Prof. Jean GALOT S.J., Roma

Petrus Primat gemäss dem Neuen Testament

Um das Reich Gottes auf Erden zu schaffen, hat Christus Menschen aufgefordert ihm zu folgen, und unter jenen die ihm folgten hat er zwölf ausgewählt, die Apostel. Dem Markusevangelium zufolge (3,14-16), das berichtet, dass Jesus zwölf "einsetzte", war diese Entscheidung eine wahre Schöpfung, ein Vorausblicken auf die Schaffung des neuen Gottesvolkes. Der neue Namen "Apostel" bedeutete die Schöpfung neuer Persönlichkeiten. Für einen der Zwölf hatte die neue Namensgebung eine besondere Bedeutung und über sie wurde auch in besonderer Weise berichtet: Simon erhielt den Namen Petrus. Durch diesen Namen hat Jesus diesem Apostel ein Primat gegeben das eine besondere Macht innerhalb der Kirche mit sich bringt. Wir müssen also die Absichten Jesu in der Einführung dieses Primats entdecken und klären.

Antwort auf ein Glaubensbekenntnis

Simon erhielt seinen neuen Namen als Antwort auf ein Glaubensbekenntnis. Nachdem er die Frage gestellt hatte:"Die Leute sagen du seist der Sohn Gottes?", hatte sich Jesus an seine Jünger gewandt "Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" Dem Zeugnis Matthäus nach, hatte Simon geantwortet "Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16,13-16).

Um die Tragweite dieser Frage und die Bedeutung der Antwort besser zu verstehen, ist es notwendig, den liturgischen Zeitpunkt festzuhalten. Den Evangelien von Markus (9,2) und Matthäus (17,1) zufolge, fand die Verklärung "sechs Tage danach" statt. Nun erscheint sie Jesus wie eine Erfüllung des Laubhüttenfestes. Diesem Fest ging – mit einem Abstand von fünf Tagen – das Fest der Versöhnung voraus (Yom Kippur). Jesus hatte also den Tag des Festes der Versöhnung gewählt um die Frage über seine Identität zu stellen und um von Simon das Glaubensbekenntnis zu erhalten. Es war auch der Tag den er gewählt hatte um Simon seinen neuen Namen zu geben und ihm damit sein Schicksal zu verkünden.

Die Kommentare zu dieser Episode können nicht vom liturgischen Zusammenhang absehen. Das Fest der Versöhnung ist auf die Darbringung eines Opfers ausgerichtet um die Sünden des Volkes zu sühnen, und zu den liturgischen Riten, die der Hohepriester im Allerheiligsten ausführen musste, gehörte das verkünden mit lauter Stimme des göttlichen Namens. Den Berichten Sirachs zufolge, fielen die Priester und das Volk nieder, beteten und segneten den Namen des Allmächtigen wenn er verkündet wurde. Wenn der Hohepriester zu den Söhnen Israels kam um ihnen den Segen des Allmächtigen zu erteilen, dann war "den Namen des Herrn nennen zu dürfen sein Ruhm" und "alle fielen zum zweiten Mal nieder" (Sir 50,20-21). Es scheint dass zur Zeit Jesu dies die einzige Gelegenheit während des liturgischen Jahres war, bei der der Name Yahve laut verkündet wurde.

Diesen Tag auswählend wünscht Jesus somit, der Name des Allmächtigen möge in der neuen Perspektive verkündet werden, in der die Liturgie des Alten Bundes ihre Erfüllung finden wird. Als Simon ihn Sohn des lebendigen Gottes nennt, antwortet er somit auf diesen Wunsch. Er spricht den neuen Namen Gottes aus, denjenigen den Jesus durch seine Lehren und seine Werke verkündet hat. Ohne sich dessen bewusst zu sein, übernimmt Simon die Rolle des Hohepriesters der während des Festes der Versöhnung den Namen Gottes verkündet; er tut dies indem er seinen Glauben an den Sohn Gottes ausspricht, an einen Sohn, der Gott ist.

