Generalaudienz 2004 53

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Lesung: Psalm 110, 1-5,7

1 Die Einsetzung des priesterlichen Königs auf dem Zion [Ein Psalm Davids.] So spricht der Herr zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten, und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße.
2 Vom Zion strecke der Herr das Zepter deiner Macht aus: »Herrsche inmitten deiner Feinde!«
3 Dein ist die Herrschaft am Tage deiner Macht, (wenn du erscheinst) in heiligem Schmuck; ich habe dich gezeugt noch vor dem Morgenstern, wie den Tau in der Frühe.
4 Der Herr hat geschworen, und nie wird’s ihn reuen: »Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks.«
5 Der Herr steht dir zur Seite; er zerschmettert Könige am Tage seines Zornes.
7 Er trinkt aus dem Bach am Weg; so kann er (von neuem) das Haupt erheben.

1. Einer alten Tradition folgend, bildet der soeben verkündete Psalm 110 den zentralen Teil der Sonntagsvesper. In allen vier Wochen, in denen sich das Stundengebet entfaltet, ist er vorgegeben. Seine Kürze, die durch das Weglassen des sechsten Verses - einer Verwünschung - noch unterstrichen wird, bedeutet nicht, daß es keine Schwierigkeiten bei seiner exegetischen Auslegung gäbe. Es handelt sich um einen Königspsalm, der mit der davidischen Dynastie in Verbindung steht und wahrscheinlich auf den Ritus der Inthronisierung des Herrschers verweist. Doch haben die jüdische und die christliche Tradition im gesalbten König die Beschreibung des Gesalbten schlechthin gesehen: des Messias, des Christus.

In eben diesem Licht wird der Psalm zu einem strahlenden Lied, das die christliche Liturgie dem Auferstandenen am Festtag, dem Gedächtnis an das Pascha des Herrn, darbringt.

2. Psalm 110 besteht aus zwei Teilen, die beide dadurch gekennzeichnet sind, daß sie einen göttlichen Weisheitsspruch enthalten. Der erste Spruch (vgl. V. 1-3) ist an den Herrscher gerichtet, am Tag seiner feierlichen Einsetzung »zur Rechten« Gottes, das heißt neben der Bundeslade im Tempel von Jerusalem. Die Erinnerung an die göttliche »Zeugung« des Königs war Bestandteil des offiziellen Protokolls seiner Krönung und nahm in Israel die symbolische Bedeutung für die Amtseinsetzung und Schutzherrschaft an, weil der König der Statthalter Gottes hinsichtlich der Verteidigung der Gerechtigkeit war (vgl. V. 3).

Selbstverständlich wird in der christlichen Lesart des Psalms jene »Zeugung« Wirklichkeit und zeigt Jesus Christus als den wahren Sohn Gottes. So war es auch in der christlichen Übernahme eines anderen bekannten königlich-messianischen Psalms geschehen, dem zweiten des Psalters, wo dieser Spruch Gottes zu lesen ist: »Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt« (Ps 2,7).

54 3. Der zweite Spruch des Psalms 110 hat dagegen priesterlichen Gehalt (vgl. V. 4). Der König übte in frühen Zeiten auch kultische Funktionen aus, nicht in der Nachfolge des levitischen Priestertums, sondern in einem anderen Zusammenhang: jenem des Priestertums von Melchisedek, des Priesterkönigs von Salem, dem vorisraelitischen Jerusalem (vgl. Gn 14,17-20).

In der christlichen Perspektive wird der Messias das Vorbild des vollkommenen und höchsten Priestertums. Später wird der Hebräerbrief in seinem Hauptteil diesen priesterlichen Dienst »nach der Ordnung Melchisedeks« (He 5,10) preisen, da er ihn in der Person Christi in Fülle verwirklicht sieht.

4. Der erste Spruch wird im Neuen Testament mehrmals wiederaufgenommen, um Jesus als Messias zu verherrlichen (vgl. Mt 22,44 Mt 26,64 Ac 2,34-35; 1Co 15,25-27 He 1,13). Christus selbst verweist vor dem Hohenpriester und dem Hohen Rat ausdrücklich auf unseren Psalm, indem er verkündet, daß er nunmehr zur »Rechten der Macht [Gottes] sitzen« wird, so wie es in Psalm Ps 110,1 zum Ausdruck gebracht wird (Mc 14,62 vgl. Mc 12,36-37).

Wir werden zu diesem Psalm auf unserem Weg innerhalb der Texte des Stundengebetes zurückkommen. Jetzt möchten wir zum Abschluß unserer kurzen Vorstellung dieses messianischen Hymnus seine christologische Bedeutung herausstellen.

5. Wir tun dies anhand einer vom hl. Augustinus vorgenommenen Zusammenfassung. In seinem Kommentar zu Psalm 110, den er in der Fastenzeit des Jahres 412 vorgetragen hat, skizzierte er diesen als regelrechte Prophetie der auf Christus bezogenen göttlichen Verheißungen. Der bekannte Kirchenvater sagte: »Es war notwendig, den eingeborenen Sohn kennenzulernen, ihn, der im Begriff war, zu den Menschen zu kommen, um den Menschen anzunehmen und Mensch zu werden durch die angenommene Natur: Er sollte sterben, auferstehen, in den Himmel auffahren, zur Rechten des Vaters sitzen und unter den Völkern das vollbringen, was er verheißen hatte … All dies also mußte prophezeit werden, es mußte im voraus verkündet werden, es mußte angekündigt werden als das, was für die Zukunft bestimmt war, damit es, wenn es ganz unerwartet geschähe, keinen Schrecken hervorrufe, sondern vielmehr im Glauben angenommen und erwartet würde. Zu diesen Verheißungen gehört dieser Psalm, der mit so sicheren und klaren Worten unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus prophezeit, damit wir nicht im geringsten daran zweifeln können, daß in ihm Christus angekündigt wird« (Psalmenkommentar, Esposizioni sui Salmi, III, Rm 1976,183 Rm 1976,185).

