DIE SCHEIDUNG ALS ATTACKE GEGEN DIE FAMILIE
Die Scheidungsepidemie (GS 47), die wir gerade erleben, sowie das Vordringen scheidungsfreundlicher Gesetzgebung und Ideologie stellen ein besorgniserregendes Zeichen der Zersetzung der Ehe- und Familiengemeinschaft dar. Es handelt sich um ein Phänomen, das selbst das Leben christlicher Paare beeinflußt.
Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Scheidung bürgerlichen Rechts nicht auf einem tatsächlichen Menschenrecht basiert. Bei dieser Gesetzgebung handelt es sich nicht darum, ein Recht anzuerkennen, sondern in den meisten Fällen vielmehr darum, „eine vermeintliche Lösung für ein gravierendes gesellschaftliches Problem", etwa die Auflösung der Ehe, zu bieten.
De facto allerdings verleiten die Scheidungsgesetze Gesellschaft und Staat dazu, langsam aber sicher das eheliche Band umzuinterpretieren, und zu denken, die Ehe könne geschieden werden. Diese Gesetze, die eine soziale und pädagogische Funktion haben sollten, entleeren eines der wichtigsten Elemente des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens, selbst wenn es bekannt ist, dass dies weder gerecht noch moralisch ist.
Außerdem lehrt uns die Erfahrung, dass sich diese Art von Gesetzen nach und nach radikalisiert. Immer mehr Ehen werden geschieden. Selbst Paare, die keine unlösbaren Probleme haben, sondern nur eine vorübergehende Krise erleben, werden ermutigt, auf dieses Rechtsinstrument zurückzugreifen. Oft wird sogar erlaubt, dass das eheliche Band auf Anfrage beider Eheleute oder nur einer Partei aufgelöst wird, als man den anderen einfach so verstoßen dürfe. Von einem rechtlichen Gesichtspunkt wird die Ehe schlechter gestellt als persönlich und gesellschaftlich viel weniger wichtige Verträge.
Was ursprüglich eine Lösung hätte sein müssen, unterminiert auf diese Weise sowohl die Ehe als auch die Familie.
Indem der Staat die Ehebindung derart entwertet, erfüllt er nicht seine Grundpflichte gegenüber dem Gemeinwohl der Gesellschaft. Bekennt sich der Gesetzgeber zu keinem Glauben, so darf er sich außerdem nicht den Menschenrechten und der Menschenwürde überlegen fühlen, welche er hier ganz eindeutig antastet.
Das Vordringen einer scheidungsfreundlichen Kultur hat nichts mit der vermeintlichen „Autonomie" der Gesellschaft und der Zivilbehörden zu tun, sondern sie rührt vielmehr aus der individualistisch-utilitarischen Auslegung des Menschen und seiner Freiheit.
An der Wurzel dieses Phänomens liegt die Entartung des Freiheitsgedankens, wobei die Freiheit lediglich als die Möglichkeit aufgefasst wird, alles zu tun und zu lassen, was man möchte, und zwar ohne Respekt für andere und ihr Wohlergehen oder für die objektive Wahrheit. Nach diesem Gedanken kennt das Individuum keine reele Selbsthingabe und ist ein egozentrischer Egoist. Diese utilitaristische und unverantwortliche Freiheit ist das Gegenteil der Liebe und hat sich sehr bald als eine Bedrohung für die Familie entpuppt.
Die Wahrheit dagegen ist, dass die Liebe die angeborene Grundberufung jedes Menschen ist (vgl. FC 11), und dass der Mensch sich selbst nur in der ehrlichen Selbsthingabe finden kann (vgl. GS 24); der Christ weiß sehr wohl, dass Gott Liebe ist, und dass Gott den Mann und die Frau für ein Leben der Kommunion geschaffen hat.
Die Natur der Selbsthingabe, welche durch die eheliche Bindung von Mann und Frau am besten verwirklicht wird, ist dauerhaft und unwiderruflich. Die Unzertrennlichkeit der Ehe rührt aus dieser Selbsthingabe in der Liebe her und wird als Sakrament in die Selbsthingabe Jesu Christi am Kreuz miteinbezogen.
Der Mensch ist zwar schwach und das Leben kann manchmal schwer sein, aber die Kirche muss der Wahrheit über die menschliche Liebe treu bleiben. Ansonsten könnten die Freiheit, die Liebe selbst und das Glück des Menschen verloren gehen, welcher sich selbst nicht mehr verstehen würde. Wenn dagegen die Kirche die wahre Freiheit und die Kommunion der Menschen in der Ehe bewahrt, dann wird die Gesellschaft eine Zivilisation ausbauen können, die dieses Namens würdig ist, eine Zivilisation der Liebe.
Die Scheidung verneint die Einheit und die Stabilität der Ehe und damit auch die Liebe. Sie schadet dem Wohl der Gesellschaft, der Individuen und der Familien. Die Werte der Ehe und der Familien müssen im Mittelpunkt des menschelichen, kulturellen und sozialen Lebens stehen. Das Gottesvolk muss das Evangelium Christi verkündigen und erleben und dadurch die Werte des Evangeliums verbreiten. Denn diese Werte sind die Urform der wahren Selbsthingabe des Schöpfers und Erlösers, welche durch das Sakrament der Ehe in der Gnade des Heiligen Geistes verwirklicht wird.
Alfonso Carrasco Rouco
Fakultät der Theologie San Damaso
Madrid