Generalaudienz 2001 25
25 5. Durch die mystische Speise der Gemeinschaft mit Gott »hängt die Seele« an Ihm, wie der Psalmist erklärt. Auch an dieser Stelle ist mit dem Wort »Seele« der ganze Mensch gemeint. Nicht umsonst ist von einer Umarmung, von einer geradezu physischen Umklammerung die Rede: Gott und Mensch stehen nunmehr in voller Gemeinschaft, und auch die Lippen des Geschöpfs können nichts als freudiges und dankbares Lob verkünden. Auch wenn man sich in dunkler Nacht befindet, fühlt man sich von den Flügeln Gottes beschützt, so wie die Bundeslade von den Flügeln der Cherubim behütet wird. Dann erhebt sich der ekstatische Ausdruck von Freude: »Jubeln kann ich im Schatten deiner Flügel.« Die Angst löst sich auf, die Umarmung umklammert nicht die Leere, sondern Gott selbst, unsere Hand hält sich fest an der Kraft seiner Rechten (vgl. Ps 63,8 - 9).
6. Bei einer Auslegung des Psalms im Lichte des Ostergeheimnisses finden der Durst und der Hunger, die uns zu Gott treiben, ihre Erfüllung im gekreuzigten und auferstandenen Christus, von dem - durch die Gabe des Geistes und der Sakramente - das neue Leben und die jenes Leben unterstützende Nahrung zu uns gelangen.
Daran erinnert uns der hl. Johannes Chrysostomus, der - als Kommentar zu den Worten aus dem Johannesevangelium: »und sogleich floß Blut und Wasser [aus der Seite Jesu ]heraus« (19,34) - folgendes bemerkt: »Jenes Blut und jenes Wasser sind Symbole der Taufe und der Mysterien«, also der Eucharistie. Und er schließt mit den Worten: »Seht ihr, wodurch Christus die Braut mit ihm verband? Seht ihr, mit welcher Speise er uns alle nährt? Aus derselben Speise wurden wir gebildet, und aus ihr werden wir genährt. Denn wie die Frau ihr Kind mit ihrem Blut und ihrer Milch nährt, so nährt auch Christus denjenigen, den er selbst hervorgebracht hat, ständig mit seinem Blut« (vgl. Homilie III an die Neugetauften, 16 -19 passim; SC 50 bis, 160 -162).
Liebe Schwestern und Brüder!
In unserer Reihe über das Buch der Psalmen wollen wir heute den Psalm 63 betrachten. Das Verlangen der Seele nach Gott wird gleichgesetzt mit dem Hunger und dem Durst des Leibes.
Wie ein dürstender Mensch in der Wüste unter der Mittagssonne nach frischem Wasser verlangt, so ist es auch mit der Sehnsucht nach Gott. Der heutige Mensch kennt eine Art Wüste der Welt, die ihm als Dürre vorkommt. Sein Leben gelingt nur in der gelebten Gemeinschaft mit Gott.
Neben dem Durst wird auch der Hunger nach Gott beschrieben. Dieses bohrende Verlangen der Seele wird erst gestillt, wenn das Geschöpf das Wort Gottes annimmt: ‚Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt’(Mt 4,4).
Im Licht von Ostern verweist uns der geistliche Hunger und Durst auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus. Durch den Heiligen Geist und die Sakramente der Kirche gibt er der tiefen Sehnsucht der menschlichen Seele die richtige Speise, die Nahrung für das ewige Leben.
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Herzlich begrüße ich alle Anwesenden aus den Ländern deutscher Sprache. Insbesondere grüße ich die Angehörigen und Freunde der Diakone des Collegium Germanicum et Hungaricum. Gerne erteile ich euch und euren Lieben daheim den Apostolischen Segen.
26 (Lesung: Da 3,57 - 88. 56)
1. »Preist den Herrn, all ihr W rke des Herrn« (Da 3,57). Ein kosmischer Hauch durchzieht diesen Lobgesang aus dem Buch Daniel, den das Stundengebet für die Laudes am Sonntag der ersten und dritten Woche vorsieht. Dieses wundervolle litaneiartige Gebet paßt sehr gut zum »Dies Domini«, zum Tag des Herrn, der uns im auferstandenen Christus den Höhepunkt des Heilsplanes Gottes für den Kosmos und die Geschichte betrachten läßt. Denn in ihm, Alpha und Omega, Anfang und Ende der Geschichte (vgl. Ap 22,13), erhält die Schöpfung selbst ihren ganzen Sinn, weil - wie Johannes im Prolog seines Evangeliums schreibt - »alles …durch das Wort geworden [ist]« (1,3). In der Auferstehung Christi gipfelt die Heilsgeschichte, und die Menschheit öffnet sich für die Gabe des Geistes und der Gotteskindschaft in Erwartung der Wiederkehr des göttlichen Bräutigams, der die Welt an Gott, den Vater, übergeben wird (vgl. 1Co 15,24).
