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DIE SITUATION EUROPA
„Gestaltet Euer Leben täglich nach
dem Beispiel der liebevollen Selbsthingabe des Herrn im Gehorsam gegenüber dem
Willen des Vaters. Auf diese Weise werdet Ihr die Freiheit und die Freude
entdecken, die andere zu der Liebe hinziehen kann, die über jeder anderen Liebe
liegt als deren Quelle und letzte Erfüllung.“
(Benedikt XVI., St. Mary’s Cathedral, Sydney,
19. Juli 2008)
I.
Vorbemerkung
Die missionarische Identität des Priesters
ist ohne Zweifel eine entscheidende Dimension seiner Existenz und seines
Dienstes im Geheimnis der Kirche und ihrer universalen Sendung. Sie ist
sozusagen ein sakramentaler Kristallisationspunkt der Kirche, die als Ikone der
Dreifaltigkeit „ihrem Wesen nach ‚missionarisch‘ (d.h. als Gesandte unterwegs)“
ist: Sie leitet sich gemäß dem Plan Gottes des Vaters aus der Sendung des
Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes her (Ad Gentes, Nr. 2; vgl. Lumen
Gentium, Nr. 17). Daher ist diese innere und äußere Prägung der Kirche dem
Priester durch die ontologische Verähnlichung mit Christus, dem Erlöser der Menschen,
in sein Wesen und seine Sendung zutiefst und untrennbar eingeschrieben. Mit anderen
Worten: Der Priester kann sich als Gesandter in Vollmacht nur missionarisch
verstehen. Seine Mission ist eine göttliche Sendung zum Zeugnis in Autorität
und Dienst.
Mit dem Blick auf die aktuelle Situation
Europas erhält diese Wesensbestimmung der Kirche und des Priesters eine
herausragende Relevanz. Johannes Paul II. hatte insbesondere den europäischen
Kontinent im Blick, als er von der Notwendigkeit einer „Neuevangelisierung“
sprach und diese der ganzen Kirche als zentrale Aufgabe in Gegenwart und
Zukunft vorgab (vgl. Redemptoris Missio, Nr. 1). Um im Folgenden einige
Grundzüge der Situation der Priester in Europa zu skizzieren, bedarf es
zunächst einer wichtigen Vorbemerkung zum Raum „Europa“.
Europa war nach dem Ende des 2. Weltkrieges
über 40 Jahre lang geteilt. Diese Teilung, die mit dem Fall der innerdeutschen
Mauer ein sichtbares Ende fand, in ihren Auswirkungen aber bis heute noch
vernehmbar ist, hat Europa über lange Zeit in verschiedene Gefälle geführt. Neben
dem Nord-Süd-Gefälle (protestantisch geprägte Länder Skandinaviens gegenüber
den katholisch bestimmten Ländern des südeuropäischen Raums) hat vor allem das
Ost-West-Gefälle zu unterschiedlichsten gesellschaftlichen Situationen geführt,
in die hinein die Katholische Kirche und die Priester gestellt waren. Während
Westeuropa rasch von typischen Merkmalen der westlichen Welt durchdrungen wurde
(Soziale Marktwirtschaft, Wohlstand, aber auch überzogener Materialismus,
wachsende Säkularisierung, Gleichgültigkeit, moderner Atheismus, …), war der
Osten Europas gekennzeichnet von einer kommunistischen Vorherrschaft und ihren
diktatorischen Auswirkungen (Zeiten der Verfolgung, Armut, glaubensfeindliche
Staatsideologien, aber auch ein starkes religiöses Leben, ausgeprägte
Frömmigkeit, geistliche Berufungen, …).
Die westliche Welt brachte große Gefahren einer
kirchlichen und priesterlichen Ermüdung mit sich, die sich nicht zuletzt in
einem schwindenden missionarischen Bewusstsein äußerte. Im Osten Europas
konnten dagegen aufgrund der Verfolgungssituation ein stark ausgeprägtes
kirchliches Zusammengehörigkeitsempfinden und eine anhaltende missionarische
Kraft beobachtet werden. Zu denken ist dabei exemplarisch an die
Diasporasituation in der ehemaligen DDR aber auch an den starken Katholizismus
Polens und die Gestalt Johannes Pauls II., der für die politischen Umwälzungen
am Ende der 80er Jahre einen entscheidenden Beitrag leistete. Auf diese Weise
sind die Priester in den verschiedenen Hälften Europas unterschiedlich im
Bewusstsein ihrer Identität und ihrer Sendung geprägt worden.
