Generalaudienz 2003 82


Mittwoch, 5. November 2003

83
Lesung: Psalm 141,1-4.8-9


1 Bitte um Bewahrung vor Sünde [Ein Psalm Davids.] Herr, ich rufe zu dir. Eile mir zu Hilfe; höre auf meine Stimme, wenn ich zu dir rufe.
2 Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor dir auf; als Abendopfer gelte vor dir, wenn ich meine Hände erhebe.
3 Herr, stell eine Wache vor meinen Mund, eine Wehr vor das Tor meiner Lippen!
4 Gib, daß mein Herz sich bösen Worten nicht zuneigt, daß ich nichts tue, was schändlich ist, zusammen mit Menschen, die Unrecht tun. Von ihren Leckerbissen will ich nicht kosten.
8 Mein Herr und Gott, meine Augen richten sich auf dich; bei dir berge ich mich. Gieß mein Leben nicht aus!
9 Vor der Schlinge, die sie mir legten, bewahre mich, vor den Fallen derer, die Unrecht tun!

Liebe Brüder und Schwestern!

1. In den vorhergehenden Katechesen haben wir einen Überblick von der Struktur und dem Wert der Liturgie der Vesper, des großen kirchlichen Abendgebetes, gegeben. Jetzt dringen wir ins Innere vor. Es ist gleichsam ein Pilgern in jene Art »Heiliges Land«, das hier aus Psalmen und Cantica besteht. Wir werden bei jedem einzelnen dieser poetischen Gebete, die Gott mit seiner Inspiration besiegelt hat, haltmachen. Es sind die Anrufungen, die auf Wunsch des Herrn an ihn zu richten sind. Er hört sie gern, weil er in ihnen den Herzschlag seiner geliebten Kinder vernimmt.

Wir beginnen mit Psalm 141, der die sonntägliche Vesper in der ersten Woche des Vier-Wochen- Psalters eröffnet, in den das Abendgebet der Kirche seit dem Konzil gegliedert ist.

2. »Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor dir auf; als Abendopfer gelte vor dir, wenn ich meine Hände erhebe.« Vers 2 dieses Psalms kann als kennzeichnend für den ganzen Psalm betrachtet werden und als offensichtliche Berechtigung dafür, daß er in die Liturgie der Vesper eingebaut wurde. Die Idee spiegelt den Geist der prophetischen Theologie wider, die den Kult mit dem Leben, das Gebet mit dem Dasein vereint.

84 Das Gebet mit reinem und aufrichtigem Herzen wird zu einem Opfer, das Gott dargebracht wird. Das ganze Wesen der Person, die betet, wird ein Opferakt mit der Vorwegnahme dessen, was der Apostel Paulus gelehrt hat, als er die Christen einlud, sich selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist das geistliche Opfer, das er annimmt (vgl. Rm 12,1).

Die zum Gebet erhobenen Hände sind eine Verbindungsbrücke zu Gott, wie es der Rauch ist, der als angenehmer Duft vom Opfertier während des Abendopfers aufsteigt.

3. Der Psalm geht weiter im Ton einer Bitte, die uns von einem Text überliefert ist, der im hebräischen Original nicht wenige Schwierigkeiten und Unverständlichkeiten für die Deutung aufweist (vor allem in den Versen 4-7).

Der allgemeine Sinn kann dennoch erkannt und in Meditation und Gebet verwandelt werden. Der betende Mensch bittet den Herrn vor allem, er möge ihn davor bewahren, daß seine Lippen (V. 3) und die Gefühle seines Herzens vom Bösen angezogen werden und ihn dazu verleiten, etwas zu tun, »was schändlich ist« (V. 4). Denn die Worte und Werke sind Ausdruck der moralischen Entscheidung der Person. Es ist leicht möglich, daß das Böse auch auf den Gläubigen eine große Anziehung ausübt und daß er die »Leckerbissen« verkostet, die die Sünder anbieten können, wenn er sich an ihren Tisch setzt, das heißt an ihrem unrechten Tun teilhat.

Der Psalm bekommt somit den Beigeschmack einer Gewissenserforschung, auf die das Bemühen folgt, immer Gottes Wege zu wählen.

4. Aber an dieser Stelle ist der Beter so tief erschüttert, daß er in leidenschaftlichen Worten jede Komplizenschaft mit dem Frevler ablehnt: Er will bei dem Frevler nicht zu Gast sein und nicht zulassen, daß das für die hochrangigen Gäste vorbehaltene wohlriechende Salböl (vgl. Ps 23,5) ein Beweis ist für seine Mitwisserschaft mit den Menschen, die Unrecht tun (vgl. Ps 140,4). Um seine radikale Absage an den Frevler noch zu verstärken, spricht der Psalmist ihm dann voller Entrüstung seine Mißbilligung aus, die er in drastischen Bildern als ein strenges Gericht beschreibt.

