Generalaudienz 2003 93

Mittwoch, 10. Dezember 2003

Lesung: Offb 19,1-2.5.7

94 Ap 19,1-2 Ap 19,2-5
1 Danach hörte ich etwas wie den lauten Ruf einer großen Schar im Himmel: Halleluja! Das Heil und die Herrlichkeit und die Macht ist bei unserm Gott.
2 Seine Urteile sind wahr und gerecht. Er hat die große Hure gerichtet, die mit ihrer Unzucht die Erde verdorben hat. Er hat Rache genommen für das Blut seiner Knechte, das an ihren Händen klebte.
5 Und eine Stimme kam vom Thron her: Preist unsern Gott, all seine Knechte und alle, die ihn fürchten, Kleine und Große!
7 Wir wollen uns freuen und jubeln und ihm die Ehre erweisen. Denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes, und seine Frau hat sich bereit gemacht.

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Wenn wir die Reihe der Psalmen und Cantica verfolgen, die das kirchliche Gebet der Vesper bilden, dann stoßen wir auf einen Hymnusabschnitt, der dem 19. Kapitel der Offenbarung entnommen ist und aus einer Sequenz von Halleluja und Akklamationen besteht.

Hinter diesen Freudenrufen steht die dramatische Klage, die im vorhergehenden Kapitel von den Königen, den Kaufleuten und den Seefahrern angesichts der Zerstörung des königlichen Babylons angestimmt wurde, der Stadt der Bosheit und Unterdrückung, die das Symbol der gegen die Kirche entfesselten Verfolgung ist.

2. Als Entgegnung auf diesen Schrei, der von der Erde aufsteigt, erklingt im Himmel ein liturgisch geprägter jubelnder Chor, der neben dem Halleluja auch das Amen wiederholt. Die verschiedenen antiphonähnlichen Akklamationen, die in der Liturgie der Vesper jetzt zu einem einzigen Lied vereint werden, sind im Text der Offenbarung unterschiedlichen Personen in den Mund gelegt. Wir finden zunächst »eine große Schar«, bestehend aus der Versammlung der Engel und der Heiligen (vgl. V. 1-3). Dann sind die Stimmen der »vierundzwanzig Ältesten« und der »vier Lebewesen« zu erkennen, der symbolischen Figuren, die die Priester dieser himmlischen Liturgie des Lobes und Dankes zu sein scheinen (vgl. V. 4). Am Ende erklingt eine Solostimme (vgl. V. 5), die in den Gesang auch »die große Schar« einbezieht, von der wir ausgegangen sind (vgl.V. 6-7).

3. In den zukünftigen Etappen unseres Gebetsweges werden wir Gelegenheit haben, die einzelnen Antiphonen dieser großartigen und feierlichen mehrstimmigen Lobeshymne zu beschreiben. Jetzt begnügen wir uns mit zwei Bemerkungen. Die erste betrifft die Akklamation zur Eröffnung, die so klingt: »Das Heil und die Herrlichkeit und die Macht ist bei unserm Gott. Seine Urteile sind wahr und gerecht« (V. 1-2).

Im Mittelpunkt dieses Freudenrufes steht die Darstellung von Gottes entscheidendem Eingreifen in die Geschichte: Der Herr ist den menschlichen Geschicken gegenüber nicht gleichgültig wie ein mitleidsloser und enthobener Herrscher. Der Psalmist sagt: »Der Herr weilt in seinem heiligen Tempel, der Thron des Herrn ist im Himmel. Seine Augen schauen herab, seine Blicke prüfen die Menschen« (Ps 11,4).

4. Ja, sein Blick ist Quelle des Handelns, denn er greift ein und zerstört die anmaßenden despotischen Reiche, er bringt die Stolzen, die ihn herausfordern, zu Fall und richtet diejenigen, die Böses tun. Wieder beschreibt der Psalmist in malerischen Bildern (vgl. Ps 10,7) dieses Eingreifen Gottes in der Geschichte, so wie der Autor der Offenbarung im vorhergehenden Kapitel (vgl. Ap 18, 1-24) von Gottes furchterregendem Eingreifen in Babylon berichtet hat, das von seinem Sitz gerissen und ins Meer geschleudert wurde. An dieses Eingreifen erinnert unser Hymnus in einem Abschnitt, der in der Feier der Vesper nicht vorkommt (vgl. Ap 19,2-3).

Unser Gebet soll ja vor allem das göttliche Handeln, die wirkmächtige Gerechtigkeit des Herrn und seinen Ruhm verkünden und loben, der durch den Sieg über das Böse errungen wurde. Gott ist gegenwärtig in der Geschichte, indem er sich auf die Seite der Gerechten und der Opfer stellt, genau so, wie es die kurze und aussagekräftige Akklamation der Offenbarung darstellt und wie es oft in den Psalmliedern wiederholt wird (vgl. Ps 145,6-9).

