Maria und der Ökumenismus
Prof. Julian Porteous, Australien
In der relativ jungen Geschichte der australischen Kirche nahm die Heilige Jungfrau Maria schon immer einen besonderen Platz in den Herzen der Katholiken ein. Die „Mutterkirche" Australiens, d.h. die Kathedrale der Heiligen Maria in Sydney, erbaut 1821, ist Zeugin der Marienverehrung der ersten Katholiken Sydneys, und zwar sowohl der Geistlichen als auch der Laien, da diese Kathedrale nach der Heiligen Jungfrau benannt wurde. Unser erster Bischof John Bede Polding war der Jungfrau Maria besonders ergeben und schrieb ihre Initialen an den Anfang jedes Schreibens. Zwei Jahre nach der Errichtung der australischen Hierarchie, wurde Maria, Helferin der Christen, zur Schutzheiligen Australiens gemacht. Die Verehrung der Heiligen Jungfrau Maria wurde im zwanzigsten Jahrhundert besonders durch die Beliebtheit des Rosenkranzes belegt und ist ein zentrales Element des australischen Katholizismus. In jüngerer Zeit haben verschiedene religiöse Bewegungen dem Kult der Heiligen Jungfrau Maria neuen Schwung verliehen, im Anschluss an einen Bedeutungsverlust dieses Kultes im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts.
In der Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil wurde die Herausforderung des Ökumenismus in Australien sehr ernst genommen, denn das Land wurde schon immer durch das Zusammenleben der anglikanischen, katholischen und protestantischen Kirche geprägt. Die Einwanderungsströme im Anschluss an den II. Weltkrieg haben die Präsenz ostkatholischer und orthodoxer Gläubiger gestärkt, während sich zur Zeit der Anteil der muslimischen Gemeinschaft sowie der Religionen aus dem Osten – etwa des Buddhismus – stetig vergrößert.
Obwohl der Kult der Heiligen Jungfrau Maria den östlichen Kirchen, d.h. der katholischen und orthodoxen Kirche gemeinsam ist, ist er dennoch ein Streitpunkt mit vielen Mitgliedern der evangelischen Kirche. Sie werfen uns Katholiken nämlich vor, durch unsere Gebete um die Vermittlung der Heiligen Jungfrau Maria einen unnötigen Kanal zwischen uns und Gott einzuschalten, oder dass dieser Kult und der Gebrauch religiöser Bilder einer Art von Idolatrie gleichkommen. Neuerdings haben die pentekostalen Kirchen den katholischen Kult stark kritisiert sowie die ewige Jungfräulichkeit unserer Frau in Frage gestellt, indem sie behauptet haben, Maria habe andere Kinder gezeugt.
Das Vatikanische Konzil hat in vielen Dokumenten versucht, den fortwährenden Dialog mit anderen Kirchen – „unsere getrennten Brüder" – ökumenisch zu gestalten. Das Dokument über die Kirche Lumen Gentium definierte die Marialogie als einen wesentlichen Bestandteil der Ekklesiologie. Die Anfangsworte des letzten Kapitels dieses Dokuments sind deutlich ökumenisch inspiriert:
"In the words of the apostle there is but one mediator: ‘for there is but one God and one mediator of God and men, the man Christ Jesus, who gave himself as a redemption for all’ (1 Tim. 2,5-6)". (Art.60)
Das Konzil hat allerdings auch folgendes klargestellt: „Marias mütterliche Aufgabe gegenüber den Menschen aber verdunkelt oder mindert diese einzige Mittlerschaft Christi in keiner Weise, sondern zeigt ihre Wirkkraft."
Das Ziel des authentischen katholischen Ökumenismus, so wie Papst Johannes Paul II. in Ut Unum Sint (Par. 77) ihn definiert, besteht in der vollkommenen sichtbaren Einheit aller Christen: „Die bessere gegenseitige Kenntnis und die Übereinstimmungen in Fragen der Lehre, die wir schon erreicht haben und die eine effektive Zunahme des Gemeinschaftsgefühls zur Folge hatten, können dem Gewissen der Christen, die die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche bekennen, freilich noch nicht genügen. Das letzte Ziel der ökumenischen Bewegung ist die Wiederherstellung der sichtbaren vollen Einheit aller Getauften."
Keine ökumenische Unternehmung darf allerdings die Rolle der Jungfrau Maria ignorieren. Einige biblische und patristische Studien haben die Rolle Mariä in der Ekklesiologie sowie im Glauben und in der Spiritualität der Kirche bereits seit deren Anfang hervorgehoben. Die Katholiken dürfen nicht im Namen eines falschen Ökumenismus über Maria schweigen. In den ersten Jahren der ökumenischen Bewegung war leider eben diese Tendenz zu beobachten.
Unsere Verehrung Mariä kann sogar zu einem konstruktiven und klärenden Dialog besonders mit den evangelischen Christen beitragen. Sie kann die Grenzen eines fundamentalistischen Glaubensansatzes überschreiten, welcher in einer limitierten Auslegung der biblischen Texte resultieren könnte. Sie kann die reiche Dimension der katholischen Idee der Menschwerdung erschließen. Sie kann die Menschen dazu anregen, den sakramentale und ekklesialen Charakter des Christentums zu erkunden.
Eine Reflexion über das Verhältnis zwischen Maria und dem Heiligen Geist sowie zwischen Maria und die Kirche kann die Grundlage einer ökumenischen Debatte bilden. Die katholische Liebe und Verehrung Mariä würde somit kein Hindernis auf dem Weg zum Ökumenismus, sondern vielmehr zur Basis einer ernsten ökumenischen Debatte werden.