ANSPRACHE 2005 60
Köln
Liebe muslimische Freunde!
Es bereitet mir große Freude, Sie zu empfangen und herzlich zu begrüßen. Sie wissen, ich bin hier in Köln, um die Jugendlichen zu treffen, die aus allen Teilen Europas und der Welt gekommen sind. Die Jugendlichen sind die Zukunft der Menschheit und die Hoffnung der Nationen. Mein geliebter Vorgänger, Papst Johannes Paul II., sagte einmal zu den jungen Muslimen, die im Stadion von Casablanca in Marocco versammelt waren: »Die Jugendlichen können eine bessere Zukunft bauen, wenn sie sich vor allem im Glauben auf Gott ausrichten und sich dann bemühen, diese neue Welt nach dem Plan Gottes zu errichten, mit Weisheit und Vertrauen« (Insegnamenti, VIII/2, 1985, S. 500). Aus dieser Blickrichtung wende ich mich an Sie, verehrte und liebe muslimische Freunde, um mit Ihnen meine Hoffnungen zu teilen und Sie in diesen besonders schwierigen Zeiten unserer aktuellen Geschichte auch an meinen Sorgen teilhaben zu lassen.
Ich bin sicher, auch Ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen, wenn ich unter allen Sorgen diejenige hervorhebe, die aus dem sich immer weiter ausbreitenden Phänomen des Terrorismus entspringt. Ich weiß, daß sehr viele von Ihnen auch öffentlich besonders jede Verknüpfung Ihres Glaubens mit dem Terrorismus entschieden zurückgewiesen und ihn eindeutig verurteilt haben. Dafür danke ich Ihnen, denn das fördert das Klima des Vertrauens, das wir brauchen. In verschiedenen Teilen der Welt wiederholen sich fortlaufend terroristische Aktionen, die Menschen in Kummer und Verzweiflung stürzen. Die Ersinner und Planer dieser Attentate zeigen, daß sie unsere Beziehungen vergiften, das Vertrauen zerstören wollen. Sie bedienen sich aller Mittel, sogar der Religion, um jedem Bemühen um ein friedliches, entspanntes Zusammenleben entgegenzuwirken. Wir sind uns gottlob darüber einig, daß Terrorismus, welcher Herkunft er auch sei, eine perverse und grausame Entscheidung ist, die das unantastbare Recht auf Leben mit Füßen tritt und die Fundamente jedes geordneten Zusammenlebens untergräbt. Wenn es uns gemeinsam gelingt, das Haßgefühl aus den Herzen auszurotten, uns gegen jede Form von Intoleranz zu verwahren und uns jeder Manifestation von Gewalt zu widersetzen, dann werden wir gemeinsam die Welle des grausamen Fanatismus aufhalten, die das Leben so vieler Menschen aufs Spiel setzt und den Fortschritt des Friedens in der Welt behindert. Die Aufgabe ist schwer, aber nicht unmöglich. Der gläubige Mensch - und wir alle als Christen und als Muslime sind gläubige Menschen - weiß, daß er sich trotz der eigenen Schwäche auf die geistige Kraft des Gebetes verlassen kann.
Liebe Freunde, ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir, ohne dem negativen Druck der Umgebung zu weichen, die Werte der gegenseitigen Achtung, der Solidarität und des Friedens bekräftigen müssen. Das Leben jedes Menschen ist heilig, für die Christen wie für die Muslime. Wir haben ein großes Aktionsfeld, in dem wir uns im Dienst an den moralischen Grundwerten vereint fühlen dürfen. Die Würde der Person und die Verteidigung der Rechte, die sich aus dieser Würde ergeben, müssen Ziel und Zweck jedes sozialen Planes und jedes Bemühens zu dessen Durchsetzung sein. Das ist eine Botschaft, welche die leise, aber deutliche Stimme des Gewissens in unverwechselbarer Weise skandiert. Es ist eine Botschaft, die man hören und zu Gehör bringen muß: Würde ihr Widerhall in den Herzen verstummen, wäre die Welt der Finsternis einer neuen Barbarei ausgesetzt. Nur über die Anerkennung der Zentralität der Person kann man eine gemeinsame Verständigungs-Grundlage finden, eventuelle kulturelle Gegensätze überwinden und die explosive Kraft der Ideologien neutralisieren.
In der Begegnung, die ich im April mit den Delegierten der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und mit den Vertretern verschiedener religiöser Traditionen hatte, habe ich gesagt: »Ich versichere Ihnen, daß die Kirche fortfahren will, Brücken der Freundschaft mit den Anhängern aller Religionen zu bauen, mit dem Ziel, das echte Wohl jedes Menschen und der Gesellschaft im Ganzen zu suchen« (vgl. L’Osservatore Romano, 25. April 2005, S. 4). Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt uns, daß sich die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen leider nicht immer durch gegenseitige Achtung und durch Verständnis ausgezeichnet haben. Wie viele Seiten der Geschichte verzeichnen Schlachten und Kriege, die auf der einen wie auf der anderen Seite unter Anrufung des Namens Gottes begonnen wurden, als ob die Bekämpfung des Feindes und die Tötung des Gegners etwas sein könnte, das Gott gefällt! Die Erinnerung an diese traurigen Ereignisse müßte uns mit Scham erfüllen, denn wir wissen sehr wohl, was für Grausamkeiten im Namen der Religionen begangen worden sind. Die Lektionen der Vergangenheit müssen uns davor bewahren, die gleichen Fehler zu wiederholen. Wir wollen Wege der Versöhnung suchen und lernen, so zu leben, daß jeder die Identität des anderen respektiert. Die Verteidigung der Religionsfreiheit ist in diesem Sinne ein ständiger Imperativ, und die Achtung der Minderheiten ein unanfechtbares Zeichen wahrer Zivilisation.