Die politischen und
kirchlichen Veränderungen, mit denen zugleich eine stärkere Mobilität der
Menschen einherging, haben nach nunmehr fast 20 Jahren auch Spuren im
Selbstverständnis der Priester hinterlassen. Die bis dahin relativ starken
Schranken der Gefälle weichen auf; die Priester Europas sehen sich in
zunehmendem Maße einer gesamteuropäischen Säkularisierung und einer darin
spürbar herrschenden „Diktatur des Relativismus“ (Benedikt XVI.) gegenüber
gestellt, die allerdings auch die Priester in Teilen selbst ergriffen hat.
Europa ist längst zu einem großen Missionsraum geworden. Gleichzeitig sind
kirchliche Erneuerungsbewegungen zu erkennen (Weltjugendtage, Neue Geistliche
Gemeinschaften und Bewegungen), die vor allem in der Jugend der Kirche
gegenwärtig sind, aber durch sie auch viele Priester, junge und ältere,
erreicht haben: Sie „helfen … den Christen, radikaler nach dem Evangelium zu
leben; sie sind eine Wiege verschiedener Berufungen und bringen neue Formen
gottgeweihten Lebens hervor. Sie fördern vor allem die Berufung der Laien und
führen dazu, dass sie in den verschiedenen Lebensbereichen zum Ausdruck kommt.
Sie begünstigen die Heiligkeit des Volkes; sie können Botschaft und Aufforderung
für diejenigen sein, die sonst der Kirche nicht begegnen“ (Ecclesia in Europa
[2003], Nr. 16).
Was bedeutet dies nun für die Situation der
Priester in Europa? Ein Blick auf diese Situation offenbart Licht und Schatten.
Der hl. Ignatius von Loyola empfiehlt in seinem Exerzitienbuch dem
Exerzitanden, das tägliche Examen des Gewissens mit dem Licht zu beginnen, d.h.
mit dem Dank für empfangene Wohltaten (EB, Nr. 43). Wenn wir an dieser Stelle zunächst mit einer kurzen Analyse jener
Zusammenhänge priesterlicher Existenz in Europa beginnen, die derzeit Anlass zu
(großer) Sorge sind, dann nicht aus Hochmut gegenüber diesem weisen Rat
des Heiligen. Vielmehr soll auf diesem Hintergrund das nachfolgend Ermutigende
stärker herausgestellt werden, um darin Anstöße und Konsequenzen für die
Zukunft zu entdecken.
II.
Anlass zur Sorge
Die entscheidende
Frage des gegenwärtigen Augenblicks ist die Frage des Pilatus im Evangelium:
„Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38). Im Angesicht weit verbreiteter
Gleichgültigkeit gegenüber den lebenswichtigen Fragen vermag man dennoch zu
erkennen, dass sich auch der moderne Mensch Europas diese Frage stellt,
insbesondere in seiner Suche nach bleibenden Werten, nach seinem „Woher“ und
seinem „Wohin“. „Was ist Wahrheit?“ – Die Kirche antwortet in das religiöse und
weltanschauliche Stimmenwirrwar dieser Zeit hinein, indem sie die Worte ihres
Herrn aufnimmt und wiederholt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“
(Joh 14,6). In Christus ist dem Menschen die Wahrheit seines Lebens und der Weg
zum Leben gegeben. Er ist der Weg zum Heil. Der damit verbundene
absolut-universale Anspruch Jesu Christi und dessen Verkündigung durch die
Kirche stößt jedoch auf massiven Widerspruch in den Gesellschaften Europas,
teilweise in der Kirche selbst. Die Auffassung einer absolut gültigen und
Geltung beanspruchenden Wahrheit wird abgelehnt. Religiosität ist spürbar, doch
vor allem unter dem Phänomen einer subjektiv zusammengefügten eigenen
Weltanschauung, die oft in den privaten Raum zurückgenommen oder zurückgedrängt
wird. Politische Entscheidungen der vergangenen Jahre tragen das ihrige dazu
bei, diese Entwicklung zu unterstützen (vgl. z.B. den fehlenden ausdrücklichen
Gottesbezug in der avisierten Europäischen Verfassung).