6. Rufen wir jetzt den Vater Jesu Christi an, den einen König und vollkommenen und ewigen Priester, damit er aus uns ein Volk von Priestern und Propheten des Friedens und der Liebe mache; ein Volk, das Christus, den König und Priester, besingt, der sich selbst geopfert hat, um die ganze Menschheit in sich, in einem einzigen Leib zu versöhnen und zum neuen Menschen zu machen (vgl. Ep 2,15-16).

Liebe Brüder und Schwestern,

heute Morgen möchte ich Gott danken, der mir in seiner Güte gewährt hat, eine Pilgerfahrt nach Lourdes zu unternehmen. Ich danke der allerseligsten Jungfrau für die Atmosphäre tiefer Sammlung und intensiven Gebetes bei dieser Begegnung. Ich erinnere mich mit innerer Bewegung an die so zahlreichen Pilger und unter ihnen in den ersten Reihen die vielen Kranken, die gekommen sind, um bei Unserer Lieben Frau Trost und Hoffnung zu suchen. Mögen auch alle Jugendlichen die Erinnerung an diese Pilgerfahrt bewahren und aus ihr die Kraft schöpfen, Männer und Frauen zu werden, die frei sind in Christus!

Ich danke Msgr. Jacques Perrier, dem Bischof von Tarbes und Lourdes, für seinen herzlichen Empfang und mit ihm allen anwesenden Bischöfen sowie all jenen, die zum guten Gelingen meiner Reise beigetragen haben. Mein Dank gilt auch dem Präsidenten der Republik und den französischen Obrigkeiten für ihren zuvorkommenden Empfang.

Die Jungfrau Maria, die Unbefleckte Empfängnis, möge über jeden von euch wachen und euch auf eurem Weg zur Begegnung mit ihrem Sohn begleiten und führen!

Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Jesus Christus ist König und Priester auf ewig. Er sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Seid stets bereit, ihn als den wahren Herrn vor der Welt zu bekennen! Der Heilige Geist stärke euch im Glauben.




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Mittwoch, 25. August 2004

Wortgottesdienst zur Verehrung und

Überreichung des Bildnisses der Gottesmutter von Kazan’

Predigt


Liebe Brüder und Schwestern!

1. Wie ich am vergangenen Sonntag angekündigt habe, findet unsere traditionelle wöchentliche Begegnung heute in besonderer Form statt. Denn wir sind im Gebet um die verehrte Ikone der Muttergottes von Kasan versammelt, die bald ihre Rückreise nach Rußland antreten wird, von wo sie vor langer Zeit weggebracht wurde.

Nachdem sie in verschiedenen Ländern war und lange Zeit im Heiligtum von Fatima aufbewahrt wurde, fügte es die Vorsehung, daß sie vor mehr als zehn Jahren in das Haus des Papstes gelangte. Von dieser Zeit an hat sie ihren Platz bei mir gefunden und hat mit mütterlichem Blick meinen täglichen Dienst an der Kirche begleitet.

Wie oft habe ich seit diesem Tag die Muttergottes von Kasan angerufen und sie gebeten, sie möge das russische Volk, von dem sie so sehr verehrt wird, beschützen und leiten und bald den Zeitpunkt herbeiführen, an dem alle Jünger ihres Sohnes sich als Brüder anerkennen und die verletzte Einheit vollkommen wiederherstellen.

2. Von Anfang an hegte ich den Wunsch, daß diese heilige Ikone nach Rußland zurückkehren solle, wo sie - nach glaubwürdigen historischen Zeugnissen - lange Jahre hindurch Gegenstand tiefer Verehrung bei ganzen Generationen von Gläubigen war. Um die Ikone der Muttergottes von Kasan hat sich die Geschichte dieses großen Volkes entwickelt.

Rußland ist seit vielen Jahrhunderten eine christliche Nation, es ist »die heilige Rus«. Auch als sich feindlich gesonnene Kräfte gegen die Kirche auflehnten und versuchten, den heiligen Namen Gottes aus dem Leben der Menschen zu tilgen, blieb dieses Volk zutiefst christlich und bezeugte in vielen Fällen mit dem eigenen Blut die Treue zum Evangelium und zu den von ihm inspirierten Werten.

Zusammen mit euch danke ich daher mit besonderer innerer Anteilnahme der göttlichen Vorsehung, die mir heute ermöglicht, dem verehrten Patriarchen von Moskau und ganz Rußland das Geschenk dieser heiligen Ikone zu übersenden.

