Identität und Heiligkeit des Priesters

Michael Hull

23. November 2004

 

Ohne Zweifel besteht in unserer Zeit die Notwendigkeit der Erneuerung des Priesteramtes. Die kühnen Hoffungen hinsichtlich seiner Erneuerung, die vom zweiten Vatikanischen Konzil ausgegangen waren, haben sich in den vergangenen vierzig Jahren nicht erfüllt. Diese waren vielmehr von einer beispiellosen Krise im Priesteramt gekennzeichnet, die mit der Lossagung vom Priesterstand und einem Mangel an Berufungen einher ging. Diese Krise kann nicht mit der gleichgültigen Behauptung abgetan werden, es handele sich dabei um ein Übergangsphänomen oder die Neudefinition der Berufung der Laien. Diese Krise muss in dem direkten Versuch überwunden werden, sowohl ihre Ursachen zu verstehen, als auch in dem Bemühen, Aspekte herauszuarbeiten, die zur Erneuerung des Priesteramtes dienen. Zwei dieser Aspekte für die Erneuerung sind die Rückgewinnung der Identität und der Heiligkeit des Priesters. Diese sind von jeher unabdingbar miteinander verbunden. Identität und Heiligkeit des Priesters bilden die zwei Seiten einer Medaille, die zwar voneinander unterschieden, nicht aber voneinander getrennt werden können.

Die Identität des Priesters

Die Rückgewinnung der Identität des Priesters ist von zentraler Bedeutung für die Erneuerung des Priesteramtes. Die Identität des Priesters gründet sich auf seine Gleichförmigkeit mit Jesus Christus. Die Identität des Priesters besteht ja in der Tat in seiner einzigartigen Identifikation mit Christus. In jüngster Zeit wurde die Rolle der Priester und die Rolle der Laien jedoch von so manchem innerhalb und außerhalb der Kirche verwechselt. Einige Priester verlegten ihre Identität durch die Überhöhung der Rolle der Laien bis hin zur Gleichstellung des allgemeinen Priestertums der Laien mit dem ministerialen Priestertum. Ebenso verwechselte mancher Laie die Früchte des Sakramentes der Taufe mit denen der Priesterweihe. Die Unklarheit über die jeweils eigene Rolle führte häufig zu einer Laifizierung des Klerus und einer Klerifizierung der Laien. Beide Phänomene bringen Schaden mit sich, sowohl für die Verschiedenartigkeit der unterschiedlichen Glieder der Kirche als auch für das Streben nach Heiligkeit seitens der Priester und der Laien. Aus diesem Grund hat Papst Johannes Paul II auf der Bischofssynode 1990 und in seinem postsynodale, apostolischen Schreiben Pastores dabo vobis (Über die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart [1992]) die Identitätskrise der Priester in besonderer Weise thematisiert. Der Papst konstatiert darin: “Der Priester findet die volle Wahrheit seiner Identität darin, sich von Christus herzuleiten, in besonderer Weise an Christus teilzuhaben und eine Weiterführung Christi, des einzigen Hohenpriesters des Neuen und Ewigen Bundes, zu sein: Er ist ein lebendiges und transparentes Abbild des Priesters Christus.” (PDV, Nr. 12). Wenngleich es wahr ist, dass alle Katholiken – Priester und Laien – durch die Taufe in Christus und seine Kirche inkorporiert werden, besteht ein substantieller Unterschied zwischen Priestern und Laien. Priester haben Kraft der Priesterweihe Anteil an einer einzigartigen Beziehung zum Hohenpriester. Diese Beziehung unterscheidet sich nicht nur in ihrem Grad, sondern auch in ihrer Beschaffenheit von der Beziehung zwischen Christus und den Laien. Die Bischofssynode von 1990 und die Pastores dabo vobis folgten sehr kurz auf die Synode von 1987, die in das postsynodale, apostolische Schreiben des Papstes Christifideles laici (Über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt [1988]) mündete. Der Papst betrachtet darin auf sorgsame Weise die Rolle der Laien in der Kirche und in der Welt, im Licht des Konzils und unter besonderer Berücksichtigung der Lumen gentium. Die Lumen gentium ist absolut eindeutig in der Aussage, dass das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des Dienstes (das hierarchische Priestertum), sich „dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach” unterscheiden (Nr. 10). Dem Beispiel des Konzils und der Synode von 1987 folgend, widmet der Papst in Christifideles laici, der Gefahr Aufmerksamkeit, den Status der Priester und den der Laien miteinander zu verwechseln. Er unterstreicht darin: “Mehr noch als für die Menschen, die sie empfangen, sind die geweihten Ämter eine große Gnade für die gesamte Kirche.” (CL, Nr. 22). Dies ist einer der springenden Punkte, denn hier wird unterstrichen, dass die Priester aus einem spezifischen Grund geweiht werden, nämlich um im Dienst des Volk Gottes zu stehen. Geht der ontologische Unterschied zwischen Priester und Menschen verloren, so verliert sich auch der wichtige Dienst der Geweihten an den Menschen. Eine Krise der Identität des Priesters ist immer dann zu verzeichnen, wenn das spezifische, ontologische Band das Priester – und nur die Priester – mit Christus verbindet, in Vergessenheit gerät oder ablehnt wird. Dieses Band entsteht durch die Priesterweihe, durch sie wird der Priester ein alter Christus. Da er ein “anderer Christus” ist, hat der Priester das Recht und die Verantwortung zu heiligen (munus sanctificandi), zu lehren (munus docendi) und zu regieren (munus regendi). Seine Bemühungen, all jene zu heiligen, zu lehren und zu regieren, die seiner pastoralen Sorge anvertraut sind, kennzeichnen seine Identifizierung mit Christus, der zugleich Priester, Prophet und König ist. Versagen Priester in dieser Aufgabe zu heiligen, zu lehren und zu regieren, so ist ihre Identität folglich verzerrt und entstellt und die Laien werden der Grundlagen des priesterlichen Dienstes beraubt, die „für ihr Leben und für ihrer Teilhabe an der Sendung unverzichtbar [sind].” (CL, Nr. 22).

