Maria, treueste Jungfrau
Michael F. Hull
In der ihr gewidmeten Litanei wird die Heilige Jungfrau Maria als „Treueste Jungfrau" angerufen. Mariä sofortige und spontane Antwort auf die Worte des Erzengels Gabriel rechtfertigt diese Bezeichnung. Seit dem Augenblick der Verkündung durch Gabriel hat Mariä Antwort immer die Christen dazu inspiriert, ihre Vernunft und ihren Willen dem Glauben zu unterwerfen: „Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast" (Lk 1:38). Das Glaubensvermächtnis Mariä war derartig wichtig, dass St. Augustinus von Hippo dazu schrieb: „Maria ist wegen ihrer Wahrnehmung des Glaubens Christi seliger als wegen der Zeugung des Fleisches Christi." (Sermo 72/A.7) Als neue Eva kehrt Maria das Misstrauen und den Unglauben Evas (und Adams) um. St. Irenäus von Lyon schrieb: „Der Knoten des Ungehorsams der Eva ist durch den Gehorsam Marias gelöst worden; und was die Jungfrau Eva durch den Unglauben gebunden hat, das habe die Jungfrau Maria durch den Glauben gelöst." (Adversus haereses, 3.22.4; vgl. Lumen gentium, Nr. 56). In Maria finden wir – „die armen verbannten Kinder der Eva" – den exemplarischen Glauben an Christus; Maria ersuchen wir um Vermittlung und Schutz vor der Leugnung und dem Zweifel im Glauben, damit wir „der Versprechen Jesus wert gemacht."
Der Herr selbst bestätigte das glaubenerfüllte Vorbild Mariä. Als eine Frau aus der Menge rief: „Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, an denen du gesogen hast", antwortet Jesus: „Selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren" (Lk 11:27-28; vgl. Mt 12:46-50; Mk 3:32-35; Lk 8:21). Mit anderen Worten, das wahre Kennzeichen der Gefolgschaft – das Wort Gottes hören und es bewahren, d.h. genau das, was Maria bei der Verkündung so makellos vollbracht hat – ist nicht so sehr die Fruchtbarkeit, sondern vielmehr das Fiat Mariä. Sie bleibt von der Menschwerdung bis zur Kreuzigung – als Maria dem Leidensweg Christi beiwohnte – immer vorbildlich. Unmittelbar bevor er seinen Geist aufgibt, vertraut Jesus seine Mutter St. Johannes an – „Frau, siehe, das ist dein Sohn" – und macht Maria zur Mutterfigur St. Johannes’ – „Siehe, das ist deine Mutter" (Jo 19:26-27): „So ging auch die selige Jungfrau den Pilgerweg des Glaubens. Ihre Vereinigung mit dem Sohn hielt sie in Treue bis zum Kreuz, wo sie nicht ohne göttliche Absicht stand (vgl. Joh 19,25), heftig mit ihrem Eingeborenen litt und sich mit seinem Opfer in mütterlichem Geist verband, indem sie der Darbringung des Schlachtopfers, das sie geboren hatte, liebevoll zustimmte." (LG, Nr. 58).
Auf ähnliche Weise ist die Mittlerrolle Mariä bereits im irdischen Leben unseres Herrns begründet. Auf der Hochzeit von Kanaan kam Marias Barmherzigkeit zum Vorschein. Als der Wein ausging, bat sie ihren Sohn, ihren Freunden zu helfen. So sicher war ihr Glaube – „sicher von Dingen, auf die man hofft; überzeugt von Dingen, die man nicht sieht" (Heb 11:1) –, dass sie nicht nachprüfte, ob Jesus das Problem gelöst hatte. Sie wandte sich direkt an die Diener und befahl ihnen: „Macht alles, was er euch sagt" (Jo 2:1–11; vgl. LG, Nr. 58). Mit anderen Worten, ihr absoluter Glauben kennt kein Zögern: Sie weiss, dass ihr Sohn ihren Gastgebern sicherlich helfen wird. Und das tat er auch. „In ihrer mütterlichen Liebe trägt sie Sorge für die Brüder ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen, bis sie zur seligen Heimat gelangen. Deshalb wird die selige Jungfrau in der Kirche unter dem Titel der Fürsprecherin, der Helferin, des Beistandes und der Mittlerin angerufen" (LG, Nr. 62).
Seit zweitausend Jahren inspiriert der vorbildliche Glaube Mariä die Söhne und Töchter der Kirche. Seit zweitausend Jahren hält Maria für unsere Gebete Fürsprache bei ihrem Sohn. Es ist deshalb vollkommen gerechtfertigt, dass wir rufen: „Maria, treueste Jungfrau, bete für uns!"