Kommentar zur Nr. 12 von LABOREM EXERCENS

Die Nr. 12 der Enzyklika steht im II. Kapitel, das sich auf den "Konflikt zwischen Arbeit und Kapital im gegenwärtigen Abschnitt der Geschichte" bezieht. In der Nr. 11 wird ausgeführt, dass einige versucht haben, diesen "Konflikt" schlechthin als Konflikt mit Klassencharakter zu definieren, der seinerseits Ausdruck des ideologischen Konflikts zwischen Kapitalismus und Marxismus sei, wobei letzterer – als Ideologie des wissenschaftlichen Sozialismus und des Kommunismus verstanden – als Wortführer des Proletariats der ganzen Welt auftrete. Auf diese Weise sei der Konflikt zwischen der Welt der Arbeit und der Welt des Kapitals zu einem programmierten Klassenkampf mutiert, der nicht nur mit ideologischen, sondern vor allem mit politischen Mitteln geführt werde.

Ausgehend von dieser Einschätzung schlägt Johannes Paul II. vor, diese Thematik in einem größeren Zusammenhang zu behandeln, um sie aus dieser allein ideologischen Perspektive herauszulösen. Er lädt dazu ein, sich das Problem des Menschen im "ganzen Kontext der zeitgenössischen Wirklichkeit" (Nr. 11) als authentisches Problem zu eigen zu machen.

Inmitten der Komplexität dieser zeitgenössischen Welt, heißt es dann in Nr. 12, sei es wichtig, der "Arbeit" vor dem "Kapital" den Vorrang zu geben. Denn im Produktionsprozess sei die Arbeit eine "hauptsächliche Wirkursache", während das Kapital eine "instrumentale Ursache" sei. Und diese Wahrheit wird aus der gesamten Menschheitsgeschichte abgeleitet. Die Arbeit ist aber notwendigerweise mit der Frage des Besitzes verbunden, denn durch die Arbeit eignet sich der Mensch einen Teil der geschaffenen Welt an, sei es die Erde, das Erdinnere, das Meer oder den Weltraum.

In der Natur findet der Mensch einige Schätze, die er nicht selber schafft, sondern sich durch seine Intelligenz in einem Umwandlungsprozess zu eigen macht und in den Produktionsprozess einfügt, um später ihren Gebrauch zu vervollkommnen. "Diese Gesamtheit der Mittel ist das geschichtlich gewachsene Erbe menschlicher Arbeit" (Nr. 12). Auch die modernste Technik, so kompliziert sie auch aussehen mag, ist eine Frucht der menschlichen Arbeit und darf nie über sie gestellt werden.

Die Gesamtheit dieser Produktionsmittel, die heute ein Synonym für Kapital ist, gibt es nur als Folge der Arbeit. Wenn der heutige Mensch diese ganze Ansammlung von technischen Mitteln gebrauchen will, setzt dies zweifellos eine größere Fertigkeit voraus. Man könnte meinen, die Perfektionierung der Maschine mache den Menschen überflüssig, aber es wäre ein grober Fehler, die menschliche Arbeit der Technik hintan zu stellen.

Die Position der Kirche bestand immer darin, der Arbeit eine höhere Bedeutung beizumessen als den Produktionsmitteln und dem ganzen sozio-ökonomischen System. So ist der Mensch, unabhängig von der Arbeit, die er verrichtet, und nur der Mensch, eine Person, die über den Dingen steht.

Daraus ergeben sich einige Fragen die im folgenden Teil der Enzyklika behandelt werden. Wie soll eine Gesellschaft organisiert sein, in der sich die Vorherrschaft des Menschen über das Kapital und die Technik widerspiegelt? Wie soll mit Arbeitslosigkeit umgegangen werden, die die Kybernetik produziert, und daraus folgend, wie soll mit dem Ausschluss von Massen der arbeitenden Bevölkerung umgegangen werden, mit der Konzentration des Kapitals in den Händen von wenigen und der wachsenden Armut? Wie kann man arbeitsrechtliche Grundlagen schaffen, die es ermöglichen, ein gerechtes Gleichgewicht zwischen Arbeiter und Unternehmer zu erreichen?

 

Prof. Silvio Cajiao

Università Saveriana - Bogotà