrscht, denn der Herr hat ihn ein für allemal besiegt. »In Christus werden alle lebendig gemacht werden. Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören« (1 Kor 15,22–23). Die Liturgie bezieht dieses Wort des Paulus auf die Jungfrau Maria am Hochfest ihrer Aufnahme in den Himmel. Ich möchte an dieser Stelle ein Zeugnis der Marienverehrung des Kardinals Giuseppe Caprio geben, so wie sie in seinem Testament deutlich wird: »Ich vertraue«, so schreibt er, »meine Seele der allerseligsten Jungfrau von Pompeji an, damit sie sie ihrem Sohn Jesus Christus darbringe und so Vergebung und Erbarmen für mich erlange.« Wir machen uns dieses Gebet, das sein Gebet war, zu eigen in diesem Moment des Schmerzes und der lebendigen Hoffnung. Mit Zuneigung und Dankbarkeit begleiten wir diesen unseren Bruder auf seiner letzten Reise zum wahren Osten, das heißt zu Christus, der nie untergehenden Sonne, und wir haben volles Vertrauen darauf, daß Gott ihn mit offenen Armen empfangen und ihm den Platz vorbehalten wird, den er für seine Freunde, die treuen Diener des Evangeliums und der Kirche, bereitet hat.
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EUCHARISTIEFEIER AM WELTMISSIONSTAG,

ABSCHLUSS DER X. ORDENTLICHEN GENERALVERSAMMLUNG DER BISCHOFSSYNODE UND DES JAHRES DER EUCHARISTIE,

HEILIGSPRECHUNG DER SELIGEN:

JÓZEPH BILCZEWSKI;

GAETANO CATANOSO;

ZYGMUNT GORAZDOWSKI;

ALBERTO HURTADO CRUCHAGA;

FELIX VON NICOSIA

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersplatz

Weltmissionstag

Sonntag, 23. Oktober 2005

Verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,

liebe Brüder und Schwestern!

An diesem 30. Sonntag im Jahreskreis ist unsere Eucharistiefeier aus verschiedenen Gründen reich an Momenten der Danksagung und des Bittgebetes an Gott. Das Jahr der Eucharistie sowie die Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode, die ja dem eucharistischen Geheimnis im Leben und in der Sendung der Kirche gewidmet war, finden gleichzeitig ihren Abschluß, während in Kürze fünf Selige heiliggesprochen werden: der Bischof Józeph Bilczewski, die Priester Gaetano Catanoso, Zygmunt Gorazdowski und Alberto Hutardo Cruchaga, sowie der Kapuzinerbruder Felix von Nicosia. Darüber hinaus wird heute der Weltmissionssonntag begangen, ein jährlicher Termin, der in der kirchlichen Gemeinschaft den missionarischen Eifer wachruft. Ich richte mit Freude meinen Gruß an alle Anwesenden, zunächst an die Synodenväter und dann an die Pilger, die zusammen mit ihren Hirten aus verschiedenen Ländern gekommen sind, um die neuen Heiligen zu feiern. Die heutige Liturgie lädt uns ein, die Eucharistie als Quelle der Heiligkeit und als geistliche Nahrung für unsere Sendung in der Welt zu betrachten: Dieses höchste »Geschenk und Geheimnis« offenbart und vermittelt uns die Fülle der Liebe Gottes.