56 3. Dieses alte Bild der Mutter des Herrn möge für Seine Heiligkeit Aleksij II. und den ehrwürdigen Synod der russisch-orthodoxen Kirche Ausdruck der Zuneigung des Nachfolgers Petri zu ihnen und zu allen ihnen anvertrauten Gläubigen sein. Es soll die Wertschätzung gegenüber der großen geistlichen Tradition bekunden, deren Hüterin die heilige russische Kirche ist. Es sei ein Ausdruck des Wunsches und des festen Entschlusses des Papstes von Rom, gemeinsam mit ihnen auf dem Weg der gegenseitigen Kenntnis und Versöhnung fortzuschreiten, um den Tag jener vollkommenen Einheit, für die der Herr Jesus innig gebetet hat (vgl. Jn 17,20-22), zu beschleunigen.

Liebe Brüder und Schwestern, schließt euch mir an, wenn ich nun die allerseligste Jungfrau Maria um ihre Fürsprache bitte und die Ikone der Delegation übergebe, die sie in meinem Namen nach Moskau bringen wird.
Gebet von Johannes Paul II.



Glorreiche Mutter Jesu, die Du dem Volk Gottes vorangehst auf den Wegen des Glaubens, der Liebe und der Verbundenheit mit Christus (vgl. Lumen gentium LG 63), sei gebenedeit! Alle Geschlechter preisen dich selig, denn »der Mächtige hat Großes an Dir getan und sein Name ist heilig« (vgl. Lc 1,48-49).

Sei gesegnet, und Ehre sei Dir erwiesen, o Mutter, in Deiner Ikone von Kasan, seit Jahrhunderten von der Verehrung und der Liebe der orthodoxen Gläubigen umgeben, bist Du zur Beschützerin und Zeugin geworden der besonderen Werke Gottes, die er in der Geschichte des russischen Volkes, das uns so am Herzen liegt, vollbracht hat.

Die göttliche Vorsehung, die die Kraft hat, das Böse zu besiegen und sogar die bösen Taten der Menschen zum Guten zu führen, hat es ermöglicht, daß Deine heilige Ikone, die in längst vergangener Zeit abhanden gekommen ist, im Wallfahrtsort Fatima, in Portugal, wieder erschienen ist. In der Folge ist sie nach dem Willen Dich verehrender Menschen in das Haus des Nachfolgers Petri gelangt.

Mutter des orthodoxen Volkes, die Anwesenheit Deiner heiligen Darstellung von Kasan in Rom spricht zu uns von einer tiefen Verbundenheit zwischen dem Orient und dem Okzident, die anhält in der Zeit trotz der historischen Trennungen und der von den Menschen begangenen Fehler. Erheben wir nun mit besonderer Innigkeit unser Gebet zu Dir, o Jungfrau, wenn wir uns von diesem eindrucksvollen Bild verabschieden. Mit unserem Herzen begleiten wir Dich auf Deinem Weg, der Dich in das heilige Rußland führt. Nimm das Lob und die Ehre an, die Dir das Volk Gottes, das in Rom ist, entgegenbringt.

O Gebenedeite unter den Frauen, durch die Verehrung Deiner Ikone in dieser Stadt, die vom Blut der Apostel Petrus und Paulus geprägt ist, schließt sich der Bischof von Rom seinem Bruder im Bischofsamt an, der als Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche vorsteht. Ich bitte Dich um Deine Fürsprache, heilige Mutter, damit sich die Zeit bis zur vollkommenen Einheit zwischen Orient und Okzident verkürze, bis zur vollkommenen Gemeinschaft zwischen allen Christen.

O glorreiche und gebenedeite Jungfrau, unsere Frau, unsere Mittlerin und Trösterin, versöhne uns mit Deinem Sohne, empfiehl uns Deinem Sohne, stell uns vor Deinem Sohne! Amen.



September 2004


Mittwoch, 1. September 2004

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Lesung: Psalm 115, 1.3.9.11-13.

1 Der Gott Israels und die Götter der anderen Völker Nicht uns, o Herr, bring zu Ehren, / nicht uns, sondern deinen Namen, in deiner Huld und Treue!
3 Unser Gott ist im Himmel; alles, was ihm gefällt, das vollbringt er.
9 Israel, vertrau auf den Herrn! Er ist für euch Helfer und Schild.
11 Alle, die ihr den Herrn fürchtet, vertraut auf den Herrn! Er ist für euch Helfer und Schild.
12 Der Herr denkt an uns, er wird uns segnen, / er wird das Haus Israel segnen, er wird das Haus Aaron segnen.
13 Der Herr wird alle segnen, die ihn fürchten, segnen Kleine und Große.

1. Im soeben gehörten Psalm 115 (113B), der zu den Psalmen gehört, die in der Vesper gebetet werden, treffen der lebendige Gott und der tote Götze aufeinander. Die alte griechische Bibeltradition der sogenannten Septuaginta, gefolgt von der lateinischen Version der frühchristlichen Liturgie, hat diesen zur Ehre des wahren Herrn verfaßten Psalm mit dem vorhergehenden Psalm verknüpft. Daraus ist ein einziger Text entstanden, der aber deutlich erkennbar in zwei verschiedene Abschnitte unterteilt ist (vgl. 115: 113 A und 113 B).

Zu Beginn wird die Herrlichkeit des Herrn gepriesen, woraufhin das auserwählte Volk seinen Gott als den allmächtigen Schöpfer vorstellt: »Unser Gott ist im Himmel; alles, was ihm gefällt, das vollbringt er« (Ps 115,3). »Huld und Treue« sind typische Eigenschaften des Bundesgottes im Bezug auf das von ihm erwählte Volk Israel (vgl. V. 1). So werden Kosmos und Geschichte seiner Herrschaft untergeordnet, die eine Macht der Liebe und des Heils ist.

