Dreieinigkeit und Eschatologie

P. Jean Galot

Oft wurde die Eschatologie lediglich im Rahmen des Verhältnisses zwischen Mensch und Gott studiert, ohne jedwede Vertiefung des Mysteriums des trinitarischen Gottes. Dementsprechend wird Gott als beurteilende Instanz angesehen und der Himmel als die beseligende Gottesschau bezeichnet. Das Mysterium des Gottes als drei Wesen in einem wird sozusagen ausgeklammert.

Dennoch deutet das Evangelium auf unterschiedliche Rollen der drei göttlichen Personen und auf eine tiefgreifende Bedeutung dieser Rollen. So behauptet Jesus, der Vater habe dem Sohn die Befugnis erteilt, die Menschen zu beurteilen, weil er Menschensohn sei (Jo 5, 27). Diese Befugnis ist eine göttliche und souveräne Macht, die allerdings von jemanden ausgeübt wird, der zugleich auch Mensch ist, und Mitleid mit allen Menschen hat. Das Mysterium der Menschwerdung verleiht dem Endgericht eine neue Bedeutung.

Dies geschieht aufgrund eines göttlichen Vorhabens: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde" (Jo 3, 17). Der Sohn wird also als der Erlöser entsandt: Dieses Vorhaben ändert die Rahmenbedingungen des Letzten Gerichts grundlegend. Daß der Vater Seinen Sohn der Menschheit schenkt, mildert die Natur des Letzten Gerichts. Als er aufgrund seiner Milde gegenüber den Sündigern kritisiert wurde, erwidert Jesus mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn bzw. – genauer gesagt – vom barmherzigen Vater. Mit sehr einfachen Worten erschließt uns dieses Gleichnis das wahre Gesicht des Vaters, welches sich in der Alten Allianz niemals zuvor gezeigt hatte. Erst Sein Sohn konnte die wahren Gefühle des Vaters gegenüber den Sündigern erschließen. Der Vater des Gleichnisses respektiert zwar die Freiheit des jungen Sohnes; er ist jedoch zutiefst durch seine Beleidigung verletzt und leidet im Geheimen. Er wartet ungeduldig auf seine Rückkehr. Als er schließlich seinen Sohn auf ihn zukommen sieht, umarmt und küßt er ihn. Er sagt kein Wort des Tadels, sondern läuft mit aufrichtiger Freude dem Sohn entgegen, den er verloren hatte.

Er befiehlt den Dienern, dem Sohn das schönste Kleid zu geben, und beweist dadurch, daß er ihm wirklich verziehen hat. Dadurch befreit der Vater seinen Sohn von der Sünde und erfüllt ihn wieder mit Gnade. Er läßt ein fettes Kalb servieren und zeigt dadurch allen seine Freude.

Die Offenbarung des gütigen Herzens des Vaters wirft neues Licht auf den Begriff des Gerichts, das an sich furchterregend war. Von einer eschatologischen Perspektive her wird dieses Bild von St. Paulus’ Beschreibung vom Ende der Menschheit ergänzt. Nach dieser Darstellung ist der Vater nicht nur der Ausgangspunkt einer umfassenden Liebe, sondern auch ihr Ziel. Mit dem wiederauferstandenen Christus wird das Opfer des Sohnes – und der ganzen Menscheit – den Vater erreichen. „Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden. Ein jeglicher aber in seiner Ordnung: der Erstling Christus; darnach die Christo angehören, wenn er kommen wird; darnach das Ende wenn er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, wenn er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt... Wenn aber alles ihm untertan sein wird, alsdann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles untergetan hat, auf daß Gott sei alles in allen" (1 Kor 15,22-28).

Der Heilige Geist wird dabei niemals erwähnt: Es handelt sich um die Geste des wiederauferstandenen Christus, der „kräftig erwiesen ein Sohn Gottes nach dem Geist, der da heiligt, seit der Zeit, da er auferstanden ist von den Toten, Jesus Christus, unser Herr" (Röm 1,4). Im wiederauferstandenen Christus entfaltet sich die Macht des Geistes.

Die trinitarische Dimension der Eschatologie darf also nicht vernachlässigt werden.