Der Schutz der Lehre und der Moral im Kirchenrecht

Facultad de Teología San Dámaso, Madrid

1. Die Struktur des CIC von 1983 setzt offensichtlich die Lehre des II. Vatikanischen Konzils um. Ganz nach dem Vorbild der Lumen Gentium folgt im Codex auf die Allgemeinen Normen das Buch über „Das Volk Gottes" (Buch II.). Daran schließt sich das III. Buch mit der Beschreibung des Verkündigungsdienstes der Kirche und der Tria Munera an. Auch in der Enzyklika Dei Verbum wird interessanterweise betont, die Kirche vermittle die Offenbarung „in Lehre, Leben und Kult durch die Zeiten weiter und übermittelt allen Geschlechtern alles, was sie selber ist, alles, was sie glaubt". Im CIC wird die gesamte Kirche von vornherein als aktiver Subjekt der Glaubensvermittlung angesehen. Dies stellt ein Novum im Vergleich zum früheren Codex dar, der vom „ekklesialen Lehramt" ausging.

Nach der Bibel und der Tradition umfasst diese Funktion das Depositum Fidei, allerdings nicht im Sinne eines unveränderlichen „Besitzstandes", sondern im Sinne eines lebendigen Verhältnisses zum Glauben, welches sich wiederum in zwei Hauptmomenten entfaltet: Die Aufnahme und die Überlieferung. Einerseits ergibt sich die kirchliche Identität aus der Pflicht, das Glaubensgut aufzunehmen, aus dem sie ihren Sinn und ihr Selbstverständnis schöpft. Auf der anderen Seite ergibt sich diese Identität aus der Verkündigung des Glaubensgutes an die Menschheit, wobei die Kirche in der Lage sein muss, seine Hoffnung an andere zu kommunizieren. Aus diesem Grund spricht der Codex von einer Pflicht bzw. einem angeborenen Recht, das Evangelium zu verkündigen. Dies bedeutet, dass sich dieser Auftrag weder lediglich aus dem Willen der Kirchenmitglieder ergibt, noch von einer irdischen Autorität erteilt wird, sondern sich aus dem Wesen der Kirche selbst sowie von Jesus Christus und seinen Gaben herleitet.

Nach dieser grundlegenden Aussage über die Verkündigungskompetenz der Kirche betont der Codex, gehörte die Moral zu dieser Kompetenz. Der Gesetzgeber ist nicht auf die Schutzmechanismen dieser Pflicht bzw. dieses Rechts der Kirche eingegangen, sondern hat stattdessen die kirchliche Kompetenz in moralischen Fragen beschrieben. Diese Kompetenz wird nämlich des öfteren bestritten, manchmal sogar im Namen irgendwelcher theologischer Theorien, für die sich aus der Verkündigungsaufgabe keinerlei Spezialkompetenz auf dem Gebiet der menschlichen Moral herleiten lässt. Argumentiert wird hingegen philosophisch oder politisch, wenn man die Stimme der Kirche im öffentlichen Leben zum Schweigen bringen möchte. Die Verkündigung wirft allerdings Licht sowohl auf das Geheimnis der Existenz der Menschen als auch auf den Weg zu deren Erfüllung. Der Codex behauptet, die Kirche besitze das Recht und die Pflicht, die Moral zu verkündigen und zu schützen, insbesondere, wenn die Menschenwürde, die Grundrechte oder das Heil selbst auf dem Spiel stehen. Es ist Aufgabe aller Gläubigen und namentlich der Hirten, dieses Grundprinzip in der Gesellschaft durchzusetzen.

Bei der Verkündigung des Glaubens und beim Schutz der Menschenwürde weiß die Kirche, dass sie „dem tiefsten Verlangen des menschlichen Herzens entspricht"; jedes Individuum hat nämlich von Natur aus das Recht und die Pflicht, nach der Wahrheit zu suchen, besonders in göttlichen Angelegenheiten, sowie nach dieser Wahrheit zu leben. Der Codex legt deshalb ausdrücklich fest, dass die Glaubensverkündigung jedermanns Gewissen und Freiheit zu respektieren und zu fördern hat. Eine gegensätzliche Auffassung würde gegen das Glaubensgut verstoßen und jedweden persönlichen Dialog mit der Wahrheit und damit das kirchliche Lehramt selbst unterminieren.

Der Codex verteidigt die traditionelle Lehre der angeborenen Lehrkompetenz der Kirche in Fragen de Fide et Moribus und erneuert sie durch die konziliäre Lehre der Teilnahme der Gottesvolkes an der Mission Christi. Das Evangelium erweist sich für den Menschen notwendig, um sich selbst, den Weg seiner Existenz, seine Würde und seine persönliche Religionsfreiheit zu verstehen.