2. Dem von Israel angebeteten wahren Gott werden sogleich »die Götzen der Völker« gegenübergestellt (V. 4). Der Götzendienst ist eine Versuchung für die ganze Menschheit in jedem Land und zu jeder Zeit. Der Götze ist tot, Machwerk des Menschen, eine kalte, leblose Statue. Der Psalmist beschreibt sie ironisch in ihren sieben völlig nutzlosen Teilen: dem Mund, der nicht redet; den Augen, die nicht sehen; den Ohren, die nicht hören; einer Nase, die nicht riecht; Händen, die nicht greifen können; Füßen, die nicht gehen können; einer Kehle, die keinen Laut hervorbringt (vgl. V. 5-7).

Nach dieser schonungslosen Kritik an den Götzen spricht der Psalmist den sarkastischen Wunsch aus: »Die sie gemacht haben, sollen ihrem Machwerk gleichen, alle, die den Götzen vertrauen« (vgl. V. 8). Es ist ein Wunsch, der so eindringlich ausgesprochen wird, daß er eine radikale Abschreckung vor dem Götzendienst hervorruft. Wer die Götzen des Reichtums, der Macht, des Erfolges anbetet, verliert seine Würde als menschliche Person. Der Prophet Jesaja sagte: »Ein Nichts sind alle, die ein Götterbild formen; ihre geliebten Götzen nützen nichts. Wer sich zu seinen Göttern bekennt, sieht nichts, ihm fehlt es an Einsicht; darum wird er beschämt« (Is 44,9).

58 3. Hingegen wissen die Gläubigen des Herrn, daß der lebendige Gott für sie »Helfer und Schild« ist (vgl. 115,9-13). Sie werden in drei Gruppen vorgestellt: Da ist vor allem das »Haus Israel«, das heißt das ganze Volk, die Gemeinschaft, die sich im Tempel zum Gebet versammelt. Dort ist auch das »Haus Aaron«, das auf die Priester, die Wächter und Verkünder des Gotteswortes, verweist, die berufen sind, den Gottesdienst zu leiten. Am Schluß werden diejenigen gerufen, die den Herrn fürchten, das heißt die wahren und standhaften Gläubigen - und als solche werden nach dem babylonischen Exil und im späteren Judentum auch die Heiden bezeichnet, die sich mit aufrichtigem Herzen und echter Sehnsucht der Gemeinschaft und dem Glauben Israels nähern, wie zum Beispiel der römische Hauptmann Kornelius (vgl. Ac 10,1-2 Ac 10,22), der dann durch Petrus zum Christentum bekehrt wurde.

Auf diese drei Gruppen von wahren Gläubigen kommt der Segen Gottes herab (vgl. Ps 115,12-15). Er ist nach biblischem Verständnis Quelle der Fruchtbarkeit: »Es mehre euch der Herr, euch und eure Kinder« (V. 14). Abschließend stimmen die Gläubigen, die sich über das vom lebendigen Gott und Schöpfer erhaltene Geschenk des Lebens freuen, ein kurzes Loblied an und erwidern den heilbringenden Segen Gottes mit ihrem dankbaren und vertrauensvollen Lobpreis (vgl. V. 16-18).

4. Einer der Väter der Kirche des Orients, Gregor von Nyssa (4. Jahrhundert), verweist in seiner fünften Homilie über das Hohelied der Liebe auf unseren Psalm, wenn er den Übergang der Menschheit »vom Eis des Götzendienstes zum Frühling des Heils« beschreibt. Denn, so merkt Gregor an, die menschliche Natur hatte sich gleichsam selbst in die »unbeweglichen starren Wesen« verwandelt, die »zu Kultobjekten gemacht worden waren«, wie es geschrieben steht: »Die sie gemacht haben, sollen ihrem Machwerk gleichen, alle, die den Götzen vertrauen.« »Es versteht sich von selbst, daß es so geschah. Denn so wie jene, die den wahren Gott im Blick haben, die Eigenschaften der göttlichen Natur in ihrem Innern empfangen, so verwandelt sich derjenige, der sich der Eitelkeit der Götzen verschrieben hat, vom Menschen, der er war, in das, was er im Blick gehabt hat, und wird zu Stein. Weil also die wegen des Götzendienstes zu Stein gewordene menschliche Natur gegenüber dem Guten starr und im Eis des Götzendienstes festgefroren war, ist über dem harten Winter die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen und hat den Frühling mit der warmen Mittagsluft gebracht, die das Eis schmelzen läßt und mit den aufsteigenden Strahlen dieser Sonne alles erwärmt, was sich darunter befindet; und so ist der durch dieses Eis zu Stein gewordene Mensch, vom Geist erwärmt und vom Strahl des göttlichen Wortes erweicht, wieder zum Wasser geworden, das für das ewige Leben sprudelt« (Omelie sul Cantico dei cantici, Roma 1988, S. 133-134).

Der suchende Mensch steht in der Gefahr einer Versuchung. Den leeren Götzen traut er mehr als dem lebendigen Gott. Doch bleibt der Götze unbeseelt, kalt und leblos. Wer die Götzen des Reichtums, der Macht und des Erfolgs verehrt, verliert die Menschlichkeit.