In diesem Zusammenhang ist es immer angebracht, an das zu erinnern, was die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils in bezug auf die Beziehungen zu den Muslimen gesagt haben: »Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie bemühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft… Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode [das Zweite Vatikanische Konzil] alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen« (Erklärung Nostra aetate NAE 3).
Diese Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils bleiben für uns die Magna Charta des Dialogs mit Ihnen, liebe muslimische Freunde, und ich freue mich, daß Sie aus dem gleichen Geist heraus zu uns gesprochen und diese Intentionen bestätigt haben. Sie, verehrte Freunde, vertreten einige muslimische Gemeinschaften, die in diesem Land existieren, in dem ich geboren bin, studiert und einen Gutteil meines Lebens verbracht habe. Gerade darum war es mein Wunsch, Sie zu treffen. Sie führen die Gläubigen des Islam und erziehen sie im muslimischen Glauben. Die Lehre ist das Mittel zur Weitergabe von Vorstellungen und Überzeugungen. Das Wort ist der Hauptweg in der Erziehung des Geistes. Sie tragen deshalb eine große Verantwortung in der Erziehung der nachwachsenden Generationen. Ich bin dankbar zu hören, in welchem Geist Sie diese Verantwortung wahren. Gemeinsam müssen wir - Christen und Muslime - uns den zahlreichen Herausforderungen stellen, die unsere Zeit uns aufgibt. Für Apathie und Untätigkeit ist kein Platz, und noch weniger für Parteilichkeit und Sektentum. Wir dürfen der Angst und dem Pessimismus keinen Raum geben. Wir müssen vielmehr Optimismus und Hoffnung pflegen. Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden. Tatsächlich ist er eine vitale Notwendigkeit, von der zum großen Teil unsere Zukunft abhängt. Die Jugendlichen aus vielen Teilen der Erde sind hier in Köln als lebendige Zeugen für Solidarität, Brüderlichkeit und Liebe. Ich wünsche Ihnen, verehrte und liebe muslimische Freunde, von ganzem Herzen, daß der barmherzige und mitleidige Gott Sie beschütze, Sie segne und Sie immer erleuchte. Der Gott des Friedens erhebe unsere Herzen, nähre unsere Hoffnung und leite unsere Schritte auf den Straßen der Welt.
Ich danke Ihnen.
61 Köln, Marienfeld
Liebe Jugendliche!
Auf unserem Pilgerweg mit den geheimnisvollen Weisen aus dem Orient sind wir jetzt an der Stelle angelangt, die uns Matthäus in seinem Evangelium so beschreibt: »Und sie gingen in das Haus (über dem der Stern stehengeblieben war) und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und beteten es an« (Mt 2,11). Der äußere Weg dieser Männer war zu Ende. Sie waren an ihrem Ziel. Aber an dieser Stelle beginnt für sie ein neuer Weg, eine innere Pilgerschaft, die ihr ganzes Leben ändert. Denn sie hatten sich diesen neugeborenen König gewiß anders vorgestellt. Sie hatten ja in Jerusalem Halt gemacht und beim dortigen König nach dem verheißenen Königskind gefragt. Sie wußten, daß die Welt in Unordnung war, und deswegen war ihr Herz unruhig geblieben. Sie waren gewiß, daß es Gott gebe, einen gerechten und gütigen Gott. Und sie hatten wohl auch von den großen Prophezeiungen gehört, in denen die Propheten Israels einen König vorhersagten, der im innersten Einklang mit Gott stehen und von ihm her die Welt in Ordnung bringen würde. Diesen König waren sie suchen gegangen: Sie waren im tiefsten auf der Suche nach dem Recht, nach der Gerechtigkeit, die von Gott kommen mußte, und wollten diesem König zu Diensten sein, sich ihm zu Füßen werfen und so selbst der Erneuerung der Welt dienen. Sie gehörten zu denen, die »Hunger und Durst haben nach der Gerechtigkeit« (Mt 5,6). Diesem Hunger und Durst waren sie mit ihrer Pilgerschaft gefolgt - sie waren Pilger zur Gerechtigkeit, die sie von Gott erwarteten und in deren Dienst sie selber treten wollten.
Gottes Auch wenn die anderen Menschen, die zu Hause Gebliebenen, sie für Phantasten und Träumer halten mochten - sie waren durchaus Realisten und wußten, daß zur Änderung der Welt Macht gehört. Deshalb konnten sie das Kind der Verheißung zunächst nur im Königspalast suchen. Aber nun beugen sie sich vor einem Kind armer Leute, und sehr bald erfuhren sie, daß Herodes - der König, den sie aufgesucht hatten - mit seiner Macht ihm nachstellen würde und daß der Familie nur die Flucht und das Exil verblieben. Der neue König, den sie anbeteten, war ganz anders, als sie erwartet hatten. So mußten sie lernen, daß Gott anders ist, als wir ihn gewöhnlich uns vorstellen. Nun begann ihre innere Wanderung. Sie begann in dem Augenblick, in dem sie sich vor diesem Kind niederwarfen und es als den verheißenen König anerkannten. Aber diese freudigen Gesten mußten sie erst innerlich einholen. [Der Papst fuhr fort in Englisch:]
Sie mußten ihren Begriff von Macht, von Gott und vom Menschen ändern und darin sich selbst ändern. Sie sahen nun: Die Macht Gottes ist anders als die Macht der Mächtigen der Welt. Die Art, wie Gott wirkt, ist anders, als wir es uns ausdenken und ihm gerne vorschreiben möchten. Gott tritt in dieser Welt nicht in Konkurrenz zu den weltlichen Formen der Macht. Er stellt nicht seine Divisionen anderen Divisionen gegenüber. Er schickt Jesus auf dem Ölberg nicht zwölf Legionen Engel zu Hilfe (vgl. Mt 26,53). Er stellt der lauten, auftrumpfenden Macht dieser Welt die wehrlose Macht der Liebe gegenüber, die am Kreuz - und dann in der Geschichte immer wieder - unterliegt und doch das Neue, das Göttliche ist, das nun dem Unrecht entgegentritt und Gottes Reich heraufführt. Gott ist anders - das erkennen sie nun. Und das bedeutet, daß sie nun selbst anders werden, Gottes Art erlernen müssen.