5. Wir wollen jetzt den Akzent auf ein anderes Thema unseres Canticum legen. Es wird von der abschließenden Akklamation entfaltet und ist eines der vorherrschenden Motive der Offenbarung selbst: »Denn gekommen ist die Hochzeit des Lammes, und seine Frau hat sich bereit gemacht « (Ap 19,7). Christus und die Kirche, das Lamm und die Braut, sind in einer tiefen liebevollen Gemeinschaft verbunden.

Wir werden versuchen, diese mystische bräutliche Beziehung durch das poetische Zeugnis eines großen syrischen Kirchenvaters, des hl. Ephräm, der im 4. Jahrhundert gelebt hat, deutlich zu machen. Indem er symbolisch das Zeichen der Hochzeit von Kana benutzt (vgl. Jn 2,1-11), lädt er die personifizierte Stadt ein, Christus für das große Geschenk zu loben:

95 »Mit meinen Gästen werde ich dafür danken, daß er mich für würdig befunden hat, ihn einzuladen: ihn, den himmlischen Bräutigam, der herabgestiegen ist und alle eingeladen hat; und auch ich wurde eingeladen, zu seinem lauteren Hochzeitsfest zu kommen. Vor den Völkern werde ich ihn als den Bräutigam anerkennen, keiner ist wie er. Sein Brautgemach ist von den Jahrhunderten vorbereitet; sein Brautgemach ist mit Reichtümern ausgeschmückt, und nichts fehlt. Es ist nicht wie bei dem Fest von Kana, dessen Mängeln er abgeholfen hat« (Inni sulla verginità, 33,3; L’arpa dello Spirito, Roma 1999, Ss. 73-74).

6. In einer anderen Hymne, die auch die Hochzeit von Kana besingt, betont Ephräm, daß Christus, der zur Hochzeit anderer (d.h. des Brautpaars von Kana) eingeladen war, sein Hochzeitsfest feiern wollte: die Hochzeit mit seiner Braut, die jede gläubige Seele ist. »Jesus, du wurdest zu einem Hochzeitsfest anderer, der Brautleute von Kana, eingeladen, hier hingegen ist dein schönes und reines Fest. Es erfreut unsere Tage, denn deine Gäste, Herr, brauchen auch deine Lieder. Laß den Klang deiner Harfe alles erfüllen! Die Seele ist deine Braut, der Leib ist ihr Brautgemach, deine Geladenen sind die Sinne und Gedanken. Und wenn ein Leib allein für dich ein Hochzeitsfest ist, dann ist die ganze Kirche dein Hochzeitsmahl« (Inni sulla fede, 14,4-5: op.cit., S. 27).

Freudig stimmt die Kirche auf Erden in die himmlische Liturgie ein, die in den Hymnen der Offenbarung anklingt: Amen. Halleluja! (
Ap 19,4). Wie in den Psalmen, wird Gottes Macht und Herrlichkeit gepriesen, der dem Menschen in seiner Not zu Hilfe kommt. Auch unser Gebet ist vor allem Anruf und Lobpreis des Handelns Gottes.

Das Bild von der „Hochzeit des Lammes" ist eines der großen Motive der Apokalypse: Christus ist das Lamm, und die Kirche seine Braut, die sich bereit gemacht hat. Ebenso ist die Seele eines jeden Gläubigen wie eine Braut dem Herrn in liebender Gemeinschaft verbunden.
***


Von Herzen grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Der Sohn Gottes will unter uns und in uns wohnen. Macht eure Seele bereit für das Kommen des Bräutigams! Der Advent ist die Zeit der Gnade und der Umkehr. Der Herr führe euch zur Fülle der Erlösung!




Mittwoch, 17. Dezember 2003



Liebe Brüder und Schwestern!

1. »Der Herr wird kommen und nicht zögern.« Diese Worte aus der heutigen Liturgie bringen die Atmosphäre unserer erwartungsvollen und andächtigen Vorbereitung auf das unmittelbar bevorstehende Weihnachtsfest zum Ausdruck.

Der Advent hält das Warten auf Christus wach, der mit seinem Heil zu uns kommen und sein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens vollständig errichten wird. Das jährliche Gedenken an die Geburt des Messias in Betlehem erneuert in den Herzen der Gläubigen die Gewißheit, daß Gott seine Versprechen hält. Deshalb ist der Advent eine machtvolle Ankündigung der Hoffnung, die unsere persönliche und gemeinschaftliche Erfahrung tief berührt.