Die Verkündung ist von Jesus bestätigt worden: "Selig bist du, Simon Sohn des Johannes, denn nicht Fleisch noch Blut haben es dir offenbart, sondern mein Vater in den Himmeln". Der lebendige Gott von dem Simon gesprochen hat ist der Vater den Jesus "mein Vater" nennt, es handelt sich um die Offenbarung, die mit dem Wort "offenbaren" zum Ausdruck kommt: wörtlich, "Gott hat offenbart". Diese einzigartige Offenbarung kann nur jene Seines Sohnes sein. Die Anrede Messias, die Markus als Antwort Jesu angibt, rechtfertigt eine solche Offenbarung nicht. Es ist der Sohn als Sohn, den der Vater Simon offenbart hat. Eine absolute Offenbarung also, denn es ist die Offenbarung des göttlichen Mysteriums in dem der Vater durch den Sohn spricht.

Indem er ihn für seine Verkündung lobt, nennt Jesus Simon feierlich:" Simon, Sohn des Yonah (Johannes)". Anscheinend entspricht der griechische Name Yonah dem jüdischen Namen Yochanan, der im griechischen Text des LXX Yonahs, Ionias oder Onias übersetzt wird. So wirkt die Anspielung des Ekklesiastikers auf den Hohepriester: "Simon Sohn Onias" (50,11). Diese erstaunliche Namensübereinstimmung hebt klarer hervor, dass der Apostel Simon im Rahmen des Versöhnungsfestes die Rolle des Hohepriesters ausübt.

Noch feierlicher ist die Bestätigung, die die göttliche Stimme der Verklärung den Worten Simons gibt: Die kurze Zeitspanne, die das Fest der Versöhnung von dem der Laubhütten trennt, trägt dazu bei, die Verbindung zwischen den beiden Aussagen zu verdeutlichen. Die Begriffe der theofanischen Verkündigung greifen das wesentliche Element des Glaubensbekenntnisses auf: "Dies ist mein geliebter Sohn.." (Mt 17,5). Der Vater bezeugt selbst dass er wirklich derjenige ist, der Simon die Identität seines Sohnes offenbart hat. Er selbst spricht den göttlichen Namen Jesu, des geliebten Sohnes, aus, wie er ihn von Simon hat aussprechen lassen.

Der neue Namen

Der Zeitpunkt des Festes der Versöhnung trägt dazu bei, den Sinn des dem Apostel gegebenen, neuen Namen zu erfassen. Bereits der Name Simon hatte durch die Verkündung des göttlichen Namens eine neue Bedeutung erhalten, durch eine Bezugnahme auf den Hohepriester im Buch des Sirach (50,1-21). Kraft seiner Authorität verleiht Jesus einen anderen Namen:"Und ich sage dir, du bist Petrus" (Mt 16,18). Dieser Name Kaphas, wird gegeben um eine neue Rolle zu definieren, die kurz beschrieben wird: "Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen". Es ist der gleiche Name wie der des amtierenden Hohepriesters, Kaifas (Kephas). Das Nebeneinander dieser beiden Namen kann kein Zufall sein; es ist noch ausdrucksstärker als "Simon, Sohn Yonahs (Johannes)", denn hier handelt es sich um einen spezifisch von Jesus ausgewählten Namen. Diese anspielende Entscheidung bedeutet, dass aus Jesus' Sicht, Simon bereits der Hohepriester ist, der in seiner zukünftgen Kirche die Rolle innehaben wird, die zuvor dem jüdischen Hohepriester zukam.

Wir können beobachten, dass im Griechischen eine Fall-Unterscheidung besteht zwischen Petros und Petra, Petrus und der Stein, während im Aramäischen es der gleiche Begriff ist (Keyoha). Die Tatsache des neuen Namens der Petrus gegeben wird, wird auch von den anderen Synoptikern bestätigt, in Bezug auf die Entscheidung der Zwölf (Mk 3,16; Lk 6,14). Im Johannesevangelium sagt Jesus bei der ersten Begegnung:" Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heissen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus)" (1,42) Der Begriff "Kephas" wird genau so angeführt wie er von Jesus ausgesprochen worden war und wie er im Armäischen einen ganz besonderen Wert hat.