Sie waren gekommen, sich in den Dienst dieses Königs zu stellen, ihr Königtum nach dem Seinen auszurichten. Das war der Sinn ihrer Huldigungsgebärde, ihrer Anbetung. Zu ihr gehörten auch die Geschenke - Gold, Weihrauch, Myrrhe - Gaben, die man einem für göttlich angesehenen König spendete. Anbetung hat einen Inhalt, und zu ihr gehört auch eine Gabe. Die Männer aus dem Orient waren durchaus auf der richtigen Spur, als sie mit der Gebärde der Anbetung dieses Kind als ihren König anerkennen wollten, in dessen Dienst sie ihre Macht und ihre Möglichkeiten zu stellen gedachten. Sie wollten durch den Dienst für ihn und die Gefolgschaft mit ihm der Sache der Gerechtigkeit, des Guten in der Welt dienen. Und da hatten sie recht. Aber nun lernen sie, daß das nicht einfach durch Befehle und von Thronen herunter geschehen konnte. Nun lernen sie, daß sie sich selber geben müssen - kein geringeres Geschenk verlangt dieser König. Nun lernen sie, daß ihr Leben von der Weise geprägt sein muß, wie Gott Macht ausübt und wie Gott selber ist: Sie müssen Menschen der Wahrheit, des Rechts, der Güte, des Verzeihens, der Barmherzigkeit werden. Sie werden nicht mehr fragen: Was bringt das für mich, sondern sie müssen nun fragen: Womit diene ich der Gegenwart Gottes in der Welt. Sie müssen lernen, sich zu verlieren und gerade so sich zu finden. Indem sie weggehen von Betlehem, müssen sie auf der Spur des wahren Königs bleiben, in der Nachfolge Jesu. […in Französisch:]
Liebe Freunde, fragen wir uns, was das alles für uns bedeutet. Denn was wir eben über die andere Art Gottes gesagt haben, die unsere Lebensart bestimmen soll, klingt uns schön, aber es bleibt doch blaß und unbestimmt. Deswegen hat Gott uns Beispiele geschenkt. Die Weisen aus dem Morgenland sind nur die ersten einer langen Prozession von Menschen, die nach dem Stern Gottes mit ihrem Leben Ausschau gehalten, den Gott gesucht haben, der uns Menschen nahe ist und uns den Weg zeigt. Es ist die große Schar der Heiligen, der bekannten und der unbekannten, in denen der Herr das Evangelium die Geschichte hindurch aufgeblättert hat und aufblättert. In ihrem Leben kommt wie in einem großen Bilderbogen der Reichtum des Evangeliums zum Vorschein. Sie sind die Lichtspur Gottes, die er selbst durch die Geschichte gezogen hat und zieht. Gott - einziger Garant des wirklich Guten und Wahren Mein verehrter Vorgänger Papst Johannes Paul II. hat eine große Schar von Menschen vergangener und naher Zeiten selig- und heiliggesprochen. Er wollte uns in diesen Gestalten zeigen, wie es geht, ein Christ zu sein; wie es geht, das Leben recht zu machen - nach der Weise Gottes zu leben. Die Seligen und Heiligen waren Menschen, die nicht verzweifelt nach ihrem eigenen Glück Ausschau hielten, sondern einfach sich geben wollten, weil sie vom Licht Jesu Christi getroffen waren. Und so zeigen sie uns den Weg, wie man glücklich wird, wie man das macht, ein Mensch zu sein. Im Auf und Ab der Geschichte waren sie die wirklichen Erneuerer, die immer wieder die Geschichte aus den dunklen Tälern herausgeholt haben, in denen sie immer neu zu versinken droht, und immer wieder so viel Licht in sie brachten, daß man dem Wort Gottes, wenn vielleicht auch unter Schmerzen, zustimmen kann, der am Ende des Schöpfungswerkes gesagt hatte: Es ist gut. Denken wir nur an Gestalten wie Sankt Benedikt, wie Franz von Assisi, wie Teresa von Avila, Ignatius von Loyola, Karl Borromäus, an die Ordensgründer des 19. Jahrhunderts, die der Sozialen Bewegung ihr Herz gegeben haben oder an Heilige unserer Zeit - Maximilian Kolbe, Edith Stein, Mutter Teresa, Pater Pio. Wenn wir diese Gestalten ansehen, dann lernen wir, was »anbeten « heißt und was es heißt, nach den Maßstäben des Kindes von Betlehem, den Maßstäben Jesu Christi und Gottes selbst zu leben. [… in Spanisch:]