Das Wort des Herrn, das wir eben im Evangelium gehört haben, erinnert uns daran, daß in der Liebe das ganze göttliche Gesetz zusammengefaßt ist. Das zweifache Gebot der Gottes- und Nächstenliebe beinhaltet die beiden Aspekte einer einzigen Dynamik des Herzens und des Lebens. Jesus bringt auf diese Weise die alte Offenbarung zur Erfüllung und fügt dabei kein neues Gebot hinzu, sondern verwirklicht in sich selbst und in seinem Heilswirken die lebendige Synthese der beiden bedeutsamen Worte des Alten Bundes: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen…« und »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (vgl. Dtn Dt 6,5 Lv 19,18). In der Eucharistie betrachten wir das Sakrament dieser lebendigen Synthese des Gesetzes: Christus vertraut uns in seiner Person die volle Verwirklichung der Liebe zu Gott und der Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern an. Und diese seine Liebe übermittelt er uns, wenn wir uns von seinem Leib und seinem Blut nähren. Dann kann sich in uns das verwirklichen, was der hl. Paulus den Thessalonichern in der heutigen Zweiten Lesung schreibt: »Ihr habt euch von den Götzen zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen« (1Th 1,9). Diese Bekehrung ist der Anfang des Weges der Heiligkeit, den zu gehen der Christ in seinem Leben berufen ist. Der Heilige ist ein Mensch, der so fasziniert ist von der Schönheit Gottes und von seiner vollkommenen Wahrheit, daß er nach und nach davon verwandelt wird. Für diese Schönheit und Wahrheit ist er bereit, auf alles zu verzichten, auch auf sich selbst. Ihm genügt die Liebe Gottes, die er im demütigen und uneigennützigen Dienst am Nächsten erfährt, besonders an denen, die es ihm nicht vergelten können. Wie providentiell ist doch in dieser Hinsicht die Tatsache, daß die Kirche heute allen ihren Gläubigen fünf neue Heilige vorstellt, die sich von Christus, dem lebendigen Brot, ernährt und sich so zur Liebe bekehrt haben, die ihr ganzes Dasein geprägt hat! In unterschiedlichen Lebenssituationen und mit verschiedenen Charismen haben sie den Herrn mit ungeteiltem Herzen geliebt und den Nächsten wie sich selbst und wurden so »ein Vorbild für alle Gläubigen« (1Th 1,7). [Nach diesen Worten auf italienisch sagte der Heilige Vater auf polnisch:]

Der hl. Józef Bilczewski war ein Mann des Gebets. Die heilige Messe, das Stundengebet, die Meditation, der Rosenkranz und andere Andachtsübungen prägten seinen Tagesablauf. Besonders viel Zeit widmete er der eucharistischen Anbetung.

Auch der hl. Zygmunt Gorazdowski zeichnete sich durch seine Frömmigkeit aus, deren Grundlage die Feier und Anbetung der Eucharistie war. Seine Nachahmung der Selbsthingabe Christi veranlaßte ihn dazu, sich den Kranken, den Armen und den Hilfsbedürftigen zu widmen. […und auf ukrainisch:]

Sein tiefe Kenntnis der Theologie, sein Glaube und seine Verehrung der Eucharistie haben Józef Bilczewski zu einem Vorbild für die Priester und zu einem Zeugen für alle Gläubigen gemacht.

Zygmunt Gorazdowski hat sich bei den Gründungen der Priestervereinigung, der Kongregation der Schwestern vom hl. Josef und vieler anderer karitativer Institute immer vom Geist der Gemeinschaft leiten lassen, der sich in der Eucharistie in ganzer Fülle offenbart. [Der Papst wechselte zur spanischen Sprache:]

»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen … Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (Mt 22,37 Mt 22,39). Das war das Lebensprogramm des hl. Alberto Hurtado, der sich mit dem Herrn identifizieren und mit dessen Liebe die Armen lieben wollte. Durch seine Ausbildung in der Gesellschaft Jesu, die er durch das Gebet und die eucharistische Anbetung festigte, ließ sich dieser Mann von Christus ergreifen und war ein wahrhaft kontemplativer Mensch in der Aktion. In der Liebe und der völligen Hingabe an den Willen Gottes fand er die Kraft für sein Apostolat. Er gründete »El Hogar de Cristo« [»Heimstätte Christi«] für die Bedürftigsten und Obdachlosen und bot ihnen so eine familiäre Umgebung voll menschlicher Wärme. In seinem priesterlichen Dienst zeichnete er sich durch Schlichtheit und Verfügbarkeit für andere Menschen aus und war so ein lebendiges Abbild des »gütigen und von Herzen demütigen« Meisters. Am Ende seiner Tage hatte er in den starken Schmerzen, die seine Krankheit mit sich brachte, noch die Kraft, immer wieder zu sagen: »Ich bin zufrieden, Herr, ich bin zufrieden«, und brachte auf diese Weise die Freude zum Ausdruck, die ihn immer begleitet hatte. [Danach fuhr Benedikt XVI. auf italienisch fort:]

Der hl. Gaetano Catanoso war ein Verehrer und Apostel des Heiligen Antlitzes Christi. »Das Heilige Antlitz« – so sagte er – »ist mein Leben. Es ist meine Kraft«. Durch eine glückliche Eingebung verband er diese Verehrung mit der eucharistischen Frömmigkeit. Er merkte dazu an: »Wenn wir das wahre Antlitz Jesu anbeten wollen … dann finden wir es in der göttlichen Eucharistie, wo sich mit dem Leib und Blut Jesu Christi unter dem weißen Schleier der Hostie das Antlitz unseres Herrn verbirgt.« Die tägliche Messe und die häufige Anbetung des Altarsakraments waren die Herzmitte seines Priestertums. Mit brennender und unermüdlicher Hirtenliebe widmete er sich der Verkündigung, der Katechese, dem Beichtdienst, den Armen, den Kranken und der Förderung priesterlicher Berufungen. Den von ihm gegründeten Veronikaschwestern vom Heiligen Antlitz vermittelte er den Geist der Liebe, der Demut und der Opferbereitschaft, der sein ganzes Dasein beseelte.

