Generalaudienz 2004 85


Mittwoch, 15. Dezember 2004

Lesung: Psalm 72,12-13.17-19.

12 Denn er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, den Armen und den, der keinen Helfer hat. 13 Er erbarmt sich des Gebeugten und Schwachen, er rettet das Leben der Armen.
17 Sein Name soll ewig bestehen; solange die Sonne bleibt, sprosse sein Name. Glücklich preisen sollen ihn alle Völker und in ihm sich segnen.
18 Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Er allein tut Wunder.
86 19 Gepriesen sei sein herrlicher Name in Ewigkeit! Seine Herrlichkeit erfülle die ganze Erde. Amen, ja amen. [Ende der Gebete Davids, des Sohnes Isais.]

1. Die Liturgie der Vesper, die wir anhand ihrer Psalmen verfolgen, bietet uns in Psalm 72 ein messianisches Königslied in zwei Teilen an. Den ersten Teil haben wir schon betrachtet (vgl. V. 1-11). Jetzt liegt vor uns der zweite geistliche und poetische Teil dieses Liedes, das der ruhmreichen Gestalt des messianischen Königs gewidmet ist (vgl. V. 12-19). Wir müssen aber sogleich darauf hinweisen, daß die letzten beiden Verse (vgl. V. 18-19) in Wirklichkeit ein liturgischer Zusatz sind, der dem Psalm später beigefügt wurde.

In der Tat handelt es sich um einen kurzen, aber eindringlichen Segen, der das zweite der fünf Bücher besiegeln sollte, in welche die jüdische Tradition die Sammlung der 150 Psalmen unterteilt hatte. Dieses zweite Buch hatte mit Psalm 42 begonnen, dem vom Hirsch, der nach Wasser lechzt und der den geistigen Durst nach Gott sehr treffend versinnbildlicht. Ein Lied der Hoffnung auf eine Zeit des Friedens und der Gerechtigkeit beschließt nun die Reihe der Psalmen, und die Worte des Schlußsegens preisen die wirksame Gegenwart des Herrn in der Geschichte der Menschheit, wo er »Wunder tut« (
Ps 72,18), und im geschaffenen Universum, das von seiner Herrlichkeit erfüllt ist (vgl. V. 19).

2. Wie schon im ersten Teil des Psalms deutlich wurde, ist das entscheidende Kennzeichen der Gestalt des messianischen Königs vor allem die Gerechtigkeit und seine Liebe zu den Gebeugten und Armen (vgl. V. 12-14). Sie haben als Bezugspunkt und Quelle der Hoffnung nur ihn, weil er der sichtbare Stellvertreter Gottes, ihres einzigen Verteidigers und Schutzherrn, ist. Die Geschichte des Alten Testaments lehrt, daß Israels Herrscher nur zu oft diese Pflicht vernachlässigt haben, denn sie haben ihre Macht gegenüber den Schwachen, Gebeugten und Armen mißbraucht.

Deshalb richtet sich jetzt der Blick des Psalmisten auf einen gerechten, vollkommenen, vom Messias verkörperten König, dem einzigen Herrscher, der bereit ist, die Gebeugten »von Unterdrückung und Gewalt« zu befreien (vgl. V. 14). Das im Hebräischen verwendete Wort ist das von Rechts wegen gebräuchliche des Schutzherrn der Schwächsten und der Opfer; man hat es auch für das von der Knechtschaft »befreite« Israel verwendet, als es von der Gewalt des Pharao unterdrückt wurde.

Der Herr ist der grundlegende »Befreier und Erlöser«, der durch den messianischen König sichtbar handelt, indem er »das Leben und das Blut« seiner Schützlinge, der Armen, beschützt. Nun, »Leben« und »Blut« sind die wesentliche Wirklichkeit der Person, sie stellen die Rechte und die Würde jedes Menschen dar, jene Rechte, die oft von den Mächtigen und Überheblichen dieser Welt verletzt werden.

3. In seiner Originalfassung endet Psalm 72, wie schon erwähnt, vor der Schlußantiphon mit einer Huldigung an den messianischen König (vgl. V. 15-17). Sie gleicht dem schmetternden Klang einer Trompete, die einen Chor begleitet mit Glückwünschen für den Herrscher, für sein Leben, für sein Wohlergehen, für seinen Segen, für den ewigen Bestand seines Namens.

Wir haben natürlich Elemente vor uns, die zur Verhaltensweise am Königshof gehören, mit dem ihr eigenen Nachdruck. Aber diese Worte werden wahr im Handeln des vollkommenen, erwarteten und erhofften Königs, des Messias.