Der Erzählung des Matthäus nach, wird Simon, nachdem er den göttlichen Namen Jesu aussprechend, seine Rolle als Hohepriester ausgeübt hat, von Jesus anerkannt als Hohepriester, als wahrer "Kephas". Das Wort Jesu ist schöpferisch: Er hat die Macht, Simon ein neues Sein zu verleihen, ihm einen neuen Namen gebend. Es ist die Schöpferkraft Gottes.

Diesem neuen Hohepriester überträgt Jesus alle Macht. Nachdem er gesagt hat " Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen", fügt er hinzu: "die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein."

Eindeutig ist hier die Absicht, die Kirche auf Jenem zu erbauen, der der Fels ist. Viele haben die Worte Christi dahingehend interpretiert, dass die Absicht darin bestand, die Kirche auf dem Glauben des Petrus zu erbauen. Es stimmt zwar, dass Simon seinen neuen Namen nach dem Glaubensbekenntnis erhalten hat, doch wenn Jesus sagt: "Du bist Petrus", so wendet er sich direkt an die Gestalt Petrus' und empfindet diesen Menschen als Grundlage seiner Kirche. Einen neuen Namen geben bedeutet eine neue Persönlichkeit zu schaffen. Für ihre Entstehung brauchte die Kirche diese ausdrücklich von Christus geprägte Persönlichkeit. Es entspricht den Tatsachen, dass Simon schon von sich aus eine starke Persönlichkeit aufwies. Er offenbart sie durch starkes, leidenschaftliches Temperament und setzt sie im Glaubensbekenntnis ein. Doch auf Grund eines über die natürlichen Kräfte hinausgehenden Schicksals brauchte er eine grössere Kraft, die ihm durch Christi Schöpferkraft zuteil wurde.

Wenn Jesus in Bezug auf den Fels sagt, dass die Pforten der Hölle ihn nicht überwältigen werden, dann spielt er auf die übergeordnete geistige Kraft Petri an, allen Versuchungen der Kräfte der Unterwelt zu widerstehen, da er in seinen Handlungen immer von der Gnade unterstützt wird.

Jesus' wahre Worte

Da die von Jesus an Petrus gerichteten Worte für das Leben der Kirche von grosser Bedeutung sind, ist ihre Authentizität in Frage gestellt worden, doch diese Worte bestätigen die allgemein anerkannten Authentizitätskriterien, vor allem die Kriterien der Kontinuität und Diskontinuität. Die Kontinuität zeigt sich in der unleugbaren Tatsache zahlreicher Semitismen die den Text prägen und seine Urspünglichkeit gewährleisten. Die Diskontinuität zeigt sich, indem durch diese alte Sprache ein neuer, vollkommen originaler Kirchenplan vorgeschlagen wird, im Rahmen dessen Petrus eine Rolle spielen wird die nie weder verkündet noch in den Orakeln der Propheten angekündigt worden war. Der traditionelle jüdische Hintergrund hätte niemals die Anregung zu so einem Versprechen geben können. Dieser Plan ist von Christus' aussergwöhnlicher Erneuerung geprägt.

Die Einwände in Bezug auf die Authentizität bauen auf der Tatsache auf, dass von den drei Synoptikern, in Bezug auf das Glaubensbekenntnis Caesarea Phillips, nur Matthäus diese Worte Jesu wiedergibt. Er schildert jedoch auch eine Gegebenheit, die auch von Markus und Lukas nicht ausser Acht gelassen wird, nämlich die Einsetzung des Namens "Petrus" für Simon. Nun erfordert diese Tatsache eine Erklärung und das ist genau Jenes, was uns der Evangelist übermitteln wollte. Es wäre schwer irgendeine andere plausible Erklärung für diesen Namen zu geben.

Desweiteren stellen wir fest, dass der Evangelist Matthäus auch aus einer besonderen, nicht zu definierenden Quelle, die jedoch auch glaubwürdig erscheint, einige Überlieferungen in Bezug auf Petrus erhalten hat. So ist er der Einzige, der uns von der Episode berichtet, in der Petrus Jesus auffordert über die Wasser zu gehen und endlich eine Zurechtweisung erhält: "Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" (Mt14,28-31). Diese Zurechtweisung in Bezug auf die Kleingläubigkeit scheint die historische Authentizität des Vorfalls zu bestätigen.