Die Heiligen sind die wahren Reformer, hatten wir gesagt. Ich möchte es nun noch radikaler ausdrücken: Nur von den Heiligen, nur von Gott her kommt die wirkliche Revolution, die grundlegende Änderung der Welt. Wir haben im abgelaufenen Jahrhundert die Revolutionen erlebt, deren gemeinsames Programm es war, nicht mehr auf Gott zu warten, sondern die Sache der Verfassung der Welt ganz selbst in die Hände zu nehmen. Und wir haben gesehen, daß damit immer ein menschlicher, ein parteilicher Standpunkt zum absoluten Maßstab genommen wurde. Das Absolutsetzen dessen, was nicht absolut, sondern relativ ist, heißt Totalitarismus. Es macht den Menschen nicht frei, sondern entehrt ihn und versklavt ihn. Nicht die Ideologien retten die Welt, sondern allein die Hinwendung zum lebendigen Gott, der unser Schöpfer, der Garant unserer Freiheit, der Garant des wirklich Guten und Wahren ist. Die wirkliche Revolution besteht allein in der radikalen Hinwendung zu Gott, der das Maß des Gerechten und zugleich die ewige Liebe ist. Und was könnte uns denn retten wenn nicht die Liebe? [… in Italienisch:]
Liebe Freunde! Laßt mich nur noch zwei kurze Gedanken anfügen. Von Gott reden viele; im Namen Gottes wird auch Haß gepredigt und Gewalt ausgeübt. Deswegen kommt es darauf an, das wahre Antlitz Gottes zu finden. Die Weisen aus dem Orient haben es gefunden, als sie sich vor dem Kind in Betlehem beugten. »Wer mich sieht, sieht den Vater«, hat Jesus zu Philippus gesagt (Jn 14,9). In Jesus Christus, der sich für uns das Herz hat durchbohren lassen, ist uns das wahre Gesicht Gottes erschienen. Ihm folgen wir mit der großen Schar derer, die uns da vorangegangen sind. Dann gehen wir recht.
Das bedeutet, daß wir uns nicht einen privaten Gott und nicht einen privaten Jesus zurechtmachen, sondern dem Jesus glauben, vor dem Jesus uns beugen, den uns die Heiligen Schriften zeigen und der sich in der großen Prozession der Gläubigen, die wir Kirche nennen, als lebendig, als immer gleichzeitig mit uns und zugleich immer uns voraus zeigt. An der Kirche kann man sehr viel Kritik üben. Wir wissen es, und der Herr hat es uns gesagt: Sie ist ein Netz mit guten und schlechten Fischen, ein Acker mit Weizen und Unkraut. Papst Johannes Paul II., der uns in den vielen Seligen und Heiligen das wahre Gesicht der Kirche gezeigt hat, hat auch um Verzeihung gebeten für das, was durch das Handeln und Reden von Menschen der Kirche an Bösem in der Geschichte geschehen ist. So hält er auch uns selber den Spiegel vor und ruft uns auf, mit all unseren Fehlern und Schwächen in die Prozession der Heiligen einzutreten, die mit den Weisen aus dem Orient begonnen hat. Im Grund ist es doch tröstlich, daß es Unkraut in der Kirche gibt: In all unseren Fehlern dürfen wir hoffen, doch noch in der Nachfolge Jesu zu sein, der gerade die Sünder berufen hat. Die Kirche ist wie eine menschliche Familie, und sie ist doch zugleich die große Familie Gottes, durch die er einen Raum der Gemeinschaft und der Einheit quer durch die Kontinente, durch die Kulturen und Nationen legt. Deswegen freuen wir uns, daß wir zu dieser großen Familie gehören; daß wir Geschwister und Freunde haben in aller Welt. Wir erleben es hier in Köln, wie schön es ist, einer weltweiten Familie anzugehören, die Himmel und Erde, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und alle Teile der Erde umspannt. In dieser großen Weggemeinschaft gehen wir mit Christus, gehen wir mit dem Stern, der die Geschichte erleuchtet. [… in Deutsch:]
62 »Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und beteten es an« (Mt 2,11). Liebe Freunde - das ist nicht eine weit entfernte, lang vergangene Geschichte. Das ist Gegenwart. Hier in der heiligen Hostie ist ER vor uns und unter uns. Wie damals verhüllt er sich geheimnisvoll in heiligem Schweigen, und wie damals offenbart er gerade so Gottes wahres Gesicht. Er ist für uns Weizenkorn geworden, das in die Erde fällt und stirbt und Frucht bringt bis zum Ende der Zeiten (vgl. Jn 12,24). Er ist da wie damals in Betlehem. Er lädt uns ein zu der inneren Wanderschaft, die Anbetung heißt. Machen wir uns jetzt auf diesen inneren Weg, und bitten wir ihn, daß er uns führe. Amen.
Köln, Erzbischöfliches Palais
Verehrte und liebe Mitbrüder!
Ich möchte zunächst einfach meine große Freude darüber ausdrücken, daß es noch möglich geworden ist, daß wir uns hier untereinander sehen, daß nach schönen, aber auch anspruchsvollen Tagen wir sozusagen unter uns sind und einfach die Freude haben, uns zu begegnen. Denn ich bin zwar in der Tat nur ein ehemaliges Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz, aber fühle mich doch immer noch mit Ihnen allen zusammengehörig in einer brüderlichen Verbundenheit, die nicht aufhören kann.