Die Erneuerung des Priestertums in Bezug auf die Identität des Priesters steht und fällt folglich mit der Ausübung des priesterlichen Amtes in der Kirche. Das Priestertum des Dienstes muss kühn und unerschrocken ausgeübt werden, mit dem entsprechenden Respekt, den es von Seiten des Klerus und der Gläubigen verdient. Ebenso darf es keinerlei Übergriffe auf die Identität des Priesters seitens der Laien geben, wenngleich diese von einigen innerhalb der Kirche leichtfertig abgesegnet werden. Dennoch hat es seit dem Konzil viel Verwirrung hinsichtlich der Rolle der Priester und der Laien gegeben. Trotz der Tatsache, dass die Lumen Gentium so unmissverständlich in der Darlegung der je eigenen, gottgegebenen Charakteristika der Lebensstände und ihrer Unterschiede ist, legt sich die Verwirrung nur langsam. Zwei Dokumente jüngeren Datum waren besonders hilfreich, um die Krise zum Stillstand zu bringen: Das Direktorium für Dienst und Leben der Priester  (1994) herausgegeben von der Kongregation für den Klerus und die inner-dekasterische Instruktion zu einigen Fragen über die
Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester
(1997). Wenngleich aus unterschiedlichen Blickwinkeln, liefern beide Dokumente eine schlüssige Zusammenfassung der Lehre der Kirche zu dieser Frage, mit vielen Bezügen zu den Dokumenten des Konzils, sowie der post-konziliaren Päpste, insbesondere Johannes Paul II. Um ehrlich zu sein waren, diese Dokumente und die Wahrheiten, für die sie eintraten, in einigen Bereichen nicht willkommen, denn einige sind der Ansicht, die Unterscheidung zwischen Priestern und Laien sei von Menschen gemacht, nicht von Gott. Eine derart tiefe Verwirrung ruft nach Gebet und Buße. Eine angemessene Zusammenarbeit zwischen Priestern und Laien, wie sie in der Lehre der Kirche häufig gefordert wird, kann sich nur dann verwirklichen, wenn jeder von uns – Priester und Laien – seinen Stand kennt und mit ihm und in ihm zufrieden ist.