Der eindeutigste Hinweis in Bezug auf die Authentizität der Worte die Petrus' Primat ankündigen, ist der Mut Christi, der nicht gezögert hat, seinem Apostel eine Macht zu bekunden, die auch heute noch die Leser der Evangelien verwundert: wahrlich göttlicher Mut, der sich in einer in der Menschheitsgeschichte einzigartigen Weise durchsetzt, um sie zum Bildnis Gottes zu verwandeln.

Der Grundstein

Der Simon gegebene Name Kaphas fügt sich gut in das Gesamtbild des Versöhnungsfestes ein, nicht nur weil darin eine Anspielung auf den amtierenden Hohepriester auszumachen ist, sondern auch und vor allem, weil er sich auf den Grundstein des Tempels bezieht. Dieser Stein ragte im Allerheiligsten aus dem Boden und hatte dort den Platz der Arche inne und des Sühnealtars, die seit der Zerstörung des ersten Tempels verschwunden waren. Man war sogar so weit gegangen, diesen Stein als jenen zu betrachten, auf dem die Welt gegründet worden war. Nur einmal im Jahr betrat der Hohepriester das Allerheiligste, und zwar am Tage der Versöhnung, um das Opfer der Wohlgerüche und die Besprengung mit dem Opferblut auszuführen.

Die absolut neue Tatsache ist, dass derjenige, der das Amt des Hohepriesters ausübt, mit dem Grundstein identifiziert wird. Die jüdische Liturgie konnte eine solche Identifizierung nicht vorsehen; in ihr war der Hohepriester strengen Regeln in der Ausführung ritueller Gesten unterworfen: seine Vorbereitung auf das Fest der Versöhnung dauerte eine Woche und am Tage der Zelebration wurde er strengstens überwacht, auf dass all seine liturgischen Handlungen den Vorschriften konform seien und somit wirksam sein konnten. Er wurde nur als Ausführender betrachtet, der höchste Ausführende eines institutionellen Ritus, Ausführender der vorgegebenen Zeremonien. Die Tatsache, dass Jesus Simon ausserhalb dieses ganzen rituellen Zusammenhanges zum Hohepriester ernennt, ist in sich schon in höchstem Masse signifikant; es ist die Befreiung des Priesteramtes aus einer Art liturgischer Fessel. Doch weitaus überraschender ist die Tatsache, dass der Hohepriester in dieser Perspektive einer Befreiung, zum Grundstein wird. Hier offenbart sich die von Jesus definierte Erneuerung: die Rolle des Hohepriesters wird in der Kirche sehr viel bedeutender sein als sie es im Judentum war. Auf ihm wird die gesamte Struktur, der ganze Bau, ruhen.

Der Mut der Aussage ist umso auffälliger wenn man die weiteren Worte betrachtet, mit denen Jesus sich selbst als Eckstein verkündet (Mk 12,10par), Stein, der Jesaias (28,16) zufolge, der Grundstein des neuen Zion (vgl. Rom.9,32; Ef 2,20) sein sollte. So kommt also vor allem Jesus das Bild des "Grundsteines" zu. Doch durch eine willkürliche Entscheidung lässt Jesus Simon zum Grundstein der Kirche werden: die Tragweite und Bedeutung dieser Rolle darf nicht unterschätzt werden.

Die ursprüngliche Identifizierung Jesu mit dem Grundstein erklärt auch, wie Simon diese Qualifikation erhalten konnte: durch seine göttliche Macht überträgt Jesus seine Eigenschaft als Grundstein auf Simon. Die Kirche bleibt die Kirche Christi, sein "meine Kirche", und im Amt des Hohepriesters, das heisst Priester eines Kultes der ihm nicht gehört, dessen er nicht Herr ist, wird Simon aufgerufen Grundstein zu sein. Er ersetzt Jesus nicht, denn dieser bleibt weiterhin der einzige Fels auf dem sich die Gesamtheit der Kirche gründet, doch ist Simon dazu bestimmt, diese im Laufe des irdischen Fortgangs des Reiches zu vertreten.