Dann möchte ich, was Kardinal Lehmann eben gesagt hat, dem ich für seine warmherzigen Worte sehr herzlich danke, auch noch im Geist dessen unterstreichen, was ich heute am Ende des Gottesdienstes sagen durfte: noch einmal das große »Danke« betonen, das wir alle in der Seele tragen. Wir sind uns alle bewußt, daß alle Vorbereitungsarbeit, alles Große, was getan worden ist, nicht ausreicht, um so etwas zu ermöglichen, sondern daß es am Ende dann doch geschenkt werden muß. Denn niemand kann den Enthusiasmus der jungen Menschen einfach schaffen, niemand das Zusammenhalten über die Tage hin im Glauben und in der Freude des Glaubens. Und bis hin zum Wetter war doch alles wirklich ein Geschenk, für das wir dem Herrn danken und das wir nun auch als Verpflichtung auffassen, das Unsere zu tun, damit diese Zündung weitergeht und Kraft wird für das Leben der Kirche in unserem Land.
Danken möchte ich, wie es auch schon geschehen ist, Kardinal Meisner und seinen Mitarbeitern für die große Vorbereitungsarbeit, die geleistet worden ist - danken Kardinal Lehmann, seinen Mitarbeitern und Ihnen allen, denn alle Diözesen haben ja zusammengewirkt. Ganz Deutschland hat die Gäste aufgenommen, ist mit dem Kreuz und der Madonna unterwegs gewesen und hat so auch dieses Geschenk empfangen dürfen. Und herzlich »Vergelt’s Gott« für diese Statue; die braucht noch ein bißchen Zeit, bis sie sozusagen ihre Endgestalt erreicht. Aber ich finde es sehr schön, daß nun der Heilige Bonifatius auch bei mir zu Hause sein wird und damit das, was ihm so sehr am Herzen lag, die Verbindung zwischen der Kirche in Deutschland und Rom, sich für mich auch sichtbar ausdrückt. So wie er die Kirche in Deutschland auf die Einheit mit dem Nachfolger Petri orientierte, hat er mich auch orientiert auf die bleibende brüderliche Gemeinschaft mit den Bischöfen in Deutschland, mit der Kirche in Deutschland.
Der Heilige Vater Johannes Paul II., der ja der geniale Initiator dieser Weltjugendtage ist - eine Intuition, die ich als eine Inspiration ansehe -, hat aber darauf hingewiesen, daß beide Seiten geben und empfangen. Nicht nur wir haben das Unsrige gegeben, so gut wir es konnten, sondern daß auch die jungen Menschen mit ihrem Fragen, mit ihrem Hoffen, mit ihrer Freude am Glauben und mit ihrem Enthusiasmus, Kirche jung neu zu schaffen, uns etwas gegeben haben. Für diese Gegenseitigkeit danken wir und hoffen, daß sie weitergehen wird, daß die jungen Menschen mit ihren Fragen wie mit ihrem Glauben und ihrer Freude des Glaubens für uns eine Provokation sind, Kleinmut und Müdigkeit zu überwinden, und daß wir umgekehrt mit der Erfahrung des Glaubens, die uns geschenkt ist, mit der Erfahrung des Hirtenamtes, mit der Gnade des Sakramentes, in der wir stehen, ihnen den Weg geben können, damit der Enthusiasmus dann auch die richtige Ordnung findet: So wie eine Quelle gefaßt werden muß, damit sie ihr Wasser fruchtbar geben kann, so muß auch dieser Enthusiasmus gleichsam immer wieder in seine kirchliche Form hineingestaltet werden.
Wir sind in Deutschland gewöhnt, und ich als Professor auch ganz besonders, daß man vor allem Probleme sieht. Aber zunächst, glaube ich, sollten wir uns doch auch sagen, dieses ganze ist nur möglich geworden, weil es in Deutschland trotz aller Nöte der Kirche, trotz alles Fragwürdigen, was auch bestehen mag, doch wirklich eine lebendige Kirche gibt, eine Kirche, in der so viel Positives da ist, so viele Menschen, die bereit sind, sich für ihren Glauben einzusetzen, ihre Freizeit dafür herzugeben, auch Geld oder sonst etwas von ihren Dingen beizusteuern, einfach mit ihrer lebendigen Existenz beizutragen. Das, glaube ich, ist uns wieder sichtbar geworden, wie viele Menschen in Deutschland trotz allen Rückgangs, über den wir klagen, auch heute Glaubende sind, lebendige Kirche sind und so möglich machen, daß ein solches Ereignis wie der Weltjugendtag seinen Kontext, gleichsam seinen Humus hat, in dem es wachsen und seine Gestalt finden kann.
Ich glaube, wir sollen uns jetzt daran erinnern, daß viele Priester, Ordensleute und Laien treu ihren Dienst in oft schwierigen pastoralen Situationen erfüllen. Und ich brauche nicht eigens die wirklich in der ganzen Welt bekannte Großzügigkeit der deutschen Katholiken hervorzuheben - nicht nur materiell: Es gibt viele deutsche »Donum fidei«-Priester.
Ich sehe es jetzt in den »ad limina«-Besuchen, daß bis hin nach Papua Neuguinea, den Salomoninseln und in Gegenden, wo man gar nicht daran denkt, Priester aus Deutschland wirken und den Samen des Wortes ausstreuen, sich mit den Menschen identifizieren und dadurch nun in diese bedrohte Welt hinein, in die so viel Negatives auch vom Westen kommt, große Kraft des Glaubens und damit auch das Positive dessen, was uns geschenkt ist, einsenken.
