Der Papst als Theologe und Kantor Marias
Von Prof. Bruno Forte, Rom
„Totus Tuus": „Ganz Dein"! Dies sind die Worte, die wir im Wappen von Johannes Paul II. wiederfinden, ein goldenes Kreuz auf hellblauem Grund, neben dem – im rechten unteren Feld – ein ebenfalls goldenes „M" zu erkennen ist, der Anfangsbuchstabe des Namens Maria. Das Wappen beruft sich vor allem auf das grundlegende Mysterium des Christentums, auf die durch den Sohn Gottes am Kreuz bewirkte Erlösung, Offenbarung und Geschenk der grössten Liebe, durch die der Himmel zur Erde gekommen ist und Wurzeln geschlagen hat. Der vertikale Stab des Kreuzes ist jedoch leicht versetzt, um dem monumentalen grossen M Platz zu machen, das an die Anwesenheit der Mutter Gottes zu Füssen des Kreuzes erinnert und an ihre besondere Rolle im Werk des Erlösers. So offenbaren sich bereits im Wappen die beiden grundlegenden Aspekte der geistigen Identität des polnischen Papstes: allem voran sein leidenschaftliches Nachvollziehen des Weges Christi, wahrer Mittelpunkt und wahres Herz all’ seines Tun, bis hin zur heutigen mysterienreichen Teilnahme an der Passion des Herrn. Neben diesem Mittelpunkt und Primat Christi, besteht die grosse Liebe zu Maria, der jungfräulichen Mutter Gottes, der er sich selbst ganz hingegeben hat: "Totus Tuus".
Maria nimmt in keiner Weise den Platz des Sohnes ein: sie steht ihm zur Seite, begleitet ihn bis zur Todesstunde am Kreuz; sie empfängt ihn als ein Geschenk und schenkt ihn ihrerseits; in seiner Todesstunde überträgt ihr Christus ihre Mission als Mutter des geliebten Jüngers und durch ihn als Mutter eines jeden Jüngers der alles erlösenden Liebe. Johannes Paul II. liebt Maria deshalb aus tiefstem Herzen : von ihr und durch sie erfährt er die Innigkeit und das Erstaunen einer absolut aussergewöhnlichen Beziehung zu Gott; in ihr erkennt er sich als Sohn im Sohn; aus ihrem Beispiel und ihrer Fürbitte schöpft er die Kraft seiner Mission als Diener der Diener Gottes, bis zum Schluss, über alle Müdigkeit und Mühe hinaus. Obwohl die Analysten und Interpreten des Pontifikats diese Verbindung mit der Mutter Gottes gegenüber der entscheidenden Verbindung zu Christus etwas weniger beachtet haben, so ist auf Grund ihrer Intensität und Tiefe diese Verbindung ein wichtiges Schlüsselelement um das Werk und die Botschaft dieses Papstes zu verstehen.
Aus der Lehre Marias lernt und lebt Wojtyla die Innigkeit der Beziehung zu Gott, die sich erneuernde Fähigkeit des Erstaunens vor dem Mysterium, die Beherrschung der „Mutter"-sprache, der Sprache des Herzens, durch die man, über die Grenzen des einschränkenden Verstandes hinausgehend, den Menschen ansprechen kann, die Ewigkeit beschwörend, das Unsichtbare in den hinfälligen Zeichen dieser vergänglichen Welt erkennend. Es ist eine alte Sprache, die der junge Karol von einem geliebten, ihm zur Seite stehenden irdischen Wesen erlernte, das all’ zu früh den irdischen Plan verlassen musste: „Auf deinem weissen Grab – so schreibt er im Frühjahr seines neunzehnten Lebensjahres, als er das Grab der Mutter besucht - erblühen die weissen Blumen des Lebens. / Oh wie viele Jahre sind schon verflogen / ohne dich? – wie viele Jahre? / Auf deinem weissen Grab / das verschlossen seit so vielen Jahren/ scheint Etwas sich zu erheben: / unergründlich wie der Tod. / Auf deinem weissen Grab, / Mutter, oh meine verlorene Liebe, / aus meiner Sohnesliebe / ein Gebet..." Einige Zeit später wird er tief bewegende Verse schreiben, indem er Maria in jener „Mutter"-sprache, die die Sprache der innigen Verbundenheit mit dem unsichtbaren Geliebten ist, das Wort gibt: „Mein Sohn, so unermesslich und mit solcher Bürde. Mein Sohn, so einfach / in mir gewöhnst du dich an die Gedanken der Menschen / und im Schatten dieser Gedanken harrest du des höchsten Augenblick des Herzens / der anders beginnt, in jedem Menschen / ... Eingehüllt in diesen Augenblick erlebst du keine Veränderung / und so viel Einfachheit gibst du allem was in mir lebt / dass - wenn die Mütter in den Augen der Kinder das Licht des Herzens erkennen - / ich ganz in deinem Mysterium versinke" ( „Die Mutter" von Karol Wojtyla aus Gedichte). Johannes Paul II vertraut sich selbst und uns alle Maria an, auf dass sie uns helfen möge die Muttersprache der Liebe zu erlernen, jene der Verbundenheit mit Gott, die Herz und Leben verändert.
Aus der Lehre der Mutter Gottes lernt Wojtyla auch seine Mission zu leben, als empfangenes und weitergegebenes Geschenk: die zuhörende, aufnehmende Jungfrau wird die Mutter der Liebe. Mit ihr verbunden empfindet er sich als vom Sohn geliebt, als Bruder aller Seiner Jünger, Hirte eines Volkes das aus der Menschwerdung des Wortes entstanden ist. „Ich bin Johannes, der Fischer. Nur wenig / in mir magst Du lieben" sagt der dichtende Papst, und wird zu unserem Sprachrohr. Und die Stimme ist Erinnerung einer Begegnung: „Ich spüre noch: am Ufer des Sees, den feinen Kies unter den Füssen - / und plötzlich – Er". Aus dieser Begegnung entsteht das neue Leben, für alle Ewigkeit neues Leben: jenes, das er in Pompeji für sich, für uns alle erbittet: „Er hat gewollt, dein Name sei Mutter. / Ich bete es möge so bleiben und das Wort möge seinen Wert nicht verlieren... / Es ist wahrhaft schwer Worte zu ergründen / deren Bedeutung Er in uns beide eingegossen hat / auf dass in ihnen die ganze überbrachte Liebe eingehüllt sein möge". (ib; ) Das für alle erbetene Leben ist für alle Geschenk und Versprechen, wie auch die Worte sagen, die Wojtyla als Dreissigjähriger schrieb und die heute den Hauch einer Ahnung aufweisen: „Deine unendliche Ruhe wird in mir kein Ende finden / einziges Ziel meines Weges, auf dass sie eines Tages mein sein möge / ich werde wie das Flussbett sein, das ihren lichten Strom begleitet / auch wenn der Körper leblos ist". So also, als Theologe und Kantor Marias übergibt uns der Papst die Botschaft einer Hoffnung die über alle Finsternis und alle Hindernisse hinauszugehen weiss: die Hoffnung Gottes, auf seine Gerechtigkeit, seinen Frieden; die Hoffnung des „Magnifikat" des alten und immer neuen Gesangs der Jungfrau, Mutter des Sohnes und unsere Mutter, Maria.
A.d.Ü: Die Übersetzung der Gedichtpassagen ist vom Übersetzer frei gestaltet worden, da keine offizielle deutsche Übersetzung der Gedichte vorlag.