Damit sieht sich die Kirche – und die
Priester in ihr – zahlreichen theologischen
und spirituellen Problemen ausgesetzt, welche die Mission und das bleibende
Bewusstsein für ihre Notwendigkeit, auch unter den Priestern, zunehmend
erschweren.
Dazu gehören vor allem
die Überzeugungen eines
Religionspluralismus, der die Religionen als gleichgültige Heils- und
Verwirklichungsangebote wertet, bis hin zu zunehmend synkretistischen Formen
von Religiosität. Religion ist in diesem Kontext eine beliebige, nach eigenem
Geschmack zu gestaltende Privatsache, die so gut wie keine Auswirkungen auf das
politisch korrekte Zusammenleben der Bürger Europas haben soll. Kirchliche
Mission hingegen (auch im umfassenden Sinne der Evangelisierung) wird als
Bevormundung der menschlichen Freiheit und damit als unzeitgemäß betrachtet.
Das Leitwort Friedrich d. Gr. feiert im europäischen Kontext fröhlich Urständ: „Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden!“
Religionspluralistische Tendenzen sind
bedauerlicherweise auch in kirchlichen
Einrichtungen Europas, nicht zuletzt an theologischen Fakultäten, anzutreffen.
Sie stehen damit in Gefahr, den missionarischen Gedanken, der in den jungen
Menschen der kirchlichen Erneuerungsbewegungen und auch in den Seminaristen der
Priesterseminare wieder verstärkt zugegen ist, im Keim zu ersticken. Dadurch
geht zunehmend die Glaubensüberzeugung des Absolutheitsanspruchs Jesu Christi
verloren. Mangelndes Missionsbewusstsein ist demzufolge immer auch Ausdruck
eines falschen, reduzierten Christusverständnisses und -bekenntnisses.
Mangelndes Missionsbewusstsein lässt aber zugleich das unverwechselbare
charakteristische Proprium der Kirche im gesellschaftlichen Kontext verblassen.
Randerscheinungen dieser
Gedanken machen sich auch im Leben und Wirken mancher Priester bemerkbar. Viele der derzeit tätigen Priester sind auf diese Situationen in
Gesellschaft und unter den Gläubigen nicht gut vorbereitet. Die Ausbildung trägt erhebliche Mängel, oft
fehlt es selbst bei Priestern an Glaubenswissen, an der Erkenntnis ihrer
eigenen priesterlichen Identität (Stichwort: alter Christus) sowie der
Kompetenz, den Glauben insbesondere in Predigt und Katechese zu verkündigen. In
diesem Zusammenhang ist in Bezug auf die Gläubigen auf den weitgehenden
Zusammenbruch einer flächendeckenden und kontinuierlichen Katechese, insbesondere
mit dem Blick auf die Generation der älteren Jugendlichen und Erwachsenen, hinzuweisen.
Fehlende Glaubensunterweisung schwächt auf Dauer jedes missionarische Bewusstsein,
sowohl auf der Seite des „Katecheten“ als auch auf der Seite des „Schülers“.
Bedingt durch diese theologische Situation,
aber auch durch eine spürbare „Erfolglosigkeit“
in ihrem priesterlichen Tun macht sich bei nicht wenigen Priestern eine Art
„Rückzugsmentalität“ in das normale, alltägliche kirchliche Ghetto breit. Nicht mehr die Expansion von Glaube und Kirche in
die Gesellschaft sind Gegenstand des täglichen Handelns (d.h. die Pfarrei als
eine Art „Missionsstation“), sondern die Kontraktion in den binnenkirchlichen
Raum, in den Zirkel der Gleichgesinnten. Man begnügt sich mit dem, was da ist.