2. Jeder Mensch träumt von einer gerechteren und solidarischeren Welt, in der würdevolle Lebensbedingungen und ein friedliches Zusammenleben die Beziehungen zwischen den Einzelpersonen und zwischen den Völkern harmonisch gestalten. Aber oft ist es nicht so. Hindernisse, Gegensätze und Schwierigkeiten verschiedener Art erschweren unser Dasein und belasten es manchmal sehr. Die Kräfte und der Mut, sich für das Gute einzusetzen, laufen Gefahr, dem Bösen zu weichen, das immer wieder zu siegen scheint. Gerade dann kommt uns die Hoffnung zu Hilfe. Das Weihnachtsgeheimnis, das wir in wenigen Tagen neu erleben werden, versichert uns, daß Gott der Immanuel - der »Gott mit uns« - ist. Deshalb dürfen wir uns nie verlassen fühlen. Er ist uns nahe, er ist einer von uns geworden, indem er aus dem jungfräulichen Schoß Marias geboren wurde. Er hat unseren Pilgerweg auf Erden geteilt, und er hat uns zugesichert, daß wir die Freude und den Frieden erlangen werden, nach denen wir uns im Tiefsten unseres Herzens sehnen.

96 3. Die Adventszeit stellt einen zweiten Bestandteil der Hoffnung ins Licht, der die Bedeutung und den Wert des Daseins im allgemeinen betrifft. Häufig fragt man sich: Wer sind wir, wohin gehen wir, welchen Sinn hat das, was wir auf Erden vollbringen, was erwartet uns nach dem Tod?

Es gibt zweifellos gute und rechtschaffene Ziele: die Suche nach einem größeren materiellen Wohlstand, der Einsatz für immer fortschrittlichere soziale, wissenschaftliche und wirtschaftliche Ziele, eine bessere Verwirklichung der persönlichen und gemeinschaftlichen Erwartungen. Aber genügen diese Ziele, um die innersten Bestrebungen unseres Herzens zu befriedigen?

Die Liturgie von heute lädt uns ein, das Blickfeld zu weiten und die Weisheit Gottes zu betrachten, die aus dem Mund des Höchsten kommt, die Anfang und Ende umfaßt und alles »mit Macht und Milde« lenkt (vgl. Halleluja-Vers).

Das christliche Volk bricht dann spontan in den Ruf aus: »Komm, Herr, und zögere nicht

4. Nicht zu vergessen ist noch ein drittes bezeichnendes Merkmal der christlichen Hoffnung, das die Adventszeit deutlich ins Licht rückt. Der Mensch, der sich über den Alltag erhebt und die Gemeinschaft mit Gott sucht, wird durch den Advent und vor allem durch Jesu Geburt daran erinnert, daß es Gott ist, der die Initiative ergriffen hat und ihm entgegengekommen ist. Indem er sich zum Kind machte, hat Jesus unsere Natur angenommen und seinen Bund mit der ganzen Menschheit für immer geschlossen.

Abschließend könnten wir also sagen, daß der vom Advent neu angebotene Sinn der christlichen Hoffnung in der zuversichtlichen Erwartung, der tätigen Bereitschaft und dem frohen Offensein für die Begegnung mit dem Herrn liegt. Er ist nach Betlehem gekommen, um für immer mit uns zu sein.

Nähren wir deshalb, liebe Brüder und Schwestern, diese Tage der unmittelbaren Vorbereitung auf die Geburt Christi mit dem Licht und der Wärme der Hoffnung. Das ist der Wunsch, den ich euch Anwesenden und euren Lieben ausspreche. Ich vertraue ihn der mütterlichen Fürsprache Marias an, Vorbild und Stütze unserer Hoffnung.

Allen einen gesegneten Advent und gnadenreiche Weihnachten!

Unser Sehnen nach Gerechtigkeit und Frieden wird durch Konflikte, denen wir schier ohnmächtig beiwohnen, konterkariert. Angesichts dieser Erfahrung schenkt uns die Botschaft des Advents Hoffnung: Unsere Erlösung naht! Im Ungemach dieser Zeit sind wir nicht allein, denn Gott der Herr steht uns zur Seite. Er ist der Emmanuel, der „Gott-mit-uns".

Der Advent öffnet den Blick für die „Weisheit des Höchsten", der „in Kraft und Milde" alles ordnet. Die Einsicht, daß Gott die Rettung des Menschen will und auf ihn zu geht, begründet die christliche Hoffnung. Deshalb rufen wir in diesen Tagen vor Weihnachten: „Komm, o Herr, und säume nicht!"
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97 Herzlich begrüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Unser Heil ist nahe! Diese adventliche Botschaft nährt unsere Hoffnung. Mit tätiger Liebe und im Vertrauen auf Gottes Plan bereiten wir uns auf das Kommen des Erlösers vor. Sein Licht mache alle Herzen hell! - Gesegnete Weihnachten!







Generalaudienz 2003 93