Die Gläubigen aber wissen: Der lebendige Gott allein ist „Helfer und Schild" (Psalm 115, 9-11). Der Herr schenkt Heil und führt zum Leben.
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Mit Freude grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Strebt gemeinsam nach guten Werken im Zeugnis für die Liebe Christi! Gottes Güte begleite euch allezeit.
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APPELL DES PAPSTES


Mit tiefem Schmerz und mit Sorge habe ich von den erneuten schrecklichen Nachrichten über die Terroranschläge in Israel und Rußland erfahren, bei denen zahlreiche wehrlose und unschuldige Opfer zu Tode gekommen sind.

Auch im leidgeprüften Irak reißt die Kette blinder Gewalt nicht ab, die die baldige Rückkehr zu einem zivilen Zusammenleben verhindert. Zum Entsetzen über die barbarische Hinrichtung von zwölf Nepalesen kommt das Bangen um das Schicksal der beiden französischen Journalisten hinzu, die von ihren Entführern noch immer in Geiselhaft gehalten werden.

Ich appelliere eindringlich, daß überall der Rückgriff auf Gewalt aufhört, die einer guten Sache stets unwürdig ist, und daß die beiden französischen Journalisten menschlich behandelt werden und möglichst bald unversehrt zu ihren Lieben zurückkehren können.

59 Heute, am 1. September, jährt sich der Tag der Invasion in Polen und des Beginns des Zweiten Weltkriegs, der in Europa und in anderen Kontinenten Tod und Trauer zur Folge hatte. In Erinnerung an jene Tage erbitten wir von Gott, dem Vater aller Menschen, in diesem Moment schwerer und weitverbreiteter Spannungen das wertvolle Geschenk des Friedens.




Mittwoch, 8. September 2004

1.Die Liturgie gedenkt heute der Geburt der seligen Jungfrau Maria. Dieses in der Volksfrömmigkeit so tief empfundene Fest führt uns dazu, in dem Kind Maria die allerreinste Morgenröte der Erlösung zu bewundern. Wir sehen ein Kind, das wie alle anderen und doch einzigartig ist, das »gesegnet ist mehr als alle anderen Frauen« (Lc 1,42). Maria ist die unbefleckte »Tochter Zion«, dazu ausersehen, die Mutter des Messias zu werden.

2. Denken wir, wenn wir auf das Kind Maria schauen, nicht unwillkürlich an die vielen wehrlosen Kinder von Beslan in Ossetien, die Opfer einer barbarischen Geiselnahme geworden und unter tragischen Umständen ermordet worden sind? Sie waren in einer Schule, einem Ort, an dem man die Werte lernt, die der Geschichte, der Kultur und der Zivilisation der Völker Sinn geben: gegenseitige Achtung, Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden. Zwischen diesen Mauern haben sie hingegen schwerste Beleidigungen, Haß und Tod erfahren, die unheilvollen Konsequenzen eines grausamen Fanatismus und einer unheilvollen Mißachtung der menschlichen Person.

In diesem Moment weitet sich der Blick auf alle unschuldigen Kinder, die überall in der Welt Opfer der Gewalt von Erwachsenen sind. Kinder, die gezwungen werden, Waffen zu gebrauchen, und die dazu erzogen werden, zu hassen und zu töten; Kinder, die zum Betteln auf den Straßen angeleitet und für einfache Gewinne ausgebeutet werden; Kinder, die durch die Rücksichtslosigkeit und die Übergriffe von seiten der Erwachsenen mißhandelt und gedemütigt werden; Kinder, die sich selbst überlassen und der Nestwärme in der Familie und jeder Zukunftsperspektive beraubt werden; Kinder, die an Hunger sterben; Kinder, die in den vielen Konflikten in verschiedenen Teilen der Welt getötet werden.

3. Es ist ein lauter Schmerzensschrei der in ihrer Würde verletzten Kinder. Er kann und er darf niemanden gleichgültig lassen. Liebe Brüder und Schwestern, vor der Wiege der kleinen Maria erneuern wir das Bewußtsein unserer gemeinsamen Pflicht, diese schwachen Geschöpfe zu schützen und zu verteidigen und für sie eine Zukunft in Frieden aufzubauen. Beten wir gemeinsam darum, daß für sie die Bedingungen eines glücklichen und sicheren Daseins geschaffen werden.

GEBET FÜR GERECHTIGKEIT, FRIEDEN UND SOLIDARIETÄT IN DER WELT




Brüder und Schwestern, laßt uns der Einladung des Heiligen Vaters folgen und Gott bitten: Herr, erhöre uns.

1. Laßt uns beten für die Kinder von Beslan, die mit abscheulicher Gewalt aus dem Leben gerissen wurden, während sie sich anschickten, das Schuljahr zu beginnen; und für ihre Eltern, Verwandten und Freunde, die mit ihnen ermordet wurden: daß Gott in seiner Barmherzigkeit ihnen die Tore seines Hauses öffne. Herr, erhöre uns.

2. Laßt uns beten für die Verletzten, für die Familien der Opfer und für alle Mitglieder der Gemeinde Beslan, die mit gebrochenen Herzen den Tod ihrer Lieben beweinen: daß sie, gestärkt vom Licht des Glaubens und getröstet von der Solidarität vieler Personen in der Welt, denen vergeben können, die ihnen Böses getan haben. Herr, erhöre uns.