Aufgrund der Tatsache, dass Simon durch den Willen Christi und durch die Teilnahme an seiner Macht, zum Grundstein wird, kann die Kirche weder bestehen noch sich entwickeln ohne denjenigen, dem das Amt des Hohepriesters übertragen worden ist. Die Kirche ohne diesen Grundstein erbauen zu wollen würde bedeuten den falschen Weg einzuschlagen.

Die höchste Macht

Nachdem Jesus die Rolle als Grundstein angegeben hat, verkündet er die höchste Authorität, die er Petrus übertragen will: "Du hast die Schlüssel des Himmelreichs". Diese Art die höchste Macht zum Ausdruck zu bringen erinnert an eine Passage aus Jesaias : "ich werde den Schlüssel zum Hause Davids auf seine Schultern laden; wenn er öffnet, wird niemand mehr schliessen können; wenn er schliesst, wird niemand mehr öffnen können" (22,22). Diese Passage wurde in der Apokalypse (3,7) auf Jesus übertragen. Jesus ist derjenige, der die Schlüssel zum Reich Gottes besitzt und sie deshalb Petrus übergeben kann, ebenso wie er, da er auch Grundstein ist, den Jünger daran teilhaben lassen kann.

Das Bild der Schlüssel des Himmelreichs steht vielleicht in einer gewissen Beziehung zu der wichtigen Geste, die der Hohepriester im Rahmen des Festes der Versöhnung ausführte; eine Geste, die nur er ausführen konnte und nur an diesem Tage: das Eintreten ins Allerheiligste. Um dieses Privileg zu erklären könnte man sagen, dass er in diesem Moment die Schlüssel zum Haus Gottes besass; er konnte öffnen was normalerweise geschlossen war, somit die göttliche Vergebung und den Segen für das Volk erlangend.

Wir erinnern daran, wie der Brief an die Juden das Opfer Christi zur Erlösung im Lichte dieser Zelebration interpretiert hat: "Denn Christus ist nicht in ein von Menschenhand errichtetes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor Gottes Antlitz zu erscheinen."(9,24). Ein für alle Mal ist Jesus, durch sein Angebot, in das Allerheiligste eingetreten, in das Himmelreich. So ist er zum Herrn dieses Reiches geworden, derjenige, der die Schlüssel besitzt und den Menschen den Zugang ermöglicht: Jesus ist und bleibt der vollkommene Hohepriester, der all' das verwirklicht hat, was in der Liturgie der Versöhnung Schatten und Umriss war.

Christus will, dass Petrus die Rolle des Hohepriesters ausübt, dass er diese hohe priesterliche Berufung in die Welt trage. Er verspricht ihm die Schlüssel, die Macht, die Tore des Himmelreiches zu öffnen, wo das himmlische Leben sich bereits bewahrheitet. Und beachtenswert ist die Tatsache, dass er keinerlei Einschränkungen dieser Macht ausspricht: er gibt nicht nur einen Teil der Schlüssel. Also überträgt er Petrus eine vollständige Authorität, wahres Abbild seiner eigenen.

Diese Authorität wird umso deutlicher hervorgehoben durch die Worte, die das Versprechen abschliessen: " Alles was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein."

Die Verben "binden" und "lösen" sind Gegenstand vieler Interpretationsversuche gewesen. Aus der Liturgie der Versöhnung, dessen Zweck die Vergebung der Sünden war, lässt sich ableiten, dass die Macht zu "binden" und zu "lösen" die Möglichkeit des Aussprechens der Sündenvergebung mit sich bringt. Doch kann man es nicht auf diese Vergebung allein beschränken: ein jüdisches liturgisches Fest kann der von Christus formulierten Macht keine Grenzen setzten.

Die rabbinische Literatur wurde häufig zitiert um den Sinn der Wortverbindung "binden-lösen" zu ergründen: sie hat eine Lehr- oder Disziplinarbedeutung, sei es um ein Verbot oder eine Erlaubnis zu definieren, um einen Bannfluch auszusprechen oder ihn zu lösen. Diese zweifache Bedeutung scheint daraufhinzuweisen, dass Petrus die Macht erhält Verbote auszusprechen ebenso wie die Möglichkeit zu erklären, was erlaubt ist, also die Bedingungen zur Zugehörigkeit der Kirche zu bestimmen.