Ein Kennzeichen dieser sich verschließenden Gesinnung kann exemplarisch im
Ablegen geistlicher Kleidung der Weltpriester sowie der Ordenstracht bei
Ordenspriestern festgemacht werden. Man kennt sich und bedarf nicht mehr der Außenwirkung.
Dieser Seelsorge fehlt es an missionarischen
Impulsen, die von den Gläubigen mitgetragen werden. Sie ist in dieser Form
lediglich „Besitzstandswahrung“.
Einher geht diese Entwicklung mit dem
wachsenden Verlust zweier wichtiger
Säulen priesterlicher Existenz: Spiritualität und Mitbrüderlichkeit. Viele
Priester unserer Zeit tragen die Sehnsucht in sich, Gott und den Menschen mit
ganzer Hingabe durch ein priesterliches Leben der Heiligkeit zu dienen. Was oft
fehlt, sind mitbrüderliche Gemeinschaft, gegenseitige Unterstützung sowie
theologische und spirituelle Hilfen, die mit Blick auf die heutigen Gefährdungen
der priesterlichen Berufung zu ihrer Verlebendigung und Vertiefung beitragen
können. Notwendig dafür ist ein geistliches Leben als Priester, auch in
Gemeinschaft mit anderen Priestern. Die priesterliche Spiritualität, das heißt
die geistliche und in der Liebe fruchtbare Beziehung zu Christus, dem Herrn der
Kirche, und auch zu Priestern und Laien, ist das Fundament für die wahre
Existenz und Sendung des Priesters. Die Gefahren, dass der Priester sich in
Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeiten verheizen lässt, sind sehr groß.
Geistliches Leben, das von einer priesterlichen Spiritualität gekennzeichnet
ist und den Priester im Verbund mit anderen Priestern trägt, wird oft gekürzt
oder gar aufgegeben. Die Folgen: Die geistliche Kompetenz des Priesters geht im
„Alltagsgeschäft“ verloren; der Priester isoliert sich und wird missionarisch
fruchtlos.
III.
Anlass zur Dankbarkeit
Umgekehrt gilt, dass neben dem Schatten auch
viel Licht zu entdecken ist. Das gilt neben der Treue im Dienst der älteren
Priester insbesondere für die neue junge Generation von Priestern (und
Seminaristen), die in den europäischen Ländern heranwachsen. Auch wenn die
meisten von ihnen den traditionellen pfarrlichen Strukturen der Teilkirchen
entstammen, kann nicht verborgen bleiben, dass viele und zunehmend mehr von
ihnen durch die Weltjugendtage im Charisma von Papst Johannes Paul II. sowie
durch die zahlreichen Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen geprägt
sind. Dabei lassen sich einige charakteristische
Elemente feststellen.
Unter den jungen Priestern (ebenso wie unter
ihren Altersgenossen) gibt es wieder vermehrt eine positive Einstellung zur Kirche und ihrer missionarischen Sendung.
Gestellt wird bewusst die Fragen: Was lehrt die Kirche? Was sagt sie wirklich
zu den Fragen des heutigen Lebens? Wie kann dies dem heutigen Menschen
vermittelt werden? Dabei taucht ein großes Interesse an katechetischer
Unterweisung ebenso wie an einer gesunden katholischen Theologie auf, die in
der Gesinnung der kirchlichen Lehre Antworten zu geben versucht. Der Wunsch
nach Klarheit, die Sehnsucht nach einer gültigen Wahrheit wird darin
offenkundig. Junge Menschen und unter ihnen die jungen Priester sind um
Glaubenswissen ebenso bemüht wie um die Fähigkeit, diesen Glauben als Missionare
der Wahrheit und Liebe Gottes weiterzugeben. Verbunden ist dies – und das
erscheint als ein bemerkenswerter Neuansatz für ein missionarisches Bewusstsein
zu sein – mit einem großen Entsetzen über den Glaubensmangel und den
Wissensmangel unter der jungen Generation. Das kann ein Wendepunkt für die
missionarische Zukunft der Kirche in Europa bedeuten. Gemäß dem Motto „Tiefer
geht es nicht mehr“ wird die Einsicht in eine dringend notwendige
missionarische Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Kirche gesehen und angenommen
(Mission nach innen und Mission nach außen). Damit ist durchaus der Mut zum Widerspruch
gegeben: der Mut, politisch korrektem Denken, das sich gegen die Wahrheit
Gottes und des Menschen richtet, zu widersprechen und die Wahrheit zu wagen
sagen. Als erste Früchte dazu können beispielsweise Prayerfestivals,
Glaubenskurse, Katechesereihen, sog. „Talks“ von Priestern für Jugendliche,
Stadtmissionen, Priestergemeinschaften u.v.a.m. gesehen werden.