63 Bemerkenswert ist die Arbeit von Misereor, Adveniat, Missio, Renovabis bis zur Caritas auf Diözesan- und Pfarreiebene, weitläufig das erzieherische Wirken der katholischen Schulen und anderer katholischer Einrichtungen und Organisationen zugunsten der Jugend. Ich möchte damit nicht erschöpfen, was es an Positivem zu sagen gäbe, nur andeuten, daß wir es doch auch nicht vergessen und daß es uns selber immer wieder Freude und Mut machen soll. Das Positive gesagt - und ich glaube, das ist sehr wichtig, daß wir das sehen und dafür dankbar bleiben -, müssen wir zugeben, daß es auf dem Gesicht der Kirche in der Welt und eben auch in Deutschland leider auch Falten gibt, Schatten, die ihren Glanz verdunkeln. Aus Liebe und mit Liebe wollen wir uns auch sie in diesem Augenblick des Feierns und Dankens vergegenwärtigen. Wir wissen, daß Säkularisierung und Entchristlichung vorangehen, daß der Relativismus wächst, daß der Einfluß der katholischen Ethik und Moral immer geringer wird.
Nicht wenige Menschen verlassen die Kirche, oder, wenn sie bleiben, akzeptieren sie doch nur ein Auswahlchristentum, einen Teil der katholischen Lehre. Besorgniserregend bleibt die religiöse Situation im Osten, wo ja, wie wir wissen, die Mehrheit der Bevölkerung nicht getauft ist und keinerlei Kontakt zur Kirche hat, oft überhaupt nichts von Christus und von der Kirche weiß. Solche Dinge sind Herausforderungen. Ihr selbst, liebe Mitbrüder, habt ja in dem Pastoralbrief vom 21. September 2004 aus Anlaß des Bonifatiusjubiläums das Wort von Pater Delp wiederholt: »Wir sind zum Missionsland geworden«, und für große Teile Deutschlands trifft das ja wirklich zu. Und so denke ich, müssen wir ganz ernstlich - in ganz Europa, nicht weniger in Frankreich oder auch in Spanien und anderswo - darüber nachdenken, wie wir heute wirklich Evangelisierung, nicht nur Neuevangelisierung, sondern oft eben auch Erstevangelisierung leisten können. Die Menschen kennen Gott nicht, kennen Christus nicht. Ein neues Heidentum ist da, und es genügt nicht, daß wir versuchen, die bestehende Herde zu erhalten - das ist sehr wichtig -; aber es drängt sich die große Frage auf: Was ist eigentlich das Leben? Und wir müssen, denke ich, alle miteinander versuchen, neue Weisen zu finden, wie wir in diese heutige Welt hinein wieder das Evangelium tragen, dort wieder Christus verkünden und den Glauben aufrichten können.
Das Situationsbild, das der Weltjugendtag uns gibt und von dem ich nur ein paar dürftige Striche angedeutet habe, lädt uns ein, unseren Blick auf die Zukunft zu richten. Die Jugendlichen sind für die Kirche und insbesondere für uns Hirten, für die Eltern und Erzieher ein lebendiger Aufruf zum Glauben. Ich möchte noch einmal sagen, mir scheint, daß auch dies eine große Inspiration von Papst Johannes Paul II. war, daß er uns für diesen Weltjugendtag das Motto gegeben hat: »Wir sind gekommen, um ihn anzubeten.« Wir sind oft so bedrängt, begreiflicherweise so bedrängt von den ungeheuren sozialen Nöten in der Welt, von den ganzen organisatorischen, strukturellen Problemen, die es gibt, daß die Anbetung gleichsam als etwas später zu Tuendes an die Seite rücken kann. Pater Delp hat auch darüber einmal gesprochen, daß nichts wichtiger ist als die unverlorene Anbetung. Er hat es in dem Kontext von damals gesagt, wo sichtbar war, wie die zerstörte Anbetung den Menschen zerstört. Aber es geht uns in unserem neuen Kontext mit der verlorenen Anbetung und damit dem verlorenen Gesicht der Menschenwürde wieder ganz neu an, die Priorität der Anbetung zu sehen und es auch den jungen Menschen und uns selber, unseren ganzen Gemeinden ins Bewußtsein zu rücken, daß dies nicht ein Luxus in verworrener Zeit ist, den man sich vielleicht gar nicht leisten kann, sondern Priorität. Wo nicht mehr angebetet wird, wo nicht Gott zuerst die Ehre gegeben wird, da können auch die Dinge des Menschen nicht wachsen. Wir müssen daher versuchen, eben das Gesicht Christi, das Gesicht des lebendigen Gottes sichtbar zu machen, so daß es uns dann von selber geht wie den Weisen, daß wir niederfallen und ihn anbeten. Natürlich gehört zu den Weisen zweierlei: Sie waren zuerst Suchende und dann Findende und Anbetende. Viele Menschen heute sind Suchende. Wir selber sind es auch. Im Grunde muß in unterschiedlicher Dialektik immer beides da sein. Wir müssen Ehrfurcht haben vor dem Suchen der Menschen, dieses Suchen unterstützen, sie fühlen lassen, daß der Glaube nicht einfach ein fertiger Dogmatismus ist, der das Suchen, den großen Durst des Menschen auslöscht, sondern daß er erst die große Pilgerschaft ins Unendliche bringt, daß wir gerade als Glaubende immer Suchende und