Der hl. Felix von Nicosia liebte es, bei jeder freudigen oder traurigen Gelegenheit zu sagen: »Es geschehe aus Liebe zu Gott«. So können wir gut verstehen, wie intensiv und konkret in ihm die Erfahrung der Liebe Gottes war, die in Christus den Menschen offenbart wurde. Dieser demütige Kapuzinerbruder und bedeutende Sohn Siziliens, der schlicht und bußfertig war, treu gegenüber den urspünglichsten Ausdrucksformen franziskanischer Tradition, wurde von der Liebe Gottes, die er in der Nächstenliebe lebte und umsetzte, nach und nach umgeformt und verwandelt. Bruder Felix hilft uns, den Wert der kleinen Dinge zu erkennen, die das Leben kostbarer machen, und er lehrt uns, den Sinn der Familie und des Dienstes an den Geschwistern zu verstehen, indem er uns zeigt, daß die wahre und dauerhafte Freude, nach der sich jedes menschliche Herz sehnt, eine Frucht der Liebe ist.

Liebe und verehrte Synodenväter, drei Wochen lang haben wir zusammen in einem Klima erneuerter eucharistischer Frömmigkeit gelebt. Ich möchte nun mit euch und im Namen des gesamten Episkopats den Bischöfen der Kirche in China einen brüderlichen Gruß übermitteln. Wir haben großen Schmerz empfunden über die Abwesenheit ihrer Vertreter. Ich möchte jedoch allen chinesischen Bischöfe versichern, daß wir im Gebet bei ihnen und bei ihren Priestern und Gläubigen sind. Wir tragen den leidvollen Weg der Gemeinschaften, die ihrer Hirtensorge anvertraut sind, in unseren Herzen. Er wird nicht ohne Früchte bleiben, denn er ist Teilhabe am österlichen Geheimnis, zu Ehren des Vaters. Im Rahmen der Synodenarbeit konnten wir die wichtigsten Aspekte dieses Geheimnisses vertiefen, das der Kirche seit ihren Anfängen geschenkt ist. Die Betrachtung der Eucharistie sollte alle Glieder der Kirche und vor allem die Priester als Diener der Eucharistie dazu veranlassen, ihr Treueversprechen zu erneuern. Das eucharistische Geheimnis, das sie feiern und anbeten, ist die Grundlage des Zölibats, den die Priester als wertvolles Geschenk und Zeichen der ungeteilten Liebe zu Gott und zu den Menschen empfangen haben. Auch für die Laien soll die eucharistische Spiritualität der innere Antrieb allen Handelns sein, und eine Trennung von Glauben und Leben kann in ihrer Sendung zur christlichen Beseelung der Welt nicht geduldet werden. Wie könnte man nun, da das Jahr der Eucharistie zu Ende geht, Gott nicht danken für die vielen Gaben, die er der Kirche in dieser Zeit gewährt hat? Und wie könnte man nicht die Einladung des geliebten Papstes Johannes Paul II. zu einem »Neubeginn in Christus« wiederaufnehmen? Wie die Emmausjünger – die in ihrem Innersten vom Wort des Auferstandenen erwärmt wurden und die von seiner lebendigen Gegenwart, derer sie sich beim Brechen des Brotes bewußt geworden waren, erleuchtet waren – unverzüglich nach Jerusalem zurückkehrten und zu Boten der Auferstehung Christi wurden, so nehmen auch wir unseren Weg wieder auf, beseelt vom lebendigen Verlangen, Zeugnis abzulegen vom Geheimnis dieser Liebe, die der Welt Hoffnung gibt.