Ein weiterer positiver Punkt, der insbesondere
hinsichtlich der jungen Generation von Priestern genannt werden muss, ist die hohe geistliche Kompetenz. Geprägt
durch die Spiritualität der kirchlichen Erneuerungsbewegungen spielen dabei das
tägliche Leben aus den Sakramenten, das persönliche, innere und betrachtende
Gebet, die eucharistische Anbetung, die Schriftlesung, die regelmäßige Beichte,
die marianische Frömmigkeit (besonders der Rosenkranz), die Verehrung der
Heiligen, jährliche Exerzitien und anderes mehr eine große Rolle. Der (junge)
Priester steht in einer Spiritualität, die ihm auch und gerade mittels
traditioneller Frömmigkeitsformen Halt gibt und aus der heraus er seinen Dienst
in missionarischer Perspektive versieht, gemäß dem Wort von Papst Benedikt bei
der Priesterweihe am 27. April 2008 in Rom: „Um Mitarbeiter an der Freude der
anderen zu sein, und das in einer oft traurigen und negativen Welt, muss das
Feuer des Evangeliums in euch selbst brennen, muss in euch die Freude des Herrn
wohnen. Nur dann könnt ihr Boten dieser Freude sein und sie vervielfältigen,
indem ihr sie allen bringt, vor allem denen, die traurig und entmutigt sind“
(Priesterweihe, Rom, 27.04.2008).
Verbunden mit der hohen geistlichen Kompetenz
ist das Bewusstsein für eine gesunde
priesterliche Autorität, die weniger aus den Worten der Predigt und
Katechese allein, sondern aus dem Zusammen von Wort und Tat spricht. Viele der
jungen Priester sind sich ihrer Identität als Priester bewusst und bemühen
sich, die damit verbundene Autorität gegenüber den Gläubigen zu leben. Die
Erkenntnis der Autorität und ihre Verwirklichung findet der Priester weniger in
seiner theologischen Ausbildung (es gibt junge Priester, die noch nie etwas vom
character indelebilis oder vom Priester als alter Christus gehört haben!), als
vielmehr in der lebendigen kirchlichen Gemeinschaft (Priesterseminar,
Geistliche Gemeinschaft, Priestergemeinschaft).
Davon ist auch ein neues Zusammenwirken von Priestern und Laien betroffen. Junge
Priester werden sich mehr und mehr der besonderen Berufung der Laien bewusst,
so wie sie das II. Vatikanische Konzil in „Lumen Gentium“ (Nr. 35) dargelegt
hat: weniger im Sinne von hauptamtlichen Laientheologen in der Kirche, sondern
vielmehr als Zeugen der Hoffnung in Ehe und Familie (Schule des Apostolats), in
der Welt der Arbeit und der Politik, in den zeitlichen Strukturen und
Zusammenhängen der Welt. Dafür ist es notwendig, aus kleinen Zellen in der
Kirche Familien zu gestalten, die zu Schulen des Apostolates, zu Schulen der
missionarischen Berufung werden. Viele junge Priester übernehmen darin die
Aufgabe des geistlichen Vaters, der mit Geduld und Demut im Namen Jesu Christi
wirkt. Vielen Priestern ist gerade deshalb das Anliegen um neue geistliche
Berufungen zum priesterlichen Dienst und zum gottgeweihten Leben in den Orden
und Säkularinstituten ein großes Anliegen. Mehr noch: Die Sorge um geistliche Berufungen
ist ein wesentlicher Kernteil der missionarischen Identität des Priesters.