Es handelt sich um eine der typischen Flüche des Psalters (vgl. Ps 58 und 109), die den Zweck haben, plastisch und sogar malerisch die Feindschaft gegenüber dem Bösen und die Entscheidung für das Gute zu beteuern sowie die Gewißheit zu bekräftigen, daß Gott in die Geschichte eingreift durch sein Gericht und die strenge Bestrafung der Ungerechtigkeit (vgl. V. 6-7).

5. Der Psalm endet mit einer letzten vertrauensvollen Bitte (vgl. V. 8-9): Es ist ein Lied des Glaubens, des Dankes und der Freude in der Gewißheit, daß der Gläubige nicht in den Haß einbezogen wird, den die Frevler ihm gegenüber hegen, und daß er nicht in die Falle gerät, die sie ihm stellen, nachdem sie seinen festen Entschluß für das Gute bemerkt hatten. Der Gerechte wird so jeder Gefahr heil entkommen, wie es in einem anderen Psalm heißt: »Unsere Seele ist wie ein Vogel dem Netz des Jägers entkommen: das Netz ist zerrissen, und wir sind frei« (Ps 124,7).

Wir beenden unsere Lektüre des Psalms 141, indem wir zum anfänglichen Bild zurückkehren, dem des Abendgebetes als ein Gott wohlgefälliges Opfer. Ein großer geistlicher Lehrer, Johannes Cassian, der zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert gelebt hat, aus dem Orient kam und seinen Lebensabend im südlichen Gallien verbrachte, hat die Psalmworte nach einem christologischen Schlüssel gedeutet: »In ihnen kann man in höherem Sinn eine Anspielung auf das Abendopfer sehen, das vom Herrn und Erlöser während seines letzten Abendmahls vollbracht und den Aposteln aufgetragen wurde, als er den Anfang der heiligen Geheimnisse der Kirche setzte; oder (man kann darin eine Anspielung sehen) an das Opfer, das er am Abend des folgenden Tages in sich selbst durch die Erhebung seiner Hände darbrachte, ein Opfer, das sich bis ans Ende der Zeiten für das Heil der ganzen Welt fortsetzen wird« (Le istituzioni cenobitiche, Abbazia di Praglia, Padova 1989, S. 92).

Im Vespergebet bringt die Kirche Gott ein frohes Dankopfer dar: „Als Abendopfer gelte vor dir, wenn ich meine Hände erhebe" (Ps 141,2). Das ganze Dasein des betenden Menschen ist in dieses Opfer hineingenommen.

Vor Gottes Angesicht prüft der Mensch sein Leben. Der Herr möge ihn vor der Sünde bewahren. So kann er aufs neue Gottes Wege gehen. Christus, der am Kreuz die Arme ausbreitet, nimmt unsere Bitten in sein Opfer auf.
***


85 Herzlich grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich die Teilnehmer der Leserreise des Osservatore Romano und das Berufskolleg St. Michael willkommen. Heiligt euer Leben durch das Gebet! Gott schenke euch seinen Frieden!




Mittwoch, 12. November 2003

Lesung: Psalm 142


1 Hilferuf in schwerer Bedrängnis [Ein Weisheitslied Davids, als er in der Höhle war. Ein Gebet.]
2 Mit lauter Stimme schreie ich zum Herrn, laut flehe ich zum Herrn um Gnade.
3 Ich schütte vor ihm meine Klagen aus, eröffne ihm meine Not.
4 Wenn auch mein Geist in mir verzagt, du kennst meinen Pfad. Auf dem Weg, den ich gehe, legten sie mir Schlingen.
5 Ich blicke nach rechts und schaue aus, doch niemand ist da, der mich beachtet. Mir ist jede Zuflucht genommen, niemand fragt nach meinem Leben.
6 Herr, ich schreie zu dir, / ich sage: Meine Zuflucht bist du, mein Anteil im Land der Lebenden.
7 Vernimm doch mein Flehen; denn ich bin arm und elend. Meinen Verfolgern entreiß mich; sie sind viel stärker als ich.
8 Führe mich heraus aus dem Kerker, damit ich deinen Namen preise. Die Gerechten scharen sich um mich, weil du mir Gutes tust.

86 Liebe Brüder und Schwestern!

1. Am Abend des 3. Oktober 1226 verstarb der hl. Franz von Assisi. Sein letztes Gebet war der Psalm 142, den wir soeben gehört haben. Der hl. Bonaventura berichtet, daß Franziskus »in den Ruf des Psalms ausbrach: ›Mit lauter Stimme schreie ich zum Herrn, laut flehe ich zum Herrn um Gnade‹, und er sprach ihn bis zum letzten Vers: ›Die Gerechten scharen sich um mich, weil du mir Gutes tust‹« (Legenda Maior, XIV,5, in: Fonti Francescane, Padova-Assisi 1980, S. 958).