Doch auch in diesem Zusammenhang kann man der rabbinischen Auslegung einen absoluten Wert zuerkennen. Man sollte die Neuerung der von Jesus geschaffenen Institution berücksichtigen: es gibt keinen Präzedenzfall im Judentum durch den sich der Sinn und die wahre Dimension angemessen erläutern liessen. Da der Macht des "binden und lösen" keinerlei Einschränkung geboten wird, sowie auch nicht der Übertragung der Schlüssel, muss man zugeben, dass Petrus eine universelle, allumfassende Macht über die Kirche besitzt. Wie ein Reichsverwalter, der vom Landesherren alle Authorität übertragen bekommen hat, um das Reich zur Entfaltung zu führen, so besitzt auch er alle erforderlichen Befugnisse zur Führung der christlichen Gemeinschaft. Zu diesen Befugnissen gehören auch jene, moralische Verhaltensregeln aufzustellen, den göttlichen Willen über das menschliche Leben offenbarend und den Willen, Sünden zu vergeben.

Die Ausübung dieser Macht hat nicht nur die Zustimmung im Himmelreich; sie erhält eine himmlische Wirkungskraft. Dies bedeutet, dass Christus sein göttliches Handeln mit dem menschlichen des Petrus verbindet und somit seine Authorität über die Kirche durch die Mittlung seines Jüngers ausüben will.

Petrus' einzigartige Stellung

Jesus' Worte in Bezug auf die Einsetzung des neuen, Grundstein bedeutenden Namens, und in Bezug auf die Übergabe der Schlüssel des Himmelreiches und der hohen Macht zu binden und lösen, waren einzig und allein dem zu Petrus gewordenen Simon zugedacht. Sie waren weder an die zwölf Apostel gerichtet, noch für sie gedacht. Diese Unterscheidung ist sehr deutlich. Christus hat Petrus ein exklusives Primat zuerkannt.

Andererseits löscht das Petrus gegebene Versprechen andere Worte Jesu nicht aus: es muss im Einklang mit den Erklärungen gesehen werden, die den Zwölfen einige für das Leben der Kirche sehr wichtigen Befugnisse zuerkennen. Wir dürfen z.B. die während des Letzten Abendmahls gesprochenen Worte nicht unterschätzen:"Darum vermache ich euch das Reich, wie es mein Vater mir vermacht hat." (Lk 22,29). Jesus gibt seinen Jüngern Befugnisse, die jedoch in keinster Weise die persönlich auf Petrus übertragene Macht beeinflussen, welcher anerkannt und geachtet werden muss. Ein Gleiches gilt für alle anderen Befugnisse: die Macht, die Lehre zu verkünden und alle Nationen zu bekehren, die Macht der Sündenvergebung, die Eucharistie zu feiern, zu taufen. Die Jünger haben diese Befugnisse erhalten und sind somit auch mit jener Macht verbunden, die Petrus übertragen worden ist. Doch als Grundstein und Verwalter der höchsten und allumfassenden Macht hat Petrus eine einzigartige Stellung inne.

In der Absicht Jesu schloss diese Position die Möglichkeit eines Nachfogers nicht aus, im Gegenteil, sah sie sogar vor. Mit der Institution dieses Primats wollte Christus dieses Amt nicht nur auf das – relativ kurze – Leben Petri begrenzen. Als er das Kommen seines Reiches verkündete, hatte er seinen Jüngern auch zu verstehen gegeben, dass dieses Reich eine lange Entwicklung erleben sollte, da das Ende der Welt nicht vor der Evangelisierung aller Völker sein könne (vgl Mt 24,14; vgl At 1,7-8). Er hätte sich also nicht mit einer kurzfristigen Zukunft zufriedengeben können, die Machtstruktur seiner Kirche nur auf die Lebensdauer einer seiner Jünger beschränkend.

Als er dieses Primat eingeführt hat, hat Christus nicht nur an Petrus gedacht sondern auch an seine zahlreichen Nachfolger. Er wollte ein Prinzip der Organisation der Authorität verwirklichen, das für die gesamte Dauer der Kirche von Gültigkeit sein könnte. Dieses Prinzip ist definitiv, auch wenn die konkrete Umsetzung des Primats eine durch die Geschichte geprägte Entwicklung erleben kann.

