Das priesterliche Zölibat

Prof. Michael F. Hull

Das Zölibat bzw. die Entscheidung, um des katholischen Glaubens willen nicht zu heiraten, ist für die Kirche eine unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung des heiligen Priesteramts. Der Priester, „wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen" (Heb 5:1). Er verspricht, um des Reiches Gottes willen zölibatär zu bleiben. Die Auslegung der Tragweite des priesterlichen Zölibats seitens der Kirche hat sich nach und nach entwickelt: Am Anfang hat der Herr selbst durch sein eigenes Zölibat ein Beispiel gesetzt und das Zölibat vorgeschrieben, wie die Evangelien – etwa Paulus’ erster Brief an die Korinther (Nr. 7) – aber auch das Zeugnis von Papst St. Leo I., Papst St. Gregorius I., des I. Lateranischen Konzils und viele andere historische Dokumente der Kirche belegen. Heute wird das Zölibat als eine vom Heiligen Geist inspirierte Entscheidung aufgefasst. Das Zölibat wird mit wenigen Ausnahmen von allen westlichen Priestern und Bischöfen und von zahlreichen östlichen Priestern und Bischöfen eingehalten. Unlängst hat die Kirche auf die Bedeutung des Zölibats hingewiesen, welche beispielsweise in Sacra Virginitas von Papst Pius XII., Presbyterorum Ordinis des II. Vatikanischen Konzils, Sacerdotalis Caelibatus von Papst Paul VI., Brief an die Priester am Gründonnerstag (1979) von Papst Johannes Paul II., sowie im Direktorium für Dienst und Leben der Priester der Kongregation für den Klerus belegt wird.

Das priesterliche Zölibat ist ein grundlegendes Zeugnis des Gottesreiches: „Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben" (Lk 18:29-30; vgl. Mk 10:27-30). Nach dem Vorbild des Herrn gelobt der Priester, ausschließlich für sein Apostolat zu leben, in der Hoffnung, zu denjenigen zu gehören, „die dem Lamm überall hin folgen" (Rev 14:4). Das priesterliche Zölibat bedeutet nicht nur, dem Vorbild des Herrn zu folgen, sondern auch sich aufzuopfern und an der eigenen Heiligkeit zu arbeiten. „Aus diesem Grund – so Pius XII. – hat die Kirche mit großer Weisheit entschlossen, dass ihre Priester ledig zu bleiben haben; sie weiß, dass das Zölibat eine Quelle spiritueller Gaben ist und sein wird, mit welchen die Priester für immer in engste Verbindung mit Gott trete" (SV, Nr. 40).

Der einzigartige Status des Priesters als alter Christus unter den Menschen verlangt von ihm, ständig nach der christlichen Perfektion im Mysticus Corpus Christi zu streben. Der Hohepriester wird durch seine Weihe auf innige und einzigartige Weise Jesus Christus dem Hohenpriester ähnlich gemacht: Er darf im Namen Christi segnen (Munus Sanctificandi), lehren (Munus Docendi) und führen (Munus Regendi). Da es den Menschen immer schwerer fällt, den Messias zu begreifen, welcher „wie ein Lamm zum Schlachten" geführt wurde (Jes 53:7), so können sie auch diejenigen nicht richtig begreifen, die sich „um die Sachen des Herrn kümmern, um heilig zu sein an Leib und Geist" (1 Kor 7:34). Das Zölibat ist ein Zeugnis des Lebens nach dem Tod, und zwar sowohl für diejenigen, die dieses Zeugnis ablegen, als auch für diejenigen, die es sehen: „Denn nach der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten, sondern sein wie die Engel im Himmel" (Mt 22:30; vgl. Mk 12:25).

Aber „nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist" von Gott (Mt 19:11): Die Gabe des priesterlichen Zölibats ergibt sich aus der priesterlichen Sendung, mit welcher Gott den Priester zur ungeteilten Liebe ruft. Indem er sich Christus und Seiner Kirche vollkommen hingibt, erhält der Priester die Gaben, die er für sein Leben und seine Arbeit benötigt. In einer Welt, welche von der Ursünde und ihren Konsequenzen getrübt ist, wird das Zölibat leider all zu oft als etwas Unnatürliches angesehen. In der Tat handelt es sich vielmehr um etwas Übernatürliches. An vielen Orten der Welt fällt der Rückgang an Neueinweihungen in eine Zeit, welche von übermäßigem Konsumverhalten, Materialismus und sexueller Zügellosigkeit geprägt ist. Das könnte als Zeichen der Wirkungslosigkeit des Zölibats gedeutet werden. Allerdings ist genau das Gegenteil der Fall, denn „wo die Sünde mächtig wurde, da ist Gnade übergroß geworden" (Röm 5:20). Heute wie niemals zuvor braucht die Welt den Herrn und das Zeugnis des priesterlichen Zölibats. „Wer das [Wort] erfassen kann, der erfasse es" (Matt 19:12).