Der Psalm ist ein dringender Hilferuf mit einer Reihe von Bitten, die an den Herrn gerichtet sind: »Ich schreie«, »ich flehe laut zum Herrn«, »ich schütte vor ihm meine Klagen aus«, »eröffne ihm meine Not« (V. 2-3). Im mittleren Teil des Psalms herrscht das Vertrauen auf Gott vor, dem das Leid des Gläubigen nicht gleichgültig ist (vgl. V. 4-8). In dieser Haltung sah der hl. Franz dem Tod entgegen.

2. Gott wird mit »Du« angesprochen, wie eine Person, die Sicherheit gibt: »Meine Zuflucht bist du« (V. 6). »Du kennst meinen Pfad«, das heißt meinen Lebensweg, einen Weg, der von der Suche nach Gerechtigkeit gekennzeichnet ist. Aber auf diesem Weg legten die Gottlosen mir Schlingen (vgl. V. 4): Es ist das typische Bild, das den Jagdszenen entnommen ist und in den Bittrufen der Psalmen häufig auftritt, um auf die Gefahren und Tücken hinzuweisen, denen der Gerechte ausgesetzt ist.

Angesichts dieses Alptraums gibt der Psalmist sozusagen ein Alarmsignal, damit Gott seine Lage sieht und eingreift: »Ich blicke nach rechts und schaue aus« (V. 5). Nach orientalischem Brauch stand am Gerichtsort rechts von einer Person der Verteidiger oder der entlastende Zeuge und im Kriegsfall die Leibwache. Der Gläubige ist also allein und verlassen, »niemand ist da, der mich beachtet«. Er stellt voller Angst fest: »Mir ist jede Zuflucht genommen, niemand fragt nach meinem Leben« (V. 5).

3. Ein Schrei, gleich danach, offenbart die Hoffnung, die im Herzen des Betenden wohnt. Der einzige Schutz und die einzige wirksame Nähe ist Gott: »Meine Zuflucht bist du, mein Anteil im Land der Lebenden« (V. 6). »Anteil« bedeutet im Sprachgebrauch der Bibel das Geschenk des verheißenen Landes, das Zeichen der Liebe Gottes zu seinem Volk. Der Herr ist nun letztes und einziges Fundament, auf das man sich stützen kann, die einzige Lebensmöglichkeit, die letzte Hoffnung.

Der Psalmist ruft ihn eindringlich an, denn er ist »arm und elend« (V. 7). Er bittet ihn, einzugreifen und die Ketten seines Kerkers der Verlassenheit und Anfeindung zu zerreißen und ihn aus dem Abgrund der Prüfung herauszuführen (vgl. V. 8).

4. Wie in anderen Bittpsalmen ist der letzte Ausblick eine Danksagung, die nach der Erhörung Gott dargebracht wird: »Führe mich heraus aus dem Kerker, damit ich deinen Namen preise« (ebd.). Der Gläubige wird nach seiner Rettung dem Herrn inmitten der liturgischen Versammlung danken (vgl. ebd.). Die Gerechten werden sich um ihn scharen und das Heil des Bruders als ein Geschenk aufnehmen, das auch ihnen zuteil wird.

Diese Atmosphäre sollte auch in den christlichen Versammlungen herrschen. Der Schmerz des einzelnen soll in den Herzen aller Widerhall finden; ebenso soll die Freude eines jeden von der ganzen betenden Gemeinde geteilt werden. Denn es ist »gut und schön, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen« (
Ps 133,1), und der Herr Jesus hat gesagt: »Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen« (Mt 18,20).

5. Die christliche Tradition hat Psalm 142 auf den verfolgten und leidenden Christus angewandt. In dieser Sicht verwandelt sich das leuchtende Ziel des Bittpsalms in ein österliches Zeichen aufgrund des herrlichen Ausgangs des Lebens Christi und unserer Bestimmung der Auferstehung mit ihm. Das bekräftigt der hl. Hilarius von Poitiers, der berühmte Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts, in seinem Traktat über die Psalmen.

Er kommentiert die lateinische Übersetzung des letzten Psalmverses, wo von der Belohnung des Betenden und der Erwartung der Gerechten die Rede ist: »Me expectant iusti, donec tribuas mihi.« Hilarius erklärt: »Der Apostel lehrt uns, welche Belohnung der Vater seinem Sohn Jesus Christus gegeben hat: ›Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr - zur Ehre Gottes, des Vaters‹ (Ph 2,9-11). Das ist der Lohn: dem Leib, den er angenommen hat, wird die ewige Herrlichkeit des Vaters geschenkt.

87 Was dann die Erwartung der Gerechten bedeutet, lehrt uns der Apostel, wenn er sagt: ›Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes‹ (Ph 3,20-21). In der Tat, die Gerechten warten auf ihn, damit er sie belohnt, das heißt, daß er sie der Herrlichkeit seines Leibes gleich macht, der gepriesen sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen« (PL 9, 833-837).