2. In diesem litaneiartigen Text werden uns alle Dinge gleichsam vor Augen geführt. Der Blick richtet sich auf die Sonne, den Mond und die Sterne; er legt sich auf die unermeßliche Weite der Wasser, er erhebt sich zu den Bergen, er macht Halt bei den unterschiedlichen Wetterphänomenen; er geht von der Wärme zur Kälte, vom Licht zur Finsternis; er berücksichtigt die Welt der Mineralien und der Pflanzen und verweilt bei den verschiedenen Tierarten. Der Aufruf wird dann universaler Art: Er bezieht die Engel Gottes mit ein und wendet sich an alle Menschenkinder, besonders betrifft er jedoch das Volk Gottes, Israel, dessen Priester und Gerechte. Es ist ein großer Chor, eine Symphonie, in der die vielen Stimmen ihren Gesang zu Gott erheben, dem Schöpfer des Universums und Herrn der Geschichte. Im Lichte der christlichen Offenbarung vorgetragen, wendet er sich an den dreifaltigen Gott. Eben hierzu fordert uns ja die Liturgie auf, die dem Canticum eine trinitarische Formel hinzufügt: »Laßt uns preisen den Vater und den Sohn mit dem Heiligen Geist …«.
3. In diesem Lobgesang spiegelt sich in einem gewissen Sinn die universale religiöse Seele wider, die in der Welt die Spuren Gottes erkennt und sich zur Betrachtung des Schöpfers emporhebt. Im Zusammenhang des Buches Daniel hingegen stellt sich diese Hymne dar als Dank dreier junger Israeliten: Hananja, Asarja und Mischaël. Sie waren zum Tod durch Verbrennen in einem Ofen verurteilt, weil sie sich geweigert hatten, die goldene Statue Nebukadnezars anzubeten, jedoch wurden sie auf wunderbare Weise vor den Flammen bewahrt. Hintergrund dieses Ereignisses ist jene besondere Heilsgeschichte, in der Gott das Volk Israel als sein Volk erwählt und mit ihm einen Bund schließt. Und genau diesem Bund wollen die drei jungen Israeliten treu bleiben, sogar um den Preis des Märtyrertods im Feuerofen. Ihre Treue findet eine Antwort in der Treue Gottes, der ihnen einen Engel sendet, um die Flammen von ihnen fernzuhalten (vgl. Dan Da 3,49).
Somit steht dieser Lobpreis in der Reihe jener Lobgesänge aufgrund überstandener Gefahren, wie wir sie im Alten Testament finden. Unter ihnen ist das Siegeslied in Kapitel 14 des Buches Exodus besonders berühmt: In ihm zeigen die Juden ihre Dankbarkeit gegenüber dem Herrn für jene Nacht, in der sie unweigerlich vom Heer des Pharao übermannt worden wären, wenn der Herr ihnen nicht eine Straße zwischen den Wassern gebahnt und »Rosse und Wagen« ins Meer geworfen hätte (Ex 15,1).
4. Nicht zufällig läßt uns die Liturgie jedes Jahr in der feierlichen Osternacht die von den Israeliten beim Auszug gesungene Hymne wiederholen. Die Straße, die ihnen damals bereitet wurde, verkündete prophetisch den neuen Weg, den der auferstandene Christus in der heiligen Nacht seiner Auferstehung von den Toten für die Menschheit eröffnet hat. Unser symbolischer Durchgang durch das Taufwasser erlaubt es uns, eine ähnliche Erfahrung des Übergangs vom Tod zum Leben zu machen, dank des Sieges über den Tod, den Jesus für uns alle errungen hat.
Wenn wir in der sonntäglichen Liturgie der Laudes den Lobpreis der drei jungen Israeliten wiederholen, wollen wir Jünger Christi in gleicher Weise Dank sagen für die großen Werke Gottes in der Schöpfung und vor allem im Ostergeheimnis.
Der Christ erkennt nämlich eine Verbindung zwischen der Befreiung der drei jungen Männer, von denen im Lobgesang die Rede ist, und der Auferstehung Jesu. In ihr sieht die Apostelgeschichte die Erfüllung des Gebets des Gläubigen, der - wie der Psalmist - vertrauensvoll singt: »Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis, noch läßt du deinen Frommen die Ve rwesung schauen« (Ac 2,27 Ps 15,10).
Diese Verbindung zwischen diesem Lobgesang und der Auferstehung ist tief in der Tradition verwurzelt. Es gibt uralte Zeugnisse dafür, daß dieser Hymnus ein Bestandteil des Gebetes am Tag des Herrn ist, dem wöchentlichen Osterfest der Christen. Außerdem sind in den römischen Katakomben ikonografische Fundstücke erhalten, auf denen die drei Jugendlichen betend und unversehrt zwischen den Flammen zu sehen sind und auf diese Weise die Wirksamkeit des Gebets und die Gewißheit des Eingreifens unseres Herrn bezeugen.
27 5. »Gepriesen bist du am Gewölbe des Himmels, gerühmt und verherrlicht in Ewigkeit« (Da 3,56). Wenn der Christ diese Hymne am Sonntagmorgen singt, fühlt er sich dankbar - nicht nur für das Geschenk der Schöpfung, sondern auch weil er der Adressat der väterlichen Fürsorge Gottes ist, der ihn in Christus zur Würd eines Kindes Gottes erhoben hat.