Wie es den Merkmalen der messianischen Lieder entspricht, wird die ganze Natur in eine vor allem soziale Verwandlung einbezogen: Das geerntete Korn wird so reichlich sein, daß es gleichsam zu einem Meer von Ähren wird, die auf dem Gipfel der Berge rauschen (vgl. V. 16). Das ist ein Zeichen des göttlichen Segens, der sich in Fülle auf eine befriedete und ausgewogene Erde ergießt. Ja, die ganze Menschheit wird, indem sie jede Trennung fallen läßt und aufhebt, in diesem Herrscher zusammenströmen und so die große göttliche Verheißung an Abraham erfüllen: »Glücklich preisen sollen ihn alle Völker und in ihm sich segnen« (V. 17; vgl. Gn 12,3).

4. Im Antlitz dieses messianischen Königs hat die christliche Überlieferung das Bild Jesu Christi erkannt. Augustinus, der das Lied nach christologischem Schlüssel liest, erklärt in seinem Kommentar zu Psalm 72, daß die Gebeugten und die Armen, denen Christus zu Hilfe kommt, »das Volk der an ihn Glaubenden« ist. Ja, er erinnert an die Könige, von denen im Psalm zuvor die Rede war, und betont, daß »in diesem Volk auch die Könige inbegriffen sind, die ihn anbeten. Denn sie scheuen sich nicht, arm und schwach zu sein; das heißt, sie bekennen demütig die eigenen Sünden und wissen, daß sie der Herrlichkeit und Gnade Gottes bedürfen, damit dieser König, der Königssohn, sie vom Machthaber befreit«, das heißt vom Satan, dem »Verleumder«, dem »Starken«. »Aber unser Erlöser hat den Verleumder gedemütigt und ist in das Haus des Starken eingedrungen und hat ihm seine Gefäße genommen, nachdem er ihn angekettet hatte; er ›hat den Gebeugten und den Armen, der niemanden hatte, der ihm half‹, vom Machthaber befreit. Das hätte in der Tat keine geschaffene Macht tun können; ebensowenig die eines gerechten Menschen oder eines Engels. Es gab niemanden, der uns erlösen konnte; und da kam er in Person und hat uns gerettet « (71,14: Nuova Biblioteca Agostiniana, XXVI, Roma 1970, Ss. 809.811).

In diesen Tagen des Advents bereiten wir uns auf die Ankunft des Herrn vor. Dazu hilft uns Psalm 72, ein sog. Königslied, das einen gerechten und gottesfürchtigen Herrscher besingt, der kommt, um sich der Gebeugten und Schwachen anzunehmen (vgl. Ps 72,12-13).

87 Die christliche Tradition erkennt im barmherzigen Antlitz des messianischen Königs die Züge Jesu Christi, des Sohns der Jungfrau Maria, des Heilands, den wir erwarten. In der Geburt Jesu zu Bethlehem erfüllt sich schließlich die göttliche Verheißung an Abraham: Durch ihn „sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen" (Gn 12,3).
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Sehr herzlich heiße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Heute begrüße ich besonders die Priester und Angehörigen des Päpstlichen Kollegs Santa Maria dell’Anima in Rom. Freut euch im Herrn allezeit! Der Erlöser ist nahe. Euch allen einen gesegneten Advent!




Mittwoch, 22. Dezember 2004



1. In dieser Zeit unmittelbarer Vorbereitung auf das Weihnachtsfest legt die Liturgie uns oft die Anrufung nahe: »Komm, Herr Jesus.« Sie ist gleichsam ein Kehrvers, der aus den Herzen der Gläubigen überall auf Erden aufsteigt und im Beten der Kirche unaufhörlich ertönt.

Wir haben die Ankunft Christi soeben durch das Singen der heutigen O-Antiphon erfleht. Darin wird der Messias mit besonders schönen und bedeutsamen Titeln benannt, die der biblischen Tradition entnommen sind: »König der Völker, »ihre Erwartung und Sehnsucht«, »Schlußstein, der den Bau zusammenhält«.

2. Zu Weihnachten betrachten wir das große Geheimnis Gottes, der im Schoß der Jungfrau Maria Mensch geworden ist. Er wird in Betlehem geboren, um mit uns die schwache menschliche Natur zu teilen! Er kommt zu uns und bringt der ganzen Welt das Heil. Sein Auftrag wird sein, die Menschen und Völker in der einen Familie der Kinder Gottes zu sammeln.

Wir können sagen, daß es uns gegeben wird, im Weihnachtsgeheimnis einen »Qualitätssprung« in der Heilsgeschichte zu betrachten. Dem Menschen, der sich durch die Sünde vom Schöpfer entfernt hat, wird jetzt in Christus das Geschenk einer neuen und volleren Gemeinschaft mit Ihm angeboten. So entzündet sich in seinem Herzen die Hoffnung, während sich für die Menschheit die Pforten des Himmels wieder öffnen.