Im Vertrauen auf Gott, der auf das Leid des Menschen sieht, ruft der gläubige Beter: „Meine Zuflucht bist du, mein Anteil im Land der Lebenden" (Ps 142,6). In Gott erkennt der Glaubende das tragende Fundament eines sinnerfüllten Lebens. Diese Gewißheit trägt der Christ im Herzen.

Das Bittgebet des Psalms wird zu einer Danksagung: Im Kreis der „Gerechten" dankt der Beter Gott für die Erhörung seines Flehens. Leid und Freude des einzelnen werden in das Gebet der christlichen Gemeinde hineingenommen.
***


Gerne heiße ich die deutschsprachigen Rompilger und Besucher willkommen. Vertraut jederzeit auf den Herrn! Er gibt eurem Leben Halt und Zuversicht. In Christus schenkt er euch Anteil an seiner Herrlichkeit. Gott segne euch alle!




Mittwoch, 19. November 2003



Lesung: Brief an die Philipper 2,6-11

6 Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
7 sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen;
8 er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, 10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu 11 und jeder Mund bekennt: »Jesus Christus ist der Herr« - zur Ehre Gottes, des Vaters.

88 Liebe Brüder und Schwestern!

1. Die Liturgie der Vesper umfaßt neben den Psalmen auch einige biblische Gesänge. Der soeben vorgetragene ist sicher einer der bezeichnendsten und in theologischer Hinsicht bedeutungsreichsten. Es handelt sich um einen Hymnus, der in das 2. Kapitel des Briefes des Apostels Paulus an die Christen in Philippi eingefügt ist, der griechischen Stadt, die die erste Etappe auf der Missionsreise des Apostels in Europa war. Das Canticum wird als Ausdruck der frühesten christlichen Liturgie angesehen, und es ist eine Freude für unsere Generation, sich dem Gebet der apostolischen Kirche 2000 Jahre danach anschließen zu können.

Das Canticum weist eine zweifache vertikale Richtung auf, eine zuerst absteigende und dann aufsteigende Bewegung. Denn auf der einen Seite ist der demütigende Abstieg des Sohnes Gottes, der durch die Inkarnation Mensch wird aus Liebe zu den Menschen. Er fällt in die »kenosis «, das heißt in die »Entäußerung« seiner göttlichen Herrlichkeit, die bis zum Tod am Kreuz reicht - der den Sklaven vorbehaltenen Hinrichtungsart -, was ihn zum Letzten der Menschen gemacht hat, zum wahren Bruder der leidenden, sündigen und verstoßenen Menschheit.

2. Auf der anderen Seite ist der siegreiche Aufstieg, der sich an Ostern vollzieht, wenn Christus vom Vater im Glanz der Gottheit wiederhergestellt wird und vom ganzen Kosmos und allen nunmehr geretteten Menschen als Herrscher des Alls gefeiert wird. Wir haben also eine neue großartige Lesart des Christus-Geheimnisses, vor allem des österlichen, vor uns. Paulus verkündet nicht nur die Auferstehung (vgl.
1Co 15,3-5), er bezeichnet das Ostern Christi auch als »Erhöhung «, »Erhebung«, »Verherrlichung«.

Der Sohn Gottes hat also, vom leuchtenden Horizont der göttlichen Transzendenz ausgehend, die unendliche Distanz überwunden, die zwischen Schöpfer und Geschöpf liegt. Er hat sich nicht, wie an eine Beute, an sein »Wie-Gott- Sein« geklammert, das ihm von Natur her und nicht durch eigenes Zutun zusteht. Er wollte dieses Vorrecht nicht wie einen Schatz eifersüchtig hüten, es ebensowenig zum eigenen Vorteil nutzen. Nein, Christus »entäußerte«, »erniedrigte « sich und erschien arm, schwach, zum schändlichen Tod durch Kreuzigung bestimmt. Gerade mit dieser tiefsten Erniedrigung beginnt die großartige aufsteigende Bewegung, die im zweiten Teil des paulinischen Hymnus beschrieben wird (vgl. Ph 2,9-11).

3. Gott »erhöht« nun seinen Sohn, indem er ihm einen ruhmvollen »Namen« gibt, der in der biblischen Sprache die Person und ihre Würde anzeigt. Und dieser »Name« ist »Kyrios«, »Herr«: Der heilige Name des Gottes der Bibel wird jetzt auf den auferstandenen Christus angewandt. Er versetzt das Universum, das in drei Teilen - Himmel, Erde und unter der Erde - beschrieben wird, in eine Haltung der Anbetung.

So erscheint der verherrlichte Christus am Ende des Hymnus als der »Pantokrator«, das heißt als der allmächtige Herr, der in der Apsis der frühchristlichen und byzantinischen Basiliken thront. Er trägt noch die Zeichen des Leidens, das heißt seiner wahren Menschheit, aber er offenbart sich jetzt im Glanz der Gottheit. Christus, uns nahe im Leiden und im Tod, zieht uns jetzt zu sich in die Herrlichkeit, indem er uns segnet und an seiner Ewigkeit teilhaben läßt.