Eine väterliche Fürsorge, die mit neuen Augen auf die Schöpfung schauen und deren Schönheit auskosten läßt, denn in ihr erkennt man - wie bei einem Wasserzeichen - die Liebe Gottes. Mit diesen Empfindungen betrachtete der hl. Franziskus von Assisi die Schöpfung und erhob sein Lob zu Gott, der letztendlichen Quelle aller Schönheit. Ganz spontan können wir uns vorstellen, daß die Preisungen dieses Bibeltextes in seinem Gemüt widerhallten, als er in San Damiano, nachdem er schwerstes Leid an Leib und Geist erfahren hatte, seinen Sonnengesang verfaßte.
Liebe Schwestern und Brüder!
Heute haben wir einen Text gehört, der dem Buch Daniel entnommen ist: ein Loblied auf Sonne und Mond, auf alles, was Gott geschaffen hat. Doch dieser Hymnus ist mehr als ein Gesang auf den Urheber der Schöpfung. Er ist ein Lied auf den Herrn, der das Los der Geschichte in seinen Händen hält.
Das trifft zunächst auf die drei Jünglinge im Feuerofen zu, die trotz des Todesurteils nicht klagen, sondern singen. Einen Götzen aus Gold wollten sie nicht anbeten, dafür setzten sie ihr ganzes Leben auf Jahwe. Deshalb sollten sie den Feuertod sterben. Doch die Flammen konnten ihnen nichts anhaben.
Der Gesang der Jünglinge bleibt kein Trio; er weitet sich zu einem großen Chor. Es ist der österliche Chor, in dem seit fast zweitausend Jahren die Stimmen der Christen zusammenklingen, um aus voller Kehle das "Halleluja" zu singen: Der Tod hat den Kürzeren gezogen. Jesus lebt, mit ihm auch ich! Tod, wo sind nun deine Schrecken?
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Von Herzen grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich den Behindertenclub aus Ergoldsbach und die Ehejubilare aus dem Bistum Speyer willkommen. Ich freue mich, daß so viele Jugend- und Schülergruppen heute auf den Petersplatz gekommen sind. Danke dem Jugendorchester der Paul-Winter-Realschule aus Neuburg an der Donau! Die drei jungen Männer im Feuerofen seien für euch ein Vorbild, um der Feuerprobe des Glaubens in der heutigen Zeit standzuhalten. Gern erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.
1.Vor einer Woche endete meine Pilgerreise auf den Spuren des hl. Paulus, die mich nach Griechenland, Syrien und Malta geführt hat. Heute freue ich mich, mit euch über dieses Ereignis nachzudenken, das den letzten Teil der Heiligjahrwallfahrt zu den Hauptorten der Heilsgeschichte bildet. Ich bin allen dankbar, die mir im Gebet auf dieser unvergeßlichen »Rückkehr zu den Quellen« gefolgt sind, aus der wir die Frische der ursprünglichen christlichen Erfahrung schöpfen können.
Erneut möchte ich dem Präsidenten der Republik Griechenland, Herrn Kostas Stephanopoulos, meine herzliche Dankbarkeit aussprechen für seine Einladung zu einem Besuch in Griechenland. Ich danke dem Präsidenten der Arabischen Republik Syrien, Herrn Baschàr al-Assad, und dem Präsidenten der Republik Malta, Herrn Guido de Marco, die mich in Damaskus und La Valletta so freundlich empfangen haben.
28 Überall habe ich den orthodoxen Kirchen die Zuneigung und Wertschätzung der katholischen Kirche bezeugen wollen, beseelt vom Wunsch, daß die Erinnerungen an vergangene Verfehlungen gegen die Gemeinschaft vollkommen geläutert werden und der Versöhnung und Brüderlichkeit weichen. Außerdem hatte ich die Gelegenheit, die aufrichtige Aufgeschlossenheit der Kirche gegenüber den Gläubigen des Islam zu bestätigen, mit denen uns die Anbetung des einen Gottes verbindet.
Als besondere Gnade empfand ich meine Begegnung mit den katholischen Bischöfen Griechenlands, Syriens und Maltas - vor allem in ihren jeweiligen Missionsbereichen - und, zusammen mit ihnen, mit den Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen sowie zahlreichen Laiengläubigen. Auf den Spuren des hl. Paulus konnte der Nachfolger Petri jene Gemeinschaften stärken und ihnen Mut zusprechen, sie zur Treue und zugleich zur Offenheit und brüderlichen Nächstenliebe ermahnen.
2. Auf dem Areopag von Athen erklangen die Worte der berühmten Rede des hl. Paulus, von denen die Apostelgeschichte berichtet. Sie wurden auf griechisch und englisch vorgelesen, was schon an und für sich beeindruckend war: Zu Beginn des ersten Jahrtausends war Griechisch die meistgesprochene Sprache im Mittelmeerraum, in etwa mit dem heutigen Englisch auf globaler Ebene vergleichbar. Die »gute Nachricht« Christi, des Offenbarers Gottes und Erlösers der Welt gestern, heute und in Ewigkeit, ist - gemäß seinem ausdrücklichen Auftrag - für alle Männer und Frauen der Erde bestimmt.
