EIN
HALBES JAHRHUNDERT NACH DEM ZWEITEN VATIKANISCHEN KONZIL:
FRUCHTBARES ERBE FÜR DEN DIENST UND DAS LEBEN DER PRIESTER
Ein halbes Jahrhundert nach dem XXI.
Ökumenischen Konzil der katholischen Kirche scheint es angebracht, dessen lehrmäßige
und pastorale Richtlinien im Hinblick auf die verschiedenen Bereiche der Lehre
und des Lebens der kirchlichen Gemeinschaft erneut darzulegen. Im Folgenden
sollen in möglichst knapper Form die Leitlinien des II. Vaticanums zum Dienst
und zum Leben der Priester aufgezeigt werden.
Die beiden grundlegenden Texte der letzten
Konzilsversammlung zu diesem Thema sind Artikel 28 der Konstitution Lumen Gentium (LG) und das Dekret Presbyterorum Ordinis (PO).
LG 28 erinnert gleich zu Beginn an die
Einsetzung des heiligen Dienstamtes durch das Wirken Christi und an dessen
Weitergabe von den Aposteln an deren Nachfolger, die Bischöfe. Daraus ergibt
sich innerhalb des Priesterstandes in der Kirche die Unterscheidung zwischen
Priestern im Bischofsamt und Priestern im priesterlichen Dienst. Letztere
werden durch die heilige Weihe dazu befähigt, entsprechend ihrem Stand die tria munera (die drei priesterlichen
Amtsaufgaben) auszuüben, „nach dem Bilde Christi, des höchsten und ewigen
Priesters“. Unter den tria munera hebt
LG ausdrücklich die herausragende Stellung des Dienstes am Altar hervor: die
Priester „üben ihr heiliges Amt [am meisten] in der eucharistischen Feier oder
Versammlung aus, wobei sie in der Person Christi [in persona Christi] handeln und sein Mysterium verkünden, die Gebete
der Gläubigen mit dem Opfer ihres Hauptes vereinigen und das einzige Opfer des
neuen Bundes, das Opfer Christi nämlich, der sich ein für allemal dem Vater als
unbefleckte Gabe dargebracht hat, im Messopfer bis zur Wiederkunft des Herrn
vergegenwärtigen und zuwenden“. Kurz gesagt: auch für das II. Vaticanum ist und
bleibt die Feier der heiligen Messe der Höhepunkt des priesterlichen Dienstes.
Dies ist auch voll und ganz verständlich, da man sich ja kein größeres Werk
vorstellen kann, das ein Priester ausüben könnte, als das sakramentale Opfer
Christi selbst, das sich in der heiligen Eucharistie vollzieht. Es versteht
sich von selbst, dass zur heiligen Messe andere Aufgaben und Pflichten des
Priesters hinzukommen.
LG behandelt danach die Zusammenarbeit zwischen
den Priestern und den Bischöfen und merkt an, dass die Priester „in Einheit mit
ihrem Bischof ein einziges Presbyterium bilden“. Und es fügt hinzu: „Kraft der
Gemeinsamkeit der heiligen Weihe und Sendung sind die Priester alle einander in
ganz enger Brüderlichkeit verbunden.“ Das Konzil führt hier das Thema der
priesterlichen Brüderlichkeit ein, die ontologisch im Weihesakrament,
beziehungsweise funktional im gemeinsamen Sendungsauftrag gründet. PO rezipiert
in reichem Maße die hier mit wenigen Worten dargelegte Lehre.
Das Dekret PO, das rund ein Jahr nach LG
veröffentlicht wurde, bringt in Artikel 1 die eigene Zielsetzung zum Ausdruck:
das Dokument wird veröffentlicht, „um das Amt der Priester in seelsorglich und
menschlich vielfach so tiefgreifend veränderten Verhältnissen wirksamer zu
unterstützen und ihrem Leben besser Sorge zu tragen“. Aus diesen Worten wird
der eindeutig pastorale Charakter des Dekrets deutlich, das aber zugleich fest
auf lehrmäßigen Fundamenten beruht.
Mit kurzen und knappen Worten wollen wir im
Folgenden an einige grundlegende Elemente der in PO enthaltenen Lehre erinnern.