2. Das Kirchenrecht legt die Modalitäten fest, mit welchen die Gläubigen an dem Lehramt der Hierarchie teilnehmen. Dadurch hütet es die christliche Doktrin und Moral, deren Inhalte nicht der menschlichen Willkür überlassen werden dürfen. Denn selbst das Amt des Papstes, der Bischöfe und der Priester steht im Dienste des Wortes Gottes und der Offenbarung gemäß dem göttlichen Heilsvorhaben.

Das Lehramt leitet seine Autorität aus dem Evangelium ab, zu dessen Verkündigung Christus seine Apostel entsandt hat. Weder die Apostel noch ihre Nachfolger dürfen das einzige Evangelium Christi frei interpretieren, sondern sie haben es gehorsam in sich aufzunehmen und zu verkündigen. Dazu erhalten sie die Gabe des Geistes, durch dessen Beistand ihr Amt unfehlbar wird.

Christus wollte die ununterbrochene Überlieferung des Evangeliums durch ein permanentes Amt apostolischer Botschafter sicher stellen – was nur kraft der Gnade des Heiligen Geistes möglich ist –, welches derart gestaltet ist, dass seine Botschafter echte Zeugen der Wahrheit sind. Die einschlägigen Canones (kürzlich durch den apostolischen Brief Ad tuendam Fidem ergänzt) schützen die Lehre und die Moral, denn sie orientieren alle Gläubigen an der Wahrheit des Evangeliums. Denselben Zweck verfolgen zugleich die Canones, welche die Gläubigen in einem jeweils unterschiedlichen Maß zum Lehramt verpflichten und die Kriterien eines wahrlich nach Christus ausgerichteten Lebens festlegen – darunter die aufrichtige, freie und intelligente Aufnahme der Verkündigung. Alle Gläubigen, einschließlich der Hierarchie, werden dazu aufgerufen, dem einzigen Meister und dem einzigen Evangelium zu folgen, und ihren Auftrag des Schutzes und der Überlieferung des Wortes Gottes – und nicht des eigenen – zu erfüllen, ihn als den Meister anzuerkennen und nicht das zu predigen, was ihnen der eigene Verstand diktiert.

Jesus Christus hat den Verkündigungsdienst zwar Petrus, den Aposteln und ihren Nachfolgern anvertraut, aber das Glaubenszeugnis ist Aufgabe aller Christen, da es sowohl ein Recht als auch eine Pflicht ist, die sich aus Taufe, Firmung und den anderen kirchlichen Sakramenten herleitet. Das Leben eines jeden Gläubigen ist ein Geschenk Christi, der Versöhnung und der von Christus ermöglichten Kommunion mit Gott und den Mitmenschen. Der Gläubige muss diese Wahrheit durch Worte und Taten zum Ausdruck bringen. Das ist zum Schutz der christlichen Lehre und Moral erforderlich, welche von dem Lebenszeugnis und der Heiligkeit des gesamten Gottesvolkes getragen wird. Es ist ebenfalls erforderlich zur Lebendigkeit und zum Fortbestand des Glaubens eines jeden Christen, denn der Glaube (und mit ihm die Lehre und die Moral) lebt von seiner Erfüllung und seiner Überlieferung in der Welt.

In diesem Sinne sollte das Lehramt des Papstes und der Bischöfe als ein Dienst zum Schutz des christlichen Glaubens betrachtet werden. Der Papst, die Bischöfe und auf noch direktere Art und Weise die Priester – Mitarbeiter der Bischöfe, welche das Evangelium im Alltag des ihnen anvertrauten Volkes verkündigen – halten die Gläubigen auf dem richtigen Weg des Gehorsams gegenüber dem Wort Gottes. Indem das Recht die formellen Aspekte der Kommunion der Gläubigen in der Kirche hütet, hütet es zugleich Lehre und Moral, denn der Glaube an das Evangelium geht Hand in Hand mit dem Leben in Kommunion mit Christus, wie es die Apostel seit dem Anfang verkündigt haben.

3. Bei der Ausübung des Lehramts räumt das Kirchenrecht der Verkündigung einen vorrangigen Platz ein, denn das Volk Gottes wird durch das Wort Gottes vereint. Das ist auch der grundlegende Sinn des Lehramts als Dienst am christlichen Glaubensleben. Dass die Erinnerung an Christus in den Gläubigen auf ewig lebendig bleibt, sollte niemals für selbstverständlich gehalten werden. Davon hängt jedoch die Erfüllung der christlichen Berufung und der Mission der Kirche in verschiedenen historischen Rahmenbedigungen ab. Deswegen schützt der Codex das Glaubensgut, wenn es der Verkündigung des Evangeliums Vorrang einräumt, denn nur durch die Verkündigung lässt sich der Glaube lebendig und echt erhalten, und das christliche Leben an die Bedürfnisse und die menschlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen anpassen, welche die Kirche auf ihrem Weg bewältigen muss.