Zu Beginn des dritten Jahrtausends ist der Areopag von Athen gewissermaßen zum »Areopag der Welt« geworden, von wo aus die christliche Heilsbotschaft erneut allen Menschen angeboten wird, die Gott suchen und sein unergründliches Geheimnis der Wahrheit und Liebe ehrfürchtig annehmen. Insbesondere wurde durch die Verlesung der Gemeinsamen Erklärung, die ich zum Abschluß eines brüderlichen Treffens mit Seiner Seligkeit Christódoulos, Erzbischof von Athen und ganz Griechenland, unterzeichnet habe, der Appell an die Völker des europäischen Kontinents gerichtet, die christlichen Wurzeln nicht zu vergessen.
Die Rede des hl. Paulus am Areopag ist ein Modell der Inkulturation und bleibt als solches von bleibender Aktualität. Deshalb habe ich sie bei der Eucharistiefeier mit der katholischen Gemeinschaft Griechenlands wiederaufgenommen, als ich an das einzigartige Beispiel der aus Saloniki stammenden hl. Brüder Cyrill und Methodius erinnerte. Sie orientierten sich treu und kreativ an diesem Vorbild und zögerten nicht, das Evangelium unter den slawischen Völkern zu verbreiten.
3. Von Griechenland aus habe ich mich nach Syrien begeben, wo - auf dem Weg nach Damaskus - der auferstandene Christus dem Saulus von Tarsus erschien und den grausamen Verfolger in einen unermüdlichen Apostel des Evangeliums verwandelte. Es war - ebenso wie für Abraham - eine Rückkehr zu den Ursprüngen, ein Rückbesinnen auf den Ruf, die Berufung. Dies dachte ich, als ich die Gedenkstätte für den hl. Paulus besuchte. Die Geschichte Gottes mit den Menschen geht immer von einem Ruf aus, der die Menschen einlädt, sich selbst und die eigenen Sicherheiten zu verlassen. Somit können wir uns im Vertrauen auf Den, der uns beruft, auf den Weg in ein neues Land machen. So war es für Abraham, Mose, Maria, Petrus und die anderen Apostel, und so war es auch für Paulus.
Syrien ist heute ein vorwiegend von Muslimen bewohntes Land; sie glauben an den einen Gott und streben danach, sich ihm zu unterwerfen, so wie Abraham es getan hat, auf den sie sich gerne berufen (vgl. Nostra aetate NAE 3). Der interreligiöse Dialog mit dem Islam wird zu Beginn des dritten Jahrtausends immer wichtiger und notwendiger. In diesem Sinne war der herzliche Empfang seitens der weltlichen Persönlichkeiten und des Großmufti durchaus ermutigend. Er begleitete mich auch auf einem historischen Besuch in der Großen Omaijadenmoschee; dort befindet sich die Gedenkstätte für Johannes den Täufer, der auch von den Muslimen sehr verehrt wird.
In Damaskus war meine Wallfahrt vor allem stark ökumenisch geprägt, insbesondere aufgrund der Besuche, die ich Seiner Seligkeit Ignace IV., dem griechisch-orthodoxen Patriarchen, und Seiner Heiligkeit Mor Ignatius Zakka I., dem syrisch-orthodoxen Patriarchen, in ihren jeweiligen Kathedralen abstatten konnte. In der geschichtsträchtigen griechisch-orthodoxen Kathedrale der »Dormitio« der Jungfrau Maria hielten wir ein feierliches Gebetstreffen. Mit tiefer Ergriffenheit sah ich darin die Erfüllung eines der Hauptziele der Pilgerreise zum Jubiläumsjahr, nämlich »uns an den Stätten unseres gemeinsamen Ursprungs versammeln … [zu können], um Christus zu bezeugen, der unsere Einheit ist (vgl. Ut unum sint UUS 23), und um unseren gegenseitigen Einsatz zu unterstreichen, die volle Gemeinschaft wiederherzustellen« (Brief von Johannes Paul II. über die Pilgerfahrt zu den Stätten, die mit der Heilsgeschichte verbunden sind, 11).
4. In Syrien konnte ich nicht umhin, ein besonderes Bittgebet für den Frieden im Nahen Osten an Gott zu richten; dazu sah ich mich leider auch von der gegenwärtigen, dramatischen Situation veranlaßt, die immer besorgniserregender wird. Ich bin auf die Golanhöhen hinaufgefahren, zu der vom Krieg halbzerstörten Kirche von Kuneitra, und habe dort meine flehentliche Bitte erhoben. In gewissem Sinn bin ich im Geiste dort geblieben, und mein Gebet geht weiter und wird nicht aufhören, bis die Rache der Versöhnung und Anerkennung der gegenseitigen Rechte weichen wird.