4. Wir beenden unsere Betrachtung über den paulinischen Hymnus, indem wir die Worte des hl. Ambrosius übernehmen, der das Bild Christi beschreibt, der »sich entäußerte«, indem er sich in der Menschwerdung und im Selbstopfer am Kreuz erniedrigte und gleichsam auslöschte (exinanivit semetipsum).

In seinem Kommentar über Psalm 119 sagte der Bischof von Mailand folgendes: »Christus, der am Kreuzesstamm hing, wurde von der Lanze durchbohrt, Blut und Wasser flossen heraus, süßer als jeder Balsam, während das Gott wohlgefällige Opfer den Wohlgeruch der Heiligung in der ganzen Welt verbreitete … Der durchbohrte Jesus verbreitete den Wohlgeruch der Vergebung der Sünden und der Erlösung. In der Tat, ihm, dem göttlichen Wort, das Mensch geworden war, wurden enge Grenzen gesetzt. Er wurde euretwegen arm, obwohl er reich war, um uns durch seine Armut reich zu machen (vgl. 2Co 8,9); er war mächtig, und er hat sich als erbärmlicher Mensch gezeigt, so daß ihn Herodes verachtete und verspottete; er konnte die Erde erschüttern, und doch blieb er am Kreuzesstamm angeheftet; er verschloß den Himmel in einer tiefen Finsternis, er kreuzigte die Welt, und doch wurde er gekreuzigt; er neigte das Haupt, und doch ging das göttliche Wort daraus hervor; er wurde vernichtet und erfüllte doch alles. Gott ist herabgestiegen, der Mensch ist aufgestiegen; das göttliche Wort ist Fleisch geworden, damit das Fleisch den Thron des Wortes zur Rechten Gottes für sich beanspruchen kann; er war voller Wunden, und doch floß Balsam aus ihm hervor; er schien verachtenswert, und doch bekannte er sich als Gott« (III,8, SAEMO IX, Milano/Roma 1987, Ss. 131.133).

Unter den biblischen Gesängen der Vesperliturgie ragt der Christus-Hymnus aus dem Brief an die Philipper heraus. In großer theologischer Dichte bringt er das Mysterium der Erniedrigung und der Erhöhung des Herrn ins Wort. Dieses Lied aus apostolischer Zeit gehört zum festen Gebetsschatz der Kirche.

Gott hat Jesus nach seinem Opfertod am Kreuz „über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen" (Ph 2,9): In der Auferstehung ist Christus als Kyrios und Pantokrator, als Herr des Himmels und der Erde erschienen. Ihm gebühren Anbetung und Ehre seitens aller Wesen!
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89 Von Herzen grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. „Jesus Christus ist der Herr - zur Ehre Gottes, des Vaters!" (Ph 2,11). Vor dem Namen Jesu wollen wir die Knie beugen. Er ist unser Heil. Seine Gnade leite euch; sein Segen komme über euch!




Mittwoch, 26. November 2003



Lesung: Psalm 110

1 Die Einsetzung des priesterlichen Königs auf dem Zion [Ein Psalm Davids.] So spricht der Herr zu meinem Herrn: / Setze dich mir zur Rechten, und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße.
2 Vom Zion strecke der Herr das Zepter deiner Macht aus: »Herrsche inmitten deiner Feinde!«
3 Dein ist die Herrschaft am Tage deiner Macht, (wenn du erscheinst) in heiligem Schmuck; ich habe dich gezeugt noch vor dem Morgenstern, wie den Tau in der Frühe.
4 Der Herr hat geschworen, und nie wird es ihn reuen: »Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks.«
5 Der Herr steht dir zur Seite; er zerschmettert Könige am Tage seines Zornes.
6 Er hält Gericht unter den Völkern, er häuft die Toten, die Häupter zerschmettert er weithin auf Erden.
7 Er trinkt aus dem Bach am Weg; so kann er (von neuem) das Haupt erheben.

Liebe Brüder und Schwestern!

90 1. Soeben haben wir einen der bekanntesten Psalmen in der Geschichte des Christentums gehört. Denn der Psalm 110, den uns die Liturgie der Vesper jeden Sonntag vorstellt, wird im Neuen Testament wiederholt zitiert. Vor allem die Verse 1 und 4 werden auf Christus bezogen, angesichts der altjüdischen Tradition, die diesen Hymnus vom davidischen Königslied in einen messianischen Psalm umgewandelt hat.