Zu dieser eucharistischen Sichtweise paßt sehr gut der heutige Weltmissionssonntag, dem der verehrte Diener Gottes Johannes Paul II. das Thema »Mission: Brot, das gebrochen wird für das Leben der Welt« als Gegenstand der Reflexion gegeben hatte. Wenn die kirchliche Gemeinschaft die Eucharistie feiert, besonders am Tag des Herrn, dann wird sie sich immer deutlicher dessen bewußt, daß das Opfer Christi für alle (vgl. Mt Mt 26,28) ist. Die Eucharistie veranlaßt den Christen, für die anderen zum »Brot, das gebrochen wird« zu werden und sich einzusetzen für eine gerechtere und brüderlichere Welt. Auch heute noch fordert Christus vor der Menschenmenge seine Jünger auf: »Gebt ihr ihnen zu essen!« (Mt 14,16), und in seinem Namen verkündigen und bezeugen die Missionare das Evangelium, manchmal sogar mit dem Opfer ihres Lebens. Liebe Freunde, wir alle müssen im Hinblick auf die Eucharistie einen Neubeginn wagen. Maria, die eucharistische Frau, helfe uns, in die Eucharistie verliebt zu sein. Sie helfe uns, in der Liebe Christi zu »bleiben«, damit wir von Ihm im Innersten erneuert werden. Im Gehorsam gegenüber dem Wirken des Geistes und aufmerksam für die Bedürfnisse der Menschen wird die Kirche immer mehr zum Ausstrahlungspunkt des Lichtes, der wahren Freude und der Hoffnung werden und wird so ihre Sendung erfüllen, »Zeichen und Werkzeug … für die Einheit der ganzen Menschheit« (Lumen gentium LG 1) zu sein.
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HL. MESSE ZUM GEDENKEN AN DIE IM VERGANGENEN JAHR

VERSTORBENEN KARDINÄLE UND BISCHÖFE

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Freitag, 11. November 2005




Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Der November erhält seine besondere spirituelle Atmosphäre durch die beiden ersten Tage des Monats: das Hochfest Allerheiligen und den Gedenktag Allerseelen. Das Geheimnis der Gemeinschaft der Heiligen erhellt auf besondere Weise diesen Monat wie auch den ganzen letzten Teil des liturgischen Jahres und ist richtungsweisend für unsere Meditation über die irdische Bestimmung des Menschen im Licht des Ostergeheimnisses Christi. In ihm gründet jene Hoffnung, die, wie der hl. Paulus sagt, nicht zugrunde gehen läßt (vgl. Röm Rm 5,5). Die heutige Feier fügt sich in diesen Kontext ein, in dem der Glaube jene Empfindungen veredelt, die tief ins menschliche Herz eingeschrieben sind. Die große Familie der Kirche findet in diesen Tagen eine Zeit der Gnade, die sie ihrer Berufung entsprechend lebt, indem sie sich im Gebet dem Herrn nähert und sein Erlösungsopfer für das Seelenheil der Verstorbenen darbringt. Auf besondere Weise bringen wir es heute für jene Kardinäle und Bischöfe dar, die im Laufe des vergangenen Jahres von uns gegangen sind.

Lange Zeit habe ich dem Kardinalskollegium angehört, dessen Dekan ich auch zweieinhalb Jahre lang war. Dieser einzigartigen Gemeinschaft fühle ich mich daher besonders eng verbunden, und es war mir eine Ehre, ihr auch in den unvergeßlichen Tagen nach dem Hinscheiden des geliebten Papstes Johannes Paul II. vorzustehen. Unter vielen anderen leuchtenden Beispielen, die er uns hinterlassen hat, war er uns ein wertvolles Vorbild im Gebet, und auch in diesem Augenblick treten wir sein spirituelles Erbe an, in dem Bewußtsein, daß seine Fürsprache vom Himmel aus noch intensiver sein wird. In den vergangenen zwölf Monaten sind fünf verehrte Brüder Kardinäle ins Jenseits eingegangen: Juan Carlos Aramburu, Jan Pieter Schotte, Corrado Bafile, Jaime Sin und vor kaum einem Monat Giuseppe Caprio. Zusammen mit ihren Seelen vertrauen wir dem Herrn auch die der Erzbischöfe und Bischöfe an, die ihr irdisches Leben im gleichen Zeitraum beschlossen haben. Beten wir gemeinsam für jeden von ihnen im Licht des Wortes, das Gott in dieser Liturgie an uns gerichtet hat.

Die Stelle aus dem Buch Jesus Sirach enthält zunächst eine Aufforderung zu Standhaftigkeit in der Prüfung und dann die Einladung, auf Gott zu vertrauen. Dem Menschen, der durch die Wechselfälle des Lebens geht, empfiehlt die Weisheit: »Hänge am Herrn, und weiche nicht ab, damit du am Ende erhöht wirst« (Si 2,3). Wer Gott dient und sein Leben dem kirchlichen Dienst weiht, wird nicht von Prüfungen verschont, im Gegenteil, er trifft auf noch gefährlichere, was die Erfahrung der Heiligen in besonderem Maße verdeutlicht. Aber ein gottesfürchtiges Leben befreit das Herz von jeder Angst und taucht es ein in seine unendlich tiefe Liebe. »Ihr, die ihr den Herrn fürchtet, vertraut auf ihn … hofft auf Heil, auf immerwährende Freude und auf Erbarmen!« (Sir 2,8–9).