Die Heiligkeit der Priester

Die Erneuerung des Priestertums muss anerkennen, dass die Identität und die Heiligkeit des Priesters miteinander verwoben sind. Wie die Identität des Priesters muss auch die Heiligkeit des Priesters getrennt von der allgemeinen Heiligkeit der Gläubigen Christi gesehen werden. Wir sind alle zur Heiligkeit berufen, nicht aber alle zum Priestertum. Dies stellt weder eine Herabsetzung der Bedeutung der Heiligkeit all derer dar, die den Namen Christi anrufen, noch ist es eine ungerechte Diskriminierung. Es ist vielmehr ein Lob der besonderen Facetten der Heiligkeit, die dem Priester zu eigen sind, der in persona Christi capitis vor den Gläubigen steht. In der Pastores dabo vobis spricht der Heilige Vater über diese Berufung zur Heiligkeit im Zusammenhang mit der Konzilslehre. “Die Aussage des Konzils, "dass alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind", LG 40, findet eine besondere Anwendung auf die Priester: Sie sind nicht nur als Getaufte berufen, sondern auch und ganz besonders als Priester, das heißt mit einer neuen Würde und unter eigenständigen Bedingungen, die sich aus dem Weihesakrament ableiten lassen.” (PDV, Nr. 19). Das Sakrament der Priesterweihe ist die Quelle der Heiligkeit des Priesters. In der Presbyterorum ordinis heißt es, dass das “das Priestertum [...] durch ein eigenes Sakrament übertragen [wird]. Dieses zeichnet die Priester durch die Salbung des Heiligen Geistes mit einem besonderen Prägemal und macht sie auf diese Weise dem Priester Christus gleichförmig, so dass sie in der Person des Hauptes Christus handeln” (Nr. 2). Durch die heilige Weihe erhalten die Priester eine Würde der Einheit mit Christus, die über der Würde der Taufe steht und darüber hinaus geht. Wenngleich sie durch persönliche Sünden hinter diese Gnade zurück fallen können, ist die Erwartung und Erhebung ihres Standes mit der Heiligkeit verbunden.

In der Tat sollte in ihrem Handeln als Priester, als Diener der heiligen Dinge, die Heiligkeit des Priesters manifest werden. Die Gnade des Priestertums ist sicherlich im Priester selbst zu finden, in seinem Bemühen, dem Herrn zu folgen, in seinem Streben persönlicher Heiligkeit. Dennoch ist diese Gnade am stärksten ausgeprägt in seiner pastoralen Sorge um die Menschen, die ihm anvertraut sind. “Jeder Priester vertritt also, seiner Weihestufe entsprechend, Christus. Darum erhält er auch die besondere Gnade, durch den Dienst an der ihm anvertrauten Gemeinde und am ganzen Volk Gottes besser der Vollkommenheit dessen nachzustreben, an dessen Stelle er steht, und für die Schwäche seiner menschlichen Natur Heilung in der Heiligkeit dessen zu finden, der für uns ein ‚heiliger, unschuldiger, unbefleckter, von den Sünden geschiedener’ Hoherpriester (Hebr 7,26) geworden ist“ (PO, Nr. 12). Durch das Streben nach Heiligkeit in der Erfüllung seines Dienstes, wird der Priester heiliger, da er mehr zum Priester wird. Je aufmerksamer er für seine Herde ist, als “ Der gute Hirt, [der] sein Leben hin [gibt] für die Schafe” (Joh 10,11), um so mehr gleicht er Christus. Es gehört zur innersten Natur der einzigartigen Einheit des Priesters mit Christus, Gebet und Fürbitte zu Gott zu erheben und sich den geistlichen Bedürfnissen der Gläubigen zu widmen (vgl. Hebr 5,7). Je mehr er sich bemüht, “ um zu suchen und zu retten, was verloren ist.” (Lk 19,10), um so mehr findet er sich selbst und wirkt an seinem eigenen Heil. In keinem anderen Moment ist es stärker wahrnehmbar, dass der Priester in persona Christi handelt, als wenn er am Altar steht, als Mittler zwischen Gott und Mensch. In dieser höchst bedeutsamen Rolle ist die Heiligkeit des Priesters unermüdlich, denn: “Die Priester gelangen auf ihnen eigene Weise zur Heiligkeit, nämlich durch aufrichtige und unermüdliche Ausübung ihrer Ämter im Geist Christi.” (PO, Nr. 13). Priester sind heilig durch ihr Priestersein, in dem sie tun, was Priester tun: Die Eucharistie feiern, die Absolution von den Sünden erteilen, die Kranken salben – um nur die drei wichtigsten Dinge zu nennen.