Diese Hoffnung gründet im Glauben. Es ist die Hoffnung, die ich den Jugendlichen Syriens anvertraut habe, als ich ihnen zu meiner großen Freude am Vorabend meiner Abreise aus Damaskus begegnen konnte. Im Herzen trage ich die Herzlichkeit ihres Empfangs, und ich bete zum Gott des Friedens, daß die jungen Christen, Juden und Muslime zusammen als Kinder des einen Gottes aufwachsen mögen.
5. Die letzte Etappe meiner Pilgerfahrt auf den Spuren des hl. Paulus war die Insel Malta.Dort verbrachte der Apostel drei Monate, nachdem das Schiff, das ihn als Gefangener nach Rom bringen sollte, gestrandet war (vgl. Ac 27,39 - 28,10). Zum zweiten Mal erfuhr auch ich die herzliche Aufnahme der Malteser und hatte die Freude, zwei Söhne ihres Volkes - Don Georg Preca, Gründer der Gesellschaft von der Christlichen Lehre, und Ignazio Falzon, Laie und Katechet - zusammen mit der Benediktinerschwester Adeodata Pisani seligzusprechen.
29 Noch einmal habe ich auf den Weg der Heiligkeit als »Königsweg« für die Gläubigen des dritten Jahrtausends hinweisen wollen. Im weiten Ozean der Geschichte hat die Kirche keine Angst vor den Herausforderungen und Gefahren, die ihr während ihres Weges begegnen, wenn sie das Steuer fest auf den Kurs der Heiligkeit gerichtet hält, auf den sie das Große Jubiläumsjahr 2000 ausgerichtet hat (vgl. Novo millennio ineunte NM 30).
So sei es für alle, auch durch die Fürsprache Marias, die wir während dieses ihr geweihten Maimonats unentwegt anrufen. Die Jungfrau helfe jedem Christen, jeder Familie und jeder Gemeinschaft, ihren Einsatz der täglichen Treue zum Evangelium mit neuem Eifer fortzusetzen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Auf den Spuren des heiligen Paulus bin ich auf meiner kürzlichen Pilgerreise gewandelt, von der ich vor einer Woche zurückgekehrt bin. Diese Reise ist die letzte Etappe des Weges, den ich während des Jubiläumsjahres unter dem Motto zurückgelegt habe: Zurück zu den Quellen.
Ich möchte an drei Elemente besonders erinnern: an den Areopag in Athen, wo wir die Rede des heiligen Paulus nicht nur auf griechisch hören durften, sondern auch auf englisch, in der Sprache, die heute am meisten verbreitet ist. So wurde in der Zeit der Globalisierung der Areopag von Athen zu einer Art Areopag der Welt.
Auf meiner Station in Damaskus kommt besonders die Bekehrung des Völkerapostels in den Blick: Aus Saulus wurde Paulus. Dieses Ereignis erinnert uns daran, daß am Anfang jeder Sendung die Berufung durch Gott steht. Gern denke ich auch an die ökumenischen und interreligiösen Begegnungen. Zugleich hege ich den sehnlichen Wunsch, daß die jungen Christen, Muslime und Juden gemeinsam wachsen in der Erkenntnis, Kinder des einen Vaters zu sein.
Schließlich durfte ich noch in Malta Halt machen. Durch die Seligsprechung von drei Christen dieses Landes wollte ich auf den Weg der Heiligkeit verweisen: Für die Gläubigen des dritten Jahrtausends ist er der Königsweg.
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Der Weg der Heiligkeit sei euer Lebensziel! Mit diesem Wunsch grüße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich die Mitglieder der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung willkommen, die mit dem Bischof von Linz, Maximilian Aichern, nach Rom gepilgert sind. Außerdem grüße ich die Evangelisch-Lutherischen Pfarrer aus dem Kirchenkreis Winsen. Von Herzen erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.
Lesung: Psalm 149
30 1. »In festlichem Glanz sollen die Frommen frohlocken, auf ihren Lagern jauchzen« (V. 5): Dieser Aufruf aus Psalm 149, der soeben verkündet wurde, erinnert an das beginnende Morgengrauen und sieht die Gläubigen zum Anstimmen ihres Morgenlobs bereit. Dieses Lob wird mit einem beredten Ausdruck als »ein neues Lied« (V. 1) bezeichnet, d. h. als feierliche und vollkommene Hymne, für die Endzeit geeignet, wenn der Herr die Gerechten in einer neuen Welt versammeln wird. Der ganze Psalm ist durchdrungen von einer festlichen Atmosphäre, eingeleitet vom anfänglichen Halleluja: Gesang, Lob, Freude, Tanz, Klang der Pauken und Harfen geben ihm seinen Rhythmus. Das von diesem Psalm angeregte Gebet ist Danksagung eines von religiösem Jubel erfüllten Herzens.
2. Im hebräischen Originaltext des Hymnus werden die Protagonisten des Psalms mit zwei charakteristischen Begriffen der Spiritualität des Alten Testaments benannt. Zunächst werden sie dreimal als »hasidim«(V. 1.5.9) bezeichnet, also als »die Frommen, die Gläubigen«, die mit Treue und Liebe (»hesed«) auf die Vaterliebe des Herrn antworten.