Die Beliebtheit dieses Gebets ist auch auf seine ständige Verwendung in der sonntäglichen Vesper zurückzuführen. Aus diesem Grund war Psalm 110 in der lateinischen Version der Vulgata Gegenstand vieler schöner musikalischer Kompositionen, die die Geschichte der westlichen Kultur gekennzeichnet haben. Gemäß der vom II. Vatikanischen Konzil gewählten Praxis hat die Liturgie im hebräischen Originaltext des Psalms, der im übrigen nur aus 63 Worten besteht, den gewalterfüllten Vers 6 gestrichen. Dieser ahmt die sogenannten »Fluchpsalmen« nach und beschreibt den jüdischen König, wie er in einer Art Militärfeldzug voranschreitet, seine Feinde besiegt und die Nationen richtet. Gott wendet sich an den Herrscher von Jerusalem

2. Wir werden wegen seiner häufigen Verwendung noch andere Male Gelegenheit haben, auf diesen Psalm zurückzukommen. Deshalb bieten wir jetzt von ihm nur einen Überblick.

Wir unterscheiden in dem Psalm zwei Teile. Der erste Teil (vgl. V. 1-3) enthält einen Spruch, mit dem sich Gott an denjenigen wendet, den der Psalmist »mein Herr« nennt, das heißt an den Herrscher von Jerusalem. Der Spruch verkündet die Inthronisierung von Davids Nachkommen »zur Rechten« Gottes. Denn der Herr wendet sich an ihn mit den Worten: »Setze dich mir zur Rechten « (V. 1).Wahrscheinlich haben wir hier die Erwähnung eines Rituals vor uns, nach dem der Auserwählte zur Rechten der Bundeslade sitzen sollte, damit er vom höchsten König Israels, das heißt vom Herrn, die Herrschergewalt empfängt.

3. Im Hintergrund ahnt man feindliche Kräfte, die jedoch durch eine siegreiche Eroberung gebändigt werden: Die Feinde sind zu Füßen des Herrschers dargestellt, der zwischen ihnen feierlich einherschreitet und das Zepter seiner Macht trägt (vgl. V. 1-2). Das ist sicher der Widerschein einer konkreten politischen Situation, die in der Zeit des Übergangs der Herrschergewalt von einem König auf den anderen durch den Aufstand einiger Untergebener oder durch Eroberungsversuche entstanden war. Aber jetzt weist der Text auf den wesentlichen Hauptunterschied zwischen dem Plan Gottes hin, der durch seinen Erwählten handelt, und den Plänen derer, die ihre Feindschaft und ihren Machtmißbrauch festigen wollen. Es ist also der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, der sich in den geschichtlichen Ereignissen abspielt, durch die sich Gott kundtut und zu uns spricht.

4. Der zweite Teil des Psalms enthält hingegen einen priesterlichen Spruch, dessen Hauptperson noch der davidische König ist (vgl. V. 4-7). Die durch einen feierlichen göttlichen Schwur besiegelte Königswürde ist auch mit der priesterlichen Würde verbunden. Die Bezugnahme auf Melchisedek, den König und Priester von Salem, das heißt des alten Jerusalems (vgl.
Gn 14), ist vielleicht der Weg, der das besondere Priestertum des Königs neben dem offiziellen levitischen des Tempels von Zion rechtfertigt. Weiter ist bekannt, daß der Brief an die Hebräer genau mit diesem Spruch beginnt: »Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks« (Ps 110,4), um das besondere und vollkommene Priestertum Jesu Christi zu beschreiben.

Wir werden in der Folge Psalm 110 noch eingehender untersuchen und die einzelnen Verse nacheinander genau analisieren.

5. Abschließend wollen wir aber den Eingangsvers des Psalms mit dem göttlichen Spruch wiederholen: »Setze dich mir zur Rechten, und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße.« Und wir tun es mit dem hl. Maximus von Turin (4./5. Jh.), der den Psalm in seinen Pfingstpredigten folgendermaßen kommentiert: »Unserer Gewohnheit nach wird der Ehrenplatz demjenigen angeboten, der es als Sieger nach vollendeter Tat verdient hat, auf ihm zu sitzen. Das gilt auch für den Menschen Jesus Christus, der durch sein Leiden den Teufel besiegt hat, durch seine Auferstehung die Reiche unter der Erde geöffnet hat und nach vollendetem Unternehmen siegreich in den Himmel aufsteigt, wo er von Gott dem Vater die Einladung vernimmt: ›Setze dich mir zur Rechten.‹ Wir brauchen uns auch nicht zu wundern, wenn der Vater dem Sohn, der von Natur aus eines Wesens mit dem Vater ist, anbietet, den Sitz mit ihm zu teilen… Der Sohn sitzt zur Rechten, weil gemäß dem Evangelium rechts die Schafe stehen werden, links hingegen die Böcke. Es ist also notwendig, daß das erste Lamm den Teil der Schafe besetzt und das unbefleckte Haupt im voraus den Platz einnimmt, der für die unbefleckte Herde bestimmt ist, die ihm folgen wird« (40,2: Scriptores circa Ambrosium, IV, Milano-Roma 1991, S. 195).