In diesem Zusammenhang ist ebenfalls eine
neue Bereitschaft zu erkennen, sich mit anderen Priestern zusammenzuschließen,
um sich gegenseitig in der priesterlichen Berufung geistlich und menschlich zu
stärken (Priestergemeinschaften).
Auch sie tragen zu einem neuen missionarischen Bewusstsein bei, nicht zuletzt
durch mitbrüderliche Gemeinschaft, theologische Reflexion und geistliches
Miteinander und Weckung sowie Begleitung von priesterlichen und gottgeweihten Berufungen.
Festzustellen ist unter den Priestern
schließlich ein zunehmendes Gespür für
die Weltkirche und ihre Belange sowie eine bewusste Liebe zum Papst und zu den Bischöfen. Das ist nicht
zuletzt auf die Erfahrungen mit den Weltjugendtagen zurückzuführen. Die Kirche
vor Ort ist nicht ein sich selbst genügsamer Verein Gleichgesinnter, sondern
missionarische Gemeinschaft mit Christus für die Welt. Auch dafür steht der
Priester ein und versucht, mit dem erweiterten Blick für die ganze Kirche
weltkirchliches (katholisches) Bewusstsein zu schaffen.
IV.
Konsequenzen
Systematisiert man diese Überlegungen ein
wenig, werden vor allem drei Konsequenzen erkennbar, die in konkrete Hilfen für
die Priester im heutigen Europa überführt werden müssen:
1) In die theologische Aus- und Weiterbildung der Priester muss mit Blick
auf das oft fehlende Glaubenswissen, das zur Begegnung mit religionspluralistischen,
relativierenden und säkularisierenden Phänomenen in der heutigen Gesellschaft
notwendig ist, eine stärkere katechetische Unterweisung eingefügt werden. Diese
soll der eigenen Glaubensbildung sowie der Befähigung zur katechetischen
Unterweisung anderer dienen.
2) Die missionarische Identität des Priesters muss sich in der Ausübung
der tria-munera einerseits nach innen in die Kirche richten: Ausbildung und
Begleitung von Laien in Ehe und Familie, in Berufs- und Arbeitswelt, …, um
kleine, aber starke Zellen der missionarischen Erneuerung (Neu-Evangelisierung)
und damit den Boden für geistliche Berufungen zu bilden. – Die missionarische
Identität des Priesters muss sich andererseits aber auch nach außen in die Welt
richten: Zeugnis in Wort und Tat, Erkennbarkeit des Priesters, mutiges und in
Christus selbstbewusstes Auftreten, wie es der hl. Paulus auf dem Areopag vollzieht,
…
3) Wesentlicher Grundzug der missionarischen Identität des Priesters muss
seine geistliche Kompetenz sein, die er in einer gelebten Christus-Spiritualität
fundiert, welche eingebunden ist in das Leben der Kirche und das Miteinander
mit anderen Priestern und Laien, eingedenk des Wortes von Papst Benedikt XVI.:
Wenn ihr an den Altar tretet – eure tägliche Schule der Heiligkeit, jene Gemeinschaft
mit Jesus, durch die ihr zu seinen Empfindungen Zugang findet –, wenn ihr also
an den Altar tretet, um das Kreuzesopfer zu erneuern, werdet ihr immer mehr die
reiche und zärtliche Liebe des göttlichen Meisters entdecken, der euch heute zu
einer engeren Freundschaft mit ihm ruft. Wenn ihr fügsam auf ihn hört, wenn ihr
ihm treu folgt, dann werdet ihr lernen, seine Liebe und seine Leidenschaft für
das Heil der Seelen im Leben und im Hirtendienst umzusetzen. Jeder von euch,
liebe Weihekandidaten, wird mit dem Beistand Jesu ein guter Hirt werden, der
bereit ist, wenn nötig auch das Leben für ihn hinzugeben“. (Priesterweihe, Rom,
29.04.2007)
Köln, im Februar 2009
+ Joachim Kardinal
Meisner
Erzbischof von Köln