Der zweite Teil des Psalms erregt Verwunderung, denn er ist geprägt von kriegerischen Ausdrücken. Es wirkt befremdlich, daß der Psalm in ein und demselben Vers »Loblieder auf Gott in ihrem Mund« neben »ein zweischneidiges Schwert in der Hand« stellt (V. 6). Wenn wir aber nachdenken, können wir den Grund hierfür verstehen: Der Psalm wurde für Gläubige verfaßt, die in einem Befreiungskrieg eingesetzt waren; sie kämpften für die Befreiung ihres unterdrückten Volkes, dem sie die Möglichkeit geben wollten, Gott zu dienen. Während der Epoche der Makkabäer, im zweiten Jahrhundert v. Chr., nannten sich die Kämpfer für Freiheit und Glauben, die damals von den griechischen Machthabern hart unterdrückt wurden, »hasidim«, also jene, die dem Wort Gottes und den Überlieferungen der Väter »treu« sind. .
3. In der gegenwärtigen Perspektive unseres Gebets wird diese Kriegssymbolik zum Bild unseres Einsatzes als Gläubige, die sich - nach dem Gesang des Morgenlobs an Gott - auf die Straßen der Welt begeben, inmitten vieler Übel und Ungerechtigkeiten. Leider sind die Kräfte, die sich dem Reich Gottes entgegenstellen, sehr mächtig: Der Psalmist spricht von »Völkern, Nationen, Königen und Fürsten«. Und doch ist er zuversichtlich, denn er weiß den Herrn, den wahren König der Geschichte (vgl. V. 2), an seiner Seite. Sein Sieg über das Böse ist daher gewiß, und es wird der Triumph der Liebe sein. An diesem Kampf sind alle »hasidim«, alle Treuen und Gerechten beteiligt, die mit der Kraft des Geistes das wunderbare Werk, das den Namen Reich Gottes trägt, zur Vollendung bringen.
4. Bezüglich der Hinweise des Psalms auf den »Chor« und auf die »Pauken und Harfen« kommentiert der hl. Augustinus: »Was ist ein Chor? […] Der Chor ist eine Gruppe von Sängern, die gemeinsam singen. Wenn wir im Chor singen, müssen wir es im Einklang miteinander tun. Wenn man im Chor singt, verletzt auch nur eine einzige falsch singende Stimme den Zuhörer und verwirrt den Chor selbst« (vgl. Enarr. in Ps 149 CCL 40,7,1 - Ps 4).
Und hinsichtlich der vom Psalmist verwendeten Instrumente fragt er sich: »Warum nimmt der Psalmist Pauke und Harf zur Hand?« Die Antwort: »Damit nicht nur die Stimme den Herrn lobe, sondern auch die Werke. Wenn man Pauke und Harfe zur Hand nimmt, stimmen Hände und Stimme sich aufeinander ein. So ist es auch bei dir. Wenn du das Halleluja singst, mußt du dem Hungrigen das Brot reichen, den Nackten bekleiden, den Pilger aufnehmen. Wenn du dies tust, singt nicht nur die Stimme, sondern die Stimme steht im Einklang mit den Händen, da die Wort mit den Werken übereinstimmen« (vgl. ebd., 8,1 - 4).
5. Es gibt noch einen zweiten Ausdruck, mit dem die Betenden dieses Psalms bezeichnet werden: Sie sind die »anawim«, also »die Armen, die Gebeugten«. Dieser Begriff kommt im Psalter recht häufig vor auf und bezeichnet nicht nur die Unterdrückten, Elenden, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, sondern auch die Menschen, die den moralischen Verpflichtungen des Bundes mit Gott treu bleiben und deshalb von jenen ausgegrenzt werden, die sich für Gewalt, Reichtum und Arroganz entscheiden. In diesem Licht versteht man, daß die »Armen« nicht nur eine soziale Kategorie sind, sondern daß es sich hierbei um eine geistliche Entscheidung handelt. Dies ist der Sinn der ersten Seligpreisung: »Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich« (Mt 5,3). Schon der Prophet Zefanja wandte sich folgendermaßen an die »anawim«: »Sucht den Herrn, ihr Gedemütigten im Land, die ihr nach dem Recht des Herrn lebt. Sucht Gerechtigkeit, sucht Demut! Vielleicht bleibt ihr geborgen am Tag des Zornes des Herrn« (So 2,3).
6. Der »Tag des Zornes des Herrn« ist genau der im zweiten Teil des Psalms beschriebene, wenn die Armen sich auf die Seite Gottes stellen, um gegen das Böse zu kämpfen. Allein besitzen sie weder ausreichende Kraft noch die nötigen Mittel und Strategien, um sich dem Bösen zu widersetzen. Und doch läßt der Ausspruch des Psalmisten kein Zögern zu: »Der Herr hat an seinem Volk Gefallen, die Gebeugten (»anawim«) krönt er mit Sieg« (V. 4). So wird ideell das vorweggenommen, was der Apostel Paulus den Korinthern gegenüber erklärt: »Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten «(1Co 1,28).
