Die Präsenz der Mutter Gottes in der Evangelisation der Völker – Überlegungen über vergangene und künftige Möglichkeiten (Die Rolle der Mutter Gottes im Leben, im Glauben und im Gebet der asiatischen Völker)
Sr. Celia Chua, M.I.C.
Einleitung:
In seinem Buch Die Mutter des Herrn, behauptet Karl Rahner, die Theologie der Menschen und dementsprechend auch die Theologie Mariä sollte im Kontext der Menschwerdung betrachtet werden: Hier im Christentum ist es heute, post Christum natum, nicht möglich, etwas Wahres und Konkretes über Gott auszusagen, wenn er nicht als Emmanuel – Gott mit uns –, als Gott unseres Fleisches, als Gott unserer menschlichen Natur, unserer sakramentalischen Zeichen, unserer Altare, sowie als derjenige Gott anerkannt wird, welcher von der Jungfrau Maria geboren wurde, und damit auch als Gott und Mensch in ein und derselben Person, als Mensch unter uns.1
Diese Aussage erinnert uns daran, dass die Menschwerdung die Grundlage einer guten marianischen Theologie (Mariologie) ist. Von Anfang an wollte Gott der Vater, dass uns die göttliche Erlösung von Menschen gebracht würde. Dies ist eine freiwillige Gabe des dreifaltigen Gottes, des Vaters, welcher uns auf diese Art mit sich selbst vereint. Dies bedeutet, dass wir am Erlösungswerk Gottes teilhaben können. Unsere Lehre des marianischen Lebens, Glaubens und Gebets muss sich deshalb auf die Christologie stützen. Alles, was wir über Maria sagen, muss in Zusammenhang mit der Menschwerdung gebracht werden. Alles erhält einen Sinn, wenn wir Maria mit Jesus, mit der Kirche und mit der täglichen Glaubensreise der Menschen in Verbindung setzen, und wenn wir Maria als die Mutter Jesu, Mutter des Herrn, Mutter der Kirche und unser aller Mutter betrachten.
Im Folgenden werden wir uns auf eine Glaubensreise begeben und die Rolle Mariä als Mutter Gottes in der Erfahrung der asiatischen Völker und namentlich der Katholiken Taiwans zu umreißen versuchen. Grundlegend für das Verständnis der Rolle der Mutterschaft Mariä ist ihr Titel: Mutter Gottes und Mutter aller Menschen. Das bedeutet, dass sie zugleich eine Berufung (als Mutter) und eine Mission (als diejenige, die ihren Sohn Jesus bekannt und beliebt machen soll) erfüllt, welche ihr vom trinitären Gott durch die Verkündigung und die Kreuzigung erteilt wurde. Als Mutter Gottes ist sie auch Mutter Asiens (vgl. Ecclesia in Asia, 1999). Ihre Präsenz ist in unserem Glauben, unserem Gebet und unserem Gedanke lebendig. Dies gibt unserem Glauben Leben und fördert unser Mutter-Kinder-Verhältnis zu ihr. Uns Asiaten zeigt uns Maria den Weg zu Jesus. Wie eine Mutter ihren Kindern beibringt, was gut, wahr, heilig und schön ist – die Eigenschaften Gottes –, so sind wir Kinder Gottes unsererseits dazu berufen, dasselbe zu tun.
Aus unserer Erfahrung der Glaubensreise der asiatischen Völker werden wir nun die Rolle der Mutterschaft Mariä in der asiatischen und besonders der Taiwaneschen Religiosität analysieren:
Erstens: In der asiatischen Ökumene ist Maria die Mutter der christlichen Einheit.
Zweitens: Die Katholiken Taiwans stellen eine Minderheit dar. Deshalb ist Maria die schützende Mutter im interreligiösen Dialog mit der chinesischen Volksreligion (Ma-Tzu).
Drittens: In der asiatischen Gesellschaft, wo die meisten Menschen arm an materiellen Gütern, aber reich an Werten und Kulturen sind, ist Maria die Mutter der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit.
Zum Schluss werden wir einige Stellen aus Ecclesia in Asia zitieren, welche den marianischen Glauben (auf persönlicher und kollektiver Ebene) in die Lehren des Magisterium integrieren werden.
Die Präsenz Mariä als Mutter Gottes und Mutter der Menschheit unter den asiatischen Völkern verstehen.