Aus dem Gotteslob des Alten Bundes zitiert das Neue Testament wiederholt Psalm 110. Wegen seiner Deutung auf Christus hin hat er in die Liturgie der Sonntagsvesper Eingang gefunden. Vor allem in zwei Versen spricht Gott darin den Messias an: „Setze dich mir zur Rechten" (1) und „Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks" (4).

Im Abendlob blickt die Kirche auf Christus. Er ist König und Erlöser. Als Gottesvolk des Neuen Bundes sind wir sein Eigentum. Allen, die zu ihm gehören, ebnet der vollkommene Priester Jesus Christus den Weg ins Land der Verheißung, des Lichtes und des Friedens.
***


91 Sehr herzlich heiße ich die Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern willkommen. Christus, der Herr, will in euren Herzen wohnen. Macht sein Reich in Werken der Liebe sichtbar! Sein Segen begleite euch.



Dezember 2003


Mittwoch, 3. Dezember 2003

Lesung: Psalm 114,1-4.7-8


1 Ein Lobpreis auf die Befreiung Israels Als Israel aus Ägypten auszog, Jakobs Haus aus dem Volk mit fremder Sprache,
2 da wurde Juda Gottes Heiligtum, Israel das Gebiet seiner Herrschaft.
3 Das Meer sah es und floh, der Jordan wich zurück.
4 Die Berge hüpften wie Widder, die Hügel wie junge Lämmer.
5 Was ist mit dir, Meer, daß du fliehst, und mit dir, Jordan, daß du zurückweichst?
6 Ihr Berge, was hüpft ihr wie Widder, und ihr Hügel, wie junge Lämmer?
7 Vor dem Herrn erbebe, du Erde, vor dem Antlitz des Gottes Jakobs,
92 8 der den Fels zur Wasserflut wandelt und Kieselgestein zu quellendem Wasser.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Das freudige und triumphale Lied, das wir soeben vorgetragen haben, ruft Israels Auszug aus der Unterdrückung durch die Ägypter in Erinnerung. Psalm 114 gehört zu der Sammlung, die in der jüdischen Tradition das »ägyptische Hallel« genannt wurde. Es sind die Psalmen 113 bis 118, eine Art Gesangbuch, das vor allem in der jüdischen Pascha-Liturgie Verwendung fand.

Das Christentum hat Psalm 114 mit dieser Charakteristik des Pascha übernommen, ihn aber in der Lesart entschlüsselt, die von der Auferstehung Christi herrührt. Der vom Psalm gerühmte Auszug wird deshalb zu einer anderen, noch radikaleren und universaleren Befreiung. Dante legt in der Göttlichen Komödie diesen Hymnus in der lateinischen Version der Vulgata den Seelen im Fegfeuer in den Mund: »In exitu Israel de Aegypto / sangen alle gemeinsam …« (Purgatorio II, 46-47). Das heißt, er sieht in dem Psalm das Lied der Erwartung und Hoffnung derer, die nach der Reinigung von allen Sünden auf das letzte Ziel, die Gemeinschaft mit Gott im Paradies, zugehen.

2. Wir folgen jetzt dem thematischen und spirituellen Gedankengang dieses kurzen Gebets. Zu Beginn (vgl. V. 1-2) wird an Israels Auszug aus der ägyptischen Unterdrückung bis zum Eintritt in das verheißene Land erinnert, das Gottes »Heiligtum« ist, das heißt der Ort seiner Gegenwart unter dem Volk. Ja, Land und Volk sind miteinander verschmolzen. Juda und Israel, Worte, mit denen man sowohl das Heilige Land als auch das auserwählte Volk bezeichnete, werden als Sitz der Gegenwart des Herrn und als sein besonderes Eigentum und Erbe betrachtet (vgl.
Ex 19,5-6).

Nach dieser theologischen Beschreibung eines der grundlegenden Glaubenselemente des Alten Testaments, das heißt der Verkündigung der großen Taten Gottes für sein Volk, vertieft der Psalmist geistlich und symbolisch ihre wesentlichen Ereignisse.

3. Das Rote Meer vom Auszug aus Ägypten und der Jordan vom Einzug in das Heilige Land werden in Zeugen und Instrumente verwandelt und personifiziert, die an der vom Herrn gewirkten Befreiung teilnehmen (vgl. Ps 114,3 Ps 114,5).