Das Dekret betrachtet die Priester als Diener Christi (vgl. Nr. 1; 9; 12; 13;
14; 15) und der Brüder (vgl. Nr. 6; 9; 12; 15). Dies beinhaltet, dass das
Priesteramt in christozentrischer und ekklesiologischer Weise verstanden wird
und nicht als eine Funktion weltlicher Animation innerhalb einer natürlichen
Gesellschaft von Menschen (Welt). Das Wesen des Priestertums ist und bleibt
theologischer Art: es ist ein Dienst der Gnade, der durch Beauftragung Christi
im Dienst der Kirche ausgeübt wird. Als Beleg hierfür sei angeführt, dass das
Dekret aus der theologischen und lehramtlichen Tradition den Fachbegriff und
somit die Lehre des „in persona Christi“
übernimmt (Nr. 2; 12; 13). Auch im Hinblick auf das Wesen des
Weihepriestertums, nämlich die ihm eigene Vollmacht, das eucharistische Opfer
darzubringen und die Sünden nachzulassen (Nr. 2), steht das Dekret in einer
Linie mit der Tradition. Diese Wahrheit wird von PO in Übereinstimmung mit der
Ekklesiologie von LG vorgebracht, wobei auch die Bedeutung des allgemeinen
Priestertums der Gläubigen hervorgehoben und daran erinnert wird, dass die
wesenseigenen und ausschließlichen Vollmachten der Amtspriester im Dienst der Kirche
stehen, also der Verbindung der Gläubigen in einem einzigen Leib. Die Darlegung
der Lehre gemäß der „Ekklesiologie der Gemeinschaft“ – wie sie später genannt
wurde – ist die Bestätigung jener althergebrachten Lehre, die in neuer, der
gegenwärtigen Zeit besser entsprechenden Weise angewandt wurde.
Auch der bedeutsame, vom Konzil geprägte
Begriff der „Hirtenliebe“, ein Ausdruck der nach dem Zweiten Vatikanischen
Konzil in die theologische Fachliteratur und in den allgemeinen Sprachgebrauch
Einzug hielt, wird eng verknüpft mit dem lehrmäßigen und insbesondere
eucharistischen Fundament: „Die Hirtenliebe erwächst am stärksten aus dem
eucharistischen Opfer. Es bildet daher Mitte und Wurzel des ganzen
priesterlichen Lebens, so dass der Priester in seinem Herzen auf sich beziehen
muss, was auf dem Opferaltar geschieht“ (Nr. 14).
Das Dekret nimmt auch die Lehre von der klaren
Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Priestertum und dem Amtspriestertum auf.
Letzteres wird im Weihesakrament empfangen: „Darum setzt das Priestertum der
Amtspriester zwar die christlichen Grundsakramente voraus, wird aber durch ein
eigenes Sakrament übertragen. Dieses zeichnet die Priester durch die Salbung
des Heiligen Geistes mit einem besonderen Prägemal und macht sie auf diese Weise
dem Priester Christus gleichförmig, so dass sie in der Person des Hauptes
Christus handeln können“ (Nr. 2).
Großen Stellenwert misst das Dekret auch dem
wichtigen munus docendi bei, also dem
Amt des Priesters als Lehrer des Glaubens (ein Thema, das im derzeitigen, von
Papst Benedikt XVI. ausgerufenen Jahr des Glaubens von besonderer Aktualität
ist). Die Priester – die im Gegensatz zu den Bischöfen nicht über die
apostolische Autorität verfügen, die kirchliche Lehre zu definieren – haben im
Weihesakrament, die Aufgabe empfangen, die Lehre der Kirche in den ordentlichen
Formen der Homiletik, der Katechese, der Glaubensunterweisung und aller anderen
in der pastoralen Praxis bekannten Formen zu vermitteln. Sie tun dies mit einer
ihnen eigenen besonderen Vollmacht, über die jene, die das Weihesakrament nicht
empfangen haben, nicht verfügen, auch dann nicht, wenn sie dazu berufen werden,
zusammen mit den Priestern die christliche Lehre zu verbreiten. PO widmet dem
Dienstamt des Wortes Gottes vor allem die Artikel 2; 4; 13. Das Dekret
präzisiert, dass die Verkündigung des Evangeliums Christi sowohl durch Worte
geschieht, die sich an die gesunde Lehre halten, als auch durch das
Lebenszeugnis. Im Hinblick auf die Formen der Ausübung des munus regendi der Priester sei schließlich auf Artikel 6
hingewiesen.
Auch die Lehre des Konzils über die Ziele des
Priestertums soll hier nicht verschwiegen werden. Bei der Lektüre von PO werden
vor allem zwei dieser Ziele deutlich: die Priester werden geweiht insbesondere
zur Verherrlichung Gottes des Vaters in Christus (NR. 2) und um Christus, dem
Lehrer, Priester und König zu dienen (Nr. 1). Zweitens werden sie erwählt, um
die Kirche aufzuerbauen, sie zu sammeln und sie, durch Christus im Heiligen
Geist, zum Vater zu führen (Nr. 1; 6; 8). Das Priesteramt ist somit ganz auf
die Verherrlichung der Dreifaltigkeit und die Heiligung der Menschen
ausgerichtet (Nr. 2), die ohne Umkehr unmöglich wäre (Nr. 4; 5; 6). Die Ziele
des Priesteramtes decken sich also mit denen der Liturgie im Allgemeinen, die
ein Kult der Anbetung Gottes ist (erstes Ziel), der jene heiligt, die diesen
Gottesdienst vollziehen (zweites Ziel).