Das Primat sollte nicht im Namen einer demokratischen Mentalität angefochten werden. Die Demokratie ist ein authoritäres Regime, das innerhalb der politischen Gesellschaften funktioniert, doch ist die Kirche nicht eine politische Gesellschaft und die einzige ihrer Art. Sie ist nicht einem menschlichen Gesellschaftsmodell entsprechend geschaffen worden, sondern im Zeichen eines göttlichen Willens, der die wesentlichen Strukturen festgelegt hat. Welches auch die für die anderen Gesellschaften übernommenen Strukturen sein mögen, so behält die Kirche ihre eigenen bei, die nicht aus politischen Auffassungen heraus entstehen. Im Glauben nehmen die Christen die höhere Weisheit auf, die das Einheitsprinzip der Kirche bestimmt hat.

Es handelt sich nicht nur um Weisheit, sondern auch um Liebe, denn das Primat ist Offenbarung der göttlichen Güte, einer Güte, die durch eine ausserordentliche Macht einem Menschen anvertraut worden ist und dadurch den höchsten Wert hat aufscheinen lassen den ein Mensch übernehmen kann wenn er sich ganz von Christi göttlicher Kraft beseelen lässt.

Der Sendungsauftrag, die Brüder zu stärken

Im Lukasevangelium erscheint das Petrus übertragene Primat in einem neuen Licht, das die von Christus getroffene Entscheidung hervorhebt, den Glauben des Apostels zu stärken und ihm die Fähigkeit geben soll seine Brüder zu stärken: (sinngemäss) " Simon, Simon, hier haben die unreinen Geister versucht euch wie Weizen von der Spreu zu trennen; aber ich habe für dich gebetet aufdass dein Glaube nicht schwanke; und du, du sollst nach deiner endgültigen Bekehrung zu mir die Büder stärken, du sollst der Hirte sein."

Man kann die Authentizität dieser Worte nicht anzweifeln, die eindeutig paradox sind: sie beweisen die Schwäche Petri und weisen ihm gleichzeitig die Aufgabe zu, seine Brüder im Glauben zu stärken. Diese Aufgabe entsteht aus dem Mut Jesu, der nicht zögert, für einen Sendungsauftrag zugunsten der Schwächeren denjenigen einzusetzen, der sich als der Schwächste erwiesen hat: es wird so die im Namen Petrus enthaltene Kraft des Steins (petra) zum Tragen kommen.

Die Worte Jesu offenbaren den Zweck, Simon eine privilegierte Stellung zuzuerkennen: die Zwölf werden auf die Probe gestellt und nur zu Simon spricht der Meister von dem Gebet zu seinen Gunsten. Auch den anderen wird dieses Gebet zuteil werden, doch nur insofern als sie von Petrus gestärkt werden.

Die Erklärung während des Letzten Abendmahls spielt auf die Krise an, die Simon zum Zeitpunkt der Verleugnung erleben wird. Ihre Bedeutung ist noch weitgreifender, denn die Ankündigung der Prüfungen ist sehr undefiniert, allgemein formuliert, als Sendungsauftrag die Brüder im Glauben zu stärken. Tatsächlich ist die Krise die die Passion begleiten wird, das Bild und der Beginn der Prüfungen, die die Kirche in ihrem Werdegang wird ertragen müssen: das Versprechen Jesu ist für diese Zukunft formuliert.

Die Petrus übertragene Aufgabe, die Brüder im Glauben zu stärken kann sich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränken; sie gilt für die gesamte Zeit des Bestehens der Kirche. Dieser Auftrag verbindet sich mit dem Namen "Grundstein, Fels" der dem Jünger gegeben wurde. Petrus ist die Aufgabe übertragen worden, die anderen Brüder im Glauben zu stärken: ein Auftrag, der einen Lehraspekt hat und die Verpflichtung, unbeirrt Zeugnis über den Glauben an Christus abzulegen, mit einer Gnade, die jede Schwäche überwinden hilft.