3. Laßt uns beten für alle Kinder, die in allen Teilen der Welt auf Grund der Gewalt und der Übergriffe durch die Erwachsenen leiden und sterben: daß der Herr sie den Trost seiner Liebe spüren lasse und die verhärteten Herzen derer erweiche, die Ursache ihrer Leiden sind. Herr, erhöre uns.

4. Laßt uns beten für die vielen entführten Personen in dem leidgeprüften Land Irak und besonders für die beiden Italienerinnen des Freiwilligen Hilfsdienstes, die gestern in Bagdad entführt wurden: daß sie alle mit Achtung behandelt und bald unversehrt ihren Lieben zurückgegeben werden. Herr, erhöre uns.

60 5. Laßt uns beten für die Gerechtigkeit und den Frieden in der Welt: daß der Herr den Geist derer erleuchte, die unter dem unheilvollen Einfluß der Gewalt stehen, und daß der Herr die Herzen aller für den Dialog und die Versöhnung öffne, damit eine hoffnungs- und friedvolle Zukunft gebaut wird. Herr, erhöre uns.

[Abschließend betete Papst Johannes Paul II.:]
Gott, unser Vater, du hast die Menschen erschaffen, damit sie in Gemeinschaft miteinander leben. Laß uns erkennen, daß jedes Kind ein Reichtum für die Menschheit ist und daß die Gewalt gegen die anderen eine Sackgasse ohne Ausweg in die Zukunft ist. Darum bitten wir dich auf die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau, der Mutter Jesu Christi, unseres Herrn, der lebt und herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Von Herzen heiße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern willkommen. Seid stets mit großmütiger Hilfsbereitschaft den Kleinen und Schwachen nahe. Denn Gott liebt sie ganz besonders. Sein Friede und seine Gnade geleite euch in all euren Unternehmungen.


Mittwoch, 15. September 2004

Lesung: Offb 19,1-7

61 Ap 19,1-7

1 Danach hörte ich etwas wie den lauten Ruf einer großen Schar im Himmel: Halleluja! Das Heil und die Herrlichkeit und die Macht ist bei unserm Gott.
2 Seine Urteile sind wahr und gerecht. Er hat die große Hure gerichtet, die mit ihrer Unzucht die Erde verdorben hat. Er hat Rache genommen für das Blut seiner Knechte, das an ihren Händen klebte.
3 Noch einmal riefen sie: Halleluja! Der Rauch der Stadt steigt auf in alle Ewigkeit.
4 Und die vierundzwanzig Ältesten und die vier Lebewesen fielen nieder vor Gott, der auf dem Thron sitzt, beteten ihn an und riefen: Amen, halleluja!
5 Und eine Stimme kam vom Thron her: Preist unsern Gott, all seine Knechte und alle, die ihn fürchten, Kleine und Große!
6 Da hörte ich etwas wie den Ruf einer großen Schar und wie das Rauschen gewaltiger Wassermassen und wie das Rollen mächtiger Donner: Halleluja! Denn König geworden ist der Herr, unser Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung.
7 Wir wollen uns freuen und jubeln und ihm die Ehre erweisen. Denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes, und seine Frau hat sich bereit gemacht.

1. Das Buch der Offenbarung ist durchzogen von Liedern, die zu Gott, dem Herrn des Universums und der Geschichte, aufsteigen. Wir haben soeben eines davon gehört, dem wir regelmäßig in allen vier Wochen der Vesperliturgie begegnen.

Dieser Hymnus wird vom »Halleluja« bestimmt, diesem Wort hebräischen Ursprungs mit der Bedeutung »Lobet den Herrn«, das im Neuen Testament seltsamerweise nur in diesem Abschnitt der Offenbarung vorkommt, wo es gleich fünfmal wiederholt wird. Die Liturgie wählt aus dem Text des Kapitels 19 nur einige Verse aus. Sie erklingen im erzählerischen Rahmen dieses Abschnitts als Ruf einer »großen Schar im Himmel«: Es ist gleichsam ein mächtiger Chorgesang, der von den Erwählten aufsteigt, die den Herrn festlich und in Freude feiern (vgl. Ap 19,1).

2. Die Kirche auf Erden stimmt mit ihrem Loblied in den Gesang der Gerechten ein, die schon die Herrlichkeit Gottes schauen. So entsteht ein Verbindungsweg zwischen der Geschichte und der Ewigkeit. Er findet seinen Ausgangspunkt in der irdischen Liturgie der kirchlichen Gemeinschaft und sein Ziel in der himmlischen Liturgie, wo die uns auf dem Glaubensweg vorangegangenen Brüder und Schwestern schon angekommen sind.

In dieser Gemeinschaft des Lobes stehen hauptsächlich drei Themen im Mittelpunkt. Vor allem die wunderbaren Eigenschaften Gottes, »das Heil und die Herrlichkeit und die Macht« (V. 1; vgl. V. 7), das heißt die Transzendenz und die heilbringende Allmacht. Das Gebet ist Betrachtung der göttlichen Herrlichkeit, des unaussprechlichen Geheimnisses, des Meeres von Licht und Liebe, das Gott ist.