3. Liebe Brüder und Schwestern! Die Feier des kurz bevorstehenden Weihnachtsfestes ist für alle eine gute Gelegenheit, den Wert und die Bedeutung des großen Ereignisses der Geburt Jesu tief im Innern zu erleben.

Das wünsche ich euch, den Teilnehmern an dieser Generalaudienz sowie euren Familien und Gemeinschaften, aus denen ihr kommt.

Der Ruf „Komm, Herr Jesus" prägt in den Tagen vor dem Weihnachtsfest das Beten der Kirche. In der heutigen O-Antiphon erfleht sie das Kommen des Messias mit der biblischen Akklamation „König der Völker".

88 An Weihnachten feiern wir das große Geheimnis der Menschwerdung des Wortes Gottes. Durch seine Geburt teilt der Sohn des Höchsten die Menschennatur mit uns. Weihnachten bedeutet einen „Qualitätssprung" in der Heilsgeschichte: Christus schenkt dem Menschen eine neue, vollere Gemeinschaft mit ihm. Er weckt die übernatürliche Hoffnung in den Herzen und öffnet der Menschheit die Pforten des Paradieses.
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Mit Freude grüße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Die Feier der Geburt Christi helfe euch, die Bedeutung dieses Ereignisses für das eigene Leben tiefer zu erfassen. Jesus Christus ist unser Retter und Erlöser. - Gesegnete Weihnachten!




Mittwoch, 29. Dezember 2004

Weihnachtszeit

1. »Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn« (He 1,1-2).

Diese Worte, mit denen der Brief an die Hebräer beginnt, erhalten in der Weihnachtszeit besondere Bedeutsamkeit. Gott hat in der Heiligen Nacht an die Menschheit aller Zeiten und allerorts sein endgültiges Wort des Heils gerichtet. Der eingeborene Sohn des Vaters ist Mensch geworden und hat unter uns Wohnung genommen. So hat sich die Erwartung des Messias erfüllt, der von den Propheten angekündigt worden war. Die Liturgie dieser Zeit betrachtet und vertieft das Geheimnis der Menschwerdung.

2. Verweilen wir vor der Krippe! In dieser traditionellen Darstellung der Geburt spricht »der ewige und allmächtige Schöpfer« zu uns durch den Sohn, den Herrn des Universums, der Kind geworden ist, um dem Menschen zu begegnen. Die Jungfrau Maria ist die erste, die ihn aufnimmt und der Welt vorstellt. An ihrer Seite steht Josef, der berufen ist, als Vater der Hüter des Erlösers zu sein.

Vervollständigt wird das Bild durch die Engel, die die »Herrlichkeit Gottes« preisen und »Friede bei den Menschen« verkünden (vgl. Lc 2,14), sowie durch die Hirten, welche die einfachen und armen Menschen der Erde vertreten. In einigen Tagen werden die Sterndeuter hinzugefügt, die von weit her kommen, um den König des Universums anzubeten.

Die Liturgie der Weihnachtszeit lädt uns ein, voll Freude zur Grotte in Betlehem zu eilen, um unserem Erlöser Jesus Christus zu begegnen: »Kommt, lasset uns anbeten den König, den Herrn!« Ihm öffnen wir die Tür unseres Herzens, damit er uns jetzt und während des ganzen, in Kürze beginnenden Jahres begleitet.

In der Heiligen Nacht hat Gott den Menschen sein endgültiges Wort des Heils geschenkt: Der Sohn des Höchsten ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt.

89 Dieses Geheimnis geschieht in der weihnachtlichen Krippe. Im Neugeborenen tut sich der Allmächtige den Menschen kund. Maria steht als erste bereit, das Göttliche Kind zu empfangen, um es der Welt zu zeigen. Josef tritt ihr zur Seite als väterlicher Beschützer des Knaben. Engel preisen Gottes Ehre und verheißen den Frieden auf Erden (vgl. Lc 2,14). Klein und Groß, die Hirten wie die Weisen werden Zeugen des wunderbaren Geschehens. Auch wir wollen uns aufmachen und dem Kind die Türen unserer Herzen öffnen, daß es uns auch im neuen Jahr mit seinem Segen begleite.
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Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Kommt, lasset uns anbeten das Kind in der Krippe. Seid Boten der Liebe Gottes zu den Menschen! Der Friede Christi begleite euch. Frohe und gesegnete Weihnachten!













Generalaudienz 2004 85