Sendungsauftrag als universeller Hirte

Jesus Dialog mit Petrus nach der Auferstehung, am Ufer des Genezareth-Sees, zeigt uns die Investitur des Jüngers in seine pastorale Aufgabe (Joh 21,15-17). Die bei Caesarea Philippi gesprochenen Worte (Mt 16, 18-19) bildeten ein Versprechen, während der erneute Dialog die Erfüllung ist. Jesus verkündet Petrus den Auftrag und überträgt ihm die Macht des universellen Hirten:"Weide meine Lämmer", " Weide meine Schafe". Diese Übertragung von Auftrag und Macht scheint das Ergebnis einer Form von Erlösung zu sein, da sie durch den auferstandenen Christus vollzogen wurde.

Jesus ruft den Apostel mit seinem Namen und mit einer gewissen Feierlichkeit:"Simon, Sohn des Johannes"; er unterscheidet ihn ausdrücklich von den anderen Jüngern, denn er fragt ihn "ist deine Liebe zu mir grösser als die der anderen?" Die Frage bezieht sich auf die Behauptung Simons, seine Liebe zu Jesus sei grösser als die der Anderen, seine Treue würde auch dann noch bestehen, wenn die der Anderen nichtmehr bestünde (vgl Mt 26,33; Mk 14,29; vgl Joh 13,37). Sie spielt auch auf die Verleugnung an, was umso offensichtlicher wird durch das dreimalige Wiederholen der Frage. Simon musste anerkennen, dass es ihm aus eigener Kraft nicht gelungen war Jesus diese Liebe, die grösser als die der Anderen sein sollte, zu beweisen. Trotz dieser Niederlage bezieht sich die Frage auf diese übergeordnete Liebe, die Simon zum Ausdruck bringen soll, doch mit anderen Mitteln, aufbauend auf der Kenntnis die Jesus von ihm hat:" Herr, du weisst Alles, du weisst dass ich dich liebe". Es ist also die Berufung auf eine höhere Liebe vorhanden, eine Berufung die die Kraft der Antwort verleiht und der Übertragung des Sendungsauftrages den Weg ebnet.

Mit den Worten:"Weide meine Lämmer", "Weide meine Schafe" wird die Mission so formuliert, dass eine Identität mit Jesus klar hervorgehoben wird. Es ist der Sendungsauftrag desjenigen, der sich "guter Hirte" genannt hat. Die Identität wird bestätigt durch die Tatsache, dass Jesus "meine Lämmer" sagt, "meine Schafe", so wie er im Versprechen gesagt hatte "meine Kirche" . Dies bedeutet, dass Christus seinen Sendungsauftrag als Hirte seiner Lämmer und Schafe ausüben wird durch die Petrus übertragene Aufgabe. Genauso wie Simon Petrus genannt wurde weil sein Schicksal dasjenige war, Grundstein der Kirche Christi zu werden, so wird ihm die Eigenschaft als universeller Hirte übertragen, die sein Meister innehatte.

Die Gleichstellung von Petrus Sendungsauftrag mit dem Christi wird durch die Verkündung seines Martyriums bestätigt: "Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen wohin du nicht willst" (Joh 21,18). Die Art und Weise der Verkündung dieses Martyriums unterstreicht auch, dass Petrus' ganzes Leben von Christus gelenkt wird: als Simon jung war, gewandete er sich frei, das heisst, er handelte völlig frei, doch nun führt ihn Jesus auf einen Weg, der mit dem Martyrium enden wird. Auch für Petrus gilt somit: "Der gute Hirte opfert sein Leben für seine Lämmer" (Joh 10,11). Was die Neuerung der Mission des Hirten ist, so wie sie von Jesus definiert wurde, erfüllt sich im Schicksal desjenigen, der zum universellen Hirten berufen worden ist. Die Übertragung des höchsten Priesteramtes auf Petrus erfordert seine vollkommene Opferbereitschaft.

Die Erzählung der Investitur Petrus' als Hirte der Kirche, unterstreicht die wesentliche Wahrheit des anvertrauten Primats: die priesterliche Macht ist ihm nicht Kraft seiner Verdienste oder persönlichen Qualitäten übertragen worden, sondern im Namen einer höheren Liebe, die die menschliche Schwäche desjenigen der auserwählt wurde zu stärken versteht, und ihm die Kraft des Grundsteins zu übertragen weiss.