In diesem Vertrauen machen sich die »Kinder Zions« (V. 2), »hasidim« und »anawim«, also die Treuen und die Armen, daran, ihr Zeugnis in Welt und Geschichte zu leben. Der Lobgesang Marias im Lukasevangelium - das Magnifikat - ist ein Widerhall der feinsten Empfindungen der »Kinder Zions«: freudiger Lobgesang auf Gott, den Retter, Danksagung für die großen Dinge, die der Mächtige in ihr gewirkt hat, Kampf gegen die Mächte des Bösen, Solidarität mit den Armen, Treue zum Gott des Bundes (vgl. Lc 1,46 - 55).
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir haben eben den Psalm 149 gebetet. Dieser Psalm ist am Morgen des Sonntags, als ‘neues Lied’ zu beten. Mit den Worten dieses Psalms dankt der Gläubige Mensch seinem Schöpfer und freut sich von ganzem Herzen.
31 Die Gläubigen werden hier dreimal ‘Fromme’ genannt, das heißt Menschen, die mit Glaube und Liebe auf die Einladung des Herrn antworten.
Ferner finden wir den Ausdruck: die Gebeugten, das heißt, die Armen. ‘Der Herr hat an seinem Volk Gefallen, die Gebeugten krönt er mit Sieg.’ Hierzu bestätigt uns der Apostel Paulus, als er im ersten Korintherbrief schreibt: ‘das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott.’ (1Co 1,28)
Fromme und Gebeugte werden das Reich Gottes erben. Darin liegt die befreiende Botschaft des Morgenlobs. In der guten Nachricht des Evangeliums wird sie bestätigt.
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Mit diesen Gedanken grüße ich die Pilger und Besucher, die aus den Ländern deutscher Sprache nach Rom gekommen sind. Ich grüße besonders herzlich die Teilnehmer an der Diözesanwallfahrt des Bistums Mainz in Begleitung des Hochwürdigsten Herrn Diözesanbischofs Karl Kardinal Lehmann. Weiterhin heiße ich die Pilgergruppe aus Metten und die Blechbläsergruppe der Evangelischen Landeskirche von Baden willkommen. Euch, Euren Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, erteile ich gern den Apostolischen Segen.
Lesung: Psalm 5
1. »Herr, am Morgen hörst du mein Rufen, am Morgen rüst’ ich das Opfer zu, halte Ausschau nach dir« (V. 4). Durch diese Worte wird uns Psalm 5 als Morgengebet vorgestellt, und er paßt daher gut zur Liturgie der Laudes, also zum Gesang des Gläubigen zu Tagesbeginn. Der Grundton dieser Anrufung ist zwar von Anspannung und Furcht vor den hereinbrechenden Gefahren und Bitterkeiten geprägt, aber das Vertrauen zu Gott, der immer bereit ist, seinem Gläubigen zu Hilfe zu kommen, damit er auf seinem Lebensweg nicht strauchelt, läßt dennoch nicht nach.
»Niemand außer der Kirche besitzt ein solches Vertrauen« (vgl. hl. Hieronymus, Tractatus LIX in psalmos, 5,27; PL 26,829). Der hl. Augustinus hingegen lenkt die Aufmerksamkeit auf den Titel, der dem Psalm vorangestellt ist und der in seiner lateinischen Version lautet: »Für diejenige, die das Erbteil erhält.« Er merkt hierzu an: »Es handelt sich um die Kirche, die durch unseren Herrn Jesus Christus das ewige Leben zum Erbe erhält, damit sie Gott selbst besitzt, an ihm festhält und in ihm ihr Glück findet gemäß der Schrift: Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben (Mt 5,5)« (vgl. Enarr. in Ps 5, CCL 38,1,2).
2. Ähnlich wie in jenen Psalmen, in denen der Herr um Befreiung vom Bösen angefleht wird, treten auch in diesem Psalm drei Personen in Erscheinung. Zunächst erscheint Gott (V. 2 - 7), das »Du« des Psalms schlechthin, an den sich der Betende vertrauensvoll wendet. Angesichts der Alpträume eines mühevollen und vielleicht sogar gefährlichen Tages stellt sich Gewißheit ein. Der Herr ist ein kohärenter Gott, er ist streng gegen die Ungerechtigkeit, und jeder Kompromiß mit dem Bösen liegt ihm fern: »Du bist kein Gott, dem das Unrecht gefällt« (V. 5).
Eine lange Reihe böser Menschen - der Frevler; der Tor; der Missetäter; der Lügner; der Mörder; der Betrüger - zieht vor dem Blick Gottes vorbei. Er ist der heilige und gerechte Gott, der sich auf die Seite derer stellt, die die Wege der Wahrheit und Liebe gehen und sich denen widersetzen, deren »Straßen zu den Totengeistern hinab« führen (vgl. Spr Pr 2,18). Der Gläubige fühlt sich also nicht einsam und verlassen, wenn er der Stadt entgegentritt und eindringt in die Gesellschaft und die Wirren der täglichen Begebenheiten.