Mit denselben Zielesetzungen beschreibt das III. Buch die Katechese als eine wesentliche Dimension des Munus Docendi. Das ist ein grundlegendes Mittel der Ausbildung der Gläubigen, mit dem diese im Glauben aufwachsen und der Glaube durch die Lehre und die Erfahrung des christlichen Lebens lebendig wird, sich entfaltet und zu Taten führt, zum Wohl des Einzelnen und seiner Mission in der Welt. Die Pflege der Katechese zählt deshalb zu den wichtigsten Pflichten der Kirchenhirten, wenngleich alle Gläubigen – besonders die Eltern – ebenfalls einen Teil dieser Verantwortung tragen.

Der CIC enthält eine Reihe von Normen, welche die vollständige Überlieferung der christlichen Lehre und Moral durch die Verkündigung und die Katechese regeln, welche immer in der Kommunion des Glaubens stattzufinden und „sich auf Schrift und Überlieferung, auf Liturgie, Lehramt und Leben der Kirche zu stützen" haben.

4. Das Hauptziel des Kirchenrechts besteht insoweit darin, dass die Glaubensverkündigung und die Katechese in Freiheit erfüllt werden können, eventuell im Rahmen organisierter Gefüge assoziativer Art. Der Codex bekräftigt die Freiheit der Kirche bei der Verkündigung des Evangeliums, bei der Gestaltung ihrer katechetischen und erzieherischen Aufgaben sowie bei der Organisation katholischer Schulen und Lehrzentren jeden Niveaus. Dabei schützt das Recht die christliche Lehre und Moral in der Welt und dadurch die Menschen selbst.

Der Codex legt ferner fest, dass sich keine Schule oder Universität ohne die Zustimmung der kirchlichen Autorität katholisch nennen darf, und dass die Erteilung des katholischen Religionsunterrichts nur auf Bestellung oder mit Zustimmung des Ortsordinarius erfolgen kann. Dadurch wird das Recht der Gläubigen auf eine wahrheitsgemäße Unterrichtung der katholischen Lehre geschützt. Auch in diesem Fall sollte die christliche Lehre und Moral vor eventuellen Fehlinterpretationen oder Manipulationen geschützt werden.

Der rechtliche Schutz der katholischen Wahrheit nimmt auf Hochschulniveau besonders konkrete Züge an und regelt den Lehrauftrag der theologischen oder kirchenrechtlichen Fächer, welche die Kommunion mit der Kirche sowie die Integrität der Lehre und der Lebensführung zu wahren haben.

Schließlich erkennt das Kirchenrecht die Bedeutung der Kommunikationsmittel bei der Meinungsbildung und im Leben unserer Zeitgenossen an, denn es widmet ihnen einen ganzen Titel. Wegen ihrer ausschlaggebenden Rolle bei der Überlieferung der Offenbarung nehmen Bücher dabei einen besonderen Stellenwert ein. Das Kirchenrecht erstellt Kriterien für die Neuauflage der Heiligen Schriften, der Liturgie, der Katechismen, der Lehrtexte oder der kirchlichen Gesetzbücher, sowie die Herausgabe neuer theologischer oder glaubensgutrelevanter Werke. Zugleich wird die Notwendigkeit anerkannt, den Glauben und die christliche Moral mit allen verfügbaren Kommunikationsmitteln zu schützen und zu verkündigen, worauf die künftigen Kirchenlehren weiter eingehen werden.

Zusammenfassend besteht die Hauptzielsetzung des III. Buchs des CIC im Schutz, im getreuen Erhalt und in der Überlieferung des Glaubensgutes im Glauben und in der Moral. Die Kirchengesetze ergeben sich aus der Natur der Offenbarung sowie aus dem Bedürfnis, die Offenbarung in vollständiger Kommunion mit der Kirche zu erleben. Ganz nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils beschreibt der CIC die Verantwortung aller Gläubigen bei dieser Aufgabe, je nach Art ihrer Berufung und der Befugnisse ihrer Ämter.

Das Buch De Ecclesiae Munere Docendi zeugt vor allem davon, dass die Kirche die Autorität des einzigen Evangeliums Christi sowie den Umstand anerkennt, dass ihre Existenz durch die Aufgabe begründet ist, das Wort Gottes gehorsam aufzunehmen, zu bewahren und getreu zu überliefern.