Diese Aufforderung zum Vertrauen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Anfang der soeben verkündeten Perikope des Johannesevangeliums: »Euer Herz lasse sich nicht verwirren, « sagt Jesus zu den Aposteln beim Letzten Abendmahl. »Glaubt an Gott, und glaubt an mich« (Jn 14,1). Das menschliche Herz, stets rastlos umherirrend bis es einen sicheren Hafen findet, erreicht hier endlich den starken Fels, wo es bleiben und ruhen kann. Wer auf Jesus vertraut, setzt sein Vertrauen auf Gott selbst. Jesus ist wahrhaft Mensch, aber ihm können wir völlig und bedingungslos vertrauen, denn – wie er selbst kurz darauf an Philippus gewandt sagt – er ist im Vater und der Vater ist in ihm (vgl. Joh Jn 14,10). Dadurch ist Gott uns wirklich entgegengekommen. Wir Menschen brauchen einen Freund, einen Bruder, der uns an der Hand nimmt und uns zum »Haus des Vaters« führt (Jn 14,2); wir brauchen jemanden, der den Weg gut kennt. Und in seiner »großen Liebe« (Ep 2,4) hat Gott seinen Sohn gesandt, nicht nur um uns den Weg zu weisen, sondern um selbst zum »Weg« zu werden (Jn 14,6).

»Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Jn 14,6), sagt Jesus. Dieses »niemand« läßt keine Ausnahmen zu; aber genau genommen entspricht es einem anderen Wort Jesu, das er wiederum beim Letzten Abendmahl, den Jüngern den Kelch reichend, sprach: »Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden« (Mt 26,28). Auch gibt es im Haus des Vaters »viele Wohnungen «, was bedeutet, daß bei Gott Platz für »alle« ist (vgl. Joh Jn 14,2). Jesus ist der Weg, der »allen« offensteht; es gibt keine anderen Wege. Und alle Wege, die »anders« zu sein scheinen, führen, soweit sie authentisch sind, zu ihm zurück, denn sonst führen sie nicht zum Leben. Unermeßlich ist daher das Geschenk, das der Vater der Menschheit machte, als er seinen eingeborenen Sohn sandte. Diesem Geschenk entspricht eine Verantwortung, die um so größer ist, je tiefer die auf ihr beruhende Beziehung zu Jesus ist. »Wem viel gegeben wurde« – sagt der Herr –, »von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen« (Lc 12,48). Während wir Gott Dank sagen für alle Wohltaten, die er unseren verstorbenen Mitbrüdern geschenkt hat, bringen wir daher für sie die Verdienste des Leidens und Sterbens Christi dar, damit sie die durch unsere menschliche Schwäche verursachten Mängel füllen können.

Der Antwortpsalm (Psalm 122) und die Zweite Lesung (1 Joh 3,1–2) erfüllen unsere Herzen mit Staunen über die Hoffnung, zu der wir berufen sind. Der Psalmist läßt sie uns singen als ein Lied auf Jerusalem und lädt uns ein, im Geiste dem Vorbild jener Pilger zu folgen, die in die heilige Stadt »hinaufzogen« und nach langer Reise voll Freude vor ihren Toren standen: »Ich freute mich, als man mir sagte: ›Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern‹. Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem!« (Ps 122, 1–2). Der Apostel Johannes bringt sie in seinem ersten Brief zum Ausdruck und vermittelt uns die dankerfüllte Gewißheit, Kinder Gottes geworden zu sein wie auch die Erwartung der vollen Offenbarung dieser Realität: »Jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, daß wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist« (1Jn 3,2).

Verehrte und geliebte Brüder, mit diesem Geheimnis der Erlösung im Herzen feiern wir die heilige Eucharistie für jene Kardinäle und Bischöfe, die uns unlängst vorausgegangen sind zur letzten Reise ins ewige Leben. Wir erbitten die Fürsprache des hl. Petrus und der allerseligsten Jungfrau Maria, damit sie sie im Haus des Vaters empfangen mögen, in der zuversichtlichen Hoffnung, daß wir uns eines Tages mit ihnen gemeinsam an der Fülle des Lebens und des Friedens erfreuen können. Amen.
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Benedikt XVI Predigten 6