32 3. In den Versen 8 und 9 unseres Morgengebets stellt sich die zweite Person, der Betende, durch das Wort »Ich« vor und zeigt, daß sein ganzes Wesen Gott und seiner »großen Güte« geweiht ist. Er ist sich sicher, daß die den Gottlosen verschlossenen Tore des Tempels, also des Ortes der Gemeinschaft und der Vertrautheit mit Gott, ihm selbst weit offen stehen. Er tritt dort ein, um die Sicherheit des göttlichen Schutzes auszukosten, während draußen das Böse herrscht und seine vermeintlichen und vergänglichen Triumphe feiert.
Aus dem Morgengebet im Tempel erhält der Gläubige die innere Kraft, um sich einer oft feindseligen Welt stellen zu können. Der Herr selbst wird ihn an der Hand nehmen und ihn durch die Straßen der Stadt leiten, ja er wird sogar seinen »Weg ebnen«, wie der Psalmist mit einem einfachen, aber einprägsamen Bild sagt. Im hebräischen Original gründet dieses zuversichtliche Vertrauen auf zwei Begriffen (»hesed« und »sedaqah«): »Erbarmen« oder »Treue« einerseits und »Gerechtigkeit« oder »Heil« andererseits. Es handelt sich hierbei um charakteristische Worte zur Verherrlichung des Bundes, der den Herrn mit seinem Volk und mit den einzelnen Gläubigen vereint.
4. Schließlich zeichnet sich am Horizont die dunkle Gestalt des dritten Darstellers dieses alltäglichen Dramas ab: Es sind die »Feinde«, die »Bösen«, die schon in den vorigen Versen im Hintergrund zu erahnen waren. Nach dem »Du« Gottes« und dem »Ich« des Betenden kommt nun ein »Sie«, das auf eine feindliche Menge, als Symbol des Bösen in der Welt, hinweist (V. 10 - 11). Ihre Physiognomie wird auf der Grundlage eines wesentlichen Elements der sozialen Kommunikation, nämlich des »Wortes«, aufgezeigt. Vier Körperteile - Mund, Inneres, Kehle, Zunge - bringen die Radikalität der ihren Entscheidungen innewohnenden Bosheit zum Ausdruck. Ihr Mund ist voller Falschheit, ihr Inneres trachtet ständig nach Hinterlist, ihre Kehle ist wie ein offenes Grab, das immer nur den Tod will, ihre Zunge ist verführerisch, aber »voll von tödlichem Gift« (Jc 3,8).
5. Nach dieser drastischen und realistischen Darstellung des Niederträchtigen, der den Gerechten bedroht, erfleht der Psalmist in einem Vers (Nr. 11) die Verurteilung durch Gott; die christliche Liturgie läßt diesen Vers aus, denn sie will auf diese Weise der neutestamentlichen Auffassung von der barmherzigen Liebe entsprechen, die auch dem Übeltäter die Möglichkeit zur Umkehr einräumt.
Das Gebet des Psalmisten erreicht dann - nach dem düsteren, zuvor aufgezeigten Profil des Sünders - ein Finale voller Licht und Frieden (V. 12 - 13). Eine Welle der Zuversicht und des Glücks umströmt die Menschen, die dem Herrn treu sind. Der Tag, der sich nun vor dem Gläubigen auftut, wird zwar von Mühen und Sorgen geprägt sein, aber es wird immer die Sonne des göttlichen Segens über ihm stehen. Der Psalmist, der das Herz und den Stil Gottes bis in die Tiefe kennt, hat keinen Zweifel: »Du, Herr, segnest den Gerechten. Wie mit einem Schild deckst du ihn mit deiner Gnade« (V. 13).
Liebe Schwestern und Brüder!
Heute betrachten wir Psalm 5, ein Bittgebet. Der gläubige Mensch schaut auf seine Lage und sieht sich umringt von vielen Feinden, die ihn zu erdrücken drohen. Doch Gott der Herr verhilft den Treuen zu ihrem Recht und nimmt den Ehrfürchtigen in Güte auf. Wenn den Beter auch am Anfang Angst und Bedrängnis befällt, so herrscht am Ende Freude und Jubel, denn der Herr segnet den Gerechten und beschützt alle, die seinen Namen lieben.
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Herzlich begrüße ich alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Ich freue mich sehr, die große Gruppe der Pilger des Päpstlichen Werkes für geistliche Berufe in Deutschland begrüßen zu können. In Begleitung des Bischofs von Augsburg, Viktor Josef Dammertz, und der Weihbischöfe Johannes Kapp und Johannes Kreidler begeht diese Gebetsgemeinschaft ihr fünfundsiebzig-jähriges Bestehen. Ich danke für diese Gebetskette, die Generationen umspannt und auf eine Tatsache hinweist, die mir am Herzen liegt: Wir können geistliche Berufe nicht machen, aber wir können sie erbeten. Möge der Herr der Ernte euer Gebet erhören und viele Arbeiter in seinen Weinberg senden. Meine Grüße gehen auch an den Chor der Basilika von St. Ulrich und Afra in Augsburg, der in diesen Tagen Gottesdienste in verschiedenen Kirchen Roms gestaltet. Gerne erteile ich euch allen und euren Lieben daheim den Apostolischen Segen.
Generalaudienz 2001 25