Findende zugleich sind. Der hl. Augustinus hat in seinem Psalmenkommentar dieses Wort: »Quaerite faciem eius semper - Sucht immer sein Angesicht« so schön ausgelegt, daß es mir schon damals als Student zu Herzen gegangen ist, wo er sagt: Das gilt nicht nur in diesem Leben, es gilt in Ewigkeit, immer wird dieses Angesicht neu zu entdecken sein, je weiter wir hineinschreiten in den Glanz der göttlichen Liebe, desto größer werden die Entdeckungen sein, desto schöner ist es, voranzugehen und zu wissen, daß das Suchen ohne Ende ist und darum das Finden ohne Ende und daher Ewigkeit Freude des Suchens und Findens zugleich ist. Menschen im Suchen stützen als Mitsuchende und ihnen zugleich doch auch geben, daß Er uns gefunden hat und daß wir Ihn daher finden können. Zukunftsoffene Kirche wollen wir sein, reich an Verheißungen für nachwachsende Generationen. Nicht um eine gespielte Jugendlichkeit geht es, sie macht sich im Grunde lächerlich, sondern um jene echte Jugendlichkeit, die aus dem Quell der Ewigkeit kommt, die immer neu ist, die davon kommt, daß Christus durchleuchtet in seiner Kirche und so uns das Licht gibt, um weiterzugehen. In diesem Licht können wir den Mut finden, die schwierigsten Fragen, die sich heute der Kirche in Deutschland stellen, zuversichtlich aufzugreifen. Wir müssen einerseits, wie ich schon sagte, die Provokation der Jugend annehmen, aber wir müssen unsererseits die Jugend zur Geduld erziehen - ohne Geduld gibt es kein Finden -, zu Unterscheidungsvermögen, zu einem gesunden Realismus, zur Fähigkeit der Endgültigkeit. Mir hat einer der Staatspräsidenten, die mich in letzter Zeit besucht haben, gesagt, was ihn am meisten beunruhige, sei die verbreitete Unfähigkeit, endgültige Entscheidungen zu treffen, in der Meinung, man gebe dann seine Freiheit preis.
In Wirklichkeit wird der Mensch erst frei, wenn er sich gebunden hat, wenn er eine Wurzel gefunden hat, dann kann Reifen und Wachstum geschehen. Erziehen zu Geduld, Unterscheidungsvermögen, Realismus, jedoch ohne falsche Kompromisse, um das Evangelium nicht zu verwässern.
Die Erfahrung dieser letzten 20 Jahre hat uns gezeigt, daß jeder Weltjugendtag in gewissem Sinn ein Neuanfang für die Jugendpastoral des jeweiligen Gastgeberlandes darstellt. Schon die Vorbereitung des Ereignisses des Weltjugendtages mobilisiert Menschen und Kräfte. Das haben wir gerade auch in Deutschland gesehen, wie eine regelrechte Mobilisierung durch unser Land gegangen ist und Kräfte freigesetzt hat. Schließlich bringt dann die Feier selbst eine Welle der Begeisterung, die man unterstützen und sozusagen verendgültigen muß. Es ist ein enormes Potential an Energie, das noch weiter wachsen kann, wenn es sich im Land ausbreitet. Ich denke an die Pfarreien, die Vereinigungen, die Bewegungen. Ich denke an die Priester, die Ordensleute, die Katecheten und an die in der Jugendseelsorge Tätigen. Ich nehme an, daß man in Deutschland weiß, wie viele in dieses Geschehen einbezogen waren, und bete darum, daß für jeden von denen, die da mitgewirkt haben, damit ein Wachsen in der Liebe zu Christus und zur Kirche verbunden sein möge, und ermutige alle, gemeinsam die pastorale Arbeit unter den jungen Generationen mit einem erneuerten Geist des Dienens voranzutreiben. Die Fähigkeit des Dienens müssen wir selber neu erlernen und weitergeben.
Der größte Teil der deutschen Jugendlichen lebt in guten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Aber wir wissen sehr genau, daß es auch sehr viele schwierige Situationen gibt. In allen sozialen Schichten, gerade auch unter den Wohlhabenden, nimmt die Zahl der Jugendlichen aus zerbrochenen Familien zu. Leider hat in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit zugenommen. Außerdem sind viele junge Männer und Mädchen orientierungslos, ohne gültige Antworten auf die Frage nach dem Sinn von Leben und Tod, auf die Fragen in bezug auf ihre Gegenwart und Zukunft. Viele Angebote der modernen Gesellschaft führen ins Leere, und leider viele junge Menschen enden im Fließsand des Alkohols und der Droge oder in den Spiralen extremistischer Gruppierungen. Ein Teil der deutschen Jugendlichen, vor allem im Osten, hat die Frohbotschaft Jesu Christi nie persönlich kennengelernt. Selbst in den traditionell katholischen Gebieten gelingt es dem Religionsunterricht und der Katechese nicht immer, dauerhafte Bindungen der Jugendlichen an die kirchliche Gemeinschaft herzustellen. Deswegen sind Sie alle miteinander bemüht - ich weiß es -, neue Wege zu finden, wie man die jungen Menschen erreichen kann, und der Weltjugendtag war dafür, wie wiederum Papst Johannes Paul II. es ausgedrückt hat, eine Art »Laboratorium«.