An zweiter Stelle rühmt das Lied das »Reich« des Herrn, das heißt den göttlichen Heilsplan für das Menschengeschlecht. Indem ein Thema aufgegriffen wird, das in den sogenannten Psalmen des Reiches Gottes sehr beliebt ist (vgl. Ps 46, 95-98), wird verkündet, daß »der Herr König geworden ist« (vgl. Ap 19,6) und mit höchster Macht in die Geschichte eingreift. Diese ist zwar der menschlichen Freiheit anvertraut, die Gutes und Böses hervorbringt, sie wird aber letztlich besiegelt von den Entscheidungen der göttlichen Vorsehung. Das Buch der Offenbarung feiert gerade das Ziel, zu dem die Geschichte durch Gottes machtvolles Wirken hingeführt wird, wenn auch unter Stürmen, Wunden und Zerstörungen, die vom Bösen, vom Menschen und vom Satan vollbracht werden.

In einem anderen Abschnitt der Offenbarung heißt es: »Wir danken dir, Herr, Gott und Herrscher über die ganze Schöpfung, der du bist und der du warst; denn du hast deine große Macht in Anspruch genommen und die Herrschaft angetreten« (11,17).

3. Das dritte Thema des Liedes ist bezeichnend für das Buch der Offenbarung und seine Symbolik: »Denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes, und seine Frau hat sich bereit gemacht« (19,7). Wir werden in den weiteren Meditationen noch Gelegenheit haben, dieses Canticum zu vertiefen. Das endgültige Ziel, zu dem das letzte Buch der Bibel uns führt, ist die hochzeitliche Begegnung zwischen dem Lamm, das Christus ist, und der geläuterten und verwandelten Braut, die die erlöste Menschheit ist.

»Gekommen ist die Hochzeit des Lammes« : Diese Worte beziehen sich auf den Höhepunkt - in unserem Text wird er »hochzeitlich« genannt - der Vertrautheit zwischen Geschöpf und Schöpfer in der Freude und im Frieden der Erlösung.

4. Wir schließen mit einem Zitat aus einer Rede des hl. Augustinus, der die geistliche Bedeutung des Halleluja-Gesangs so erklärt und darstellt: »Wir singen gemeinsam dieses Wort und sind in der Gemeinschaft der Gefühle in ihm vereint; wir spornen uns gegenseitig zum Lob Gottes an. Wer nichts getan hat, was er zu bedauern hätte, kann Gott mit gutem Gewissen loben. Was die gegenwärtige Zeit betrifft, in der wir auf Erden pilgern, singen wir das Halleluja auch zur Ermutigung, um auf dem Weg gestärkt zu werden; das Halleluja, das wir jetzt sprechen, ist gleichsam das Wanderlied; während wir diesen mühevollen Weg gehen, haben wir die Heimat im Blick, wo Ruhe herrschen wird, wo alle Dinge, die uns jetzt beschäftigen, verschwinden werden und nichts anderes bleiben wird als das Halleluja (Nr. 255,1: Discorsi, IV/2, Roma 1984, S. 597).

62 In Gemeinschaft mit allen Erlösten im Himmel preist die Kirche auf Erden in Gebet und Liturgie Gott als den Herrn des Universums und der Geschichte: „Halleluja. König ist der Herr, unser Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung" (vgl. Ap 19,6). Die Größe und Allmacht des Herrn, der Rettung schafft, liegt im Herzen und auf den Lippen seiner Gläubigen.

Gott führt die Geschichte an ihr Ziel - aller vom Bösen und vom Menschen verursachten Übel zum Trotz. Die Lieder und Hymnen in der Offenbarung des Johannes beschreiben die Vollendung als „Hochzeit des Lammes". Christus begegnet seiner Braut, der erlösten Menschheit. Der Sohn Gottes stellt die innige Vertrautheit zwischen Schöpfer und Geschöpf wieder her.
***


Herzlich heiße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Einen besonderen Gruß richte ich an alle Kinder und Jugendlichen, die heute hier sind. Gott läßt uns nicht allein. Dankt ihm im Gebet und mit Werken der Nächstenliebe! Der Herr schenke euch sein Heil.




Mittwoch, 22. September 2004

Lesung: 1 Petr 2,21-24

63 1P 2,21-24

21 Dazu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt.
22 Er hat keine Sünde begangen, und in seinem Mund war kein trügerisches Wort.
23 Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter.
24 Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt.

1. Als wir heute den hymnusartigen Abschnitt des 2. Kapitels des ersten Petrusbriefes hörten, stand uns das Antlitz des leidenden Christus deutlich vor Augen. So war es bei den Lesern dieses Briefes in den frühen Zeiten des Christentums, und so geschah es Jahrhunderte hindurch während der liturgischen Verkündigung des Wortes Gottes und in der persönlichen Betrachtung.

Dieses in den Brief eingefügte Lied hat einen liturgischen Klang und scheint den betenden Atem der Kirche der Anfänge wiederzugeben (vgl. Col 1,15-20 Ph 2,6-11 1Tm 3,16). Es enthält auch einen ideellen Dialog zwischen dem Autor und den Lesern, in dem sich die Personalpronomen »wir« und »ihr« abwechseln: »Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt. […] Er hat unsere Sünden mit seinem Leib […] getragen, […] damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt« (1P 2,21 1P 2,24).

