Der Staat kann in Wertefragen nicht neutral bleiben
Bischof Julian Porteous, Sydney (Australia)
Hindergrund der wichtigsten Beziehungen, in denen wir stehen sind nicht persönliche Vorteile sondern die Möglichkeit, Liebe zu geben und zu empfangen. Auf diese Weise bauen wir an der ‘brüderlichen Gesinnung, in der die Menschen in Wahrheit und Liebe untereinander leben sollen’ (Katechismus der Katholischen Kirche Nr.1878; vgl. auch Gaudium et Spes Nr.24). Gesellschaften sind im Idealfall der Versuch, die Liebe in der Bevölkerung zu verbreiten und insbesondere denen Liebe entgegenzubringen, die ihrer am meisten bedürfen. (vgl. Johannes Paul II, Centesimus Annus Nr. 10 über die Option für die Armen, Bestätigung der Lehre von Leo XIII in Rerum Novarum Nr .125). Die Gesellschaft ist folglich nicht wert-frei sondern ‚notwendig für die Verwirklichung der Berufung des Menschen’ (Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 1886)
Es gibt viele Möglichkeiten, in der Gesellschaft Liebe weiterzugeben, bspw. durch die Gesundheitsversorgung, die Unterstützung von Familien, die Erleichterung des Zugang zu Erwerbstätigkeit, den Schutz wesentlicher Elemente der Freiheit. Der Staat hat eine besondere Verpflichtung sicherzustellen, dass diesen Bereichen entsprechend Rechnung getragen wird, dass Gesetz und Autoritäten nur zu diesen Zwecke ausgeübt werden. Papst Johannes XXIII in erklärt in Pacem in Terris (Nr. 46) ‘Die menschliche Gesellschaft kann weder gut geordnet noch fruchtbar sein, wenn es in ihr niemanden gibt, der mit rechtmäßiger Autorität die Ordnung aufrechterhält und mit der notwendigen Sorgfalt auf das allgemeine Wohl bedacht ist.’.
Gerechtigkeit und Liebe erfordern, dass der Staat zum Wohl jedes Einzelnen arbeitet – das ist mit Gemeinwohl gemeint. Das Gemeinwohl anerkennt also, dass ‘Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen die menschliche Person ist und auch sein muss’ (Gaudium et Spes Nr. 25).
Das bedeutet, dass der Staat niemals völlig neutral in Wertefragen sein kann. Denn der Staat existiert nur zu dem Zwecke, dass der Wert der Person anerkannt wird, die Schwachen beschützt und das Gemeinwohl gefördert wird.
Heutzutage kommt die Frage der Neutralität meist dann auf, wenn es darum geht, dass der Staat nicht das Wertesystem einer bestimmten Gruppe einer anderen vorziehen soll. So kann es bspw. für die Leute durchaus in Ordnung sein, dass wir in unserem Privatleben Katholiken sind, sie möchten aber nicht, dass wir diese Werte in das öffentliche Leben einbringen.
Wir können unseren Glauben und unserer Bewusstsein als Katholiken aber nicht auf unser Privatleben beschränken. Der Herr selbst und ebenso die fortwährende Lehre Seiner Kirche fordern uns auf, unsere Stimme für die Armen zu erheben, Ehe und Familie zu unterstützen, denen, die sich kein Gehör verschaffen können, unsere Stimme zu leihen und unschuldiges Leben zu verteidigen. ‘Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.’ (Mt 25, 40). Wir können nur dann evangelisieren, wenn wir die Freiheit haben, in den sozialen Kernbereichen im Sinne der Weisheit unseres katholischen Glaubens zu argumentieren und zu arbeiten.
Der moderne, demokratische Staat fördert die Werte des säkularen Liberalismus unter der Annahme, dass diese Werte einen Höhepunkt von Zivilisierung und Fairness darstellen. Aber eine Demokratie muss, wie Johannes Paul II ausführt, von einem moralischen Bezugssystem untermauert sein. Die Legitimität ‘hängt von der Übereinstimmung mit dem Sittengesetz ab’ (Evangelium Vitae Nr. 70).
Hoffen wir, dass in den Gesellschaften an Stelle der überstrapazierten, alten Werte des Säkularismus des 20. Jahrhunderts das Konzept des Menschen als Ebenbild Gottes und Hoffnung der Menschheit wieder an Kraft gewinnt. Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: ‘Die soziale Gerechtigkeit lässt sich nur dann erreichen, wenn die überragende Würde des Menschen geachtet wird.’ (Nr. 1929) Wo der Staat die Person an die erste Stelle setzt, verstärkt er seinen Einsatz für das Gemeinwohl. Und wo das Gemeinwohl in Gerechtigkeit und Liebe angestrebt wird, sind Personen und nicht Neutralität im wahren Fokus des politischen Lebens.