All dies bedeutet nichts anderes als eine ganz
neuartige Darlegung der klassischen und stets gültigen Lehre über das
Priesteramt. Der besondere Beitrag von PO scheint – in Tradition mit der
allgemeinen, pastoralen Zielsetzung des II. Vaticanums – die Lehre über die
priesterliche Brüderlichkeit zu sein. In Artikel 8 heißt es: „Die Priester, die
durch die Weihe in den Priesterstand eingegliedert wurden, sind in inniger
sakramentaler Bruderschaft miteinander verbunden. Besonders in der Diözese,
deren Dienst sie unter dem eigenen Bischof zugewiesen werden, bilden sie das
eine Presbyterium.“ Diese priesterliche Gemeinschaft bleibt jedoch nicht auf
die Diözesanebene beschränkt: die Priester sind auf ontologische und nicht bloß
juristische Weise in sakramentaler Brüderlichkeit miteinander verbunden. Das
Konzil erinnert daher daran, dass „die Geistesgabe, die den Priestern in ihrer
Weihe verliehen wurde, sie nicht nur für irgendeine begrenzte und
eingeschränkte Sendung, sondern für die alles umfassende und universale
Heilssendung [rüstet], denn jeder priesterliche Dienst hat teil an der
weltweiten Sendung, die Christus den Aposteln aufgetragen hat“ (Nr. 10). Vor
diesem Hintergrund sei daran erinnert, dass die heutzutage oft vorgebrachte
Auffassung von der „Diözesanität“ des Priesters stets integriert und, in
gewissen Fällen, korrigiert werden muss durch die höher stehende und
vorausgehende „Universalität“ oder „Katholizität“ des Weihepriestertums, das
seinem Wesen nach ein Geschenk ist, das Gott der ganzen Kirche macht, auch wenn
sich dies zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort vollzieht. Daher
lehrt PO an mehreren Stellen, dass die Priester einen universalen Blick pflegen
müssen (vgl. insbesondere die Nr. 6; 10; 14; 17).
Zu guter Letzt ruft PO in Bezug auf das Thema
des geistlichen Lebens der Priester in Erinnerung, das diese nach Vollkommenheit
und Heiligkeit streben sollen. Es gibt zahlreiche Verweise darauf, aber der
wichtigste Abschnitt ist wohl Artikel 12. Dort heißt es, dass die Priester,
ebenso wie alle Gläubigen, bereits durch die Gnade der Taufe dazu verpflichtet
sind, nach Heiligkeit zu streben: „Als Priester sind sie jedoch in besonderer
Weise zum Streben nach dieser Vollkommenheit verpflichtet. Denn im Empfang des
Weihesakraments Gott auf neue Weise geweiht, sind sie lebendige Werkzeuge
Christi des Ewigen Priesters geworden, damit sie sein wunderbares Werk, das mit
Kraft von oben die ganze menschliche Gesellschaft erneuert hat, durch die
Zeiten fortzuführen mögen.“ Es handelt sich dabei um eine konkrete Anwendung
der Worte aus dem Evangelium: „Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel
zurückgefordert werden“ (Lk 12,48). In diesem Zusammenhang weist das Konzil darauf
hin, dass der Priester zusammen mit dem ihm gemachten Geschenk auch die
besondere Gnade erhält, „durch den Dienst an der ihm anvertrauten Gemeinde und
am ganzen Volk Gottes besser der Vollkommenheit dessen [Christi] nachzustreben,
an dessen Stelle er steht [partes
sustinet]. Auch diese Lehre soll in Erinnerung gerufen werden, denn das
Konzil hebt hervor, dass die Priester ihrer Berufung nicht nur durch das Weiden
der Herde nachkommen, das heißt durch die Ausübung des munus pastorale, sondern auch durch das Streben nach persönlicher
Heiligkeit, die keineswegs zweitrangiger Aspekt in Leben und Dienst der
Priester ist. Für die Heiligkeit des Priesters genügt daher nicht die Übung der
pastoralen Nächstenliebe; sie muss vielmehr einhergehen mit dem
Gleichförmigwerden mit Christus, mit der beständigen Umkehr zu Ihm, die auch
durch Werke zur Abtötung des Fleisches geschieht. „Denn obwohl die Gnade Gottes
auch durch unwürdige Diener das Heilswerk durchführen kann, so will Gott doch
seine Heilswunder für gewöhnlich lieber durch diejenigen kundtun, die sich dem
Antrieb und der Führung des Heiligen Geistes mehr geöffnet haben und darum
wegen ihrer innigen Verbundenheit mit Christus und wegen eines heiligmäßigen
Lebens mit dem Apostel sprechen können: ‚Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in
mir‘ (Gal 2,20)“.