Ich glaube, wir alle denken darüber nach - in den anderen Ländern des Westens ist es nicht anders -, wie Katechese wirksamer werden kann. Ich habe in der Herder-Korrespondenz gelesen, daß Sie ein neues Katechesepapier veröffentlicht haben, das ich leider noch nicht sehen konnte, bin aber dankbar festzustellen, wie sehr diese Sorge Sie drängt. Denn es ist ja für uns alle beunruhigend, daß trotz jahrelangen Religionsunterrichts das religiöse Wissen gering ist und viele Menschen oft elementare und einfache Dinge nicht wissen. Was können wir tun? Ich weiß es nicht. Vielleicht muß es einerseits so eine Art Vorhof der Heiden geben mit einer Prä-Katechese, die überhaupt auftut für den Glauben - und das ist ja auch der Inhalt vieler katechetischer Versuche -, aber andererseits braucht es doch auch immer wieder den Mut, das Mysterium selbst zu vermitteln in seiner Schönheit und in seiner Größe und den Sprung möglich zu machen, es anzuschauen, es lieben zu lernen, und dann zu erkennen: Ja, das ist es! Ich habe heute in der Predigt ja darauf hingewiesen, daß uns Papst Johannes Paul II. zwei großartige Instrumente geschenkt hat: den Katechismus der Katholischen Kirche und dessen ebenfalls noch von ihm angeordnetes Kompendium. Wir haben darauf geachtet, daß die deutsche Übersetzung für den Weltjugendtag fertig geworden ist. In Italien ist schon eine halbe Million Exemplare verkauft, dort wird es an den Zeitungskiosken angeboten, und dann wird doch die Neugier der Menschen geweckt: Was steht da eigentlich drinnen, was sagt die katholische Kirche? Ich glaube, wir sollen den Mut haben, auch diese Neugier zu unterstützen und zu versuchen, daß eben wirklich diese Bücher, die den Inhalt des Mysteriums darstellen, in die Katechese einfließen, damit wieder das Wissen um unseren Glauben und damit auch die Freude daran wächst.
Zwei andere Punkte liegen mir sehr am Herzen. Zum einen die Berufungspastoral. Ich glaube, daß uns die Vesper in St. Pantaleon auch da wirklich Mut gemacht hat, jungen Menschen zu helfen, und das in rechter Weise zu tun, so daß sie mit dem Ruf des Herrn konfrontiert werden und fragen können: »Will er mich?«, und daß die Bereitschaft, sich rufen zu lassen und einen Ruf zu hören, wieder neu wachsen kann. Das andere ist die Familienpastoral. Wir sehen die Gefährdung der Familien. Inzwischen sehen auch weltliche Instanzen, wie wichtig es ist, daß die Familie als Grundzelle der Gesellschaft lebt, daß darin Kinder im Konnex der Generationen aufwachsen können, damit die Kontinuität von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gewahrt bleibt und auch die Kontinuität der Werte besteht; damit eben diese Fähigkeit des Beieinanderbleibens und so des Miteinanderlebens wächst, die dann ermöglicht, im Miteinander ein Land aufzubauen.
Diese drei Dinge - Katechese, Berufungspastoral, Familienpastoral - wollte ich doch eigens ansprechen.
Eine wichtige Rolle in der Welt der jungen Menschen spielen - wir haben das wieder gesehen - die Vereinigungen und Bewegungen, die zweifellos einen Reichtum darstellen. Die Kirche muß diese Realitäten nutzbar machen und zugleich mit pastoraler Weisheit leiten, damit sie mit ihren verschiedenen, sehr unterschiedlichen Gaben auf beste Weise zum Aufbau der Gemeinden beitragen und nicht in Konkurrenz zueinander treten, jeder sozusagen sein eigenes Kirchlein baut, sondern in gegenseitiger Achtung zusammenarbeiten an der einen Kirche, in der einen Pfarrei als Kirche am Ort, um in den jungen Leuten die Freude am Glauben, die Liebe zur Kirche und die Leidenschaft für das Reich Gottes zu wecken. Ich denke, gerade das ist auch ein wichtiger Punkt: dieses echte Miteinander zum einen der verschiedenen Bewegungen, deren Exklusivismen aufgebrochen werden müssen, zum anderen das Miteinander der Ortskirche mit diesen Bewegungen, daß die Ortskirche eben dieses Besondere und vielen manchmal Fremde anerkennt, als einen Reichtum in sich aufnimmt und sieht, daß es viele Wege in der einen Kirche gibt und daß sie alle zusammen dann eine Symphonie des Glaubens bilden: daß Ortskirchen und Bewegungen nicht gegeneinander stehen, sondern miteinander das lebendige Gefüge der Kirche sind.
Liebe Mitbrüder, so Gott will, werden sich noch weitere Gelegenheiten bieten, um die Fragen zu vertiefen, die unsere gemeinsame pastorale Sorge betreffen. Dieses Mal wollte ich einfach kurz - und gewiß unzulänglich - die Botschaft aufgreifen, die uns die große Wallfahrt der jungen Menschen hinterlassen hat. Mir scheint, daß am Ende dieses Ereignisses die Bitte der jungen Leute an uns im wesentlichen so lauten könnte: »Ja, wir sind gekommen, ihn anzubeten. Wir sind ihm begegnet. Helft uns jetzt, seine Jünger und Zeugen zu werden.« Das ist ein anspruchsvoller Anruf, aber für das Herz eines Seelsorgers tröstlich. Möge die Erinnerung an die in Köln unter dem Zeichen der Hoffnung verbrachten Tage unseren gemeinsamen Dienst unterstützen. Ich hinterlasse Euch meine liebevolle Ermutigung, die zugleich eine herzliche und brüderliche Bitte ist: immer einmütig voranzuschreiten und zu wirken, auf dem Fundament einer Gemeinsamkeit, die in der Eucharistie ihren Höhepunkt und ihre unerschöpfliche Quelle besitzt. Ich vertraue Euch alle Maria an, der Mutter Christi und der Kirche, während ich jedem einzelnen von Euch und Euren jeweiligen Gemeinschaften aus ganzem Herzen den Apostolischen Segen erteile. Vielen Dank.
ANSPRACHE 2005 60