  Und es sind diese drei wichtigsten Dinge, die hier und im Danach zählen. Wenngleich die geistlichen und physischen Werke der Barmherzigkeit, die allen Christgläubigen obliegen zweifellos zu den typischen Pflichten des Priesters gehören, liegt die “wesentliche Funktion” des Priesters in der Darbringung des eucharistischen Opfers, in dem “beständig das Werk unserer Erlösung vollzogen” wird (PO, Nr. 13; vgl. Hebr 5 und 7). Ein Priester kann im Himmel und auf Erden keine größere Rolle einnehmen als die eines Priesters - weder Sozialarbeiter, Berater, Therapeuten, Vorsitzender oder sonst eine der vielen Rollen, die viel zu häufig von Priestern übernommen werden, oder ihnen von falschinformierten Menschen zugesprochen werden. Priester haben keine zwingendere und heiligendere Aufgaben als die, welche ihnen unmittelbar von Christus, dem Hohen Priester übertragen wurden. Ihn sind sie gerufen nachzuahmen als Priester, Prophet und König. Die Identifizierung der Heiligkeit des Priesters mit der Heiligkeit der Gläubigen oder die Reduzierung der Heiligkeit des Priesters auf die Aufgaben, die der säkularen Gesellschaft zu eigen sind, ist ein Verlust sondergleichen. Priester haben eine vitale und unersetzliche Funktion in der Heiligkeit des gesamten Kirche. Die Konzilslehre besagt eindeutig, dass die Eucharistie “Quelle und Höhepunkt christlichen Lebens” ist. (LG, Nr. 11). Der Priester ist unerlässlich für die Heiligkeit der Kirche. Das Messopfer ist letzter Akt der Verehrung und unerschöpfliche Quelle von Gnade und Heiligkeit. Der Priester ist folglich für die Heiligkeit der Kirche “ganz und gar unersetzlich, denn ohne Priester kann es kein eucharistisches Opfer geben” (PDV, Nr. 48).

Identität und Heiligkeit des Priesters sind miteinander verbunden. Beide bedürfen der Erneuerung. Die Kirche muss wieder und wieder entdecken, dass ein starkes und kraftvolles Priestertum nicht ein Zeichen dafür ist, dass der Heilige Geist in der Kirche lebendig ist, sondern dass Mittel schlechthin, durch den der Heilige Geist das Heil der Welt bewirkt. Die Fülle der Lossagungen vom Priestertum in den letzten vierzig Jahren und die geringe Zahl der Seminaristen ist ein Grund zur Sorge für alle Gläubigen. In vielerlei Hinsicht geht die Gesundheit und Vitalität des Priestertum mit der Gesundheit und der Vitalität der Kirche einher. Deshalb obliegt es uns allen, zu beten, wie Jesus es uns diesbzgl. gelehrt hat: “Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.” (Lk 10,2).