Am Anfang des Auszugs ist die Rede vom Meer, das flieht, um Israel durchziehen zu lassen; und am Ende des Weges in der Wüste, da ist der Jordan, der in seinem Lauf innehält und sein Bett trocken legt, um die Prozession der Kinder Israels durchziehen zu lassen (vgl. Jos 3-4). Im mittleren Teil wird auf die Erfahrung des Sinai Bezug genommen: Jetzt sind es die Berge, die an der großen göttlichen Offenbarung teilhaben, die sich auf ihren Gipfeln ereignet. Wie lebendige Geschöpfe, wie Widder und wie Lämmer hüpfen sie. Mit einer lebhaften Personifikation befragt der Psalmist dann die Berge und die Hügel nach dem Grund ihrer Erschütterung: »Ihr Berge, was hüpft ihr wie Widder, und ihr Hügel, wie junge Lämmer?« (Ps 114,6). Ihre Antwort wird nicht berichtet, sie wird aber dann indirekt mit Hilfe einer an die Erde gerichteten Aufforderung gegeben, »vor dem Herrn« zu erbeben (vgl. V. 7). Die Erschütterung der Berge und der Hügel war also Zeichen des Erbebens bei der Anbetung vor dem Herrn, dem Gott Israels, ein Akt der ruhmvollen Verherrlichung des transzendenten Gottes und Erlösers.

4. Dieses Thema gehört zum letzten Teil von Psalm 114 (vgl. V. 7-8), der ein zusätzliches bedeutsames Ereignis von Israels Durchzug durch die Wüste einleitet: das Ereignis des Wassers, das aus dem Felsen von Meriba sprudelt (vgl. Ex 17,1-7 Nb 20,1-13). Gott verwandelt den Felsen in eine Wasserquelle, die zum See wird: Diesem Wunder liegt seine väterliche Sorge für das Volk zugrunde.

Die Geste hat also eine symbolische Bedeutung: Sie ist das Zeichen der heilbringenden Liebe des Herrn, der die Menschheit beim Durchzug durch die Wüste der Geschichte stützt und erneuert.

Der Apostel Paulus hat bekanntlich dieses Bild wieder aufgenommen und liest, ausgehend von einer jüdischen Tradition, der zufolge Israel auf dem Zug durch die Wüste vom Felsen begleitet wurde, das Ereignis unter einem christologischen Aspekt: »Alle tranken den gleichen gottgeschenkten Trank, denn sie tranken aus dem lebenspendenden Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus« (1Co 10,4).

93 5. Auf der gleichen Linie kommentiert ein großer christlicher Lehrer, Origines, den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten und denkt an den neuen Exodus, den die Christen vollbracht haben. Er schreibt: »Glaubt nicht, daß Mose nur damals das Volk aus Ägypten herausgeführt hat. Auch jetzt will der Mose, den wir bei uns haben …, das heißt Gottes Gesetz, aus Ägypten herausführen; wenn du darauf hörst, wird er dich vom Pharao befreien … Er will nicht, daß du in den dunklen Handlungen des Fleisches stehen bleibst, sondern daß du in die Wüste hinausgehst, daß du an den Ort gelangst, wo es keine zeitlichen Störungen und Schwankungen gibt; er will, daß du zur Ruhe kommst und still wirst … Wenn du diesen Ruheort erreicht hast, dann kannst du dem Herrn opfern, dann kannst du Gottes Gesetz und die Macht der göttlichen Stimme erkennen« (Omelie sull’Esodo, Roma 1981, S. 71-72).

Indem er an das paulinische Bild anknüpft, das den Durchzug durch das Meer in Erinnerung ruft, setzt Origines seinen Kommentar fort: »Der Apostel nennt das eine Taufe, vollbracht durch Mose in der Wolke und im Meer, damit auch du, der du in Christus, im Wasser und im Heiligen Geist getauft wurdest, weißt, daß dich die Ägypter verfolgen und wieder in ihren Dienst stellen wollen, das heißt in den Dienst der Herrscher dieser Welt und der bösen Geister, deren Sklave du zuvor warst. Sie werden dich gewiß verfolgen, aber du steige in das Wasser hinunter und entrinne, und nachdem du die Flecken der Sünden abgewaschen hast, steige empor als neuer Mensch, bereit, das neue Lied zu singen« (ebd., S. 107).

Immer wieder entzündet sich Israels Danklied an der Erfahrung seiner Befreiung. Der Auszug aus Ägypten offenbart Gottes mächtige Gegenwart. Eine neue Beziehung entsteht: „Da wurde Juda Gottes Heiligtum" (
Ps 114,2). Gott bahnt seinem pilgernden Volk Wege des Heils.

In der Wüste labte der Herr die Israeliten mit Wasser aus dem Felsen (vgl. Ps 114,8). Dem Volk des neuen Bundes sprudelt in der Taufe die Quelle der Erlösung. Durch die Sakramente der Kirche gestärkt und erneuert folgen wir Christus, unserem lebensspendenden Fels (vgl. 1Co 10,4).
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Einen glaubensfrohen Gruß richte ich an die Pilger und Besucher deutscher Sprache. Gott ist der Befreier seines Volkes und macht es zu seinem Heiligtum. Gebt allen ein Zeugnis der Hoffnung, denn eure Erlösung ist nahe! Die Gnade des Herrn sei mit euch!




Generalaudienz 2003 82