Bei unserer Suche nach der christlichen Einheit – eine bedeutende Aufgabe unserer Evangelisations- und Inkulturationsarbeit in Asien – ist Maria die Mutter der christlichen Einheit. Der Geist Gottes, der Theotokos, welcher der Kern des christlichen Glaubens ist, kam auf die Mutter Jesus Christi. Indem sie uns durch ihre spirituelle Mutterschaft ihrem Sohn näher bringt, trägt Maria zur christlichen Einheit bei. Theologen und Vertreter verschiedener christlicher Glaubensgemeinschaften treffen sich in einem Dialog, dessen gemeinsame Grundlage die Annahme ist, dass Maria die Mutter Jesu ist. Eine erste Gemeinsamkeit stellen nämlich die neutestamentarischen Stellen über das Leben Jesu dar. Dabei wird dem Verhältnis zwischen der Mutter (Maria) und ihrem Sohn (Jesus) sowie dem Umstand große Bedeutung beigemessen, dass Maria großen Einfluss auf die Weisheit und auf die Parabelpredigt ausgeübt hat (Lk 13:20-21; Mt 13:33; Lk 15:8-10). Eine zweite wichtige Gemeinsamkeit ist die Wiederentdeckung der Lutherschen Schriften über Maria bzw. seiner Kommentare zum Magnificat von 1521). Zwischen 1536 und 1560 kommentierte Calvin St. Lukas’ erste Kapitel und schrieb eine Reihe von Predigten über Maria. Diese Texte helfen uns christlichen Brüdern und Schwestern, unsere materielle Bindung zur Seligen Maria, Mutter Jesu, zu rekonstruieren. Unsere islamischen Brüder und Schwester können nicht leugnen, dass Jesus im Koran der Sohn einer Frau namens Myriam (Maria) ist. Maria, Mutter der christlichen Einheit, zeigt den asiatischen Völkern die Wurzeln des christlichen Glaubens: Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, von Maria geboren.
Als Minderheitsgruppe sind die Katholiken Taiwans ständig mit dem Kult um eine Frau, Ma-Tzu, konfrontiert, an die sich das Volk um Schutz und Mittlung wendet. Sie wird als „Meeresgöttin und Himmelsmutter" bezeichnet.
Die katholischen Missionare haben den Taiwanesen den Glauben an Maria in der Form von Novenen (für Unsere Mutter des ewigen Beistands), Rosenkranzgebeten (zu Unserer Lieben Frau vom Rosenkranzes) und Pilgerfahrten (zur Mutter Gottes von Lourdes) beigebracht. Das marianische Leben der Katholiken Taiwans muss allerdings noch durch die Integration von Doktrin und Devotion gestärkt werden, damit unsere Katholiken die Mutterrolle Mariä besser von derjenigen Ma-Tzus unterscheiden können. Ma-Tzu ist eine Mutter des Himmels und Göttin des Meeres, während Maria die Mutter Jesu ist. In der Vergangenheit wurde oft versucht, das Evangelium in die chinesische Kultur und Weltanschauung zu inkulturieren, und zwar durch marianische Umzüge, Gaben, spezielle Hymnen und Gebete. Der ununterbrochene Dialog mit anderen Religionen kann ein wichtiges Mittel zur Förderung des interreligiösen Verständnisses darstellen.
3. Im Alltag der Armen Asiens: Maria Mutter des Magnificat (der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit) ist mit uns.
Die überwiegende Mehrheit der Asiaten ist arm an materiellen Gütern, aber reich an Kultur und spirituellen Werten. Maria Mutter des Magnificat ist mit ihnen. Gott ist nicht nur derjenige, der Wunder wirkt, sondern auch der Gott Israels, der Gott der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit. Dank der marianischen Hymnen werden sich immer mehr Menschen dessen bewusst, dass Gott auf dieser Welt voller Ungerechtigkeit, Hunger und Unterdrückung sein Versprechen nicht vergisst. Besonders den asiatischen Frauen, welche selbst Mütter sind, aber mit vielen Problemen kämpfen müssen, gibt das Gebet an Maria Mutter der Nächstenliebe Kraft auf ihrem Weg zur echten Befreiung, indem es sie von der Wahrheit der Offenbarung überzeugt, d.h. dass Jesus immer mit ihnen ist.
Sie suchen nach einer innigeren Union mit Gott, indem sie den Glauben Mariä Mutter Jesus nachahmen. Denn Maria ist eine Frau, die glaubt, und deren Glauben deswegen immer lebendig ist, weil sie Jesus – liebendes Bild Gottes – widerspiegelt. Im Evangelium erkennen die Asiatinnen, dass Jesus die Liebe Gottes offenbart, indem er auf die Armen, die Kranken, die Ausgegrenzten, die Machtlosen und die normalen Menschen seiner Zeit zugeht. Jesus zeigt uns, wer er ist: der Retter und Erlöser. In seiner Menschheit und Gottheit zeigt er uns, dass Gott mächtig und zugleich liebevoll ist.
Schlussfolgerung:
Das Dokument Ecclesia in Asia aus dem Jahr 1999 beschreibt die Realität und die Bedürfnisse der asiatischen Völker. Es betont Marias Titel als Mutter Christi (EA 20), Mutter aller (EA 51), Christen und Nichtchristen, Stern der Evangelisation und Vorbild aller Jünger (EA 51) und schließlich als Maria Mutter Asiens (Schlussgebet an Maria). Unter den asiatischen Völker ist Maria die barmherzige Mutter (EA 11, 12, 14, 20, 45), Frau des Dialogs und der Kommunion (EA 2, 14, 19, 20) sowie Agentin der Evangelisation (EA 42-49).
Wir sind dazu aufgerufen, als asiatische Katholiken ein marianisches Leben durch die Nachahmung des mütterlichen Verhaltens Mariä zu leben: lebensspendend, einheitsfördernd, barmherzig und eins mit der Trinität. Maria als Mutter Gottes, Theotokos und Mutter aller Gläubigen – unser aller – ist auf unserer Glaubensreise zu einem neuen Himmel und zu einer neuen Erde immer präsent.
1
Vgl. Rahner, K., Mary, Mother of the Lord, New York, Herder and Herder, 1963, S.25.