2. Aber das häufigste Pronomen im griechischen Original, »hos«, das am Anfang der Hauptverse gleichsam eingehämmert wird (vgl. 2,22.23.24), ist »Er«, der geduldige Christus, er, der keine Sünde begangen hat, er, der geschmäht wurde, aber keine Rache forderte. Er, der die Sündenlast der Menschheit auf das Holz des Kreuzes getragen hat, um sie zu tilgen.

Mit Petrus denken auch die Gläubigen, die diesen Hymnus vor allem in der Vesperliturgie der Fastenzeit beten, an den »Gottesknecht«, der im vierten Lied des Buches des Propheten Jesaja beschrieben wird. Er ist eine geheimnisvolle Gestalt, die vom Christentum unter messianischem und christologischem Aspekt interpretiert wurde, weil er die Einzelheiten und den Sinn des Leidens Christi vorwegnimmt: »Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen […]. Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt […] durch seine Wunden sind wir geheilt […]. Er wurde mißhandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf« (Is 53,4 Is 53,5 Is 53,7).

Auch das Profil der sündigen Menschheit, bildlich als verirrte Herde dargestellt in einem Vers, der in der Vesperliturgie nicht vorkommt (vgl. 1P 2,25), stammt aus diesem alten prophetischen Gesang: »Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg« (Is 53,6).

3. Zwei Gestalten begegnen sich also in dem petrinischen Hymnus. Da ist zuerst Christus, der seinen schweren Leidensweg antritt, ohne daß er sich der Ungerechtigkeit und Gewalt widersetzt, ohne Klage und ohne Gefühlsausbrüche; er überläßt sich und seine schmerzliche Sache »dem gerechten Richter« (1P 2,23). Ein Akt des reinen und absoluten Vertrauens, das am Kreuz mit den bekannten letzten Worten besiegelt wird, die er mit lauter Stimme als äußerste Auslieferung an das Werk des Vaters ausruft: »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist« (Lc 23,46 vgl. Ps 31,6).

Es ist also keine blinde und passive Resignation, sondern ein mutiges Vertrauen, das als Vorbild für alle Jünger dienen soll, die den dunklen Weg der Prüfung und Verfolgung gehen.

4. Christus ist als Erlöser gegenwärtig und solidarisch mit uns in seinem menschlichen »Leib«. Indem er aus der Jungfrau Maria geboren wurde, ist er unser Bruder geworden. Er kann uns also begleiten, unser Leiden teilen, unser Böses, »unsere Sünden« (1P 2,24), tragen. Aber er ist auch und immer der Sohn Gottes, und seine Solidarität mit uns verwandelt, befreit, sühnt und heilt vollständig (ebd.).

So wird unsere arme Menschheit von den fehlgeleiteten und üblen Wegen des Bösen weggezogen und zur »Gerechtigkeit «, das heißt zu dem schönen Plan Gottes, zurückgeführt. Der letzte Satz des Hymnus ist besonders bewegend. Er lautet: »Durch seine Wunden sind wir geheilt« (V. 24). Hier sehen wir, welch teuren Preis Christus bezahlt hat, um uns zur Heilung zu verhelfen!

5. Zum Schluß geben wir den Kirchenvätern das Wort, das heißt der christlichen Tradition, die mit diesem Hymnus des hl. Petrus meditiert und gebetet hat.

Indem er einen Ausdruck dieses Hymnus mit anderen biblischen Erinnerungen verknüpft, faßt der hl. Irenäus von Lyon die Gestalt Christi, des Erlösers, in einem Abschnitt seines Traktates Adversus haereses zusammen: »Es gibt nur den einen Jesus Christus, Sohn Gottes, der uns durch sein Leiden mit Gott versöhnt hat und der von den Toten erstanden ist; der zur Rechten des Vaters sitzt und in allem vollkommen ist: Er wurde geschlagen, schlug aber nicht zurück; ›während er litt, drohte er nicht‹, und während er Gewalt leiden mußte, bat er den Vater, denen zu vergeben, die ihn gekreuzigt hatten. Er hat uns wahrhaft erlöst, er ist das Wort Gottes, er ist der Eingeborene des Vaters, Jesus Christus, unser Herr« (III, 16,9, Milano 1997, S. 270).

Christus hat für uns gelitten ... durch seine Wunden sind wir geheilt (vgl. 1P 2,21 1P 2,24). Im Antlitz des leidenden Christus scheint die Erlösung auf. Der „Mann der Schmerzen" ist der Garant unseres Heils. Solidarisch mit den Menschen, unser Bruder, und doch Gottes Sohn von Ewigkeit: In dieser Spannung der Gestalt Jesu Christi liegt die Rettung der Menschheit.

64 Der Erste Petrusbrief läßt keinen Zweifel: „Christus ... hat euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt" (V. 21). Christus, der Herr, ist das Modell jeder christlichen Existenz. Seine Ganzhingabe an den Willen des Vaters ist kein passives Hinnehmen, sondern mutig-vertrauender Entschluß. Diese Gesinnung muß auch das Leben aller prägen, die den Namen Christi tragen.
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Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Besonders grüße ich die Teilnehmer an der Leserreise der deutschen Ausgabe des Osservatore Romano. Christi Leiden hat uns erlöst. Die Kirche setzt sein Werk durch die Zeiten fort. Dankbar wollen wir alle unseren Dienst in der Welt vollziehen. Dazu stärke und segne euch der Herr!



Generalaudienz 2004 53